Paul Scheerbart
Das große Licht
Paul Scheerbart

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Fünftes Kapitel

Nach dem Diner sagte der Baron:

Es ging nun wohl eine ganze Woche dahin, ohne daß die Geschichte mit dem Nabob so recht vorwärts gehen wollte.

Fräulein Flora kämpfte mit Energie für das Recht auf Natürlichkeit und Ehrlichkeit. Der Nabob war immer andrer Meinung als die Flora, aber es kam zu keinen Knalleffekten, wenn auch manchmal die Meinungen recht drastisch gegenüberstanden. Weller freute sich dann über die Köstlichkeit der Kontraste, und der Nabob ging hin und studierte die einzelnen Beete und Blumen mit immer größerem Eifer; er konnte stundenlang vor einzelnen Kompositionen sitzen. Doch er kaufte nichts.

Er sagte nur immer wieder:

»Mr. Weller! Ich schwärme eigentlich nur für das Beste! Nur das Beste möchte ich haben! Entschuldigen Sie, daß ich mich noch nicht entschließen kann. Ich muß über alles sehr lange nachdenken. Ich will immer nur das Beste haben – nur das Beste.«

Weller wurde dabei ein bischen nervös, und ich hatte große Mühe, ihn zu beruhigen:

»Diese Flora«, sagte er, »kam mir sonst viel krasser in ihren Urteilen vor; sie ist jetzt so matt. Lieber Münch, könntest Du ihr nicht zu verstehen geben, daß ich ihr wahrscheinlich demnächst das gewünschte Geld geben werde?«

»Nein«, erwiderte ich »das halte ich für unklug; sie muß den Nabob immer wieder zum Widerspruch reizen. Sag ich ihr, daß sie bekommen wird, was sie haben will, so wird sie so sanft wie eine Taube. Und das reizt den Nabob nicht mehr.«

»Wenn die wüßte, wozu wir sie gebrauchen!« sagte Weller.

Und da mußten wir Beide herzlich lachen.

Wenn ich mit William allein war, gingen wir gewöhnlich in eins seiner intimen Kabinetts, in denen sich nur einzelne ganz hervorragend schöne Glasblumen befanden.

»Du glaubst nicht«, sagte William mal, »welche Mühe ich mir gegeben habe, meinen Glasblumen eine sogenannte Seele einzuhauchen. Sieh nur, ein Blumenmaler wie Makart, der nur natürliche Blumen malte, wird immer den Triumph genießen, daß er andern Leuten als Blumenbeseeler vorkommt. Aber ich, der ich neue Formen und Farben in ganz neuen Blumen geben will, werde so behandelt, als wenn ich alles Seelenleben dadurch vernichte. Rede nicht! Es ist so! Das macht die Gewohnheit! Als wenn ich nicht die genügende Begeisterung für die lebendigen Blumen der großen Natur habe! Ich will doch nur das Andere geben! Ob dieses Andere besser ist als das Bekannte – das ist mir ganz egal; wenns nur anders ist!«

Ich mußte nun den armen William immer trösten.

»Sei still«, sagte ich, »der Nabob und ich sind nicht so wie Deine liebe Flora; wir sehen schon, welche Fülle von Stimmungsgeschichten Du in Deine Beete hineingepflanzt hast – diese Stimmungsgeschichten leben und kommen in uns hinein – wie Musik in uns hineinkommt.«

»Du mußt mit dem Nabob«, sagte da der William, »und mit meiner Flora in meinen großen Irrgarten gehen – den kennst Du noch nicht. Das ist ein Urwald in Glas – das Beste, was ich habe – das ist ein Urwald und ein Irrgarten zu gleicher Zeit.«

Ich war natürlich sofort bereit, in diesen Irrgarten hineinzugehen.

Aber, meine Damen und Herren, ich muß gestehen, daß ich nach dem Diner immer etwas müde bin, und so schlage ich vor, daß wir uns alle ein wenig zerstreuen und uns eine Siesta gönnen.

 

Alle waren sofort einverstanden, und die Japaner mit ihren Damen erklärten feierlich:

»Diese Flora Mohr ist uns ganz unverständlich. Wir nehmen Mr. Wellers Paläste als höchste Verherrlichung der Blumenwelt hin. Wir können garnicht anders. So ist es doch auch. Daß das diese Flora nicht einsieht!«

Nun redeten Alle darüber Längeres und Breiteres, und während dem wurde Münchhausen mit seiner Clarissa in ein abgelegenes Orchideenzimmer geführt, allwo sie sich auf weichen Polstern ungestört der Ruhe hingeben konnten.

Münch steckte sich eine starke Cigarre an und trank ein Glas Wasser und fragte die Clarissa:

»Was sagst Du zu dieser japanischen Gesellschaft?«

»Ich finde sie reizend«, erwiderte die Gräfin, »furchtbar liebenswürdig und nett. Die Hauptsache hat natürlich Niemand begriffen. Ich habs ihnen nach Kräften klar gemacht. Immer wieder hab ich ihnen gesagt, daß die Glasblumen Wellers gar keine gewöhnlichen Blumen sind – daß sie anders sind als alles, was wir bisher kannten – daß sie noch mehr bieten wollen als alle Orchideen. Nun fanden das die Damen und Herren einfach wundervoll. Aber sie priesen doch immer wieder hauptsächlich ihre Orchideen, sodaß ich vermute, sie haben uns mit Absicht in dieses Orchideenzimmer geschickt, damit wir einsehen, wie köstlich die Orchideen trotz aller Wellerblumen sind. Eben – wie gesagt – alles sehr liebenswürdig, sehr sympathisch und angenehm. Aber die Hauptsache wird wieder mal nicht begriffen. Und da muß man immer noch sehr dankbar sein, daß sie Dir so aufmerksam zuhören. Ach, ich fürchte, wir werden auch hier genau so viele Erfolge zu verzeichnen haben – wie in Europa. Das Neue ist den Leuten eben noch zu neu – und es strengt auch etwas an, sich das Neue vorzustellen. Es ist beklagenswert, daß Mr. Weller nicht Photographieen von seinen Blumen herstellen ließ. Warum hat er das eigentlich verboten?«

»Aber liebe Clarissa«, rief lachend der Baron, »dieser Weller will doch seine Glasblumen auch mal verkaufen. Und darum sollen alle Interessenten nach Melbourne kommen.«

»Sag mal, Münch«, sagte darauf die Gräfin, »so ganz sympathisch ist mir dieser Geschäftsfaktor eigentlich nicht.«

»Mir«, erwiderte Münch, »eigentlich auch nicht. Aber die meisten Menschen schätzen doch nur, was sie kaufen und bezahlen können.«

Hierauf ward es ganz still im Orchideenzimmer; der Baron legte seine Cigarre fort.


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