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2.
Die letzte Freude.

 

Wirken ist leben. Ein Stück Lunte, das gezündet, hat lange genug gelebt, und lebt so lange als der durch sie zerschmetterte Thurm todt ist und da liegt. Wirken ist leben.

 

Auf dem traurigen Gange schlug dem armen Manne das Herz; er sahe keine Stufen; seine Füße waren wie ohne Herrn, ohne Augen und Maaß da über sich im Kopfe, und er wäre beinahe die Riesentreppe hinuntergestürzt. Er war nicht in Venedig, er war in der Hölle. Er wußte nicht, wie er über die Piazetta durch die lauten, wandelnden Geister gekommen, wie er in die Gondel, den schwarzen, großen Sarg gerathen, darin er nach der Giudecca überfuhr; und auf die schwarzen Kissen hingeworfen, sprach er bei sich: Edel und schrecklich, daß die Männer die Armuth für die größte Schande halten – den Schein der Armuth, des Unwerthes, der Unfähigkeit! Denn arm, unwerth und unfähig, ja, recht erbärmlich sein, wie ich, das ertragen sie tausendfach – ganz still ohne Wort! Und edel und schrecklich, daß die Väter ihren Töchtern ein gutes Schicksal bei ihren Männern erkaufen wollen durch eine reiche oder arme Mitgift! Ja, eine armselige Mitgift nur wollte ich für mein einziges gutes Kind! Und begabt nicht der Gärtner die Blume, die er eingepflanzt, doch mit einer Hand voll guter Erde! und gießt sie an, wenn auch mit der letzten Neige Wasser im Kruge! O mein gutes Kind! O die Vorliebe, die Vorliebe ist das größte Laster in der Welt, und wie schmeichlerisch und doch wie heuchlerisch täuschte die Scheinheiligste das willigste Herz! Aber heilsam und schrecklich auch, daß der Mann durch seines jugendlichen Unverstandes traurige, oder durch seines richtigen Dranges glückliche Wahl sich in eine Lebensart einsperrt! sich die frei schaffende Welt vermauert mit eisernen Mauern. Da sitzt er denn in seinem Königreich, an dessen Grenzen er mit der Faust schlagen kann! Wer sich zum Acker begeben, der kann nur fleißig mit fleißigen Ochsen sein Brod verdienen! Wer sich dem Fischen ergeben, der kann nur durch Fischen früh und spät reich werden, und noch erst durch glücklichen Fang! Wer sich an die Hobelbank gestellt, der kann nur mit dem Hobel das Geld aus den Beuteln hobeln! Der Schuhmacher zieht nur mit seinem Drathe den Segen vom Himmel! Dem Maurer versiegt die Erde, die Menschen werden ihm zu Stein, wenn er nicht fleißig Kalk an die Wand wirft! Nur auf die Kelle regnen ihm Wolken; mit Andrer Steinen mauert er sein Haus, füttert er Weib und Kinder! Der Schiffer kleidet sie in Wind! Der Müller wird fett durch Wassergebraus' und Rädergetöse! Der Bäcker wird reich aus Einem Backtrog, mit Einer Schuße, die er fortwährend in Einen Ofen schiebt. Und was für eine der Menschenqualen erwählt' ich aus Noth! und aus Lebensgefahr! Das dem Spürhunde des Jägers ehrliche Geschäft, das dem Menschen abscheuliche Geschäft – ein Hund zu sein, der Ungläubige riecht und nicht offen sie anfällt, daß sie ihm wehren können – nein, der sie heimlich in die Grube lockt! O ihr Scheinheiligen, ihr habt mich armen Bettler bethört, weil ich Euch klug aussah. Aber die Scheinheiligkeit erdrückte selbst den Verbrecher, geschweige ein redlich Gemüth – das ich doch hatte zu meinem Freunde, meinem einzigen Jugendfreunde! Ach, da er fern war, da ich ihn sicher wußte, selber durch meine Briefe und Warnungen ihn sicher wußte – da dachte ich nicht, was ich that, was ich war! Nun ich das Schreckliche, das Letzte dem Freunde thun soll, nun er da ist durch sein reines Vertrauen und seine göttliche Sorglosigkeit, nun ich nach sechszehn langen Jahren ihn wiedersehen soll, ihn an das Herz drücken, und Er mich, – nun weiß ich, wer ich bin! Ach, und nur auf diesem Wege, mit der Schlinge des Trugs in der Hand, konnte ich meinem armen Kinde seine paar Hemdchen und Strümpfe, seine paar Tischtücher und die Brautbetten verdienen! Menschen, Menschen, bedenkt, was Verdienst ist! Und was Schande, Verzweiflung ist! – Aber ich will ihn retten! Ich sage ihm: »Bruno, fliehe sogleich von der Stelle«.

