Adolf Schmitthenner
Heidelberger Erzählungen
Adolf Schmitthenner

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Vorwort

Als ein besonderes Motiv, wandelnd in den Zeiten, aber immer verwandt, klingen Heidelberg und die Heidelberger Landschaft mit in der großen Symphonie der deutschen Dichtung. Stets sind die großen literarischen Strömungen irgendwie und irgendwann durch Heidelberg hindurchgegangen. Sie sind aber meist nur hindurchgegangen, von außen hereingetragen, um dann wieder voller und reicher nach außen zu streben. Viele unserer deutschen Dichter sind Student in Heidelberg gewesen oder haben hier als reife Männer im Verkehr mit bedeutenden Menschen, vornehmlich mit Professoren der Universität, Anregung empfangen. Die herrliche Natur und – sichtbar ausgedrückt in Stadt und Schloß – die große Geschichte sind in Heidelberg bodenständig. Aber die Dichtung scheint es nicht. Es geht mit den Dichtern, die Heidelberg rühmen, so wie mit den Gelehrten der Universität, die gewöhnlich auch nicht aus der Gegend stammen, sondern aus ganz Deutschland zusammenkommen.

Heidelberg in der Dichtung ist ein stolzes Thema, aber ein Thema, in dem die Heidelberger Farbe nicht aus dem Blute des ansässigen Volles bereitet ist – in Buchform gebracht, aus Papier aufs Papier, für wenige geschrieben, »'s is Nacht, die Leut sin voll«, charakterisiert Nadler vor hundert Jahren die Heidelberger. Sie waren sicherlich nicht ganz die Spießbürger, als die er sie in seinen Mundartversen gutmütig, aber gelegentlich auch scharf verspottet, und sind es heute noch hundertmal weniger. Ein dichterischer Mensch ist der Heidelberger jedoch nicht, ja, nicht einmal romantisch, was man doch der Heidelberger Landschaft zugesteht. Er ist nüchtern, weltoffen, gutmütig und leidenschaftlich zugleich und ein froher Genießer. In der großen Literaturgeschichte, die durch Heidelberg hindurchging, ist der bodenständige Mensch nicht handelndes Ich, sondern fast nur Staffage.

Man hat Scheffel den Dichter Heidelbergs genannt. Gewißlich, das ist er. Unsterblich ist sein Preislied auf die Stadt »an Ehren reich«, und sein Standbild steht mit Fug und Recht droben auf der Schloßterrasse. Jedoch auch in seinem Werke klingt Heidelberg eigentlich nur mit, wenn auch voller und reicher als bei anderen. Seine typischen Heidelberger Humorgestalten, der Zwerg Perkeo, die saufenden Kurfürsten und der durstige Rodensteiner, sie wollen uns heute mit den versinkenden Trinksitten entschwinden. Scheffel ist ein alemannischer Mensch, und er ist immer im badischen Oberlande zu Hause geblieben.

Erst in Adolf Schmitthenners dichterischem Schaffen hat die Heidelberger Landschaft ihre volksnahe und wurzelechte Dichtung empfangen. Adolf Schmitthenner ist nicht in Heidelberg geboren, sondern »nur« im Heidelberger Hinterland, vier Stunden hinter dem Königstuhl, in dem nördlichen Kraichgaustädtchen Neckarbischofsheim. Sein Lebensweg hat ihn als praktischen Theologen durch das Badener Land geführt. In Heidelberg hat er seinen Hausstand gegründet. Dann ist er nach zweijähriger Amtstätigkeit in Karlsruhe in seine Geburtsstadt zurückgekehrt und hat dort zehn arbeitsreiche Jahre verbracht. Die drei letzten und reifsten Lustren seines Lebens hat er in Heidelberg gewirkt, bis ihn im Januar 1907 der Tod im Alter von 52 Jahren aus rastlosem Schaffen hinwegnahm.

