Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Spitzenlarve

Ein stiller Sonntag Nachmittag. Ich erwache aus einem mit Träumen erfüllten Schlummer, der die versäumten Stunden der Nachtruhe einbringen sollte. Nur manchmal rollt durch die Gasse ein Wagen, die Uhr tickt auf dem Schreibtisch und jagt Sekunde um Sekunde in die Ewigkeit, die winterlich frühe Dämmerung beginnt allmälig einen Schleier über das Zimmer zu breiten, die Bilder an den Wänden und die einzelnen Gegenstände, die da und dort herumstehen, werden unkenntlich, ein Fremder würde sie kaum mehr deutlich ausnehmen können. Es sind allerlei Erinnerungszeichen darunter, die die flüchtige Stunde überdauert haben, und mich überdauern werden, und deren Bedeutung Niemand begreifen wird, wenn auch dieser Zusammenhang zerrissen sein wird. Dort in der Ecke, an der Etagère der kleinen Bronzebüste Beethoven's, hängt eine Halblarve aus schwarzem Sammt, es ist seit ein paar Jahren ihr Platz, den ihr eine zufällige Wahl angewiesen hat. Eine Erinnerung an den Süden, an ein Maskenfest in Nizza.

Das Gesichtchen, das sich einst darunter verbarg, gehörte einer Französin, die aus Nancy stammte; es war die einzige Mittheilung, die sie nur über ihre Person machte. Sie fiel mir sofort auf, als ich den Saal betrat. Ein eleganter, schwarzer Domino; das weite, bauschige Atlaskostüm und die hohe Kapuze waren mit Bouquets von jenen Veilchen besteckt, die sich im Süden so prahlerisch üppig entfalten, daß sie aufhören, als Symbol der Bescheidenheit zu gelten. Da und dort funkelte eine Agraffe, eine Spange, ein zierlicher Halbmond aus Brillanten, und auf dem großen japanischen Blattfächer breitete sich gleichfalls ein dichter Strauß von langgestielten Veilchen mit dunkelgelben Kelchen aus. Zwischen der Halskrause und dem Kapuchon war ein Stück ihres weißen Hälschens zu erspähen, an das sich eine vielfache, enganschließende Reihe kleiner Perlen schmiegte.

Der Domino war einen Augenblick vor mir stehen geblieben und richtete in fließendem Französisch ein paar Worte an mich, dann legte er seinen Arm in den meinen.

Wir drängten uns etwa eine halbe Stunde lang durch das Gewühl, und dann saßen wir nebeneinander auf einer rothbezogenen Ruhebank, neben einem Palmenbosquet; ich sehe es heute noch, das große, den ausgestreckten Fingern ähnliche Blatt, das der schwüle Luftstrom manchmal leise über ihrem Haupte bewegte, wie eine segnende Hand.

Eine allerliebste Frau, von angenehmer Plauderhaftigkeit, mit einer Menge Ansichten, die fix und fertig waren, und über die es keine Debatte gab. Man unterhält sich immer mit einer Frau, von der man vermuthet, daß sie hübsch sei, und von der man weiß, daß sie liebenswürdig ist. Es genügt schon, wenn man auch nichts sieht, als die Augen, die Wimpern, die Spur des Mundes, ein Streifchen Hals, kaum groß genug, um einen Kuß darauf zu drücken, man kann selbst von einer Stimme bezaubert und gefesselt werden, und ihre Stimme war von der Art. Aber sie verrieth mir sogar noch ein Bischen mehr, indem sie den kleinen Finger vom Handschuh befreite, wobei sie mit der anderen Hand die Ringe bedeckte, mir nur ja keine Spur für ihre Wiederentdeckung zu liefern.

Sie kannte mich nicht, ich kannte sie nicht, – sie war fremd in der Stadt, wie ich. Sie hätte mich nicht anzusprechen gebraucht, wenn es ihr nicht beliebt hätte, mir einen Vorzug einzuräumen, der ja auf einem Maskenfest nicht so ernst zu nehmen ist und auf den sich Niemand etwas einbilden wird; – indes es ist die einzige Gelegenheit für eine Frau, aus der Passivität der Rolle, die ihr zugetheilt ist, herauszutreten. Warum spricht man im Leben nur von »der Frau seiner Wahl«, – warum soll nicht die Frau wählen?

