Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Singprob

Die alte Mesnerin hatte soeben den Stubenboden blank gescheuert, wie es am Samstag Brauch ist. Mit selbstzufriedenen Blicken mustert sie ihr Werk und fährt sich mit der Schürze über die schweißende Stirn. Dann greift sie nach dem Reiserbesen und jagt in heiliger Entrüstung allen Unrat, der im Hausflur aufgespeichert ist, durch die offene Tür auf die Gasse. Wenn die Stube sauber ist, darf die Laube auch nicht schmutzig sein. Wenn die Laube sauber ist, dann soll es auch vor der Haustür blank sein. Und so geht sie dem Feind bis auf die Gasse nach und zwingt ihn zu weiterer Flucht, bis hinüber zum Nachbarhaus. Dort mag er ihrethalben lagern und sich breitmachen, jahrelang. Wie sie nun die Gasse hinauflugt, wird ihr Blick auf einmal spinnegiftig. Dort trotten zu ihrem hellen Ärger einige Kirchensänger daher. Das sind ihre ärgsten Feinde; und die lassen sich nicht vertreiben mit dem Kehrbesen. Die Singproben werden nämlich, wie sehr häufig im Inntal, so auch hier nach altem Brauch in der Mesnerstube abgehalten. Die Mesnerin brummt etwas von »Saggera Löter« und verschwindet dann eilig im Haus, um noch in der Geschwindigkeit etliche alte Salzsäcke über den Stubenboden zu breiten, damit er nicht gleich schon wieder ausschaut »wie a Saustall«, dann eilt sie in die Küche ab, denn sonst müßte sie vor Ärger zugrunde gehen.

Schon treten nacheinander die Sänger ein. Der Rothenbrunnsepp als erster Baß schreitet wuchtig daher und erfüllt gleich die ganze Stube mit ländlichem Parfüm. Er hat daheim den Stall ausgemistet und das »Herrichtn nimmer dertan«. Deshalb kommt er in Holzschuhen samt allem, was drum und dran hängt. Ihm nach kommt der schlanke Himmelhofer Kühbue, ein hübscher Bursch von zwanzig Jahren. Er hat die Joppe über der Achsel und raucht aus einer Pfeife. Wie er die Mesnerin spinnegiftig durch das Schubfensterchen der Küche in die Stube gucken sieht, tritt er, ängstlich die ausgebreiteten Hadern vermeidend, auf den bloßen Boden auf, damit ja die Salzsäcke nicht schmutzig werden. Sonst könnte am Ende die Mesnerin einen Zorn kriegen. Der Schnauzgaugander, ein alter Knecht mit grauem Zottelhaar und borstigem Ratzebart, ist gleichfalls unter den ersten. Er kennt zwar weder Noten noch Text, doch er macht alles mit dem Gehör und ist, wie er selber meint, zum Aushelfen. Er bildet sich nicht wenig auf seine Wertigkeit in der Handhabung der Maulorgel ein; er hat sich sogar einmal bereit erklärt, mit ihr den Ton angeben zu wollen, falls einmal die Kirchenorgel gebrauchsunfähig wäre, was ohnehin täglich zu erwarten sei.

Beim Eintritt in die Stube vergißt kein einziger, ins Weihbrunnkrügel ober der Tür zu tupfen, denn auf Kirchensänger hat der Teufel einen ganz besonderen Span. Es dauert lange bis alle beisammen sind. Besonders die Mädchen lassen gern auf sich warten. So legt sich denn der erste Baß brummend auf die Ofenbank; die andern setzen ihre Pfeifen in Brand. Der zweite Tenor, Wieserlois, steht am Fenster und besieht sich im Marien-Kalender die Bilder. Seine Kleidung besteht in Hose, Hemd und den roten Hosenträgern darüber. Ein eigentümlicher Raucher ist der Scheiberflorl, der an Sonntagen in der Kirche den Blasbalg an der Orgel aufzieht und sich deshalb für sehr musikalisch hält. Zuerst macht er etliche Paffer und schaut drein, als ob ihn die Sonne blende. Im nächsten Augenblick hat es »koan Luft«. Also wird das Röhrl untersucht, dann der Spitz, und etliche Male in die Pfeife hineingeblasen und gestochen. Darauf stellt er das Gestemm wieder zusammen und zündet mit einem »So, jetz werds wol tuen«, neuerdings an. Wieder macht er etliche Züge und dazu ein Gesicht, als ob jeden Augenblick ein heftiger Niesanfall eintreten könnte. Bald schüttelt der Florl wieder verdrießlich den Kopf: »Jetz hat der Deixl schon wieder koan Luft!« Und das frühere Manöver wiederholt sich von neuem. Der »erste Baß« auf der Ofenbank wälzt ganz weltvergessen ein Stück Kautaback im Munde hin und her. Von Zeit zu Zeit spritzt er mit Geschick ein Quantum braunen Speichels bis zur gegenüberliegenden Seite des blank gescheuerten Bodens.

Ah, wenn das die Mesnerin gesehen hätte!

