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Kapitel 37.
Zur Aesthetik der Dichtkunst.

Dieses Kapitel bezieht sich auf §. 51 des ersten Bandes.

Als die einfachste und richtigste Definition der Poesie möchte ich diese ausstellen, daß sie die Kunst ist, durch Worte die Einbildungskraft ins Spiel zu versetzen. Wie sie dies zu Wege bringt, habe ich im ersten Bande, §. 51, angegeben. Eine specielle Bestätigung des dort Gesagten giebt folgende Stelle aus einem seitdem veröffentlichten Briefe Wielands an Merk: »Ich habe drittehalb Tage über eine einzige Strophe zugebracht, wo im Grunde die Sache aus einem einzigen Worte, das ich brauchte und nicht finden konnte, beruhte. Ich drehte und wandte das Ding und mein Gehirn nach allen Seiten; weil ich natürlicherweise, wo es um ein Gemählde zu thun ist, gern die nämliche bestimmte Vision, welche vor meiner Stirn schwebte, auch vor die Stirn meiner Leser bringen möchte, und dazu oft, ut nosti, von einem einzigen Zuge, oder Drucker, oder Reflex, Alles abhängt.« (Briefe an Merk, herausgegeben von Wagner, 1835, S. 193.) – Dadurch, daß die Phantasie des Lesers der Stoff ist, in welchem der Dichtkunst ihre Bilder darstellt, hat diese den Vortheil, daß die nähere Ausführung und die feineren Züge in der Phantasie eines Jeden so ausfallen, wie es seiner Individualität, seiner Erkenntnißsphäre und seiner Laune gerade am angemessensten ist und ihn daher am lebhaftesten anregt; statt daß die bildenden Künste sich nicht so anbequemen können, sondern hier ein Bild, eine Gestalt Allen genügen soll: diese aber wird doch immer, in Etwas, das Gepräge der Individualität des Künstlers, oder seines Modells, tragen, als einen subjektiven, oder zufälligen, nicht wirksamen Zusatz; wenn gleich um so weniger, je objektiver, d. h. genialer der Künstler ist. Schon hieraus ist es zum Theil erklärlich, daß die Werke der Dichtkunst eine viel stärkere, tiefere und allgemeinere Wirkung ausüben, als Bilder und Statuen: diese nämlich lassen das Volk meistens ganz kalt, und überhaupt sind die bildenden die am schwächsten wirkenden Künste. Hiezu giebt einen sonderbaren Beleg das so häufige Auffinden und Entdecken von Bildern großer Meister in Privathäusern und allerlei Lokalitäten, wo sie, viele Menschenalter hindurch, nicht etwan vergraben und versteckt, sondern bloß unbeachtet, also wirkungslos, gehangen haben. Zu meiner Zeit in Florenz (1823) wurde sogar eine Raphael'sche Madonna entdeckt, welche eine lange Reihe von Jahren hindurch im Bedientenzimmer eines Palastes (im Quartiere di S. Spirito) an der Wand gehangen hatte: und Dies geschieht unter Italiänern, dieser vor allen übrigen mit Schönheitssinn begabten Nation. Es beweist, wie wenig direkte und unvermittelte Wirkung die Werke der bildenden Künste haben, und daß ihre Schätzung weit mehr, als die aller andern, der Bildung und Kenntniß bedarf. Wie unfehlbar macht hingegen eine schöne, das Herz treffende Melodie ihre Reise um das Erdenrund, und wandert eine vortreffliche Dichtung von Volk zu Volk. Daß die Großen und Reichen gerade den bildenden Künsten die kräftigste Unterstützung widmen und nur auf ihre Werke beträchtliche Summen verwenden, ja, heut zu Tage eine Idololatrie, im eigentlichen Sinne, für ein Bild von einem berühmten, alten Meister den Werth eines großen Landgutes hingiebt, Dies beruht hauptsächlich auf der Seltenheit der Meisterstücke, deren Besitz daher dem Stolze zusagt, sodann aber auch darauf, daß der Genuß derselben gar wenig Zeit und Anstrengung erfordert und jeden Augenblick, auf einen Augenblick, bereit ist; während Poesie und selbst Musik ungleich beschwerlichere Bedingungen stellen. Dem entsprechend lassen die bildenden Künste sich auch entbehren: ganze Völker, z. B. die Mohammedanischen, sind ohne sie: aber ohne Musik und Poesie ist keines.

