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3.
Bruno's Messer.

 

Wer Bruno's Messer hält,
Der schlägt sich durch die Welt.

 

Da die Paduanerinnen Franceska mit ihrer Tochter Vanina durch die Marcuskirche zu gehen verlangt hatten, so fand Torquato Vieta schon die Häscher der Inquisition, in Kleidern, wie andere ehrliche Menschen, in der bestimmten Halle der Procuratien, doch in nicht störender Nähe bei Cyperwein sitzen. Alles auf Kosten der heiligen Kirche, um Jesu und der irdischen Seligkeit wegen. Und so forderte Torquato auch sechs Flaschen Cyper, Parmesankäse, Brod, Gebäck, Traubenrosinen und Knackmandeln, auch auf Kosten der irdischen Seligkeit oder der Kirche, der er im Geiste jetzt aber nicht Zeit hatte, das ungeheure Conto für ihre Politik zu stellen, die still als Verfolgungen und laut als Kriege erschien, und die zuletzt sich doch immer vergeblich erwiesen, also Billionen Thränen hätte ersparen und mit dem Gelde Millionen Armen das tägliche Brod geben können. Er schlug nur die Hände wie zum Gebet zusammen, knirschte aber zwischen den Zähnen nicht als Stoßgebet, sondern als Stoßfluch und Stoßdolch das Wort hervor: » Sacra ecclesia Romana

Bruno hatte sich zwischen seines Torquato Vieta Frauen, seine Elva und Bruneletta gesetzt; Torquato, hier als Arrigoni, setzte sich zwischen Bruno's schöne Vanina, und ihre aus Anwartschaft des großen Reichthums schon etwas vom Stolze angebrannte Mutter Franceska. So hatten sie einander alle vor Augen, die alten Freundinnen gegenüber, die neuen neben sich. Als aber der Bottega den Wein aufsetzte, und so viel Flaschen, reichte Bruno seinem Torquato die Hand und sprach gerührt: Du hast nicht vergessen, daß heut' mein Geburtstag ist, Du gute alte Seele! Aber Wein – den bin ich ungewohnt: wann hätte ich Wein bezahlen können, den vergessenen alten Freund vom Vesuv her uns aus Nola bekannt! Und welcher feurige Freund dort! Doch jetzt berauscht mich schon ein schnell hinuntergestürztes Glas Wasser. Schon längeres Reden reißt mich in alle Wolken! Und wahrlich, Gedanken sind die einzig wirklichen Geister; und so ist der Gedanke auch sein Inhalt, und der Mensch ist das, was er denkt und fühlt, noch wirklicher, als wir hier sitzen. Es liegt nicht am Haben, am Besitzen, am Sein in der Welt. Jeder hat Alles. Aber die Vorstellung fehlt ihm nur, daß er es hat und wie er es hat. Alle Vollkommenheit, die sich Einer denkt oder träumt, die hat er ja! Er selber ist so vollkommen! Und so kann Jeder von dem Andern voraussetzen! Ist nur Ein Mensch? Ist nicht aller Geist Einer! Soll unser Streben sein, uns eines künftigen Heiles irgend wo da droben auf einem der alten Sterne oder gar im Blauen würdig zu machen! Wer des göttlichsten Lebens im herrlichsten Himmel würdig wäre, der würde erst ein würdiger Mensch sein für die Erde, und überhaupt ein Mensch! Hat Einer denn nur einen blühenden Apfelbaum anders, als er ihn – träumt! Anders, als er ihn sieht! Hat er jemals den Apfelbaum – oder alles, was ist, Gott und All! Alles hat sich. Der Geist hat ewig nur sich. Gott besitzt sich nur selber, aber überall. Was wollen nur die Menschen, daß Einer nur unzufrieden ist! – Sie wollen in ihre Heimath. Nun – das will ich auch – aber in meine menschliche – Heimath – nach Nola! Die Erinnerung an meinen Geburtstag hat mir den freundlichen Gedächtnißsaal meiner Kindheit aufgethan! Bruno war auch Wiedererfinder der Gedächtniß- oder Gedenkkunst, und auch der Kunst zu vergessen. Wahrlich, in dem wahrsten, schönsten Himmelreich, in dem ewigen Licht – wenn auch nur von der Sonne – sitzt mir da das ewige Weib, die ewige Mutter – wenn auch damals nur meine Mutter – und ich sitze auf ihrem Schooß, Blumen in der Hand, die mir meine älteste Schwester Camilla aus der wunderbaren Zeit gebracht, welche die Menschen Frühling nennen, und aus den Thälern, der, aus Duft und Wasser und Staub des heiligen Aethers zart gewebten goldenen Frucht, die, ausgetragen vom Lebensbaum, ein heiliger Hauch durch die Himmel führt – aus den Thälern der Erde! Denn diese schwimmende himmlische Frucht heißt bei uns Menschen Erde – und die Erde. Aber Erde ist ein Urwunder! Darum das erste Glas auf meiner Mutter Leben, auch wenn sie todt heißt – und wenn sie noch auf der Erde lebt – dann auf ihre Gesundheit – denn sie muß alt sein! 70 Jahr! Und 70 Mal 131 Millionen Meilen himmlischen Weges von unsrer Amme um die Sonne getragen – da wird man alt! Also die Mutter soll leben, und von allen Kräften umher gesegnet sein! Denn Ich – ich frage nicht: »Wer ist meine Mutter? Wer sind meine Schwestern?« – Ich bin kein gleichgültiger Pantheist, ohne Liebe zu Allem und Jedem, was da ist. Nein! Umgekehrt gewähre ich immer die ganze Liebe meines vollen Herzens eben Jedem, Jedem der da ist, auch dem Veilchen, dem ich nahe komme – und wie denn nun nicht der Mutter, die mich mit ihrer Brust gesäugt hat? Mutter und Kind sind die heiligsten, nächsten Verwandten! So nahe wie Herz und Blut, wie Lieben und Schaffen; wie Heut und Morgen; wie Feige und Blüthe, wie Granatäpfel und Granatkern. Der Kuß des Lebens hat sie in Eins geschmolzen. Nur wenn ich dem Menschen dankbar bin, bin ich es Gott. Und Sie hat mich geboren, ihr eigen für mich gewebtes Gebild, voll der heiligsten Wunder der Welt! Und Sie hat mich geliebt, mich, der ich da war und kam! mich, wie ich da war! Also sündige ich nicht, wenn ich spreche: Lebe, lebe wohl du theures Mutterherz! Du Bild aus Krystall, durch das ich erst alle Mütter gesehn und verstehe und verehre – wie ein Kind! Meine Mutter Isabella soll leben! – und meine Schwester Camilla! ob sie gleich ihr entflohen ist mit ihrem Beichtvater, hier herauf in diese Gegend – und meine jüngere Schwester Rosella soll leben, das fromme Kind, das so weinte, als ich auf ewig im Stillen von ihr Abschied nahm!