Vor der Tür des Mesnerhauses sitzt der Organist, ein junger, schwarzbärtiger Mann in bäurischem Lodengewand, mit einer Rolle Notenblätter unter dem Arm. Ohne Schulbildung, aber mit entschiedenem musikalischen Talent ausgestattet, hat er sich zum Regenschori aufgeschwungen.

Er wohnt junggesellig einsam in einem kleinen Häusl im Tal. Es fängt ihm selber schon bald an zu verleiden. Gerade wie er heute seine Kuh gemolken hatte und darauf die Milch in die irdenen Schüsselchen am Fensterbalken verteilte, brummte er kopfschüttelnd: »Viel zu viel Milch für an oanschichten Mensch, zwei Leut hättn übrigs gnueg dran!«

Beim Eintritt des Chormeisters wird es in der Stube lebendig. Der Himmelhofer Kühbue, der in der Zwischenzeit die drei Mesnermädeln im anstoßenden Milchstübchen unterhalten hatte, daß sie gar nicht mehr aus dem Lachen kamen, tritt mit den drei Dirnen vor und stampft ein Tänzchen; er ist ein leibhaftiges Quecksilber. Die Notenständer, während der Woche in einem alten Uhrenkasten geborgen, werden hervorgeholt und in der Stube aufgestellt.

Die zwei Entbehrlichsten, der Schnauzgaugander und der Scheiberflorl, sind die Ersten am Ständer. Als letzter erhebt sich langsam und selbstbewußt der wortkarge Rothenbrunnsepp. Die Mesnerischen, die alle drei zum Sängerbund gehören, streiten sich um das Gloria und Credo, wegen eines Solo mit nettem Übergangl, bis schließlich die phlegmatische Mesnermaidl dem Streit mit den Worten ein Ende macht: »Mir ist's krad kleich, ob i's Kloria fing oder's Kredo.«

Nun haben sich alle im Kreise um den Schwegelpeter, so heißen sie den Chormeister, aufgestellt. Es beginnt. Glockenhell klingt der prächtige Tenor des Kühbue und die Silberstimme der Ziperlregina. Der Scheiberflorl hat allem Anschein nach auch beim Singen »koan Luft«. Sein Gesichtsausdruck ist auch jetzt fortwährend niesend, als ob jeden Augenblick ein Hatschi zu erwarten wäre. Der Wieserlois reibt, um nicht aus dem Tempo zu fallen, mit der Hand am Kinn den Takt, stoßt ihn mit dem Kopf und stampft ihn mit dem Fuß. Sein Nebenmann, der alte Schnauzgaugander, schaut bewundernd zu dem kühnen Lois auf und gibt auch da und dort nach Gehör einen Grunzton von sich, der stets die Aufmerksamkeit des Schwegelpeter erregt.

Ein ungezwungener Basser ist der Rothenbrunnsepp im Stalljangger und den Holzknospen. Er hat den Kautaback auch während des Singens im Munde behalten, von Zeit zu Zeit stoßt er ein Hum, Hum aus, dem wieder der obligate Bodenspritzer folgt, so daß sich sein gesangliches Wirken ungefähr in folgende Laute fassen läßt: Hum, hum, zst! Hum, hum, zst! Der Stubenboden auf zehn Schritte im Umkreis ist gebrandmarkt.

Die Mesnermaidl läßt sich nach Kräften im Kloria hören. Hinter ihr, immer etwas zu früh oder zu spät, piepst ihre jüngere Schwester Sepha. Wenn sie wieder falsch gesungen hat, tut sie, als ob auf dem Notenblatt etwas nicht recht leserlich sei, oder sagt zu ihrer Nachbarin: »Siechst, i han mier's denkt.«

Lange dauert es, bis alles zusammengeht und die Sänger den Heimweg antreten können. Der alte Ander ist schon vor Schluß der Singprob in Unfrieden und Hader geschieden. Dem Wieserlois ging nämlich das Aushelfen des alten Knechtes nachgerade auf die Nerven. »Hör auf mit deine Giggezer!« schnauzte er den Alten an.

»Wenn's enk nit paßt, kann i ja gehn«, meinte der trotzig. Zwar schaute er sich bei der Tür noch verstohlen um, ob man ihm vielleicht ein gutes Wort oder einen versöhnenden Deuter gebe. Da dies nicht geschah, war der Bruch besiegelt. Vor der Tür horchte der beleidigte Ander eine Meile kopfschüttelnd auf den Gesang. Dann zog er seine Maulorgel hervor, blies darauf einen vergleichenden Akkord und schüttelte hohnlachend den Kopf:

»Dös wär mier a Gsang, ha, ha! Der C und die As stimmen zsamm, wie a Humml in einer Stallatern!«

Darauf trollte er sich mit dem Ausdruck unsäglicher Verachtung auf seinem knochigen Gesicht zum Haus hinaus, um sich bei der nächsten Probe wieder pünktlich einzufinden.

Alle sind fort. Nur der schwarzbärtige Organist und die Ziperlregina probieren noch an einem Duett herum.

Es wird nicht mehr lange zu viel Milch sein in dem einschichten Chormeisterhäusel im Tal.

*


 << zurück weiter >>