Die Absicht nun aber, in welcher der Dichter unsere Phantasie in Bewegung setzt, ist, uns die Ideen zu offenbaren, d. h. an einem Beispiel zu zeigen, was das Leben, was die Welt sei. Dazu ist die erste Bedingung, daß er es selbst erkannt habe: je nachdem dies tief oder flach geschehen ist, wird seine Dichtung ausfallen. Demgemäß giebt es unzählige Abstufungen, wie der Tiefe und Klarheit in der Auffassung der Natur der Dinge, so der Dichter. Jeder von diesen muß inzwischen sich für vortrefflich halten, sofern er richtig dargestellt hat was er erkannte, und sein Bild seinem Original entspricht: er muß sich dem besten gleich stellen, weil er in dessen Bilde auch nicht mehr erkennt, als in seinem eigenen, nämlich so viel, wie in der Natur selbst; da sein Blick nun ein Mal nicht tiefer eindringt. Der beste selbst aber erkennt sich als solchen daran, daß er sieht wie flach der Blick der andern war, wie Vieles noch dahinter lag, das sie nicht wiedergeben konnten, weil sie es nicht sahen, und wie viel weiter sein Blick und sein Bild reicht. Verstände er die Flachen so wenig, wie sie ihn; da müßte er verzweifeln: denn gerade weil schon ein außerordentlicher Mann dazu gehört, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die schlechten Poeten ihn aber so wenig hochschätzen können, wie er sie, hat auch er lange an seinem eigenen Beifall zu zehren, ehe der der Welt nachkommt. – Inzwischen wird ihm auch jener verkümmert, indem man ihm zumuthet, er solle fein bescheiden seyn. Es ist aber so unmöglich, daß wer Verdienste hat und weiß was sie kosten, selbst blind dagegen sei, wie daß ein Mann von sechs Fuß Höhe nicht merke, daß er die Andern überragt. Ist von der Basis des Thurms bis zur Spitze 300 Fuß; so ist zuverlässig eben so viel von der Spitze bis zur Basis. Horaz, Lucrez, Ovid und fast alle Alten haben stolz von sich geredet, desgleichen Dante, Shakespeare, Bako von Verulam und Viele mehr. Daß Einer ein großer Geist seyn könne, ohne etwas davon zu merken, ist eine Absurdität, welche nur die trostlose Unfähigkeit sich einreden kann, damit sie das Gefühl der eigenen Nichtigkeit auch für Bescheidenheit halten könne. Ein Engländer hat witzig und richtig bemerkt, daß merit und modesty nichts Gemeinsames hätten, als den Anfangsbuchstaben Lichtenberg führt (Vermischte Schriften, neue Ausgabe, Göttingen 1844, Bd. 3, S. 19) an, daß Stanislaus Leszczynski gesagt hat: »La modestie devroit être la vertu de ceux à qui les autres manquent.«. Die bescheidenen Celebritäten habe ich stets in Verdacht, daß sie wohl Recht haben könnten; und Corneille sagt geradezu:

La fausse humilité ne met plus en crédit:
Je sçais ce que je vaux, et je crois ce qu'on m'en dit.

Endlich hat Goethe es unumwunden gesagt: »Nur die Lumpe sind bescheiden.« Aber noch unfehlbarer wäre die Behauptung gewesen, daß Die, welche so eifrig von Andern Bescheidenheit fordern, auf Bescheidenheit dringen, unablässig rufen: »Nur bescheiden! um Gotteswillen, nur bescheiden!« zuverlässig Lumpe sind, d. h. völlig verdienstlose Wichte, Fabrikwaare der Natur, ordentliche Mitglieder des Packs der Menschheit. Denn wer selbst Verdienste hat, läßt auch Verdienste gelten, – versteht sich ächte und wirkliche. Aber Der, dem selbst alle Vorzüge und Verdienste mangeln, wünscht, daß es gar keine gäbe: ihr Anblick an Andern spannt ihn auf die Folter; der blasse, grüne, gelbe Neid verzehrt sein Inneres: er möchte alle persönlich Bevorzugten vernichten und ausrotten: muß er sie aber leider leben lassen, so soll es nur unter der Bedingung seyn, daß sie ihre Vorzüge verstecken, völlig verleugnen, ja abschwören. Dies also ist die Wurzel der so häufigen Lobreden auf die Bescheidenheit. Und wenn solche Präkonen derselben Gelegenheit haben, das Verdienst im Entstehen zu ersticken, oder wenigstens zu verhindern, daß es sich zeige, daß es bekannt werde, – wer wird zweifeln, daß sie es thun? Denn dies ist die Praxis zu ihrer Theorie. –

Wenn nun gleich der Dichter, wie jeder Künstler, uns immer nur das Einzelne, Individuelle, vorführt; so ist was er erkannte und uns dadurch erkennen lassen will, doch die (Platonische) Idee, die ganze Gattung: daher wird in seinen Bildern gleichsam der Typus der menschlichen Charaktere und Situationen ausgeprägt seyn. Der erzählende, auch der dramatische Dichter nimmt aus dem Leben das ganz Einzelne heraus und schildert es genau in seiner Individualität, offenbart aber hiedurch das ganze menschliche Daseyn; indem er zwar scheinbar es mit dem Einzelnen, in Wahrheit aber mit Dem, was überall und zu allen Zeiten ist, zu thun hat. Hieraus entspringt es, daß Sentenzen, besonders der dramatischen Dichter, selbst ohne generelle Aussprüche zu seyn, im wirklichen Leben häufige Anwendung finden. – Zur Philosophie verhält sich die Poesie, wie die Erfahrung sich zur empirischen Wissenschaft verhält. Die Erfahrung nämlich macht uns mit der Erscheinung im Einzelnen und beispielsweise bekannt: die Wissenschaft umfaßt das Ganze derselben, mittelst allgemeiner Begriffe. So will die Poesie uns mit den (Platonischen) Ideen der Wesen mittelst des Einzelnen und beispielsweise bekannt machen: die Philosophie will das darin sich aussprechende innere Wesen der Dinge im Ganzen und Allgemeinen erkennen lehren. – Man sieht schon hieran, daß die Poesie mehr den Charakter der Jugend, die Philosophie den des Alters trägt. In der That blüht die Dichtergabe eigentlich nur in der Jugend: auch die Empfänglichkeit für Poesie ist in der Jugend oft leidenschaftlich: der Jüngling hat Freude an Versen als solchen und nimmt oft mit geringer Waare vorlieb. Mit den Jahren nimmt diese Neigung allmälig ab, und im Alter zieht man die Prosa vor. Durch jene poetische Tendenz der Jugend wird dann leicht der Sinn für die Wirklichkeit verdorben. Denn von dieser unterscheidet die Poesie sich dadurch, daß in ihr das Leben interessant und doch schmerzlos an uns vorüberfließt; dasselbe hingegen in der Wirklichkeit, so lange es schmerzlos ist, uninteressant ist, sobald es aber interessant wird, nicht ohne Schmerzen bleibt. Der früher in die Poesie als in die Wirklichkeit eingeweihte Jüngling verlangt von dieser, was nur jene leisten kann: dies ist eine Hauptquelle des Unbehagens, welches die vorzüglichsten Jünglinge drückt. –

