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5.
Nettuno ora Nessuno.

 

Wer hat vom Abend vernommen?
Wer hat schon »Morgen« geschaut?
Wem hat nur die nächste Stunde
Je ihr Geheimniß vertraut!

 

Noch herrschte der Winter; aber jener italische unsichtbare heimtückische Geist, der sich nur in Wind und Regen offenbart, und doch die Welt mit ihren Blumen und Menschen verhindert froh zu sein. Da steuerte eine venezianische Galeere mit ihrer Löwenflagge der Küste von Ancona zu; aber es wehte starker Landwind, und ein türkisches Raubschiff hatte die Galeere ins Auge gefaßt und suchte ihr rasch noch das Land abzuschneiden. Von weitem schienen die braunen Schiffe ein paar schwimmende Cocusnüsse ohne Menschenverstand; aber in dem Einen war Wuth, in dem anderen Angst. Denn die Galeere wechselte ihre Ruderer mit frischer Mannschaft aus dem Schiffsraume, der die Hände losgekettet wurden. Der Erste, dem das geschah, war der unüberwindlich lustige Improvisator Quirino, ein Römer von Geburt, die Freude und das Vergnügen aller Seeleute und Matrosen, die ihn aus den verschiedenen Hafenplätzen Italiens kannten. – »Ich soll mich selber ins Unglück rudern?« rief er, »anstatt hinaus, da in der vernünftigen Türken Hände! Menschen, oder Unmenschen, das ist doch zu viel verlangt! Ich kann aber nicht rudern, denn in meinem Leben hat nichts an mir gearbeitet als der Mund, die Zunge und die Zähne – und mein Magen muß es sagen, es sind vortreffliche Arbeiter!« –

Er wurde dennoch aus Befehl des Capitano auf die Ruderbänke gekettet, neben den gelassenen Giordano Bruno und Torquato, der seinen Freund hier die Galeere rudern sehen mußte, wo er den Kanonenschüssen der Türken auf dieser Seite grade ausgesetzt war. Der Improvisator ruderte, und sang dazu auf dem Meere hier draußen zum Erstenmale Stanzen aus dem ohnlängst erschienenen befreiten Jerusalem. Der Capitano verbot es ihm, aber hier jetzt umsonst; und Quirino sagte ihm: »Auf dem Meere keine Inquisition! das haben die Spanier selbst nicht gelitten: Flotteninquisition, und Armeeinquisition! Soldaten und Seeleute sind über Fluchen und Verwünschungen erhaben. Hier draußen ist nichts, Signor Capitano. In Rom, in Rom! da ist Zeit zu allen Alfanzereien. Hier draußen auf meiner Bank vergäße der Herr Großinquisitor selbst alle seine Fragen und sähe nur die Kugeln – auf dem Wasser gehn, Fische fangen.«

Der Capitain versetzte ihm so eben einen Hieb, als ihm, gleichsam dafür, eine Kugel den Arm wegnahm. Er ward hinuntergetragen und an seine Stelle kam ein blutjunges Nobilchen herauf, das weislich den Befehl an den Nostromo abgab. Um Muth zu zeigen, stieg er aber in die Segel, und lachte auf einmal und rief: »Lacht! lacht! – Zwei venezianische Schiffe!« – Und nun lachte die ganze Mannschaft, und wies den Türken mit den Fingern auf die schon groß sichtbaren nahenden Schiffe; und die Türken suchten in Zeiten nun aus dem gefährlichen Dreieck zu kommen. Die Gefahr war vorüber. Der Improvisator konnte nicht rudern; zwei Jesuiten, zwischen denen er saß, hatte er mit seinem Ruder die Schaufeln zerschlagen, sie schrien über ihn, der gute Nostromo ließ ihn losketten, und lustig und froh sprang er auf das Verdeck und sprach: »Nun meine lieben Zuhörer, will ich Euch auch die Geschichte erzählen, wegen deren Erzählung aus der Ripa de Schiavoni zu Venedig ich hier den Herrn Brüdern Jesu bald die Köpfe zerschlagen hätte, weil wir Opfer auf der Fahrt in die neugebauten Kerker der heiligen Inquisition zu Rom begriffen sind.«

Es ward eine Stille wie im Grabe, denn das türkische Raubschiff ging den beiden venezianischen Schiffen muthig auf den Leib. Ancona lag mit seinem Molo und dem Triumphbogen des Kaisers August schon vor Augen. Der Improvisator bemerkte, er habe zum Ruhme Venedigs nur einen Schwank gegen die Genuesen erzählt, und nur die Abstammung des Cola Pesce erweisen wollen, der in der Charybdis verschwunden sei; dann begann er mit dem Gebräuchlichem » Udite, tutti quanti!Nettuno ora Nessuno! – Nettun ist jetzt Niemand! Eine wichtige Lehre! Denn viele Lampreten werden des Haifischs Herr – sie saugen sich an ihn und leben von ihm – bis er todt ist. Sela. Also hört:

Nettuno ora – Nessuno!

