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1.
Der falsche Freund.

 

Ein falscher Freund, was ist er werth? – Das ist er werth:
Daß ihm die Redlichkeit durch seine Seele fährt.

 

Die Messe war aus. Sanct Markus-Haus in Venedig gab seine Gäste von sich. Sie eilten. Denn am Himmel stand ein schweres Gewitter. Der Doge kam aus dem wunderlichen Gehäuse wie ein bunter goldener Käfer hervorgekrochen und stolzirte davon in seinen Palast. Und die Senatoren thaten sich groß hinter ihm, griffen sich an den Bart und fühlten sich eigentlich stolz, daß sie lebten, und meinten: sie waren blos, weil sie Senatoren, Proveditoren und Procuratoren hießen, und blickten zu dem Gewitter wie zu einer Narrensposse am Himmelsdom, da sie das Ding in Sanct Markus Gehäuse besser gehört. Die edlen schönen vornehmen Frauen und Jungfrauen machten, aus Furcht naß zu werden, große unschickliche gemeine Schritte über den Markusplatz, und verloren sich bald in die Spelunken der Gäßchen, wie Schwammthiere in ihren Schwamm. Ihre Liebhaber, am Portale in corpore auf sie harrend, um sie so schön geputzt zu sehen, und wenn nicht ein verabredetes Zeichen, doch einen Blick aus solchen Augen zu erhalten, stoben auch mißmuthig auseinander. Darauf kamen die ehrbaren Republikaner und Republikanerinnen – die erbärmlichsten Sklaven, die nicht mucken durften, und alle, wie Gastwirthe von ihrem Schilde, nur vom Aushängeschilde ihrer Republik lebten, oder zu leben glaubten. Ein stolzes und knechtisches Volk. Darauf kamen die Gemeinen, die in aller Welt nichts sein wollen, nur lebenslang ihr Brod haben wollen für Frau und Kinder, die willigen Marterhölzer auf Erden, die, scheinbar-glücklich, in ihrem jahrhundertelang verknechteten Geiste gar keine Knechtschaft empfinden, keinen Druck, keinen Herrn, keinen Sbirren, keine Inquisition, kein Mundschloß, weil sie aus Gottes Gabe ganz himmlisch damit zufrieden sind: daß sie leben! und sich ewig wundern: wie Gott selber um ihretwillen tagtäglich sich so bemüht, die Sonne herauf und über den Himmel zu wälzen, und solche Weintrauben, solche Pfirsichen ihnen in die Stadt zu schicken, da sie doch nur arme, bescheidene Schuhmacher und Schneider sind. Das waren die einzig glücklichen Venezianer. Dann kam das Schiffsvolk, die Matrosen, die frechen, kecken, deren Augen schon nach den Dirnen sahen und nach den Weinschenken, während ihre Füße noch in der Halle standen. Aber sie wußten, sie waren die von dem Dogen auf Händen getragene Kraft des wunderlichen Seethiers Venedig; sie waren die Arme, die Saugwarzen an den vielen umhergreifenden Armen des Polypen, dessen Kopf sich hier in den Lagunen festgeklammert hatte. Sie sangen mit getrosten Blicken das Ungewitter mit leichtsinnigen Liedern an, und führten sich schaarenweise fort. Zuletzt kamen die alten Weiber, alle jene verwandelten Schönheiten, die Niemand mehr wiedererkannte, und die sich selber nicht mehr im Spiegel erkannten; jene abgeblühten, falben, trockenen Rosenhäupter des Rosenstrauches des Mädchengeschlechtes, die vom Lebensbaume abgefallenen Oliven, das an der Sonne trocken gewordene Obst, die zu Rosinen getrockneten Trauben des Pizzitello. Niemand fühlte gegen diese paar Hundert alte Weiber die Wehmuth, den Dank und die Ehrfurcht vor ihrem – göttlichen Unglück, die sie verdienen, als die erstaunendsten Weltwunder, als ewige Geister – mit müden Beinen, dürren Armen und wackelnden Köpfen. Sie schlugen ihr Kirchkleid über die Köpfe; kaum Eine war einer Muhme dabei behülflich; denn sie wußten alle dem Leben mehr keinen Dank, und keinem Menschen Dank, sondern sahen finster ja zornig aus, und doch wollten sie die Alleinseligen scheinen, weil sie die Nächsten zum Himmel waren; und so trippelten sie fein ehrsam, jede nach ihrer steinernen Höhle, die ein Haus heißt; und wenn es blitzte und donnerte zuckten sie mit dem Rücken, auch manche mit dem Buckel.

