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7.
Ein Hundert Marterwochen.

 

– – – Der waltende Gott selbst
Heißt mich weichen vom Sitz, und zum traurigen Orkus zu kehren!
Darum sollst Du mit Schweigen von unsern Altären hier scheiden!
              Orakel.

 

Die Unglücklichen erlangen das Uebergewicht über die Glücklichen, die Traurigen bedingen die Frohen, die Kranken werden die Herrn der Gesunden und herrschen im Hause, bis sie außer Gefahr oder über alle Gefahr sind; der stille hohe spröde Geist des Leidenden thut es selber den Rohen an, aber die Liebenden macht er sich eben so still unterthan, ja sie fühlen noch mehr Angst als der Leidende selbst; denn der Leidende leidet mit einem süßen Kern im Herzen. Das ist das Zeugniß, daß ein befreundeter hülfbereiter Geist in allen Menschen lebt, und die Mutter geht von ihrem kranken Kinde nicht weg, bis sie es, sicher und sanft gebettet, zur Ruhe gebracht in dem kleinen grünen Grabe, das sie ihm noch mit Blumen beschüttet.

Und so sehen wir jetzt droben auf der Höhe des Casino Barberini zu Rom zwei Frauen in schwarzen Trauerkleidern stehen; Eine, die schöne blasse schweigende Tochter; die Andere, die in ihr Leid mit ergebene Mutter, deren Augen die Worte ausdrückten: »Was hilft mir Alles, wenn ich Dich nicht lieb habe!«

»Du bist eine sonderbare Wittwe, mein Kind,« sprach sie jetzt zu ihrer Tochter: »Du hast Deinen Mann nicht verloren, sondern nur nicht bekommen; aber wie steht Dir die Trauer schön! das über Gold theure Halsband von schwarzen Corallen, und die großen, für Dein kleines Ohr fast zu schweren Diamanten. Und Dein Wittwenkleid giebt Dir Würde, weist Zudringliche von Deiner Schönheit, Jugend und Deinem Reichthum, verbirgt uns, ja sichert uns. Wer ein anderes Schicksal erfährt, der hört und sieht in der Welt ganz andere neue Dinge, die ihn in seinem Kreise sonst nicht berührten; und so fällt mir ein, daß der berühmte Gelehrte Pietro Carnesechi in Florenz verbrannt worden, blos weil er Briefe mit Protestanten gewechselt und mit Vittoria Colonna und Julia Gonzaga, die sich kaum das Leben retteten! Und so ist es gut, daß unser Familienname Contarini unsern Taufnamen verbirgt – und wir kommen von Candia! Ach, daß es Dich nicht da litt, auf der schönen geerbten Villa! Aber ich sage jetzt ein wahres Wort: Wen die Tochter liebt, der wird der Mutter Freund. Und wenn die Liebe das Allernatürlichste in der Welt ist, so sind auch all' ihr Sinnen und Drängen, ihr Wollen und Thun, ihr Bleiben oder ihr Reisen, ihre Freuden oder ihre Schmerzen, ihr Lachen oder ihr Weinen, ihr Leben und Sterben ganz eben so natürlich. Du mußtest in das Feuer fliegen! Unserem leidenden Freunde nachgefolgt, glauben wir weniger zu leiden, denn wir sehen blos, was er leidet! oder leiden wird .... denn den armen Aonio Paleario, weiß ich noch, haben sie an meinem Hochzeitstage anno 66, verbrannt, blos weil er von Luthern beifällig geurtheilt und gesagt: »Die Inquisition ist ein Dolch, den der Statthalter Petri den Gelehrten an die Gurgel setzt, um ihnen alle Freiheit im Denken zu rauben; und ohne Inquisition ist Er gar verloren.« Aber vergiß doch einen Augenblick Deine Gedanken! Und meinst Du mit Recht aus Deinem Herzen, Rom ist nicht werth es anzusehen oder es gar in den Sinn zu nehmen, so ist doch die Natur hier unschuldig, dieser Himmel, diese Sonne, diese Mauern, dort die ganze Stadt unter uns! Die Säulen und Kuppeln! Und hier schon die Villen! Und St. Onofrio hier rechts, und der Kirchhof der Wahnsinnigen da drunten aus der Anstalt zum heiligen Geist, und hier links, nur über die Mauer der Leonischen Stadt hinweg, die Peterskirche, der Obelisk, die Springbrunnen, die wir im Winde rauschen hören, und gleich hier daneben .....«

– – »die Kerker der Inquisition!« seufzte die Tochter, und wendete ihre Augen nur dahin, »Nur dieses Haus will ich sehen, dieses Weltwunder! Und wenn es einst leer stände – die Schlange, die so giftig gebissen hat, die wird ewig verabscheut! Aber siehe, da kommt der San Omobono, unser Diener! Was wird er für Nachricht bringen? O Himmel!«

»Kutsche, Kutscher und Pferde bringt er, auch einen Koch, der hinten mit ihm auf dem Tritte sieht,« bemerkte die Mutter, der übrigens in der ihr neuen Lage der Reichen sehr wohl war.

Und so kam denn San Omobono herauf in seinen lichtblauen, mit Silber gallonirten Bedientenkleidern, und blieb an der Thür stehen.

Die junge Wittwe verschleierte sich, um ihre Bewegung durch irgend eine Nachricht nicht zu verrathen, und sprach: »Was Du gebracht hast, haben wir gesehen, Omobono; aber was ist Neues in der Stadt?«

Das fast komische Gesicht des Dieners, das die großbogigen schmalen Augenbraunen und die sonderbar verschnittenen Haare verstärkten, war aber jetzt blaß, und mit der natürlichen Offenheit und Heiterkeit in den Zügen kämpfte jetzt heimlich Verlegenheit, ja Betäubung.

»Nun, Madonna,« hub er an, »Rom ist beim Alten. Ich hab' es als Kind gesehen, und ich könnte in hundert Jahren wiederkommen, es wäre noch so, wie vor tausend Jahren, wie in Sibirien die großen fabelhaften Thiere der Vorwelt in ihrem Fleische liegen sollen, das die heutigen Bewohner noch essen. Guten Appetit! Uebrigens ist eine Congregation wegen des heiligen Geistes und seiner Gnade zusammengefahren aus dem Lande, und ich habe verstohlen mit angehört, wie ein Pfaff zum Pfaffen sagte: »Das hält 20 Jahre wider! Nun wird nichts wie von Gnade gesprochen! Das ist wieder so eine Nuß für die Katzen zum Spielen, damit man blos hübsch über Sachen aus der Kirche soll sprechen, als nach ihrem ganzen Grund und Boden fragen und ihn ihr wegziehen unter den Füßen, wie Bruno gethan hat.«

»Der Bruno?« fragte die Verschleierte; »was ist mit dem?«

– »Eben nichts,« versetzte Omobono; »sie haben ihn in die Kerker hier jenseits der Mauer geworfen und werden ihn zu ihrem Feiertage braten.«

»Braten?« fragte die Mutter entsetzt.

