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Kindstauf

Dem Pechermartl war es allgemach doch gar zu einsam geworden in seinem niederen Waldhäusl. Darum führte er die Holzhackerlena heim. Jetzt waren sie ihrer zwei in dem Häusl. Und war auch die Kammer klein, das hatte nichts zu sagen. Die jungen Leutchen rückten halt nahe zusammen. Und nach einigen Jahren kam es dem Martl wieder schrecklich einsam vor, trotzdem sie ihrer zwei waren. Und diese Einsamkeit zu zweit drückte ihn schwerer, als das ledige Alleinsein.

Da wanderte der Martl eines Tages in die Stadt, um sein Pech an die Terpentiner zu verkaufen. Auf dem Heimweg kam er an einem großen Hutladen vorüber. So einen grünen Hut, wie er sie da drinnen hinter dem Fenster nebeneinander liegen sah, hatte er sich schon längst gewünscht. Mit so einem grünen Hut auf dem Kopf im grünen Wald dem Pech nachzugehen, das wär halt was. Er trat in den Laden.

So ein grüner Hut hinter dem Fenster, was der koste.

Der Huterer war ein Spaßvogel. So ein grüner Hut koste nicht viel, meinte et, aber es sei ein kritisches Zeug damit.

»Da gibt s gern übers Jahr an Buebn ab!«

»Gibts was es will«, polterte halb ärgerlich, halb wohlgelaunt der Pecher. »An grüen Huet will i und fertig!«

Jetzt erst recht. Der Pecher kaufte und zahlte. Dann steckte er den alten Filz in die inwendige Rocktasche und mit dem grünen Hut kam er heim zur Lena. Und er trug ihn das ganze Jahr hindurch, kaum daß er ihn vor dem Feldkreuz lüftete und bevor er ins Bett stieg, vom Kopf nahm.

Und richtig, nach Jahresfrist gab es einen ganz kleinen Pecher ab im Waldhäusl. Und so klein er war, ein Geschrei machte er für sechs Erwachsene. Während der Martl das junge Pecherlein herzte, gedachte er in dankbarer Rührung des Huterers in der Stadt, den er ganz vergessen hatte.

Im nächsten Jahre kam wieder ein junger Pecher, und dann wieder einer, und siebenmal so fort. Jetzt war es nicht mehr einsam, sondern schrecklich lebendig in der Hütte. In der Kammer wimmelte es. Aus allen Ecken und Enden schrien und lachten größere und kleinere und ganz kleine Pecher den Martl und die Lena an.

»Wenn dös alles Pechklauber werdn sollen«, jammerte der Martl oft, »müeßt die ganze Welt ein Pechkastn sein!«

Den grünen Hut hatte er schon längst in den hintersten Winkel des rotgeblümelten Kastens gestopft und die Schublade versperrt. Aber es wollte nicht helfen.

Jetzt war es wieder übers Jahr.

Der Martl saß in gelinder Verzweiflung vor der Tür. In der Kammer wurde geschäftig hin und her gegangen. Nach einer Weile erschien unter der Tür eine ältere Frau mit einem Körbchen in der Hand und einer Brille auf der Nase. Die zupfte den Martl am Arm.

»Wieder a Bue! sagte sie. »Der neunte!«

»Wieder a Bue, der neunte!« Mit dem einen Auge weinte der Martl aus Freude über sein Vaterglück, mit dem andern wegen der wachsenden Not.

»Aber es geht ihm schlecht! Müeßt« halt selber nachschaugn! Gute Nacht!«

Und verschwunden war die Frau mit der Brille. Bei armen Leuten hat es keinen Zweck, sich wichtig und unentbehrlich zu machen, da schaut nichts heraus, bei einem Pechklauber schon gar nicht. Der Martl trat in die Kammer, fragte seine Lena, die müde im Bett lag:

»Wo ist denn der Neue?«

»Mier scheint, sie hat ihn in Butterkübl einiglegt, oder vielleicht in die Hutschachtel!« antwortete leise die Lena.

