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Der Tag- und Nacht-Franzl

Der kleine, geschämige Gogl war soeben mit seinem zwanzigjährigen Sohn Franzl in die Stube des Ochsenwirtes getreten. Einen Augenblick ließ er seine beweglichen scheuen Vogelaugen in dem dumpfigen Raum herumschießen, dann verzog sich sein hageres, glattrasiertes Gesicht wie zu einem Nieskrampf.

»Hockt er wohl wieder bei der Kellnerin, der rotschädlete Walser. Früher hat man ihn nie gsehen im Wirtshaus. Aber jetzt auf einmal ist er ganz Ochs!«

Dann dirigierte er seinen Buben hinter den Tisch in den Winkel, aus dem, halb in Tabakrauch gehüllt, der rothaarige Kopf des verwitweten Walserbauers aufleuchtete, Heller als die mattbrennende Hängelampe.

Er selbst aber, der geschämige unbehilfliche Gogl, setzte sich möglichst nahe zu der massiven Bauernkellnerin an den Außenrand des Tisches. Er war ja schließlich ebenso gut ein Witwer wie der Walser. Es waren noch keine drei Jahre her seit jener Unglückswoche, in der er zwei Schafe, ein preisgekröntes Stierkalb und sein Weib verloren hatte. So ein prächtiges Stierkalb gab es nicht mehr im ganzen Kirchspiel.

Der Gogl schob seinem Buben, der sich teilnahmslos und schläfrig in die Ecke gedrückt hatte, ein volles Glas hin.

»Franzl, trink a Glasl Wein und sei amal lustig!«

Der Bursche lehnte schläfrig den Kopf zurück, ohne das Glas zu berühren.

Der Gogl seufzte und trank den Wein selber.

Ein stilles Wasserl war zwar der Franzl von jeher gewesen, aber nun wuchs er sich allmählich zu einem richtigen Hauskreuz heraus. Keine zehn Worte sprach er im Tag. In der Früh nach dem Aufstehen hätte er sich am liebsten gleich wieder zum Ausrasten hingelegt, beim Essen machte er nicht Mau, und nach dem Essen taumelte er zur Ofenbank und ließ bleischwer die Füße herunter hängen. Das Ärgste an der Sache war für den Gogl, daß der Franzl zur Arbeit nicht taugen wollte.

»Nimmer zum erzahln sein die Dienstbotn. Und der Bursch hockt mier herum wie a tote Fliegn. Da ist s bald gleich besser, i nimm wieder a Weib! Kommt mi billiger. Allemal!«

Da war halt die Ochsenkellnerin eine. Schön war sie nicht und jung noch weniger, aber schwer und massig, zur Rauharbeit wie geschaffen. Die hatte sich der sachkundige Gogl seit längerer Zeit schon aufs Korn genommen. Wie er eben jetzt wieder neben ihr hockte und vom Weinglas weg immerfort lüstern und sehnsüchtig nach dieser Arbeitskraft schielte, da hätte man meinen mögen, die Katl müsse nun doch endlich einmal mit dem unbehilflichen Bäuerlein Mitleid haben und zu ihm sagen, wie weiland sein erstes Weib:

»Gogl! Möchst mi nit heiratn?«

Aber die Katl bemerkte weder den Goglbauer zur Rechten, noch den werbenden rothaarigen Walser zur Linken.

»Was sie an Gwand mehr brauchet, das tät die leicht bei der Arbeit wieder einbringen«, kalkulierte der Walser.

»Und die hätt auch beim Heutreten das rechte Gwicht«, meinte der Gogl, in ihren umfangreichen Reizen schwelgend. Die ahnungslose Katl strickte und gähnte, und der junge Franzl, der doch die meiste Berechtigung gehabt hätte, sich um ein Weibsbild zu kümmern, hatte Mühe, die Augen offenzuhalten.

»Kellnerin, was tust denn da strickn?« begann der Walser ein Gespräch.

Der Gogl zuckte zusammen und blitzte spinngiftig den geschwätzigen Michl an; jetzt war ihm der mit der Ansprache zuvorgekommen.

»I? Was i da strickn tu?« erwiderte die Katl.

»Ja! Was du da strickn tust!«

»An Strumpf tu i stricken!«

»A so woll! An Strumpf! Mhm!«

Der Gogl hätte bersten mögen vor Gift und Galle über den zudringlichen Walser.

»Der redt ja den Leuten ganze Löcher in den Bauch!«

Der Gogl hätte gut gewußt, wie das Gespräch vom Strumpf jetzt weiterzuspinnen wäre, zuerst auf die Weite des Strumpfes, dann ein bißchen ins Anzügliche hinüber.

»Mit dem Viech tu i mich so leicht, grad spielen tu i mich mit dem Viech. Aber dö verflixten Weiberleutsachen; alles hätt i im Kopf, wenn ich s nur fürbringen könnt!«

Da es mit dem Reden nun einmal nicht ging, schob der Gogl tastend sein Bein unter dem Tisch nach der Richtung vor, in der er die Füße der Kellnerin vermutete.

