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Der lappete Hannes

Heute läuten sie für den lappeten Hannes Schiedung. Ich erkundigte mich bei einem Bauern, der auf dem Kirchplatz stand, wer das sei, der lappete (dumme) Hannes.

»Ja mei, ein Mensch ist er gwesen, wie purlauters Gold «, erzählte der Bauer. »Und nit lappet, kreuzgscheid ist er gwesen, er hat lesen und schreiben können und rechnen übrige gnueg; er hat ja gschulmeistert bei uns, viel Jahr lang. Bin selber noch gangen bei ihm, so einer wird doch nit lappet sein. Aber ein gueter Mensch ist er gwesen, so guet, daß du ihn hättst gleich mögen in a Kistl einpackn und franko in Himmel hinaufschicken. Und weil das den Leuten so gspassig vorkommt, wenn einer so ein wunderguets Gmüet hat, haben sie ihn den lappetn Hannes gheißen! So danken sie einem das guete Herz auf der Welt!«

Damit wandte sich der Bauer zum Gehen. So leichten Kaufes wollte ich ihn aber nicht entrinnen lassen. Ich bat ihn, mir doch mehr von dem guten Menschen zu erzählen, und lud ihn ein, mit mir zum nahen Ochsenwirt zu kommen.

Da kam ich aber schön an.

»Was? Heut ins Wirtshaus gehn? Und gar zum Ochsenwirt, zu dem abscheulichn Geizkragn? Na! Betn werd i bald gehn zum Hannes seiner Leich, er liegt oben im Schulhaus.«

Wir ließen uns auf einer Bank neben der Freithofmauer nieder. Der Steffl räusperte sich etliche Male, dann schwieg er eine Weile. Endlich fing er von der Witterung des heurigen Jahres an zu sprechen. Dann ging er auf das Korn über und dann auf das Vieh. Und als er vom Vieh auf die Bienenzucht kam, bedeutete ich ihm, vom lappeten Hannes möchte ich was hören, nicht von der Bienenzucht.

Da wurde er ärgerlich.

»Ja mei, was denn vom Hannes? Und der Hannes, mei, ist halt a mittlerer Mensch gwesen, nit groß und nit klein und wollten mager. Sein Kittl hättst solln sechn, Bue! Hinten an Schlitz, und untn sein überall die Zurfen und Fransn wegghängt; die Ellbogen und die Ärmel habn an Glanz ghabt, als wenn sie mit Butterschmalz angstrichen warn! Zum Aussieden wär halt der Jangger gwesen! Man hat sich den Hannes ohne den Kittl gar nit denkn können; hat zu ihm ghört, wie s Evangel zum Sunntag. Kannst dir wol fürstellen, was da die Schulbuebn für Augen gmacht haben, wie der Hannes eimal, und noch dazue mitten in Winter, ohne sein Kittl, barärmlig in die Schuel kommen ist. Und im ganzn Dorf hat s gheißn: ›Jetz ist er aber ganz bocknarrisch wordn, der lappete Hannes.‹ Und wenn sie ihn gfragt haben: ›Hannes, wo hast dein Jangger?‹ nacher hat er glacht und gsagt: ›Verschnapselt!‹

Am andern Tag hat der Schendarm an Vagabund einbracht; und wie er damit über die Gassn aufgangen ist, da sein alle Buebn hinterdrein glaufen und habn gjohlt und gschrien: ›Schuelmeisters Kittl, juhui, Schuelmeisters Kittl!‹ Der Jangger ist ja bekannt gwesen, wies schlechte Geld. Der Schendarm hat gleich den Hannes holen lassen und gfragt, ob er den Jangger kenn! ›Dös ist der meine‹, hat der Hannes drauf gsagt! Da hat der Schendarm dem Stromer an Schupser gebn: ›Vorwärts! Han mier s ja denkt, daß er ihn gstohlen hat.‹ Er hat ihn auch gstohlen! Aber der Hannes hat gsagt: ›Gschenkt han i ihn dem Häuter! Er werd nit derfriern im Winter bei der Kältn!‹ Drauf hat er den Stromer noch mitgehn heißen und hat ihm derheim a Gerstnduppn gebn und a Bröckl Gselchts drein! Der Stromer hat ausgschaut, als wenn er frisch vom Galgn gschnitten wär; wie er vom Hannes weg ist, hat er grert, wie a kloans Kind, und gsagt: ›Wenn alle so guete Leut wärn, gäbet s kein einzign Spitzbue auf der Welt!‹

Und bei Lebzeiten haben sie den Hannes aufgeerbt! Zwoahundert Gulden hat er ghabt, dervon hat er im Testament seinem Vetter, der Bauernknecht ist, hundertfufzig verschrieben ghabt, und die andern fufzig seinem Bruder, dem Ochsnwirt, dem Geizkragen! Jetz los (hör) nur, Bue, wie dös zugangen ist.