Er trank jetzt ein Glas Wasser auf Dreimal aus, und die Frauen thaten ihm in Weine Bescheid. Ja seiner Vanina standen die Thränen im Auge. Denn er sprach: »Vanina! Wir wollen nach Nola ziehen! heimlich! Wer sucht den alten, großen Kuckuck in seinem kleinen Grasemückenneste! Dort, hinter dem Somma und Ottajano verborgen, siehst Du den Vesuv Wolken machen, wie einen Knaben Seifenblasen, und der schelmische Wind haucht sie ihm weg, wie sein Gespiele! Dort begeistert die Erde selbst die Rebe! Dort preßt sie die Palme empor, wie einen grünen Wasserstrahl, der dann droben von seinem Gipfel herabfällt – in großen breiten Blättern. Dort wohn' ich bei Euch! Bei Euch! mein Kind; denn dort wählst Du Dir einen Mann, und in Neapel sind die Männer schön und – doch auch gut, denn ich bin Dir gut....«

Er mußte aufhören. Denn Vanina weinte und wollte aufstehen. Er trocknete ihr aber die Thränen und sprach: »Du bist mir gut.... Vanina! ja Du glaubst mich zu lieben. Theures Mädchen! Ach, wenn Du wüßtest – Deine Liebe ist auch nur eine Spekulation von Dir...«

»Eine Spekulation! Ich dachte umgekehrt von Euch auf meine nun reiche reiche Tochter!« sprach ihre Mutter unwillig.

»Versteht mich nur, gute Mutter Francesca,« fuhr er fort. »Die Spekulation ist eine schlaue Katze – sie glaubt für sich allein Alles zu besitzen, wenn sie doch alle Keller und Mäuse, auch nur bei ihrer eigenen Augen Licht erkennen kann. Die Wahrnehmung und Erfahrung des als das Kunstwerk der Welt erst klar ausgesprochenen Wesens übt so leise ihren Einfluß auf das Denken – wie das reinste Wasser von der Farbe des Himmels grün oder blau wird. Ja, Vanina! Ich bin ein Mann in seiner ganzen Kraft, mir schwillt noch jede Ader, ich kann noch Alles – Ich – bin ein Mann für Dich. Denn ich liebe Dich auch, herzlich, mit ganzer Seele – aber erfahren über den Lauf der Dinge, den ich wohl fähig war zu erkennen, und den ich doch erst mitlaufen mußte, um ihn zu wissen. Ich – bin noch ein Mann – aber vielleicht morgen schon werde ich kein Mann mehr für Dich sein! und gewiß schon in wenigen Jahren nicht mehr, wo Du erst recht herrlich blühst. O die Sonnen, die Sonnen, sie scheiden furchtbar! Aber sie verbinden auch die Blumen eines Frühlings himmlisch. Die Menschen, die zugleich erscheinen, zugleich wirken, zugleich einst gehen, die an denselben Werken und Dingen dieselbe gleichdauernde Lebensfreude haben können, die nennt man Lebensgenossen; diese nur gehören zusammen. So sind es die Vögel unter dem Himmel, die Fische im Meer, und die Thiere des Feldes und Waldes. So sind es vor allen die Ehegenossen. Zwei Wesen, Jüngling und Jungfrau von gleichen Jahren, die also verheißen: ihr Leben mit einander auszuleben, diese nur verbinden sich nicht nur zu frühem Verlust, zu Schwäche und Trauer und Einsamkeit! Willst Du morgen einen Gichtbrüchigen? Wollen Deine kleinen Kinder einen Murrkopf? einen murrenden Bär? einen Blinden? einen Tauben – zum Vater! Willst Du in zwei Jahren vielleicht schon einen morschenden Todten im Grabe – zum Manne! Arme gute liebe schöne junge Wittwe! – Du weinst! Höre! sei stark! Die Vernunft ist über die Liebe, und auch ihr Herr und Gebieter, wie aller Welt. Laß Dir auch von ihr gebieten – so sehr ich Dich liebe. Solche Schätze wie Dein Leib, Deine Schönheit und Deine Liebe gehören nicht mir! Sondern – ach! – Sei glücklich – und vergiß mich oder gedenke meiner in Frieden.«

»Von dem vielen Gelde spricht er gar nicht!« zürnte die Mutter. »Er hat nichts als das liebe Leben – nun könnt' er doch noch rechte gute Jahre ein glücklicher Mann sein, wenn sich mein Kind denn ihm opfern will – denn die Liebe kann ihren Leib und ihr Leben sogar auch opfern – aber Der bleibt bei seiner Vernunft! Mir thut nur meine Vanina leid, denn das wird nicht so abgehen!«

»O, er ist stolz, lieber Herr!« sprach sie jetzt zu Arrigoni. »Er ist, glaub' ich, gar ein Marchese, und seine Mutter eine große Spanierin! Was ist da ein Bürgermädchen, wenn sie auch noch so viel Geld hat, und ein Herz, wie kein Mensch mehr weiter eines für ihn! Und er ist da bei einem Prinzen in Deutschland gewesen, der hat eine schöne Schwester gehabt. Da könnt Ihr Euch schon denken! Das hat der eine Bruder so geduldet, der andere Bruder aber nicht – und der gute Fürst ist gestorben.«

»Der sei gesegnet!« sprach Bruno mit gefalteten Händen. »Der Herzog Heinrich Julius von Helmstädt war mir Hermeias, der einst so den Aristoteles aufnahm. O es giebt edle Männer in allen Zeiten, die dem Neuen emporhelfen! Ich aber bin gegen Jedermann und Jedefrau ehrlich gewesen; ich bin immer Ich gewesen, und habe mich nie verstellt noch verleugnet! Ich habe in dieser Welt kein Kind beleidigt und ach, doch Viele gekränkt – durch mein Dasein und wie ich da war. Nur das ist mein Schmerz, wenn ich Einen kenne! Ach,« sprach er, »der immer reisende oder sich auf neue Reisen rüstende herrliche Mann Sir Philipp Sidney, mein Beschützer und Freund in London, saß einst bis gegen Morgen mit mir am Kamin, indeß wir von Jerusalem, Mekka und Rom und von ihren Propheten und Dingen sprachen. Da sahen wir, es war zu Ende Januar, den prachtvollen Morgenstern zugleich mit der strahlenden Sichel des Mondes untergehen, und er sagte: »So sahe ich auch auf jener Seite des Aequators einst das Kreuz und den Mond zusammen am Morgen zum Untergange sinken. Ein wirklich himmlischer Anblick!« Aber ich hatte nur kurze Zeit weggesehen – und wie ich wieder hinblicke, da war das Kreuz und der Mond erbleicht, und recht trübselig matt zu schauen. Und ich sprach: »Wer kann sich unterstehen die Schönheit auszulöschen! – Die Sonne!« rief ich, die plötzlich hervorbrach, und einen purpur und goldenen Steg bis zu mir warf. »Die Sonne! der Tag! die haben göttliches Recht, auch das Kreuz und den Mond zu verlöschen.« – Wir machten die Anwendung damals auf andere Dinge – heut, hier mache ich noch eine: Das einzig Freie in dem All ist die Sittlichkeit, der wahre göttliche Wille im Menschen auch. Aber die Vernunft ist das Licht, und leuchtet ihnen ewig vor, und allein nur recht. Und in dem Licht der Vernunft vergeht selbst jeder bedingte Glaube, jede Liebe und jede Hoffnung, und Alles, selber das Herz des Menschen und sein Leben. Ich kann sterben, aber meine Vernunft nicht verleugnen – ich kann weinen, Vanina, über die, die mich lieben oder hassen; sie ehren, sie an Händen tragen, für sie sterben – auch für Dich, o wie gern für Dich – aber denke vernünftig wie ich, so lächelst Du – denn Du bist meiner Seele und meines Herzen jahrelange Schülerin! Bleibe mir treu, und dazu bleibe Dir treu, Du Ewige, die sterblich hier sitzt vor mir jetzt schön und jung. Und daß ich das Alles so offen hier sage! – warum nicht? Ueberall bin ich in der offenbaren Welt, die kein Geheimniß hat noch macht – und durch und durch bin ich mit ihr verstanden. Wir leben im Himmel.«