Gleichsam in diesem Tone hatte Arrigoni, ein Mann von einigen und funfzig Jahren, diesen Kirchen-Ausgang mit angesehn und oft geseufzt, nur selten gelächelt; denn sein Herz war beklommen, und er drückte sich manchmal die Brust mit der flachen Hand, während er in der Markuskirche mitten unter dem großen massiv-goldenen Kronleuchter stand, der, wie eine fabelhaft große Kreuzspinne aus dem Monde, die sich hier von der goldenen Decke herabgelassen hat, ihre dürren Spinnebeine wie nach seinem Haupte krallte. Er wartete peinlich auf den päpstlichen Nuntius, Monsignor Matteï, der aber in leisem geheimsten Gespräch in der Mitte des Großinquisitors von Venedig, und dem Jesuiten Pater Garnet ging; jenem Manne, der in wenig Jahren darauf durch seine Pulververschwörung das ganze evangelische Parlament von England gern in die Luft gesprengt hätte. Sie gingen sehr langsam auf dem Fußboden von gleichsam versteinerten Wellen, und bald schoß Einer, bald der Andere der alten Herren eine Lerche, an die er nicht gedacht hatte, und nahm sich wieder würdig zusammen.

– »Lächerlich!« sprach Arrigoni für sich. »Draußen leuchtet der ganze Himmel voll Sterne, die nur die nahe Sonne jetzt verdunkelt, und der Blitz löscht auf eine Sekunde die Sonne aus, denn jeder will leben und erscheinen, und rings hinaus ist alles voll Wunder Gottes, das Meer rauscht und die Winde sausen – und hier drinnen stolpern die drei alten Skelette in ihren bunten Masken und glauben, sie sind: was ihre Kleider den Leuten bedeuten! O ihr Großgläubigen! die ihr Kleines groß glaubt, und Narretheidinge für die letzte Weisheit haltet! O himmlischer Vater! Ewige Geduld! – Aber ach, siehe mich nicht! Denn heut bin ich der Schlechteste von ihnen, oder will es werden – denn ach, ich will meinen Freund verrathen! Das sind unwissend Narren, ich bin ein wissentlicher Verbrecher....«

Jetzt fiel ein entsetzlicher Donnerschlag ganz in der Nähe. Die drei Männer schossen wieder Lerchen auf den widersinnig unebenen Fußboden, dann bekreuzten sie sich, zum Altare gewandt, wo ihr heiliger Markus schlief und mit dem Sarge und den Alabastersäulen und der ganzen Kirche schütterte, daß Staub und Mosaikstifte aus den Bildern der Kuppel fielen.

Da erschien aus der Sakristei, auf dem Heimweg begriffen, der Patriarch von Venedig, im Stillen ein mächtiger Gegenfüßler des Papstes; denn er wußte hinter dem würdigen stillen Gesicht, daß Venedig sich lieber und sehr gern vom Papst, ja dem ganzen katholischen Wesen, wie England lossagen wollte, und mußte dies als eine Erniedrigung, eine Einmischung in seine weltliche, den Menschen nützliche Macht erdulden. Neben dem alten eisgrauen Manne ging sein designirter Nachfolger, der Bischof Matteo Zanne, der sich aber erst in Rom wie ein Schuljunge examiniren und römischen Geist einblasen lassen sollte, was Venedig als läppisch verweigerte. Und so begegneten sich diese beiden Männer mit dem römischen Nuntius äußerst artig, und lächelten einander würdig an. Der Nuntius aber verließ mit dem Großinquisitor von Venedig und dem Jesuiten Pater Garnet die gefährliche Markuskirche, und sie gingen durch die Thür nach der Piazetta zu, in das Thor des Dogenpalastes, wo sie eine Zeit in dem offenen Raume des Hofes – in der Börse – sprachen; dann stiegen sie die Riesentreppe hinauf, und langsam durch die schönen Corridors wandelnd, traten sie auf den Altan hinaus, der das Meer und die Schiffe unter sich zeigt, und draußen, drüben über San Giorgio Maggiore und hinter der Stadt, die schön geschwungenen, lieblich blauen Euganeïschen Berge. Mit seiner wichtigen Nachricht auf dem Herzen war Arrigoni ihnen auch dahin gefolgt und in bescheidener Ohrenentfernung zur Seite geblieben. Denn der Nuntius hatte ihn bemerkt, und mit dem Zeigefinger auf die Erde weisend, ihm befohlen, stehen zu bleiben und zu warten. Und so war er von der ganzen römischen Macht gebannt und in Beschlag genommen. Das schien denn wenig und nichts, aber dies Warten und Bleiben war ganz entsetzlich, eine Marter, eine wahre Folter für den Arrigoni.

