Adolf Schmitthenner
Heidelberger Erzählungen
Adolf Schmitthenner

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Tilly in Nöten

General Tilly war guter Dinge. Er strich sich den grauen Knebelbart und schaute dem schönen Mädchen, das ihm den Malvasier kredenzte, so keck in die Augen, daß sie errötete. Nachdem er einen kräftigen Zug getan hatte, wandte er sich an den Vater seiner anmutigen Schenkin, der bekümmert neben ihm am Tische saß, und sagte:

»Die Bibliothek gehört jetzt dem Papste. Ihr haftet mit Euerm Kopf dafür, daß sie unangetastet bleibt.

Eure Verantwortung soll Euch nicht zu schwer fallen«, fügte er hinzu, als er sah, wie sein Gegenüber zusammenschrak. »Eine Guardia von zwei Pikenieren vor jede Tür der Heiliggeistkirche!« rief er dem Pagen zu, der im Hintergrund des Gemaches stand. »Wer sich an dem Eigentum des Papstes vergreift, wird aufgehängt! Man soll dafür sorgen, daß dies in der Stadt bekannt werde.

Ihr seid entlassen«, wandte er sich dann an den Bibliothekarius, »aber Eure Tochter soll noch dableiben. Bis nächsten Samstag liefert Ihr das Verzeichnis der Bücher in schöner Abschrift. Schickt es mir in das Lager vor Mannheim!«

Der alte Mann, der auf den Wink des Generals aufgestanden war, verbeugte sich. Während er zur Tür ging, ruhte sein besorgter Blick auf der Tochter.

Die beiden waren jetzt allein im Gemach. Das Mädchen stand mit gekreuzten Armen am Schenktisch. Der General stützte den Ellbogen auf und sah nachdenklich nieder. Zuweilen warf er einen halben Blick zu der Jungfrau hinüber.

Es wurde von ihm im Lager erzählt, daß er nie ein Weib berührt habe. Die Soldaten hielten ihn deshalb für den Liebling der Himmelskönigin Maria und glaubten an den ewigen Sieg seiner Fahne. Das wußte der General, und er war gesonnen, seinen Leib jungfräulich in die letzte Schlacht zu tragen.

Eine gute Weile war es still im Gemach. Tilly lehnte die Stirn in die linke Hand. Er nestelte sein seidenes Wams auf und holte eine große silberne Schaumünze hervor, die auf der bloßen Brust geruht hatte. Er führte sie an die Lippen und küßte inbrünstig das Bild seiner Patronin. Dann steckte er sie wieder an seinen Ort, brachte das Gewand in die Reihe und schaute die Jungfrau mit einem offenen Blick aus seinen hellen, scharfen grauen Augen an.

»Wie heißt Ihr?«

»Susanna.«

»Wie alt?«

»Zweiundzwanzig vorüber.«

»Ihr seid schön! Ja, bei Gott, das seid Ihr. Und klug seid Ihr auch. Ihr habt mir besseren Bescheid gegeben über die Bücherei als Euer Vater. Hätte er Euch nicht zu Hilfe gerufen, so wüßte ich nicht, was das ist, was die Liga dem Papste schenkt. Seid Ihr mit jemand versprochen?«

»Noch nicht«, sagte Susanna zögernd, und ihre Wange färbte sich purpurn. »Aber« – fügte sie hinzu und stockte.

»Was aber!« rief der General, »›noch nicht‹ genügt. Kommt einmal hierher!«

Tilly war aufgestanden und ans offene Fenster getreten. Susanna kam beherzt hinzu, und der Graukopf und das blühende Mädchenantlitz schauten nebeneinander in den Schloßhof hinab.

»Seht Ihr dort den Offizier, den hohen meine ich, mit der blauen Schärpe und der schwarzen Feder? Wie gefällt er Euch?«

»Er ist ein stattlicher Herr«, sagte Susanna.

»Der soll Euer Ehegemahl werden, in dieser Woche noch.«

Die Jungfrau schaute blitzschnell den General an, ob er nicht scherze. Er sah freundlich aus, aber ernsthaft.

Susanna zitterte ein wenig, aber sie faßte sich und sagte in leichtem Tone: »Ich habe ihn jetzt zum erstenmal in meinem Leben gesehen, und das auch nur von hinten.«

»Kommt, kommt!« sagte Tilly eifrig, nahm das Mädchen an der Hand und führte es in das nächste Gemach und an das letzte Fenster. Sie schauten jetzt über die steinerne Gestalt des Kurfürsten hinweg, der den Palast gebaut hatte, worinnen der Besieger seines Sohnes hauste.

»Hier könnt Ihr ihn von der Seite sehen – nun?«

»Die Spitze seines Bartes ist grau

»Er ist mein Obristleutnant.« – Der General legte in das mein einen zärtlichen Ton.

»Auch die Haare hinter seinem linken Ohre sind grau«, sagte Susanne und wandte sich vom Fenster ab.

Tilly fuhr sich mit der linken Hand von hinten über den kurzgeschorenen grauen Kopf und sagte: »Er ist siebenundvierzig Jahre alt; das ist ein gutes Alter. Setzt Euch! Aber schenkt mir vorher noch ein Glas von Euerm Wein und bringet Euch selber eins. Es soll ein Ruhetag sein cum Baccho et Venere

Susanna tat, wie er geheißen hatte, aber bevor sie sich an des Generals Seite setzte, sagte sie: »Von dem dort nichts mehr! Ich bin reformierten Glaubens.«

»Das ist er ja auch!« rief Tilly.

»Aber er gehört zu Euern Leuten«, erwiderte Susanna, und ihre Wangen röteten sich. »Ich habe das Geschrei der Weiber und Kinder gehört.«

»Das Volk war in der Furie«, sagte Tilly kalt; »wer will es da halten? Fraget im Elsaß nach, wie Euer Mansfeld gehaust hat.«

»Darum will ich keinen Kriegsmann, nie und nimmer!« rief Susanne.

»Kommt, setzt Euch und tut mir Bescheid! Habt Ihr denn Euer Herz schon verschenkt?«

»Dem jungen Apotheker, der drüben im Turm vor dem Mörser steht, dem bin ich gut«, sagte Susanna und tat einen herzhaften Schluck.

»Ihr gefallt mir, ehrlich und klar. Ich wollt, ich wäre Euer Vater. Ich glaube, wir zwei hätten etwas voneinander. – Meine Tochter zu sein, wäre kein übel Ding«, fügte er lächelnd hinzu. »Aber einem Apotheker gäbe ich Euch nicht. Pfui, Lat-werg! Gefallen Euch nicht Sporen besser?«

»Wenn wir Mädchen heiraten, dann heiraten wir den Mann.«

»Da habt Ihr recht. Aber ein Apotheker, in dieser Zeit, wo der Tod kurzen Prozeß macht, ist das ein Mann? Mir soll einmal keiner mit seinem Tränklein kommen. Hat die Kugel nicht Garaus gemacht, dann soll der Feldscher mit dem Eisen herbei. Nein nein, den Apotheker heiratet Ihr nicht, sondern meinen Obristleutnant. Nicht aufgebraust! Bleibt sitzen und hört mich ruhig an.

Vor siebenundzwanzig Jahren war ich als Hauptmann dabei, als die Spanier Brefort im Sturme nahmen. Beim Beutemachen hörte ich aus einem Haufe klägliches Wehgeschrei und rettete ein edles Weib aus den Händen der Troßbuben. Ich jagte die Kunde mit dem Degen die Stiege hinunter, da schoß einer von unten mit dem Pistol und traf die Frau zu Tode. Sterbend sagte sie mir, wo ihr einziger Sohn versteckt sei, und bat mich, für ihn zu sorgen und ihn bei seinem Glauben zu erhalten. Ich gab ihr mein Offizierswort und hab's mit Ehren gehalten. Zuerst war er mein Page, dann Kornett in meiner Kompanie, und jetzt ist er Obristleutnant im wallonischen Regiment. Im nächsten Frühjahr soll er im Sennegau ein Regiment werben. Dann wird die Frau Obristleutnant eine Frau Obrist.«

Der General verbeugte sich vor der Jungfrau. Diese schüttelte lachend den Kopf und sagte: »Dann heißt Susanna Kulmbachin Frau Susanna Cyriakus und haust drüben im Apothekerturm zwischen Mörsern und Latwergen.«

Tilly tat, als hörte er nicht, und fuhr fort:

»Mein Obristleutnant ist ein braver Offizier und tat vor dem Feind seine Schuldigkeit. Aber er hat einen großen Fehler. Er ist ganz den Frauen ergeben.«

Susanna wandte blitzschnell den Kopf nach dem Fenster und warf einen neugierigen Blick hinaus.

»Er ist ganz den Weibern zu eigen«, wiederholte der General bekümmert. »Darum soll er heiraten, aber nicht die, die er will, sondern die, die ich ihm gebe. Eine Deutsche muß es sein. Ihr sollt es sein.«

»Warum gerade ich?«

»Weil Ihr schön seid und klug und mutig, und weil ich Euch zutraue, daß Ihr kommandieren könnt; so eine brauche ich.«

»Wen soll ich kommandieren, den Obristleutnant?«

»Den auch; das wird ihm gut tun. Aber das ist ein leichtes Stück. Ich trau' Euch Größeres zu. Ihr sollt die Offiziersfrauen kommandieren und Zucht und Ordnung unter sie bringen. O das Weibervolk! Das Weibervolk! Ihr glaubt nicht, wieviel Schererei und Ärger mir das bereitet. Mit der leichten Bagage geht es noch, die hält der Weibel unter seiner Fuchtel, und die Frauen der Musketiere und der Reiter haben so viel für ihre Männer zu flicken und zu waschen, daß sie keine Zeit haben, Unruhe zu stiften. Aber mit den Offiziersfrauen hat's der Teufel gesehen. Hat der einen ihr Mann ein schönes Reitpferd zugeführt, so wollen die anderen auch nicht mehr auf dem Wagen fahren. Hat die Frau Rittmeister von ihrem Gatten ein neues Kleid bekommen, wie es die adligen Frauen in Italia tragen, so kriegt der Major saure Tage, weil er nicht auch so brav Beute gemacht hat. Die Frau Leutnant hängt das Adelswappen ihres Mannes an alle vier Wände des Zelts und ärgert die Frau Kapitänin, deren Mann eines Wagners Sohn ist. Hat eine eine Magd, die die Haare nach der Mode aufsetzen kann, so machen sie ihr die anderen abspenstig, und wenn das Lager aufgeschlagen wird, will jede ihr Losament zum weitesten von der Marketenderei und zunächst beim Proviantmeister haben. Fahre ich einmal drein, so schelten sie über den alten Weiberfeind, und die Offiziere, die sonst aufeinander loshacken wie zornige Hähne, stehen gegen mich zusammen wie ein Mann, um, wie sie sagen, ihre Frauen zu schützen. Es ist ein unleidig Wesen! Ich weiß keinen anderen Rat als den: eine muß den Oberbefehl haben wie der Obrist im Regiment, und die anderen müssen ihr gehorchen bei Strafe der Verweisung aus der Armee durch den Stockmeister. Alle Streithändel kommen vor ihr Tribunal, hat sie entschieden, so steht mein Generalleutnants-Sigill darunter. Dieser Weiberobrist sollt Ihr sein!«

Susanna hob den Kopf.