Es ist einmal ein alter Patriarch von Chio gewesen, wenigstens ein Oberpriester, sogenannter Metropolit oder heidnischer Erzbischof, der hat Homer geheißen, und hat den längsten Athem zum Singen gehabt. Er ist blind gewesen, und hat doch alles gesehen. Er ist wahrscheinlich begraben worden, und ist doch, man weiß nicht wie, in den Himmel gekommen, denn er ist unter die Götter versetzt worden. Und von da soll er noch lebendig umherschleichen in Klöstern und Bibliotheken, ja bei vernünftigen Menschen, welche die Fabeln lieben. Denn die Fabelliebschaft ist die längste Liebschaft auf Erden, so lange sie Kinder hat. Dieser alte Oberpriester erzählt nun, ich glaube in Capitel XIII. Vers 24 und ferner, daß die Phäaken da drunten nicht weit von hier auf Corfu, den König Ulysses in ihrem Schiffe nach Hause gefahren und schlafend in sein Königreich Ithaka für seine Frau Penelope hingelegt haben. Denn es war ihm bei vielen schönen Weibern und Nymphen wohl zehn Jahr lang ganz allerliebst-abscheulich gegangen. Die Heimfahrerei aber ist dem Gotte Nettuno nicht recht gewesen, da er als weiser Drittheils-Gott des Meeres gewürdigt den Ulysses zu hassen, weil er die fetten Ochsen der Sonnenpriester gefressen, und sein Söhnchen Polyphemchen blind gebrannt; und er hat den heimkehrenden – ohne Trinkgeld verdrüßlich heimkehrenden Phäaken, denn ein Schlafender bezahlt nichts – ihr Schiff versteinert. Wie, das weiß die heilige Jungfrau! Kurz hier heißt es: miraculo, und so verehren wir! Ich habe aber das versteinerte Schiff, jetzt ein tüchtiger schwarzer Felsen, selbst gesehn und selber geglaubt, ob es gleich als Stein viel gewachsen sein muß; denn Steine wachsen, aber bekanntlich Schiffe nicht. Sonst baute man lauter Kähne, säete sie ins Meer, und erntete Kriegsschiffe flottenweise! Kurz, in die Stunde der Versteinerung kommt nun grade ein genuesisches Schiff, von irgend einem seiner Geniestreiche in der Levante, des Weges mit Lebensmitteln aller Art gezogen; der Gott Nettuno schwimmt da noch herum, und die genuesische Mannschaft – man sieht daß die Kerls keine vernünftigen Augen haben, sie sieht den alten meergrünen Gott mit weißer Unterhaut für ein neues Seeunthier an, und schießt ihm, in Hoffnung vieles Thranes, aus seiner Kanone eine Kugel auf den Leib, die aber Nettuno mit der Hand auffängt wie ein Taschenspieler – Ihr seht also: genuesische Kugeln sind nicht zu fürchten – und sie auf dem Handteller besieht wie ein Kind, das Pillen einnehmen soll. Aber der fruchtbare Knall ist ihm doch wunderlich vorgekommen, und er schwimmt mit drei Rucken wie ein Delphin, auf das genuesische Schiff zu, sein Triregno di Nettuno hoch in der Hand; nicht etwa gar die drei kleinen römischen Inselchen vor der Tiber, sondern die dreizackige Meerheugabel. Stellt Euch nun vor, habt Einbildungskraft, Er allein – umringt das Schiff, mit seinen Armen! Seine in Angst um den Vater gerathenen Töchter, die zauberisch schönen Nereïden kommen und helfen ihm umringen, und schimpfen mit ihren kleinen Rosenmäulchen ärger als ein venezianisches Fischweib auf die Genuesen. Dabei sind sie aber nackend so schön, daß alle genuesische Damen in Kleidern, hohem Haarputz, steifen Röcken und hochabsätzigen Schuhen sich mit keiner einzigen vergleichen können! Wie schön sind da erst alle Nereïden zusammen gewesen! Ihre reizenden Kleider sind ihre langen üppigen schwarzen Haare, die aber doch etwas feucht, natürlich in Flechten sich spalten. Das sieht ein Genuese ein! Uebrigens sind sie am Leibe schneeweiß und trocken, wie liebe Gänse und Enten, sobald sie aufs Trockene kommen, und selber im Wasser. Da nun der Gott Nettuno das Schiff ohne Schwertschlag erobert und darauf umherschreitet, daß es hinüber und herüber schwankt, stehen die armen Genuesen umher an den Borden, ihre Rosenkränze in den Händen und beten alle möglichen Ave-Marias und Paternoster. Doch sie haben zum Glück einen griechischen Papas bei sich, den Kyr Papaathanasiopullullopulo, der wagt es Gott Nettuno anzureden und zu fragen: »Herr Geist, wer seid Ihr? Was wollt Ihr? Und Nettuno antwortet ihm, freilich in einem stockalten, rohen, nicht Land- sondern Meergriechisch und sagt: »Fallt Ihr nicht nieder, nichtswürdige Schiffsleute! Ich bin Euer Gott, der Gott Nettuno.« – – »Ja, das ist unser aller lieber Vater, der Gott Nettuno, der uns mit unserer Mutter erschaffen hat« – rufen die schönen Nereïden alle, als Zeugen zugleich um das Schiff; und einige rufen hinzu: »der fährt nicht nur einmal, sondern manche Tage viel Mal in Himmel, und kommt eben so viel Mal herunter wie die andern großen Götter. Denn da läßt Jeder anspannen wer will; und was sie droben zur Tafel für Gutes essen! Vater bringt uns manchmal etwas mit im Mantel, denn da geht er in Galla.« – Das übersetzte der Kyr Papaathanasiopullullopulo der Mannschaft, die es wagte, zu kichern; ja ein betrunkener Matrose spricht dreist: »Packt Euch, Mostro! Seht hier meinen Rosario! Unser Patron ist der San Sirocco aus Afrika, und San Antonio von Padua. Kennt Ihr die Herrn, Mostro! Nessuno! nicht Nettuno! Der macht keinen Wind mehr!« – Der Papaathanasiopullullopulo will aber doch den Exorcesimo beginnen, holt seine Bücher und sein Geräthe, die aber alle nicht anschlagen, wie zur unrechten Zeit geschnittene Wünschelruthen; der massive grobe Gott Nettuno merkt sie gar nicht in seinem Rücken operiren, sondern kehrt sich nur zufällig um, worauf er sich die Geräthschaften besieht, ja kostet. Das scheint ein Zeichen, daß er Hunger hat! Vielleicht auch Durst! – Weindurst! ja Lust zu einem Becher über den Durst. Dem Capitano wird in seiner Angst ganz wohl zu Muth, und listig ladet er ihn fast auf allen Vieren zu Tische, der schon gedeckt stand. Da tischt er ihm denn die besten Bissen auf. Und diese Pantomime und den Hocuspocus versteht der Gott Nettuno so gut als der Genuese. Er ißt wie ein Pferd, das gedroschen hat, und trinkt wie ein Kameel. Und die Mädchen, die ihren Vater essen sehen, bekommen Appetit, und nach einer schönen Nereïde, steigt immer eine schönere auf das Verdeck, und Wein und Confect, die ganz aufgesetzten Zuckerhüte und alles Eßbare verschwindet in die holden Leiber; ja sie haben kostbare Zähne, daß sie auch die Gläser kosten, wie eine bessere Sorte weißen Candis. Zuletzt läßt der Capitano Mokka serviren mit Arrak, und sieh da, er schmeckt! Ein Gott aber läßt sich nicht mit Speisen abspeisen, oder mit der Ehre: den Genuesen alles rein aufgegessen und ausgetrunken zu haben; denn nun wollte er erst recht den Namen »Nettuno« beweisen, und seinen Charakter den Gott; aber mit Lachen; denn ich kann es hier sagen – er hatte sich tüchtig den Bart begossen mit den paar Fässern Cypermuscat und Cap Verdea von Zante für die Familien Doria und Fiesko. – Indeß hatten die Weiber und Kinder der Phäaken, die ihrer Männer und Väter heimkehrendes Schiff schon vom Strande ganz nahe erblickt, aber es plötzlich auf der Stelle festwurzeln gesehn – sich in die Böte gesetzt, waren hinausgerudert, und hatten es bestiegen, da sich keine Maus darauf gerührt, und lautes Geschrei und Wehklagen erfüllte jetzt die Luft. Da wollte der Gott Nettuno blos hinfahren, und schon fuhr das Schiff mit ihm und der ganzen Gesellschaft dahin ohne Wind und Ruder. »Da seht,« sprach er zu dem Kyr Papaathanasiopullullopulo, »ob Nettuno – Nessuno ist, ob Niemand Nettuno, oder Nettuno Niemand ist!« – Und nun, meine lieben Zuhörer, habt Einbildungskraft, und stellt Euch einmal vor: Ihr wär't versteinert – und Eure Wittwen kämen, fielen Euch um den steinernen Hals und schrien: »Ach, Mann, sei doch nicht so hart, und rege Dich doch! Stehe nicht steif mit dem Ruder! mit dem Strick! Schlage mich lieber, da will ich mich freuen!« – Und Eure lieben Waisen kämen und bäten: »Ach, lieber Vater, starre mich nicht so an! Beuge Dich doch, ich kann nicht hinauf zu Dir zum Gesicht – (denn Kopf und Gesicht sind der Vater und die Mutter, nicht der Rumpf; schalte ich ein). Und ein Knabe kriecht an dem Vater hinauf und spricht erschrocken: »Deine Hand ist so hart und nun Deine Wange so hart, und Dein Bart sticht nicht, sondern er stößt, und Deine Nase ist so kalt! Ach, lieber Vater, starre mich nicht so an! Ach, schmilz doch wieder zu Fleisch und Bein und komme zu Hause! Ach, Mutter, ein steinerner Vater!« – Und wenn Ihr lieben Zuhörer als eingebildete Steine in Menschengestalt die Reden mit angehört habt, dann könnt Ihr Euch etwa den wahren Jammer der armen phäakischen Wittwen und Waisen denken! Aber da erblickten sie den Gott Nettuno mitten unter sich, und hörten vor Ehrfurcht, das heißt vor größerer Furcht als gewöhnlich, auf zu schreien und zu klagen, und stöhnten nur: »Ach, großer Gott Nettuno!« – Aber was sprach dennoch der Papaathanasiopullullopulo! Er sprach: »Wir wissen das besser! Uns haben die Zeiten klüger gemacht! Nettuno, du bist Nessuno. Uns bist Du Niemand, also bist Du auch jetzt Niemand!« –

Nettuno lachte, stützte sich auf seinen Dreizack und strich sich den Bart. – »Er sieht doch wie Jemand aus,« sprach der Capitano leise. »Es ist ein verdammter Kerl! – Es scheint doch: daß irgend Jemand der Kerl ist! – Die Genuesen fürchteten sich natürlich, sehnten sich fort aus der Klemme und zupften einander. Das sahe Nettuno und sprach: »Ja, zieht nur Ihr Gespenster, die Ihr, Gott weiß, woher seid! Ihr, Ihr seid Alle Niemand! So glaub' Ich! Und die Zeiten werden die spätern Schiffer auch über Euch klug machen und zu oder von Euch sagen: »Ihr Genuesen seid Niemand!« Und Eure Stadt wird versteinert sein, wie dies Schiff, und das Meer Euch vernagelt, und Euer San Sirocco wird wieder der bloße liebe Wind sein, ohne Euern Namen. Aber wir haben nicht Zeit, uns länger den Verstand zu verdrehn und das Herz zu martern mit einem Sackvoll von dem Berge Unglück, das wir lieben Götter über die Menschen bringen. – Heda! Heda!« rief er plötzlich. Denn es kam jetzt auch ein dodonischer Priester, der den Phäaken wahrscheinlich für Geld wahrgesagt hatte, als ein damaliger Zigeuner, oder Ableger und Abhorcher seines Gottes Apollo, der an der nahen Küste des Festlandes in den Eichenwäldern hausete. – »Gut, daß Du kommst!« rief ihm Nettuno zu. »Hier sind Gespenster, die sagen, ich wäre Niemand, eine Null, ein Nichts – hm! das beträfe uns Götter alle! Darüber muß doch der Bauch der Erde etwas wissen; und hat mein Nepote Apollo, das weise Bürschchen, davon nichts geweissagt, so doch gemunkelt widerwillen?« –

