Paul Scheerbart
Das große Licht
Paul Scheerbart

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Der Baron als Organisator

Eine Fabrikgeschichte

Im Sommer des Jahres 1912 wurde der alte Münchhausen in Berlin so berühmt, daß ihn eines Tages zehn amerikanische Dollar-Millionäre besuchten und ihn baten, doch eine Glasfabrik, die vierzig Meilen hinter Milwaukee liegt, zu organisieren; er sollte dort Anordnungen treffen, die die Glasarchitektur populär machen könnten.

»Was ich alles soll!« rief der Baron.

Doch ihm wurde versprochen, daß er selber in den prächtigsten Glaspalästen sein Heim aufschlagen dürfte.

Und das Pekuniäre war so glänzend, daß der alte Herr sehr bald in aller Form »Ja« sagte – zu Allem.

Er gab schnell der Gräfin Clarissa vom Rabenstein durch ein längeres Telegramm Nachricht und verabschiedete sich gleich am selben Abend bei seinen Bekannten.

Kurz bevor er in seinem Automobil zur Bahn fahren wollte, hielt ihn noch der Graf Klemándoff fest und sagte rasch zu ihm:

»Eine Kleinigkeit, Herr Baron: Sie wissen, daß ich hier als Chef der russischen Sicherheitspolizei die Aufgabe habe, alle Großfürsten, die sich in Berlin amüsieren, zu schützen vor Attentaten. Können Sie mir nicht einen Rat geben, wie ich das am besten anfange?«

Der Baron besann sich einen Augenblick und sagte dann kurz:

»Tausend imitierte falsche Großfürsten einführen und mit Taschengeld ausrüsten.«

Der Graf Klemándoff kraulte sich hinter den Ohren und sagte:

»Bin so schwer von Begriffen; neulich vom Pferde gestürzt.«

»Nun«, fragte der Baron, »trägt nicht jeder Großfürst Lackschuhe, Zylinder und ein Monocle?«

»Freilich! Freilich!« rief der Graf.

»Also«, fuhr Münchhausen fort, »kaufen Sie ein paar tausend Monocles und – suchen Sie sich die Leute aus.«

»Sie glauben?« fragte der Graf.

»Na natürlich«, sagte der Baron, »wenn man überall Großfürsten sieht, werden die Attentäter nicht wissen, ob sie die rechten vor sich haben.«

Der Graf drückte dem Baron die Hände und tat, wie ihm geheißen ward.

Und bald sah man so viele falsche Großfürsten, daß die echten nichts mehr zu befürchten hatten.

 

Hinter Milwaukee in Amerika fand nun der Baron die Glasfabriken. Sie waren tatsächlich sehr großartig.

»Aber«, rief der alte Herr, »wo sind die Glaspaläste, in denen ich wohnen soll?«

Ja – die waren noch nicht da.

Der alte Herr telegraphierte an die Gräfin Clarissa, daß sie erst nach drei Monaten nachkommen könnte.

Danach baute der alte Herr für sich und die Gräfin einen nicht sehr umfangreichen Glaspalast. Eisengerippe wurden in den Steinboden hineinzementiert, und dann kamen doppelte Glaswände (bunt ornamentierte) in die Eisengerippe.

Eine leichte Hallenanlage.

Überall Steinmosaik als Fußboden.

Und elektrisches Licht kam zwischen die Wände und in die innen befindlichen Säulen.

In diesen wurden auch Heiz- und Kühlanlagen untergebracht.

Natürlich: Die Säulen hatten alle möglichen Formen, und bunt ornamentiertes Glas umschloß die Säulen.

In drei Monaten war alles fertig.

Und die Gräfin Clarissa schlug die Hände überm Kopfe zusammen, als sie dieses Prachtschloß sah; sie ordnete gleich an, daß in ihren Zimmern Stoff auf den Fußboden kam und einige Portieren vor den Türen angebracht wurden.

Nachts sah das kleine Schloß auch von außen wie ein Juwel aus.

 

Die Millionäre gratulierten dem alten Herrn, als sie seine erste Schöpfung sahen.

Der aber sagte etwas mißlaunig:

»Sie wollen wie echte Hochstapler Reklame machen für Dinge, die eigentlich noch garnicht da sind. Was ich hier gemacht habe, ist doch nur ein kleines Provisorium. Jetzt mehr Architekten anstellen!«

Das letztere geschah sogleich.

 

Danach verkehrte der Baron nur noch mit den Architekten.

