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Der Treffer Wastl

Der heutige Tag ist nicht rot im Kalender, es ist auch kein blauer, und doch geht es beim Bruggenwirt überlaut her. Die Tierscherbuben und Mannderleut haben nämlich ihre alljährliche Wallfahrt nach Weisenstein gemacht und den Rückweg über Birchabruck genommen. Und jetzt, nachdem sie genug genastert haben, wollen sie auch einige Seidel Roten blasen, um die vom vielen Beten eingetrockneten Kehlen wieder feucht zu kriegen.

»Betn tu i schon, aber an Schnaps mueß i auch habn«, meinte der alte Tschergerseppl aus Tiers und stürzte sein Stamperl auf einen Zug hinunter. »Der Schnaps gibt a Schneid!«

Vom Rausch sagte er nichts.

Mir fällt da jener Ötztaler ein, von dem mir meine Mutter erzählte, wie er, als sein Vater im Sterben lag, tränenden Auges mit der Schnapsflasche zu dessen Lager trat und wohlmeinend sagte: »Da, Vater, trink nur recht verteufelt, daß du Schneid kriegst vor dem Gericht Gottes!«

Es ist Sitte, daß bei solchen Wallfahrten der Bauer seinen Knecht freihält; und auf das hin ließ sich s auch der Bühlerknecht beim Bruggenwirt recht weidlich schmecken. Der Bühlerbauer aber war ein geiziger Filz, sie heißen so einen bei uns Klupper oder Klemmer. Er machte jedesmal ein blitzsaures Gesicht, wenn der durstige Knechtl wieder sein schreckliches »noch a Seidele« rief und der Kellnerin schmunzelnd das Glas zu neuer Stillung hinschob. Der Bühler hätte ihm wohl gerne mahnende Worte ins Ohr geraunt, aber der Knechtl mit seinem dicken, roten Kopf und den vor Wonne halb geschlossenen Augen saß ganz weinselig mitten in dem Kreise der frohen Tierscherbubn, und zu allem Unglück gar noch an der Wandseite, unmittelbar unter dem großen Kruzifix. Auf diese Weise war er sogar für einen kleinen Deuter in Gestalt eines Ellenbogenstoßes unerreichbar. Der Bühler suchte daher durch Räuspern und Hüsteln, und wenn der Lärm auf einen Augenblick nachließ, durch einen wohlgezielten Stoßseufzer den Knechtl zur Besinnung zu bringen. Von den übrigen merkte der eine und andere das auffallende Benehmen des Bühlers, nur der impertinente Knechtl machte dicke Ohren und ließ fünfe gerad sein. Jetzt trommelt er schon wieder der Kellnerin um »noch a Seidele« und fährt ihr dabei schelmisch blinzelnd ans Kinn.

Des Bühlers Auge haftete starr auf dem ungeratenen Knechtl. Er konnte sich nicht mehr halten.

»Knechtl!« Alle hören es, nur der Gerufene nicht, der ganz im Anschauen der Perlaggkarten seines Nebenmannes vertieft zu sein scheint. Auch die kräftigsten Räusperer und Huster verfangen nicht. Der Knechtl schmunzelte, trank ein Seidel nach dem andern und freute sich seiner geschützten Lage. Der Bühler ließ sich auf der Ofenbank nieder, aß an seinem mitgebrachten Türggnbrot, trank ein Stamperle Mindern zu fünfe und wünschte dem ungeratenen Knechtl eine ganze Kraxe voll Erzteufel auf den Hals.

An einem anderen Tische saß, umgeben von einem Schwarm Wallfahrerburschen, breit und voll Selbstgefühl der lange Much, Robler und Kegeltod. Letzteren Namen hatten sie ihm beigelegt, weil er weitum der beste Kegelscheiber war und dieses Geschäft ganz professionsmäßig betrieb. Bei keiner Kirchweih und bei keinem Umgang in ganz Eggental fehlte der lange Much. An solchen Tagen gibt s auf dem Kegelplatz immer etwas zu lausen, wie er sich auszudrücken pflegt. Wir würden dafür sagen rupfen. »Schaugts mich grad an, wie schlampet und zaggelt i bin«, hatte er am heutigen Vormittag zu mir gesagt und dabei auf seine allerdings etwas defekte Lodenhose gedeutet. »A neues Gwandl und a silbernes Uhrkettl mueß i mier heunt verdienen bei die Tierscherbübln; sein flotte Kampl, habn alleweil a nettes Geldl in Sack, wenn sie wallfahrtn gehn! Heut werd i ihnen die Hosensäck umkehrn!«

Und dabei hatte er mit der Zunge geschnalzt und einen Luftsprung gemacht.