Metrum und Reim sind eine Fessel, aber auch eine Hülle, die der Poet um sich wirft, und unter welcher es ihm vergönnt ist zu reden, wie er sonst nicht dürfte: und das ist es, was uns freut. – Er ist nämlich für Alles was er sagt nur halb verantwortlich: Metrum und Reim müssen es zur andern Hälfte vertreten. – Das Metrum, oder Zeitmaaß, hat, als bloßer Rhythmus, sein Wesen allein in der Zeit, welche eine reine Anschauung a priori ist, gehört also, mit Kant zu reden, bloß der reinen Sinnlichkeit an; hingegen ist der Reim Sache der Empfindung im Gehörorgan, also der empirischen Sinnlichkeit. Daher ist der Rhythmus ein viel edleres und würdigeres Hülfsmittel, als der Reim, den die Alten demnach verschmähten, und der in den unvollkommenen, durch Korruption der früheren und in barbarischen Zeiten entstandenen Sprachen seinen Ursprung fand. Die Armsäligkeit französischer Poesie beruht hauptsächlich darauf, daß diese, ohne Metrum, auf den Reim allein beschränkt ist, und wird dadurch vermehrt, daß sie, um ihren Mangel an Mitteln zu verbergen, durch eine Menge pedantischer Satzungen ihre Reimerei erschwert hat, wie z. B. daß nur gleich geschriebene Silben reimen, als wär' es für's Auge, nicht für's Ohr; daß der Hiatus verpönt ist, eine Menge Worte nicht vorkommen dürfen u. dgl. m., welchem Allen die neuere französische Dichterschule ein Ende zu machen sucht. – In keiner Sprache jedoch macht, wenigstens für mich, der Reim einen so wohlgefälligen und mächtigen Eindruck, wie in der lateinischen: die mittelalterlichen gereimten lateinischen Gedichte haben einen eigenthümlichen Zauber. Man muß es daraus erklären, daß die lateinische Sprache ohne allen Vergleich vollkommener, schöner und edler ist, als irgend eine der neueren, und nun in dem, eben diesen angehörigen, von ihr selbst aber ursprünglich verschmähten Putz und Flitter so anmuthig einhergeht.

Der ernsthaften Erwägung könnte es fast als ein Hochverrath gegen die Vernunft erscheinen, wenn einem Gedanken, oder seinem richtigen und reinen Ausdruck, auch nur die leiseste Gewalt geschieht, in der kindischen Absicht, daß nach einigen Silben der gleiche Wortklang wieder vernommen werde, oder auch, damit diese Silben selbst ein gewisses Hopsasa darstellen. Ohne solche Gewalt aber kommen gar wenige Verse zu Stande: denn ihr ist es zuzuschreiben, daß, in fremden Sprachen, Verse viel schwerer zu verstehen sind, als Prosa. Könnten wir in die geheime Werkstätte der Poeten sehen; so würden wir zehn Mal öfter finden, daß der Gedanke zum Reim, als daß der Reim zum Gedanken gesucht wird: und selbst im letztern Fall geht es nicht leicht ohne Nachgiebigkeit von Seiten des Gedankens ab. – Diesen Betrachtungen bietet jedoch die Verskunst Trotz, und hat dabei alle Zeiten und Völker auf ihrer Seite: so groß ist die Macht, welche Metrum und Reim auf das Gemüth ausüben, und so wirksam das ihnen eigene, geheimnißvolle lenocinium. Ich möchte dieses daraus erklären, daß ein glücklich gereimter Vers, durch seine unbeschreiblich emphatische Wirkung, die Empfindung erregt, als ob der darin ausgedrückte Gedanke schon in der Sprache prädestinirt, ja präformirt gelegen und der Dichter ihn nur herauszufinden gehabt hätte. Selbst triviale Einfälle erhalten durch Rhythmus und Reim einen Anstrich von Bedeutsamkeit, figuriren in diesem Schmuck, wie unter den Mädchen Alltagsgesichter durch den Putz die Augen fesseln. Ja, selbst schiefe und falsche Gedanken gewinnen durch die Versifikation einen Schein von Wahrheit. Andererseits wieder schrumpfen sogar berühmte Stellen aus berühmten Dichtern zusammen und werden unscheinbar, wenn getreu in Prosa wiedergegeben. Ist nur das Wahre schön und ist der liebste Schmuck der Wahrheit die Nacktheit; so wird ein Gedanke, der in Prosa groß und schön auftritt, mehr wahren Werth haben, als einer, der in Versen so wirkt. – Daß nun so geringfügig, ja, kindisch scheinende Mittel, wie Metrum und Reim, eine so mächtige Wirkung ausüben, ist sehr auffallend und wohl der Untersuchung werth: ich erkläre es mir auf folgende Weise. Das dem Gehör unmittelbar Gegebene, also der bloße Wortklang, erhält durch Rhythmus und Reim eine gewisse Vollkommenheit und Bedeutsamkeit an sich selbst, indem er dadurch zu einer Art Musik wird: daher scheint er jetzt seiner selbst wegen dazuseyn und nicht mehr als bloßes Mittel, bloßes Zeichen eines Bezeichneten, nämlich des Sinnes der Worte. Durch seinen Klang das Ohr zu ergötzen, scheint seine ganze Bestimmung, mit dieser daher Alles erreicht und alle Ansprüche befriedigt zu seyn. Daß er nun aber zugleich noch einen Sinn enthält, einen Gedanken ausdrückt, stellt sich jetzt dar als eine unerwartete Zugabe, gleich den Worten zur Musik; als ein unerwartetes Geschenk, das uns angenehm überrascht und daher, indem wir gar keine Forderungen der Art machten, sehr leicht zufrieden stellt: wenn nun aber gar dieser Gedanke ein solcher ist, der an sich selbst, also auch in Prosa gesagt, bedeutend wäre; dann sind wir entzückt. Mir ist aus früher Kindheit erinnerlich, daß ich mich eine Zeit lang am Wohlklang der Verse ergötzt hatte, ehe ich die Entdeckung machte, daß sie auch durchweg Sinn und Gedanken enthielten. Demgemäß giebt es, wohl in allen Sprachen, auch eine bloße Klingklangpoesie. mit fast gänzlicher Ermangelung des Sinnes. Der Sinologe Davis, im Vorbericht zu seiner Uebersetzung des Laou-sang-urh, oder an heir in old age (London 1817) bemerkt, daß die Chinesischen Dramen zum Theil aus Versen bestehen, welche gesungen werden, und setzt hinzu: »der Sinn derselben ist oft dunkel, und der Aussage der Chinesen selbst zufolge, ist der Zweck dieser Verse vorzüglich, dem Ohre zu schmeicheln, wobei der Sinn vernachlässigt, auch Wohl der Harmonie ganz zum Opfer gebracht ist«. Wem fallen hiebei nicht die oft so schwer zu enträthselnden Chöre mancher Griechischer Trauerspiele ein?