»Aber warum müßte ich dazu den Obristleutnant heiraten?«

»Meinen Obristleutnant? Weil Ihr eine Offiziersfrau sein müßt, sonst habt Ihr keine Autorität. Eine Frau Obristin habe ich nicht; verheiratet sich ein Obrist, so hat er bei mir den Dienst zu verlassen. Ein Obrist darf keine andere Liebste haben als sein Regiment. Auch meine Obristleutnants wagen es nicht, mich um Ehekonsens zu bitten, sie fürchten mein böses Gesicht. Nur einer weiß, daß er heiraten darf und soll, das ist mein Obristleutnant. Ich krieg' ihn sonst nicht von dem Weibsbild los, der böhmischen Hexe, und er verdirbt mir im Ludern.«

»Einen solchen Ehegemahl mag ich nicht«, rief Susanna und warf die Lippen auf.

»Er ist ein braver Soldat vom Scheitel bis zur Zehe, aber er ist von Natur verliebten Geblüts. Das schadet ihm meines Wissens nichts beim Frauenzimmer. Und hat er Euch gesehen, so wird er eine Forelle und eine Kaulquappe unterscheiden können. Er wird kirre werden und seiner Frau den Salat aus der Hand essen.«

»Einen solchen Ehegemahl mag ich nicht«, wiederholte Susanna und stand unmutig auf. Aber sie konnte es nicht unterlassen, dabei einen Blick zum Fenster hinaus zu tun nach dem Obristleutnant, der ihr den Salat aus der Hand essen sollte.

»Wer ist denn die dort unten?« rief sie zornig, »die schießt ja mit der Armbrust unserer gnädigen Kurfürstin.«

»Die böhmische Hexe«, rief Tilly ingrimmig. »Natürlich, sie hat wieder die schönsten Beutestücke. Aber schießen kann sie – beim heiligen Sebastian, das war ein Schuß! Sie hat den Sonnengott oben auf dem Ottheinrichsbau mitten auf die Nasenspitze getroffen.«

Aus dem Hofe erscholl das Beifallrufen der Offiziere.

Susanna sah zum Fenster hinaus und sagte: »Das kann ich auch.«

»Ihr?« rief Tilly verwundert. »Das will ich sehen. Page!«

»Ihr braucht ihm nicht zu rufen«, sagte Susanna, »hier im Zimmer ist ein Armbrustschrank.«

Sie eilte in den Winkel.

»Wenn er offen ist – er ist aufgebrochen! Und all die schönen Armbrüste mit Silber und Elfenbein sind weg – da ist noch eine, eine alte, starke. Die kenne ich; ich habe zweimal mit ihr geschossen, als ich das letztenmal mit den Hoffräulein der Kurfürstin in diesen Gemächern fröhlich war. Und hier sind auch die Bolzen, stumpfe und scharfe.«

Sie blieb eine Weile im Schatten und trat dann mit gespannter Armbrust und eingelegtem Pfeil hervor.

Der Zerstörer ihrer Heimat, der Räuber ihrer geliebten Bibliothek, der gefährlichste Feind ihrer angebeteten Herrin stand wehrlos vor ihr. In Susannas Kopf siedete es, und die Armbrust zitterte in ihrer Rechten. Tilly hatte dem Fenster den Rücken gedreht, der Latz seines seidenen Wamses stand offen, vorn, mitten in der Brust. Gerade auf den dunkeln Schatten zwischen den beiden Rändern war die tödliche Waffe gerichtet. Susannas Augen aber durchbohrten das Dunkel, in dem Antlitz ihres Feindes zu lesen. Sie sah, wie Tilly leise zusammenzuckte und sich etwas entfärbte. Dann aber legte er langsam die Arme auf dem Rücken zusammen und stand unbeweglich, das Auge fest auf die Jungfrau gerichtet. So lange als man braucht, um zweimal den Finger zu krümmen, standen sich die beiden so gegenüber und hielten sich mit den Augen. Dann stieß Susanna einen unverständlichen Laut aus, eilte an Tilly vorüber, stand im Fenster, zielte und drückte los.

Tilly hatte sich blitzschnell umgewandt und stand dicht hinter ihr.

»Ihr schießt gut«, sagte er trocken, »aber nicht so gut wie die böhmische Hexe. Ihr wäret dem Ziel halb so nahe und habt nur die Krone getroffen.«

»Ich zitterte«, erwiderte Susanna. Ihre Stimme war tonlos.

Tilly nickte bedächtig. »Diese Armbrust ist sehr stark, und Ihr nähmet einen scharfen Pfeil: eine Zacke von der steinernen Krone des Sonnengottes ist abgebrochen und in den Hof gefallen.«

Susanna schaute nach dem Bildnis hinauf und atmete schwer.

Da faßte sie Tilly mit eisernem Griff um das Handgelenk und flüsterte: »Ihr habt vorhin an das graue Haupt Eures Vaters gedacht.«

Susanna schüttelte den Kopf.

»An den ewigen Richter?«

Ein unmerkliches Kopfschütteln.

»An die Rache meiner Soldaten?«

»O nein!«

»Warum habt Ihr's nicht getan?«

»Ich sah, daß Ihr meine Gedanken errietet und Euch doch nicht fürchtetet; da konnte ich nicht.«

Tilly ließ ihre Hand los, fuhr ihr liebkosend über das blonde Haar und sagte: »Du bist ein braver Feind. Du sollst meine Frau Obristleutnant werden. Die Kutsche des Markgrafen von Baden schenke ich dir zur Aussteuer, und sechs Beutepferde von Wimpfen – sonst habe ich nichts zu verschenken. Das schönste silberne Tafelgeschirr sollt Ihr Euch aussuchen hier auf dem Schloß. Was wollt Ihr? Es ist Kriegsbeute.«

Susanna hatte sich beleidigt abgewandt. »Ihr verwechselt mich mit der böhmischen Hexe. Befehlt Ihr sonst noch etwas?«

»Ihr seid töricht, Susanna«, sagte Tilly und gebot ihr mit der Hand, zu verweilen. »Ihr versteht den Kriegsgebrauch nicht. Den müssen heutzutage auch die Frauen lernen. Wenn Euch die Fortun entgegenspringt als ein aufgezäumtes Roß, hurtig, schwingt Euch in den Sattel.«

»Solchen Gebrauch versteht die böhmische Hexe«, erwiderte Susanna. »Erlaubt, daß ich gehe; ich bin doch frei?«

»Mißkennt mich nicht, Susanna«, rief Tilly und streckte ihr treuherzig die Hand hin. »Ihr seid Herrin Eures Willens. Repressalien gebrauche ich gegen Frauen nicht. Ihr habt Bedenkzeit bis morgen mittag um zwölf Uhr.«

»Ich brauche keine.«

»Nehmt sie immerhin und vergesset nicht: für Eure böse Absicht seid Ihr mir eine gute Tat schuldig. Und es ist eine gute Tat, dem alten General seinen Obristleutnant zu retten. Gott mit Euch, Susanna.«


Als Susanna aus dem Torgewölbe in den Schloßhof hinaufstieg, sah sie gerade, wie ein halb männisch gekleidetes Weib sich in den Sattel eines prächtig geschirrten Rappen schwang. Ein Page hielt das Roß. Auf einem Fuchs, der ungeduldig in die Stange biß, saß der Obristleutnant und wartete auf die Reiterin.

Susanna schaute den Kavalier an und mußte gestehen, daß sie selten einen so ritterlichen Mann gesehen habe. Dann betrachtete sie das Weib, das langsam dem Torturm zuritt, und sie erstaunte über seine Schönheit, die ihr fremdartig, aber hinreißend erschien. Alles, was sie sonst unmutig gemacht hätte: daß das Weib in Mannesweise im Sattel saß, die gelben Reiterhosen unter dem kurzen roten Röckchen und der weiße Kavaliershut auf den wallenden schwarzen Locken – das alles wurde zwar von Susanna bemerkt, aber vergessen unter dem Eindruck, den die berückende Schönheit des Weibes auf sie machte.

Das ist die böhmische Hexe!

Susannas Augen mochten die Bewunderung deutlich genug aussprechen. Es begegnete ihnen ein freundlicher Blick aus den großen funkelnden Sternen, dann zog die Fremde ihren Hut und verbeugte sich vor Susanna, wie sich ein Kavalier vor einer vornehmen Dame verbeugt. Auch der Obristleutnant grüßte ehrerbietig.

In diesem Augenblick erscholl Tillys scharfe Stimme:

»Obristleutnant!«

Der Gerufene richtete sich auf und schaute grüßend nach dem Fenster. Der General mußte ihm gewinkt haben. Mit einem Fluch stieg der Offizier vom Pferde, warf den Zügel einem Jungen in die Hände und eilte auf den Friedrichsbau zu. Er ging unter den Augen Tillys, aber doch konnte er sich nicht enthalten, so nahe an der Reiterin vorüberzugehen, daß sie aneinander streiften. Susanna schaute zurück und ward Zeugin der Blicke, die die zwei tauschten.

Er ist verliebt in die böhmische Hexe bis über die Ohren, dachte Susanna, und sie möchte gern Frau Obristleutnant werden. Mit der kämpfe ich um keinen Mann.

Während Susanna die Treppe im Hause des Königs Ruprecht, worinnen sie wohnte, sinnend emporstieg, rief die Reiterin ihren Pagen herbei, gab ihm den Zügel und stieg ab. Dann fragte sie einen einheimischen Jungen, der Wasser holte: »Ist ein Apotheker oben auf dem Schlosse?«

»Ja, in dem hinteren Turm hinter dem Ludwigsbau wohnt ein Apotheker.«

»Ist er alt oder jung?«

»Jung. In die Zwanzig.«

»Ist er hübsch? Doch das verstehst du nicht.«

»Die Jungfer Susanna hält ihn für hübsch«, rief lachend der Junge.