»Nacher, habt s Schneid, a bißl zu schanzelen um an Zwanziger, oder habts nur an Sechser in der Taschn?« Die Burschn guckten einander unschlüssig an. Falls sie sich mit dem Kegeltod ins Spiel einließen, konnten sie allesamt ausgesäckelt heimgehen. Das war so gewiß wie das Amen im Vaterunser. Anderseits durfte man sich dies Anzwidern um keinen Preis gefallen lassen.

Es stand der gute Burschenruf einer Gemeinde auf dem Spiel.

Sie schauten deshalb alle auf ihren Stärksten, den Treffer Wastl.

Er ist ein kurzer, stark untersetzter Bursche mit schwarzem Kraushaar und Goldplättchen in den Ohren. Sein rundes, fleischiges Gesicht hat stets einen lächelnden Ausdruck und gibt ihm das Aussehen eines überaus vergnüglichen Menschen. Er hat heute noch keine zehn Worte gesprochen, sondern ist mäuschenstill auf seinem Stuhl gesessen, hat an seinem Eisenpfeifl gekaut, getrunken und gelächelt. Er hätte sich auch jetzt noch nicht gerührt, wenn sie ihn nicht mit den Ellbogen gestoßen hätten.

»Wenn dich um unsere Kreuzerlen glustet, gehn wier halt außi«, meinte der Wastele und trank langsam sein Glas leer, während er dem langen Much recht freundlich zublinzelte. »Komm nur, Much!«

Alle erhoben sich und stürmten zur Tür hinaus auf den Kegelplatz, voran der Much. Er freute sich schon auf das neue Gwandl und das silberne Kettel. Als letzter trippelte der Wastl hinaus. Er hatte es gar nicht eilig und stopfte sich während des Gehens recht gelassen, mit einer wunderbaren Ruhe, sein Pfeifl. Wie er ankam, hatten die andern schon ihren Zwanziger gesetzt und etliche gar schon geworfen.

Der Much war bereits Hahn im Korb mit seinen Sieben. »Wastele, setzen!« rief er dem Ankommenden barsch zu.

Die Burschen fuhren auf und schrien, der Wastl brauche nicht mehr zu setzen, weil schon geworfen sei. Der Much aber wollte sich auch nicht einen Zwanziger entgehen lassen, und so stritten sie ein Weilchen herum, während der Wastele gemächlich seinen Geldbeutel zog und den Satz in die Schanze warf.

Er hatte den letzten Wurf. Seine Kugel berührte nicht einmal den Laden, sondern nahm gut zwei Schuh davon seitwärts ihren Lauf und blieb, bevor sie das Kegelfeld erreichte, zwischen der Mauer und einem Rinnpfeiler stecken. Alle lachten hellauf, und der Treffer Wastl lächelte, wie immer. Der Much aber strich vorsichtig und gewissenhaft das Geld ein und untersuchte zuvor eingehend den Hosensack, ob er wohl keinen Riß habe und stark genug sei, die Silber-Zwanziger der Tierscher zu tragen.

Zwei Stunden haben sie schon bald geschanzelt; die Gesichter der Tierscher sind merklich länger und ihre Geldbeutel bedeutend schmächtiger geworden. Der Stegmüllersackl, der sich stets den Anstrich eines rechten Pfiffikus geben will, hat sich von jeher eigenmächtig unter die besten Scheiber gerechnet. Gleich bei Beginn des Spiels, nach dem ersten Wurf, der übrigens lind auf war, hatte er seinen Kameraden überlegen zugenickt: »Aha! Jetz hon i die Gschicht schon los! Es ist grad um den ersten Wurf. Nachher kenn i mich schon aus auf jeder Bahn!« Bis jetzt hatte er noch nie den Egg umgeworfen, so gut kannte er sich aus. Andere trafen wohl besser, aber der Much ließ keinen aufkommen und hatte jetzt bald Geld für zwei neue Gwandln und ein halbes Dutzend Kettlein; natürlich, daß sein ganzes Gesicht vor Vergnügen strahlte und er seinen zerzausten, fuchsroten Schnauzbart weit und breit aufdrehte. Dann und wann lachte er wieder überlaut auf, wenn einer der mit ihm »Fünfe vom Egg« gewettet, die Kugel direkt an den nahen Gartenzaun warf. Sonst lachte niemand mehr, bis auf den Badwirthannes, der auf der Bank sitzend die andern sich plagen ließ und mit seinen Fünfe, Loch-Wetten nicht üble Geschäfte machte. Der Treffer Wastl schaute so vergnüglich drein wie immer, klopfte seine Pfeife aus, stopfte wieder ein, rauchte, trank, kegelte und verspielte nicht wenig. Übrigens, seit einer Viertelstunde hält er dem Much ordentlich die Waage. Der Wastele scheint sich wirklich bald auszukennen auf der Bahn. Dreimal Hintereinander hat er jetzt die Schanz gezogen, die stets etliche Gulden betrug.