Und so erfuhr ich, daß man sich sehr wohl allen Ernstes in eine unerkennbare Maske verlieben kann. Die Anknüpfung ist leicht und natürlich, man springt – bei aller Ehrbarkeit des Tons, der im Süden wenigstens noch vorherrscht, sogleich in die Mitte der Dinge, man gibt die Verstellung auf, die das wirkliche Leben regiert, und darum geht es hier wahrscheinlich ehrlicher zu, wie im – ernsthaften, unmaskirten Allerweltstreiben. Ich hörte sie mit lebhaftem Vergnügen sprechen, sie war noch voll Gläubigkeit und froher Unbefangenheit, es gab noch Romantik und Poesie für sie, die Welt erschien ihr als ein Festsaal und ein Liebeshof, und sie sprach von unvergänglichen großen Leidenschaften, von endlosem Glück, sie fand Alles reizend und interessant und lustig, und wenn ich einen Einwand machte, entwaffnete sie mich mit einem altklugen: » Je ne dis pas, que vous avez tort, mais …« oder » Je puis me tromper, mais …« diese Sätze klingen noch in meinem Ohr. Man läßt sich gerne derart belehren, und es ist gut, wenn Einem zeitweilig eine unschuldsvolle linde Hand die Brille putzt, durch die man die Welt zu sehen pflegt. Die Frauen tragen ja noch ein bischen Sonne in die Trübseligkeit des Lebens, sie sind nicht hart und bitter, sorgenbeladen und verdorben wie wir, sie wandeln noch im Paradiese, aus dem wir Männer uns längst selber vertrieben haben.

Und so wird man, wenn man Anlage dazu hat, selbst auf einem südländischen Karnevalsfest weich und sentimental, wie ein Gymnasiast, oder wie ein liebeskranker Referendar in einem deutschen Familienblatt-Roman, daß Gott erbarm.

Ich weiß nicht, wie lange wir nebeneinander saßen, jedenfalls länger als es bei einem Maskenballgespräch der Fall zu sein pflegt. Plötzlich wandte sie den Kopf, dann erhob sie sich rasch.

Geben Sie mir ein Erinnerungszeichen an diesen Abend, sagte sie.

Ich fuhr mit den Händen nach den Taschen. – Aber ich habe gar nichts, – warten Sie, Madame … –

Oh, nichts von Werth, – ein Zeile – ein geschriebenes Wort.

Ich zog eine Visitenkarte heraus und hakte den Crayon los. Es war zum Verzweifeln, mir fiel nicht ein, was ich auf die Karte schreiben könne. Dazu schreibt man zwanzig Jahre lang berufsmäßig, um wenn's drauf ankommt, wie ein Schulknabe dazustehen. Es kamen nur ein paar unbedeutende Worte zu Stande.

Sie nahm das Billet in die Hand, dann brachte sie es in die Nähe ihrer Augen, und – ich war sprachlos, – an ihre Lippen, nur der Spitzenbehang der Larve trennte meine Karte von ihrem Kuß.

Nun brannte mir das Feuer denn doch bis zu den Wangen hinauf.

Mein Domino schien sich abwenden zu wollen.

Ich machte ein paar Schritte, um zu folgen.

»Und wir werden uns nie wieder sehen?«

»Es ist unmöglich.«

»Muß es denn bei der flüchtigen Begegnung bleiben, würden wir uns nicht außerhalb dieser Maskerade verstehen können? – ich sehe kein Unrecht dabei …«

Sie überlegte einige Augenblicke, dann kam wieder ihr: » Je ne dis pas, que vous avez tort, mais …« Ich sah traurig drein, dann sagte ich: »Bitte, schenken Sie mir irgend etwas zum Andenken, ich sammle Erinnerungen, Sparpfennige für die Tage des Alters und der Noth des Herzens.«

Sie zog einige Veilchen aus dem Fächerbouquet. Ein kurzes »Adieu« und – fort war sie.

Gegen ein Uhr verließ ich den Saal. Als ich mit vielen Anderen die Stufen hinabstieg, bemerkte ich plötzlich die Französin, die bereits den ersten Treppenabsatz erreicht hatte. Ich eilte zu ihr.

»Darf ich Sie zum Wagen bringen?«

»Wenn Sie mir versprechen, daß Sie mir nicht folgen werden, und sich nicht einmal die Wagennummer merken!«

»Sie können darauf rechnen. – – Ich war sehr glücklich heute.«

»Ich glaube, ich auch.«

Während wir unten den Wagen erwarteten, wiederholte sie ihre Bitte von vorhin noch eindringlicher – dann sagte sie plötzlich:

»Und das Erinnerungszeichen?«

Ich schlug den Paletot auseinander, das Knopfloch war leer, ich hatte die Veilchen verloren. Während der Wagen vorfuhr, blickte ich suchend auf den Boden, die Blumen waren dahin.