»War die Dame, die vorhin über den Hof ging, die Jungfer Susanna?«

»Ja, das war sie, des neuen Bibliothekarius Tochter.«

»Stelle dein Wasser hier ab. Verschütte nichts, du Tolpatsch. So, und jetzt führe mich zum Apotheker. Ist er verheiratet?«

»Nein«, lachte der Junge, wie wenn sie das Sonderbarste von der Welt gefragt hätte.

»Wer ist bei ihm?«

»Ein alter, halbblinder Stößer, sonst niemand.«

»Gut. Zum Apotheker.«

Der kurfürstliche Apotheker Hiob Cyriakus erschrak nicht wenig, als er ein Paar Sporen die Wendeltreppe heraufklirren hörte. Er war zwar bis jetzt bei solchen Besuchen immer noch so glimpflich davongekommen. Gleich nach der Besetzung des Schlosses waren zwei Reiter hereingestürmt, aber als sie an dem Geruch und an den Büchsen, die auf den Wandbrettern standen, merkten, wo sie waren, waren sie mit einem Pfui Teufel! wieder zur Tür hinausgelaufen. Dann war, von einem Schloßjungen geleitet, ein Kroat gekommen und hatte in wunderlichem Kauderwelsch etwas zum Purgieren für sein Roß begehrt. Den dritten Besuch hatte ihm ein Korporal vom Fußvolk abgestattet; der hatte geklagt, daß ihm von einer übeln Krankheit die Haare ausgegangen seien, und eine Salbe verlangt, von der sie wieder wüchsen. Als er die Salbe erhalten hatte, hatte er die Sturmhaube vom Kopf gehoben, seinen abscheulichen Schädel gewiesen und begehrt, daß der Apotheker ihm auch gleich die Salbe aufschmiere. Nachdem Hiob Cyriakus dieses besorgt hatte, hatte er ein rundes leinenes Tüchlein obendrauf gelegt, die Sturmhaube darübergestülpt und den Patienten entlassen, herzlich froh, daß ihn bei einem solchen Geschäft seine Susanna nicht überrascht hatte. Dann war er in sein Laboratorium gegangen und wusch sich eben die Hände, rieb sie mit Zitronenkraut ein und wusch sie wieder, da hörte er das Sporenklirren draußen auf der Treppe, trocknete sich rasch die Finger ab und ging klopfenden Herzens in die Apotheke hinüber.

Der Gast war schon eingetreten, und Hiob Cyriakus begab sich flugs hinter den hohen Tisch, wo seine Person am sichersten war und er die kostbarsten Büchsen nah genug zur Hand hatte, sie vor Zerstörung zu hüten. Als er den Reiter anschaute, der vor ihm stand, verwunderte er sich über die Maßen: er wußte nicht, ob es ein Mann oder ein Weib sei. Der Gast sah ihn lachend an und sagte: »Ihr seid der junge, hübsche Apotheker, der die Jungfer Susanna so gern hat? Machet doch dort das Fenster auf, damit wir einander besser betrachten können.«

Das Morgenlicht strömte in das dunkle Turmzimmer, die goldenen Münzen, die in Libuschkas Locken geflochten waren, glitzerten, und ihre roten Wangen leuchteten. Die beiden jungen Leute schauten sich wohlgefällig an.

»Erlaubt, daß ich mich setze«, sagte Libuschka. »Ich bin mein Tag noch nicht soviel Treppen gestiegen wie in diesem verwünschten Schloß.«

Sie setzte sich, schlug die Beine übereinander und sagte: »Warum seid Ihr denn kein Reiter? Da steckt Ihr in Eurer Höhle wie eine Nachteule, und draußen ist Sommer und Krieg! Kommt zu uns, ich gebe Euch ein Pferd! Wir wollen gute Freunde sein.«

Hiob Cyriakus errötete und sagte mit gepreßter Stimme: »Es muß auch Apotheker geben.«

»Aber warum müßt Ihr einer sein?« rief Libuschka und lachte. »Doch ist es gut, daß Ihr einer seid, denn deshalb komme ich zu Euch. – Wo ist Euer halbblinder Stößer?«

»Er ist nicht da«, stammelte Siob.

»Machet dort die Tür zu; ganz zu. So.

Ihr sollt mich das Geheimnis lehren, Gold zu machen. Ich habe genug von dem Zeug, aber ich brauche auch viel. Ich kann nicht genug Gold haben.«

Ihre Augen funkelten.

»Das Geheimnis kenne ich nicht«, sagte Hiob, »und es gibt keinen Menschen, der es kennt.«

»Macht mir nichts weis! Ihr kennt es wohl, aber wollt es mir nicht sagen. Gebt mir's, es soll Euch nicht gereuen.«

»Hätte ich's. Euch gäbe ich's gern. Aber wäre ich hier und sähe es hier so aus, wenn ich Gold machen könnte?«

»Ihr seid fromm und wollt die fromme Susanna heiraten«, sagte Libuschka, »darum gebt Ihr Euch nicht damit ab. Aber meine Seele steht im Spiel, soweit ich zurückdenke, ja ich glaube, der Teufel hat sie von Anfang an gehabt, denn unschuldig bin ich nie gewesen. Da kommt's auf eins hinaus. Also sagt mir Euer Geheimnis. Ich gebe Euch, was ich kann.«

»Wenn ich das Geheimnis hätte, so wäre es Euer. Aber kein Mensch hat es. Mein Lehrmeister war hochberühmt in studiis chimicis; der hat gesagt –«

»Ach was, Euer Lehrmeister hat Euch auch gesagt, es gäbe keinen Menschen, der einen anderen fest machen kann. Aber schaut mich an« – Libuschka sprang vom Stuhl –, »ich bin fest. Meine Kostfrau in Bragoditz hat mich fest gemacht gegen Hieb und Stich und Kugel. Fragt die Soldaten, wie ich auf dem Wimpfener Feld in das letzte Regiment Fußvolk, das standhielt, hineingeritten bin.«

Hiob Cyriakus schaute sein Gegenüber mit einem fragenden Blicke an, worinnen sich Neugier und Grauen mischten, dann sagte er: »Ich schwöre Euch bei Gott, ich kann nicht, was Ihr begehrt.«

»So habe ich noch einen anderen Wunsch.« Libuschka dämpfte ihre Stimme. »Ihr sollt mir einen Liebestrank brauen, der die Person, der ich ihn beibringe, so toll macht, daß sie alles vergißt über mich und nichts begehrt auf Erden und im Himmel als nur mich allein.«

»Dergleichen Sachen gibt es«, sagte der Apotheker bedächtig. »Ich kenne sie nicht und habe mich noch nie mit solchen abgegeben, denn diese Dinge streiten wider die Seele. Aber ich weiß ein Buch, ein gottloses Buch, da stehen sie drinnen. Es ist im Jahre 1589 in Neapolis gedruckt worden und handelt von den Geheimnissen der Natur.«

»Gut. So holt dieses Buch und braut den Trank, jetzt sogleich.«

»Ich habe das Buch nicht eigen. Ich habe es nur gesehen und in der Hand gehabt und darin geblättert.«

»Ist das Buch hier in Heidelberg?«

»Ja. Und es stehen Rezepte drinnen, um Männer und um Frauen zu bezaubern. Wenn ich Euch so anschaue, weiß ich nicht, auf welches Geschlecht Ihr es abgesehen habt. Kleidung und Gebaren sind eines Mannes, aber Euer Antlitz ist das holdeste Frauenantlitz, das ich gesehen habe.«

»Ich wollte, ich wäre ein Kerl, aber Gott weiß, ich bin ein Weib.«

»Warum aber geht Ihr nicht wie die Frauen?«

Libuschka nahm den breiten Hut von ihrem Lockenkopf und betrachtete die schneeweiße Reiherfeder.

»Weil ich, weil ich über alles gern schöne Federn auf dem Hut habe. Eine Dame, die sich nicht wie ein anderer Reiter mit einem Mannsbild zu Pferde herumschlagen kann, soll auch keine Plumage auf dem Hute tragen. Seht, darum gehe ich wie ein Reiter und reite wie ein Mann.«

Hiob Cyriakus schaute voll Bewunderung in das strahlend schöne Antlitz; dann sagte er:

»Wozu braucht Ihr einen Liebeszauber vom Apotheker, den habt Ihr in Euern Augen.«

»Ach«, sagte Libuschka, »an Liebhabern, wie ich sie wünsche, hat mir's noch nie gefehlt. Der Bärenhäuter, den ich meine, will mich freilich haben, aber daneben noch das Wohlgefallen seines Pflegevaters, der mich lieb hat wie den Teufel. Darum möchte er sich heimlich meiner freuen. Aber diesmal will ich nicht heimlich, ich will ehrbar sein und heiraten. Ich bin nämlich Wittib.«

»Ihr eine Wittib?« rief Hiob verwundert.

»Die sieht wohl anders aus bei euch, ihr braven Pfälzer! Aber so geht's im Feld! Mein Seliger war Hauptmann und ist im Treffen bei Mingolsheim geblieben. Der Alte sagte, ich hätte meinem Mann bei der Okkasion eine Kugel geschenkt. Aber da tut er mir unrecht. Ja, hätte er mich mit seiner tollen Eifersucht an jenem Morgen geärgert wie acht Tage vorher, dann hätte ich's wohl getan. Das aber war damals vergessen. – Ihr könnt mich immerhin Frau Hauptmann nennen. Im Lager heißt man mich Furore.«

»Furore, das glaube ich.« »Das könnt Ihr gar nicht wissen. Nun aber möcht' ich gern Frau Obristleutnant heißen. – Schaut, wie ich Euch beichte! Die Kirche ist für mich kein sauberer Ort zum Beichten. Aber in einer Apotheke habe ich noch nichts angestellt, und einem hübschen jungen Apotheker beicht' ich lieber als einem alten Pater. Also ich möchte gern Frau Obristleutnant werden.«

»Ist denn das etwas so Schönes?«

»Ja, es ist schön, die Oberste zu sein unter allen Offiziersfrauen und ihren Haß und ihren Neid mit Hochmut zu vergelten. Am meisten Geld habe ich schon, und die besten Pferde und den reichsten Staat; die Schönste bin ich auch. Nun aber will ich auch die Oberste sein.«

»Will denn der Obristleutnant nicht?«

»Ach, mich will er schon, aber den Trauring will er nicht, halb aus Scheu vor dem Alten, den Tilly meine ich, und ich glaube halb aus Furcht vor mir, weil mein Rittmeister und mein Hauptmann so früh ins Gras gebissen haben.«

»Warum kann Euch denn der Tilly nicht leiden?«

»Weil er überhaupt keine irdische Frau leiden mag. Ich glaube nicht, daß er eine Mutter gehabt hat. Keine Frauenhand hat seine Haut gestreichelt. Drum ist sie auch so gelb und so borstig. Er hat nur einen einzigen Menschen lieb, das ist sein Obristleutnant. Wenn der Bärenhäuter nur halb so viel Mannsbild wäre wie ich, so ginge er zum General und sagte: Die Furore will ich und keine andere. Er bekäme den Konsens, denn der Alte kann ihm nichts abschlagen. Aber der Schelm will nicht.«

»Er fürchtet vielleicht, daß es ihm so ginge wie dem Hauptmann.«

»So glaubt Ihr das auch mit der Kugel?«

»Das meine ich nicht, sondern das mit der Eifersucht.«

Libuschka atmete und reckte die Glieder wie ein schönes Raubtier, dem es wohl ist.

