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4.
Die thätigen Freunde.

Bei Sonnenuntergang am dritten Abend nachher, sahen von der Gallerie des Markusthurmes vier Esel herab, die vier Männer heraufgetragen hatten in den sanftansteigenden Gängen und über die einzelnen Stufen hinauf. Drei Männer standen auf der Brüstung auf die Kerker hinter dem Dogenpalaste zu, mit finstern Gesichtern in tiefem Gespräch, das sie hier oben ganz sicher und unbelauscht zu führen, vor allen andern Orten in Venedig mit Recht und Vorsicht angenommen. Der Diener des Einen stand, ihnen unsichtbar, auf der andern Seite des Thurmes, die Oeffnung des Heraustritts auf die Gallerie bewachend; und er allein erfreute sich an den flimmernden, goldleuchtenden Alpen in der Ferne, und an dem herbstlich-bunten Lande umher.

Und der Aelteste von den Dreien, der kühne, wagende, immer entschlossene Lord Sidney, sprach mit höhnendem Zorn: »Wenn doch die Herren nicht glaubten, sie wären allein in der Welt, und sie könnten alles über alle! Vergessen sie denn, daß es eben Menschen sind, die zu dienen scheinen, weil sie Herren heißen. Vergessen sie, daß das Meer sogar, so gewaltig von fern es heranrauscht, seine Wellen an Ufern brechen muß, die oft kaum eine Spanne höher sind, als sie zu erreichen und zu zerschellen vermögen! Vergessen sie, daß der Sturm um die Berge herum, oder über sie weg brausen, und sie stehen lassen muß in ihrer ruhigen Macht, die nur die sanfteste Gelassenheit ist, so lange kein Rasender gegen sie anstürmt. Und das Urgebirge ist die Menschheit! An ihr zerschellt alle tobende Macht, in ihr ist jedem Unsinn schon der Sinn entgegenstellt, jeder Gewalt die Hand, die sie fesselt, bereit. Aber was machte die Hand so faul, so ruhig? Die Meinung des Kopfes, das sei so recht und gut, was geschieht, das sei so himmlisch und göttlich verordnet! Und es währt Jahrhunderte, ehe denn endlich ein ganz Gemarterter meint: die Qual ist doch unmöglich von Gott und der Welt! – Der Mann ist der Ketzer! Der Mann ist fürchterlich; denn nichts steckt mehr an, als der Menschenverstand, und so wie die Mehrzahl weiß: »das Ding da, das sie uns so lange vorgemacht, ist vom Teufel, so hat es keine Macht mehr über das menschliche Herz, und vor Einem Verständigen erschrecken schon alle Inhaber des Unverstandes wie vor dem Tode.« Und nun geht der Kampf an um ihr Unrecht; denn so edel ist selber der unverständigste Mensch, die unglückseligste schädlichste Secte, daß sie nicht will Unrecht gethan und gehabt haben. Und sie hat nicht Unrecht gehabt und gethan – nur Unsinn und Unverstand! Darum stehen denn leider auch wir heut einsam hier droben, um zu beweisen, daß unter dem Eise des Lebensstromes alle warmen Quellen glucken und rieseln, wie das Blut in unsern Herzen! Ich lasse aller Welt den Lauf, denn Niemand weiß, wo er hingeht; aber Mord und Brand zu verhindern, das ist die ewige Naturpolizei, die jeder handhaben muß, wer nicht Pfoten hat wie ein Schaaf, oder Pfoten wie die Katze, die sie sich nicht verbrennen will. Indessen glaubt nicht, daß wir alle keinen Muth haben, weil wir schlau und verborgen handeln müssen – denn sonst vollbringen wir gar nichts. Aber Handhaben hat jede Sache genug, und für genug Silberlinge hätte selber der hohe Priester die Lade verkauft; aber unser Mann ist mehr werth! Er ist ein Bild vom größten Meister im Himmel – das wir als ein falsches in dieser Auction erstehen müssen.«

»Nur Falschheit nicht!« sprach der herrliche junge Adami. »Denn was habe ich armer Reisender vorgestern Morgen und gestern Abend erleben müssen! Es geschah, es war vorbereitet, ich kam nur dazu wie Hunderte, und hatte nur Augen, aber auch ein Herz dafür!«

»Nun, steht die Sache noch schlimmer?« fragte Fugger.