Da fuhr Arrigoni auf und zupfte die Frauen. Er sahe den Cardinal Giovanni Aldobrandini, den Vetter des Papstes Hippolyt Aldobrandini, Clemens VIII., in den Hallen kommen und dachte: Da plagt ihn schon die Neugier, den berühmten Giordano Bruno Nolano zu sehen, den verhaßten Verfasser des Buches: Spaccio della bestia triomphante, siva de papa. Wie ein Lauffeuer ist es schon unter den Geistlichen herum: »er sitzt zum Einfange schon auf den Disteln des Vogelheerds!« Welche Kette der Geistlichen, alle von demselben Pech und demselben Fuchsschwanz electrisirt! –

Und während der rothe, hohe, herablassende Cardinal sehr langsam vorüberging, stand Bruno allein nicht auf; darüber er desto freundlicher, aber auch desto länger von dem Cardinal angesehen ward, und auch den rothen Mann wie der eifrigste lernbegierigste Schüler ansah. – Und Bruno sagte dann zu seinem Freunde: »Das war ein rarer Vogel aus der Ontologie der Psychologie, oder der Geisterlehre! Wahrlich, so einen Rothspecht von der ewigen Sonne angeleuchtet und angelächelt zu sehn, das macht ihn wirklich! Das überrascht uns von der doch gar so guten Natur, die wie eine gütige Mutter alle Spiele ihrer Kinder mitspielt und ihre Garderobe, ja ihr Zimmer zum Theater mit hergiebt! Indeß, ihr wirklicher Rothspecht mit Federn wird länger leben! Denn ihr Naturreich ist erstlich eben so reich, und zweitens nicht so wandelbar als ihre illuminirten Bilder zu ihrem Traumbuch und Mährchenbuch.«

Die Sbirren regten sich schon über diese laut gesprochenen Worte. Aber Arrigoni winkte ihnen, um seinem Freunde doch noch eine Freude zu gönnen. Denn so eben kam der leibhafte Comödienzettel auf seinen Krücken auf den Markusplatz; ein tapfrer Mann, dem seine Beine von den Türken zerschossen waren, der aber gern unter den Leuten war, und sich als Gnade ausgebeten hatte: Comödienzettel, oder Ausrufer derselben zu werden. Weil er so eigen stotterte, daß er die Worte mehrere Male hintereinander, aber deutlich sagte, und schon das » Sta« von dem Anfang seiner Verkündigung » Sta sera« dreimal wiederholte, so nannte ihn das Volk den » Sta-sta-sta!« und lachte sich jedesmal fast krank über ihn. So versammelten heut sich auch Türken, Armenier, Juden, Reisende aus Deutschland und England, selbst Mönche um ihn, als er rief: Sta – sta – sta – sera sera – si – si – si – rappresenta nel Salone – lone – lone lo stupendo Candelajo – Candelajo – del famoso – moso – moso – moso – Poeta – Al – al – al – chemico Astrologo – strologo – strologo, Mathe – Mathe – thematico – thematico – e – e – e – e – Filosofo – losofo losofo – Maestro – Giordano – Bruno – Bruno – Bruno – da – Nola – Nola – Nola – per – la – prima – prima – volta – per la prima volta! Heut Abend wird im Saale der stupende Leuchter des berühmten Dichters, Alchemikers, Astrologen, Mathematikers und Philosophen Meister Giordano Bruno's von Nola zum ersten Male aufgeführt.

Und selber mit lachend, stolperte er auf seinen Krücken weiter. Arrigoni dachte, daß der Leuchter gewiß nun nicht gegeben würde, und mußte die Freude der Weiber, hineinzugehen, seufzend mit ansehen. Und so fragte er: »Hast Du nicht Mehreres gedichtet, Nolano? Ach, sage mir Alles, was Du geschrieben? Wo Du gelebt hast? Und wie Dir's ergangen?«