Das Zeichen, woran man am unmittelbarsten den ächten Dichter, sowohl höherer als niedere? Gattung, erkennt, ist die Ungezwungenheit seiner Reime: sie haben sich, wie durch göttliche Schickung, von selbst eingefunden: seine Gedanken kommen ihm schon in Reimen. Der heimliche Prosaiker hingegen sucht zum Gedanken den Reim; der Pfuscher zum Reim den Gedanken. Sehr oft kann man aus einem gereimten Versepaar herausfinden, welcher von beiden den Gedanken, und welcher den Reim zum Vater hat. Die Kunst besteht darin, das Letztere zu verbergen, damit nicht dergleichen Verse beinahe als bloße ausgefüllte bouts-rimés auftreten.

Meinem Gefühl zufolge (Beweise finden hier nicht Statt) ist der Reim, seiner Natur nach, bloß binär: seine Wirksamkeit beschränkt sich auf die einmalige Wiederkehr des selben Lauts und wird durch öftere Wiederholung nicht verstärkt. Sobald demnach eine Endsilbe die ihr gleichklingende vernommen hat, ist ihre Wirkung erschöpft: die dritte Wiederkehr des Tons wirkt bloß als ein abermaliger Reim, der zufällig auf den selben Klang trifft, aber ohne Erhöhung der Wirkung: er reihet sich dem vorhandenen Reime an, ohne jedoch sich mit ihm zu einem stärkern Eindruck zu verbinden. Denn der erste Ton schallt nicht durch den zweiten bis zum dritten herüber: dieser ist also ein ästhetischer Pleonasmus, eine doppelte Courage, die nichts hilft. Am wenigsten verdienen daher dergleichen Reimanhäufungen die schweren Opfer, die sie in Ottavarimen, Terzerimen und Sonetten kosten, und welche die Ursache der Seelenmarter sind, unter der man bisweilen solche Produktionen liest: denn poetischer Genuß unter Kopfbrechen ist unmöglich. Daß der große dichterische Geist auch jene Formen und ihre Schwierigkeiten bisweilen überwinden und sich mit Leichtigkeit und Grazie darin bewegen kann, gereicht ihnen selbst nicht zur Empfehlung: denn an sich sind sie so unwirksam wie beschwerlich. Und selbst bei guten Dichtern, wann sie dieser Formen sich bedienen, sieht man häufig den Kampf zwischen dem Reim und dem Gedanken, in welchem bald der eine, bald der andere den Sieg erringt, also entweder der Gedanke des Reimes wegen verkümmert, oder aber dieser mit einem schwachen à peu près abgefunden wird. Da dem so ist, halte ich es nicht für einen Beweis von Unwissenheit, sondern von gutem Geschmack, daß Shakespeare, in seinen Sonetten, jedem der Quadernarien andere Reime gegeben hat. Jedenfalls ist ihre akustische Wirkung dadurch nicht im Mindesten verringert, und kommt der Gedanke viel mehr zu seinem Rechte, als er gekonnt hätte, wenn er in die herkömmlichen Spanischen Stiefel hätte eingeschnürt werden müssen.

Es ist ein Nachtheil für die Poesie einer Sprache, wenn sie viele Worte hat, die in der Prosa nicht gebräuchlich sind, und andererseits gewisse Worte der Prosa nicht gebrauchen darf. Ersteres ist wohl am meisten im Lateinischen und Italiänischen, Letzteres im Französischen der Fall, wo es kürzlich sehr treffend la bégeulerie de la langue française genannt wurde: Beides ist weniger im Englischen und am wenigsten im Deutschen zu finden. Solche der Poesie ausschließlich ungehörige Worte bleiben nämlich unserm Herzen fremd, sprechen nicht unmittelbar zu uns, lassen uns daher kalt. Sie sind eine poetische Konventionssprache und gleichsam bloß gemalte Empfindungen statt wirklicher: sie schließen die Innigkeit aus. –