»I red halt einmal mit die Füß!«

Der Walser, der mit dem Mundwerk ebenfalls zu Ende war, nahm auch die Beine zu Hilfe, um diese Rauharbeiterin für sein Höfl zu ergattern. Es wurde ordentlich lebendig unter dem Tisch. Wenn in dem Franzl nur ein Zehntteil dieser väterlichen Lebendigkeit gesteckt hätte! Die Katl hatte keine Ahnung, wie ihre Filzpatschen da unten von zwei genagelten Bauernschuhen zärtlich umschmeichelt wurden, denn ihre robusten Nerven fanden es nicht der Mühe wert, von solchen Bagatellen an das Bewußtsein Bericht zu erstatten.

Als aber so ein Bauernschuh mit ihrem Hühnerauge Fühlung nahm, das wurde freilich schnellstens gemeldet.

Zwei ungefügige Bauernbeine zogen sich eiligst unter dem Tisch zurück wie die Fühlhörner einer Schnecke. Der mehr weltmännische Walser fand immerhin noch ein paar Verlegenheitsworte:

»Ja, so gehts auf der Welt!«

Aber das unbehilfliche Goglbäuerl saß da wie mit Blut übergossen und kniff die Äuglein zusammen. Zum Glück fielen da seine Blicke auf den armen Franzl, der in der Ecke lehnte und schlief. Der war jetzt für den Gogl die richtige Verlegenheitswurzen.

»Verfluchter Bue«, schrie er und rüttelte den Burschen, als ob er von ihm etwas herunterschütteln wollte. »Mit dir hab i mir a schöne Laus in n Pelz gsetzt! Aber auf dem Heimweg heb i dich heut amal a Viertlstund in den Mühltumpf eini, mit dem Kopf voran! Da wird dir der Schlaf schon vergehn! Kellnerin, zahlen!«

Heute war der Abend schon einmal verdorben.

Der Gogl bezahlte und schlich sich mit seinem Hauskreuz gedrückt zur Stube hinaus. Im Gehen brachte der Franzl endlich gähnend hervor: »A dicke Kellnerin ist dös!« Es waren die ersten Worte, die er heute sprach.

»Sell ist s wohl, a dicke, starke«, seufzte der Gogl beklommen; er dachte an die Unsumme von Arbeitskraft, die in der Katl ungenützt schlummerte.

Sie gingen wieder ein Stück weiter, dann hub der Franzl wieder gähnend an: »Mir scheint, dem Rothaarign gfallt sie!«

Dem Gogl gab es einen Riß, aber er bedachte sich gleich:

»Was verstehst denn du? Wie wird dem rothaarigen Walser so eine dicke Buttn gfalln!«

Die Nachtluft schien dem Franzl wohl zu bekommen. Er wurde zusehends frischer und rühriger, wie ein Fisch, der Tiefwasser spürt.

»I hab mier nur denkt, weil der Rothaarige mit ihr gfußelt hat!« warf er so hin.

Der Gogl hüpfte in die Höhe:

»Was? Gfußelt hat er? Eine Moralität hat er ja nie ghabt, der Lump!«

Der Franzl wurde immer aufgeräumter; er reckte sich, und streckte sich und sog mit Behagen die kühle Nachtluft ein. Und wie er daherging. Bolzengerade.

»Vater!«

»Was ist?»

Der Franzl kniff listig Sie Augen zusammen:

»Ihr habt's auch gfußelt mit der dicken Buttn!«

Der Gogl wurde rot wie Feuer.

»Aber in dem Alter gebn sich die Weiberleut mit so was nimmer ab! Da muß man ihnen schon gröber kommen, zum Beispiel mit'n Heiraten! Dös ziecht!«

Der Vater stand nur so da, Augen und Mund weit aufgerissen. »Bue, was ist mit dier?« stotterte er. »Sonst bringst wochenweis das Maul nit auf!«

»Na ja, jetz habn wir halt amal an Diskurs, der mi auch verinteressiert! Und jetz paßt's auf, Vater! Jetz werdn wir dem rotkopfetn Michl an Riegl vorschiebn. Kommt's nur mit!«

Dann nahm der Franzl das verblüffte Goglbäuerlein unter den Arm und schleppte es wieder den Weg zum Ochsenwirt zurück. Der Gogl war wie betäubt. Er ließ mit sich machen, was man wollte.

Bald standen sie vor dem Ochsenwirtshaus. Die Tür war bereits versperrt, die Lichter waren ausgelöscht und die Leute schlafen gegangen.

Der Gogl wollte wieder umkehren.

»Da ist ja alls schon zu Bett!«

»Eben drum bleiben wir!« gab der Franzl zurück und hielt den Vater am Arm fest. Darauf bückte er sich und raffte aus dem Dachtraufengries eine Handvoll Steinchen auf.