Und während er diese Worte auf einen Zettel mit Bleistift schrieb, und ihn zu sich steckte, sprach er: Jetzt ist er mir nicht entflohen – sie haben ihn in Venedig gehabt!

Da legte die Gondel an der Scala der Giudecca an. Und die erste, die den ans Ufer Gestiegenen ergriff, war seine sechszehnjährige Tochter Bruneletta in sauberem aber dürftigem Brautstaat. Auch sein Weib, Elva, kam ihm entgegen aus der Kirche. Er ergriff beide mit Hast an der Hand, blickte getrost zum Himmel, und sagte leis: »Ich bin zufrieden, wenn mir aus Dir Einer in das Herz schaut – aber gewiß schaue ich Dich froh aus meinem Herzen!« Dann überblickte er den Raum voll Menschen. Wie er aufmerksam durch sie hinging, hörte er eine Gruppe sagen: dort der Mann in schwarzer Kleidung – das ist der Mago, der Zauberer! der Hexenmeister aus Galiläa.

Narr! sagte ein Anderer, er heißt ja Galilei! Er hext jetzt die Sterne vom Himmel bis vor die Augen herab, und sie gehorchen ihm! Ja, er kann mehr wie Moses, er macht Flöhe so groß wie Mäuse, und Mäuse wie Katzen, und Regenwürmer wie Schlangen!

Er kann auch Wetter machen, Wind, Regen und Sonnenschein! sprach ein Dritter, während ihn alle mit der Furcht der Unwissenden anstaunten, und sich in Acht nahmen, nicht an ihn zu streifen.

Mit Freude und Wehmuth ruhten Arrigoni's Augen auf dem so jungen und schon so berühmten Manne, denn ihm fielen die Worte des Nuntius ein. Ihm zur Rechten stand der venezianische Nobile, Francesco Sagredo, der in seiner Staatsgondel gekommen war, ihn nebst dem jungen und auch schon berühmten Campanella in seinen Palast abzuholen. Sagredo drängte; und Galilei sah sich um nach Giordano Bruno. Er sah ihn mit seiner Wirthin Francesca und ihre Tochter Vanina seitwärts einsam stehen, und ging mit Campanella auf ihn zu, um von ihm Abschied zu nehmen.

Da sahe Arrigoni seinen Freund, und das Herz pochte ihm laut. Noch heiß von der bestandenen Arbeit, hatte Bruno sein Barett abgenommen, und sein schwarzes, überreiches Haar fiel ihm von der Wölbung oben auf seiner hohen Stirn getheilt, auf beiden Seiten bis auf die Schulter herab. Seine großen, gewaltigen schwarzen Augen leuchteten feuerblitzend und strahlend; seine kühngebogene Nase schien älter geworden, gewachsen und größer; aber seine Wangen, die jetzt wie dem Jünglinge glühten, waren nur gewichen und gesunken. Sein schwarzer voller Bart, in welchen die Schnauzbärte von der Oberlippe, der Stutzbart von der Unterlippe, und der Backenbart von den Kinnbacken floß, ihn anschwellte, und dann kurz gelockt eine Hand breit unter dem Kinn über dem kräftigen blosgetragenen Halse abbrach, gab ihm das ehrwürdige Ansehn eines Zeus, und die schwarze venezianische Kleidung, die ganz der des Galilei gleich, kräftigte noch den Eindruck von seiner hohen Gestalt. Arrigoni zeigte ihn seiner Tochter Bruneletta und sagte: »das ist mein Freund, der Giordano Bruno! Nach ihm trägst du deinen Namen, damit ich seiner immer und gern eingedenk war. Das paduanische Mädchen aber, ist die Vanina, die Tochter seiner Wirthin, die vorhin das Leben um ihn gewagt! Wie sie kühn vor Liebe und Angst in dem Kahn stand um ihn aufzunehmen! Doch das weißt Du nicht. Sie erbt jetzt unvermuthet ein ungeheures Vermögen, mein armes Töchterchen! Wahrhaftig, sie liebt ihn! o sieh' nur, wie ihr Blick sich an ihm freut!.... Du armes Kind!«

