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Ein ehrlicher Mensch

Die Burschen im Dorfe meinten, mit der Stärke des Hannes sei es nicht weit her, er sei nur arg im Knödelessen. Das bestätigte der Bauer, bei dem der Hannes Oberknecht war. Auch die Bäuerin entschlug sich nicht der Zeugenaussage. Sie gab wehmütig seufzend der Wahrheit die Ehre: »Ja wohl, er ist der Ärgste, er wird mit zwei Dutzend fertig!«

Es war gar häufig, daß der Hannes spontan auf seine Stärke zu sprechen kam. Besonders leicht befiel es ihn abends nach dem Essen, wenn er auf der Ofenbank lag und nicht schlafen konnte. Zuerst sprach er leidenschaftslos, allgemein, wie es um die Kraft ein schönes Ding sei, daß es zu allen Zeiten damische Raufer gegeben habe, und was für ein starker Lackl der Samson gewesen sei, den er von der Bibel her gut kenne. Das war die gewöhnliche Einleitung, welche der Hannes liegend und rauchend in tiefstem Phlegma den Mädchen und Knechten vorzubringen pflegte.

Direkt vom Samson sprang der Hannes dann immer auf sich selbst über: »I bin auch von kein schlechtn Holz gmacht!«

Da gab es immer Zwischenrufe seitens der Knechte:

»Holz gnueg, sell wol!« Oder: »Den Eselskopf hat er auch, wie der Samson, aber nit in der Hand!«

Solche Äußerungen ließ der Hannes ruhig über sich ergehen. Starke Leute sind ja meistens sehr gutmütig und friedfertig. Wenn er dann seine Flaxn und Adern pries, triumphierend die ausgespreizten knochigen Finger herwies und sie den Knechten und Mägden mit den Worten: »da schaut's dö Bärntatzen an«, vor die Nase hielt, da blitzten seine sonst matten Augen kühn und verwegen auf. Wenn er auf dem Höhepunkt seiner Rede anlangte, wurde der sonst so gesetzte Hannes geradezu gemeingefährlich. Da schleuderte er seine Holzpfeife in die Ecke, sprang auf und schrie seine Stärke heraus: »I wirf oan über'n Zaun, wie an Äpflputzn«, oder »I hau oan an die Wand, daß man von ihm nix mehr siecht, als wie a rotes Mal!« Wenn er dazu noch seine Fäuste ballte und zermalmend mit den Zähnen knirschte, da schlich der kleine Hüterbub zaghaft hinter dem Tischwinkel hervor und drückte sich, in weitem Bogen den »gfürchtlichen« Knecht umkreisend, aus der Stube, so sehr ihm sonst die Rede des Hannes Spaß machte. Aber der Hannes hatte einmal im Eifer seines Vortrags mit den Bärntatzen nach ihm gegriffen und mit ihm praktische Kraftdemonstrationen ausgeführt. Ein zweitesmal wollte der Knirps nimmer das Versuchskaninchen abgeben für des Oberknechtes Stärke. Er solle sich Erwachsene suchen oder warten, bis er, der Hüterbub, ein großer Mensch sei.

Oft trug es sich natürlicherweise zu, daß einer oder der andere im Dorf den Hannes fragte:

»Ja, wenn du gar so viel nutz bist, warum hast du noch nie a Prob abglegt?«

Da schlug dann der Knecht jedesmal die Finger ineinander, schaute gegen den Himmel und meinte in bedeutungsvollem Flüsterton:

»Wenn i einmal anpack, geht alls in Fetzen! Wenn mich nur der Herrgott nie zornig werdn laßt!«

So lebte der Hannes eigentlich in beständiger Angst, es könnte einmal die in ihm schlummernde Unsumme von Kraft nach außen durchbrechen und unsägliches Unheil anrichten. Er versicherte bei jeder Gelegenheit, an ihm solle es nicht fehlen; und wenn noch die andern ein gutes Vaterunser beten, daß der Hannes nicht in die Hitze kommt, können sich alle im Dorf ihres Lebens freuen.

Das taten sie heute auch alle im Wirtshaus, in der getäfelten, rauchigen Stube, am breiten eichenen Tisch beim süffigen Rotwein, von Zeit zu Zeit werden im dicken Tabaksqualm für Augenblicke rote, gesundheitstrotzende Köpfe sichtbar. Einer davon gehört dem Oberknecht Hannes, einer daneben, so rot wie Zinnober, seiner Herz-Susl, Oberdirn auf dem Breitenhof, die heute, am weißen Sonntag nach altem Brauch von ihm mit Wein und Braten traktiert wird.

Lustige Reden flogen hin und her, launige Einfälle spukten an allen Ecken. Zwischendrein gutmütiger Spott und weinseliges Lachen. Einer war am Tisch, dem saß ein richtiger Schalk hinterm Ohr. Sie hießen ihn den Müller-Maler. Der junge Bursche saß neben dem Hannes und sprudelte förmlich über von Humor und derbem Bauernwitz. Bald zog er die Weibsleute durch die Hechel, bald versetzte er wieder einem von den Burschen eins, und während sie noch alle über den eben ausgespielten Trumpf lachten, bearbeitete der spaßhafte Müller-Maler schon wieder den dicken Wirt und seinen sauren Wein, den er einen Sauremus nannte, der eine tote Geiß wieder zum Plärren bringen könnte. Der Hannes war bis jetzt verschont geblieben von seiner scharfen Zunge, vielleicht aus nachbarlicher Freundschaft, vielleicht auch aus Furcht vor dessen Stärke.