»So! Dös schmeißen wir ihr jetz ans Fenster!«

Der Gogl fiel ihm angstvoll in den wurfbereiten Arm. »Um Gotts willen! Nur das nit! Dös könnt weiter kein Spektakel absetzen, wenn wir ein unrechts Fenster derwischen!«

»Freili«, spottete der Franzl, »i werd's Kellnerinfenster vom Ochsenwirt nit wissn! Dös weiß i noch vom vorign Jahr her, wie der Ochsenwirt dö saubere ghabt hat, dö junge, die Resl. Und überhaupt gibt's im ganzen Dorf keine Madlkammer, wo i die Fenster nit weiß!«

»Du Teufelsbub, du verhöllter«, stöhnte der Gogl.

Der Franzl holte zum Wurf aus.

Klirrend schlugen die Steinchen an die Scheiben.

Das Bäuerlein machte einen Satz:

»Bue! Wir gehn heim! Dös halt i nit aus!«

»Vater, macht's Enk nix draus«, tröstete ihn der Franzl. »Dös ist mir zuerst grad so gangen. Man gwöhnt sich mit der Zeit!«

Ein Weilchen stand er lauschend da, wie ein Jäger auf der Hahnbalz. Dann griff er aus der Dunkelheit des Schuppens nebenan mit unheimlicher Sicherheit eine kurze Leiter und stellte sie vor dem Fenster auf.

»Gleich habn wir sie so weit! Die Bettstatt hat schon kracht«, flüsterte der Franzl und traf ruhig die letzten Anordnungen. Zunächst postierte er das zitternde, keines Wortes mächtige Bäuerlein hart an der Hausmauer.

»Bleibt's nur ganz ruhig im Schatten stehn! Habt's kein Wort zu redn; Enk geht die ganze Gschicht nix an!«

Der Vater schaute mit ehrfürchtigem Grauen zu seinem Buben auf, der mit himmlischer Ruhe über die Leitersprossen stieg. Er kam gerade oben an, als der Fensterriegel klirrte.

»Was? Du Gogllausbue! Bist noch nit trocken hinter die Ohrn!« So empfing ihn die Katl wutschnaubend und wollte rasch unter die Bettstatt langen. Doch der Franzl hielt sie am Arm fest. Dank seiner Praxis wußte er, was solch ein Griff für die ohnehin kaum trockene Ohrgegend zu bedeuten habe.

»Frechling! I könnt ja dei Mutter sein!«

»Sollst's auch werdn! Der Vater will dich heiratn!«

Das war Öl auf Katls Wut.

»Katl, mei Vater ist ganz verschossn in di. Aber er traut sich nix zu sagn, er ist so viel gschamig, und da muß halt i für ihn redn!«

»Aso ist die Gschicht«, meinte die Katl viel freundlicher.

»Ja, aso ist die Gschicht!«, versicherte der Brautwerber.

»Also, Katl, was meinst zum Vater? Er ist a Mensch in die bestn Jahr und soviel ich weiß, ganz brav und arbeitsam.«

»Ja! Sell bin i sonst schon«, bestätigte der Gogl von unten herauf.

»Trinkn tut er auch nit, soviel i weiß«, fuhr der Franzl im Aufzählen von Vaters Vorzügen fort.

»Na! Gewiß nit«, beteuerte das Bäuerlein unter der Leiter. »Bin meiner Lebtag nie ein Trinker gwesn!«

»Ja, ja«, meinte die Katl gar wohlgesinnt, »soviel i weiß, ist er ganz ein ordentlicher Mensch, der Gogl!«

»Aber freilich«, ereiferte sich der Franzl auf der Leiter.

»Schau, Katl, wenn er nit ordentlich wär, da möcht i dir ihn ja gar nit rekommandiern!«

»Das Hauswesen ist auch in Ordnung, oder sein Schulden drauf?« forschte die praktische Katl.

Aber da fuhr das Goglbäuerlein unter der Leiter in die Höhe:

»Krutziteufel, Schulden! Da könnt mi eins am rechten Fleck erwischen. Kein Kreuzer bin i schuldig!« Ein schuldenfreies Heimatl, das gefiel der Katl. Sie grinste breit.

Der Franzl stieg die Leiter herunter und sagte:

»So, Vater, jetz bin i für Enk gangen, und jetz geh i für mich selber!« Und zur Katl gewendet: »I hab auch eine auf der Muggn mit an schönen Hof! Aber eine Junge, Saubere!«

Er wollte vor dem Gehen noch rasch die Leiter versorgen, aber die Katl sagte:

»Laß die Leiter da!« Der Gogl wollte sich empfehlen:

»Also Katl, gute Nacht! Morgen redn wir's aus!«

Aber die Katl sagte:

»Warum denn morgen? Nur aufer da! Gleich jetz auf der Stell wird's richtig gemacht!«

Und das geschämige Goglbäuerlein stieg nun, ein minderer Romeo, wonneschauernd über die Leitersprossen zur übertragenen massigen Katl auf.

*


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