»Warum arm?« fragte Bruneletta. »Er kann sie ja heirathen!«

»Wir wollen sehn!« sprach der Vater, »die Weiber helfen den Männern fort in der Welt.«

Die drei Männer, Bruno, Galilei und Campanella hielten sich jetzt zum Abschied an der Hand. Jetzt der ewige Ruhm Italiens, damals das Schrecken und die Furcht seiner immer in Todesangst lebenden Herrn, der Geistlichen, die mit Recht immer irgend woher und irgend von wem die Erschütterung und den Untergang ihres unbegründeten künstlichen Wolkenbaues besorgten und ahnten.

Und Bruno sprach zu Campanella: »Theurer Schüler vergeßt mich nicht! Mein ganzes Herz hab' ich Euch ausgeschüttet. Ich danke hier unserm Galilei, daß er Euch mir heimlich zugewiesen hat. Keine Freude geht über Lehren! Lehrfreude ist die Kinderfreude über ihres Vaters reiches Haus. Wer kann das Dasein Gottes verschweigen! Lebt wohl! Zieht wieder glücklich nach Neapel – und haltet fest an Euch. Der Mensch hat auf der Erde den alleinigen und festesten Halt nur an seinem Geiste, Alles ist gegründet auf sich. Seid in Euch frei und froh. Laßt Eure Glocke klingen! Sie hat den Klang des Alls. Wecket die aberwitzigen Träumer, die jammernd und elend mit ihren Nachtgespenstern kämpfen. Ruft die Menschen freundlich zur Milch der Mutter zurück! Zerschmelzt die eiserne Gans der Unwissenheit, die quer über Kopf und Brust der Menschheit liegt, die allein ihr nur alle so schmählichen Leiden bringt. Und nun zum Angedenken sag' ich Euch mein Wort, das ich mir unaufhörlich sage: »Sei voll vom Berufe des Menschen, als auch deines ganzen Volkes. Hege, fördere, thue Alles, was es will. Denn es gehört auch Dir, voraus schon Dir! Was Eines Geistes ist, sei Deines Geistes! Was Eines Herzens ist, sei Deines Herzens! Und frage niemals wie Dir's geht; das ist nur eine Frage nach dem Wetter, nicht nach Dir!«

Campanella küßte ihn liebreich und dankbar, und sah ihm besorgt in die Augen.

»Um mich seid unbesorgt,« bat Giordano die Freunde.

»Das bin ich nicht so ganz!« sprach Galilei. »Campanella ist 30 Jahr, ich bin erst 36 Jahr, theurer Meister, und Ihr seid 57 Jahr – aber laßt Euch die Liebe und Dankbarkeit doch rathen, Euch nicht hinreißen zu lassen! Wir weinten um euch die bittersten Thränen.«

»Es kommt auf die Sache an, die mich hervorstürmt,« entgegnete Bruno. »Unwahrheit dulde ich nicht, wenn sie schädlich wird! Und Unwissenheit ist immer der äußerste Schaden der Seele. Wahrheit ist Feuer, und Wahrheit reden ist nur leuchten und brennen. Wer seines Selberdaseins gewiß ist, der kennt auch nicht Furcht. Kein Tapferer hat Muth, er hat nur seine That oder seine Rede – wie ein Kind! und ewig lebe ich nur überall! Wir alle aber müssen doch bald von der Erde.«

»Und sollte Euch dennoch hier etwas zustoßen, theurer Meister,« sprach Galilei, »gedenkt an Sagredo. Kommt alle Abende zu uns! Schont Euch! Schont mich!«

»Ich werde selbst Eure Kleider schonen, die Ihr mir geborgt habt,« sagte Bruno noch lächelnd ihm ins Ohr.

So schieden die drei herrlichen Männer auf Nimmerwiedersehen unter der Sonne; alle drei von den wahrhaften Ungläubigen an die ewig wachsende immer schönere Wahrheit, und von den hartnäckigen, herrschsüchtigen Nutznießern gefälliger alter Verblendung zu lebenslangen Qualen, ja zum Tode, als die neuen Märtyrer hingerissen.