Der dodonische Priester ward roth, sahe den Kyr Papaathanasiopullullopulo verächtlich an, besann sich und sprach: »Ja, großer Nettuno! Unser junge Herr, Dein Nepote, hat unter andern großen weiten und wahren Worten, sich auch einmal damit verschnappt: Es werden Leute kommen in die Welt und sagen, wir und alle Götter wären Nichts, das hieße denn auch: Nettuno – Nessuno; aber, zu denselben Leuten werden aus der Nachwelt wieder Leute kommen, die wieder ihnen sagen, Sie und die lieben Ihrigen wären auch Niemand und Nichts. Das hat er gesagt.«

»Da hast du die Bescherung! und deine Abfertigung;« sprach Nettuno zu dem Kyr Papaathanasiopullullopulo. Jetzt fahrt ab! Ich mag nicht mit in euer Nachgebräude von Welt. Ich muß schlafen! Und dankt Gott, daß Ihr so weggekommen, Gespenster! Denn ich werde immer mit ganz gelassenem Antlitz abgebildet, und da will ich nicht hinter meinem Gespenste zurückbleiben. Doch manchmal kann ich auch, aber nur wirklich zum Scheine wild werden; aber wirklich; ich ersäufe ganze Küsten und Inseln ganz gelassen! oder ich verbrenne Städte und Menschen mit meinem Volcano ganz gelassen! ganz gelassen!« –

Da wisperte die allerschönste feurigste Nereïde ihrem Vater etwas ins Ohr, das so klang, als: »Väterchen, herzens Väterchen, ich habe mich in den schönen Bart des rüstigen Kyr Papaathanasiopullullopulo verliebt – ich will mit ihm fahren!« – Der Alte sah den Papas sich an und sprach: »Meinetwegen! Er scheint doch eine Art Landsmann, und was soll Dir das schaden? Du bist und bleibst eine unsterbliche Jungfrau. Wohl dem, wem viel angeboren ist, sonst kommt er zu nichts. Nur komm' einmal wieder.«

Und so warf sich das liebe Kind, ihrer Sache gewiß, dem Papas um den Hals, und sagte: »Ich komme mit Dir!« –

»So nicht! – So nicht!« bat er, entzückt und verlegen, das schöne Geschöpf. »Laß Dir wenigstens von Einem Weibe hier einen Rock, von dem andern ein Tuch oder einen Ueberwurf geben, da mag dann darunter sein was da will; und von einigen Paar Dutzend Deiner Schwestern laß Dir die Perlenhalsbänder geben zum Hochzeitgeschenk! Ihr im Meere lebt wie die Fische von Gottesgaben und wißt den Teufel!« –

Und so ging sie geschwind, und kam bald wieder mit Lachen über sich, in einem Röckchen um die Hüften und einem Tuch um die Brust, und vielen Dutzend Halsbändern voll haselnußgroßer Perlen um ihren Hals; denn jede Schwester wollte ihr das Ihre geben und solchen Bettel hatten sie ja genug und fanden ihn alle Tage auf ihren Seegassen. So gefiel sie dem armen Kyr Papa, und er sprach; »Bei erster Gelegenheit wollen wir uns auch trauen lassen, mein Kind, meine schöne .... wie heißest Du?« –

»Myrinnis!« –

»Also meine Myrinnis!« –

»Trauen? .... trauen, was ist das?« fragte sie weinerlich lächelnd, als wenn sie, die wasserfeste, sollte ersäuft werden.

»Trauen,« antwortete er, »ist die große Erfindung des Papstes Martin, des Entdeckers der reichsten Goldader für seine Diener. Und die da trauen dürfen, die dürfen selber nicht getraut werden, nicht, was man so nennt, heirathen, also kein Weib, keine schöne Myrinnis nehmen. Das hat er auch erfunden! Und was einer erst erfunden hat, das ist natürlich zuvor nicht gewesen! Du bist ein kluges Ding, und siehst das ein. Aber fürchte Dich nicht, es geschieht Dir dabei kein Schaden an Leib und Seele, kein Finger wird dir gekrümmt, als der Ringfinger. Du bleibst so gut wie zuvor, und hast mich lieb wie zuvor.«

»Aber heirathen, oder wie Du das meinst, oder wie ich das meine, uns so recht lieb haben, das darfst Du doch?« fragte sehr reizend-bänglich die schöne Myrinnis.

»Ja! Ich kann heirathen,« antwortete er ihr höchst entschlossen, »denn wir Griechen haben die lateinische Erfindung der Glückseligkeit: kein Weib und keine Kinder zu haben, nicht benutzt; und da ich grade soll Bischof werden, der auf Zeit seines Lebens nur Eine Frau nehmen darf zur Frau, so denke ich, Du wirst mich aushalten und mich begraben.«

»Dich begraben?« rief Minnis entsetzt. –

»Nachher! Nachher!« sprach er einlenkend. »Erst machen wir Hochzeit und haben ein Häufchen kleiner Papaathanasiopullullopulos.« –

»Auf diese freue ich mich kindisch!« rief das gute, unschuldige Meerkind, klatschte in die Hände, und that dann, als wenn sie schon ein Kind auf den Armen pischte. Und den schönen Nereïden allen umher glänzten die Augen in dem rosigen Gesicht. –

Der Vater gab ihr zum Abschied einen Kuß. Alle ihre Schwestern kamen herauf, umarmten ihre scheidende Schwester und drückten sie an ihre Brust. Dann sprangen sie in die See und sangen. Nettuno tauchte unter, und über ihm ward ein grober Wirbel, als wenn ein Coloß ins Meer gestürzt. Und in den Trichter schlüpften die schönen Nereïden alle leise ihm nach, um ihm, wenn er da drunten in den Blumengärten schliefe – die Fliegen zu wehren! Die phäakischen Wittwen und Waisen aber fuhren traurig heim. Am dritten Morgen aber ward das genuesische Schiff auf seiner Fahrt von einem venezianischen angegriffen, mit Kugeln beschossen und genommen. Die junge Frau Myrinnis aber, die das abscheuliche Krachen im Morgentraume erschreckt, warf ihr Röckchen und Tüchlein ab, und sprang in die See vor aller Augen. Von ihrem kleinen Sohne Papaathanasiopullullopulo-Pulo aber erzähle ich – Morgen! Heut wißt nur so viel: das war der Fisch Cola, oder der Cola Pesce, der zuletzt gesehen ward, als er aus angeerbter Habsucht seines Vaters, des Papas, nach dem goldenen Becher oder Kelche in der Charybde Geheul sprang.« –

So erzählte der Improvisator und sie entwischten indessen glücklich hinein nach Ancona. Der Empfang der türkischen Kanonenkugel ward von der Sanität für keinen pestgefährlichen Verkehr erklärt; aber Giordano Bruno mit Torquato, den beiden Jesuiten und dem Improvisator Quirino, wurden sogleich fünf schwergerüsteten Reitern übergeben, deren Jeder seinen Inquisitionsverbrecher, an eine Leine gebunden, zu Fuß vor sich hin auf der Straße nach Rom trieb, nöthigenfalls mit der Peitsche oder auch mit dem flachen Säbel. Wo sie zuerst eine Kirche von weitem erblickten, mußten sie niederfallen und beten, bei Peitsche und Säbel. Sie durften bei keiner Messe vorbei, sondern sie wurden hineingetrieben. Bei welchen Gelegenheiten allen der Improvisator nicht unterließ zu improvisiren. Denn nach den heftigsten Schlägen improvisirte er doch fort; und da sie Befehl hatten, ihn lebendig nach Rom zu bringen, so behauptete er so lange er lebte und reden konnte, sein Recht zu reden und heiter zu sein, zu lachen und die andern zum Lachen oder zum Aerger zu bringen. Alles ohne Gnade. Denn »der lustige Geist der Welt hat auch sein Recht, und so großes als der traurige, schaurige;« sprach er. Wo am Orte des Nachtlagers kein Gefängniß anzutreffen war, da lagen sie in der Locanda. Wo eines war, wurden sie abgeliefert, eingekerkert und eine Wache ausgestellt – »daß sie ruhig schliefen, wie große Herrn,« meinte Quirino.