»Was kann ich dafür, daß ich so bin? Wer heißt sie rebellisch werden, wenn ich durchs Lager gehe, so wie die Hunde im Stadtquartier rebellisch werden, wenn eine glatte Hündin durchläuft? Glaubt mir, der Tilly hätte mich schon lange aus der Armee gewiesen, aber er fürchtet, daß alle ledigen Offiziere hinter mir her zögen, und ich führte sie dann wie am Leitseil wohin ich wollte, zum Halberstädter oder zum Mansfelder oder gar zum Bethlen Gabor.«

»Ihr seid ein unheimliches Weib«, sagte Hiob Cyriakus, und seine Augen leuchteten, »Ihr seid die Frau Venus selber.«

»Wäre ich das, braucht ich dann des Zaubers? Ach nein, ich bin eine arme Wittib und möchte Frau Obristleutnant werden. Ihr sollt mir dazu helfen durch den Trank. Schaffet das Buch bei! Wo ist es denn?«

»Es ist in der großen Kirche am Marktplatz, in der Heiliggeistkirche.«

»Wie kommt denn das gottlose Buch an den frommen Ort?«

»Es gehört zu der großen Bücherei, die auf den hohen Emporen in der Kirche aufgestellt ist.«

»Und die der Alte dem Papst geschenkt hat? Eure Susanne ist ja des Bibliothekarius Tochter. Da habt Ihr den schönsten Zugang.«

»Aber der General hat verkünden lassen, daß der gehenkt wird, der sich an des Papstes Eigentum vergreift.«

»Wer sich vor dem Galgen fürchtet, wenn der Weg zu mir daran vorbeiführt: der ist meiner Liebe nicht wert.«

Die letzten Worte hatte sie mit leiser Stimme in den Sonnenschein geflüstert, der zum Fenster hereinflutete. Sie stülpte den Hut mit der wallenden Feder auf die Locken, warf dem armen Hiob Cyriakus einen verheißungsvollen Blick zu, und mit den Worten: »Morgen mittag um zwölf Uhr hole ich den Trank«, verließ sie sporenklirrend das Gemach.


»Der Bibliothekarius und seine Tochter haben Zutritt«, sagte der Pikenier und trat zur Seite.

»Ach, nicht der Bibliothekarius, nur sein unwürdiges und unglückliches Substitut, ich bin der Kustos; er selbsten, der Bibliothekarius, hat sich beizeiten salvieret.« So seufzte der Alte und trat in das Turmpförtchen. Susanna blieb vor dem Kriegsmann stehen und sagte: »Wenn der Schloßapotheker Hiob Cyriakus Einlaß begehrt, so geschieht es mit meinem Willen. Lasset ihn hinein.« Dann folgte sie ihrem Vater nach.

Die Morgensonne schien hell durch die Chorfenster und malte ihre runden und eckigen Lichter in das dunkle Gestühl des Schiffes und auf die Flanken der Pfeiler. Ein Vöglein huschte unter dem Gewölbe hin. Oben im Turmkämmerchen aber saß Susannens Vater und schrieb an dem verlangten Bücherverzeichnis. Die Tür zu der Empore stand offen, und Susanna, die den Bücherbestand mit dem Verzeichnis verglich, rief dem Vater ihre Bemerkungen hinein. Tillys Sekretarius aber, ein finsterer Mann mit steinernen Zügen, versiegelte die Bücherschränke, deren Inhalt aufgenommen war. Es war eine trübselige Arbeit für Susanna. Wenn sie den Namen eines Buches rief, das ihr teuer war, oder einer Handschrift, deren Wert sie kannte, dann klang ihre Stimme wie erstickt, und wenn der Sekretarius wieder die Türen eines Schrankes schloß, stand sie hinter ihm, schaute, wie die Bücher verschwanden, und es liefen ihr die Tränen über die Wangen.

So arbeiteten die drei einige Stunden lang, ohne etwas anderes zu reden, als was zur Arbeit nötig war. Die Uhr hatte gerade neun geschlagen, da kam ein Soldat herauf und meldete dem Sekretarius, daß ein junger Mensch, ein Apotheker vom Schloß, unten an der Pforte sei und die Jungfrau zu sprechen wünsche. Auf einen Wink des Gestrengen eilte Susanna hinunter in das Schiff der Kirche. Nach einer Weile kam sie herauf und fragte den Sekretarius, ob sie einem Mann, den sie kenne, und für den ihr Vater bürge, eines der Bücher auf einige Stunden leihen dürfe. »Nein«, sagte der Sekretarius mit seiner krächzenden Stimme. Susanna biß sich auf die Lippen. Dann fragte sie, ob es dem Herrn, der das Buch wünsche, erlaubt sei, hier an Ort und Stelle unter den Augen des Sekretärs eine Stelle aus diesem Buche auszuziehen. »Nein«, lautete die Antwort; »der General hat jeglichen Gebrauch untersagt, und er fordert buchstäblichen Gehorsam.« Susanna verließ mit diesem Bescheide die Empore und kehrte sogleich wieder zurück; der Ausdruck ihres Gesichts zeugte von einer verdrießlichen Stimmung, wurde aber bald wieder verdrängt von der Traurigkeit, womit sie durch ihre Arbeit erfüllt wurde.

Um zehn Uhr wurde eine Arbeitspause gemacht. Der Kustos und Susanna gingen über die Straße zu einer befreundeten Familie, der Sekretarius eilte an der Marktlinde vorbei in den Hirschen. Als er nach einer halben Stunde wieder kam, warteten seiner Susanna und ihr Vater an der Pforte. Ehe der Sekretarius eintrat, fragte er den Pikenier, ob der Mann, der vorhin die Kirche betreten habe, auch wieder herausgekommen sei. Der Soldat hatte niemand ein- und ausgehen sehen, er war gerade erst auf seinen Posten gekommen. Der Sekretarius befahl, alle Ausgänge wohl zu bewachen und den Kirchendiener bereit zu halten. Als er mit den beiden anderen im Turme stand, vor der Tür zu der Empore, auf der sie gearbeitet hatten, fragte er, ob außer dem Schlüssel, den er mitgenommen hatte und mit dem er die Tür aufschloß, noch ein weiterer Schlüssel zu den Räumen der Bibliothek vorhanden sei. Der Kustos antwortete, daß an einem geheimen Platz im Gestühl des Schiffs noch je ein zweiter Schlüssel zu jeder der beiden Emporen hinge, unauffindbar für jeden, der das Versteck nicht kenne. Der Sekretarius zog den Schlüssel aus dem Loche, ehe er ihn umgedreht hatte, steckte ihn in die Tasche und fragte: »Ist das Versteck dem jungen Manne bekannt, der vorhin da war?« »Zweifellos«, erwiderte Susanna unbefangen; »denn er war oft dabei, wie ich den Schlüssel an seinen Ort brachte.«

»Wir wollen die Schlüssel holen«, sagte der Sekretarius und ging voraus die Treppe hinab. Als sie unten im Schiff angekommen waren, befahl er, ihn zu dem Versteck zu führen. Susanna ging voraus. Sie schlüpften durch die Bänke bis an den finsteren Winkel nächst der Tür, die auf den Fischmarkt geht. Susanna bückte sich und griff unter das Sitzbrett der Bank. »Da ist nur einer!« rief sie erschrocken und reichte den Schlüssel dem Sekretarius, der hinter ihr hockte und unter das Brett spähte. Dann suchte und suchte sie, stand endlich auf und sagte, ihren Vater ansehend: »Er ist nicht da.« Nun suchte auch dieser, ohne den vermißten Schlüssel zu finden. Endlich ließ sich auch der Sekretarius die Hand nach dem Nagel führen und tastete auf dem Boden und in dem Winkel umher. Dann stand er auf und fragte, welcher von den beiden Schlüsseln fehle.

Susanna schaute den vorgefundenen an und erwiderte: »Der Schlüssel zu der Empore, auf der wir gerade arbeiten.«

»Auf welcher Empore ist das Buch, das vorhin begehrt wurde?« inquirierte der Sekretarius weiter.

»Auf derselben!« rief Susanna, jetzt erst erschrocken.

»Weiß das der Mann, der das Buch hat haben wollen?«

»Er muß es wohl wissen«, sagte Susanna, die todesblaß geworden war, »denn er hat es oft in der Hand gehabt.«

»Dann wird wohl auch das Buch fehlen«, sagte der Sekretarius scharf. »Was war es doch für ein Buch?«

»A Portis, de arcanis naturae«, antwortete Susanna bekümmert, »ein kleines Büchlein, das wenig Wert hat.«

Sie stiegen nun wieder die Treppe hinauf, der Sekretär öffnete die Tür und befahl dem Kustos, das Buch zu holen. Dieser ging an einen der offenstehenden Schränke, griff an ein bestimmtes Fach und sagte: »Hier muß es sein!« Dann nahm er eins der Bücher nach dem anderen in die Hand, stellte es wieder an seinen Platz, und als er am Ende der Reihe angelangt war, sagte er betroffen: »Es ist nicht hier.« Nun trat Susanna an den Schrank, und nach einer kurzen Überschau legte sie den Finger zwischen zwei Bücher und sagte: »Hier hat es gestanden; es ist nimmer da.«

Der Sekretär rief jetzt einen der wachehaltenden Soldaten und befahl, den Korporal herbeizurufen. Als dieser gekommen war, trug ihm der Sekretarius auf, alle Ausgänge doppelt zu besetzen, den Kirchendiener herbeizuschaffen und sich mit sechs Soldaten wieder einzustellen. Solches alles geschah. Dann wurde unter Führung des Glöckners die Kirche durchstöbert, von unten an bis in die Höhe hinauf. Der Kustos und Susanna warteten unten im Schiff in großer Bekümmernis. Da hörten sie ein Getümmel, das den Turm herunterkam. »Wir haben ihn!« rief der Sekretarius, »er hat das Büchlein in der Tasche gehabt.« Dann tat sich das Pförtchen auf, das aus dem Turm in das Schiff führt, und der arme Apotheker wurde hereingestoßen. Man hatte ihn droben im Glockengebälk aufgefunden. Er hatte sich dort versteckt in der Hoffnung, um elf Uhr mit den Läutern aus der Kirche entweichen zu können.