»Ja!« fuhr er fort; »die Freude ist allgemein in Rom und ein Geistlicher schmunzelt dem andern zu: »Wir haben ihn! Der Erzketzer! – Der Antipapst! Der Antichrist! Der Antigott!« – Die Freude hört' ich schon in Venedig.« –

»In Venedig! Also warst Du vor Weihnachten noch dort?« fragte die Mutter, und hieß ihn nahe treten.

Das überhob den Errötheten einer Antwort.

»Was ist der Bruno für ein Mann!« fragte sie jetzt.

»O, ein seelensguter Mann!« antwortete er, »ein stiller, weiser Mann.«

»Du hast ihn vorher nicht gekannt, das wissen Wir.«

»Das wisset Ihr – Madonna und Masignora?« fragte jetzt der Diener im Vortheil, der aber gleich erlosch durch den Nachsatz:

»Also hast Du ihn nachher gekannt! Und nachher ist er nur hierher gesandt worden in den Händen der Inquisition ...«

»Ich will ihm sein Unglück nicht absprechen – – – oder noch sein Glück! .... Aber ich habe so eben Unerträgliches gesehen! Auf einem elenden Wagen im Stroh, brachten sie Bruno's Freund, den Arrigoni so eben, und luden ihn ab in den Kerker! Der Kopf war ihm fast gespalten – den Wundkrampf müssen wir für den Todeskrampf gehalten haben.«

»Wir! – Wir! also Ihr! Wer?« fragte die Verschleierte heftig.

– – »Aber das Entsetzlichste war, sie brachten auch seine Tochter mit ihm auf dem Wagen hierher, ein armes Kind, das aber schon sichtbare Hoffnung hat, ein Gleiches der Welt, das heißt jetzt der heiligen Inquisition zu schenken.«

Mutter und Tochter fielen sich in die Arme und weinten über die arme Bruneletta. Und eben so unbesonnen vor Liebe und Theilnahme, wie der arme Diener vor Angst und Schrecken, klagte die Mutter – »warum ist sie nicht mit uns geschifft! –«

»Ach, warum hat sie ihre Mutter und ihren Vater so geliebt, und so gerächt!« klagte die Tochter.

>»Ja!« – sprach der Diener jetzt schon zuversichtlich; »denn war er durch seine Worte verrathen, so hatte er auch seine Herrschaft – Weiber – durch die ihren gefangen – Ja! man meinte, die – also Bruneletta müsse das Leben verlieren, da sie einen Familiar erstochen; denn ein Verbrechen an der heiligen Inquisition, oder wie der Lateiner sagt: laesae sanctorum Inquisitionis, ist das größte Verbrechen von allen möglichen, und schlimmer als Eins gegen Himmel und Hölle, Gott Vater und Göttin Mutter, wogegen Ablaß ist, und wenn auch einer die heilige Jungfrau geschändet – wie die Ablaßkrämer Buchstäblich auch Tezel, der sich rühmte, mehr Seelen aus Fegefeuer und Hölle erlöst zu haben, als Petrus mit dem Evangelium in den Himmel geholfen. im Auftrag unserer alleinseligmachenden Kirche verkündigt.«

»Das arme Mädchen! das arme Kind!« klagte die Tochter.

»Siehst Du,« sprach die Mutter, »wie rechtschaffen Er, aus dem Gefühl seines Lebens und seines Schicksals gegen Dich gehandelt, weswegen ich ihn verdammte!«

»O was wird die Zeit ihm Alles abzubitten haben!« versetzte sie. »Aber mich freut doch die Freude, die er haben wird, daß Arrigoni bei ihm ist! Wie wird er ihn pflegen.«

»Wenn er darf!« sprach der Diener. »Aber Arrigoni hat ja den Bruno verrathen.«

»Du lügst!« sprach die Mutter.

»Wenn man aber hört, daß Jemand das dem andern auf seinem Sterbebette aus nassem Rasen und auf einem harten Stein als Kopfkissen abbittet – und Bruno es ihm verzeiht....«

»Dann glaube ich Dir!« sprach Vanina und entschleierte sich froh und schön, ja holdselig wie ein Engel.

»Kinder!« sprach die Mutter Francesca, »wir haben uns beide verrathen. Du bist dabei gewesen – Du bist also der Inquisition entsprungen – –«

– »ganz sachte mit Bruno nach Rom gegangen;« erwiederte der Diener. »Er, um seine Mutter noch einmal auf Erden zu sehen; ich, um auf einem Schiffe das Meer zu gewinnen. Es war Euer Schiff. Mein Pilgerkleid war in der Tiber fort, und der Stab mit dem Schaafe! Ich hatte aus Mitleid gegen die Kälte, einen alten braunen ziegenhaarnen Kapotto erhalten ... meinen Bart abgeschnitten, meine breiten buschigen Augenbraunen hier zu den schönen feinen hohen Bogen ausgezupft, mir die Haare alla Levante verschnitten – mein Wesen gefiel Euch, Ihr habt mir das Leben gerettet – ich könnte jetzt Euch verderben – darum bin ich Euer gehorsamer treuer Diener, der Römer und Improvisator Quirino.«