Das waren die stehenden Aeußerlichkeiten der Reise, die sich fortwährend gleich blieben. Die Innerlichkeiten betreffend, waren die beiden Jesuiten sich Freund, allen andern aber Feind und gegen sie abgeschlossen. Der Improvisator hatte sie als Leidensgefährten zum Besten, und zog sie in seine Schwänke, mit denen er auch Torquato nicht verschonte; nur Giordano's unbewegte heitere Stille, seine naturwahre tief im Himmel und auf Erden begründete Freundlichkeit gegen alle, auch gegen seine rohen Treiber, wirkten mehr als Schonung, sie wirkte Scheu, ja die unfreiwillige Furcht vor unbekannten Größen ihm ab. Indeß reiseten die 10 Mann nicht so allein, wie es schien, und nicht nur im Dienst einer vorübergänglichen Pfaffensache der Inquisition; denn die langlebende Sonne beschien sie, vom heiligen Himmel und von heiligen Sternen her, wo Rom und Rom's Spuck und Spiel unbekannt, nie genannt war, und nie genannt werden wird; die heilige Erde trug sie in ihrem sausenden Schwung um die Erde, und in der Erde großer gesegneter Reise, machten die Menschen die kleine Reise über die Berge und Bäche Schritt vor Schritt, Herzschlag nach Herzschlag. Aber auch das Menschengeschlecht übte seinen Einfluß auf sie; denn was eigentlich aus dem Herzen eines edlen Freundes des Lichtes nur Einem gelten und angedeihen sollte, das gedieh allen den traurigen Gefangenen der Priester an, damit es ihm sicher und unverdacht angedeihe, wenn es ohne Unterschied alle seine Reisegefährten zum Tode empfingen.

In Loreto nämlich gab sich der Abgesandte des Freundes von Giordano Bruno zuerst – nicht zu erkennen, denn seine wahre Mission war ihm selbst nicht offenbart, sondern zu vernehmen. Der Mann war ein ehrlicher Schweizer, der italienisch sprach. Er hatte ein Reitpferd für sich, und ein nur wie zum Schein beladenes Beipferd. Er ließ sich in der Locanda am Markt von dem Condottiere der bewaffneten Reiter, welchen der Improvisator nur Colonel oder gar General hieß, anreden, um ihm das Eine seiner Pferde auszutauschen, und der Schweizer schlug ein, ob er gleich augenscheinlich betrogen war. Doch auch das vermäntelte er durch den Antrag: sich in seinen Schutz begeben zu dürfen, da er mit einem Briefe aus Augsburg nach Rom zu dem heiligen Vater reise, der in diesen Tagen aus Ferrara dort eintreffen würde. Ja er gab dem Condottiere seinen Beutel und seine Waffen in Verwahrung, wovon er die Waffen zurück erhielt. Er war freigebig gegen die Mannschaft, darum durfte er es auch gegen die armen Galgen- oder Scheiterhaufenvögel sein, wie der Improvisator seine Gesellschaft Jesu von zwei Mann, zu ihrem Verdrusse nannte. Als sie jetzt nach dem heiligen Hause der Mutter Marie, das die Engel nach Loreto gebracht, in die Messe gingen, stand Bruno lange in tiefen Gedanken vor der langen Reihe Tische voll Blumensträuße, welche freundliche, bittende, schöne Mädchen den Pilgern hier auf der Straße unter offenem Himmel verkaufen. Sie drangen ihm ihre Wunder auf, sie gaben sie ihm in die Hände, sie steckten sie ihm an – und der Schweizer bezahlte sie den Mädchen für ihn. So ging er geschmückt ohne es zu wissen oder zu beachten weiter und sprach zu Torquato: »Alles Schöne, alles Theure, Liebe, Geliebte, Traurige und Einzige in der Natur und im Menschenleben wird hier entwürdigt, als Traumbild bekleidet und nur zum Gleichniß gemacht. Mann kann sagen: hier ist keine Blume selbst, kein Mensch, kein Menschenherz, keine Hochzeit, keine Braut, kein Kind, kein Sterbender, kein Tod, kein Begräbniß, kein Grab – hier ist alles Theil des Gedichtes, das wie Abendroth dies in Nacht versinkende Land überzogen; hier ist alles Gleichniß oder ein Doppelwesen, also Keins, also Nichts; denn ein Symbol ist Nichts, und getrennt ist alles selbst, und dem Einen Selbstbewußtsein ist alles: ein Wesen selbst. Die Wahrheit ist kein Glaube. Der Glaube ist keine Wahrheit. Es giebt aber eine Wahrheit – das Dasein Gottes mit aller seiner Herrlichkeit! Und wie mich die lieben Mädchen doch gerührt, und wie mich die Blumen angeglänzt und angeduftet. – Ach könnt' ich das sagen!« –

»Ja, Herr,« sprach der Improvisator – »wie man in Rom erschrickt, wenn sie an dem Abend, wo die lieben Engel mit dem heiligen Hause in Rom geruht, alle Kanonen lösen, daß die Erde zittert und die Wolken reißen, da wird einem die Wahrheit ordentlich eingedonnert! Da sieht man die lieben müden Engel mit dem Hause ordentlich in der Luft kommen! Was ist da die Erde! und der Himmel mit Wolken, zu denen der Pulverdampf steigt und aussieht, wie natürliche Wolken? O Pulver! O Dampf! So wird von dem höllischen Schießpulver ein himmlischer Gebrauch gemacht. Das Schießpulver ist ins Christenthum eingeführt. Jede Kanone wird ein Edelmann. Kommt sehen!«

Und wie hier, sahe Bruno überall von Hügeln und Bergen sein schönes Vaterland, zwar scheinbar an den Himmel geschmiedet, aber mit Thränen sah er es voll elender, armer, leichtsinniger, sinnlicher, ja ruchloser Menschen, denen für alle ihre Opfer an die Priester Gottes keine Gabe zurückfloß, als die Vergebung der Sünden; und denen alles Wissen und Können der abgetrennten glücklichen Welt verbaut, vergällt, verdammt und gehemmt war.

Und so zog er mit Freuden und hastigen Schritten den sauren gefährlichen Weg. Aber auch gelindert. Denn jeden Müden nahm der Schweizer auf sein Beiroß, also auch ihn, wenn er es bedurfte; jedem kaufte er Schuhe, also auch ihm, da er mit bloßen Füßen laufen mußte; jedem im Nachtkerker kaufte er Stroh und legte Geld zu, daß die Nachtkost nicht so erbärmlich war. Wenn es heftig regnete, bewirthete er den Condottiere und seine Kriegsknechte indeß unter Dach und Fach. Ueber den Apenin miethete er Esel für alle fünf, damit die fünf Treiber derselben sie mit gegen Räuber beschützten; und der Zug der Caravane von Rittern, die an Leinen gebunden, den Eselspaß trabten, war lustig genug für den Improvisator und für die sie überholenden Reisenden. Denn die Straße war einige Tage bedeckt von hohen Geistlichen, die zu der berühmten Congregationi de auxiliis divinae gratiae vom Papste nach Rom berufen waren, oder hören wollten: wie Gottes Gnade beschaffen sei. Und der Improvisator rief ihnen gewöhnlich nach, daß sie ihm ja noch in Zeiten Antwort bringen möchten, wie der Papst durch Bann und Fluch, durch Jesuiten und Dominikaner und ihr Inquisitionsfeuer die göttliche Gnade vermittelte und den armen Menschen auf Eseln zufließen ließe. »Denn,« sprach er, zu dem Jesuiten gewendet, »in den Schaafstall gehören doch alle Schaafe, auch die da draußen sind. Also erkennt ihr zwei Heerden, und die Menschheit wird ihre Hüter finden und haben neben Euch, also wider Euch.«