»Meine Werke Sie sind von Dr. Wagner in Leipzig herausgegeben, und erwarten die deutsche Uebersetzung. sollst Du erhalten – ich habe sie nicht. Seine besten Werke schreibt erst der reife Mann. Drei Worte oder Zeilen eines Alten erhalten mehr Wahrheit als drei Tage oder Bände eines jungen Schwärmers. Und wo ich lebte? – immer bei Gott, und mit Gott. Mit dem Leibe war ich in Genf, in der Schweiz, dem eigenen freien Heerde – an dem ein jeder Fremde frei kocht! auch die Jesuiten, von denen Papst Sixtus V. als Cautel gesagt: es solle ja Niemand meinen, daß sie ihren Namen von Jesu trügen! Dann war ich in Toulouse; in Paris bei dem König Heinrich. Dort gab ich meine »Artikel von der Natur und der Welt« heraus. Denn die Natur ist die urälteste Tradition Gottes selbst. Dann floh ich nach England. Endlich sah ich das lang ersehnte Sachsen und Wittenberg! die ewig berühmte Stadt, die ich betreten mußte. Die guten Menschen dort nahmen mich auf wie einen Bruder, und ich ward öffentlich ihr Bruder, das heißt: ein Apostat von Rom, also wahrer Ravveduto, ein wahrer Kluggewordener – ein nur zu Gott Bekehrter. Dann war mein Leib in Prag, dem nie hochgenug zu ehrenden Born der deutschen Geistesfreiheit. Da hatte ich Umgang mit Tyche Brahe, dem armen Mann mit der goldenen Nase, die er sich im Schmelztiegel gemacht, als er die seine im Duell verloren. Das ist ein katholischer Astronom, der gegen alle Vernunft den Himmel so kindisch fest halten wollte – wie Rom die Erde, und den Kinderglauben; und der gegen Kopernikus alle Bischöfe und Diakonen predigen läßt, und in ihm die göttliche Weisheit verflucht. Von da ließ mich der Herzog Heinrich Julius einladen. Dem drückt' ich die Augen zu und ging als Corrector zum Buchdrucker Wechel nach dem schönen Frankfurt voll geistreicher freisinniger Männer. Da hatten mich wieder die Feinde ausgespürt, und ich ging mitten durch sie hindurch nach England – bis mich die Gebrüder Jesu auch da bedroheten. Da rieth mir mein Freund Sidney: mich wie die Fliege dem Ochsen auf den Nacken zu setzen, und nach Italien zu gehen. Und ich bin nicht etwa, betäubt von dem langen starren giftig süße Träume erregenden Geist, verwirrenden Anblick, der großen Klapperschlange in den Rachen gelaufen. Ich ging nach Padua. Galilei kam. Ich brachte ihm das erste Fernrohr mit aus Middelburg von Jansen, und manche Kunde von Fabricius in Wittenberg und von Scheiner in Augsburg. Unsere Flammen wurden Eine; er wies mir heimlich Schüler zu in meinem Winkel bei der Mühle unter den schattigen Kastanienbäumen. O seliger Ort! Da lehrte ich nun sechs treue stille Jahre. Denn Lehren und Belehren ist die einzige wahre Waffe gegen allen Unsinn und alle Tyrannei, die nur Unverstand sind. Was Alle oder die Meisten nicht mehr glauben oder sich nicht gefallen lassen, weil sie selber das Bessere wissen und thun – das ist verloren. Geister gewinnen ist Alles gewinnen, es ist auch Herzen gewinnen. Denn das Herz traut nur dem Kopfe. Mauern gewinnen, alle Menschen zu Sklaven machen, das bringt nicht weiter. Das zerstört und stört nur. Bauen ist das Wort! Ich streite nicht. Was den Streit zuläßt, ist nicht ausgemacht, ja vermuthlich gar nicht wahr. Aus dem Guten davon muß ein Drittes entstehen, als ein ganz Neues, Größeres, das Freund und Feind in sich aufnimmt. Und darum Schonung, Duldung von Allen! Darum sei Keinem Unrecht angethan und Unglück. Gegen Unglück und Unrecht kämpf' ich auf Leben und Tod.« –

Jetzt sprang eine päpstliche Mine hier in Venedig. Die Monstranz wurde unter Schellengeläut vorübergetragen, um die Ketzer stehen zu sehn und auch hier zu ergreifen.

Und während alles Volk auf die Knie niederfiel, blieben sie stehen. Gewonnene Diener traten vor und wollten sie fortführen Andere sollten ihre Zettel zeigen, hatten keine, und wurden in Beschlag genommen.

Auch Bruno war sitzen geblieben und fragte: was ist das in Venedig! Arrigoni? das Du mir so sicher und brav geschildert! –

>Die Frage hatte ein vornehmer Fremder gehört, blieb stehen und sprach in geläufigem Italienisch zu Bruno in Eifer und Zorn: »Der weltkluge und sehr weltliche Papst Aldobrandini, der einst nur vor allem noch durch die Auffindung des schönsten alten Gemäldes, der Aldobrandinischen Hochzeit als Liebhaber des Schönen, ja des Lüsternen bekannt sein wird, haßt in seinem Stolz und seinem Ungestüm die Evangelischen auf den Tod, sinnt schlau über dem Bündnis mit allen katholischen Mächten, um die Protestanten, das getaufte Vieh, le bestie battezzate, gänzlich auszurotten. Damit geht er schwanger, wie ein Held mit einem Elephanten; und die Mißgeburt wird vielleicht bald als ein langer, langer Krieg Tobias Adami errieth hier den 30jährigen Krieg. in die Welt treten und darin sterben. Venedig aber läßt den Papst nicht über die Schwelle! Es behauptete sein Gesetz: »Geistliche straft die weltliche Macht selbst weltlich, und Geistliche dürfen keine Güter besitzen.« Venedig hat sein freies Inquisitionsgericht, dem aber drei Nobili als weltliche vernünftige Richter beigegeben sind. Und wenn auswärts die Inquisition meint, alle weltlichen Strafen auflegen zu dürfen und zu müssen: Beraubung der Güter, Schande, Enterbung ja selber den Tod, so betrachtet sie die Fürsten als ihre Sklaven und Diener, welche die vom geistlichen Gericht entlassenen Opfer als ihre Henker und Mörder enthaupten oder verbrennen müssen! Aber Venedig hatte seinen Oberinquisitor, den nachherigen Papst Sixtus V. verwiesen, weil er sein Amt so grausenvoll verwaltet. Vor drei Jahren aber hatte Papst Aldobrandini nach Venedig gebullt: »Kein italienischer Kaufmann sogar soll ohne schriftliche Erlaubniß der Inquisition an einen Ort gehen, wo keine katholische Kirche und kein katholischer Pfarrer ist.« So giebt es nun zahllose heilige Processe, und viele brave Männer sind durch angeschlagene Zettel nach Rom und vor andere Ketzergerichte geladen; und da fast alle klugerweise nicht erschienen, so sind sie excommunicirt und sollen und müssen ohne Absolution sterben. Aber so wird aus Noth des Lebens die Absolution sterben. Und so wird aus Noth des Lebens die Absolution verächtlich, und ganz mißbar. Fugger sagt:

                   

Was gegen Handel und Wandel läuft,
Das fällt in die Sümpfe, das ersäuft.

Der Senat von Venedig verbrennt alle solche Zettel und Vorladungen, auch die angeschlagenen Verzeichnisse aller verbotenen Bücher, wie Frankreich und selbst Spanien thut, um dem Handel und Wandel kein Hinderniß in ihren uralten und ewigen Weg zu legen. Um nun vorzuschreiten, ist der heilige Vater selbst in den Krieg gegen einen Ohnmächtigen gezogen, und hat sich von Ferrara bemächtigt, wofür er dem Erben desselben, dem armen Cäsar von Este vier elende Dörfer aus Gnaden bewilligt, und ihn vom Bann losspricht! Der Cardinal Aldobrandini hat die Unterhandlungen mit der schönen Herzogin von Urbino auf liebende Weise geschlossen. Der Papst wollte nun ein neues Venedig anlegen, einen großen Handelsplatz und Hafen am Ausfluß des Po, im Sacco di Goro. Der Cardinal aber hatte von Venedig große Geschenke bekommen und genommen, und hoffte nun für seine Nachgiebigkeit in weltlichen Dingen zum Danke doch wieder einen geistlichen Vortheil, die Gewalt über Ketzer in Venedig zu erlangen, und steht mit der schönen Herzogin jetzt eben auf der Gallerie des Markusthurmes um der Ausführung zuzusehen, und gleichsam wie ein da droben in den Wolken ruhender Stößer die venezianischen furchtsamen Tauben einzuschüchtern. Aber da seht nur wie es geht! –«

Und so mischte er sich wieder unter die schreiende klagende schimpfende Menge, und Bruno ihm nach, und die Sbirren wieder ihm.