Durch die nun folgende Verständigung und Gelobung gegenseitiger Verschwiegenheit ward San Omobono, wie sich Quirino nach dem Heiligen seines Kirchspiels genannt, der nächste Freund und Haushofmeister der armen reichen Frauen. Zuletzt sprach er: »Ich habe zwar die Bilder, die Tische und Stühle, die Tapeten und Spiegel und alles Andere für Eure Villa in Candia hier in der Stadt bestellt, und das Schiff kann also mit Ehren viele Monate hier darauf warten liegen: aber hofft auf keine Errettung, keine Flucht, denn Euer Freund wird seine Kerkermeister durch seine Freiheit nicht wollen um ihr Brod, ja in die Kerker bringen. Er wird bleiben, er wird verdammt werden zur Loslassung – an den Corte secolare, – da schimmert ein Licht! wenn der weltliche Richter weltlichen Verstand und Muth hätte, ihn nicht zum Feuertode zu verurtheilen! Aber mein Gott, wo kann ein Richter sein, der nicht nach den Gesetzen und dem Geist seiner Stadt und seines Gebieters Recht sprechen wollte. Jede Zeit steckt in ihrer Haut, und Rom in einer Elendshaut, und es möchte selber gern herausfahren – wenn es dann nicht nackt und bloß vor aller Welt zur Schmach stände! Wenn der Hofrichter des Corte secolare mit der Macht, die da draußen ist, von einem andern Kaiser, als dem Kaiser Friedrich II. unterstützt würde – der eben dem Ketzergesetz des Papstes Honorius III. erst die Kraft weltlichen und bürgerlichen Gesetzes gab – dann! Dann! Denn,« setzte er, um sein Latein zu zeigen, hinzu: »schon Jugurtha hat in seinem Salustius gesagt: O urbem venalem! si modo redemtorem inveniret! O käufliches Rom! Wenn es nur einen Käufer fände! Denn sie verkauften die Mütze, ja die Glatze vom Kopfe; und Stab und Buch aus den Händen. Aber die verschiedenen Handelsartikel verlöschen, der Sündenhandel, der Knochenhandel, der Bischofssitzhandel, der Kirchengewalthandel – und zuletzt werden sie dasitzen in der Bude mit dem ganzen Plunder, und die Welt wird wo anders hin zu Markte gehn kaufen. Aber da Madonna ihr ganzes Vermögen daran setzen will, ja vielleicht – Leib – und das gilt hier bei jeder Corte viel! – O meine lieben Römer, Männer und Weiber, Jünglinge und Jungfrauen, und Kinder, auf Euch lasse ich nichts kommen! Aber zur Strafe der Verbrechen Eurer Väter ist die Nacht über Euch gekommen! Denn Antoninus hat allen seinen Schülern vorausgesagt: »Nach meinem Tode wird es keine Tempel mehr geben, der prächtige und heilige Tempel des Serapis wird zertrümmert werden, und fabelhafte Verwirrung und gestaltlose Dunkelheit wird über die schönsten Theile der Erde kommen, und eine drückende Herrschaft üben.« Und alles dieses ist in Erfüllung gegangen S. Eunapius.

Vanina scheute kein Opfer, und ein Gedanke hatte sich in ihr angesetzt, den sie geheim hielt in ihrem Herzen: Den weltlichen Richter zu gewinnen. Er gab ihr Trost, ja Hoffnung in der Zeit, wo Grabesstätte über ihrem Freunde lag. Denn aus seinen Mauern erscholl kein Wort, kein Hauch. Und doch bleibt nachher nichts in der Welt verschwiegen, ja schon während des Verlaufes der Dinge wissen Viele darum; und so bricht sonderbar leis und laut und unnachweislich schon Kunde von den größten und gefährlichsten Dingen hervor, die erst geschehen sollen und unter dem Amboß der Zeit sind. Darum erhielt auch Vanina, nach und nach, ein treues Bild von ihres Freundes Geschick; und zuletzt muß Jeder Jedes sich ergänzen durch Schlüsse und Intuition und der Liebenden Seele ist ganz Poesie Der hochverdiente Llorente der römischen Inquisition, der langersehnte Herausgeber ihrer Acten, die so viele Jahre frei und öffentlich in französischen Händen lagen, berichtet der Welt auch Bruno's Verhör, Folter und Tod erst ganz actenmäßig..