»Ziech i dösmal um drei Zwanziger«, rief der Much dem Wastl zu, der eben im Begriffe war, zu werfen.

»Ziechst nit, es gilt schon!«

Die Kugel flog hinaus, aber nicht mehr an den Rinnpfeiler, sondern in die linke Schar und riß acht Kegel um, während der neunte wackelte.

Natürlich zog wieder der Wastl die Schanz ein und drei Zwanziger vom langen Much obendrein.

»Drei Gulden wett i, du fehlst fünfe, Loch«, schrie der Much den Wastl an. Er fing schon an, ärgerlich zu werden, weil er Konkurrenz gefunden hatte.

»Drei Gulden ist wolltan viel!«

»Ah! Traust dich nit, Häuter?« höhnte der Much.

»Ei wol! Trauen wol!« Und nach diesen Worten suchte der stämmige Wastele in seinem Hosensack herum und brachte mit erstaunlicher Langsamkeit endlich drei Gulden in Münze zum Vorschein, um sie bald darauf nebst den drei Gulden des Much wieder einzuschieben.

»Da schau eins die Krotn an, die greggete!«

Der Much verlor ein ums anderemal und wurde um so hitziger, je gleichmütiger und stiller der kurzstockige Tierscher Bursche blieb.

Mit genau demselben zufriedenen Lächeln aus dem Gesicht heimste er jetzt Gulden auf Gulden ein, wie er sie früher ausgegeben hatte.

Und endlich hätte es dem Much vollständig gleichgültig sein können, ob sein Hosensack ein Loch habe oder nicht, es wäre doch kein Vierer mehr herausgefallen; er war eben ausgsackelt, was die Tierscher einmütig mit unverhohlenem Vergnügen konstatierten. der Wastele aber hatte alle Taschen voll Geld, und wenn er einen Schritt oder eine rasche Bewegung machte, klingelte er an allen Ecken und Enden, wie ein Hanswurst mit der Schellenkappe.

»Mei Uhr kauf mier ab, Judas!« schrie der Much, rot vor Zorn, und riß seine Uhr heraus.

»Judas nit, Judas! Bin s Treffer Wastele halt«, lächelte der Kurze. Dann nahm er die Uhr in Empfang, betrachtete sie von allen Seiten genau, wog sie etliche Male prüfend in der Hand und schob sie dann mit den Worten: »a saggerisches Ührl«, schmunzelnd in die inwendige Rocktasche, nachdem er dem vor Zorn glühenden Much ohne lange zu feilschen, die dafür verlangte Summe in Zwanzigern ausbezahlt hatte.

»So! Jetz will i doch sechn, ob du mich heut zsamt Haut und Haar auf dem Kraut fressn willst!«

»Zu wenig Appetit, Much, zu wenig Appetit!«

Und wieder geht es los auf Mord und Brand. Der Much trifft in seinem Zorn kein einziges Mal mehr den Egg, während der Wastl fünfe, sechse nur so am Schnürl hat. Die Tierscher lachen und kichern und sind nicht wenig stolz auf ihren kurzstockigen Wastele.

Nach einer halben Stunde hat der Treffer Wastl die Zwanziger alle wieder und schaut auf der silbernen Uhr des Much, wie spät es ist. »Sie werd epper wohl gut gehn?«

Der Lange schäumt.

»Zwoa Guldn gib her auf mei Pfeifn, du spannlanger Haderlump!« Und damit hielt er ihm seinen silberbeschlagenen Ulmentopf unter die Nase.

Der Wastele meinte: »Nix Haderlump, Much, kein bißl nix Haderlump; alleweil nur Treffer Wastele!« Dann unterzog er die Pfeife, wie früher die Uhr, einer eingehenden Besichtigung, wobei ich mit Erstaunen bemerkte, wie er sie eine Weile prüfend in den Händen wog. Endlich gab er sie dem Much lächelnd zurück.

»Ist mier zu schwar, Much! Kann sie nit habn bei der Arbeit, und Sonntagpfeifn hon i schon eine!«

»Und was gibst für meinen Jangger, du Schacherjud?«

Er wollte um jeden Preis noch zu einem Einsatzgeld kommen.

Der Wastele wies zuerst wieder freundlich den Schacherjud zurück und besah sich dann mit einer Kennermiene, die dem gewiegtesten Trödler Ehre gemacht hätte, das auf dem Zaun hängende Kleidungsstück. Wie er die darin befindlichen Löcher ersah, schmunzelte er recht überlegen, wie einer, der merkt, daß ihn der andere anschmieren will. Schon wollte er das Kaufobjekt wieder als untauglich an den Zaun hängen, als er sich eines Bessern besann.