»Keine Wirkung bleibt aus:« sprach Adami. »Alle Elemente des Natur- und des Menschenlebens scheinen Schwarz-Pulver zu sein, Stoff zum täglichen augenblicklichen Weltgericht, und erwarten still die Auferstehung; es brauchen keine Posaunen zu sein, die sie wecken, um ihr Grab zu sprengen und auf in den Himmel zu fahren. Wir haben doch vorgestern unter der Procuratie die armen Frauen kennen gelernt, ein fünfblättriges bittres Kleeblatt! Waren die älteren Drei nicht redliche Mütter? Waren die beiden Jungfrauen nicht, in der schönsten, menschlichen Gestalt die verleiblichte Liebe! die sichtbare Hoffnung, von denen nur das Allerholdeste, Süßeste, ja geradezu Seligste Tag und Nacht ihre üppige Jugend lang zu erwarten und zu genießen war, und ihre treue Hand noch im Alter, und ihre heißesten Thränen im Tode! Und heut, heut schon ist die Eine eine Mörderin, die Andere eine Selbstmörderin!«

»Ach schrecklich, schrecklich!« rief Sidney.

»An Folgen in dieser Welt denken die Ewigkeitshändler nicht!« versetzte Fugger; »Herzen und Schicksale, Recht und Vernunft kümmern sie nicht. Hinter ihrem Gange mag der Teufel die Brücke abbrechen, die da Natur heißt, – wenn er ihnen nur vorn immer drei Bohlen in die Luft hinlegt! Darauf wandeln sie wie Himmelskönige in ihren goldenen Gewändern und Mützen! Aber derselbe schwarze Patron und Gesell kann und wird die Brücke ihnen bald vorn vor der Nase abbrechen, wenn sie gethan, was sie gesollt, wenn sie vollendet haben. Doch sagt, wie geschah's?«

»Ich hatte doch Camilla und ihr Kind nach Hause begleitet; ich hatte ihren Sohn, den Tauben, Stummen, Blinden, Gichtbrüchigen und Wahnsinnigen gesehn,« sprach Adami, »und dieses Leiden angestaunt, es stamme von wem es wolle, und hatte Diesen Urheber oder Dulder angestaunt; ja über Niemanden, der es erregt, hätte ich noch mehr als gestaunt, ich hätte mich gewundert. Ich hatte für meine Reisen Arzneikunde studirt – für mich und die Noth in meiner nächsten Umgebung; also war ich nicht Doktor geworden für Andre; denn der Titel giebt und lehrt nichts – und so erkannte ich hier bei diesem Unglücksconglomerat doch die Schwäche als Grund der Blindheit. Ich versuchte. Und der Jüngling trank einen großen Becher feurigen Syrakuserwein zweimal aus – und kurz darauf nach einer fröhlichen Erregung sahe er, er sahe seine vor Gram verfallene Mutter und seine Geschwister wohl fünf Minuten lang; und sie sah ihn sehend, und in dieser Freude hatte die Mutter erst das fürchterliche Ansehn – Einer im Sarge beleuchteten Todten! Oh! Oh erst die Freude des Armen ist schrecklich! Dieses Aufflackern und Funkeln der lebensmüden Augen! Dieses Lächeln, das durch die verwüsteten Lilienfelder der Wangen sich wühlt, dieses aus dem Grabe erwachte Entzücken, das mit den entfärbten Rosenblättern der Lippen zuckt und spielt, wie ein Kind mit den Blumen auf seiner Mutter Leiche! O Himmel, bat ich, verschone mich mit deinen grausen Geheimnissen, die in die Welt nicht gehören! Aber er verschonte mich nicht. Ich mußte noch mehr sehn. Doch zuvor – ich gab ihr das Geld, das wir für sie zusammengelegt hatten, als kaufte ich ihr die kostbaren Schaustücke von Bruno – sein letztes armes Geld, damit ab, als sei es noch mehr werth. Und wahrlich, diese Münzen, schon diese Eine vom Papst, aus Freude über die Bluthochzeit geprägt, würde das größte Wunder wirken, wenn sie ein Wahnsinniger in den Himmel hinauf schösse an seinem Pfeil, oder ein Seliggestorbener sie mitnähme, und sie Gott dem Vater zeigte, um zu sehen: wie seines Kindes Statthalter im Lande verfährt! Mit diesen Gedanken ging ich, von Camilla's Bettelkinde geführt, in Arrigoni's Wohnung. Ach, man darf und soll nicht so fern in die Fremde reisen, wo man das Menschenherz und seine Thaten, also Alles, was sich uns ereignet, nicht versteht! Hier verstand ich – den Todten oder den Sterbenden, der mitten im Zimmer lag, unaufgehoben von Arrigoni's, mit dem Gesicht in den Betten liegenden Wittwe, daß ich sie so nenne; nicht einen Klotz oder ein Buch einmal unter dem Kopfe zum Sterbekissen! Es war Bruneletta's Bräutigam, der Inquisitions-Familiar, ein Mitglied ihrer heiligen Familie, das sein Meisterstück an dem Vater seiner Braut gemacht, die ihn aber erkannt! Es saßen schon ganz bequem und breit zwei Gerichtsdiener da, die zur Sicherheit meist überall zu spät kommen, und nur zur Gerechtigkeit, die da Rache heißt, immer zu früh. Zwei Andere waren dem entsprungenen Mädchen, der Bruneletta nach, so hört' ich. Sie hatte mit nie geübter Hand gut getroffen! Alle Cherubim und Seraphim wären mit allen Sonnen und Monden, mit allen Kräften und Säften der Welt in güldenen Schalen umsonst herbeigeflogen, diesen Leib vor seiner Auflösung zu erretten. Der Mensch hatte seine gefalteten Hände auf die Brustwunde gedrückt und betete, aber wie und was? – er dankte Gott, daß er nun graden Wegs in den Himmel fahre, als gefallen in seinem heiligen Beruf. – Wußte meine arme Bruneletta denn nicht, daß der heilige Glaube den Mann vom Weibe, die Mutter vom Kinde trennt, daß die Kinder selig werden, die ihre Aeltern verrathen und angeben eines Wortes wegen, das sie um die ewige Seligkeit bringen kann – damit sie gerettet werden! Und wenn sie wußte, daß ich es gethan, – sollte sie da an meiner Liebe zu ihr verzweifeln? an dem Himmel, in den wir zusammen wandeln wollten! O, die Liebe ist über alle Vernunft, und der Glaube ist über alles Gewissen. Meine Seele ist rein! Aber barmherziger Gott, sie ist eine Mörderin! Aber meine Mörderin; und ich, ich laß es ihr gut sein, darum laß Du es ihr gut sein, o Gott! Ach, erbarme Dich ihrer, und erbarme Dich meiner aus Deiner grundlosen Barmherzigkeit!«