Diese Vorgänge und Reden, und das immer mehr nahende Rom, brachten endlich die Jesuiten zum Sprechen – unter sich. Sie waren Italiener, die vorher lange in Spanien auf Commando gestanden, als Gemeine der geistlichen Armee von Soldaten der Kirche Petri. Und lange schon forschend, ob einer ihrer Mit-Galgenvögel irgend ein spanisches Wort verstände, sprachen sie unter den wunderschönen Cypressen vor le Vigne, im Anblick der sonnigen wüsten Campagna ruhend, jetzt spanisch mit einander, das aber Bruno, als Sohn einer Spanierin, nicht vergessen hatte. Der Improvisator hatte den Einen »den Dreieckigen« benannt, weil er eine dreieckige Nase hatte; und den andern seiner Vierschrötigkeit wegen »den Vierseitigen«. Der Dreieckige also verbarg unter einem heitern Lächeln, als wenn sie eher von spanischen Schönen sprachen, seinen Kummer und sprach: »Leider hat unsere »Firma«« – worunter sie den Papst verstanden, »so wenig Nachfrage, daß der kluge Rothspecht,« – worunter sie den Cardinal Bellarmino verstanden – »sagt: »Und wenn ich nur einen Strohhalm aufheben sollte – um »Firma« zu werden, so würd' ich mich auch nach dem Strohhalm nicht bücken!« Und er hat Recht. Die Anstalt war zu groß, zu vielseitig, zu einseitig zugleich und tyrannisch, – sie mußte eine res publica werden. Die Macht, die nur an Einem Orte hausirte und auswärts überall in den zu erobernden Ländern nur ein Schatten war, mußte sich mittheilen, also sich selber nach und nach abtreten, zertheilen, und die Theile sich überall endlich zu Gegnern und Feinden machen. So war denn das Reich zerrissen, und die noch übrige Macht nahmen unsere Leute« – er meinte die Jesuiten – »und die Söhne des Vizlipuzli« – er meinte die Dominikaner als Inhaber und Verwalter der Inquisition – »in Erbpacht oder in Zeitpacht, denk ich. Und als eine Heerschaar leibhafter lebendiger Vizlipuzlis sind sie uns armen kriechenden und uns windenden und schmeichelnden Narren über den Kopf gewachsen! Sie sind unsre Herrn, und führen uns wie Büffel am Ring durch die Nase. Klar ist: das alte Römerreich ist noch einmal aufgestanden aus dem Grabe; die vermeintlich begrabene Herrschsucht ist, scheintodt, lebendig geworden, und ist in einem frommen Mantel wieder in die Stadt geschlichen, um so zu herrschen, wie es noch einmal nur möglich war, nicht über Schwache, wie sonst, sondern über Dumme, wie jetzt. Alle Stellen sind wieder besetzt, vom größten Brückenbauer an« – er meinte den pontifex maximus, »bis zu den Vestalinnen; denn vor allen müssen die Weiber mit in jede Sache gezogen werden, die im Volke die Herzen gewinnen soll; die Töchter, die Schwestern der Häuser müssen himmlische Seelen sein; so wie wir denn auch unsere Schwestern haben, weibliche Brüder, welche unseres Meisters fromme Geliebte, die liebe Frau Generalin Isabella gestiftet, und die uns nun selbst zur Last sind. Die neuen, perpetuirlichen Dictatoren und Tribunen zugleich sind – die Söhne Vizlipuzli's. Wie Du hier an uns siehst, sind wir alle stündlich und wörtlich in ihrer Gewalt, wie sie denn auch unseren Stifter, den Geliebten der frommen Isabella gleich, zum Beweise in ihr Loch gesteckt, worinnen er Jahrelang geschmachtet – um ihn abzukühlen und durch Purganzen, Brechmittel und Aderlässe die Schwärmerei oder den Wahnsinn abzuzapfen; – nun leiden wir für den Gehorsam, wie Ameisen zu Tausenden sich gern ersäufen, damit ihre Nachfolger einst die im Wasser stehende Honigscheibe erobern – wenn sie alsdann noch vorhanden ist! Denn das ist die Frage! Ja ich fürchte: nicht mehr die Frage. Und so wollen und müssen wir uns denn braten lassen für unsre schöne fata morgana, die heut noch zu sehen ist.«

Bruno hörte ernst und sinnend zu. Er durfte die armen Menschen nicht trösten. Denn die meisten, ja fast alle sind nur immer des Trostes fähig, der aus ihren Gedanken wächst. Und doch müssen alle jeden Morgen die reine himmlische Sonne aufgehn sehn.

Jetzt entgegnete der Vierseitige, Kräftigere, seinem Leidensgenossen: »Ich möchte sagen, es giebt nur immer unreines, angewandtes Gehorchen, kein unbedingtes. Jeder Mensch befindet sich immer, wie ein Kranker vor dem Doctor, in der Lage, Medicin einnehmen zu müssen, diese oder jene; und so schlucken wir armen Erdenteufel denn willig, wie junge Staare im Nest, alles hinunter, was für Gewürm die Frau Mutter, die Zeit, uns bringt! Darum zweifle ich auch an rein und unbedingt klugen Menschen, alle tragen ihre Kappe. Nur der Gehorsam bleibt feststehen als der große Glaubensartikel, sonst kommen wir nicht über die Brücke der Zeit, ja wir ertrinken einmal nicht, wo sie abbricht. Denn auch uns, wie allem Wesen und Volke fehlt endlich die Brücke vorn – es sind alles alte verfallene Brücken. Ich bin also gern gehorsam, ja dem Ochsen der mir begegnet – und ich gehe ihm gehorsamst aus dem Wege. Denn es befiehlt jeder auf andre und seine Art. Das darf uns nicht wundern. Unsere Gesellschaft fürchtet gefährliche Sprüche von dem jetzigen Zeichner der Firma, darum mußten wir in Vorrath predigen: die Unterschrift ist falsch, der liebe Mann darf gar nicht verbindlich unterzeichnen, denn er kann irren und fehlen und er fehlt gern und oft ganz entsetzlich, abscheulich; ja »das Buch« ist nicht einmal mehr der sogenannte halbe Beweis, denn zwei Zeichner der Firma haben es wissentlich und wohlweislich – einander aufhebend – verfälscht, blos zum Nutzen und Frommen der Firma. Das haben wir durch eines Ausgeschiedenen Bellum papale, von Thomas James. »Krieg unter den Päpsten«, dem Fünften Sechsten mit dem Achten Gnädigen, Sixtus V., und Clemens VIII. ans Licht gezogne verfälschte 2000 Capitel und Verse bewiesen. Uebrigens sollten sich alle Evangelische nur »Evangelische« nennen, und von allen andern durchaus nur so nennen lassen; denn durch Taufnamen stempelt sie unser Haus zur Secte, und alle Secten vergehen natürlich, alle Schrift aber bleibt und giebt Einigkeit und Halt. Warum predigen wir aber gegen »die Firma«? – weil sie gegen uns für den Molina sprechen will – also muß ihr Wort ungültig sein! Und nur um die Dominikaner zu besiegen, wollen wir unsern Meister Ignaz selig und heilig gesprochen, und ihr General des Vizlipuzli, der Raimondo mit der starken Feder, de Penna Forti. soll also nicht selig und heilig heißen; denn durch Sprechen wird Niemand selig noch heilig, sonst möchten sich die, die das zu können vermeinen, doch lieber zuerst nur gut und vernünftig sprechen; was alles übrigens uns nicht kümmert. Noch übler hat aber die Firma sich jetzt versündigt, die gnädige Achte, sie hat dem Evangelischen, also die Tradition – den Grund unserer Kirche verwerfenden Scipio Gentili Gewissensfreiheit versprochen, als Freund von Gelehrten, und will ihn zum Professor in Bologna machen, sich also den Bock in den Garten sperren, das Feuer ins Stroh legen. O heilige Einfalt: den Verstand gelten zu lassen! Gegen uns Festgläubige muß selber die Natur dumm sein und bleiben, der Himmel muß gegen uns Unrecht behalten! Die Sonne muß gehn – bis an unsern jüngsten Tag! Der Himmel muß nur einen Büchsenschuß hoch und weit sein, sonst haben Wir nicht mehr den höchsten Verstand und sind Puppenspieler aus dem vorigen Jahrhundert ja aus dem Ersten – und also aus unserem Letzten. Aber die Phantasie hält unter allen Geweben am besten; zum Glück kommen nur wieder Kinder auf die Welt, und die meisten werden nur groß aber nicht gescheidt, und achten das neue Wort nicht: »man kann nicht glauben, was man will, sondern nur, was man muß.« Indeß müssen wir armen Sünder jetzt auch einmal glauben, was wir müssen, weil es die Kinder Vizlipuzli's wollen, damit wir aus ihrem Rachen kommen, denn ich verehre die Märtyrer doppelt hoch – weil ich nicht Lust habe, Einer zu werden! Denn ein Kluger stirbt nur durch Anderer Unsinn. Ein schwerer Todt!«

»Ja! ein schwerer! aber doch der Tod eines Klugen!« sprach Bruno auf spanisch dazu aus Ehrlichkeit, um sie nicht Aergeres reden zu lassen, in der Meinung, es verstehe sie Niemand und höre nur Wind.

Die Mönche sprangen erschreckt auf. Bruno aber sagte ihnen: »Es freut mich, daß das italische Salz schon so klug ist! Es wird salzen! Von mir habt Ihr nichts zu besorgen. – Und Ihr verdient Euer Leben. Wer könnte Euch mit etwas Schwererem strafen? Aber seht nur wer da kommt?«

Die Ruhe war aus. Denn alle sahen jetzt auf dem Wege von Florenz, der hier mit ihrem Weg sich vereinigte, Pilger in ihren großen Regen- und Sonnenhüten, in ihrem Pilgerkleid mit Muscheln auf den Kragen, den Wasserkürbis umgehangen und in der Hand den langen Pilgerstab, woran oben ein aus Holz geschnitztes kleines Lamm oder Schaaf an blauem Bande hing, die des Weges nach Rom zogen, ihre Sünden dort abzubüßen. Und als sie genaht waren, baten sie: sich an die bewaffneten Reiter anschließen zu dürfen, weil die Räuber wüßten, daß jetzt manche Kaufherrn und Diener mit vielem Golde, als scheinbar arme Pilger Almosen nehmend, des Weges zögen, um unerschlagen anzukommen. Sie aber könnte man ohne Gewinn erschlagen, was doch den Räubern noch größere Sünde und Herzeleid bringen würde.