Wider ihr Vermuthen befand sich Bruno in seinem Inquisitionspalaste wohl. Die Keuschheit ist die gradezu göttliche Vorbereitung zur Ehe, ja zur Ehelosigkeit; die Mäßigkeit und Genügsamkeit bereitet am sichersten auf Armuth und schwere Tage; die wohlbewahrte Gesundheit bringt erträglich durch schwere Tage und kummervolle Nächte. Scheinbar, wenn auch absichtlich, war seine Lage und sein Lager schlechter, als das eines Hundes, oder der Thiere im Felde, ja im Meere oder in der Wüste; denn sie haben die Ihrigen bei sich und um sich; sie haben Tag und Nacht, Mond und Sterne, Regen und Sonnenschein. Er hatte nichts als ewige Nacht in seinem Kerker, und er mußte sich darauf besinnen, wie ein Stern aussehe, oder das Flämmchen einer Lampe? Aber er saß mit seinem Geiste in hellem Tage. Seine Kraft war bei ihm. Sein ganzes voriges armes Leben trug ihm jetzt unermeßliche Zinsen. Sein durchnäßtes einziges Gewand hatte ihm keinen Schauer gemacht. Sein Hemd war ihm dann auf dem Leibe verfault; er legte es ruhig zu »den Akten der Welt.« Hatte er sonst in tiefen Gedanken versonnen, nicht gewußt und oft erst gefragt: was habe ich denn gegessen? so wußte er es jetzt gleichfalls nicht; und sein Leib, den er immer nur nothwendig ernährt hatte, empfand dafür nun hier nicht den Mangel. Er war nie so eingebildet gewesen, daß Er allein oder irgend ein Mensch der Tröster und unentbehrliche Lehrer und die Seligkeit aller oder nur der Menschen, ja nur der seiner Zeit, seiner Stadt oder seines Zimmers sei, weil er fest von Gottes unmittelbarer Gegenwart in jedem Menschen überzeugt war – und so dachte er nicht an Papier und Feder und Dinte, sondern er dachte und fühlte nur eine Welt voll schöner, großer und hoher reiner Gedanken, deren Verlust freilich mehr zu beklagen sein möchte, als Tasso's Klagen im Kerker. Nur gegen Wind und Regen geschützt, tröstete er sich mit dem im Winter armseligen und doch vergnügten Leben des Eichhorns der Natur; ja er unterdrückte sein Selbstgefühl sogar, wenn er die elenden Seelenwürmer in Menschengestalt – die Kerker- und Zuchtmeister sah; denn er ehrte sie hoch als das, was sie als Geister waren, und bejammerte nur ihre Blindheit. Uebrigens war er nicht einsam. Leises Flüstern in der Nacht konnte auch sogar die Inquisition nicht verhindern; und so hatte jeder Kerker das ewige Hausrecht. Da draußen in der Welt hatte die Inquisition, so weit ihre Macht und der Glaube an sie nur reichte, jeden Hausstand aufgehoben, alles Familienglück, das auf Zutrauen und Liebe beruht, vernichtet; ja das schöne Glück treuer und guter Nachbarn und Hausgenossen. Denn zwei Zeugen, die ein Wort blos von Andern wiedersagen gehört, galten für Einen Ohren- und Augenzeugen. Angeber durften Zeugen sein. Und Diener sollten den Herrn verrathen, der Mann die Frau, die Frau den Mann, die Aeltern die Kinder, und Kinder Vater und Mutter. Und doch konnten nur Mitglieder Einer Familie um Alles wissen. Aber so lange Hauswesen sind, kann und wird immer die Zukunft und jede Freiheit darin sicher keimen und Wurzel schlagen. Diese Hunderte von Ketzern aber, Weiber und Männer, Nonnen und Geistliche, Greise und Jünglinge hatten alle das größte Zutrauen zu einander; sie kannten sich alle schon durch das bloße Zusammenfinden an diesem Ort, wie Dohlen die Dohle auf dem Thurm; und der Palast war ein bezaubertes Schloß voll verwünschter menschengroßer Schmetterlinge, die nur ein paar Jahrhunderte zu früh ausgeflogen, und schon damals in Wien, München, Paris, London, Berlin und Moskwa die charmantesten Leute gewesen wären. Nur, wie die Wahnsinnigen in Rom eigenthümliche Wahnsinnige sind, so waren auch diese Ketzer nur römisch-freigläubig. Von manchen gingen heimlich in dieser großen Ketzeruniversität die frechsten gehässigsten Worte umher, wie manche Kinder eben beim Erwachen schreien, indeß der vernünftige Geist alles ruhig und sicher an seinen Ort stellt, wenn auch in den Besenwinkel. Aber da hat es Ruhe vor ihm, ungeschmäht, nur verworfen. – Sonnabend gegen Sonnenuntergang wurden die Kerker gereinigt; die Ketzer durften, ja mußten dann in die Corridors und in den offenen Hof, bis, nach dem Gestift einer zartfühlenden mitleidigen Frau, in jedem Kerker ein Schaaf so lange verweilt, bis es alle, zum Glück flügellosen, kleinen Vampyrs in seiner Wolle trug. Wenn dann Bruno hier unter den Ketzern öffentlich erschien – zu seiner Rechten den alten würdigen Juden, Aharun, den Rabbi der einzigen Schule des ganzen Ghetto in Rom, und zu seiner Linken einen tiefdenkenden Mönch von San Bonaventura – dann war es, als wenn ihr König und Herr, ihr gefangener Meister und Feldherr erschienen wäre, und alle schwiegen, einige begierig nach einem leisen Worte von ihm, andre voll Mitleid, und noch andere drückten ihm heimlich die Hände, oder ließen es sehen, daß Thränen in ihren Augen standen; ja ein Leichtsinniger sprach wohl: »Der sollte Papst sein! Der wäre noch besser als der beste Papst, der gewesen ist und wird und sein kann, als Hadrian VI., dem sie den Mund mit Erde gestopft haben; oder noch besser als Papst Marcello II., der meinte, es wäre damals noch dem Christenthum durch eine allgemeine Reformation zu helfen, für welche Meinung ihn Signora Toffana nur 21 Tagen regieren lassen.« – Wenn Bruno, nun schwer von der Welt überrascht, auch seines armen Freundes Torquato arme Tochter Bruneletta hier erblickt, in einem Worte gehört, warum sie hier sei, und gehört, daß auch ihr Vater hier sei, aber wahnsinnig, und wenn er gleich aus Kenntniß der Weise ihrer Bestrafung wußte, daß sie verstümmelt, geviertheilt und ihr Leib an den Straßen aufgehängt werden würde, so freute ihn doch die Freude des guten Kindes darüber: daß sie bei ihrem Vater war, daß sie ihn pflegen und warten konnte – da sie zu seiner und ihrer Vorstrafe mit ihm in einen Kerker geworfen worden – und als er auch von ihr gehört, was Vanina um ihn gethan, und daß sie dann vor Scham nach Candia geflohen sei, da hielt er sich die beklommene Brust, athmete schwer und senkte das Haupt.

Wie sich in anderen Gefängnissen Diebe und Mörder bereden, auf welche Weise sie sich durch Lügen und Trügen befreien wollen, so auch in dieser wundersamen Gesellschaft, wo kein Hehl und kein Mißtrauen war, und auf deren Gesichtern Verstand, Stolz und Ruhe ausgeprägt erschien, wenn Kummer um die Ihrigen es nicht überschleierte. Viele waren nur der leibhafte Eigendünkel, der Trotz, sich vor Niemand zu beugen, die Schadenfreude der Superklugheit; aber an allen war Auge und Blick merkwürdig, wie von Menschen, vor denen ein alter, zerrissener bemalter Vorhang aufgezogen worden, und große neue, aber ihnen erwünschte Dinge erscheinen sollen! Und die Ueberzeugung davon, das Anschauen derselben schon in ihrem Innern, gab ihren armseligen Gestalten schon Haltung und eine unverkennbare und unleugbare Würde. Sie glichen Steinen eines Berggipfels, welche eine, dem flachen Lande noch unsichtbare Sonne schon golden anglänzte, die aber ein Feind des Lichtes vom Berge herab hier in ein Kesselthal zusammen gewälzt, als wenn die Sonne nun nicht komme! Aber auch die blauen Schatten fehlten ihnen nicht, jene wunderlichen Menschen aus Nacht und Morgendämmerung gebildet; und so hatten auch ihre wunderlichen Werke der gerichtlichen Astrologie, und der schwarzen Kunst nicht gefehlt; ja einige Römer erzählten die Todtentaufe, wie sie einen bei ihnen gestorbenen, ihnen lieben Juden getauft, und ihm dadurch die ewige Seligkeit als seine Pathen verschafft, indem sie – wie für Wochenkinder, die auch nichts davon wissen, und selbst nicht »Ja« sagen könnten – anstatt des Todten – alles angelobt.