»Ich sahe ihn liegen, als eine sichtbare entsetzliche Muster-Probe des Pfaffenspukes und Glaubens, und schauderte. Aber ich reichte ihm, diesem unaussprechlich elenden Thoren und Bethörten, seinen letzten Trunk. Ich richtete ihn halb auf. Er labte sich, holte tief Athem, lehnte sich zurück und sprach: »Nun ist mir wunderbar wohl! – Gott, lebe wohl! – Heiliger Vater in Rom, lebe wohl auf ewig! – Alle Menschen, lebt wohl, und grüßt mir meine Bruneletta!« – Da starb er. Seine Mutter trat herein. Das war sie! So starrt nur eine Mutter den plötzlich gestorbenen Sohn an! – Und unter ihren Gebeten über ihn, schied ich still.«

»Schrecklich, schrecklich!« sprach Sidney. »Aber seht doch an dem Mädchen: das menschliche Herz bringt immer und überall allen Unsinn ins Grade, und unter allen heraufgestiegenen Phantomen der Hölle steht es ihnen Rede, ja fertigt sie ab!«

»Auf große Unkosten!« meinte Fugger. »Dagegen sieht man an dem armen Familiar mit Schaudern und Freude, ich möchte sie himmlische Schadenfreude nennen: Glauben ist das Chamäleon, die Fledermaus im verworrenen Menschen, der, weil alles wahr ist, auch den Selbstbetrug mit allen seinen falschen Ansichten, ja alles ohne Ausnahme zu glauben vermag, und auf Autorität glaubt, wenn er ein großes Kind bleibt, wie denn die meisten Menschen, ja Völker es lange Jahrhunderte bleiben. Das Wahre zu glauben ist der wahre Glauben. Aber zum alleinseligmachenden Wahren ist noch weit hin! Wir suchen aber mit Recht kein anderes Wahre als das Gute.«

»Auch das Gute ist der Meinung unterworfen,« sprach Adami. »Darum hat Bruno gesagt: Thue nichts um eines Andern willen, selbst nicht um Gotteswillen, weder aus Furcht vor ihnen und ihm, noch aus Liebe zu ihm oder ihnen, sondern thue Alles aus Liebe selbst; denn Gott lebt und liebt in Dir!«

»Das scheint mir recht,« sprach Sidney. »Denn alles Schreckliche, was diese Christen, die Dominikaner in Inquisitoriengestalt thun, das thun sie »um Gotteswillen, zu größerer Ehre Gottes!« und sie selbst sind sich dabei unerklärliche Wesen, die außer Gott sich befinden – in ihrem Traum! Und ich glaube ihrer Redlichkeit! Ich glaube, daß sie redliche – Verrückte sind, verrückt aus dem wahren Standpunkt, oder noch nicht darein gerückt, die noch schreckliche Kometen spielen und Menschen erschrecken, mit Krieg sie bedrohen und überziehen. Wir stehen an wichtigen Zeiten. Aber auch an der Entscheidung.«