Denn der Blitz hatte in ein Schiff geschlagen, das mit Schießpulver geladen war, und auf welchem er ganz zuverlässig noch seinen armen landflüchtigen überall verfolgten Freund Giordano Bruno, aus Nola am Vesuv, wußte. Das Schiff brannte in Masten und Segeln und Tauwerk, ohne noch in die Luft zu fliegen, und die Schiffe umher, den Dogenpalast, die Markuskirche, den Markusthurm, die Procuratieen, die Bleikammern, Santa Maria Maggiore und die Giudecca mit ihren schönen Gebäuden und Kirchen in die Luft zu sprengen. Alle Schiffe, heut am Fest und unter der Messe eben nur von wenigen Schiffsjungen besetzt, hatten einen so weiten Kreis als nur möglich darum gezogen, um dem Feuer zu weichen. Andere segelten schon zum Lido hinaus der See zu. Der schlaue, planvolle und also Pläne und Ursachen vermuthende Jesuit Garnet empfahl sich ziemlich abgebrochen dem Nuntius; eben so empfahl sich der Großinquisitor, den Garnet gezupft hatte, und sie schritten so eilig als zwischen Lebensgefahr und geistlicher Würde in der Mitte lag, und sichtbar noch lebensliebender an Arrigoni vorbei. Nur der Nuntius war geblieben – um das einzig schöne Schauspiel eines im Wasser brennenden Schiffes, wie ein Stiergefecht, mit anzusehen, hier vom Balkon ganz sicher, wie er meinen mochte. Und so winkte er jetzt den Arrigoni herbei, den er als Diener der venezianischen Inquisition aber zugleich in römischem Solde hatte und fuhr ihn an, so grob und schneidend als ein römischer Pfaffe nur sein kann.

»Pfui, Arrigoni! Ihr, ein Familiar der heiligen Inquisition! Seid Ihr ein Italiener! Seid Ihr ein Schüler, ein Meister der Polizei von Venedig? Schämt Euch! Ihr seid ein Stümper! ein Schaaf! ein blinder Maulwurf, der doch seinen Wurm auch noch blind findet durch fleißiges Wühlen! Oder.... Ihr seid ein Schlauer – der sich doppelt bezahlen läßt – und Keinem recht dient, um es mit Keinem zu verderben – oder Ihr seid noch der Freund von Eurem Giordano Bruno! Ihr wollt ihn nicht ausspüren, nicht wissen, nicht haben, um ihn nicht auszuliefern nach Rom an die gesegnete Inquisition – denn ausgeliefert wird er sogleich, nach den Formen, an uns; das bewilligte mir so eben Euer venezianischer Herr Großinquisitor – der nichts Großes inquirirt, und überhaupt nichts bedeutet, weil er nichts Großes, nichts Gründliches gründlich will, so wie Ihr nicht! Aber nein! Ihr wollt im Grunde das Gold für den Freund, und den Freund! Aber du himmlischer Vater, giebt es denn in der Religion einen Freund! Ist denn ein Priester eines Menschen Freund? Fragte nicht der Hirt, der seine Schaafe in unsern heiligen Schaafstall aushändigte, fragte er selbst nicht sogar: »Wer ist meine Mutter? – – Wer sind meine Brüder?« – Grausenvoll erhaben, daß mir die Haut schauert! Und wirklich, wenn die gesegnete Jungfrau Maria gegen den lieben, lieben Engel bei der Verkündigung nur den Mund verzogen und sich gesperrt hätte, oder mit einem einzigen barschen Worte sich gegen den lieben, lieben Engel vergangen, wenn das von der gesegneten, liebevollen, in Gott sich ergebenden heiligen Jungfrau möglich, nur denkbar gewesen wäre – und der Großinquisitor in Spanien, oder unser hochzupreisende heilige Großinquisitor in Rom, hätte das barsche abwehrende Wort gehört, oder die saure abfällige Miene gesehen – er hätte sie selber vor das heilige Inquisitionstribunal geschleppt, vor dem nur der heilige Vater Papst frei und sicher ist, so lange er lebt, aber todt mit nichten, und außerdem nur wir Nuntien und Legaten, die vom heiligen Stuhle ja geprüft sein werden; über Bischöfe und Familiaren wird an den heiligen Vater berichtet! Merkt Euch das! Also in der Religion keine Freundschaft! Und wegen der Religion keine Gunst; Alles, alles hebt die Religion auf! Und sollten alle Völker darüber zu Grunde gehen, wenn nur die heilige römische Religion bleibt – dann ist die Welt gerettet und selig.... ja wenn nur Einer in den Himmel kommt, da muß Gott Freude haben!« –