Unterdessen war sie eingestiegen. Ich reichte ihr die Hand zum herabgelassenen Fenster hinein – sie verweigerte mir den Gegengruß – aber sie reichte mir etwas zu: ihre Spitzenlarve; blitzschnell beugte ich mich vor, und ich sah für einen kurzen Moment in das Gesicht einer schönen, jungen Frau und in zwei große glänzende Augen.

» Avanti!« rief der Portier, der Wagen setzte sich in Bewegung, die Räder gingen knapp an meinen Fußspitzen vorüber.

Am nächsten Tag mußte ich nach Genna reisen, – ich sah und hörte nichts mehr von der schönen Frau aus Nancy.

Und warum hat sie mich damals mit so viel Anmuth geneckt? Weil es Maskenball-Recht und Brauch ist? Kaum! Sie muß doch, klug wie sie war, gleich gemerkt haben, daß ich nicht der Mann bin, bei dem sich so was lohnt. Nicht lächerlich genug in seinen Sentiments, nicht dreist genug, um ein Abenteuer zu einem interessanten und romantischen zu machen, ein anständiger, zurückhaltender, schwerfälliger und dickblütiger deutscher Bär, dem man einen Ring durch die Nase ziehen kann, wenn die Hände, die das thun, danach sind, und der nur leise und lyrisch dabei brummen und die grausamen Hände seiner Peinigerin lecken wird. Was für ein Interesse hatte die Unbekannte, mich verliebt zu machen? Es ist den Frauen ein Vergnügen, ein Bedürfniß, ihr Tagwerk. – Ihr Herz weiß nichts davon, sie lassen den Mann Liebe ahnen, wo sie auch noch nicht das Leiseste fühlen. Sie wissen, wie eitel und thöricht die Männer sind. Und wenn die grauen Haare sich mehren und das Herz verblüht, dann ziehen wir uns mit einem Sträußchen immergrüner Erinnerungen zurück, das uns die coquetten Frauensleute gewunden haben. Ich höre noch eine süße weiche Stimme, die mir einmal in einer feierlichen Stunde Etwas gelobte und die mit derselben holden Stimme jetzt vielleicht ihr Jüngstes in den Schlaf singt, denn sie hat geheirathet, einen abscheulichen Menschen noch dazu, – ich sehe die lachenden dunklen Augen, die mir einmal auf einer langen Seefahrt freundlich geleuchtet haben, und jetzt … doch das sind begrabene Geschichten.

Der schönen Unbekannten aus Nancy grolle ich nicht, – im Gegentheil. – ich bin so thöricht wie damals, so neugierig.

Die kleine Sammetlarve ist stumm, ganz stumm und blind, sie theilt jetzt mit mir die verschwiegene, stille Einsamkeit, und könnte nur doch das Geheimniß verrathen, aber sie thut es nicht, sie schweigt und wird ewig schweigen. Der Schall jener Stimme, der Athem, der damals diese breite Seidenspitze bewegte, ist verweht. Die Züge dieses Halbgesichts sind ernsthaft und starr geworden, und es ist mir doch, als hätte das Lärvchen einmal gelebt und gelächelt, genau wie ein Menschenantlitz. Die mandelförmigen Augenausschnitte sind leer, der Schimmer der beiden Sterne, die dahinter funkelten, ist erloschen, und unbeweglich starrt die blinde Maske mit dein leichterhobenen Sammetnäschen, auf den Teppich hinab. Wo mag das Gesichtchen sein, das es einst bedeckte, es lächelt in diesem Augenblick vielleicht wieder und der liebe Mund schwatzt und plaudert wie damals und – ein Anderer ist beglückt.

Ich sehe nur noch einen dunklen Fleck an der Wand, und erkenne ungefähr die Umrisse der Maske. Der Schleier, den das Zwielicht weiter webt, wird dichter und dichter und ringsherum beginnt Alles in die Finsterniß des stillen Winterabends zu versinken. Nur die Erinnerung tritt dann hell und heller hervor und wirft einen freundlichen, wärmenden Schimmer in die Dämmerung des Herzens.


 << zurück weiter >>