»Wenn sich der Glaube loswinden kann, so weiß ich doch nicht, was die Liebe erlöst aus den Leiden, die er über ihre Geliebten verhängt,« sprach Adami, sichtbar mit seinem Herzen theilnehmend. »Denn laßt es mich Euch erzählen, was ich weiter erlebt – nur eine Kinderei für die hohen Gläubigen, deren Wagenräder ohne Gefühl über Menschenherzen gehen können oder sollen – zum Zeugniß ihrer himmlischen Macht. O hättet Ihr Vanina gesehen! Und ob Euch gleich ihre That nicht gegolten, Ihr hättet doch selige Thränen geweint über sie. Ich will den Hergang erzählen, wie alles gekommen sein muß. Gestern Abend war ein großes Leichenbegängniß zu Wasser und zwar auf dem Hauptkanal. Ich gehe zu Vanina und ihrer Mutter Francesca, wie sie mich gebeten hatten, da sie vorgestern unsere Theilnahme und unsere Bereitwilligkeit zu Hülfe gesehen.«

»Bei den armen Leuten waren sie nicht, aber ich ward zu ihnen geführt. Ich fand sie wohnen im obersten Stockwerk eines Palastes am Kanal, bei ihrem Gerichtsbeistand, der, wie mir die Mutter fast mit Leidwesen sagte, schon gestern ihrer Tochter Vanina die Erbschaft ausgewirkt und ausgehändigt – da man keinen Anstand mehr gefunden, und wodurch sie so reich ist, wie irgend die Tochter des allerreichsten Venezianers. Sie führte mich zu Vanina. O, was sah ich! Wie hatten ein Tag und zwei Nächte voll Angst und schrecklicher Träume und qualvoller Liebe die bildschöne Jungfrau verwandelt – aber ins Ernste, Ruhige, Große, ins Kolossale, ins Feierliche, ja ich muß sagen ins Heilige! Wer, wenn er auch noch so von ihren Reizen, von der Pracht ihrer nur sorglos leicht verborgenen Glieder bezaubert gewesen, hätte gewagt, ihr zu sagen: Ich liebe Dich! oder gar zu verlangen: Liebe mich wieder! – Keiner! Wer hätte diese Geisterbraut eines Andern in sein Hochzeitbett tragen können zur Brautnacht! Wer hätte trotz der Weihe aller Kirchen und den Segen von zehn Millionen Pfaffen nicht die Ehe gebrochen mit ihr! Wessen Kinder mit ihr wären nicht verabscheute Bastarde gewesen, ungesegnet trotz aller Wasser des Flusses Jordan! Und entsetzlich handelt jeder Mann, verbrecherisch und ehebrecherisch, dem nicht die Liebe des Weibes oder der Jungfrau auf zeitlebens gehört, der ihr nicht ewig allein gehören will oder kann. Die meisten Ehen brechen Jünglinge und Jungfrauen voraus – sie berauben den, der sie einzig lieben wird, um sich selbst, und sich selbst um die Liebenden, denen sie allein gehören. Das sahe ich an Vanina: Denn diese anrührbare, anblickbare, mit der Hand ergreifliche Gestalt stand unerreichbar fern vor menschlichen Augen! Sie lebte, den Marmorboden mit ihren Füßen betretend, doch in jenem stillen Reich, wohin sich Alles flüchtet und birgt, was auf der Erde zu elend oder zu glücklich ist. Und dieses Weib mit der gesenkten weißen Stirn, über die sich die schwarzen Locken gestürzt; mit diesen groben brennenddüstern Augen; mit dieser schönen Brust, die kaum athmete vor Ehrfurcht vor dem Geiste, der sie wie himmlisches Feuer befallen hatte – ich konnte sie nicht elend nennen. Wenn, wer voll und grenzenlos liebt, selig ist, so war sie es unaussprechlich. Denn unglückliche Liebe ist auch noch Liebe, ja vielleicht erst die höchste, die glühendste Liebe. Sähe sie nicht in ihrem Haupt noch den vor Augen, den sie liebt, hätte auch ihre Seele ihn verloren, wie ihre Arme, dann liebte sie ja nicht mehr – denn sie lebte nicht mehr. Aber kommt noch zu diesem unraubbaren Besitze im Herzen der Wahn: »Du hast ihn verloren, – er ist hin, er ist elend!« – dann erreicht erst die Liebe ihre nie geahnte Fülle, ihre Schwere, wie die reifste süßeste Orange – ihr Paradies ist ihr versunken, aber in klare durchsichtige See! Und sie legt sich in die Blumen des Ufers: hinabzuschauen! Da geht der wirkliche Mond auf und erleuchtet ihr die Schätze mit seinem Zauberlicht! Und die wirklichen Nachtigallen erfüllen dazu ihr Ohr, und ihr Herz schlägt wirklich, und ihre Augen weinen wirkliche Thränen – und Alles ist ein Wunder, und sie das seligste, schönste!«

Fugger lächelte den begeisterten jungen Mann an, und drohte ihm mit dem Finger.