»Erlaubt mir nur ein Wort! Eminenz! Nur ein Wort!« stotterte Arrigoni, der kaum etwas Anderes als ein Brausen aus dem Munde des Nuntius gehört. Denn er hatte indessen hinab auf den Meerteich gesehen. Der Himmel war ruhig; er hatte sich ausgeredet. Kein Tropfen Regen fiel. Die Wolken zogen und flogen in Stücken zerrissen dahin, und die ewige Bläue strahlte schon wieder herab, und das Wasser strahlte blau und die Sonne silbern daraus empor, als wohnte sie da drunten in der Fluth, aber ganz nahe; denn ihr leuchtendes Gesicht schien mit jeder kleinen Welle heraustauchen zu wollen. Der Raum drunten sah aus wie ein freier Platz im Walde, um welchen ringsumher dürre Bäume stehen, und die dürren Bäume waren die größern und kleinern Masten der Schiffe, die sich alle von der Mitte hinweg so dicht wie möglich an die gemauerten Ufer zurückgedrängt hatten. In der Mitte allein und verlassen stand das vom Blitze getroffene brennende Schiff – ein Schiff der Kaufleute von Padua; denn Arrigoni erkannte das Wappen von Padua an dem Spiegel desselben. In mäßiger Ferne davon hielt wie angewurzelt ein Kahn, darin Niemand stand als – auf das Ruder gelehnt – ein Bürgermädchen aus Padua, wie er an ihrer Kleidung erkannte. Arrigoni schlug sich an die Brust vor Schreck und Furcht und Reue, denn das Schiff war richtig dasselbe, auf welchem sein Freund und ehemaliger Klosterbruder Giordano Bruno heut ankommen sollte, sein Freund, den er durch alle Künste der Ausforschung in Padua endlich entdeckt, und nun glücklich hierher nach Venedig gelockt hatte. Und wie er gewiß wußte, befand sich Giordano noch auf dem Schiffe, ob er gleich nicht zu sehen war. Das schien ihm ganz deutlich das angstvolle Warten des Mädchens zu beweisen, das, auf das Ruder gestützt, kein Auge von den Flammen verwandte, nicht näher konnte, nicht flüchten mochte, und so gebannt stand von ihrer Seele oder von ihrem Herzen, und nur bisweilen laut einen Namen rief, der aber trotz der gräßlichen Stille umher doch nicht zu vernehmen war. Und den Freund in solcher Gefahr wissend, der vielleicht in dem Schiffe schon in Ketten lag – denn wie konnte er sonst nicht lieber sich ins Meer stürzen und nach einem der nicht zu fernen Ufer schwimmen – vermochte Arrigoni nicht zu sagen: »Er ist herein! – Er ist unser! –« Ja es wäre ihm recht gewesen, wenn das auffliegende Schiff den päpstlichen Nuntius, ihn selbst und den Papst in die Hölle geschleudert, und die Teufel gefrohlockt hätten: »Er ist herein! – Er ist unser!«