Der in unsern Tagen so oft besprochene Unterschied zwischen klassischer und romantischer Poesie scheint mir im Grunde darauf zu beruhen, daß jene keine anderen, als die rein menschlichen, wirklichen und natürlichen Motive kennt; diese hingegen auch erkünstelte, konventionelle und imaginäre Motive als wirksam geltend macht: dahin gehören die aus dem Christlichen Mythos stammenden, sodann die des ritterlichen, überspannten und Phantastischen Ehrenprincips, ferner die der abgeschmackten und lächerlichen christlichgermanischen Weiberverehrung, endlich die der faselnden und mondsüchtigen hyperphysischen Verliebtheit. Zu welcher fratzenhaften Verzerrung menschlicher Verhältnisse und menschlicher Natur diese Motive aber führen, kann man sogar an den besten Dichtern der romantischen Gattung ersehen, z. B. an Calderon. Von den Autos gar nicht zu reden, berufe ich mich nur auf Stücke wie No siempre el peor es cierto (Nicht immer ist das Schlimmste gewiß) und El postrero duelo en España (Das letzte Duell in Spanien) und ähnliche Komödien en capa y espada: zu jenen Elementen gesellt sich hier noch die oft hervortretende scholastische Spitzfindigkeit in der Konversation, welche damals zur Geistesbildung der höhern Stände gehörte. Wie steht doch dagegen die Poesie der Alten, welche stets der Natur treu bleibt, entschieden im Vortheil, und ergiebt sich, daß die klassische Poesie eine unbedingte, die romantische nur eine bedingte Wahrheit und Richtigkeit hat; analog der Griechischen und der Gothischen Baukunst. – Andererseits ist jedoch hier zu bemerken, daß alle dramatischen, oder erzählenden Dichtungen, welche den Schauplatz nach dem alten Griechenland oder Rom versetzen, dadurch in Nachtheil gerathen, daß unsere Kenntniß des Alterthums, besonders was das Detail des Lebens betrifft, unzureichend, fragmentarisch und nicht aus der Anschauung geschöpft ist. Dies nämlich nöthigt den Dichter Vieles zu umgehen und sich mit Allgemeinheiten zu behelfen, wodurch er ins Abstrakte geräth und sein Werk jene Anschaulichkeit und Individualisation einbüßt, welche der Poesie durchaus wesentlich ist. Dies ist es, was allen solchen Werken den eigentümlichen Anstrich von Leerheit und Langweiligkeit giebt. Bloß Shakespeares Darstellungen der Art sind frei davon; weil er, ohne Zaudern, unter den Namen von Griechen und Römern, Engländer seines Zeitalters dargestellt hat. –

Manchen Meisterstücken der lyrischen Poesie, namentlich einigen Oden des Horaz (man sehe z. B. die zweite des dritten Buchs) und mehreren Liedern Goethe's (z. B. Schäfers Klagelied), ist vorgeworfen worden, daß sie des rechten Zusammenhanges entbehrten und voller Gedankensprünge wären. Allein hier ist der logische Zusammenhang absichtlich vernachlässigt, um ersetzt zu werden durch die Einheit der darin ausgedrückten Grundempfindung und Stimmung, als welche gerade dadurch mehr hervortritt, indem sie wie eine Schnur durch die gesonderten Perlen geht und den schnellen Wechsel der Gegenstände der Betrachtung so vermittelt, wie in der Musik den Uebergang aus einer Tonart in die andere der Septimenackord, durch welchen der in ihm fortklingende Grundton zur Dominante der neuen Tonart wird. Am deutlichsten, nämlich bis zur Uebertreibung, findet man die hier bezeichnete Eigenschaft in der Canzone des Petrarka, welche anhebt: Mai non vo' più cantar, com' io soleva. –

Wie demnach in der lyrischen Poesie das subjektive Element vorherrscht, so ist dagegen im Drama das objektive allein und ausschließlich vorhanden. Zwischen Beiden hat die epische Poesie, in allen ihren Formen und Modifikationen, von der erzählenden Romanze bis zum eigentlichen Epos, eine breite Mitte inne. Denn obwohl sie in der Hauptsache objektiv ist; so enthält sie doch ein bald mehr bald minder hervortretendes subjektives Element, welches am Ton, an der Form des Vortrags, wie auch an eingestreuten Reflexionen seinen Ausdruck findet. Wir verlieren nicht den Dichter so ganz aus den Augen, wie beim Drama.

Der Zweck des Dramas überhaupt ist, uns an einem Beispiel zu zeigen, was das Wesen und Daseyn des Menschen sei. Dabei kann nun die traurige, oder die heitere Seite derselben uns zugewendet werden, oder auch deren Uebergänge. Aber schon der Ausdruck »Wesen und Daseyn des Menschen« enthält den Keim zu der Kontroverse, ob das Wesen, d. i. die Charaktere, oder das Daseyn, d. i. das Schicksal, die Begebenheit, die Handlung, die Hauptsache sei. Uebrigens sind Beide so fest mit einander verwachsen, daß Wohl ihr Begriff, aber nicht ihre Darstellung sich trennen läßt. Denn nur die Umstände, Schicksale, Begebenheiten bringen die Charaktere zur Aeußerung ihres Wesens, und nur aus den Charakteren entsteht die Handlung, aus der die Begebenheiten hervorgehen. Allerdings kann, in der Darstellung, das Eine oder das Andere mehr hervorgehoben seyn; in welcher Hinsicht das Charakterstück und das Intriguenstück die beiden Extreme bilden.

Der dem Drama mit dem Epos gemeinschaftliche Zweck, an bedeutenden Charakteren in bedeutenden Situationen, die durch beide herbeigeführten außerordentlichen Handlungen darzustellen, wird vom Dichter am vollkommensten erreicht werden, wenn er uns zuerst die Charaktere im Zustande der Ruhe vorführt, in welchem bloß die allgemeine Färbung derselben sichtbar wird, dann aber ein Motiv eintreten läßt, welches eine Handlung herbeiführt, aus der ein neues und stärkeres Motiv entsteht, welches wieder eine bedeutendere Handlung hervorruft, die wiederum neue und immer stärkere Motive gebiert, wodurch dann, in der der Form angemessenen Frist, an die Stelle der ursprünglichen Ruhe die leidenschaftliche Aufregung tritt, in der nun die bedeutsamen Handlungen geschehen, an welchen die in den Charakteren vorhin schlummernden Eigenschaften, nebst dem Laufe der Welt, in hellem Lichte hervortreten. –