In ihrer Mitte gingen aber zwei gespensterhaft anzusehende Gestalten, zwei noch dazu sehr lange dürre abgegrämte und abgehungerte Männer, die, wie jeder sah, aus den Inquisitionskerkern zwar entlassen worden, aber noch die furchtbare sie beschimpfende und als gewesene Ketzer demüthigende Kleidung, das San benito, den weißen Leichenrock und die hohe spitzige Mütze zu tragen verurtheilt waren.

Der Improvisator bestaunte verstellt die verwunderlichen Gestalten, besahe sie von oben bis unten, schlug die Hände über dem Kopfe zusammen und fragte mit dem Ton des Erstaunens: »Nein, Ihr Geister! Gespenster! Bewohner des blassen Mondes, oder der ausdürrenden Sonne, wo kommt Ihr in Ewigkeit her auf die Welt? Denn Flügel sehe ich nicht, aber wohl schindeldürre Beine! Auch habt Ihr Augen und Nasen wie Menschen! In welchem Lande ist aber solche Hunger- und Kummernoth, oder solcher Ueberfluß an Hunger und Kummer, wie Eure Backen beweisen und Euer nichtexistirender Bauch? Und wo färbt man noch jungen Männern die schwarzen Haare so grau, so weiß! – In welchem türkischen oder gar christlichen oder gar allerheiligsten Lande ist denn der Tiger der Beherrscher der Menschen? O Jammerbilder, mit eingeschnittenen Wunden der Folterstricke – und Du von Feuer abgeschmorte Hand – oder Knochen – –«

Er weinte schon fast dazu; aber auf einmal fiel er dem einen langen Herrn im Sterbekittel um den Hals und rief: »Vetter! Spanischer Weinhändler von Ripa grande! Römer! armer Mann, so kommst Du aus der Welt nach Hause?«

»Nicht aus der Welt!« sprach endlich der Büßende, »nur aus den Kerkern des heiligen Nachfragegerichts. Es ist verboten zu erzählen, wie es in seinen Kerkern zugeht, weil darauf gleich wieder ewiger härterer Kerker steht; aber ein zur Buße Entlassener darf nur erscheinen, und seine Glieder schreien alle laut. Uebrigens hatte ich mir vom Papst die Strafen abgekauft – und im Verlaß auf ihn und sein Wort und mein Geld reisete ich wieder nach Malagga – und grade nun mußt' ich für meine Hinterlist und Frechheit büßen. Doch nun gehe ich nach Rom um – –«

– »Dem Papst Deinen eigenen Leichenkittel und die Corozza zu verkaufen, das heißt zu bezahlen. Rom braucht Geld – wenn ich nur genug hätte! Aber so muß ich ihm meinen eigenen Leib verkaufen. Aber was hattest Du, armer Vetter, oder Du armer Mager, verbrochen?«

»Ich habe mir daraus die Lehre ziehen müssen, dem Papst nicht das Kluge zu glauben – ich hatte Papst Sixtus V. italienische Bibel gelesen, weswegen er nach seinem Tode denn selber als Ketzer verdammt ist. Doch bin ich, wie er, nicht an spanischen Fliegen gestorben!«

»Da siehst Du,« sprach der Vierseitige zum Dreieckigen, »daß wir mit Recht gepredigt haben: Der Papst ist nicht unfehlbar und kein Nachfolger Petri, und wenn auch, so ist doch die Oberherrschaft kein Glaubensartikel, und jeder gute Katholik kann sie rechtschaffen leugnen! Das ist sogar nicht der Eck- und Grundstein des Papstthums. Denn daß der Papst nicht die Oberherrschaft hat, seine Fehlbarkeit und Verdammbarkeit sind die Pfeiler der Kirche und ein großer Gedanke in die Zukunft! Denn so kann man die Päpste alles thun lassen, und kann doch später sagen: Das Alles ist nicht recht, nicht ächt, nicht einmal Christenthum gewesen! Die Thüre ist offen zu halten, wie ein Sterbender die Augen muß offen halten!«

»Wenn uns die Leute nicht eher müde werden,« versetzte der Dreieckige, »es lebt sich alles ab. Keine Rose erlebt auf dem selbigen Stocke die neue von zu Jahre!«

Der Improvisator aber fragte seinen Anverwandten erstaunt: »Aber theurer Vetter, oder Mager, warum bist Du nicht in alle Welt gelaufen, hinter den ersten vernünftigen deutschen Strauch, und hast den Elendskittel und die Höllenmütze abgeworfen« – – –

– – – »und wärst nicht zu Deinem alten Vater Quirino nach Rom gegangen, der Deine verlassenen Kinder erzieht?« setzte der Büßende hinzu. »Ja, wenn sie todt wären, wie meine Frau vor Gram und vermeinter Schande gestorben ist – dann – war ich noch Regulus genug – den Sterbekittel wieder in die rechten Hände zu bringen! So aber thue ich keinen falschen Tritt und bewahre meinen zermarterten Leib wie den größten Schatz, blos damit meine Kinder mich lebend sehen! Wären nicht die Bande der Natur, nicht Furcht vor dem Tode, und bemächtigten sich die himmlischen Heerschaaren auf Erden nicht derselben zu unserem ewigen Heil, dann würde der Teufel der Welt nicht Herr.«

Bruno lächelte, als habe er keinen Schmerz, über Anderer Schmerz um ihn, zu gewärtigen. Aber ohne jetzt klar an seine unzähligen Freunde, Verehrer und Schüler in vielen Ländern zu denken, trat ihm jetzt Vanina in Gestalt des einen schönen jungen Pilgers vor Augen, der ihn wehmüthig anlächelte, und jetzt eben erst plötzlich durch die Lücken weggeflogener Wolken hell von der Sonne bestrahlt, ihm als ihr Geist erschien. Eine Thräne rollte ihm in den Bart. Sein Freund Torquato mochte ihn nicht fragen: »Was weinst Du? Das muß ein Schweres sein, was Dir eine Thräne erpreßt!« Aber Bruno sagte ihm – Du lieber, meine Mutter und meine Schwester möcht' ich doch sehn! – Sie werden mich ja sehn! Aber ich habe ihnen meinen Tod zu ihrer Ruhe doch nicht ausgedeutet! Was wird Dein Weib und Deine Tochter machen? Doch was frag' ich – sie liebt Dich! Das ist die Arbeit guter Seelen.«

»Auch ihr Schmerz und ihr Tod! Denn ich liebe Dich auch, o Bruno!« entgegnete Torquato, lehnte sich ins Dunkel an eine Pinie, und weinte im Verborgenen.

Indeß hatte sich der Vetter im Leichenkittel auch über den Vetter am Narrenseile gewundert, wie der Improvisator seinen Laufstrick nannte, und der Dreieckige hatte auch den andern, jüngern und vornehmern Büßenden gefragt: – »Leichenkittel! Warum steckt ein Mensch in Dir?« Und der Improvisator wollte sogleich als personificirter Leichenkittel gut schneidermäßig antworten, wie er sagte, aber der Vetter-Mensch in demselben sprach gutmüthig und treu: »Mir sind immer die Bücher entsetzlich vorgekommen, die den stupenden Titel führen: Beweis für das Dasein Gottes. Und so hatte ich ein Büchlein verfaßt mit dem Titel: »Beweis für das Dasein des Menschen und seines Geistes.« Denn alle Milliarden todter Indier, Aegypter, Juden, Perser, Griechen und Römer sind richtig Geister gewesen, weil sie ja alle sammt und sonders verschwunden sind! Wären sie selber etwas gewesen, so müßten sie noch da sein – doch Einer! Aber da ist Keiner! Also sind auch die jetzigen Menschen ohne Ausnahme nichts, sondern der und das ist blos etwas, also alles und alle, der sie gewesen ist. Dafür sollte ich nun der neue vortreffliche Priscillianus sein, der geschaut, gedacht, geglaubt und gelehrt: »Die Seele ist mit Gott von gleichem Wesen.« Und Gott müßte sich also als Menschen durch die Welt erbärmlich schleppen und sterben. Als wenn Sterben eben nicht grade gar nichts sein könnte und ist! Und was lebte nicht lebt!«

– »Hab' ich nicht immer gesagt,« flüsterte der alte Jesuit dem jüngern zu, »die Allgegenwart Gottes wird uns die allergrößte Gefahr bringen! Sie kann die ganze Kirche mit Grund und Boden stürzen; zum Glück ist sie kein Glaubensartikel. Da käme Montanus wieder auch auf die Welt, der gelehrt, der heilige Geist hat durch ihn eine vollkommenere Kirchenzucht gelehrt als die Apostel. Und Donatus, der lehrte, die wahre Kirche ist überall untergegangen. Aber Arius wäre widerlegt. Und doch die Nestorianer! Was doch in Einem Worte schläft!«

»Weil ich ein liebes Weib hatte, habe ich alles abgeschworen,« sagte der Büßende; »das half mir, denn die Herren Schneidermeister dieses Sterbekittels glauben mit Recht, daß nur ein Lutheraner, also ein ewiger Protestant, keiner wahren Reue und Sinnesänderung fähig sei, weil das Licht, das ein Mensch gesehn, ja gewesen ist, unvergeßlich ist – und werfen die Lichter ins Feuer. Der heilige Vater Paul IV. hat weislich die Vollmacht gegeben: alle Evangelische, als solche, die des Abfalls vom Papstthum überwiesen sind, gradezu gleich zu verbrennen.«

Bruno erkannte jetzt einen seiner Schüler zu Toulouse an dem Büßenden, aber er schämte sich seiner und kehrte sich seitwärts.