»Eine Fabrik organisieren«, sagte er eines Tages, »ist wahrlich keine Kleinigkeit. Jetzt kommt es darauf an, daß dieses etwas provisorische Eldorado rasch in der ganzen Welt bekannt wird.«

Die Architekten blickten gespannt ihren Baron an.

Der schwieg aber.

Die Gräfin Clarissa ließ Pfirsiche bringen auf blauen Porzellanschalen.

Danach zog sie ihre Zigarettendose aus Email hervor – und zündete sich eine Zigarette an.

»Es ist ein historischer Moment! Ich empfehle den Herren, erst zu rauchen und die Pfirsiche nur anzusehen. Wir wollen durchaus nicht, daß der feierliche Moment gestört wird.«

»Clarissa«, sagte der Baron, »Du bemühst Dich wohl, ironisch zu werden.«

Die Herren rauchten.

Clarissa schwieg.

Der alte Baron rauchte auch und sagte dann langsam – es war 5 Uhr nachmittags und die Sonne ging grade unter, da es Winter war:

»Ja, meine Herren, was soll eigentlich bekannt werden? Sollen die paar Glasvillen, die wir hier gebaut haben, bekannt werden? Ich dächte, wir bauen erst mehr, bevor wir mit dem Gebauten an die Öffentlichkeit treten. Als ich im Jahre 1912 hier ankam, dachte ich, daß schon etwas Neues da wäre. Aber – man hatte mich reingelegt; ich kam in eine Wildnis. Da organisieren! Man könnte mich Wildnisorganisator nennen. Es ist also noch nicht so weit, daß wir heute schon etwas Großartiges bekannt machen könnten. Dieses muß erst da sein.«

Die Clarissa rief lachend:

»Wenns aber da ist, wie willst Du denn die Sache bekannt machen? Willst Du vielleicht die Sache durch die Zeitungen bekannt machen? Das ist nicht so schwer. Und neu ist es auch nicht. Münch aber will doch immer das Neue, und das Leichte mag er auch nicht so gerne. Demnach bin ich weiter gespannt und warte auf den historischen Moment.«

Der Baron lächelte und sagte danach:

»Die Clarissa hat ein Ahnungsvermögen; sie weiß immer, wenn etwas Wichtiges kommt.«

»Ah!« sagten nun alle.

Doch der Baron sagte:

»So einfach ist die Geschichte nicht, die ich jetzt deutlich machen will. Ich bin hier auch als Organisator der Reklame engagiert. Und da habe ich länger über die Geschichte nachgedacht. Wollen wir das Ende der Backsteinkulturepoche herbeiführen, so haben wir die Glaskulturepoche daneben zu stellen. Das Bessere verdrängt immer das Gute. Wie aber wollen wir dieses anfangen – dieses Danebenstellen? Wir müssen die Glaskultur so vorführen, daß sie einem vernünftigen Zwecke entspricht. Kurzum: ich meine, daß wir eine Licht- und Farbensignalsprache zu erfinden haben – dieser müssen dann die Glaspaläste entsprechen. Diese sind nötig, wenn wir eine Licht- und Farbensignalsprache einführen wollen. Licht und Farbe lassen sich doch nur durch Glasarrangements herstellen. Da wirds denn sehr natürlich aussehen, wenn wir die Signalhäuser gleich ganz und gar aus Glas und Eisen herstellen lassen – und die Herstellung dieser Signalhäuser muß auch an möglichst vielen Punkten der Erde geschehen.«

»Münch«, rief die Clarissa, »jetzt weiß ich weiter: Du willst durch diese Signalhäuser gleich die gesamten Zeitungen verdrängen – hab ich Recht?«

»Das hast Du!« sagte der Baron.

Da kamen denn die Architekten nach und nach dahinter, daß diese Reklame zweifellos eine vorzügliche sei.

»Und«, sagte ein junger Architekt, »die Signalhäuser könnten auch, wenn Wichtiges nicht vorfällt, Inserate signalisieren. Dadurch wären die Kosten der Bauten leicht aufzubringen.«

Der Baron sagte lachend:

»Jetzt wollen wir aber nicht in Geschäftsphantasieen verfallen. Die Zeitungen werden durch die neue Licht- und Farbenkonkurrenz bald umgebracht sein. Jetzt heißt es aber: die Signalsprache erfinden

»Vordem«, sagte die Gräfin Clarissa, »müssen wir aber die Pfirsiche verzehren. Einem historischen Moment muß immer ein frugales Frühstück folgen.«

Die elektrischen Lampen wurden angezündet, und die Pfirsiche wurden verzehrt.


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