»Laßt mich Freude am Leben, an den Lebenden haben und an den Liebenden; also die größte und reinste!« bat Adami. »Die Ursachen zum Neide kommen erst! Bruno war ihr Lehrer gewesen; mit allen erhabenen Gefühlen hing sie an ihm, wie das Auge am Quell des Lichts der aufgehenden Sonne – und wie die Untergebende, war er grade noch schön, sehr schön, und ein Mann, welch' ein Mann! Ist es nicht herrlich, Liebende sehen! Denn wir schauen in ihnen, oder, als wären sie durchsichtig, durch sie, das Vortreffliche, das sie begeistert – und sie reißen uns in ihren stillen Zauberkreis. So war ich denn still vor Vanina, und still widerlegte sie unsre Hoffnung, und belächelte unsere Mittel und Wege. Sie wies mir ein französisches Buch, das sie verstand und gelesen, den schrecklichen » Guide des Inquisiteurs« von Lymerik, Großinquisitor von Arragonien, und Sarpi's Werk: » dell' officio dell' inquisizione di Venezia.« – Nur wer sich selbst als Ketzer angiebt nach der Predigt an das Volk, der kommt wohl los, aber,« sprach sie leise: »Wer ergriffen wird, wer standhaft ist – der wird losgelassen – aber an die Henkersknechte!«

»Sie bedeckte ihr Gesicht, sie stand auf. Das aufbrüllende Geläute der Glocken bedeutete den Aufbruch der Todtenschiffe, und wir traten auf die Balkons hinaus, ich zu ihrer Mutter, Vanina allein. Welch' ein Schauspiel! Der weit hin übersehbare Kanal war erleuchtet. Alle Fenster der Paläste vom Dache bis auf das Meer hinab glänzten von Lichtern; an den Marmortreppen der Portale brannten Fackeln. Und die, diesmal Trauriges bedeutende Pracht, war noch einmal, und wunderbarer als über dem Wasser, in seinem Spiegel drunten verkehrt hängend und qualmend und funkelnd in der Tiefe zu sehen. Die Mutter zeigte mir, rechts neben uns am Fenster des zum Grafen ernannten todten Malers Tiziano noch lebende Tochter. Aber mich reizte das Schiff mit der offenbegrabenen Todten – eine junge Braut in ihrem Schmuck und in tausend Blumen und brennenden Kerzen – und nun eine schwarze vergoldete Staatsgondel nach der andern mit feierlichen dumpfen Ruderschlägen fortbewegt, alle Gondoliere schwarz – dann Gondeln mit verborgenen Sängern; und wiederum Staatsgondeln; und wieder schwarze, hohe Särge mit gedämpfter Musik – und das alles zog unter dem vom Glockenklange summenden und wogenden Himmel auf dem Wasser, und im Wasser noch einmal wie zum Hohne verkehrt geschehend, zwischen den hohen Palästen des großen Canales dahin, und aus allen Fenstern hingen schwarze, seidene Tapeten aus, mit den wunderlichen Wappen, und Mädchen und Frauen standen, zur Ehre des Hauses der Verstorbenen, in schwarzer rührender Trauer, und Hände wehten der Braut die weißen Tücher nach, oder hielten sie vor die weinenden Augen. Und von den hinabgeworfenen Kränzen und Blättern und Blumen waren Gondeln und Wasser bedeckt, als wären die Blumen des künftigen Jahres hier alle voraus schon vom Himmel geschüttet worden. So war der Zug dahin und verschwand. Es war einsam, es war still. – Da hörten wir es rauschen wie einen aus der Luft stürzenden Adler; es war als schlüge eine Hand auf das Wasser und als habe es sich getheilt, denn ich sahe eine weiße weibliche Gestalt wie eine Meergöttin in die Tiefe rauschen.«

»Francesca sahe sich um. – »Vanina!« rief sie, und wir standen in wenig Sekunden schon drunten am Wasser.«

»Schade um ein so reiches Weib,« meinte Fugger.