Der Hannes hat eimal in der Stadt zu tun ghabt. Und wie er halt so, i weiß nit warum, gegen den Prüglbau zugeht, hat er eine Karrnerfamil lagern gsehn! Sie sein umeinandghockt, wie die Fliegn und habn recht verrerte Gsichter gmacht! Der Vater sei soviel lötz, er lieg in Wagn drin unter der Blachn, sie wissen sich halt gar nit zu helfen!

In s Spital sollen sie ihn geben, meint der Hannes. Dös wär alls recht, sagn die Karrnerleut, aber er hat kein Taufschein und nix, und ohne Papier nehmen sie kein auf! Da hat der Hannes sein Tauf- und Heimetschein aus dem Sack zogen und dem kranken Karrner gebn! Der hat gedankt, wie a lausiger Bettler, und der Hannes hat ihn noch hineingführt ins Spital!

Wie der Hannes in seinem schlampetn Aufzug vom Spital außerkommt und in die nächste Gassn einbiegn will, hat ihn richtig ein Polizipfl aufpackt und gfragt, wer er sei. Dös hat er nit sagn können, wegn dem krankn Karrner! So hat er halt gmeint: ›Ein alter Mensch bin i, und sonst gar nix Exters, dös siechst mir wohl an!‹ Mit dem hat sich der Wachter nit zufrieden gebn, und so haben sie ihn einkastelt. Wer er ist, hat er nicht gsagt, und außerbracht habn sie nix. Aber das ist bei ihnen fix gewesen, daß sie da an Kapitalspitzbue derwischt haben. Sie haben ihm schiech ins Gwissn gredt, er soll alles eingstehn und sein Sündenpack ausleern! Endlich nach zwei Monat hat sich der Hannes denkt: ›Jetzt werd s beim Karrner schon hin- oder hergangen sein! Entweder gsund oder tot!‹ Und da hat ers halt derzählt, wer er sei und wie sich die Gschicht verhalt! Auf das hin gleich wieder ins Loch mit dem Hannes. Dös hat man für s Guetsein! Der Karrner ist kaum zwei Tag in Spital gwesen und gstorben!

Wie der Hannes wieder aus dem Arrest heimkommen ist, und übers Gassl aufgeht, sein die Leut alle davonglaufen und haben das Kreuz gmacht!

Der Hannes hat sich nit auskennt; da siecht er beim Schuelhaus oben seinen Vetter, den Knecht, stehn; den hat er wollen fragn. Aber der Vetter ist selber davonsprungen, als wenn s hinter ihm brennen tät und zum Ochsenwirt hinein, dem Hannes seinem Bruder. Der Hannes ihm nach in die Stubn. Dort ist der Vorstehr ghockt, und noch ein paar, und i.

Wie der Ochsenwirt den Hannes siecht, wär er bald über die Mauer aufkrochen! ›Sein Geist, sein Geist!‹

›I bin s schon richtig‹, sagt der Hannes. ›Nit mein Geist!‹ hättst meinen mögen, dös sollt den Bruder gfreuen! Aufbegehrt hat er, der lump: ›Du bist s nit, du bist gstorbn in Spital und zu Innsbruck liegst begrabn! Und mir hast fufzig Gulden vermacht, die gib i nimmer her, mein Lieber!‹ Der Vorstehr hat sich den Bauch ghalten vor Lachen. Er hat s schon vor acht Tag gwußt, was mit dem Hannes los ist, aber keinem Menschn nix gsagt und sich heimlig gfreut auf die Hetz.

Der Hannes ist dagstanden, als wenn man ihn grad mit die Maikäfer von an Baum gschüttelt hätt.

›Hast du auch schon dein Erb?‹ hat er den Vetter angredt, der sich von seinem Schröck ein bißl erfangen hat.

›Ja, verspielt und verkegelt bis auf drei Zwanzger, die hab i noch‹, hat der Knecht gsagt.

Derweil hat der geizige Ochsenwirt die Heilignlegend gholt, ein Bildl herausgnommen und dem Hannes hingschoben, ganz eiskalt: ›Da hast dein Sterbbild!‹ ›Dank schön, lieber Bruder‹, hat der Hannes gsagt.

Bue, hon ich a Wut ghabt auf den Geizkragn! I hätt ihn am liebsten bei die Ohrn an die Wand hinaufgnagelt!«

Der Bauer schwieg ein Weilchen, dann sah er nach dem Himmel und meinte:

»Heut hats ein Hersehn zum Regnen; tät nix schadn! Wenn nur der äußere Wind nit aufhört!«

Wieder schwieg er ein Weilchen, und ich fürchtete schon, er könnte wieder auf die Bienenzucht überspringen. Aber er fuhr bald wieder fort:

»Ja, so habn sie dem Hannes bei lebendigem Leib seine paar Kreuzer abgschunden! Aber die Kinder, wie er wieder in die Schul kommen ist, habn grert und gjuchezt vor Freud, und a richtiger Höllenlärm ist losgangen; gstampft habn sie mit die Füeß und batscht mit die Händ, daß man gmeint hat, das ganze Schuelhäusl fallt zsamm. Und die Buebn von den bessern Bauern habn Schmalz und Küchl und Eier zutragen, daß sich der Hannes in seiner Kammer bald nimmer hat umkehrn können. Aber er hat schon gwußt, wohin damit! Nach der Schul ist er bei der Tür stehn bliebn und hat die armen Büeblen außergfaßt, weißt, dö mit die hagern Gsichter und die gflickten Höseln! Die rotbacketn hat er alle gehn lassen! ›Du bleibst, und du bleibst, und du!‹ Und an jedn hat er gar nit klueg beim Schopf packt und zruckgrissen! Die armen Kinderlen sein traurig dagstanden und habn sich denkt: Ja, ja, die Armen, Notigen sucht er aus zum Dableibn, die Reichn laßt er alle gehn.

Wie er sie alle beinand ghabt hat, sagt er: ›Kommt s mit, Kinderlen, kommt s nur.‹ Führt er sie in seine Kammer und heißt sie ihre Schneuztücheln ausbreiten. Nacher legt er ihnen Krapfn, Schmalz und Küchl eini, jedem das ganze Tüchl aufghauft voll! ›So, jetz bindet s zue, Kinderlen, verliert s nix! Und du grüß mier die Muetter, und du den Vater, seids brav, Kinderlen, pfüet Gott, verliert s nix, laßt es enk schmeckn!‹

So hat er die armen Kinderlen heimgschickt, der guete, guete, lappete Hannes!

Freilich, gar gscheid ist das nicht gwesen von ihm. Sie Leut habn nix mehr gebracht, und dem Hannes hat bald angfangen, der Magen zu krachen. Alle Tag hat er den Hosenriemen um ein Loch enger zugschnallt; er hätt halt sollen hauslicher umgehn mit seiner Freßwaar.

Einmal hat er gar nix mehr ghabt, nur Hunger. Und noch müssen Schulhalten dazue. Und wie er da so mit seinem haselnen Stecken (braucht hat er ihn seiner Lebtag nie) auf- und abgeht, ist ihm auf einmal ein bißl schwindlig worden. Dös hat alls sein Hunger gmacht. Und der Feldhofer Franzl dazu; der unrüewigste Fratz von der ganzen Klass. Kein Augenblick hat er können still hockn auf der Bank, i hätt ihm alle Tag ein paar aufgmessn, wenn i Schuelmeister gwesen wär! Und an dem Tag, da ist er gar gwesen wie a Brummfliegen. Auf der Bank hat das Bürschl ein großes Trumm Brot liegn ghabt und an Finger dick Butter ausgstrichen! Bue, der Hannes hat Augen gmacht auf das Brot!

Wie die Schul ausgwesen ist und die Buebn bei der Tür aus gehn, hat der Hannes dem Feldhofer Franzl fürpaßt und ihm seine Butterschnittn weggnommen!

›Weißt, Franzl, a Straf mueß sein‹, hat er zu ihm gsagt! Wie die Kinder alle weg sein, äugelt der Hannes von alle Seiten die appetitliche Butterschnittn an. Grad hat er wollen dreinbeißen, da hört er vor der Tür draußen den Franzl um seine Butterschnittn plärren. Hat nit der nudelfeiste Ragger wegen dem Bröckl Brot ein Grer anghebt! Bue, wie dös der Hannes ghört hat, da ist er wie a Wilder außergrennt mit der Schnittn!

›Franzl, da hast dein Brot wieder‹, hat er gsagt, ›nimm s, laß diers schmeckn, geh heim, iß Franzl und sei das nächstemal brav!‹«

Der Bauer schwieg wieder ein Weilchen und schaute gegen den Himmel:

»Glaub schon, daß es heut noch zum Regnen kommt! Der äußere Wind haltet sich gut!«

Dann stand er langsam von der Bank auf und meinte nachdenklich:

»Und so einen Mensch haben die Leut den lappetn Hannes gheißen! A gueter Mensch ist bei ihnen ein Lapp! Ja, ja, die Welt ist schlecht und verdorbn von Grund aus!«

Dann wandte er sich zum Gehen: »I geh jetz betn zu seiner Leich! Kannst auch mitgehn«, sagte er zu mir. »Und laß einmal ein orndliches Vaterunser außer! Wer weiß, wie lang du schon nix mehr betet hast!«

Ich sagte: »Der Hannes braucht von mier kein Vaterunser!«

»Aber anschaugn kannst dier ihn wenigstens also toter!«

»Na! Den Hannes schau ich mir nit also toter an. Den siech i kreuzlebendig vor mir!«

»Wie du willst«, meinte achselzuckend der Bauer. Und ging dem Schulhaus zu, wo der Hannes aufgebahrt lag.

Mir klangen noch lange die Worte nach: »Franzl, a Straf mueß sein!«

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