Große Dichter verwandeln sich ganz in jede der darzustellenden Personen und sprechen aus jeder derselben, wie Bauchredner; jetzt aus dem Helden, und gleich darauf aus dem jungen unschuldigen Mädchen, mit gleicher Wahrheit und Natürlichkeit: so Shakespeare und Goethe. Dichter zweiten Ranges verwandeln die darzustellende Hauptperson in sich: so Byron wobei dann die Nebenpersonen oft ohne Leben bleiben, wie in den Werken der Mediokren auch die Hauptperson. –

Unser Gefallen am Trauerspiel gehört nicht dem Gefühl des Schönen, sondern dem des Erhabenen an; ja, es ist der höchste Grad dieses Gefühls. Denn, wie wir beim Anblick des Erhabenen in der Natur uns vom Interesse des Willens abwenden, um uns rein anschauend zu Verhalten; so wenden wir bei der tragischen Katastrophe uns vom Willen zum Leben selbst ab. Im Trauerspiel nämlich wird die schreckliche Seite des Lebens uns vorgeführt, der Jammer der Menschheit, die Herrschaft des Zufalls und des Irrthums, der Fall des Gerechten, der Triumph der Bösen: also die unserm Willen geradezu widerstrebende Beschaffenheit der Welt wird uns vor Augen gebracht. Bei diesem Anblick fühlen wir uns aufgefordert, »unseren« Willen vom Leben abzuwenden, es nicht mehr zu wollen und zu lieben. Gerade dadurch aber werden wir inne, daß alsdann noch etwas Anderes an uns übrig bleibt, was wir durchaus nicht positiv erkennen können, sondern bloß negativ, als Das, was nicht das Leben will. Wie der Septimenackord den Grundackord, wie die rothe Farbe die grüne fordert und sogar im Auge hervorbringt; so fordert jedes Trauerspiel ein ganz anderartiges Daseyn, eine andere Welt, deren Erkenntniß uns immer nur indirekt, wie eben hier durch solche Forderung, gegeben werden kann. Im Augenblick der tragischen Katastrophe wird uns, deutlicher als jemals, die Ueberzeugung, daß das Leben ein schwerer Traum sei, aus dem wir zu erwachen haben. Insofern ist die Wirkung des Trauerspiels analog der des dynamisch Erhabenen, indem es, wie dieses, uns über den Willen und sein Interesse hinaushebt und uns so umstimmt, daß wir am Anblick des ihm geradezu Widerstrebenden Gefallen finden. Was allem Tragischen, in welcher Gestalt es auch auftrete, den eigenthümlichen Schwung zur Erhebung giebt, ist das Aufgehen der Erkenntniß, daß die Welt, das Leben, kein wahres Genügen gewähren könne, mithin unserer Anhänglichkeit nicht werth sei: darin besteht der tragische Geist: er leitet demnach zur Resignation hin.

Ich räume ein, daß im Trauerspiel der Alten dieser Geist der Resignation selten direkt hervortritt und ausgesprochen wird. Oedipus Koloneus stirbt zwar resignirt und willig; doch tröstet ihn die Rache an seinem Vaterland. Iphigenia Aulika ist sehr willig zu sterben; doch ist es der Gedanke an Griechenlands Wohl, der sie tröstet und die Veränderung ihrer Gesinnung hervorbringt, vermöge welcher sie den Tod, dem sie erst auf alle Weise entfliehen wollte, willig übernimmt. Kassandra, im Agamemnon des großen Aeschylos, stirbt willig, αϱχειτω βιος (1306); aber auch sie tröstet der Gedanke an Rache. Herkules, in den Trachinerinnen, giebt der Nothwendigkeit nach, stirbt gelassen, aber nicht resignirt. Eben so der Hippolytos des Euripides, bei dem es uns auffällt, daß die ihn zu trösten erscheinende Artemis ihm Tempel und Nachruhm verheißt, aber durchaus nicht auf ein über das Leben hinausgehendes Daseyn hindeutet, und ihn im Sterben verläßt, wie alle Götter von dem Sterbenden weichen: – im Christenthum treten sie zu ihm heran; und eben so im Brahmanismus und Buddhaismus, wenn auch bei letzterem die Götter eigentlich exotisch sind. Hippolytos also, wie fast alle tragischen Helden der Alten, zeigt Ergebung in das unabwendbare Schicksal und den unbiegsamen Willen der Götter, aber kein Aufgeben des Willens zum Leben selbst. Wie der Stoische Gleichmuth von der Christlichen Resignation sich von Grund aus dadurch unterscheidet, daß er nur gelassenes Ertragen und gefaßtes Erwarten der unabänderlich nothwendigen Uebel lehrt, das Christenthum aber Entsagung, Ausgeben des Wollens: eben so zeigen die tragischen Helden der Alten standhaftes Unterwerfen unter die unausweichbaren Schläge des Schicksals, das Christliche Trauerspiel dagegen Aufgeben des ganzen Willens zum Leben, freudiges Verlassen der Welt, im Bewußtseyn ihrer Werthlosigkeit und Nichtigkeit. – Aber ich bin auch ganz der Meinung, daß das Trauerspiel der Neuern höher steht, als das der Alten. Shakespeare ist viel größer als Sophokles: gegen Goethe's Iphigenia könnte man die des Euripides beinahe roh und gemein finden. Die Bakchantinnen des Euripides sind ein empörendes Machwerk zu Gunsten der heidnischen Pfaffen. Manche antike Stücke haben gar keine tragische Tendenz; wie die Alkeste und Iphigenia Taurika des Euripides: einige haben widerwärtige, oder gar ekelhafte Motive; so die Antigone und Philoktet. Fast alle zeigen das Menschengeschlecht unter der entsetzlichen Herrschaft des Zufalls und Irrthums, aber nicht die dadurch veranlaßte und davon erlösende Resignation. Alles, weil die Alten noch nicht zum Gipfel und Ziel des Trauerspiels, ja, der Lebensansicht überhaupt, gelangt waren.