Hiob Cyriakus bot einen Anblick zum Erbarmen dar. Die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden, vom Rock hingen die Fetzen herab, die Hosen waren am Schenkel zerschnitten, und aus einer Wunde, die ihm ein Nagel am Bein verursacht hatte, als die Pikeniere den Widerstrebenden an den Beinen heruntergezogen hatten, sickerte Blut. Er hielt den Kopf gesenkt wie ein Missetäter, und als Susanna gerufen hatte: »Was hast du getan!« da antwortete er ihr nur durch einen scheuen Blick, und dann senkte er wieder sein Haupt. »Was hast du mit dem Buche gewollt? Wozu hast du es gestohlen?« fragte ihn Susanna unter Tränen des Ingrimms und des Mitleids. Er schüttelte den Kopf, wich ihren Augen aus und gab keine Antwort.

»Was wird mit ihm geschehen?« fragte der Kustos den Sekretarius. »Er wird aufgehängt werden an seinen allerbesten Hals«, antwortete der Schreiber. »Wenn es elf Uhr läutet, hält der General Gericht auf dem Marktplatz über ein paar Soldaten, die sich vergangen haben. Ist er mit diesen fertig, so wird dem Bücherdieb der Prozeß gemacht, und der ist im Felde kurz.«


Als er noch so redete, läutete die Mittagsglocke, und Hiob Cyriakus wurde auf die Straße geführt. Diese stand voller Soldaten, die eifrig miteinander redeten. Die Pikeniere schafften Platz mit ihren langen Spießen, und der Bücherdieb wurde auf den Marktplatz geführt. Der Kustos und Susanna gingen hinterher. Da aber dem Alten infolge seines Schreckens und vor Angst die Knie schlotterten, daß man es sah, erlaubte ihm der gutherzige Korporal, sich in eine der Marktbuden zu setzen, die in das Gemäuer der Heiliggeistkirche eingelassen sind.

Unter der Linde stand der Feldherr mit dem Profoß und dessen Knechten, in weitem Ring die Offiziere, und beim Marktbrunnen in einer anmutigen Gruppe die Offiziersfrauen, alle jung und hübsch und alle reich gekleidet; die schönste unter ihnen aber war die Hauptmannswitwe, die Frau Obristleutnant werden wollte. Sie war diesmal wie die anderen gewandet, nur daß sie einen Kavaliershut auf dem Kopfe trug. Sie stand etwas hinter den anderen und stützte sich auf die Armbrust der Kurfürstin, die ihr von allen Beutestücken aus dem eroberten Heidelberg das liebste sein mochte.

Der Apotheker wurde von dem Korporal zu den anderen Missetätern geschoben, die dem Feldherrn gegenüber auf dem Pflaster standen. Der Sekretär und Susanna wurden zu einem Haufen unterschiedlicher Leute gestellt, die Zeugnis abgeben sollten.

Zuerst wurde ein Dirnlein vorgeführt. Als Zeugin wider sie trat eine Frau Rittmeister aus dem Haufen. Die Dirne war ihre Magd gewesen und hatte ihrer Frau eine goldene Kette gestohlen. Die Kette hatte sie ihrem Liebhaber, einem Musketier, geschenkt. Nachdem der Soldat hatte zugeben müssen, daß ihm die Dirne die Kette geschenkt habe, half ihr das Leugnen nichts mehr. Sie fing an zu heulen und flehte um Gnade. Der Feldherr entschied, daß sie mit Ruten aus dem Lager gehauen werde. Dann fragte er den Soldaten, was er für Beute gemacht habe. »Nicht sonderlich viel«, sagte der und zog ein Paar goldene Ohrringe aus der Tasche. Die habe er einem toten Kinde, das er in einem brennenden Haus der Vorstadt in dem Gange gefunden, aus den Ohren gezogen. Da wurde das Gesicht des Feldherrn finster, und er sagte: »Wer nicht Kerl genug ist, bei erstürmter Stadt andere Beute zu machen als von toten Kindern und von verstohlenen Säcken, ist nicht wert, eine Muskete zu tragen. Du dienst von heute an bei den Pikenieren.« Der Soldat hängte den Kopf, ein Beifallsmurmeln ging durch die umstehende Soldateska. Schadenfroh schauten die geplagten Spießknechte auf ihren neuen Kameraden.

Dann wurde ein Kroat vorgeführt, bei dem man durch Verrat seines Jungen einen Abendmahlskelch gefunden hatte. Den hatte er aus der Peterskirche geraubt, nachdem er den Sakristan, der ihm den Eingang hatte wehren wollen, erschlagen hatte. Der Obrist der Kroaten wurde vorgerufen und bezeugte, am Tage vor dem Generalsturm sei männiglich im Regiment bekanntgegeben worden, daß alles Kirchengut der Stadt der Jungfrau Maria geweiht und darum unantastbares Eigentum der heiligen katholischen Kirche sei. Nachdem durch andere Zeugen festgestellt worden war, daß der Dieb von diesem Befehl Kenntnis gehabt hatte, entschied der Feldherr: »Hängt ihn; der Junge, der ihn verraten hat, soll seinem Herrn am Galgen Gesellschaft leisten, hängt ihn auch.« Die beiden wurden abgeführt, der Kroat war still und griff nach seinem Rosenkranz, der Junge erhob ein entsetzliches Geheul. Die Soldaten aber riefen Beifall. Der nächste war ein Reiter aus dem wallonischen Regiment. Das war Tillys Lieblingsregiment. Er hatte darin gedient vom Kornett an und hatte es in Ungarn als Oberst geführt. Es war sein Regiment, und er kannte darin jeden Mann. »Du bist Jean Thierry aus Arlon, mein Landsmann. Was hast du getan, mein Sohn?« – »Ich habe nichts Böses getan, mein General«, sagte der Soldat. – Tilly schaute den Obersten seines Regiments fragend an. Der trat hervor und berichtete, daß der Reiter in einem Hause am Marktplatz einen großen eisernen Topf voll unterschiedlicher Goldmünzen erbeutet und das Geld in einer Nacht bis auf den letzten Heller verspielt habe. »Ist dem also?« fragte der Feldherr. »Ja«, erwiderte gesenkten Hauptes der Reiter. »Wieviel Geld ist es gewesen?« – »Bis zu zehntausend Goldstücken habe ich gezählt, dann ward ich des Zählens müde. Es war viel mehr.« – »Das hast du alles verspielt?«– »Ja.«– »Und in einer einzigen Nacht?« – Darauf fällte der Feldherr diesen Spruch: »Du hättest an diesem Gelde genug gehabt und wie ein Herr davon leben können, wenn du dir's nur selber hättest gönnen wollen. Dieweil du dir aber selber nichts hast nutzen wollen, so sehe ich nicht ein, was du deinem Kriegsherrn wirst nutzen können. Du bist eine unnütze Last der Erde. Hängt ihn!«

Der Reiter ging wankend von dannen. Es war totenstill geworden in dem weiten Kreis. Auf den Gesichtern der Offiziere und der Soldaten war Entsetzen zu lesen. Der Feldherr aber verzog keine Miene und fragte: »Sind wir fertig?«

Nun kam Hiob Cyriakus an die Reihe. Der Apotheker stand vor seinem Richter wie ein elender Schlucker, im Unterschied zu den Soldaten, die vor und nach dem Spruche ihre Haltung bewahrt hatten. Der Sekretarius berichtete weitschweifig, was geschehen war. Tilly hörte schweigend zu, dann wandte er sich an Susanna und fragte sie: »Ist das der Apotheker oben auf dem Schloß, von dem Ihr mir gestern geredet habt?« Susanna schaute unter sich vor Scham und Unwillen, als sie die Frage bejahte.

»Warum habt Ihr das Buch gestohlen?«– Hiob Cyriakus zuckte zusammen und warf einen hilfeflehenden Blick zu Libuschka hinüber, die in die vorderste Reihe getreten war. – »Ich wollte es haben wegen eines Rezeptes.«

»Für wen und wozu war dieses Rezept bestimmt?«

Wieder warf der Angeklagte seiner Verführerin einen angstvollen Blick zu. Sie regte keine Miene.

»Es war zu einem Liebestrank«, sagte sie leise.

Nun traten alle, die in der Runde waren, näher. Susanna verfärbte sich und schaute den Apotheker mit großen Augen an.

»Wem hattet Ihr den Liebestrank zugedacht?«

»Er sollte nicht zu meinem Nutzen dienen.«

»Wer hat ihn bei Euch bestellt?«

»Dort die schöne Dame mit der Armbrust.«

Alle Augen wandten sich Libuschka zu. »Teufelsbrut!« murmelte Tilly in den Bart.

»Ja, es ist wahr, gnädiger Herr«, sagte jetzt die böhmische Hexe und trat gleichmütig vor den Feldherrn. »Gott hat mir die Gabe versagt, ewige Wittib zu bleiben. Einer von Euern Offizieren hat durch seine vortrefflichen Eigenschaften mein Herz überwunden. Da er aber meiner nicht begehrt, wegen meiner Unwürdigkeit, vielleicht auch aus Besorgnis, daß Eure Gnade von ihm weiche, habe ich ihn durch die geheimen Kräfte, die der Schöpfer in die Natur gelegt hat, zwingen wollen, nichts anderes zu meinen und zu minnen, als mich allein, so wie auch ich nichts anderes meine und minne, als ihn allein.«

Bei diesen Worten warf die Frau Hauptmännin dem Obristleutnant der Wallonen ihren allersüßesten Blick zu, so daß die jungen Offiziere seufzten vor Neid; einige schauten unter sich, um ihr Lächeln zu verbergen. Der Obristleutnant aber begegnete den Augen seiner Liebsten mit seinem feurigsten Blick, dann erhaschte er im raschen forschenden Vorüberstreichen die Miene des Feldherrn, die freilich ernst und düster genug war.