Einige Male hatte der Müller-Maler schon auf Augenblicke nach dem Hannes geschielt. Jetzt beguckte er ihn aber schon recht unheimlich lange, und es hatte den Anschein, als ob bald ein Witzpfeilchen abschnellen würde. Der Müller-Maler goß ein Glas Sauremus hinter den Hemdkragen, daß es nur so gurgelte. Dann kratzte er sich hinter den Ohren und tat an einen, der am nächsten Tisch drüben saß die Frage:

»Heinz, bist du der Stärkste in der Gmoan?«

Der Angesprochene, ein herkulisch gebauter Bursche mit blondem Schnurrbart und sonnverbranntem Gesicht, bog langsam seinen Stiernacken seitwärts und gab zurück:

»Sell wol, bis a Besserer kimmt!«

»Er ist schon da!«

Diese Nachricht schien den Heinz in Unruhe zu versetzen, hastiger als es sonst seine Art war, drehte er sich auf dem Stuhl herum.

»Wieviel hat er ghaut?«

»Ja, dös weiß kein Mensch!«

Da lachte der Heinz verächtlich auf, drehte seinen Schnurrbart zu mörderischen Spitzen aus und rühmte sich selbstbewußt seiner erfolgreichen Tätigkeit als Robler.

»Weiß man nit«, höhnte er. »Bei mier aber weiß man s. Auf dem letzten Kirchtag han i sechse niedergranggelt! Am Bluetstag han i drei Hosenlupfer gmacht! Vor acht Tag han i für den Gerbersiml sein Kopf zwei Fünfer Wehgeld zahlt, und morgn mueß i schon wieder aufs Gricht! Bei mier weiß man s!«

Hoch warf er sich in die Brust und kehrte dem Müller-Maler samt allen seinen Tischgenossen den breiten Rücken zu.

»Der Hannes da gäbet dier schon was zu ratn auf!« sprach der Müller wieder über den Tisch.

Der Heinz kehrte sich um und taxierte halb verächtlich, halb mitleidig den Oberknecht ab:

»Drei solchene steck i in mein Hosensack und find sie drein nimmer!«

Der Hannes wandte sich zur Susl und sagte zu ihr mit auffallend lauter Stimme: »Susl, bet, daß ich nit in die Hitz komm!«

Das hatte der Heinz gehört. Nun tat er an den Hannes die Frage:

»Was gschieht denn nacher, wenn dei Strohkopf brennt?«

Dann sprang er auf, zog seinen Rock aus und rief dem Hannes zu: »Im Anger außen erwart i di!« Dann verließ er die Stube und ging durch die Hintertür des Hauses auf den Anger.

Grund genug für den Hannes, nachzukommen, um seine Kraft mit dem Heinz zu messen.

Die Susl zupfte den Hannes aufmunternd am Arm: »Hannes, Strohkopf hat er dich gheißen! Pack ihn!« Sie wollte ihm Platz machen, damit er leichter hinter dem Tisch hervor käme, um dem Heinz zu folgen.

Ein großer Teil der Gäste hatte schon die Stube verlassen, um sich das Schauspiel anzusehen.

Doch der Hannes blieb sitzen.

»Also, Hannes!« riefen einige Burschen.

Auch die Susl zupfte ihn aufmunternd am Arm und flüsterte ihm zu: »Hannes, pack ihn!«

Da fuhr der Hannes auf:

»Na, i will a ehrlicher Mensch bleibn!«

»s Raufa ist koa Schand«, brüllten sie alle im Chor.

»Hannes, pack ihn, tu mir die Schand nit an!«

Der Hannes aber zeigte der Susl voll Angst seine vermeintlichen Bärentatzen her.

»Wenn i an Menschen angreif mit dö Händ!« Ganz weinerlich wurde ihm bei dem Gedanken zumute.

»Werd mich wol nit die Geduld verlassen, werd mi wol nit der Zorn packn!« Das war seine einzige Sorge.

Indessen kam der Heinz, rasend vor Wut, schon wieder zur Tür herein und schrie:

»Ausser oder i ziech di bei die Ohrn übern Tisch!« Und kam mit erhobener Faust auf ihn los.

Aber der Hannes erreichte mit einem geschickten Sprung die Tür. Zwischen Tür und Angel schrie er verzweifelt auf: »I will kein Mörder werdn! I will nit ins Zuchthaus kommen!« Und suchte eiligst das Weite.

Hinter dem fliehenden her stürzte der mutige Heinz durch die Dorfgasse. Aber er war nicht imstande, den Hannes einzuholen, so schnellfüßig lief dieser der Gefahr, ein Mörder zu werden, aus dem Wege.

Und der Hannes ist auch sein Lebenlang ein grundehrlicher Mensch geblieben, der ganzen schlechten Welt zum Trotz.

Jawohl, schlecht ist die Welt, die Bauernmägde nicht ausgenommen. Das konnte man an der Susl sehen. Sie hat dem Hannes die Liebe gekündigt, weil er ihr zu ehrlich war.

*


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