Wenn demnach die Alten den Geist der Resignation, das Abwenden des Willens vom Leben, an ihren tragischen Helden selbst, als deren Gesinnung, wenig darstellen; so bleibt es dennoch die eigenthümliche Tendenz und Wirkung des Trauerspiels, jenen Geist im Zuschauer zu erwecken und jene Gesinnung, wenn auch nur vorübergehend, hervorzurufen. Die Schrecknisse aus der Bühne halten ihm die Bitterkeit und Werthlosigkeit des Lebens, also die Nichtigkeit alles seines Strebens entgegen: die Wirkung dieses Eindrucks muß seyn, daß er, wenn auch nur im dunkeln Gefühl, inne wird, es sei besser, sein Herz vom Leben loszureißen, sein Wollen davon abzuwenden, die Welt und das Leben nicht zu lieben; wodurch dann eben, in seinem tiefsten Innern, das Bewußtseyn angeregt wird, daß für ein anderartiges Wollen es auch eine andere Art des Daseyns geben müsse. – Denn wäre dies nicht, wäre nicht dieses Erheben über alle Zwecke und Güter des Lebens, dieses Abwenden von ihm und seinen Lockungen, und das hierin schon liegende Hinwenden nach einem anderartigen, wiewohl uns völlig unfaßbaren Daseyn die Tendenz des Trauerspiels; wie wäre es dann überhaupt möglich, daß die Darstellung der schrecklichen Seite des Lebens, im grellsten Lichte uns vor Augen gebracht, wohlthätig auf uns wirken und ein hoher Genuß für uns seyn könnte? Furcht und Mitleid, in deren Erregung Aristoteles den letzten Zweck des Trauerspiels setzt, gehören doch wahrhaftig nicht an sich selbst zu den angenehmen Empfindungen: sie können daher nicht Zweck, sondern nur Mittel seyn. – Also Aufforderung zur Abwendung des Willens vom Leben bleibt die wahre Tendenz des Trauerspiels, der letzte Zweck der absichtlichen Darstellung der Leiden der Menschheit, und ist es mithin auch da, wo diese resignirte Erhebung des Geistes nicht am Helden selbst gezeigt, sondern bloß im Zuschauer angeregt wird, durch den Anblick großen, unverschuldeten, ja, selbst verschuldeten Leidens. – Wie die Alten, so begnügen auch Manche der Neuern sich damit, durch die objektive Darstellung menschlichen Unglücks im Großen den Zuschauer in die beschriebene Stimmung zu versetzen; während Andere diese durch das Leiden bewirkte Umkehrung der Gesinnung am Helden selbst darstellen: Jene geben gleichsam nur die Prämissen, und überlassen die Konklusion dem Zuschauer; während diese die Konfusion, oder die Moral der Fabel, mitgeben, als Umkehrung der Gesinnung des Helden, auch wohl als Betrachtung im Munde des Chors, wie z. B. Schiller in der Braut von Messina: »Das Leben ist der Güter höchstes nicht.« Hier sei es erwähnt, daß selten die ächt tragische Wirkung der Katastrophe, also die durch sie herbeigeführte Resignation und Geisteserhebung der Helden, so rein motivirt und deutlich ausgesprochen hervortritt, wie in der Oper Norma, wo sie eintritt in dem Duett Qual cor tradisti, qual cor perdesti, in welchem die Umwendung des Willens durch die plötzlich eintretende Ruhe der Musik deutlich bezeichnet wird. Ueberhaupt ist dieses Stück, – ganz abgesehen von seiner vortrefflichen Musik, wie auch andererseits von der Diktion, welche nur die eines Operntextes seyn darf, – und allein seinen Motiven und seiner innern Oekonomie nach betrachtet, ein höchst vollkommenes Trauerspiel, ein wahres Muster tragischer Anlage der Motive, tragischer Fortschreitung der Handlung und tragischer Entwickelung, zusammt der über die Welt erhebenden Wirkung dieser auf die Gesinnung der Helden, welche dann auch auf den Zuschauer übergeht: ja, die hier erreichte Wirkung ist um so unverfänglicher und für das wahre Wesen des Trauerspiels bezeichnender, als keine Christen, noch Christliche Gesinnungen darin vorkommen. –

Die den Neuern so oft vorgeworfene Vernachlässigung der Einheit der Zeit und des Orts wird nur dann fehlerhaft, wann sie so weit geht, daß sie die Einheit der Handlung aushebt; wo dann nur noch die Einheit der Hauptperson übrig bleibt, wie z. B. in »Heinrich VIII.« von Shakespeare. Die Einheit der Handlung braucht aber auch nicht so weit zu gehen, daß immerfort von der selben Sache geredet wird, wie in den Französischen Trauerspielen, welche sie überhaupt so strenge einhalten, daß der dramatische Verlauf einer geometrischen Linie ohne Breite gleicht: da heißt es stets »Nur vorwärts! Pensez à votre affaire!« und die Sache wird ganz geschäftsmäßig expedirt und depeschirt, ohne daß man sich mit Allotrien, die nicht zu ihr gehören, aufhalte, oder rechts, oder links umsehe. Das Shakespearesche Trauerspiel hingegen gleicht einer Linie, die auch Breite hat: es läßt sich Zeit, exspatiatur: es kommen Reden, sogar ganze Scenen vor. welche die Handlung nicht fördern, sogar sie nicht eigentlich angehen, durch welche wir jedoch die handelnden Personen, oder ihre Umstände näher kennen lernen, wonach wir dann auch die Handlung gründlicher verstehen. Diese bleibt zwar die Hauptsache, jedoch nicht so ausschließlich, daß wir darüber vergäßen, daß, in letzter Instanz, es auf die Darstellung des menschlichen Wesens und Daseyns überhaupt abgesehen ist. –