Und Bruno sprach seufzend dabei zu Aharun: »Da ist ein tiefes schweres Wort zu lernen: So kann denn auch, den Menschen »Gutes wünschen« noch selbst ungöttlich sein und Raserei.«

»Der todtgeglaubte Jude war mein Sohn, mein armer Jacob!« stöhnte Aharun. »Thu' Jeglichem sein Gutes an!« – Das lerne ich aus dem Unglück, das sie darauf über unser Haus gebracht! Zwang ist unnütz, und Hinterlist unwürdig. Ach, sie kennen den Zwang nicht. Der Augen-, Ohren- und Herzenszwang entzündete Haß. Selber das außerdem vielleicht recht Liebe und Schöne, das sich aber den Menschen aufdrängt, oder ihnen aufgenöthigt und immer wieder aufgezwungen wird, erregt Widerstand, Ekel und Abscheu, der bis zur stillen Wuth sich steigert, und leicht erbitterte Rache wird. Das fühlen schon Windelkinder bei dem Brei; Liebende bei eitlen Gecken oder Geckinnen, geschweige einsichtige Menschen. Nun also müssen alle Sabbather-Juden aus unserem engen, ungesunden, gestopftvollen Zwinger in die Kirche der christlichen Dreieinigkeit oder Dreifaltigkeit, in deren Oratorio ihnen der gewöhnlich zorneifrige Dominikaner predigt – aber gewöhnlich auch nur tauben Ohren; denn entweder sind wirklich Taube die Auserwählten, oder sie kleben sich Wachs in die Ohren. Das ist mehr Furcht als Abscheu, und Furcht ist der Weg zum Schwachen. Nun brach uns Licht aus Deutschland nach Italien und nach Rom. Kein einziger Mensch kann Allen helfen, allen alles sein. Jeder Mensch braucht alle Menschen; das hielt uns schon so lange fest in unserem Gottesglauben; und nun fangen wir Juden an, einzusehen: nur Gott allein ist unser Heiland; und die ganze Menschheit, in der er auf Erden kommt, ist unser Messias; und nur die Menschheit hoffet auf die ganze Menschheit, und wir mit ihr die erwünschten Tage. Also nicht taub sein, sondern klar sehen im Geist, macht das Herz fest. Ich ging in die Judenpredigt alle Sabbathe mit meinen armen Schaafen Israels, die anderthalb tausend Jahr festgehalten am alleinigen Gott, und an Gott allein nun Freude haben werden. Denn in Gott ist der Sieg! So gestärkt, wagte ich die heiligen Schriften der Römer zu lesen. Und wahrlich, ich muß den Römern das Zeugniß geben: sie stimmen ganz mit denselben; es ist alles hier in Rom zu sehen und zu haben, und ausgeführt; gebaut und gemalt, was darin schwarz auf weiß steht! Aber so haben sie damit nur die bunten goldenen Windeln, in welche die abgöttische alte Welt unser Kind aufs neue gewickelt, und ihm die Hände gebunden, und einen Schleier über sein Gesicht und den Mund gedeckt. Und so ist die alte Ansicht der Sache ihre Sache geworden, und sie bleiben die alten Ansehenden. Und haben sie auch die Worte, so haben wir Juden alle jene Worte auch; und unsere Essener sagten, lehrten und lebten sie schon vor und in der Gefangenschaft treu. So sind wir Juden hochgeehrt worden von der Welt, wenn es Ehre gilt, da sie jene unsere »Heiligen« oder »Geweihten« zu ihren Herrschern gemacht! Denn namenlos oder unter andern Namen herrschen und walten wir Juden nun hier. Unser ist das Reich, und die armen Sclaven im Ghetto sind die stillen Herrn von Rom, und heißen nur nicht Erben, und tragen den gelben Lappen am Hut als Siegeszeichen! So lächeln wir im Stillen zur Welt. Und da hatte ich also den Unsern ein Büchlein gemacht, voll aller jener Worte unserer alten und uralten Rabbinen, voll aller jener göttlichen Worte, die Roms Prophet schon, buchstäblich oder kurz und feurig gesagt, gegen die Männer Jerusalems als ihre eigenen Waffen gewandt hat. Und die wollte ich wieder gegen unsere Männer wenden, oder sie ihnen doch als Schutz, Halt und Abwehr geben. Da hat mich mein Sohn, am Gesetz haltend, verrathen! Da fielen die Diener der Inquisition – unter die sich vornehme Sünder mischen oder anwerben lassen – über mein Haus: Sie zerstreuten und raubten mein und meiner Kinder Gut. Sie entehrten meine jüngste Tochter, meine arme Lea; die Weiber meiner andern Söhne, und die so schönen, ehrenfesten Enkelinnen – die, weinend, nun ein Almosen von ihrer eigenen Habe erhalten sollen ... aber nie erhalten werden! Ich brenne doch innerlich und verkohle – so mögen sie auch meinen alten Leib verbrennen!« –

»Das habt Ihr verdient für Euren Stolz und Eure Blindheit,« sagte der Mönch von San Bonaventura.

Bruno sahe ihn dafür an, und der Mönch schämte sich.

Als der alte Aharun aber seine Augen getrocknet hatte, sprach Bruno zu ihm: »Auch über eure Essener, eure Heiligen, sag' ich, wie Tilesius sagte. Sittlichkeit ist nicht zu lehren. Denn da die Reinigkeit der Wesen die ihnen eigene Vortrefflichkeit und Vollkommenheit ist, so ist kein Zweifel, daß sie durch keinen Unterricht, keine Angewöhnung und Einübung erlangt wird – wo sie nicht ist. Und wo sie ist, da ist sie. Gott ist nicht mehr als Alles, aber Alles und Alle. Sagen, wissen und fühlen, daß Gott uns selbst unmittelbar lebt, nur das erst wäre zugleich die Sittenlehre, aber zugleich tausendmal mehr, ja alles! Denn die Liebe und die Sittenlehre sind nur die Hälfte des Menschen, die den andern Wesen zugekehrte Seite; aber selbst immer göttlich denken und fühlen, sich rein und groß bewußt sein, das ist das Ganze! die ganze Ewigkeit und Seligkeit, auch im Menschen. Und wir sehen, die freundlichsten Sittenlehren haben in der Welt wenig und nichts gewirkt, weil das Gefühl der eigenen Göttlichkeit noch auf andere Personen übertragen war, und Göttlichkeit nur eine Nachahmung sein sollte, nicht Eigenwesen, nicht Ursprünglichkeit! Und in diesen ist sie nicht Pflicht, nicht Rath, nicht Zwang, sondern Leben und Seligkeit, innen im Menschen, und den Menschen umher: Leben und Freude Gottes. Aber o Trost! An der Selbstverkennung fällt Rom und alles, was ihm auch nur von fern gleicht, »auf daß Gott sei Alles in Allen!« «