Der schöne junge Fremde war der Sachse Tobias Adami, der auf der Reise ins Morgenland begriffen, mit einem der Fugger aus Augsburg hierher gekommen und ihn bei zwei andern Deutschen, dem Baron von Rittershausen und dem berüchtigten Schoppe stehend jetzt wieder gefunden hatte. Und wenn Bruno nur zehn Schritt weiter in den erregten Schwarm auf dem Platze gedrungen wäre, so hätte er seinen Beschützer und Freund, den Lord Sidney mit seinem getreuen Diener Hexburn getroffen, der auf der Reise nach Rom hier verweilte.

Ueber dem Gewirr aber erschien der Doge auf seinem Altan, wie der dem Meere jetzt Ebbe gebietende Mond; der berühmte Servitenmönch Paolo Sarpi ließ, als belehrter und unbesiegbarer Verfechter aller Freiheiten von Venedig seine Stimme gewaltig erschallen. –

Leset die Gazetta! rief ihm ein Helfer: Philipp der Zweite ist todt! der letzte aller Philipps der Zweiten in der Welt! –

Wißt, rief ein Dritter, der König von Frankreich, Heinrich der IV., der sich hat Katholik nennen lassen, hat ein Edikt zu Nantes gegeben, darin allen Protestanten Kirchenfreiheit versichert ist. Sie dürfen Kirchenconcilien zusammenberufen, ja sogar zu ihrem Beistand tapfere Männer des Auslandes dazu einladen. –

Juden! setzt hier die gelbe Mütze nicht auf! Ihr seid in Venedig. Herrn Kaufleute aus aller Welt, muthig! Es hat sich allmählig ein Verstand in der Welt festgesetzt, allem Unsinn, allen Kirchen und Pfaffen gegenüber, man nennt den Verstand: Kaiser, Könige, Fürsten und Dogen, der den Menschen das Leben beschützt, der Jedem wohlwill! Bindet die bestochenen Sbirren, führt die Pfaffen vor den Dogen, die römischen Schreier, die schlechten Mönche – den Domherrn Scipio Saraceno! Hier ist er! Und da den Abt Brandolino Paldemarino! Das ist der Schelm! – Es lebe der Doge! Es lebe Venedig!

Es war ein Geschrei, ein Getose, ein Gewirr durch einander, ein Aufruhr, der die Existenz des Teufels werth gewesen wäre, um die wahre große Freude daran zu haben. Aber die Vernunft siegte. Und wirklich führte das Volk die Aufwiegler fort vor den Dogen. Der Cardinal verschwand von dem Markusthurme. Der Schwarm zog fort zum Palast.

Die arme Vanina hatte sich unter einen Bogen der Halle gestellt und mit ängstlichen Blicken nach ihrem Freunde geforscht. Sie fürchtete seine Einmischung, da sie wußte, daß er in Padua oft um die Abenddämmerung auf das Zimmer zu einem Abt gegangen war, der auf der Kanzel gegen Copernicus neue oder uralte wahre Weltordnung gebrüllt hatte, um ihn durch Nachweis der Wahrheit zum Schweigen zu bringen, und er hatte den Geistlichen durch die Wissenschaft wirklich bekehrt; denn er hatte seitdem kein Wort mehr von Sonne und Sternen gesagt, ja sich nicht einmal mehr getraut den Namen Gottes auszusprechen. Der von der Größe Gottes Betretene war in stillen Wahnsinn verfallen, und was er von seinem Lehrer wider Willen verrathen, hatte eben auf Bruno's Gegenwart in Padua gezeigt, und ihn bewegt es gegen Venedig zu vertauschen. Jetzt aber hatte sich ihr liebendes Herz geirrt. Bruno kämpfte nicht mehr mit der Welt, nur geistig mit Geistern. Zwar hochglühend im Antlitz, aber stilllächelnd sah sie ihn in Gedanken stehen, eilte zu ihm, ergriff ihn mit Hast wie einen Erretteten; und so ließ er sich von ihr fortführen, setzte sich an seinen vorigen Platz und sprach nach einigem Sinnen: »Da hat Einer ein schönes Wort gesagt! Er meinte: der Geist, der in der Menschheit lebt, der ist voll Weisheit, Ruhe, Geduld, Güte, Dulden und Schaffen des Rechten und Wahren und Schönen für Jeden und alle Menschen für jetzt und immer. Auch ohne die römische Kirche hätte sich das Reich des einzigen Gottes aufgerichtet, das Haus aller Menschen, nur nicht in Rom, das vor Herrschsucht versteinert, wie Loth's Weib, das nach dem Untergehenden zurücksah, und wie ein alter Spielsachenhändler nur seine Puppen auf aller Welt Messen sehen will. Das neuwerdende Reich aber sind: – die Reiche der Menschen, die Staaten, ausgerüstet mit allen göttlichen und irdischen Gaben und Schätzen; und ihre Fürsten sind die Träger der gesammten Vernunft in denselben, Jedem Leben, Sitte und Recht und Freiheit beschützend mit wirklich göttlichem Sinn, wie ihn jedes Kind hat, und jeder Bauer will und versteht, ganz von selbst! von Geburt! Und jede Erfahrung im Geiste oder in der Natur ist ihnen aufgenommen, indeß Rom jeder sich abgöttisch verschließt und davon ausgeschlossen ist. Darum, meine ich, wird Venedig ein Monitorium erhalten, dann die Excommunicationsbulle. Aber Venedig sah ich so aufgeklärt, daß der segnende Vater Papst getrost Dogen und Rath verfluchen, in den Bann thun, über das ganze Land sein Interdict verhängen kann; denn ich sehe nur die Jesuiten auswandern, und vielleicht Kapuziner und Theatiner, oder alle Priester – aber ich sehe auch, daß das Volk zufrieden sein wird, wenn sie alle zum Land hinaus sind; und wenn der Bann wieder aufgehoben ist, wird es nicht einmal Absolution und Benediction verlangen, als ganz überflüssige nichts bedeutende Sachen, Die ganze Begebenheit ereignete sich ganz so schon nach wenigen Jahren. das heißt Worte, denn die Bezeichnung »Sache« ist zu naturerhaben für lieblose höllische Meteore.«