Tilly schaute den zitternden Missetäter an und sagte: »Ich sorge, daß ich Euch wegen teuflischer Kunst dem Gerichte des Landes übergeben muß.«

Der Apotheker wurde erdfahl. Susanna aber trat lebhaft vor und sagte: »Besorget das nicht, gnädiger Herr! Schaut Euch das Büchlein selber an. Es ist nichts darinnen von Zauberei, sondern nur von der Kunst, die Kräfte zu finden und nutzbar zu machen, die in den von Gott geschaffenen Steinen und Pflanzen, wie auch im Feuer und Wasser beschlossen sind. Es ist kein gottloses Teufelswerk, überzeuget Euch! Leset das Rezept, das er hat bereiten wollen.«

»Gebt mir das Buch!« befahl der Feldherr. Der Sekretarius reichte es ihm. »Wo steht das Rezept, Apotheker?« – »Ich kann es Euch nicht sagen, ich kann es nur selber finden.« – »Löst ihm die Hände!«

Als dies geschehen war, gab Tilly dem Apotheker das Büchlein. Der suchte eine Weile, dann reichte er es aufgeschlagen dem General zurück, und dieser las, indem er den lateinischen Text verdeutschte: »Welche Frau die Liebe eines Mannes gewinnen will, hole im letzten Neumond des August eine Zaunrübe, schabe die Wurzel und ...« Da bemerkte Tilly, wie die Frauen in atemloser Spannung aufhorchten. Er unterbrach sich, ließ seine buschigen Augen über die Zuhörerinnen schweifen und las den Rest für sich in der Stille. Dann gab er das Büchlein seinem Sekretär zurück und sagte: »Tut es an seinen Ort und sorget dafür, daß es in niemands Hände kommt, und schweiget über den Inhalt gegen jedes Frauenzimmer, es möchte sonst mein Kriegslager zu einem Hofe der Frau Venus werden.« Dann schaute er den Angeklagten an und fragte: »Was hat Euch denn bewogen, ein solcher Narr zu sein, daß Ihr für ein fremdes Weib, das Euch nichts angeht und das Ihr morgen nicht mehr sehen werdet, Euern Hals wagt?« Der Gefragte neigte den Kopf und schwieg. – »Hat sie Euch einen Lohn gegeben?« – Cyriakus schüttelte den Kopf.– »Hat sie Euch etwas versprochen?«– Der Apotheker schwieg.»– »Habt Ihr etwas von ihr erhofft?« – Dasselbe Schweigen.– »Vielleicht Gold?« – Cyriakus schüttelte wieder den Kopf. – »Vielleicht einen anderen Lohn?« – Er ließ den Kopf bis auf die Brust sinken und schwieg.

»Hat vielleicht die Frau Hauptmännin etwas hierzu zu sagen?« fragte der Feldherr mit schneidender Stimme. Auch Libuschka neigte das Haupt, und ein anmutiges Rot verschönte ihre Wangen. Dann hob sie den Blick zu dem Feldherrn und sagte: »Nur eine Viertelstunde war ich bei ihm, und da haben wir uns nur mit den Augen berührt. Versprochen habe ich ihm nichts. Wohl aber habe ich ihm gesagt: Wer um Frauengunst wirbt, darf auch den Galgen nicht fürchten. Was ich gesagt habe, das ist auch wahr; das werden mir die Damen alle bezeugen.« Ein Murmeln der Zustimmung kam von den Frauen her. Tilly aber wandte sich zu der Sprecherin und sagte, häufig absetzend, wie in Verlegenheit der Worte: »Die Frau Hauptmann!« wolle es nicht ungütig aufnehmen, wenn ich als der Generalissimus der Armada meine Offiziere vor der Wirkung Eurer Augen und Eurer Worte bewahren möchte. Heute habt Ihr einen armen Mauskopf an den Galgen gebracht, morgen bringt Ihr einen wackern Kriegsmann in Schande und Elend. Ihr seid reich und könnt herrlich leben, wo Ihr wollt. Nennt mir die Stadt, die Euch am besten gefällt, so gebe ich Euch ein Konvoi, Euch und Eure Habe dahin zu verbringen.«

Da erglühten Libuschkas Wangen, und ihre Augen funkelten. »Keine Stadt in der Welt gefällt mir besser als das glorreiche Kriegslager des ewig siegreichen Generals Tilly. Meint Ihr, ich sei des Schalls Eurer Trommeln und Pfeifen und Euers groben Geschützes satt? Das Herz hüpft mir im Leibe, wenn ich solches höre.«

Die Stimme versagte ihr vor innerer Bewegung. Die Offiziere riefen Beifall, und ein grauer Obrist trat vor und sagte: »Der General kennt mich und weiß, daß mir die Ehre der Armada über das Leben geht. Die Libuschka soll im Lager bleiben. Ein solches Weib ist mehr wert als die Erinnerung an einen großen Sieg. Sind die Musketiere noch so müde, so werden sie wieder lustig, wenn die Furore vorbeireitet, und wenn sie den Reitern zuruft: Wer geht mit, brav Beute zu machen? so sind sie hinter der böhmischen Hexe her wie das Wetter hinter dem Sturm. Ist die Furore nimmer bei uns, so ist auch die Viktoria nimmer bei uns.«

Der Obrist trat zurück, die Offiziere schlugen an ihre Schwerter und riefen: »So ist es!« Da huschte es wie Sonnenschein über das verwitterte Gesicht des alten Tilly, und zum erstenmal warf er der Libuschka einen freundlichen Blick zu. Dann suchten seine Augen die schöne Susanna und schauten sie schier triumphierend an. »Seht Ihr, edle Jungfrau«, rief er ihr zu. »Ist es nicht besser bei den Soldaten als bei den Quacksalbern? Schaut, wie der Graukopf für die Weiber eintritt! Was werden da erst die Jungen tun?« Dann sah er geringschätzig auf den Apotheker und sagte: »Der Dieb hat das Leben verwirkt. Hängt ihn.«

Der arme Mensch zuckte zusammen, und der Korporal faßte ihn an der Schulter, ihn umzudrehen und auf den Weg zu stoßen; aber auf einen Wink seines Obristen ließ er den Sünder stehen und schaute wartend auf den Feldherrn. Denn Susanna war vor diesen getreten. Sie schwieg eine Weile, bis Tillys Augen auf sie gefallen waren, dann hub sie an:

»Darf ich den General an ein Wort erinnern, das er mir gestern gesagt hat? Niemand wird es verstehen, darum wird unser Geheimnis verborgen bleiben.«

Tilly winkte Gewährung. Susanna fuhr fort:

»Ihr sagtet, ich wäre Euch für meine böse Absicht eine gute Tat schuldig. Lasset mich jetzt meine Schuld abtragen. Ein böses Werk zu hindern ist eine gute Tat. Ihr werdet mir's später danken, wenn zu dem unschuldigen Blut, das Euer Volk vergossen hat, nicht auch dieses Leben fällt. Euer Gewissen zu beschweren. Gebt ihn frei!«

Sie schwieg und schaute mit großen erwartungsvollen Augen den Feldherrn an. Sein Gesicht sah unbeweglich aus, aber er wandte keinen Blick von der schönen Sprecherin.

Da wich die Röte der Erregung aus ihren Wangen, sie wurde todesblaß, und in ihre Augen kam ein angstvoller Schein.

»Schaut ihn an«, sagte sie, und ihre Stimme zitterte. »Er ist noch viel jünger, als er Jahre zählt, auf seiner Oberlippe hat er so viel Haare wie ich, und in seinem Herzen ist noch alle Torheit der Jugend. Ihr seid nie jung gewesen und wisset nicht, wie furchtbar der Liebe ist. Sie hat den frommen König David, der doch so schöne Psalmen gesungen hat, zum Mörder gemacht. Ist es ein Wunder, daß sie aus diesem jungen Knaben, über den sie hereingebrochen ist wie der Wolf über das Lamm, ein Dieblein machte? Lasset es Euch von diesen Herren hier sagen, wie schön das Weib ist, das ihn betört hat. Ihr wisset es freilich nicht, denn niemals hat Schönheit Euer Herz gerührt.«

Ein eigentümliches Licht leuchtete auf in den tiefen Augen des Generals, und er griff mit der rechten Hand an die Brust, wo er das Bildnis seiner Patronin fühlte. Er winkte Susanna zu, weiter zu reden, wie wenn er sich nicht satt hören könne.

»Wenn er einem Menschen wehe getan hat, so bin ich dieser Mensch. Ich habe ihn gern gehabt, und ich dachte, es müsse ein schönes Ding sein, bei ihm in seinem Turme zu hausen. Als Ihr mir das Leben im Kriege prieset, da klopfte mir das Herz; aber ich dachte daran, daß ich ihm die Hand gedrückt habe, und als er mir die blaugrüne Farbe im Topf zeigte, meine Wange der seinen näher gebracht habe, als es not war. An das dachte ich und sagte: Nimmermehr! Wie aber war er gegen mich? Da blies der Wind zum Fenster herein, und sein Herz rollte der anderen in den Schoß. Jetzt ist es aus mit meiner Neigung zu ihm. Der Mann, der mich gewinnt, muß einem Falken gleichen und keinem Sperling. Aber er dauert mich in der Seele. Und Euch sollte er auch dauern. Was hat er Euch Böses getan? Er hat ein Büchlein stehlen wollen, von dem Euer Papst niemals wissen wird, ob er es habe oder nicht. Und das Büchlein ist ja zudem wieder da. Nicht böse sollt Ihr ihm sein, sondern dankbar, daß er Euch Gelegenheit gibt, der Welt zu zeigen: General Tilly hat kein steinernes Herz, und daß Ihr das selber erfahrt und selber glaubt. Auch mir hat er verholfen, mein Herz deutlicher zu erkennen. Gebt ihn frei, Herr!«

Jetzt hob Tilly sein Angesicht. Er schaute zum Kirchturm hinauf, wo gerade die Stunde schlug, und sagte:

»Susanna, es ist zwölf Uhr. Gebt mir zuerst Bescheid, dann gebe ich Euch Bescheid.«

Die Jungfrau trat einen Schritt zurück und sagte: »Ich will geworben und nicht verschenkt sein.«

Das bedeutet: »Nein?«

Susanna nickte.