Bruno und Aharun hatten leise gesprochen. Der Mönch aber war empört, und da sie nicht mit ihm stritten, stritt er sich mit dem Tauben, der aber nicht taub, sondern ein Spion der Inquisition war, und gewöhnlich am Sabbath – statt angeblich zum Verhör – zum Bericht abgeführt wurde, um die zu dieser Zeit fast immer vorfallende Geißelung der Ketzer zu vermeiden. Jetzt zu Nacht ward aber auch Streit in den andern Kerkern. Klagen erschollen, ja Geheul. Denn es war noch am Abend dem Einen, der an furchtbaren Zahnschmerzen litt, der übliche Knebel, das Querholz in den Mund gelegt und im Nacken befestigt worden. Nun war ihm die Luft in die hohlen Zähne des offenen Mundes gekommen und er heulte. Darüber murrten nun alle, die ihn hörten, weil Alle furchtbar solidarisch für Einen gegeißelt wurden, damit alle Jeden, sich nicht zu beklagen, bedrohten, und Schweigen des Todes in diesen Kerkern armer Lebendiger sei. Darum kamen denn jetzt die Henkersknechte alle mit den knotigen Geißeln in den Händen. Aus allen Kerkern trieben sie die bis auf die Hüften nackten Opfer, alte Männer, alte Weiber, vornehme junge Weiber, Mädchen, schwangere Frauen, junge und alte Nonnen – und zwar auch den Mönch und den armen Spion – der, um seiner Frau und den Kindern Brod und Kleider zu schaffen, sich um diesen Kirchendienst beworben hatte – in die Gänge hinaus; aber sie trieben auch den gebeugten, alten patriarchenähnlichen Aharun, und den Bruno zur Geißelung, zu welcher der Mond durch Wolken vom Himmel schien; und um nicht laut zu schreien, schob der Henker auch dem Bruno die große, runde, zinnerne Münze mit Satans Bild in den Mund, um die Schmerzen darauf zu verbeißen, wie Soldaten sonst bei dem Spießruthenlaufen. – Darauf gaben die Henker Acht, daß sich Niemand vor Verzweiflung das Leben nehme.

Nach diesem unbeschreiblichen Gemetzel erschien ein Inquisitionsrath, der Franzose Giovanni Battista Cartesio, in Bruno's Kerker. Denn Bruno lebte hier ruhig, ohne daran zu denken, um sein Verhör anzusuchen, als ein Verworfner und beständig Bittender, und aus Gnaden nur Angehörter.

»Bist Du der Combinist Bruno?« fragte er barsch.

– »Bruno heiße ich,« antwortete der Gelassene. Und Ihr, lieber Mitmensch und Mitgeist auf Erden, Ihr schmäht mich nicht in der Bezeichnung: Combinist. Das ganze Leben ist eine fortwährende Combination, Verbinden ist Erfinden; Verbinden des Alten und Neuen, des Fernen und Nahen und ich habe Copernicus mit allen Juden verbunden.«

»Verächtlicher! Ich verstehe Dich! Du hassest uns furchtbar – –«

»Ich hassen?« entgegnete Bruno. »Soll ich mein Herz mir trüben durch Haß! Ich thäte schon mir das Leid nicht an! Und keinem andern thät ich die Frucht des Hasses an – das Schädliche, oder doch nicht das ihm Gute. Ich fühle nur inniges, tiefstes Mitleid mit Euch. Zürnt nicht darüber!«

»So sagt um Himmelswillen worüber? Vielleicht bekehrst Du Einen von uns oder mich! Oder hier verfaulend auf dem Stroh, kennt man einst, wie verfaultes Stroh, Dich nicht.«

»Die Welt führt immer bei sich, was sie braucht,« versetzte Bruno. »Doch könnt' ich Euch noch eine Freude machen, Eine Gewißheit geben in Eurer Furcht und Angst und Verzweiflung – so will ich mit Euch gehen in Euer Verhör. Sonst denk' und fühl' ich hier mich ruhig zu Ende. Denn auch die scheinbar schweigende Lilie spricht durch ihren Duft. Und ich habe Geist und Sprache.«

»Folgt mir!« befahl dem Willigen jetzt der finstere Feind. Bruno folgte ihm bis in die Kammer der Diener, die ihm »das Kleid der Bittenden« überwarfen, das bestimmt war, die elende, zerrissene Kleidung der Eingekerkerten zu beschönigen. Dann führten sie ihn die Treppe hinauf durch Gänge in das düstere Vorzimmer, woraus er nach langem Harren erst in den Gerichtssaal eingelassen ward.

Bruno hatte schon schwarzes Tuch gesehen, schwarz ausgeschlagene Kirchen, auch Lichter genug, auch Menschen mit schwarzem Gewande mit weißen Kreuzen, auch Priester mit zornfunkelnden Augen – er fühlte sich also ruhig bei der Natur, seinen klaren Sinn im Haupt. Auch Schreiber saßen da, um seine Geständnisse niederzuschreiben; denn er sollte sich selbst anklagen, seine Verbrechen einsehen, sein gottloses Wesen gestehen. Dagegen forderte Er: daß sie sich anklagten, sie ihre Irrthümer und Grausamkeiten einsähen, ihr gottloses Wesen geständen! –

In dem auf diese Anforderung erfolgten Schweigen, und noch eh' ihre Wuth ausbrach, sagte er offen und redlich: »Nein, nein, ich will Euch vertheidigen! Ich will Euch Augen über Euch geben, ich will Euch danken im Namen der Menschen, für alles Gute, was Ihr ihnen erhalten und zugeführt habt! Der Dank ist unaussprechlich! Denn durch unendliche Mühe von Euch ist das noch engere Heidenthum mit seinen Priestern und Tempeln begraben, und in vielfacher Weise erscholl es, wie von St. Urban erscholl – » pro Baccho coli coepit,« statt des Bacchus fing man an, ihn zu verehren. Und so weiter! Ihr habt einen schweren Kampf mit der Welt gekämpft, und Eure Redlichkeit sei hochgepriesen. Jetzt seid Ihr Welt geworden, und ich nehme der Welt mich an gegen den Starken, gegen den Geist. Es ist edel, dem Schwachen beizustehen, und dem Unterdrücker zu helfen – bis er todt ist, ganz todt. Ihr bliebet gern in ruhigem Besitz, aber da stört Euch der Geist, und scheucht Euch auf von Eurem Schlummerkissen. Denn Gott war nicht aus, Gott ist nicht aus, nie aus, und seine Erkenntniß und die Kenntniß seines Wunders wächst im Herzen des Menschen noch sternehoch, himmelgroß! Ihr wundert Euch im Grunde nur über Gott, daß er kein Vergangener war, kein Versteinerter wird, sondern ewig lebendig ist! Darum wundere ich mich nicht über Euch. Nicht, daß ich hier vor Euch stehe, als der Narr und der Thor und Verbrecher. Nicht, daß Ihr glaubt: Anderes glauben, Mehreres glauben, dasselbe anders glauben als Ihr, sei Ketzerei. Ketzer sind immer die Reinern, die Künftig-Lebenden, auch wenn Ihr sie tödtet. Denn mir wird die Nachwelt als Einem ihrer Geister Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ihr aber werdet bei der Nachwelt keinen Dank haben, sondern verrufen sein, oder der Schonende wird über Euch schweigen. Und so lebt denn, so lange ein Lebenshauch in Euch ist. Aber denkt an die Schonung, die Ihr einst bedürfen werdet! Denn es wird die Zeit kommen, wo ein hispanisch-wüthendes Volk eure rechtgläubigen Nonnen und Mönche und Priester verbrennt, blos weil sie das sind. Darum vertilgt die Irrthümer, aber nicht die Menschen die irren; die falschen Urtheile, aber nicht die falsch Urtheilenden! Eure Furcht und Wuth hat sich noch nicht einmal auf das fünfte Gebot besonnen! Darum, lebte ich nach drei Jahrhunderten als der Engel Michael, ich würde jedes Kind beschützen auf Tod und Leben, das Gott und die Welt mit Eurem Auge sieht, und seine Wunder nur in den Euren und als die Euren versteht – und es belehren. –«