Der Martl suchte unter dem jungen Pechervolk, das sich in allen Winkeln der Stube eingenistet hatte, herum und jammerte vor sich hin:

»Mein Herr und Gott! Den Nächstn, der kommt, werd i wol gar müeßn zwischen die Winterfenster legen!«

Er suchte eine Weile herum und endlich hatte er ihn gefunden. »Er ist schon im Kübl!«

Er besichtigte den Neuen oberflächlich und meinte dann:

»Es ist der größte Brockn her, aber er schreit nix! Das ist kein guets Zeichen! I mein, mit dem geht s nit lang!«

»Martl«, rief bittend die Lena aus dem Bett heraus: »Tu mier den Gfallen und lauf dermit zum Pfarrer, daß er ihn gleich tauft!«

»Freili, freili«, antwortete der wackere Pecher. »Seine Tauf mueß er haben!«

»Dös ist brav von dier, Martl«, lispelte die Lena und schloß vor Schwäche die Augen.

Der Martl warf sich in das bessere Gewand und nahm seinen grünen Rucksack von der Wand. Den tapezierte er sauber mit Heu und Stroh aus. Dann nahm er das Kind aus dem Bufferkübel, steckte es in einen leeren Kornsack und wickelte es gut ein. Dann brachte er das ganze Paket in dem Schnarfsack unter und machte sich auf den Weg. Draußen war es stockfinster. Aber das hatte nichts zu sagen, der Martl kannte jeden Stein und Baum bis hinunter zur Pfarre.

Während er so den Waldhang hinunterschritt, bat der Martl den Herrgott, er mög den Neuen doch auch leben lassen, es werde sich schon in der Kammer noch ein Plätzchen und in der Tischlade ein übriger Löffel für ihn finden.

»Und wenn er halt wirklich davonkommt, den tät i zum Viech nehmen; zu an Roßknecht war er recht, weil er gar so stark und groß und nudelfett ist.«

Wie der Martl zum Pfarrhof kam, riß er tüchtig an der Glocke. Als das Fenster aufging und die Köchin herunterschnarrte, was es gäbe, meinte der Martl:

»Gschwind, a Kindstauf, aber gschwind!« Dann ging er weiter, vor der Kirchtür wartete er auf den Pfarrer.

Nicht lange stand es an, da kam der mit dem Mesner daher. Die Kirchentür wurde aufgesperrt, die drei traten ein und gingen auf den seitwärts von der Tür stehenden Taufkessel zu.

»Also, das Kind her«, knurrte der schlafgestörte Pfarrer den Martl an.

»Jetz wartet s nur a kleins bißl, alls braucht seine Zeit«, meinte der Martl.

Der Pecher ging auf den nächsten Betstuhl zu und packte seinen Rucksack aus. Zuerst das Heu und Stroh, dann den zusammengewickelten Kornsack und aus diesem den neuen Bue, den er dann über das Taufbecken hielt.

»Aber i bitt schön, Herr Pfarrer, taufts mir ihn nur fest, der ghört zum Viech, wenn er aufkommt! Aber er schreit nix, dös ist a schlechts Zeichn!«

»Dös Kind ist aber groß, Martl«, meinte der Pfarrer erstaunt.

»Freili, groß und stark«, entgegnete stolz der Pecher, »drum möcht i ihn gern fürs Viech! Der gäbet an rechten Roßknecht ab!«

»Dös Kind muß doch älter sein«, warf der Mesner dazwischen, der auch von dergleichen etwas verstand.

»Ja gwiß nit«, beteuerte der Martl. »Ist halt groß ausgfallen!«

Er solle sich das Kind um Himmels willen doch nur recht genau ansehen, meinte der Pfarrer.

Der Martl schaute, schaute, schaute. Dann griff er sich an die Stirn, tat einen erschrecklich langen, bangen Atemzug und stöhnte verzweifelt:

»Jesses, jesses, jetz han i den Jahrling (einjähriges Kalb) derwischt!«

Heiß stieg es ihm zum Kopf: »Und derweil ist der Neue vielleicht schon ohne Tauf dahin.«

Er ließ Pfarrer und Mesner stehen, nahm seinen Rucksack und stürmte in fliegender Hast wieder den Berg hinauf. Als er keinen Büchsenschuß weit mehr von seiner Hütte war, bemerkte er zu seinem Entsetzen, daß er den Jahrling verloren habe.