Der ältere Jesuit aber flüsterte wieder zu seinem Genossen. »Wie dumm, den Evangelischen solche Märtyrer zu erzwingen, wie den Francesco und Agostino Cazalla, und den muthigen Antonio Herrezuelo, dem der Henker vor dem Verbrennen aus Aerger über den unerschütterlichen Muth noch den Spieß in den Bauch stieß! Oder wie den Priester Villa Medina! und den Dominikaner Domenico de Boras, der selber dem König Philipp II. ins Angesicht rief: »Jetzt sterb' ich für den wahren christlichen Glauben, und das ist Luther's Lehre.« Dafür starb er zwar mit dem Knebel im gottlosen Maule – aber das ist der größte Vorzug unserer Kirche, daß sie heilige Märtyrer hat – kann es dem evangelischen Volke nicht auch einmal einfallen, zu sagen: jene Männer wären auch Märtyrer gewesen, und hätten sich selber heilig gesprochen, geschrien, gebraten – da bei ihnen Niemand heiligsprechen mag! Ja der veronesische Edelmann Don Seso erklärte sogar unsre Kirche für den Auswurf, die zurückgebliebene Larve des neuen schönen Wesens, in das sie sich selbst verpuppt habe und nun zu einem bessern Leben ans Licht der Sonne geschwebt! – Möchte da die Sonne nicht schwarz werden! Mit Freiheit ist Alles verloren und mit Zwang nur zu Heuchlern gemacht. Miserere, Domine! In welche Haut, in welche Larve sollen wir noch fahren? Ja ich führe in Beelzebub oder in ein perennirendes Donnerwetter lieber als – Unrecht gehabt zu haben! ein Narr gewesen zu sein! So hat nur das Grab einst die Alten von ihrer Schande erlöst. Aber das Grab ist die Zuflucht der Feigen, und der Himmel der Trost der Elenden!«

Indessen hatte die blasse aber schöne Pilgerin dem Büßenden die Strang- und Feuerwunden an seinen Gelenken mit linderndem Balsam mit zarter Schonung benetzt, und sie zuckte vor Empfindung seines nicht verrathenen Schmerzes mit ihren Lippen, und ihr Auge und ganzes Gesicht war das verkleinerte Bild einer ganzen schrecklichen Welt da draußen. »Das Schlimmste ist,« sprach sie, und gab sich dadurch als seine Gemahlin zu erkennen, »daß wir nur arm sind, ganz arm; denn der Angeber, der zugleich Zeuge sein darf, hat ausgesagt, mein Mann wäre grade den Tag nach unsrer Verlobung in Ketzerei gefallen; und so haben sie ihm, schon als Herrn meines ganzen Vermögens, das meine wie seines genommen! Und so arm wie wir sind, werden wir schwer es beweisen, daß es vor unserer Verbindung geschehen! Aber, mein Gott, ich will ja gern das Geld dem heiligen Vater lassen für die Buße: den Sterbekittel noch lange zehn Jahre zu tragen! Wie soll mein Kind, das bald auf die Welt kommen wird, den Vater so sehen als einen lebendigen Todten! Meine Haare, meine Augen wollte ich aus dem Kopfe geben! Ihr könnt uns sicher mitnehmen, denn wir haben nichts als unser Elend, das groß ist. Ach, könnten wir zum Herrn nach Jerusalem pilgern – da wäre Erbarmen!«

Der Condottiere aber versagte, sie mitzunehmen, weil ihm der Anblick der Kittel unerträglich war. Der beherzte Soldat war krank davon geworden. Er vermochte sich nicht auf dem Pferde zu halten, und der Improvisator führte so eben den Matten und Schwankenden weiter, als der Papst, heiter und lachend über die Eroberung von Ferrara, in einer nagelneuen, großen altfranzösischen Staatscarrosse mit seinem Vetter sorglos und donnernd an ihnen vorüber fuhr, Wachen voran, Wachen hinten, und hinter den Wachen ein Zug Reisender, die ihre Pferde fast todt jagten, um unerschlagen mit durch die Campagna zu kommen, wo alle Augenblicke an Pfählen zur Seite des Weges jetzt ein ausgetrockneter Räuberarm hing, dann wieder ein Bein, ein Brustgeripp – ein Menschenkopf; oder ein Pfahl starrte, um welchen Eingeweide gewickelt waren. Und den Reisenden flogen Schwärme Raben nach, aus Erfahrung: sie fänden an ihnen ihre Speise hier oder dort.

Das Weib des Büßenden war vor der Staatscarrosse auf die Knie gesunken, und verzweifelt, dann ganz auf die Erde. Sie sprang wie beflügelt auf, und die Pilger und Sanbenitos eilten dem Condottiere und den Seinen flüchtig voraus.

In dem einzelnstehenden großen Gasthaus von le Vigne erholte er sich. Aber dem Bruno däuchte, als ob er Lord Sidney's Diener, den Hexburn gesehn, der an ihm vorüber hinaus in den Stall gegenüber geschlichen; die Gestalt kam wieder, setzte sich ihm fern und er und Niemand achtete weiter darauf, daß gleich nachher zehn Reiter, mit dem päpstlichen Schilde am Arm, langsam nach Rom zu ritten. Da Abends Mondschein war, so hatte der Condottiere beschlossen noch heut bis Rom zu gehen. Nach Tische war er aber eingeschlafen, und so brachen sie später auf. Desto mehr eilten sie jetzt, bis sie endlich Rom erblickten. Und auch sie umschwärmten die Raben und zogen ihnen laut krächzend nach. Der Mond war aufgegangen. Die Campagna war wie gekehrt. Kein Hund bellte irgendwo von weitem. Kein Licht schimmerte wo. Kein Laut. Grabesstille. Nur der Wind strich, und die Todtenköpfe drehten sich auf den Stangen, oder die dürren Arme an den Pfählen baumelnd, schienen nach ihnen zu greifen.

Jetzt waren sie in einer breiten Vertiefung, nach der die Raubvögel gezogen waren. Die Pferde stutzten und schnauften. – »Kinder! das ist das gelobte Land!« sprach der Improvisator! »Daß nur nicht etwa Cäsar oder der Geisterseher Brutus den Leichenkitteln begegnen! Die würden einmal sich den Bauch halten vor Lachen, und Gott danken, daß Dergleichen doch nicht in dem heiligen Alterthume gewesen!« – Aber er verstummte plötzlich. Denn rechts neben dem Wege lag eine Gestalt in weißem Sterbekittel, und zwei Pilger – erschlagen, denn sie hörten auf keinen Ruf, und der Schweizer rüttelte sie umsonst. Sie hielten. Und plötzlich rasselte es links her hinter dem Hügel voll elender Büsche hervor, und sie waren von Reitern umringt, deren Einer sie anrief: »Macht keine Narrenpossen! Ergebt Euch!«

»Schuft! denkt Ihr uns so zu erschlagen und auszuplündern!« rief der Condottiere, und wollte ihn quer zu Boden reiten. Da stürzte er selber und noch zwei der Seinen plötzlich rücklings vom Pferde; denn die zwei Jesuiten und Torquato hatten sie jetzt an den Leinen herunter gerissen. Dafür bekam Torquato von einem Andern der Ihren einen schweren Hieb in den Kopf. Die Jesuiten lösten sich eilig einander von den Leinen, und flohen hinweg in die Wüste. Die Liegenden wurden in dem Gewühl von den Pferden zertreten. Bruno kämpfte mit einem aufgehobenen Säbel für seinen Führer und vor ihm stehend – »um Keinem Menschen auf Erden ein Leid geschehen zu lassen.«

»Wir haben die armen Narren dort nicht erschlagen, wir helfen ja Euch! Seht Ihr das nicht!« rief einer der zehn Männer ihn an. Aber das rührte ihn nicht, und doch ward sein Führer von hinten durch Andre vom Pferde gehauen. Die zwei letzten Reiter des Condottiere kämpften erlegen so eben noch tapfer, als von Rom her eine große Schaar bewaffneter Reiter herangesprengt kam, die die Ueberfallenden überfiel, welche die Flucht ergriffen und auf dem Wege nach Vigne zurück von ihnen verfolgt wurden, in dem Dämmer verschwanden und bald auch nicht mehr zu hören waren.

