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Schnapsjörgls Kampf und Sieg

Sie hießen ihn den Schnapsjörgl, nicht mehr und nicht weniger.

Mit welchem Recht, das ist noch nicht ganz festgestellt. Keine Menschenseele wußte genau, ob Jörgls Nase vom Wein oder Schnaps herrühre. Nur erfroren war sie nicht, darüber waren alle so ziemlich einig. Der Jörg hatte wohl zuerst den Schnaps-Jörgl tapfer von sich abgewehrt, wie weiland sein hoher Patron den wüsten Drachen; denn er hätte lieber der Wein-Jörgl geheißen, weil das fast nobel und vornehm klingen täte. Gerade deswegen haben es die Leute aber nicht getan, damit dem Jörg der Stolz nicht allzusehr den Kopf verdrehe.

Solange die gelehrten Herren nicht den Unterschied zwischen einer Schnaps- und einer Weinnase wissenschaftlich festzustellen vermögen, muß er den Schnaps-Jörgl dulden und sich denken, die dummen Leute verstehn's nicht besser.

Der Jörg war ein mittelgroßes Männchen, dem so das fünfzigste Jahr im Blute schleichen mochte. Er frettete sich auf zwei wohlausgebildeten Säbelbeinen und unter beständigem Durst durch das Leben. Das von den Beinen ließ er nicht gelten. Er behauptete, die Hosen seien krumm. Den Durst gab er zu, aber auch die gehörige Deutung ließ er nicht fehlen. Er sei als kleiner Bub häufig zur Sommerszeit auf der schattenlosen Halde gelegen; da habe ihm die heiße Julisonne seine Leber ausgedörrt, und bis zu seinem Lebensende werde er an den Folgen dieses jugendlichen Leichtsinns zu tragen haben.

Jörgls krumme Lodenhose war an den unteren Rändern stark ausgefranst und gezackt, wie die Zinnen einer alten Burg. Dazu stimmte auch das düstere, altertümliche Grau des Stoffes. Und wie so eine alte Ruine weit weg vom ebenen Boden in der Höhe nistet, so machte es auch Jörgls Hose. Sie war stark bodenscheu. Auch Schießscharten und Risse zeigten sich daran in Menge.

Jörgls Nase war ein Meisterstück der Malerei. Die Farben hatten ihn aber auch ein schönes Stück Geld gekostet. Ein Netz himmelblauer Äderchen, violette Punkte, dazwischen wieder Fleckchen von der Farbe der sanften Morgenröte angefangen bis zum intensiven Zinnober. Und das war alles in lieblicher Unordnung durcheinandergemischt.

Jörgls Äuglein, die stets in feuchtem Glänze schimmerten, saßen wie auf Stielen und quollen zwischen den beständig entzündeten Lidern stark hervor. Den schütteren grauen Schnauzbart trug das versoffene Männlein kurz geschoren. Die einzelnen Borsten standen in einem rechten Winkel von den gedunsenen Lippen ab und sahen bewundernd zur Nase auf. Seine Ohren und Hände waren blau, ebenso die Wochentage allesamt, nicht etwa nur der Montag.

Der Jörgl war einmal ein wohlhabendes Bäuerlein gewesen. Er hatte drei, wenn auch kleine Höfe sein eigen genannt. Jetzt war er mit dem dritten bald fertig. Alles verschlang die ausgedörrte Leber. Wenn der Jörg überhaupt jemals klagte, so hatte er dafür seinen stereotypen Spruch: »Jetz han i nacher drei Höf versoffen und noch alleweil Durst!« Oft und öfter stiegen ihm bange Gedanken auf, wie das noch enden werde. Das versauerte ihm den Wein, aber er trank ihn doch. Früher hatte er getrunken aus Lust und Liebe zum Wein, jetzt trank er aus Schwermut. Im Grunde blieb sich das gleich. Er purzelte jetzt ebensogut in seinem täglichen Dampf auf der Straße herum wie in früheren Zeiten, aber er verhielt sich nicht mehr so schroff ablehnend gegen wohlmeinenden Zuspruch. Als einmal die Bußprediger ins Dorf kamen und alles in die Kirche lief, schlich sich auch der Jörgl mit seiner durstigen Kehle ein. Er blieb ganz hinten bei der Kirchtür stehen, denn er war einer von den Feuerscheuen, die sich hart neben dem Ausgang aufstellen, damit sie gleich draußen sind, wenn es zu brennen anfängt. Ganz bescheiden an die Wand gelehnt, hörte der Jörgl dem Prediger zu. Aber er verstand keine Silbe, denn die Kirche war von schlechter Akustik. So hielt er die Hand ans Ohr, um besser zu hören. Als er auch jetzt noch nichts auffaßte, benutzte er seinen Hut als Schalltrichter. Nun fing er endlich ein Wort auf; das hatte wie Trunkenbold geklungen, da war es mit seiner Bescheidenheit aus. Breitspurig schob er sich vor. Nach allen Seiten drängte er die Leute auseinander, und wer nicht weichen wollte, bekam eins mit dem Ellenbogen.