»In dreien Tagen will Er der Erzengel Michael sein!« höhnte ihn eine Stimme.

Doch die erste Neugier, ihn zu hören, ließ ihn, jedoch unter Murren, weiter sprechen.

»Ich will Euch keiner Sünde des Herzens beschuldigen – aber wunderbar ist das jahrtausendlange Erwachen des Verstandes im Menschengeschlecht. In dem unerfahrensten einfältigsten Wiegenkinde schläft das beste Herz, die Treue des eingeborenen Gottes. So lebt Ihr in der großen Wiege der Erde. Aber die äußerste Sclaverei ist, dem Verstande entsagen, ihm widerstehen, ihn in den Bann thun. Hört mich wohl an. Irrthümer sind die Laster des Verstandes. Wie sollte ich nicht ein Feind des Unverstandes sein, des Nichtverständnisses? Ihr haltet Mehr-Wissende, Anders-Wissende, auch Besser- und Besseres-Wissende für Zauberer, Unmenschen, Teufel, die also den Flammen gehören, und Ihr thut Gottes Werk: sie hineinzuwerfen. Und wenn Ihr alt würdet – die Fehler der Jugend hängen noch dem Greise an, und halten ihn nieder. Ja, Ihr werdet auch noch die Euch mit überlieferte Sittenlehre der Essener verrufen und die Menschenbrust, voll des ewigen Gottes, zwingen, ein endlich begründetes Gesetz heraufzutreiben, indem Ihr vergeht mit dem alten. Denn Niemand kann eines Menschen Nase lieben und seine Augen hassen; der ganze Mensch wird gehaßt oder gleichgültig. Darum bitte ich Euch, seid barmherzig! Denn Ihr habt Gott nicht in Händen, – sondern Euch hat Gott in den Händen, und immer noch hat er alles Alte verworfen, der ewig-neu und Ewig-Neues Lebende verwirft: das Ausgelebte. Es steht kein Veilchen mehr aus dem Paradiese. Haltet nicht für Gerechtigkeit: urtheilen – und verdammen! Es scheint, als wenn von allen Lastern das entsetzlichste, die Unduldsamkeit, auch sogar mit Gewalt gebändigt werden müßte. Aber auch sie darf nur göttlich angesehen und entfernt werden, durch Lehre, Sanftmuth und Dulden. Das Herz des Menschen schämt sich, nur seinen Ochsen zu Tode zu prügeln, auch der Pfaffe wird sich endlich schämen. Auch die Beschämung muß ein Mensch den Menschen ersparen! ....«

– »Abscheulich!« riefen mehrere Stimmen.

..... »Und daß ich mich in Padua durch Reden verrathen, zürnet nicht! Denn daß ich die Rache des Domherrn Saraceno an einer ihm zu standhaft keuschen edlen Frau getadelt; daß ich den zaubergläubigen Abt Brandolino gescholten, der seine Schwester zur Concubine gemacht, und seinen Bruder und die Mitwisser seiner Schande mit Gift getödtet – und daß ich den Augustinermönch nicht gelobt habe, der ein eilfjähriges Mädchen entehrt und ermordet hatte, damit das arme trostlose Kind gewiß schwiege – das könnt Ihr nur loben. Die Welt muß die Welt kennen; die ganze Welt! Und nur ein Institut besteht, das die Einsicht, die Weisheit und das Wissen der großen Welt-Menschen in sich aufnimmt, ausbildet, darstellt, lebt, immerfort – nicht ausschließt, nicht sich abschließt, wie Ihr Eures nun eisern, mit Willen blind und mit Schuld zu Eurem Verderben nun abschließt .... damit denn rings um Euch draußen die allgemeine Kirche werde, die in allen Himmeln schon längst war, ehe die Sonne den ersten Stein nach Rom und Jerusalem tragen sah.« –

Darüber standen alle Inquisitoren von ihren Stühlen auf. Sie vergaßen, ihm sein Glaubensbekenntniß abzufragen über Gott und die Schöpfung, bis herab zum Amt der Schlüssel und dem Weltgericht. Sie verschwiegen sich ihre Gedanken, und nur Einer flüsterte dem Andern ins Ohr: »Nur teige Oliven geben Oel. Er ist noch nicht mürbe; darum dächt' ich, er würde blos mit dem Leinwandläppchen getränkt.«

Und das ward decretirt.

Bruno ward abgeführt, aber tief und weit weg unter der Erde. –

Vanina war an diesem Abende lange auf dem Dache der Peterskirche geblieben, gleichsam auf diesem hängenden Garten, wo der Boden Blei ist, und keine Blume, kein Baum; aber dafür desto mehr Lusthäuser mit Glasfenstern gewachsen zu sein scheinen. Den Guardiano in dem kleinen Häuschen an der Ecke nach dem Vatikan zu hatte sie sich, durch Geschenke an seine Frau, zum dienstbaren Freunde gemacht. So konnte sie bleiben so lange sie wollte, ja er hätte ihr hier ein Lager gegeben, wenn sie aus dem Knopfe die Sonne aufgeben zu sehen gewünscht. Aber sie hatte nur an der Ballustrade nach dem Inquisitionspalast zu, fast bis in seine Höfe geschaut, endlich mit Entsetzen auch das dumpfe Geheul der Gegeißelten, in der Stille der Gegend und des Abends gehört, und den Guardiano doch noch ungläubig gefragt, was das sei? »die Ketzer beten nur auf die Peitsche,« hatte er ihr geantwortet, »meist nur am Sabbath. Sie lernen stillschweigen. Leider ist ihnen die Motion zur Gesundheit, wie den eingeschifften Pferden, die in die Gurte gehangen werden und tüchtig – – –«

Sie hatte ihn nicht mehr gehört. Es war stille Nacht, wie sie aus dem Peter getreten. Und im Vorübergehen kniete sie geschwind auf die Schwelle des Inquisitionspalastes; und wie ein Liebender die Stelle küßt, wo seine Geliebte in Blumen gestanden, so küßte sie den kalten Stein, über den ihr Freund hier hineingegangen. Dann eilte sie mit klopfendem Herzen die Anhöhe hinauf in ihre Villa, in ihr Bett, um sich darin vor der ganzen Welt zu verbergen.