Der dramatische, oder epische Dichter soll wissen, daß er das Schicksal ist, und daher unerbittlich seyn, wie dieses; – imgleichen, daß er der Spiegel des Menschengeschlechts ist, und daher sehr viele schlechte, mitunter ruchlose Charaktere auftreten lassen, wie auch viele Thoren, verschrobene Köpfe und Narren, dann aber hin und wieder einen Vernünftigen, einen Klugen, einen Redlichen, einen Guten und nur als seltenste Ausnahme einen Edelmüthigen. Im ganzen Homer ist, meines Bedünkens, kein eigentlich edelmüthiger Charakter dargestellt, wiewohl manche gute und redliche: im ganzen Shakespeare mögen allenfalls ein Paar edle, doch keineswegs überschwänglich edle Charaktere zu finden seyn, etwan die Kordelia, der Koriolan, schwerlich mehr; hingegen wimmelt es darin von der oben bezeichneten Gattung. Aber Ifflands und Kotzebue's Stücke haben viel edelmüthige Charaktere; während Goldoni es gehalten hat, wie ich oben anempfahl, wodurch er zeigt, daß er hoher steht. Hingegen Lessings Minna von Barnhelm laborirt stark an zu vielem und allseitigem Edelmuth: aber gar so viel Edelmuth, wie der einzige Marquis Posa darbietet, ist in Goethe's sämmtlichen Werken zusammengenommen nicht aufzutreiben: Wohl aber giebt es ein kleines Deutsches Stück »Pflicht um Pflicht« (ein Titel wie aus der Kritik der praktischen Vernunft genommen), welches nur drei Personen hat, jedoch alle drei von überschwänglichem Edelmuth. –

Die Griechen nahmen zu Helden des Trauerspiels durchgängig königliche Personen; die Neuern meistenteils auch. Gewiß nicht, weil der Rang dem Handelnden oder Leidenden mehr Würde giebt: und da es bloß darauf ankommt, menschliche Leidenschaften ins Spiel zu setzen; so ist der relative Werth der Objekte, wodurch dies geschieht, gleichgültig, und Bauerhöfe leisten so viel, wie Königreiche. Auch ist das bürgerliche Trauerspiel keineswegs unbedingt zu verwerfen. Personen von großer Macht und Ansehn sind jedoch deswegen zum Trauerspiel die geeignetesten, weil das Unglück, an welchem wir das Schicksal des Menschenlebens erkennen sollen, eine hinreichende Größe haben muß, um dem Zuschauer, wer er auch sei, als furchtbar zu erscheinen Euripides selbst sagt: φευ, φευ, τα μεγαλα, μεγαλα χαι πασχει χαχα. ( Stob. Flor. Vol. 2, p. 299.). Nun aber sind die Umstände, welche eine Bürgerfamilie in Noth und Verzweiflung versetzen, in den Augen der Großen oder Reichen meistens sehr geringfügig und durch menschliche Hülfe, ja bisweilen durch eine Kleinigkeit, zu beseitigen: solche Zuschauer können daher von ihnen nicht tragisch erschüttert werden. Hingegen sind die Unglücksfälle der Großen und Mächtigen unbedingt furchtbar, auch keiner Abhülfe von außen zugänglich; da Könige durch ihre eigene Macht sich helfen müssen, oder untergehen. Dazu kommt, daß von der Höhe der Fall am tiefsten ist. Den bürgerlichen Personen fehlt es demnach an Fallhöhe. –

Wenn nun als die Tendenz und letzte Absicht des Trauerspiels sich uns ergeben hat ein Hinwenden zur Resignation, zur Verneinung des Willens zum Leben; so werden wir in seinem Gegensatz, dem Lustspiel, die Aufforderung zur fortgesetzten Bejahung des Willens leicht erkennen. Zwar muß auch das Lustspiel, wie unausweichbar jede Darstellung des Menschenlebens, Leiden und Widerwärtigkeiten vor die Augen bringen: allein es zeigt sie uns vor als vorübergehend, sich in Freude auflösend, überhaupt mit Gelingen, Siegen und Hoffen gemischt, welche am Ende doch überwiegen; und dabei hebt es den unerschöpflichen Stoff zum Lachen hervor, von dem das Leben, ja, dessen Widerwärtigkeiten selbst, erfüllt sind, und der uns, unter allen Umständen, bei guter Laune erhalten sollte. Es besagt also, im Resultat, daß das Leben im Ganzen recht gut und besonders durchweg kurzweilig sei. Freilich aber muß es sich beeilen, im Zeitpunkt der Freude den Vorhang fallen zu lassen, damit wir nicht sehen, was nachkommt; während das Trauerspiel, in der Regel, so schließt, daß nichts nachkommen kann. Und überdies, wenn wir jene burleske Seite des Lebens ein Mal etwas ernst ins Auge fassen, wie sie sich zeigt in den naiven Aeußerungen und Gebehrden, welche die kleinliche Verlegenheit, die persönliche Furcht, der augenblickliche Zorn, der heimliche Neid und die vielen ähnlichen Affekte den vom Typus der Schönheit beträchtlich abweichenden Gestalten der sich hier spiegelnden Wirklichkeit aufdrücken; – so kann auch von dieser Seite, also auf eine unerwartete Art, dem nachdenklichen Betrachter die Ueberzeugung werden, daß das Daseyn und Treiben solcher Wesen nicht selbst Zweck seyn kann, daß sie, im Gegentheil, nur auf einem Irrwege zum Daseyn gelangen konnten, und daß was sich so darstellt etwas ist, das eigentlich besser nicht wäre.

 


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