Die Frauen wurden ängstlich über Bruno, und Sarpi, der von Ferne gestanden und die Worte gehört, lächelte zwar, aber er wandte sich doch um, und ging zu den Deutschen – die noch entfernter sich an die Tische gesetzt hatten – um ihnen eine gute Meinung von Venedig zu geben und sie zu beruhigen. Arrigoni erblaßte jetzt und wand die Hände unter der Mantille vor Angst, seine Kehle war ihm zugeschnürt, denn er sahe in der Tiefe des langen Ganges der Procuratie jetzt langsam Masken kommen, die er als Masken der Schergen der Inquisition kannte. Sie hatten auch den Schritt des Fuchses und der Katze, und das starre gebundene Wesen. Bruno dagegen saß vor sich hinlächelnd, die gefalteten Hände vor sich auf den Tisch gelegt und sprach sinnend: »Wenn ich mich und die Welt richtig empfinde, und das Ergebniß unseres Begegnens als Zukunft fühle, so muß ich sagen: Mir ist immer so, als würde ich auch für die Wahrheit Zeugniß ablegen. Und ich freue mich darauf in meinem Geiste. Und wunderbar, meiner bisherigen Furcht und Besorgniß und Scheu bin ich los, und ich darf mich ihrer nicht schämen – denn früher hätten mich die Feinde der Wahrheit, wie Kinder einen Schmetterling noch in der Puppe getödtet, und ich bewahrte mich selbst, um zu reifen und ich selber zu werden, wie die Mutter ihr Kind im heiligen Schooße bewahrt, wie der kleinste Vogel seine Jungen vor der großen Schlange vertheidigt, und gern ihr Nest in den tiefsten Gebüschen verbirgt. Ja die Natur erhält jedes, ein junges neues Leben tragendes Wesen, so krank auch die Mutter sei, doch mit aller möglichen Kunst und Macht, bis zur Stunde, da sie es der Welt geboren. Dann läßt sie es sterben, wie die Muschel, wenn die Perle ihre Größe und Schönheit erlangt. Ja das Zerbrechen der Schalen gebiert erst die Perle recht für die Menschen. Der tödtende Blitz erst löset und schüttet den segnenden Regen zur Erde hinab – und die Wolke ist hin, und der Blitz! Und ist mein Leib nicht mehr als ein himmlisches Wolkengebild? Ich trage Etwas in mir, für das es werth ist zu sterben, für das ich den Tod suchen sollte als die seligste That. Wer soll denn wagen die Welt klüger und besser zu machen, als der sie am größten und göttlichsten versteht, der Verständige, oder wie sie ihn nennen aus Thorheit: der Weise. Es soll aber keinen einzelnen Weisen geben, keinen einzelnen Guten, sonst sind Millionen dumm und schlecht. Weisheit ist schon für sich Lebensbalsam und Lebenskraft, aber ohne Mittheilung ist sie todt, und zeugt nicht. Aber die Freude über die Wahrheit ist grenzenlos und nicht zu verschweigen, wie ein Knabe schon kein Nest zu verschweigen weiß! So ist der Mensch. So soll er sein. Nichts soll er für sich behalten. Denn in Gottes Welt hat er es durch Andre für Andre gefunden. Alles, was wahrhaft lebt, lebt nur für Andre. Jeder Regentropfen! jedes Blatt! jede Blüthe! jeder Luftzug! jedes eilende Wölkchen! Die Wahrheit ist das große Gemeingut, vielmehr als die Sonne. Die Wahrheit ist gut. Denn wir sehen, wie jämmerlich alle leben, und durch tausend verschiedene Fehler umkommen, die irren, die also noch nicht wissen. Ja wer nur einen Quell in der Wüste verschwiege, der wäre Schuld an dem Tode Aller, die einst durch die Wüste ziehen, und ohne den Quell zu wissen verdürsten. Und diese Wüste ist die Welt, durch welche unzähliche Schaaren pilgern. Und verschweigt die Erde nur einen Grashalm für ein Schaaf? oder eine Distel für ein Kameel! Ein Saatkorn für die Tauben? Eine Blüthe für die Biene? Helfe mir Gott, ich kann auch nicht verschweigen, was ich denke und weiß, vielleicht hier auf diesem im Aether schwimmenden Sonnenstaube, der Erde, zuerst, oder wieder, oder voraus, oder als der Letzte. Denn das Ewige muß zu allen Zeiten da sein, alle Menschen müssen es sein und haben und leben, wenn auch ohne es zu denken, und indeß an Mährchen und Zaubereien in ihrem Traume sich haltend. So lebte das Gefühl des Sonnensystems des Copernicus schon als Aristarch. Aber nicht weiter gedacht, war es keine Grundlage, keine Säule zum Tempel der Gottesverehrung, da sie noch von Apollon und Venus und Iris und Hephästus träumten. Der Mensch sagt recht: Ich muß eingreifen in das Herz der Menschen und mit Kraft auf ihre Entschlüsse wirken, ihre Gesinnung, ihr Fühlen und Wirken. Oder wäre das Menschengeschlecht schon vollkommen? Vollkommen, verständig und gut? Aber siehe nur umher, und weine nicht über das Elend des Wahns und der Wirklichkeit, damit du es vor Thränen sehen kannst. Ist es aber nun erst recht aller Hülfe bedürftig und werth, so laßt uns nicht schweigen! Schändlich wer eine Entdeckung, eine Erfindung verschweigt, wer ein Neues mit in das Grab nimmt, weil die Menschen es ihm nicht abgekauft haben, nicht bezahlt! Ist er nicht voraus bezahlt als göttlicher Geist durch seinen Drang nach Wissen und Wahrheit? Und soll ich bezahlt werden mit Feuer und Schwert, doch will ich sagen, wie alle Freunde der Menschheit mit Freuden gethan haben, was ich weiß zum alleinigen Ruhme des jetzt erst unendlich groß gewordenen Gottes, und seines unendlich großen, erst jetzt erbrochenen Himmels, gegen den Alles und Jedes und Jeder, was auf Erden groß und einzig erschien, nur kindisch Erdenspiel war.«

Indessen war ein armes Kind, ein Mädchen mit Blumen dem Tische genaht, und ein Weib, wahrscheinlich seine Mutter, stand in der üblichen Maske einer verschämten Bettlerin in lange getragenem seidenen Kleide, als eine große schwarze Erscheinung ihm reglos und schweigend zur Seite.

Bruno nahm das liebe blasse Kind auf seinen Schooß, tränkte es mit Wein aus einem Glase, reichte die Blumen seiner Vanina, nur zum Riechen, damit das Kind sie noch an recht Viele verkaufen könne, und Vanina füllte ihm das Körbchen mit den guten Dingen vom Tische. –

»O Himmel,« seufzte Bruno, »soll dein eigener Geist um seine eigenen Gaben auf Erden betteln gehn! Oder, du hoher Geist, fühlst du gern Wehmuth, Verachtung und bittere Scham und Qual, und weinst du so gern einmal wieder Thränen, daß du schon so lange dir ein solches Leben gefallen lässest! Dann,« fuhr er zornig fort, »dann stoß ich das Kind vom Knie, und schlage seine Mutter da ins Angesicht; um dir recht wohl zu thun, wenn sie klagen und weinen, oder noch herzbrechend wohlthätiger – wenn sie verstummt in ihrer Qual von dannen gehn, und nicht aufzublicken wagen in eine Lücke am blauen Himmel .... oder in eines Menschen Auge – weil sie so hart sind! – Hab' ich dich da?« fragte er. »Wer soll hart sein? Wer soll nicht göttlich, also mild und freundlich und reinselig sein! – Denn Wer ist nicht göttlich.« – Und er drückte das Kind an das Herz und es sollte ihm erzählen, wie es ihnen gehe.