Und so fuhr der Nuntius fort: »Was kostet uns nicht schon der Mann! Seine Auskundschafter! Die Verfolgungen! Die Anstalten ihn aufzuheben! – Und immer weggeworfenes Geld! Es ist zum verzweifeln und unbegreiflich, wie viel Freunde in aller Welt ein freier Mann hat, der den Menschen angeblich Licht bringt! Neues Licht, besseres Licht, endlich das ewige Licht. Man möchte glauben: die Seele ist mit dem Lichte verwandt und aus einem Stoffe mit dem Licht, wenn es mir selber schon immer geschieht, daß ich früh Morgens auf der Erde und am Himmel nirgends hinsehe, als an die angeglühete Stelle, wo die Sonne kommen will. So kann ich mir nur die Menschen erklären, die ihm hülfreich fast durch ganz Europa die Hand geboten, ihn durch alle Netze und Schlingen glücklich geführt haben, indeß ganz Rom mit aller seiner Macht in den Landen, mit seinen Füchsen und Lüchsen und Greifen – wie ein einziger Narr in corpore dasteht! Bedenkt, Arrigoni!« fuhr er ihn an, »daß wir Euch kennen! Ihr habt Euch vergebens unter die Kanonen geflüchtet, Ihr schlauer Patron! Ihr seid vergebens gerade unter die Spürer und Verfolger der Ketzer hier in Venedig gegangen, um Eure Kutte als entflohener Dominikanermönch zu verbergen! Ihr habt vergebens ein Weib genommen, das Euch wahrscheinlich hier gefesselt hat, sonst wäret Ihr mit dem Bruno fort in alle Welt – um alle Christen zu lehren, und ihre Taufe abzuwaschen; Ihr habt vergebens bewiesen: Ihr habt nicht das Cölibat beschworen! Ihr habt vergebens ein Töchterchen, um zu beweisen: Ihr habt nicht ewige Keuschheit gelobt! Bedenkt, ich kenne Euch! Ich kann Euch bei Eurem wahren Namen nennen, und nenne Euch: Torquato Vieta! Mir seid Ihr schon verfallen! Und nur wenn Ihr uns größere Dienste leistet als Euer Verbrechen der Klosterflucht, oder nur Eurer Verjagung aus dem Kloster war und ist und bleibt – dann finde ich priesterlich zu schweigen! Denn das ist uns der größte Dienst: die großen Lichter auszulöschen, sie zu zertreten, unter den Scheffel zu stecken – in die Erde oder in ein ewiges Gefängniß, und sie dem Volke doch wenigstens anrüchig zu machen, sie zu verfluchen – um sie für verflucht erscheinen zu lassen, und so sie als Irrlichter darzustellen, die sie sind für unsern Glauben. Die großen Geister sind aber die brennenden Lichter! Es ist entsetzlich, daß wir da draußen über den Bergen nicht alle Lichter auslöschen können, denn sie tanzen jetzt zu Hunderten aus dem großen Sumpfe auf! Wir haben nicht » bona notte« bonne-nuit«, Lichtstürzen. genug, nicht genüglichlange Stangen, um bis zu allen Kronleuchtern hinaufzureichen, welche sich die Großen nun selbst in ihre Säle hängen. Blase sie Gott aus vom Himmel! Aber am fürchterlichsten ist uns ein italienisches Licht! Denn das leuchtet Italien, weil ihm Italien glaubt, weil es ein heimathliches Licht ist! Darum müssen wir den Giordano Bruno haben, den die Welt das größte Licht nennt, dessen Schein der ganzen Welt erst ihre eigene Farbe giebt, das sie selbstständig erscheinen läßt, und jeden Menschen als einen selbstständigen, unsterblichen göttlichen Geist! Es ist alles aus, wenn der Mann aufkommt. Denn wir sehen an den Türken, daß sogar seit unser heiliger allgemeiner Glaube da war, doch viele Millionen Menschen mehr als wir, glauben: durch etwas Anderes glücklich zu leben und selig zu sterben, ja im Himmel noch viel seliger zu sein! Ein entsetzliches Beispiel, das Satan da statuirt hat! Und ernennt der Kaiser von China nicht alle Jahre im Reichskalender die Götter, an welche das Volk in diesem Jahre glauben soll? und also an welche nicht! Ein entsetzliches Beispiel für eine weltliche Macht, wenn sie wäre, oder werden und sein sollte! Kurz, Arrigoni, Staub und Asche, Kerker und Tod – wenn Euch Bruno entgeht! Und Gold und reiches Kirchenamt in Rom, für Euch und den Bräutigam Eurer Tochter, wenn Ihr ihn stellt! Ich verspreche Euch übrigens alle Gnade der Kirche auch für dieses ihr armes verirrtes Schaaf, wenn es reuig ist, und zur Heerde läuft. Freilich Kerker! Aber glaubt es, alle Gefangenen werden mürbe; wenn nur manche funfzig Jahre langer lebten, um teig zu werden, oder um aus Altersschwäche ihr Bischen Verstand zu verlieren.« –