»So höret auch meinen Bescheid. Nehmet Euer Nein zurück und gebt mir statt dessen Ja, so ist Eure Bitte gewährt. Ja reimt sich auf ja.«

Susanna schaute nieder und zog die Augenbrauen zusammen. Dann hob sie wieder die klare Stirn und sagte:

»Der gnädige Herr muß mir erlauben, ihn noch einmal an ein Wort zu erinnern, das er gesagt hat: ›Repressalien gebrauche ich gegen Frauen nicht.‹ So drückt mir nicht das Ja heraus! Lasset mich Herrin meines Willens bleiben.«

»Nun gut«, sagte Tilly. »Aber auch ich will Herr meines Willens bleiben. Ich will die Entscheidung legen nicht in Euer Herz – denn das ist gegen mich –, aber in Euer Auge und in Eure Hand. Ihr habt Euch gestern Euers Schießens mit der Armbrust gerühmt. Ich will Euch ein Ziel geben. Trefft Ihr, so ist der Apotheker frei, und Ihr seid aller Ansprüche ledig. Fehlet Ihr, so wird der Apotheker gehängt, und Ihr lasset Euch von mir vermählen. Seid Ihr dazu bereit?« »Ihr werdet das Ziel nicht zu schwer wählen«, sagte Susanna zögernd. »Nennt es!«

»Erst wenn Ihr schußbereit seid. Es wird lange nicht so schwer sein wie das, das Ihr gestern selber gewählt habt. Seid Ihr bereit?«

»Verzeiht, wenn ich Euer Wort schärfer fasse. Der Gatte, den Ihr mir gebet, ist kein anderer als der, den Ihr gestern mir genannt habt?«

»Kein anderer. Merkt auf, ihr Herren, und seid meine Zeugen. Ist das Ziel getroffen, so ist der Apotheker frei. Ist ein Fehlschuß getan, so wird die, die ihn verübt hat, von mir vermählt an den Herrn, den die Jungfrau und ich wissen; der Apotheker aber wird gehängt. So ist das Wort, das ich unabänderlich gebe, ich Freiherr Johann Czerclaes von Tilly, Generalleutnant der ligistischen Armada.«

»Wir sind Zeugen!« riefen die Offiziere. Aller Augen aber wandten sich dem Obristleutnant zu, der seinen Knebelbart strich und seine Augen zwischen Susanna und der böhmischen Hexe hin und her schweifen ließ.

Der General hob seine Augen zu dem Kirchendach und sagte: »Bringt der Jungfrau eine Waffe. Hat niemand eine zur Hand? Will nicht die Frau Hauptmännin die Ihre leihen?«

Libuschka tat, als ob sie nicht hörte, und Susanna entgegnete: »Ich kann mit keiner anderen Armbrust gut schießen als mit der meinen. Erlaubt, daß sie mir gebracht werde. Doch die haben mir ja Eure Soldaten geraubt. So lasset mir die dunkle, starke holen, mit der ich gestern geschossen habe. Sie steht in Eurer Wohnung, im letzten Gemach. Die Bolzen sind dabei. Er soll mir sechs scharfe mitbringen.«

Ein Soldat wurde auf das Schloß hinaufgeschickt, die Armbrust zu holen. Der General befahl, daß die Trommler und die Pfeifer in die Mitte träten und eins aufspielten. Die Trommler bildeten um die Pfeifer einen weiten Kreis, die Arme flogen in die Höhe, und die gewaltigen Schlegel sausten nieder auf das Kalbfell, und der Marktplatz war erfüllt von dem Gebrumm und Gedröhne der mächtigen Trommeln. Dazwischen gellten die Querpfeifen, und die Kerzen der jungen Kriegsknaben und der alten Grauköpfe wurden erbaut durch die mannhafte, feldfrohe Musik. Der Apotheker Hiob Cyriakus, in dessen Wangen die Hoffnung wieder etwas Blutfarbe getrieben hatte, spähte vergeblich nach einem Blick seiner Fürbitterin. Susanna und Libuschka schauten sich einander an voll Neugier und Bewunderung. Libuschka lächelte der Jungfrau zu und nickte ihr einen Gruß. Susanna wandte langsam das Haupt hinweg. Der Obristleutnant aber war umdrängt von einer Schar junger Offiziere, die wünschten ihm Glück, daß er mit zwei so ausnehmend schönen Frauen im Spiele sei. Dabei zwinkerten sie sich mit den Augen zu. Der Obristleutnant aber schaute von der einen zur anderen und kam nicht zum klaren, ob er dem armen Schelmen den Galgen gönnen solle oder nicht.

Jetzt war die Musik zu Ende, und Susannas Armbrust war da. Sie spannte sie und wählte einen Pfeil aus, dann schaute sie den Feldherrn fragend an. Aller Augen hingen an den Lippen des Generals, und so geschah es, daß Libuschka unbemerkt blieb, als auch sie ihre Armbrust spannte und einen scharfen Bolzen in den Lauf schob. Dann trat sie einen Schritt weiter vor, so daß sie denselben Gesichtskreis hatte wie Susanna, und ließ die gespannte Armbrust im rechten Arm niedergleiten bis nahe an den Bogen.

»Seht Ihr die drei Tauben dort oben auf dem unteren Rande des Kirchendachs?« sagte jetzt Tilly zu Susanna. »Ich beobachte sie schon lange, sie sitzen unbeweglich. Das Ziel ist nah und leicht zu treffen, wenn es bleibt wie jetzt. Aber es ist unsicher, da es lebendige Vögel sind, die jeden Augenblick auffliegen können. So ist für und wider zwischen Euch und mir gleich verteilt. Schießt eine dieser Tauben herunter, und Ihr habt gewonnen.«

Susanna hob die Armbrust, aber das Herz klopfte ihr, und die Hand zitterte. Sie setzte ab. Dann hob sie die Waffe wieder an die Wange, zielte und zielte lange, zu lange. Endlich drückte sie los. In demselben Augenblick geschah ein doppeltes: die Vögel flogen in die Höhe, und hinter Susanna schlug eine zweite Sehne an den Stahl, und ein zweiter Pfeil flog gegen das Kirchendach. Eine der Tauben, die mittlere, wurde eine Klafter weit über dem Dach getroffen und fiel auf das Pflaster.

Libuschka hatte so blitzschnell geschossen, daß nur die wenigsten es bemerkten. Susanna gab die Armbrust weg, streckte dem Apotheker beide Hände entgegen und rief: »Du bist frei!« Dann wandte sie ihr freudenüberströmtes Angesicht dem General zu und sagte: »Ich glaubte gefehlt zu haben, aber Gott hat ein Wunder getan.«

Tilly achtete ihrer nicht, sondern rief: »Halt, Libuschka, Frau Hauptmännin! Ihr habt geschossen. Ihr habt getroffen! Euer Verstecken nützt Euch nichts. Hervor!«

Da trat die böhmische Hexe aus dem Haufen der Frauen und fragte: »Was wollt Ihr?«

»Ihr habt den Schuß getan, der getroffen hat.«

Libuschka schüttelte den Kopf.

»Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.«

»So habt Ihr ein Blendwerk gesehen.«

»Ich nicht allein«, rief Tilly. »Wer gesehen hat, daß die Frau Hauptmännin geschossen hat, der hebe die Hand. Sieben, acht Hände streckten sich in die Höhe. Langsam folgten noch einige andere nach, daß es gerade ein Dutzend war.

»Nun ja denn«, sagte Libuschka mißmutig; »ich habe geschossen. Aber ich habe auch gefehlt, getroffen hat sie.«

»Man hole die Taube her«, sagte Tilly. »Gebt mir Eure Armbrust, Frau Hauptmännin, gebt mir Eure Armbrust. Wo habt Ihr die übrigen Bolzen hin? Die habt Ihr weggeworfen. Man suche auf dem Boden danach.«

Jetzt wurde die Taube gebracht. Der General zog ihr den Pfeil aus der Brust und sagte: »Schwarzes Ebenholz, im Brand gehärtet. Zeigt Eure Armbrust, Susanna! Da sind die übrigen Bolzen, weiß und hartbüchen. Und dort bringt einer den Pfeil, der fehlgeschlagen ist: weiß und hartbüchen! Überzeuget euch, ihr Herren. Nun?« rief er dem Jungen zu, der zwei von den Geschossen brachte, die Libuschka weggeworfen hatte. »Schwarz! Es ist am Tage. Libuschka hat getroffen; und Ihr, Susanna, habt verloren. Ihr habt den Fehlschuß getan.«

»Wir haben heimlich vor dem Schuß die Bolzen vertauscht«, log Libuschka. »Das ist eine Schützenregel. Wer hat's gesehen? Du, Janko, du hast's gesehen!«

Susanna schüttelte den Kopf, trat vor den General und sagte:

»Haltet es mir zu gut, daß ich Euch heute zum drittenmal Euers Wortes erinnere. Ihr habt gesagt, und die Herren sind Zeugen: Ist das Ziel getroffen, so ist der Apotheker frei.«

»Nun denn«, rief Tilly dem Hiob Cyriakus zu. »Du bist frei. Mir aus den Augen!«

Das ließ sich das Männlein nicht zweimal sagen. Er schlüpfte in die Menge und war verschwunden.

»Ihr habt gewonnen, Susanna, Euer Wille ist Euch geschehen. Aber ich habe auch gewonnen, denn Ihr habt den Fehlschuß getan. So müßt Ihr Euch von mir vermählen lassen. Ich habe mein Wort gehalten, so müßt Ihr das Eure auch halten.«

»Ihr irret, General«, rief Libuschka. »Ich habe beides zugleich, getroffen und gefehlt. Der weiße Pfeil rührt auch von mir, ich habe zwei Bolzen aufgelegt, einen schwarzen hinter den weißen. Das tut man bei uns zuland. Der weiße da kommt von mir. Der Jungfrau ihr Geschoß ist kürzer. Lasset es suchen, so werdet Ihr finden, daß es kürzer ist. Und findet man's nicht, so hat sie leer geschossen, um den Obristleutnant zu kriegen.«

»Schweiget mit Euern Lügen«, rief Tilly unwillig. »Susanna, entscheidet Ihr selbst. Ich weiß, Ihr redet die Wahrheit. Was für einen Pfeil habt Ihr aufgelegt?«

»Einen weißen.«

»Gut. So habt Ihr den Fehlschuß getan, denn das Ziel ist von einem schwarzen getroffen.«

»Euer Schluß ist falsch«, erwiderte Susanna.

»Wie? falsch?«

»Hört mich an:

Der Pfeil war weiß, als vor der Sehn er lag.
Weiß wie der Schwan und wie der klare Tag,
Doch als dem Täublein er im Herzen stak.
Da dacht der Pfeil: O Gott, mit welcher Lust
Stak ich in eines grauen Geiers Brust!
Ich wollt hinein – hab doch vorbei gemußt.
Ein Mädchenmitleid mir dazwischen kam.
Der Geier lebt, es stirbt das Täublein zahm ...
So dacht der Pfeil – und wurde schwarz vor Scham.«

»Susanna, Susanna!« rief der Feldherr und hob drohend den Finger. Er atmete schwer auf, ließ die Hand sinken und sagte mit erzwungener Heiterkeit:

»Nun gut, es sei. Aber wie ist es mit Libuschkas Pfeil. War er nicht schwarz?«

»So ist es.«

»Und der Pfeil, der fehlgegangen, ist weiß, also ist er nicht der ihre.«

»Auch das ist ein Fehlschluß, gnädiger Herr. Darf ich's beweisen?