Aber der Traum fand zu ihr den innern Weg. Denn eben jetzt träumte ihr nicht dunkel, sondern sie sah alles wie in der ihr geöffneten Geisterwelt deutlich vorgehen: Sie befand sich in einer unterirdischen Grotte, worin sie zu Anfang nichts sehen konnte. Sie blieb wie angewurzelt auf ihrer Stelle stehen. Tiefes Schweigen herrschte umher. Endlich gewahrte sie bleiche Fackeln in der Grotte, und ihren unheimlichen Schein an den Gewölben. Geister in Menschengestalt trugen lange schwarze Kittel von Leinwand. Ihr Kopf war schwarz vermummt. Aus den großen runden Löchern dieser gleichsam nasen- und mundlosen Masken funkelten rollende Augäpfel. Sie ging aber den geschäftigen Geistern nicht aus dem Wege, sondern sie bemerkten sie gar nicht, und schritten oft gerade mitten durch sie hindurch, oder nur durch eine Hälfte ihres Leibes. Sie streckte den Arm aus, hielt ihn steif, und auch durch diesen schritt ein Mann in schwarzem Gewande mit weißem Kreuze; und auch sie selbst schlich sich durch einen ernsten Mann, den Einer dem Andern » Signor Dottore« gerufen hatte. An den Wänden sah sie nur einen Tisch mit sonst unbedeutenden Dingen, die hier drunten aber durch ihre sinnreiche Anwendung die furchtbarsten Folterwerkzeuge waren – ein paar Läppchen Leinewand – eine Flasche Wasser; dann eine Flasche Oel – ein Stück Speck – ein kleines Querholz – einen Kübel schwarze Kohlen. Sie erkannte das alles ohne nur recht hinzusehen, ja sie sahe hinter der Kopfvermummung des einen Henkersknechtes das fanatische Gesicht eines Priesters, der ihr bekannt schien, und sich das bevorstehende Geschäft aus Frömmigkeit und zur Ehre seines Ordens ausgebeten hatte. Da hörte sie wimmern aus dem Nebengewölbe, und sie schritt durch die zugeschlossene, eiserne Thür wie durch Spinnengewebe. Das Gewölbe war fast leer. Sie fing von oben an nach unten zu sehen, und gewahrte im Schluß des Bogens nur einen Kloben, von dem zwei Stricke herabhingen, die drunten einen alten Mann an den Händen hielten, die ihm auf den Rücken gebunden waren. So schwebte der blasse, angstvolle Greis, und sein langer weißer Bart, wie eines Patriarchen, zitterte vom Zittern seines Kinnes.

»Alter Aharun,« sprach eine Stimme zu ihm, »wenn Du stirbst, ist es Deine Schuld! Gestehe, bekenne, gestehe Dich schuldig, bereue! Sonst sind wir nicht Schuld an Deinem Tode!« –

Der alte Mann weinte blos, und die Thränen fielen, statt Antwort, ihm grade herunter aus seinem horizontalschwebenden Gesicht. Da zogen ihn die schwarzen Geister hinauf.

So blieb er droben hangen, während sie an dem Ende der Stricke befestigte eiserne Ringe in ihren Händen behielten und sich setzten. –

Da hörte sie die Glocke auf der Uhr der Peterskirche, hier drunten drei Viertel schlagen. Die Zeit ward ihr nicht lang, nur dem Gefolterten jeder Augenblick zur Ewigkeit.

Und als die Uhr hier drunten in der Erde ganz schlug, da stürzte der losgelassene Greis von der Decke hinab. Aber die Stricke langten nur so weit, daß er bis eine Spanne hoch über die Steinplatten des Bodens herabfuhr, und die ihn plötzlich hemmenden Stricke wieder hinauf zu reißen schienen, ihm aber nur Mark und Bein erschütterten, und tief in seine Hände schnitten.

Aber ihr war, als hauchte Gott vom Himmel dem Greise Besinnungslosigkeit ein, und sie entfloh durch die nächste Thür in ein anderes Gewölbe.

Aber da lag ihr Freund Bruno in einem hölzernen Troge, der ans der Erde stand. Der Trog hatte keinen Boden, nur ein eckiges Querholz, damit der Leib darauf sich stütze. Seine Füße lagen höher als der Kopf. Er war von schmerzenden Stricken fest bis zum Erstarren geschnürt. In seinen Mund bis tief in den Schlund war feine getränkte Leinewand gesteckt, deren Zipfel ihm auch die Nase verstopfte. Ein schwarzer Geist ließ Wasser in Mund und Nase rieseln, wozu er für die Marterstunde nur eine Meßkanne voll neben sich stehen hatte; und durch die Leinwand sickerte das Wasser nur tropfenweise hinunter. Bruno hatte keinen Augenblick zum Athemholen. Immer schnappte er nach Luft, und immer verhinderte ihn das Verschlucken des Wassertropfens daran. Dazu rückten die schwarzen Geister alle Augenblicke die schneidenden Stricke an. Vanina riß ihm die Leinewand aus dem Schlunde. Sie war über und über mit Blut getränkt. Bruno schrie dumpf und erschöpft einen kaum hörbaren Schrei, der aber durch alle Himmel bis zu Gottes Throne drang.

Die Schreiber drängten sich um ihn, um sein Geständniß aufzuschreiben, wie ihr noch vorkam. Aber sie war über den Schrei erwacht. Sie saß im Bett auf, drückte die Ballen in ihre Augen, und schrie nun selber laut – dann sprach sie erschöpft zum Tode: – »Das war kein Traum! Das war ein Gesicht! Blutige Wahrheit!« Und vor Furcht entfloh sie zu ihrer Mutter und weinte sich aus.


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