»Ich verstehe Euch in gutem Sinn,« fuhr Adami fort; »denn außer dem Weibe giebt es kein Gefäß in der Welt, dessen Gestalt, als so wahrhaftig antik, so unschätzbar ist als sein Gehalt. Aber wir sahen sie schon von zwei Männern ergriffen; sie ward uns entgegen getragen; das Wasser rang sich von selbst von ihr los, sie fühlte sich endlich wohl wieder bei der Mutter, aber sie schlug ihre Augen nicht auf. Die nächsten Nachbarn umstanden sie noch in der Halle drunten. Auch Tizian's Tochter. Und sie bestaunte das schöne Weib, so blaß, so hin, so entzückend. »So etwas,« sprach sie zu ihrem Begleiter, »hat mein Vater nie gemalt; welche Venus von ihm gleicht dieser! Und das Colorit! Das ist Naturwahrheit, Weibesfleisches-Wahrheit. Warum hat er doch dem Fleische durch herbeigeführte Beleuchtung des Abends oder von Ampeln erst einen rothen Schein gegeben, aufgelogen zu des Meisters Schande, der das Weib gebildet und gemalt in Einem!« – Die redliche Gräfin Tochter sahe Vanina mit Bedauern sich erholen und sie hinaufführen. Ich aber dachte an Bruno, und an die Genüge, die er fühlen kann, wenn er es je erfährt. Wie stieg er nun auf andere Weise so hoch bei mir im Werth! Alles Glück eines Menschen, eines Mannes ist nichts gegen das unsägliche Glück, daß ein schönes und liebendes Weib um ihn stirbt! ihm voraus stirbt, oder ihm nach! Dadurch erscheint er höher als alles was lebt, denn um ihn hat die Liebende alles weggeworfen, und alles was lebt war ihr nichts! Und noch sahe ich an Vanina, wie sie so dalag: – – es waltet ein Geist im Menschen, ein reiner, stolzer, ewiger; vor welchem Tod und Grab nur leere Worte sind! Dieser Geist gebeut seinem Leibe und fesselt ihn in Qual und Schmerzen, und reißt ihn fort aus Reichthum und Wonne. Auch Bruno ist so ein Geist! Und ich habe keine Furcht mehr für ihn. Vanina's Mutter aber bietet mit Freuden all' ihr Vermögen, um ihn zu retten, damit ihr Kind doch nur lebt, wenn er lebt! Noch Eins aber, und ich täuschte mich nicht – die Angst rief einen Jüngling droben in Vanina's Zimmer an ihr Bett, das war Bruneletta in Mannskleidern! Zu ihr hat sie sich geflüchtet. Sie haben beide eine Klage. Nur ist Bruneletta, außer dem weltlichen Gericht auch noch dem Inquisitionsgericht verfallen. Sie hat Hand an einen ihrer Heiligen gelegt! – Aber nun rathet kurz und beschließt, was zu thun ist? und wie? und wann? und wo? Mich aber trägt den nächsten Morgen mein Schiff schon nach Candia! Auf dem Rückweg aus Egypten gehe ich von Malta nach Neapel, um Campanella zu hören; und die reichste Welt für den Menschen sind große Männer. Denn leider ist Campanella schon vorige Nacht zu Schiffe nach Neapel, und auch Galilei ist, vor Schreck genug, nach Padua eilig zurück. Nur kein Wort fallen lassen vor dem fanatischen Schoppe! Den besten Rath gebe Sarpi! Der kennt die großen Puppenspieler hier, welche die Drähte und Puppen bewegen, und er kennt die Drähte und Puppen, durch welche alles Spiel gehen muß, die aber Augen haben und Ohren und Zungen und Hände wie Polypen – zum Geldnehmen!« –