Jesses, Jesses!«

Aber er ließ sich nicht aufhalten. Den Neuen lebend zur Taufe zu bringen, der Gedanke ging ihm über alles.

Mit den Worten: »Ist er schon pfutsch?« stürzte er in die Kammer, die Lena gab keine Antwort, sie schlief. Da schlich sich der Martl auf den Zehenspitzen zur Hutschachtel hin. Da lag der Neue darin. Er strampfte mit den Füßen und sah den Pecher mit großen Augen an.

Trotzdem ließ es sich der Martl nicht nehmen, daß es um den Kleinen schlecht stehe.

»Die andern habn alle gschrien wie die Jochgeier, und der ist mäusestad! Mit dem hat s nicht das Rechte!«

Er nahm ihn behutsam aus der Schachtel und verglich ihn, um neuerdings einer Verwechslung vorzubeugen, mit dem Dreijährigen, der in eine Schublade gebettet war, und mit dem Zweijährigen, der in einem kleinen Handkoffer hinter dem Ofen schlummerte. darauf schob er den neuesten Pecher in den Rucksack, verschloß behutsam die Tür und lief wieder den Berg hinunter.

Wieder schellte er den Pfarrer aus den Federn.

»Hear Pfarrer, jetz han i den Rechtn, jetz bitt i halt noch eimal!«

Wie sie zur Kirchtür kamen, fing der Kleine im Sack ein fürchterliches Geschrei an.

»So! Dös ist a nette Gschischt«, polterte der Pecher. »Schreit der kleine Bich jetz schon, wenn er sollt in die Kirche gehn; wie werd das erst später werdn!«

Der Pfarrer aber meinte zum Mesner, der eben das Schlüsselloch suchte:

»Das hab i nie gwußt, daß da ein Echo ist! Ganz deutlich schreits in der Kirchn drin auch!«

Da durchzuckte den Martl ein Strahl der Erleuchtung.

»Jesses, Hear Pfarrer, dös ist kein Echo, dös ist ja mein Jahrling! Den hab ich in der Ell auf dem Betstuhl vergessn!«

Und so war es.

Der Martl packte wieder auf dem letzten Kirchenstuhl seinen Rucksack aus. Zuvor aber hatte er den Jahrling, der immer noch aus Leibeskräften schrie, weit hinauf bis zur Kanzelstiege getragen und dort niedergelegt, damit einer Verwechslung vorgebeugt sei.

Wie der Pfarrer die Taufe vornahm, meinte der Pecher:

»I bitt, recht tüchtig taufen den Knirps, weil er vor der Kirchentür draußen so verdächtig gschrien hat!«

Kopfschüttelnd sah der Martl dem Pfarrer zu. Er nahm ihm zu wenig Wasser zur Taufe.

»Du lieber Gott, dös heiß i aber sparn mit dem gweihten Wasser; kaum, daß er ihm die Haar naß macht!«

Als der Pfarrer nach Beendigung der Zeremonie mit dem Mesner der Sakristei zuschritt, um dort seinen Chorrock abzulegen und möglichst bald wieder ins warme Bett zu kommen, da faßte sich der zagende Martl ein Herz und tunkte den Täufling mit raschem Griff tief unter, bis auf den Grund des Beckens.

»So, jetz langts!«

Der verschlafene Mesner rasselte bereits unmanierlich mit dem Schlüsselbund.

So packte denn der Martl seine Sachen eilig wieder in den Rucksack.

Den Jahrling stellte er senkrecht auf und ließ ihn mit dem Kopf über die Faltung des Rucksacks schauen; den Neuen legte er auf dem Grund des Sackes überquer ins Heu.

Dann trat er wohlgemut den Heimweg an. Der Jahrling guckte mit muntern Augen in die Sternennacht hinaus. Der Neue mit seinem pudelnassen Körperlein hatte zuerst wohl noch ein Weilchen kläglich gewimmert, aber als dann das Taufwasser in der behaglichen Wärme des Heues zum Dunsten kam, strampelte er mit seinen Beinchen kreuzlustig im Grunde des Rucksacks herum. Als der Martl auf seinem Rücken das muntere Krabbeln spürte, da wurde ihm selber ganz eigen wohl und springlebendig zumute.

*


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