Die beiden jüngeren Freunde gingen mit Sagredo. Bruno aber ergriff Vanina und ihre Mutter, um bei einer armen Verwandten da hinten in einem verborgenen Winkel einzukehren.

Arrigoni stellte sich mit seiner Frau und seiner Tochter ihm in den Weg.

Bruno sah ihn, blieb stehen, hob die linke Hand wie ein Nachdenkender vor die Augen, ja er schloß die Augen, um, ungestört von der bunten, lauten Natur, in seine alte ewige Seele zu schauen. An dieser Sitte dazustehen, oft selber bei Tische seine Augen zu schließen, die nur sein Freund gewußt hatte, war er hauptsächlich entdeckt und erkannt worden. Der Freund sahe ihn so mit alter Wehmuth und flüsterte ihm leise zu: »Bruno! Ich bin's!«

Da schlug Bruno die Augen auf, er flammte vor Freuden – die Freunde umschlangen sich, und Jeder ruhte stumm an dem Andern aus.

»Das war wieder einmal werth zu leben und zu sterben,« stöhnte dann Bruno entzückt. »Auf derselben Stelle, wo wir von einander geschieden sind, find' ich dich wieder, Torquato! Vieta! Bruder!«

Arrigoni sah ihn bedeutend an und legte den Finger an die Lippen, um ihm Verschweigung seines wahren Namens aufzulegen, und sagte ihm dann leise: »Hier heiß ich Arrigoni, Arrigoni!«

»Ja so heißt er!« sprach seine Frau.

»Ist das Dein Weib!« fragte Bruno, »und ist das Dein Kind ?«

Und der Vater bejahte es lächelnd.

»Seid mir gesegnet!« sprach Bruno; »oder wie man das nennen soll.... aber ich fühle ein plötzliches Feuer für Euch! Ihr seid mir so nahe, so lieb, wie mir jemals der Freund gewesen! Ihr habt ihm das Leben geschmückt und erheitert – er hat gewußt, für Wen er lebt, wem er Alles opfern kann und muß, und doch nichts opfert, denn Alles wird ihm leicht für Euch!«

Arrigoni seufzte tief und griff nach dem Zettel, als wenn er ihm nicht sagen könnte: Bruno, fliehe auf der Stelle! Und wirklich, er gab ihm den Zettel mit heftigem Drang – doch Bruno steckte ihn ein in seiner Freude des Wiedersehens des Freundes. Aber es war auch, so zeitig es war, doch zu spät. Denn Arrigoni sahe schon die ihn umlauernden Sbirren, die ihm das Zeichen zuwinkten, als er sie erblickte.

Er hielt sich schaudernd und starr an seine Tochter.

Und Bruno drückte ihr die Hände, er küßte sie auf die Stirn, er sahe ihr in die Augen und sprach: »Das sind die Wunder der Welt! Das sind die Zaubereien – das Kind des Vaters, die Tochter des Mannes, wo Er ein Mädchen geworden ist, und das Mädchen noch der Vater scheint und die Mutter zugleich! Und die Verwandlungen gehen so fort, und der Eine Hauch der Liebe haucht tausend Rosen auf! Kinder, ich, komme mit Euch! Ich muß deinen Biberbau sehen, und des Kindes Bett, und daß sie ißt und trinkt – daß ich es glaube! Aber mich dürstet! Kommt! Und diese, die Du hier siehst, Torqua – – – oder Ar – – wie heißest du als Maske? ja Arrigoni, hier diese beiden Frauen, das sind meine lieben Wirthe, bei denen ich seit sechs Jahren in aller Stille lebe, und manchmal auch in dem leeren freundlichen Hause Petrarka's in Arquà in den euganeïschen Bergen, wohin er vor der Pest floh, und ich vor der Pest – der falschen Menschen. Das große schöne Kind hier aber habe ich mit erzogen, und sie liebt mich wie einen Vater. Kommt!«

Und so stiegen sie alle sechs in eine bedeckte Gondel, in die jeder rückwärts hineinkriecht; vornehme Frauen zuletzt, erst nach den rückwärts hineinkriechenden Herrn; andere Weiber zuerst und vor den Männern. Aber sie lachten alle über diesen schwarzen Anständigkeits-Probekasten, über welchen der König von Frankreich mit seinen Hofceremonienmeistern verzweifeln müßte! Das war der Freunde letztes Gelächter.


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