Jetzt, da der Bußprediger von den Trunkenbolden sprach, fühlte der Jörgl seine eigene Sache abgewandelt. Nachdem er sich bis unmittelbar unter die Kanzel vorgearbeitet hatte, blieb er stehen und lauschte, von Zeit zu Zeit ließ er seine Stielaugen feindselig und verächtlich über die Menge hinschweifen. Er betrachtete sie alle als fremde, unberechtigte Eindringlinge.

Der Prediger sprach scharf. Kalt und heiß wurde es dem Jörgl von seinen Worten. Und je länger er lauschte, desto mehr fühlte er jetzt eigentlich seine Nichtswürdigkeit. »A recht elendiger, verblitzter Kerl bin i, verlottert und versumpft, wo mich nur die Haut anrührt!« Das war seine eigene Meinung. Zerknirscht ließ er seinen Kopf sinken. Aber zwischendrein überkam ihn wieder der Stolz, hochmütig reckte er dann seine Kupfernase zur Kanzel empor, damit sie der Prediger sehen und sich freuen sollte, daß es da unten nicht lauter naseweise Leute gäbe, sondern auch erfahrene Männer, die ihn verstünden und imstande wären, das nachzufühlen, was er spräche.

Als der Geistliche darauf zu reden kam, wie die Trunksucht Hab und Gut verschlinge, da seufzte der Jörgl beklommen und nickte gar verständnisinnig, »s dritte Höfl in der Arbeit und noch alleweil Durst!«

Man solle dem guten Engel folgen und nicht dem Teufel, der einen immer und immer wieder hineinziehen wolle in den Sumpf. Zuerst koste es eine große Überwindung, aber bei gutem Willen müsse es schon gehen. »Es muß gehn«, dachte sich der Jörgl, »der Lamblwirt ist der Sumpf; für geh ich heut, und wenn i vor Durst zsammfalln sollt! Will doch sechn, ob i mich nit derzwingen kann!«

Das war sein fester Vorsatz, als er, beständig mit dem Kopfe schüttelnd, zur Kirchtür hinauswackelte. Dieses Schütteln fiel den Leuten auf, und einer von den »Feuerscheuen« im Hintergrunde raunte ihm ins Ohr: »Was hast denn, Jörgl?«

Der Jörgl schaute den Frager mit tiefer Schwermut an und meinte dann traurig: »Was werd i denn habn? Durst han i, aber i trink nix!«

Und dabei blickte er scheu zum Lamblwirtshaus hinüber, das keine zwanzig Schritte weit von der Kirche stand. Das war der Sumpf, an dem er vorüber mußte.

Wie er mit seinem Vorsatz im Herzen über die Straße trottete, merkte er schon, wie sich in seinem Innern der gute Engel und das Teufelchen um seinen Durst stritten. Das war ein Gewirr und Geschwätz durcheinander, daß dem Jörgl Hören und Sehen verging.

»Engl, sei stad, und Tuifl, du aa!«

Das Engelchen bat in einschmeichelndem Tone um das Wort.

Der Jörgl schlug es rundweg ab. »Stad bist!«

»Zuerst soll das Teufele redn! Er hat s Vorrecht, mit ihm bin i besser bekannt!«

»Also, du sagst, i soll einigehn ins Wirtshaus? Gar nit dumm gredt! Warum soll i einigehn? Weil i an Durst han, sagst? An Durst han i, dös stimmt!«

Da meldete sich das Engelchen: »Trink a Wasser, Jörgl!«

»Dös geht nit, da krieg i gleich die Wasserspeibn!«

»Und wenn du an Wein trinkst, kriegst wieder an Rausch!« warnte der gute Engel.