»Ihr Teufel!« dachte Arrigoni, voll Höllenangst auf das Schiff blickend.

»Aber ich glaube, ich glaube, Patron,« fuhr der Nuntius fort, »Ihr habt Euch gar der scharfen Ecke von Italien, von Venedig hier und also gleichsam vom Zollamt der Ketzer bemächtigt..... um sie verborgen ein- und sicher auszulassen – – – und die Nachforschung nach dem Giordano übernommen – gerade damit ihn kein Anderer erwischt, und er sicher unter Euern Fittichen lebt, indem ihr die Gewalt mißbraucht, schändlich, falsch und abscheulich! Gegen Einen müßt Ihr nun falsch sein: gegen ihn, oder uns! Und nun habt Ihr keine Wahl mehr! Wo ist er? Gebt ihn heraus!« –

– »Er ist herein!« sprach Arrigoni Athem schöpfend und doch fast athemlos, denn er drückte die Hände mit Gewalt in die Augen, um nicht in Thränen auszubrechen. »Er ist herein!« wiederholte er jetzt, den Nuntius mit einem Gesicht anblickend, das den Teufel erbarmt hätte.

»Wie? wo?« fragte aber der Nuntius fröhlich.

Und Arrigoni versetzte: »Seht Ihr dort das paduanische Schiff – das brennt und mit Schießpulver geladen ist –«

– – – »Das brennt und mit Schießpulver geladen ist« .... wiederholte der Nuntius, starr und weiß geworden, mit weinerlicher Stimme. »Ihr Teufel, daß Ihr mich hier stehen laßt! Birbante Satanassaccio

Diese Flüche rief er, als er schon in den Corridor hinein rannte, um so weit wie möglich hinein in die Stadt sich zu retten, wo ihn hundert Mauern doch vor dem Anfall der auf ihn geschleuderten Trümmer verdeckt hätten.

Aber Arrigoni ergriff ihn gleichsam am Stiele, denn der Mantel der Cardinäle war ihm von seinem Diener in diese gebräuchliche Form auf dem Rücken zusammengewunden. »Eminenz!« sprach er. »Seht ihn selbst, seht, seht! Er ist da! Er ist da! Da ist er, o Gott! O er hat Muth! er hat Menschenliebe!« –

»Es soll ja erst knallen!« sprach der Nuntius bebend. »Fort, laßt mich!«

»Es wird nicht knallen, Eminenz,« entgegnete Arrigoni. »Seht nur! Das Schiff ist gesunken. Giordano hat es ersäuft! Er hat mit den Andern dort – ich will es nur sagen – das ist Campanella aus Neapel, Giordano's junger Freund und Schüler – mit dem hat er gewiß Löcher in den Schiffsboden gehauen, da die Leute bis auf die Schiffswache gewiß in die Messe gegangen waren – aber auch die Wache ist davon gerudert, und so hat er sich und uns und Euch errettet.«

»Gottes Werk!« stöhnte der Nuntius. »Gott allein sei gepriesen!«

»Seht nur,« fuhr Arrigoni in größter Freude fort, »jetzt winkt er dem Mädchen von dem noch nicht vom Feuer ergriffenen Hintertheil – aber sie kam schon mit dem Nachen, als sie ihn nur gewahrte – nun springen sie hinein! Gott sei gedankt! nun fahren sie nach der Giudecca! Nun mag das Wasser kochen! Kochendes Wasser zündet kein Pulver.«

»Bewundernswürdige Weisheit Gottes! Die Kerls wissen alles wie Hexenmeister!« sprach der Nuntius und sahe nun etwas getroster hin. Und so gewahrte er, wie ein noch junger Mann den ans Ufer springenden Giordano Bruno umarmte und dann sogleich fortführte hinter das Gewühl von Menschen, die noch auf das Meer starrten.