»Mit Sarpi habe ich geheim gesprochen,« sagte Sidney. »Ein rechter Mensch ist aller Menschen Freund, und in der ersten Stunde stehen wir ihm näher, als verschlossenen Herzen in Jahren. Er hatte Vertrauen zu meinem unverkennbaren Eifer. Er nannte mir die Puppenspieler und Puppen. Das würde uns helfen, zu erfahren, was geschehen sei, vielleicht auch, was geschehen solle mit Bruno. Er werde hier vernommen werden, aber gewiß nach Rom geliefert. Denn Venedig sei nicht so frei wie etwa Neapel, das die wichtigsten päpstlichen Ehren- und Kirchenrechte, die Regalrechte vom Papst, und also den Papst für Geld sich abgelöst habe, was allgemeine Nachahmung verdiene! Darum habe das Volk von Neapel mit Fug das Inquisitionsgericht verbrannt in einem furchtbaren Aufstand; die Römer hätten das ihre verbrannt, aber der Papst habe es in diesem seinem Ben-retiro Rom neu und fester und größer vor 28 Jahren wieder aufgebaut. Rom würde also den Bruno vor sein Forum fordern – und erhalten. Denn Venedig hätte nur den tapfern, hochherzigen römischen Räuber menschlicher Dinge, den Marco Sciarra mit seinen vielen hundert Banditen in Dienst genommen – und hätte sie dem Papst wiedergegeben, wenn es ihn nicht lieber vergiftet und die Banditen nicht schon klugerweise nach Illyrien gegen die seeräuberischen Uskoken geschickt hatte, wo sie doch einen nützlichen Tod gestorben wären, und nicht wie im Sacke ersäufte Katzen, oder an den Brandpfahl gekettete Menschen. Aber das seien nur höchstens Kirchenräuber gewesen, aber Bruno raube Rom den Grund zu seiner Kirche, und mache sie bodenlos. Darum könne Bruno, wie der vergiftete Sciarra, nicht hier in Venedig enthauptet werden, wie dem Sciarra, trotz des Gelöbnisses mit ihm, geschehen sei. Mit Bruno sei aber nicht einmal ein Gelöbniß eingegangen, noch sei er selber fürchterlich und schon eine Macht, da sein Anhang und seine Macht erst aus künftigen Menschen bestehen werde. Wenn es nun nicht heilsamer sei, daß seine Sache durch seinen Märtyrertod grade ewigen Ruhm, Klarheit und Uebergewicht erhalte, so sei am fördersamsten zu wissen: wann, und welchen Weg er heimlich von Venedig nach Rom geführt werde? Da sei er auf einer Strecke von 130 Stunden, viele Nächte und Tage auf einsamen Straßen und hohen Gebirgen in der Macht einer Uebermacht von ein Paar Räubern. Gewöhnlich sei aber der Weg zur See auf einer venezianischen Galeere; die Uebergabe der Ketzer erfolge in Ancona, und dann sei der Weg über Loreto, den Apenin, Foligno und le Vigne, von wo aus es durch die meilenlange Wüste bis Rom noch von Räubern und Banditen wimmele, die jeden für Geld verschonten oder ermordeten und Gefangengeführte befreiten.«

»Das ist verständlich!« sprach Fugger; »an Geld soll es nicht fehlen.«

»Ueberlaßt mir die Ehre!« bat Sidney. »Ich leiste einem Freunde nur den geringsten Freundschaftsdienst. Denn der scheinbar größte Dienst aus redlichem Herzen ist wirklich nur der kleinste, weil er der unerläßlichste ist. Hier die Kerker anzünden, ist unsicher und fast gewiß grausam. Denn in welcher Höhle liegt der arme Bruno angeschlossen auf seinem Stroh? Und wäre er zufällig zu retten, so würden hunderte an ihren glühenden Ketten verbrennen. Und so thäten wir das unmenschlich, was wir menschlicher Weise nicht wollen geschehen lassen. Wann wird doch der Haß, die Wuth und die Rechthaberei der Priester aufhören? Sie ließen schon einst sogar die Söhne des Anaxagoras tödten, die ihm nicht so schnell nach Lambsakus zu folgen vermocht. Hier verbrennen sie noch die Todtengebeine der Menschen in ihren Särgen, die ihre Foltern nicht überlebt!«