»Nun sind Wir frei! Wir Zwei!« sprach der Improvisator zu Bruno, »Gott verläßt die Seinen nicht, wenn nicht die Paar Todten hier auch sein gewesen sind! Jetzt kommt rasch von hinnen! Die ganze Welt ist unser! Ueberlaßt dem lieben Gott hier aufzuräumen, denn ihm werden ja einmal – das heißt immerfort, alle Elenden, Sterbenden und Todten auf den Hals gebürdet und ernstlich – was können wir damit? Mir wäre himmelangst. Kommt! oder ich gehe allein nach Rom, dem heiligen Vater unter Augen und Nase.«

Bruno aber hatte seinen Freund Torquato schon zur Seite auf den Rasen getragen, und ihm sanft einen Stein unter den Kopf gelegt. Torquato erkannte ihn endlich und drückte ihm die Hand, ja er weinte. Zuletzt aber sprach er erschöpft: »Bruno, ich sterbe! Fliehe! Aber, ach, wisse, höre, vergieb – Ich ... ich habe Dich ... verrathen!«

Darüber schwieg Bruno eine Weile sehr ernst. Dann sagte er ihm mit milder, tröstlicher Stimme :»O mein Freund, wie soll ich Alles aus meiner Seele in so kurze Worte drängen, wie Du vielleicht nur noch hören kannst! Unrechtthun wär' unrecht thun, wenn auch kein Mensch davon litte, wenn Erde und Sterne nicht wären; der Geist ist der Geist für sich, und der wahre große Edelmann, das reine Herz, das ewige Kind! Aber mein Freund, unmöglich hast Du mir schaden wollen; das will der Geist in Keinem; Du hast gewiß Jemanden sehr zärtlich geliebt; dem zu Liebe – –«

»– ach mein Kind, mein Kind!« stöhnte Torquato.

»Genug!« sprach Bruno. »Sie soll meine Tochter sein, wenn ich sie erreichen kann. Und nun freue Dich, diese finstere Erde los zu sein! Diese schrecklichen Erscheinungen alle von heut nur! Wäre der Unsinn das Höchste, dann wäre es besser, es gäbe keine Erde, oder doch keine Menschen. Aber wie ein gesondertes Werkzeug des Geistes, zum Beispiel ein Mensch verrückt sein kann, so könnte es wohl auch ein Stern, die Erde sein unter den tausend Kindern des Himmels. Aber die Erde ist nur noch wie ein unreifer Granatapfel, und ihre Kerne sind noch grün und bitter. Der Eine, Millionfache, mit tausendjährigen Lebensjahren, ist deutlich im Kinde noch ein Kind, aber es erwacht jetzt aus seinen kindischen Träumen am Tage. Viele und immer neue Krankheiten befallen es in seiner Entwickelung, und es wäre nicht gelogen, zu sagen: Die Indier, Aegypter, Juden, Griechen und Römer sind Wahnsinnige gewesen, und mit dem traurigen Erbe schleppt das Geschlecht sich noch heut. Aber die Krankheit bricht sich jetzt mit Macht, und schön wie der Morgenstern bricht der Geist mit himmlischer Klarheit und lächelt, um sich nicht zu schämen. Verlasse die Erde mit der Gewißheit, auch dieses verirrte Schaaf wird sich zur großen Sternenheerde finden. Du aber ziehe hinaus in dieses unser großes Himmelreich, das kein alter Weiser gekannt! Keiner! Gott wird Dich darin als seinen Geist bewahren wie seinen Augapfel! Er wird Dich darin kleiden, wie das Veilchen! Dich mit Thau tränken wie die Rose! Er wird Dir leuchten mit tausend Sonnen! Er wird Dir Mutter und Vater, Brüder und Schwestern und Söhne und Töchter geben, die Dich lieben, die Dein sind, wie sein. Er wird Dir neue Arbeit geben an jenen großen Werken, und Freude an Dir und an unserer köstlichen Heimath überall. Er thut nur sich, was er Dir thut und Allem! Und fürchte etwa nicht einen weiten endlosen Weg, ein Verlieren und Verirren. Wo Du bist, wo der Geist ist, da ist ihm alles ewig nah, da steht die Herrlichkeit um ihn, wie eine demantene funkelnde Wand. Aber auch hoffe keine größere Vollkommenheit, als daß du Geist bist, voll Ehre, Sitte, Drang zu leben, Seligkeit zu lieben, und Freude zu wirken und zu schaffen! Ob nun Dein Leben Kampf sei nach Außen – im Innern ist immer der sichere Sieg. Wisse, denke ewig: Du bist Geist, und wie Dir kein Tod ist, ist Dir kein Unglück. Und die Ewigkeit wird Dir wie ein Augenblick sein, ein Jahrtausend Dir nicht wie ein Tag! Denn der Geist lebt in steter Gegenwart, wie ein stehender Blitz in den Himmeln, und alle Lieben werden Dir immer klar vor Augen stehn, wir werden ewig bei einander sein! Und auch den kleinsten Staub, in den hier Dein Leib zerfällt, werden alle Diener des Hauses bewahren, so lange der Himmel bleibt! – Nun reise glücklich, seliger Geist! Und laß Dir nicht wunderbar sein, was Dir begegnet und was Du schaust. Seien Dir alle Gestalten so lieb, wie einst Deiner Mutter Gestalt, an deren Brust Du vertrauensvoll Dein Kinderhaupt gelegt! Nun schlafe wie da!«

»Er ist todt!« sprach Bruno jetzt zu einem Pilger, der zu ihm trat. »Er hat seine Mutter vorher nicht gekannt und hat sie geliebt; er hat mich nicht gekannt, und hat mich geliebt, und hat Liebe gefunden. So wird es ihm ferner ergehn. Das ist das Zeichen: »Wir sind selber Geist, und der Geist ist selber Würde, Ehre, Kinderreinheit, Sitte und Freude und Seligkeit.«

»Nun aber kommt! Hier habt Ihr auch die Maske von einem Pilger!« sprach der Pilger, an dessen Stimme Bruno den Improvisator erkannte. »In dem San benito wärt Ihr vielleicht noch sicherer! Denn mein armer Vetter ist todt! und wird seinen Vater und seine Kinder nicht wiedersehen! Ach! Wie viel Unglück stiftet schon Ein Närrischer, geschweige ein Land voll! Es ist doch außer dem Spaß! Denn wenn man selber noch so lustig ist, so muß man doch weinen oder – fluchen! Drückt Ihr Dem auch noch erst die Augen zu? Die Todten finden den Weg blind, den Vorzug haben sie vor Lebendigblinden!«

»– So!« – sprach Bruno, und stand auf; aber er sahe noch erst, ob die andern Daliegenden auch alle todt wären, und ob nicht noch Einer leide, oder Hülfe bedürfe? – Dann sprach er: »Es scheint, der Mensch hat nicht Zeit auf Erden; aber der Geist ist der Mensch, und so hat er statt Zeit – Ewigkeit; und so geh' ich nicht bei dem gebrochenen Aste mit Früchten vorbei, nicht bei der geknickten Blume. Ich will mein Bewußtsein nicht mit Leichtsinn beladen, oder mit der Mühe, diesen Leib auch sicher ins achtzigste Jahr zu schleppen. Aber nun ist mir wohl, wie mir soll. Nun laß uns gehen! – Aber wohin?«

»Alles nur rasch, eh' die Straßenreiter wiederkehren! Darum nicht zurück! Nicht zu den Seiten in die Wüste,« sprach Quirino. Im Narrenhause zum h. Geist alla Longara wären wir am sichersten. Aber wer sich selber da meldet, der also weiß, daß er ein Narr ist, den nimmt man nicht auf. Man muß hingeliefert werden. Und Einander können wir uns nicht hineinliefern, wie einander nicht begraben! Wir wollen ein Schiff nach Neapel oder Sicilien suchen auf Ripa grande. So lange verbirgt uns das Pilgerkleid. Die uns kannten, sind todt oder hin, und der Schweizer, der voraus nach Rom gesprengt, die treue Seele, verräth uns nicht!

Und so pilgerten sie in die abendliche Stadt, mit dem klappernden Schaafe am Stabe.


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