Die alte Kurfürstenstadt vor Jahrhunderten und heute, das untere Neckartal mit seinen Burgen und der Kraichgau mit seinen behäbigen Bauerndörfchen und Ackerbürgerstädtchen, kurz Landschaft und Volkstum Heidelbergs und der weiteren Umgebung sind in Adolf Schmitthenners dichterischem Werke poetische Wirklichkeit geworden. In seinen letzten Lebensjahren schenkte der Dichter dem unteren Neckartal den großen historischen Roman »Das deutsche Herz«. Die Ritter von Hirschhorn und ihre Frauen, die Beußerin von Ingelheim, Philipp von Helmstadt, der Torwärter Hannes und der Totengräber Nikolaus sind aus den Blättern dieses Buches unter die Geister der wettergrauen Burgen und der grünen Wälder hinübergegangen. Auch in den Gäßchen und Winkeln Neckarbischofsheims und vor allem um das Schloß und die Altstadt Heidelbergs leben die Gestalten aus Schmitthenners Dichtungen und sind lebendiger als die Erinnerungstafeln an den Dichter an seinem Geburtshaus in Neckarbischofsheim, auf Burg Hirschhorn und an seiner Wohn- und Arbeitsstätte in der Hirschstraße zu Heidelberg. Bei aller Volkstümlichkeit erstreben und erfüllen diese anscheinend so schlichten Erzählungen die höchsten Ziele allgemein gültiger Form. Wenn heute der Verlag die wichtigsten dieser Novellen, die in und um Heidelberg spielen, in einem neuen Bande zusammenfaßt, so geschieht das in dem Bewußtsein, zum 550. Jubiläum der Ruberto Carola der Landschaft um den unteren Neckar, den Freunden Heidelbergs, ja, dem deutschen Volke ein wertvolles Geschenk zu machen, das Geschenk der poetischen Verklärung der an geschichtlicher Fracht so schweren und an Volksleben so frohen Landschaft.

Den Eingang bilden historische Stücke, die der Verfasser selber unter der Überschrift »Bei Heiliggeist zu Heidelberg« zusammengefaßt hat. Angefügt sind »Die Frühglocke« – die zwar in Amberg spielt, die aber Otto Heinrich und seinen Kreis in die oberpfälzische Umgebung hineinstellt und den Heidelberger Geist besonders atmet – und »Die Entdeckung des Heidelberger Schlosses«, eine Gelegenheitsarbeit, die dem Zwecke des vorliegenden Bandes entsprechend nicht übergangen werden konnte.

Der zweite Teil des Buches bringt Novellen aus des Dichters Gegenwart, sowohl aus Heidelberg, wie aus dem Heidelberger Hinterland. Heidelberg ist hier nicht die Stadt der Studenten oder der großen Welt. Die Erzählungen führen in die Enge; aber sie führen in die Brunnenstube des Volkstums. Die beiden letzten Stücke sind dem Novellenkranz »Der Rote Reisig« entnommen. In heimlichem Weben, gütig und grausam, greifen die Mächte des Waldes ein ins Leben der Menschen an seinem Rande. Hier werden Stimmungen und Bilder lebendig, die aus den tiefsten Schichten allgemeinsten Jugenderlebens rätselhaft hervorbrechen.

Alle Erzählungen Adolf Schmitthenners sind lebendigstes Leben. Das ist das Große seiner Kunst, daß er es versteht, die Fragen und Dinge selber reden zu lassen, sie aufzulösen in Handlungen und Wirkungen, so daß die Stimmung aus dem Gegenständlichen zusammenrinnt. Das gibt ihm auch die Fähigkeit, Worte zu sagen, ohne sie auszusprechen, und Dinge auszusprechen, die ungesagt sind, in der historischen Novelle, im Gegenwartsbild, im Künstlerroman oder in der Behandlung sozialer Fragen, im Märchen und vor allem in dem großen Eheroman »Leonie«, dessen Stimmungen in der hier aufgenommenen kleinen Novelle »Der Besuch« leise anklingen. Adolf Schmitthenner vertritt keine Schule, keine Richtung und keine Tendenz. Sein Schaffen wächst aus der Tiefe des Volkstums hinauf in die freie, weite Dichtung, die nur sich selber ist und den Heimatboden als ausgestirnter Himmel überwölbt.


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