Vanina hing mit Begeisterung an seinen Lippen, an seinen glänzenden Augen, und lauschend hörte sie mit, was die leise Stimme des schüchternen Kindes sprach: »Unser Vater ist gestorben. Wir sind vier Kinder. Drei Knaben außer mir, die alle nicht hören und nicht reden können. Der älteste, fünfzehn Jahr alt, ist aber nicht nur taub und stumm, sondern nun ist er auch blind geworden; und nun er blind war, ist er im Winter ins Wasser gefallen und dadurch ganz zusammengezogen mit Händen und Füßen wie ein Knaul, und nun hat er auch noch den Verstand verloren – – und nun ißt er gar wie ein Wahnsinniger, daß wir es gar nicht erbetteln können.« – –

»Hör' auf!« sprach Bruno.

»Ihr habt Euer Kind gut eingelernt!« sagte Arrigoni's Weib zu dem Weibe. »Ihr seid vielleicht dick und fett und roth und vergnügt hinter Eurer Maske! – – – Lügen muß man glaubhaft! Schämt Euch!« ....

Da nahm das Weib ihre Maske ab, schloß ihre Augen und ließ ihr blasses, hageres, kummervolles Gesicht zum Zeugniß sehen. Es ward eine ängstliche Stille. Aber kaum hatte Bruno sie recht betrachtet, so rief er laut: »Camilla! Meine Schwester Camilla!«

Und sie schlug plötzlich die Augen auf und rief von der Stimme getroffen und aus allem Jammer wieder entzückt und doch noch immer jammervoll und von Wehmuth erdrückt: »Giordano! – Bruno! mein Bruder! – So sehn wir uns wieder?«

Der laut gerufene Name Giordano Bruno hatte die Umsitzenden und Umstehenden wie ein Wunder erregt, und als wenn einer der alten großen Propheten auf einmal da säße, schauten Einige ehrfürchtig auf ihn; Andre voll Scheu und Aberglauben, als wär' er ein Zauberer und Hexenmeister, der ihre Markuskirche einstürzen lassen könne, und den schwarzen Engel des Thurmes lebendig machen. Einer wies dem Andern den schönen Mann in dem schönen Barte und den leuchtenden Augen, die jetzt feucht waren und glänzten. Der Komödienzettel Sta-sta-sta hatte seine Mütze in die Hand genommen und sagte laut vor Erstaunen: »Das ist der Bruno-Bruno-Bruno-– Nolano-Nolano!« so daß Arrigoni davor erschrack. Er stand auf; er wollte fortschleichen, um seinen redlichen verrathenen Freund nun nicht ergreifen und fortführen zu sehen. Aber das Mitleid bannte ihn auch, und er mußte bleiben und hören und sehen, wie Bruno zu seiner armen Schwester sprach: »Setze Dich zu uns, Camilla! neben mich und iß und trink Dich satt! Wie es Dir ergangen ist, das steht mit der bekannten Erdenschrift auf Deinem Gesicht geschrieben, Deine blassen stummen Lippen reden es, und Deine Augen wissen es auswendig, ja Deine schon grauen Haare lispeln davon. Ach, und wie ist es mir indessen so gut gegangen – wie einem Seligen. Ich bin glücklich gewesen wie Einer, ja Keiner! Ja, liebe Schwester! Freilich hatte ich meist so wenig, daß ich nur einen Tag um den andern zum Essen gehen konnte, und den Tag zwischen den Speisetagen mir trockenes Brod oder einen Apfel dazu mit meinem Messer des Abends bei Mondenschein oder Sternenlicht schnitt, um doch nicht hungrig zu Bette zu gehn. Aber ich hatte die Sterne dabei des Nachts, und die Sonne, und die fröhliche Erde, und die lieben Menschenkinder über Tag, und zu allen immer die Inbrunst meines Geistes zu forschen, und die Freude zu finden, und mein Herz, das allen, allen umher so wohl wollte, allen solche himmlische Freiheit und solchen seligen Frieden gönnte, wie mir in meiner Stille beschieden war! O Himmel, und in Deinem Leide bist Du auch nicht ganz arm gewesen – Du hast noch ein Herz gehabt.«

»Ich habe mein Schicksal verdient!« sprach Camilla. »Da mußte ich ruhig sein. Ich nahm mein Unglück an als meine Strafe!«

»Du hast nur gelitten,« sprach Bruno, »weil es Pfaffen in der Welt gab. War Deinem Manne als Mönche die Ehe nicht verboten, so warst Du glücklich. Du hast kein Gebot Gottes übertreten – ja grade hast Du es ausgeübt. Das tröste Dich, und vergieb die Raserei der Menschen – denn dem Menschen braucht Niemand den Menschen zu vergeben. Der Mensch ist heilig, auch der Mensch, der irrt und fehlt.«

Camilla drückte ihm die Hand.

»Aber wo ist unsere Mutter? lebt sie? Unsere Schwester Rosella? Weißt Du nichts von ihnen?« fragte sie Bruno.

»Ich habe es endlich erfahren durch einen Dominikaner,« antwortete Camilla leiser, »sie leben beide in Rom. – Ja, Dir es zu gestehen, ich bin in meiner Noth vor jetzt drei Jahren bei ihnen gewesen – aber, mein Giordano, gehe nicht zu ihnen, Du möchtest vielleicht Eine oder die Andre .... ermorden! oder gar erst die Dritte, Rosella's Tochter Gemma, die ein Wunder der Schönheit ist.«

»Ich morden!« sprach Bruno; »ich die Mutter morden! die Schwester! oder ihr Kind!«

Camilla aber sahe stumm vor sich hin, und trank, um nicht zu antworten.

»Wo wohnen sie denn?« fragte er dennoch.

»Auf dem Campo de Fiori, in dem Palast grade dem großen Springbrunnen gegenüber. Es liegen zwei Marmorbilder über dem Portal.«

Giordano merkte sich die Angabe und sprach zu dem Kinde: »Nun laß mich Dir geben ... wie heißest Du aber, gewiß nach der Großmutter: Isabella! laß mich Dir geben was ich habe – alles!«

Und nun zog er einen kleinen Beutel mit einigen Denkmünzen von Silber heraus und sprach: »Deine Mutter kann sie als Merkwürdigkeiten, aber dem Liebhaber mit Recht schon besser verkaufen: Diese hier ist von der Königin Elisabeth in England geschlagen, welche der Papst, als eine Evangelische auf etwas drollige Weise, in den Bann gethan und ihr die unüberwindliche Flotte voll päpstlicher Lämmer Gottes und geweihter Talisman, vor 20 Jahren auf den Hals geschickt. Hier steht aber: »Gott blies darein und sie wurden zerstreut«. Und diese hat der brave König Ludwig XII. mit seinem Bild auf Rom schlagen lassen, und um das Wappen steht: »Ich werde Babel vernichten.« Und hier diese hat der heilige Vater auf die Pariser Bluthochzeit vor Jubel schlagen lassen, und zwischen den Säulen hin steht: »Die Frömmigkeit hat die Gerechtigkeit erregt.« – Da nimm, und gleich komm' ich zu Euch mit! Ich habe noch das Leben, und hier meinen Freund! Und Gott hat alles, und alles für sich – wir nennen uns die Seinen. Das ist aber unendlich zu wenig gesagt.«

Dabei hatte er eine Hand in der Schwester Hand, und die andere in seines Freundes Hand, der es nicht mehr ertrug, aufstand und wegging.