Schwarz flog der Pfeil vom Holz, schwarz wie das Grab,
Er fehlt des Ziels wie ein verträumter Knab,
Und müßig, wie er war, schaut er hinab.
Im grünen Tal die alte Stadt er sah.
In rauchgeschwärzten Trümmern lag sie da.
Dem Ruß von gestern war die Flamme nah
Von heute und verzehrt manch zart Gebein.
Das Volk war in der Furie! Mag es sein! –
Der Pfeil verfärbte sich, bleich traf er ein.«

»Genug, genug!« sagte Tilly erschüttert und streckte Susanna die Hand hin. »Wahrhaftig, Ihr habt das Ziel heute getroffen, dessen Ihr gestern schontet; Ihr habt mich ins Herz getroffen.«

Er hielt ihre Hand fest und sah ihr mit feuchten Augen in die flammenden Augen hinein.

Da trat Libuschka zwischen die beiden und rief mit triumphierender Stimme: »Die Herren sind alle Zeugen. Die edle Jungfrau hat das Ziel getroffen; so hat mein Pfeil es gefehlt. Und nun erinnere auch ich den Feldherrn an sein Wort: ›Die das Ziel verfehlt‹ – das bin ich, Libuschka –, ›die wird von mir, dem Freiherrn Johann Czerclaes von Tilly, Generalleutnant der ligistischen Armada, mit dem Herrn vermählt, den ich und die Jungfrau wissen.‹ Das ist mein Obristleutnant! Leugnet es ihr beide!«

Und sie ergriff den Obristleutnant an der Hand und rief, ihren Schlapphut schwenkend: »Wisset es alle, ihr Leute, ihr Reiter und braven Musketiere, wisset es, du alte Kirche und du Lindenbaum und du Schandpfahl dort drüben: heute wird die böhmische Hexe Frau Obristleutnant!«

»Ihr Herren, ihr Herren«, rief der General und schaute bestürzt im Kreise herum; »heute seht ihr den Tilly in Nöten. Herr Gott, Herr Gott! Lieber drei Schanzen erstürmen, als sich mit zwei solchen Weibern herumschlagen! Es ist mir alles recht, laßt mich nur gehen!«

Da erhob sich ein Freudengeschrei sondergleichen. »Die Libuschka wird Frau Obristleutnantin!« riefen sich die Soldaten zu und umjubelten ihren Feldherrn und Vater. Libuschkas helle Stimme aber tönte über den Marktplatz: »Heute ist die Hochzeit! Droben wird sie gefeiert im englischen Schloß, worinnen der Winterkönig mit seinem Gemahl gehaust hat. Alle Offiziere sind Gäste, und euch, ihr armen Schlucker, ihr Pikeniere, soll's auch gut gehen. Aber jetzt lasset mich nach meinem Apothekerlein schauen; der Knabe hat's um mich verdient.«

Und sie ließ den Arm ihres eroberten Beutestücks fahren und eilte durch die Reihen der lachenden Soldaten. Auf einmal ertönte ein Trommelwirbel unter der Linde. Alle schwiegen und wandten die Köpfe hin. Dort stand der Profoß unter aufgerichteter Lanze und verkündete allen Offizieren und Gemeinen, daß mit dem Strange von jetzt an jeder bestraft werde, der sich an Leben oder Eigentum der Bewohner Heidelbergs vergreife, und ebenso unnachsichtlich ein jeder, der solches sehe und nicht anzeige.


In der Nacht, die auf diese Ereignisse folgte, war oben auf dem Schloß, in der Bergstadt und in der Altstadt ein Bankettieren und Jubilieren, wie es in dem fröhlichen Heidelberg nicht mehr gewesen war seit der Nacht, wo das frischgebackene Königspaar seine verhängnisvolle böhmische Majestät einweihte. Aus den erleuchteten Fenstern des runden Speisesaals im dicken Turm erscholl das Klingen und Jauchzen ins Tal hinunter. In der Vorstadt glühender Schutt und die Balken der verbrannten Häuser, aber am Berg und im oberen Quartier, wo die Stadt am wenigsten gelitten hatte, bot jedes Haus ein Konterfei der Lustbarkeit oben auf dem Schlosse. Des Weines enthielten die Keller eine Menge. Es wurde gesotten und gebraten, denn der Schweine, Rinder, Gänse und Hühner war eine große Zahl erbeutet. Auch die verschüchterten Einwohner kamen aus ihren Verstecken, denn Tillys Schonungsbefehl war allenthalben ausgerufen worden. Die Soldaten luden die Hausbewohner zu Gast, und es mochte diesen wunderlich vorkommen, daß sie in ihren eigenen Stuben, aus ihren eigenen Schüsseln und Bechern, mit ihrem eigenen Wein und Brot bewirtet wurden. Sogar die wilden Kroaten waren manierlich, sie nahmen die Mädchen, die vor ihnen zitterten, an der Hand und führten sie fein säuberlich zu Tische. Dabei sagten sie in ihrem Kauderwelsch: »Nit förcht heut, Meidlin, Kroat heut gut Freund!« Ähnlich verständigten sich die Wallonen, und wenn die Einwohner fragten, warum heute alles so freundlich und lustig sei, dann sagten die deutschen Soldaten: »Das habt ihr der Furore zu verdanken. Heute hat sie zum drittenmal Hochzeit seit drei Jahren, und jedesmal geht's höher her. Übers Jahr hat sie einen anderen Mann und wird Frau Obristin. Dann muß zur Hochzeitsfeier dem Kaiser eine Stadt abbrennen.«

Kurz vor Mitternacht kam allen Offizieren unerwartet der Befehl, daß die Regimenter bis auf eine kleine Besatzung mit dem frühesten Morgen nach dem Lager vor Mannheim abzumarschieren hätten. Das tat der Fröhlichkeit keinen Eintrag, weder oben auf dem Schloß noch unten in der Stadt. Man beschloß, bis zum Aufbruch durchzubankettieren. Nur die beiden Hochzeitsleute zogen sich auf die Kunde hin in ihre Gemächer zurück. In demselben Fenster, aus dem in der Nacht vor seinem Scheiden der junge König schwermütig und ahnungsvoll in die schlafende Pfalz hinausgeschaut hatte, bis die Königin kam, den Arm um ihn schlang und ihn ins Zimmer zurückführte, in demselben Fenster lag der halbtrunkene Obristleutnant, und hinter ihm stand im Nachtkleid die böhmische Hexe und warf die Kanne mit dem Reste des Schlaftrunks über den Kopf ihres dritten Gemahls in die Stadt hinunter.

Als der Morgen aufdämmerte, wurde es allgemach still oben auf dem Schloß und unten in den Straßen. Dann rauschten die Trommeln, und die Reitertrompeten riefen. Pferde und Männer wurden wach. Bald erhob sich allenthalben ein neues Getöse, aber anderer Art: Geklirr, Gerassel, Geroll, Kommandorufe, Pferdegetrapp und helles Gewieher, und der schwere Marschschritt der Pikeniere und der Musketiere. Das letzte Regiment, das abzog, waren Tillys Wallonen, die rings um den Feldherrn auf dem Schloß in Quartier gelegen hatten. Fähnlein um Fähnlein sammelte sich im Hof und ritt zum Schloß hinaus. Dem letzten Fähnlein schloß sich der General an. Tilly hatte an dem Feste keinen Teil genommen und in der Nacht keinen Tropfen Weins getrunken, und doch sah er übernächtig und verwacht aus. Auch Susanna hatte in dieser Nacht über dem Getöse und über ihren Gedanken kein Auge geschlossen. Als der Morgen über den Ottheinrichsbau in den Schloßhof kam, grüßten sich der alte General und das junge Mädchen, ein jedes aus seinem Fenster herüber und hinüber. Und als Tilly an dem Hause König Ruprechts vorüberritt, zog er den Hut und neigte den Degen, Susanna aber winkte ihm zu mit beiden Händen. Auch die anderen Offiziere grüßten ehrerbietig. Der Obristleutnant wandte unter dem Torturm noch einmal den Kopf nach der Jungfrau.

Die letzten, die das Schloß verließen, waren die Offiziersfrauen. Die anderen Weiber des Regiments waren mit dem großen Troß vorausgeschickt. Müd und verschlafen kamen die Damen aus ihren Gemächern, die meisten verschmähten den Sattel und setzten sich in die bequemen Wagen. So ritten und fuhren sie nacheinander aus dem Schloßhof hinaus.

Zuletzt war nur noch Libuschkas Kutsche da. Sie selbst hatte sich noch nicht gezeigt. Susanna schaute zu, wie Libuschkas Knechte allerlei Töpfe und Büchsen brachten. Zuletzt kam es selbst, das Apothekerlein, die Treppe heruntergehinkt. Die Knechte halfen ihm in den Wagen. Er hatte Stulpen an den Beinen und trug einen prächtigen dunkelgrünen Rock. Im Gürtel steckte ein Pistol. Als er im Wagen saß, kam Libuschka, reitermäßig gekleidet, die Treppe herab. Sie sah frisch und blühend aus, und wiederum verwunderte sich Susanna über ihre Schönheit. Furore sprang in den Sattel, ritt an die Kutsche heran, und ihre Sorgfalt um den blonden Jungen war zärtlich genug. Dann zogen die Pferde an, von dem Pagen Libuschkas gelenkt. Rechts und links ritt einer von ihren Knechten. Hiob Cyriakus aber saß mit gesenktem Haupt wie ein armer Sünder; so fuhr er an Susanna vorbei. Die schaute ihm nach trockenen Auges mit wehmütigem Lächeln. Libuschka geleitete ihre letzte Heidelberger Beute bis an das Tor; hierauf ritt sie vor Susannas Fenster, und die beiden Bundesgenossen lachten einander an und grüßten sich mit Hand und Mund. Dann ritt Libuschka zum Tor hinaus. Vor dem Turme wandte die böhmische Hexe noch einmal das Roß, zog mit der Linken wie ein Kavalier den Hut und warf mit der Rechten wie eine verliebte Dame die anmutigsten Kußhände zum Fenster hinauf.

Der Hufschlag dröhnte auf der hölzernen Brücke und verhallte. Das Pferdegetrapp der Reiter, die vor dem Schloßgraben warteten und den letzten Schluß bildeten, verklang in der Ferne. Es war ganz still geworden rings im weiten Schloßgebiet. Aber noch immer stand Susanna am offenen Fenster, versunken in ihre Gedanken.


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