»Zwoa Guldn, Much, wegen der Hetz!«

Er zählte dem Much, dessen Gesicht schrecklich verzerrt war, zehn Zwanziger auf den Tisch und nahm das erworbene Stück an sich.

Die zwei Gulden galten auf einen Wurf.

Der Wastele gewann.

»Und jetz haust mi durch auch noch, vermaledeiter Hund, wenn du a Schneid hast und Schmalz unter die Arm!«

»Nix vermaledeiter Hund, alleweil Wastele! Und a bißl Schneid und a bißl Schmalz, aber i tu nit gern durchhauen!«

Und dazu lächelte der Wastele kindersanft.

»Aber i«, schrie der Much und packte den Kurzen an. Der Wastele lächelte auch jetzt noch, nur rief er etwas resoluter, als gewöhnlich sein Brauch war, dem Much zu: »Auslassn!«

»Auskommen!« kam es wütend zurück.

»Auskommen leicht!«

Der Wastl machte sich mit einem blitzschnellen Ruck von seinem Gegner los und warf die Joppe weg. Indes hatte der Much mit seiner gewaltigen Faust zum Schlage ausgeholt.

Der Wastele war gerade noch zur rechten Zeit beiseite gesprungen und stürzte sich nun mit gesenktem Kopf zwischen die Füße seines langen Gegners, hob ihn einen Augenblick in die Höhe und schleuderte ihn dann mit furchtbarer Gewalt der ganzen Länge nach auf den Kegelplatz hin. Lauter Jubel und kräftiges Gelächter der Tierscher begleitete des Langen Fall. Und wie der sich noch nicht geben wollte, kniete sich der Wastl auf den liegenden, griff ihm an die Gurgel und sagte ganz freundlich:

»Much, gibst di?«

»I nit, i, verdammte Krotn!« stöhnte, mühsam nach Atem ringend, der Much.

»Nix Krotn, alleweil Wastele!« berichtigte der kurze Tierscherbursche ganz kaltblütig und drückte langsam enger zu.

»Gelt Much, wenn dich gebn willst, gibst mir an Deuter!«

Eine Weile hörte man nichts als das schwere Keuchen des Much. Aber endlich mußte er sich geben, der Wastele preßte ihn zusammen wie ein Schraubstock. »Ist gscheider, Much! I tue nit gern durchhauen!«

Die Tierscher schickten sich zum Heimweg an. Voran ging der Bühler mit seinem lustigen Knechtl, für welchen er nicht weniger als neunzehn Seidel Schuldigkeit hatte bezahlen müssen. Das kränkte den Bühler sehr, verzweifelt wankte er neben dem Knechtl des Weges; der pfiff vor sich hin, eines lustiger als das andere, hatte sein Hütel recht windverdreht auf dem weindusligen Kopf sitzen und befand sich wunderbar wohl. Er wünschte sich jede Woche fünf Wallfahrten.

Ein gutes Stück hinter den beiden her kam der Hauptschwarm, Johlend und schreiend, in der Mitte den etwas säbelbeinigen Treffer Wastel führend. Der Wastele hatte das schräge Pfeifl im linken Mundwinkel hängen und des langen Much zerrissene Joppe über die Achsel geworfen. Die erbeutete Uhr stak in der Westentasche, die Kette baumelte protzig. Er lächelte freundlich, wie immer. Gesprochen hat er höchst wenig; das überließ er seinen Kameraden, die voll des Lobes waren über ihren prächtigen Robler.

Ich habe einen kleinen Bosheitsteufel im Leib. Wo hätte ich denn sonst in aller Welt die Frechheit her, den langen Much, als er mir nach Betläuten in Hemdärmeln begegnete, zu fragen, ob er sich das neue Gwandl und ein silbernes Kettel bei den Tierschern herausgeschlagen habe.

Natürlich habe ich nicht auf die Antwort gewartet.

In dem Treffer Wastl muß auch so ein kleines Teufelchen sein Unwesen treiben. Eben sagt mir der Meßner-Hannes, daß gleich da oben bei den ersten Bäumen eine Joppe hänge und den ganzen Weg absperre. Es sei durch die beiden Ärmel eine Holzstange gezogen und diese samt dem Fetzen an zwei am Wege einander gegenüberstehenden Lärchenbäumlein angenagelt worden. Es nehme sich recht entrisch aus bei der Nacht. Zuerst habe er gar gemeint, es hänge der leibhaftige Much. Dieweilen sei es aber nur sein löchriger Jangger gewesen.

*


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