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Inhalt

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  • Arthur Schopenhauer
  • Ergänzungen zum ersten Buch.
  • Kapitel 3
  • Kapitel 4
  • Anmerkungen zur beigefügten Tafel.
  • Kapitel 6
  • Kapitel 7
  • Kapitel 8
  • Kapitel 9
  • Kapitel 10
  • Kapitel 11
  • Kapitel 12
  • Kapitel 13
  • Kapitel 14
  • Kapitel 15
  • Kapitel 16
  • Kapitel 17
  • Kapitel 18
  • Ergänzungen zum zweiten Buch.
  • Kapitel 20
  • Anmerkung zu dem über Bichat Gesagten.
  • Kapitel 22
  • Kapitel 23
  • Kapitel 24
  • Kapitel 25
  • Kapitel 26
  • Kapitel 27
  • Kapitel 28
  • Kapitel 29
  • Ergänzungen zum dritten Buch.
  • Kapitel 31
  • Kapitel 32
  • Kapitel 33
  • Kapitel 34
  • Kapitel 35
  • Kapitel 36
  • Kapitel 37
  • Kapitel 38
  • Kapitel 39
  • Kapitel 40
  • Ergänzungen zum vierten Buch.
  • Kapitel 42
  • Kapitel 43
  • Kapitel 44
  • Anhang zum vorstehenden Kapitel.
  • Kapitel 46
  • Kapitel 47
  • Kapitel 48
  • Kapitel 49
  • Kapitel 50
  • Kapitel 51
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Kapitel 33.
Vereinzelte Bemerkungen über Naturschönheit.

Dieses Kapitel steht in Beziehung zu §. 38 des ersten Bandes.

Den Anblick einer schönen Landschaft so überaus erfreulich zu machen, trägt unter Anderm auch die durchgängige Wahrheit und Konsequenz der Natur bei. Diese befolgt hier freilich nicht den logischen Leitfaden, im Zusammenhange der Erkenntnißgründe, der Vordersätze und Nachsätze, Prämissen und Konklusionen; aber doch den ihm analogen des Kausalitätsgesetzes, im sichtlichen Zusammenhange der Ursachen und Wirkungen. Jede Modifikation, auch die leiseste, welche ein Gegenstand durch seine Stellung, Verkürzung, Verdeckung, Entfernung, Beleuchtung, Linear- und Luft-Perspektive u. s. w. erhält, wird durch seine Wirkung auf das Auge unfehlbar angegeben und genau in Rechnung gebracht: das Indische Sprichwort »Jedes Reiskörnchen wirft seinen Schatten« findet hier Bewährung. Daher zeigt sich hier Alles so durchgängig folgerecht, genau regelrecht, zusammenhängend und skrupulös richtig: hier giebt es keine Winkelzüge. Wenn wir nun den Anblick einer schönen Aussicht bloß als Gehirnphänomen in Betracht nehmen; so ist er das einzige stets ganz regelrechte, tadellose und vollkommene, unter den komplicirten Gehirnphänomenen; da alle übrigen, zumal unsere eigenen Gedankenoperationen, im Formalen oder Materialen, mit Mängeln oder Unrichtigkeiten, mehr oder weniger, behaftet sind. Aus diesem Vorzug des Anblicks der schönen Natur ist zunächst das Harmonische und durchaus Befriedigende seines Eindrucks zu erklären, dann aber auch die günstige Wirkung, welche derselbe auf unser gesammtes Denken hat, als welches dadurch, in seinem formalen Theil, richtiger gestimmt und gewissermaaßen geläutert wird, indem jenes allein ganz tadellose Gehirnphänomen das Gehirn überhaupt in eine völlig normale Aktion versetzt und nun das Denken im Konsequenten, Zusammenhangenden, Regelrechten und Harmonischen aller seiner Processe, jene Methode der Natur zu befolgen sucht, nachdem es durch sie in den rechten Schwung gebracht worden. Eine schöne Aussicht ist daher ein Kathartikon des Geistes, wie die Musik, nach Aristoteles, des Gemüthes, und in ihrer Gegenwart wird man am richtigsten denken. –

Daß der sich plötzlich vor uns aufthuende Anblick der Gebirge uns so leicht in eine ernste, auch wohl erhabene Stimmung versetzt, mag zum Theil darauf beruhen, daß die Form der Berge und der daraus entstehende Umriß des Gebirges die einzige stets bleibende Linie der Landschaft ist, da die Berge allein dem Verfall trotzen, der alles Uebrige schnell hinwegrafft, zumal unsere eigene, ephemere Person. Nicht, daß beim Anblick des Gebirgs alles Dieses in unser deutliches Bewußtseyn träte, sondern ein dunkles Gefühl davon wird der Grundbaß unserer Stimmung. –

Ich möchte wissen, warum, während für die menschliche Gestalt und Antlitz die Beleuchtung von oben durchaus die vortheilhafteste und die von unten die ungünstigste ist, hinsichtlich der landschaftlichen Natur gerade das Umgekehrte gilt. –

Wie ästhetisch ist doch die Natur! Jedes ganz unangebaute und verwilderte, d. h. ihr selber frei überlassene Fleckchen, sei es auch klein, wenn nur die Tatze des Menschen davon bleibt, dekorirt sie alsbald auf die geschmackvollste Weise, bekleidet es mit Pflanzen, Blumen und Gesträuchen, deren ungezwungenes Wesen, natürliche Grazie und anmuthige Gruppirung davon zeugt, daß sie nicht unter der Zuchtruthe des großen Egoisten aufgewachsen sind, sondern hier die Natur frei gewaltet hat. Jedes vernachlässigte Plätzchen wird alsbald schön. Hierauf beruht das Princip der Englischen Gärten, welches ist, die Kunst möglichst zu verbergen, damit es aussehe, als habe hier die Natur frei gewaltet. Denn nur dann ist sie vollkommen schön, d. h. zeigt in größter Deutlichkeit die Objektivation des noch erkenntnißlosen Willens zum Leben, der sich hier in größter Naivetät entfaltet, weil die Gestalten nicht, wie in der Thierwelt, bestimmt sind durch außerhalb liegende Zwecke, sondern allein unmittelbar durch Boden, Klima und ein geheimnißvolles Drittes, vermöge dessen so viele Pflanzen, die ursprünglich dem selben Boden und Klima entsprossen sind, doch so verschiedene Gestalten und Charaktere zeigen.

Der mächtige Unterschied zwischen den Englischen, richtiger Chinesischen Gärten und den jetzt immer seltener werdenden, jedoch noch in einigen Prachtexemplaren vorhandenen, altfranzösischen, beruht im letzten Grunde darauf, daß jene im objektiven, diese im subjektiven Sinne angelegt sind. In jenen nämlich wird der Wille der Natur, wie er sich in Baum, Staude, Berg und Gewässer objektivirt, zu möglichst reinem Ausdruck dieser seiner Ideen, also seines eigenen Wesens, gebracht. In den Französischen Gärten hingegen spiegelt sich nur der Wille des Besitzers, welcher die Natur unterjocht hat, so daß sie, statt ihrer Ideen, die ihm entsprechenden, ihr aufgezwungenen Formen, als Abzeichen ihrer Sklaverei, trägt: geschorene Hecken, in allerhand Gestalten geschnittene Bäume, gerade Alleen, Bogengänge u. s. w.

 


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