»Wer war der Mann, der ihn umarmte? Arrigoni!« fragte der Nuntius.

»Ach Gott, das war, nein, das ist noch der berühmte neue Lehrer aus Padua, der Galilei!«

»Galilei! und der Andere war Campanella? sagtet Ihr! Und das ist Bruno! Sie sind alle reif!« versetzte er. »Nur Bruno ist der Altmeister von Ihnen, fast noch einmal so alt, als die junge Brut! Er ist der Lehrer in seinem Fache! Er wird zuerst vom Baume der Erkenntniß gebrochen! Den Galilei schützt noch der venezianische Nobile, Franzesko Sagredo, der ihn vor 6 Jahren dem Senat als Professor nach Padua empfohlen, da er ihn auf des Filippe Salviati Lustschlosse » alle selve«, bei Pisa, kennen gelernt, und den schon Verfolgten und in den Wald Verscheuchten wieder auf den Markt des Lebens trieb, ja ihn auf den berühmtesten Leuchter stellte! Man nennt solche Teufels-Kapellen: – »Universitäten!« Nun Gott wird sie erleuchten!«

Arrigoni stand wahrhaft entsetzt vor der Qual und der Marter und Pein, ja vielleicht vor dem Feuertode, dem sein Freund nun entgegen gehen, denen er selber ihn überliefern sollte! Er wäre lieber entronnen in alle Welt, und hätte sein liebes Weib, seine einzige liebe Tochter verlassen, wenn es nur jetzt noch half, wenn er den Freund noch warnen, noch bewegen konnte. Aber dann sah er auch sich selber wieder verfolgt, überall verjagt! Er sahe sich allein ohne seine Lieben! Er sahe sich allein weinen um ihn und leiden um ihn. Er war rathlos. – »Ich habe mich dem Teufel verschrieben! Wer erlöst mich!« dachte er und seufzte laut.

Die Sache ist nun so schwer nicht! sprach der Nuntius. Schifft eilig hinüber die paar Schritte auf die Giudecca. Fangt ihn an der Scala ab. Nehmt ihn freundlich mit Euch. Er muß sich öffentlich festreden. Oeffentlich soll er von den Sbirren der venezianischen schaafsanften Inquisition ergriffen werden und von Euch weggerissen. Ihr könnt den Unschuldigen so jammernd spielen als Euch gefällt! Ich selber werde verkleidete Sbirren in das erste Cyperweinhaus neben dem Thurm der Merceria beordern lassen.

Was steht Ihr noch? fragte er ihn jetzt schon unhöflich. Denn der Verrath war geschehen. Arrigoni hatte den ausgekundschafteten Wirthsleuten Giordano's, der Wittwe Francesca di Antonio Contarini und ihrer einzigen Tochter Vanina, Schwierigkeiten bei Erhebung einer großen Erbschaft von ihrem Vetter aus Cypern in den Weg geworfen, daß sie nach Venedig mußten mit einem Rathgeber. Er hatte durch Einfluß seiner Obern bewirkt, daß Giordano's Lustspiel »der Leuchter« ( il Candelajo) heut Abend im Theater aufgeführt würde, und auf seine Dichter-Eitelkeit oder Neugier gerechnet – und Giordano war herein! Darum zog der Nuntius jetzt sogar auch schon undankbar seinen Beutel zurück und steckte vor seinen Augen das Gold ein, das er ihm schon als Köder gezeigt und damit in den Händen gespielt hatte. – Nun fort! sprach er. Fort mit Euch, an die Arbeit! Dann sah er verächtlich dem langsam Fortschleichenden nach.


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