Da vertraten die genahten Masken dem Arrigoni seinen Weg, glotzten ihn aus den hohlen Augen an – und todtenblaß unter der Maske, die Mund und Kinn frei ließ, fragte ihn die Stimme seines eigenen künftigen Schwiegersohnes: »Heißet Ihr hier Arrigoni? – Antwort!«

Arrigoni erschrack, weil er wußte, daß die Neulinge der Inquisition, wie bei den Räubern, immer das schwerste Stück zum Probestück erhalten, wie die neue Leichenfrau ihr Meisterstück an der alten gestorbenen machen muß. Das fuhr ihm wie ein Blitz durch den Kopf. Er meinte aber von dem Nuntius doch menschlich denken zu müssen, ja ihm Dank schuldig zu sein, daß er vor Bruno den Verdacht des Verrathes verbergen wolle, wenn er ihn selbst vorher oder mit ihm ergreifen lasse. Darum sprach er getrost und laut und doch verzweifelt: »Ja«.

Aber die Stimme sprach wieder: »Also habt Ihr vorher Torquato Vieta geheißen! Antwort!«

Torquato schwieg.

»Ihr schweigt,« fuhr die Stimme fort, »also seid Ihr dem Kloster entsprungen, und jene Weiber da sind Eure Frau und Tochter. Sind sie das? Antwort!«

Torquato senkte den Kopf.

»Also im Namen der heiligen Inquisition! fort mit Euch! Tretet in unsere Mitte!«

Die Frauen schrien nicht, ja sie stießen keinen Laut aus, solches Schrecken empfanden sie vor der entsetzlichen Macht. Sie waren nur todtenblaß und ihre Lippen zuckten.

Torquato küßte sein Weib, die aber den falschen Mann von sich drückte, der sie durch Verschweigen betrogen. Er küßte seine Tochter, die einen herzzerreißenden Schrei that, ob über den scheidenden Vater oder über den erkannten Bräutigam, oder über beide wußte nur sie. Dann reichte er Bruno die Hand, drückte sein Baret ins Gesicht und wankte durch das Thor des Thurmes der Merceria an den Kanal, denn er wußte den Weg.

Bruno's Augen starrten ihm nach. Aber er hatte hier die Unglücklichen zu trösten und er that, was sie im Stande waren anzunehmen. Dann sprach er: »Abscheuwerth! feig! jämmerlich! Die Furcht thut in der Welt das Entsetzlichste. Aber Er ist unschuldig! Schlimm, wenn die Seele eines Kaufmanns auch – ein Kaufmann wäre, oder die Seele des Schuhmachers ein Schuhmacher, und des Schneiders Geist – ein Schneider! Gott sei Dank, die Menschen sind inwendig Menschen und ein Mann ein Mann!«

»Das möcht' Ihr beweisen!« sprach jetzt einer der Häscher, die schon lange auf Bruno lauernd dagesessen hatten und jetzt aufgestanden waren. »Auf! folgt uns! Ihr seid doch Giordano Bruno von Nola?«

»So nennen sie mich,« antwortete Bruno, der über und über roth geworden war vor der Erfüllung seines Lebens; »ich verleugne meinen Namen nicht, noch weniger mein Wesen. Wer aber seid Ihr!«

»Die Diener der heiligen Inquisition.«

Bruno sahe nicht, daß seine Vanina mit dem Haupt schon an ihrer Mutter Brust gesunken war, sondern er stand auf, trat vor die Schergen hin und sprach mit wahrer Wehmuth: »O Ihr armen Menschen! Ihr unglückseligen Puppenspieler des großen Teufelsspukes, der so geheißenen göttlichen Komödie, wie jammert Ihr mich! O könnt' ich Euch helfen! – Aber ich komme wieder! Tausendfach geboren – dann helfe ich Euch. Aber Ihr werdet schon hin sein auf ewig!«

Die Männer verlachten seine Güte und fragten: »Habt Ihr Waffen? heraus damit!«

Bruno lächelte, suchte sein Brodmesser mit Schalen aus Rehhorn hervor; aber als er es ansah, brach er in Thränen aus. Dann sprach er: »Das Messer ist mein Talisman, mein Zauberstab! Ich vermache es der Jugend zu unüberwindlichem Muth und reiner Größe! .....« Und somit warf er es hinaus unter die gaffende Menge.

.... »Aber die Kleider auf meinem Leibe sind nicht mein, merkt Euch das, und tragt sie ehrlich nachher in Sagredo's Palast.«

Jetzt stand er gesund und lebendig da, sollte und wollte von der Welt Abschied nehmen, wie er wohl wußte auf alle Tage der Erde, und das überdrängte ihn, und sein holder Geist trat nur als ein unaussprechlich freundliches Lächeln auf sein Antlitz.

Die Männer wollten ihn fortführen, da sprang er mit hastigen Schritten noch bis an den Tisch, wo die Fremden und grade die Deutschen saßen, und sprach: »Liebe Männer, so eben wird Giordano Bruno in den Kerker der Inquisition geführt, daß Ihr es doch wißt. – Ich bin Bruno. In Rom werdet Ihr mich wieder sehn – in den Flammen des Scheiterhaufens. Denn so wahr Gott in mir lebt – die Priester sollen von mir die Wahrheit hören. Und am glücklichsten beruft mich Gott zu ihnen. Gott sei bei Euch – seid bei Gott!«

Die Deutschen waren aufgestanden. Adami glühte. Fugger's Gesicht war finster und zornroth. Er ballte die Fäuste. Der Baron von Rittershausen hörte ihm sehr freundlich lächelnd zu. Schoppe aber blieb sitzen und grinsete ihn an voll Schadenfreude.

Bruno trat zurück und erweckte Vanina, und wie sie ihn ansah, sahe er ihr tief und treu segnend in die Augen. »Gedenke mein!« bat er sie. – »Ewig!« hauchte sie, stürzte zu seinen Füßen und umschlang seine Knie. Die Schergen führten ihr ihn fort, ihn, der ohne Stolz und ohne Furcht gelassen hinging wie ein zehnfach geharnischter Held unter Kindern zu Kindern.

Die Schwester rang die Hände ihm nach, ihr Kind schrie ihm laut nach, Vanina's Mutter betete laut. Und als er fort war, traten die Fremden zu den verlassenen Frauen.


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