»Jene Alten thun es nicht mehr;« sprach Adami, »ja sie ließen schon nach, als ihre Gilde noch galt. Der Gang der Priester zu ihrem Tode hat auch Stationen, aber nur drei. Auf der Ersten haben sie das neuerkannte Göttliche, das zu ihrer Zeit Beste und Höchste und Einzige auf der Welt ergriffen, sich seiner bemächtigt; sie sind die Verbreiter desselben, die Händler damit, sie sind seine Inhaber und Herren. Alle Gemüther fallen ihnen zu – das heißt zugleich: sie fallen von ihrem alten Glauben ab – alle Kräfte werden in ihrem Dienst angestrengt, auf ihr Geheiß alle Reichthümer verwandt, jeder ist selig in ihrer Verbindung, in ihrer Nähe, selig im Grabe am letzten Winkel von ihrem Tempel. In dieser Zeit üben sie, was sie wollen, bewundert aus. Ihr Leben, ihre Sitten, auch die frevelhaftesten lüsternsten schaden ihnen nicht. Denn sie bedeckt noch der göttliche Nimbus, der Heiligenschein. Das ist das wahre, nützliche, glückliche Leben der Herren! Auf der zweiten Station – ist das Meiste gethan, gesät, aber auch geerntet. Die neuen Tempel, die neuen Götterbilder stehen; aber mit Mühe, mit Erschöpfung der Begeisterung! Uebertreibungen, Mißbrauch, ja schlechter oder unglücklicher Gebrauch hat statt gefunden. Die Menschen sind den Tanz mit den himmlischen Geistern müde. Und doch versucht das Geschlecht die begangenen Thorheiten noch einmal, noch zweimal; aber schon mit Nebenabsichten, mit Trachten nach irdischem Vortheil, selber die Priester; denn ihr Reich ist ein güldenes Reich geworden. Der begierige, habsüchtige, neidische, eitle Mensch in ihnen fängt an zu gelten. Noch mehr fängt die Natur und das ewige Menschenleben wieder an Schein zu gewinnen. Die Menschen erfahren: es sind doch noch andere Dinge zu thun, zu besitzen, zu erforschen, aus und durch zu fechten als Tempeldinge, die eisern begrenzt und verbrieft sind, und doch nicht ausreichen, nichts thun – eben weil sie versteinert sind, oder still versteinern. Und die Menschheit will nicht versteinern. Sie schlägt die Augen auf. Sie fängt an zu sehen. Da hat nun die alte Wissenschaft ihre alten heiligen Schätze im staubigen Winkel verlassen, alte, schöne Worte, große, ja die größten Wahrheiten. Aus der Meinung, daß sie unmöglich besser, oder nur gut sind, werden sie nicht erkannt, nicht anerkannt, bis denn hie und da ein einsamer Geist sie belebt! Der Verstand kommt wieder und versteht die Welt; die Vernunft kommt wieder und vernimmt das weiter hervorgequollene Göttliche. Gepeinigte, Arme, Unglückliche, oder Verstoßene, wenden das neue Licht auf die Natur und auf die Menschen – aber auch auf die Tempel und Priester, ihr Leben, ihre Werke und heiligen Bücher. Schon der neue Blick ist ihnen tödtlich, schon das Hinblicken aus selbstständigem Geiste. Da ist nun zu tadeln, zu schelten, ja zu verdammen genug. Die Verwünschungen und Prophezeiungen der alten verfolgten und ausgerotteten Priester schallen wieder herauf! Wie in einem Geisterfrühling schallen Stimmen vom Himmel; Gedüft, Licht bricht herab und befällt die Menschen – wie aus der Luft – denn es ist immer Frühling. Jetzt verschanzen sich die Priester; jeder wird ein hörnerner Siegfried; sie wehren ab, sie streiten, sie kämpfen, sie siegen noch oft durch Verfolgung, durch List und Ränke, durch Falschheit und Mord und Brand. Sie glauben noch sich. Wie in der ersten Station, sind sie noch keine Betrüger, aber doch keine reinen unschuldigen Priester des Höchsten mehr. Sie ahnen, sie zweifeln, sie fürchten in ihren geheimsten Zellen. Sie halten Rath. Sie zerspalten sich. Sie stoßen aus. Sie trennen sich, und sind und bleiben getrennt. Auf dieser Station sind die Jetzigen mehr als angekommen, sie treten die dritte an, wo ihre ganze Sache bezweifelt wird; wo sie belächelt, heimlich verlacht und endlich selber wiederum bekämpft, besiegt, verjagt, ausgerottet oder still geduldet werden im alten Hause der Erde, wie alte blinde lahme taube Geschwister. Sie hatten sich festgestritten, aber sie waren im Streit verwandelt worden. Sie sehen klar, sie und ihre Sache ist deutlich der Welt nicht mehr Alles; sie haben den Glauben mit Recht verloren – und so verlieren und verleben sie sich in einer neuen Welt Menschen, die lebt und denkt und fühlt und glaubt, und kann und liebt und glücklich ist ohne sie. – Das alles will ich in Egypten, in Indien, in Judäa, in Griechenland mir bestätigen, mit Augen sehn und mit Händen greifen. Darum sollten sie jetzt nicht in Rom den Giordano verbrennen – das wird ihnen von der neuen Welt Menschen gar übel ausgelegt werden, und übel oder gut: als ein Unrecht angesehen. Aber wollen sie nicht auch in Dresden den ehrlichen Kanzler Krell enthaupten, weil er heimlich ein Reformirter sein soll, als wenn man alle öffentlichen verbrennen müßte oder könnte! Und haben sie nicht in Genf den Servet verbrannt? Ich nenne sie alle Priester, und alle gehen die drei Stationen.«

Adami hatte vorzüglich zu seinem Augsburger Gönner und Freunde gesprochen; denn Sidney war zu seinem vertrauten Diener Hexburn getreten, und hatte dem in ganz Italien bekannten braven Kerl im Stillen vorsorglich einige Weisungen gegeben, die dieser alle mit Freuden und willig angehört, indem er vor verhaltenem Eifer ganz roth geworden war, und schon seinen rechten Arm erhoben.

Da ging so eben Feuer auf in den Staatsgefängnissen, und die drei Herren eilten hinab, ohne Esel, um löschen zu helfen, und inclusive auch ihren theuern armen Freund zu retten.


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