»Dös ist wahr!« meinte nachdenklich der Jörgl.

»A Räuschl ist besser als a Fieber!« gab das Teufelchen zurück.

Da schmunzelte der Jörgl. »Das Tuifele ist kein heuriger Has!«

»Jörgl, es ist Sünd«, lispelte der gute Geist.

»A Räuschl in Ehren hat Gott und die Welt gern. Denk auf den Noah, Jörgl«, sprach der Versucher.

»Akrat a so ists«, bestätigte der Jörgl. »ja ja, der Noah hat vor lauter Rausch gar nimmer ins Bett einigfundn! So stehts in der Bibel!«

»Geh, Jörgl, tu dich überwinden«, flehte der Engel wieder.

»Dös möcht i gern!«

Er war hart bis ans Wirtshaus gekommen und blieb unschlüssig vor der Tür stehen.

»Jörgl, denk auf den Wirt! Er hat ein Weib und acht Kinder, die wolln alle lebn«, meinte der Teufel.

»Da wär ich ja auf die Weis a Lump, wenn i nit einergang«, fuhr der Jörgl auf. »Die armen Hascherln! So lang i auf der Welt bin und an Kreuzer Geld han, sollen die Kinder kein Hunger leidn!«

»Jörgl, zeig an gutn Willen!« bat eindringlich der Engel.

»An gutn Willen han i schon, und an Eselsdurst dazue! Mehr brauch i nit!« polterte der Jörgl und machte einen Schritt gegen die Tür.

Da kicherte das Teufelchen schadenfroh.

Der Engel aber gab seine Sache noch nicht verloren.

»Jörgl«, flehte er, »grad ein einzigsmal tu mir den Gfallen und geh vorbei, i bitt dich! Wirst sehn, wie wohl und selig du dich fühlst, wenn du dich ein einzigsmal überwunden hast.«

Der Jörgl schwankte. Ein Weilchen stand er unschlüssig da mit seinem guten Vorsatz und seinem Eselsdurst. Dann schrie er plötzlich:

»I tus! I geh vorbei!«

Aber als wenn das Lammwirtshaus ein großer Magnet gewesen wäre und der Jörgl ein Häufchen Eisenfeilspäne, es zog ihn mit magischer Kraft immer näher zur Tür. Der gute Engel versuchte väterlich mit sanftem Ruck dem seelenstarken Jörgl nachzuhelfen und ihn gerader Richtung mit der Straße zu erhalten, der Jörgl merkte selbst mit Entsetzen, wie ihn eine unsichtbare Gewalt immer näher gegen den Sumpf hin zerrte.

Er stemmte sich mit seinen Säbelbeinen dagegen. Heute wollte er nicht mehr nachgeben.

Wie er da diesen schweren Seelenkampf ausfocht und schon nahe daran war, zu unterliegen, kam ihm plötzlich ein rettender Gedanke. Entschlossen riß er seinen Hut vom Kopf und warf ihn am Wirtshaus vorüber weit über die Straße. Der Wind tat ein übriges und trug ihn noch ein Stück weiter.

Nun mußte er am Wirtshaus vorbei. Wie er den Hut wieder eingefangen hatte, da durchschauerte den versoffenen Jörgl ein wonniges Gefühl, verächtlich blickte er nach dem Wirtshaus zurück.

»Auskommen bin i«, murmelte er selig. »Engele, du hast nit glogen! Wie wohl mier jetz ist, dös kann i kein Menschn sagn! An gutn Willen braucht s, sonst nix! Hätts nicht gmeint, was ich für a wütige Kraft in mier han! Respekt vor dier, Jörgl! Weil du heut so ausnahmsweis brav gwesen bist, zahl i dir a halbe Spezial!«

Mit festen Schritten ging er dem Wirtshaus zu. Weder dem Engel noch dem Teufel schenkte er mehr Gehör. Er war ganz im Bewußtsein seines eben errungenen Sieges aufgegangen. Diese Tat verdiente Belohnung. Und die beste Belohnung dünkte dem Jörgl ein Weindl.

*


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