Paul Scheerbart
Das große Licht
Paul Scheerbart

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Neue Gartenkultur

Eine Glosse

Bekanntlich ist der alte Baron Münchhausen, der so köstliche Geschichten zu erzählen wußte, im Jahre 1904 wieder aufgetaucht. Sein hohes Alter erregt überall immer wieder berechtigtes Erstaunen – er ist ja älter als der alte Fritz. Aber – das weiß man ja schon sehr lange. Man weiß auch, daß er mit der jetzt 23 Jahre alten Gräfin Clarissa vom Rabenstein Jahre hindurch auf dem Stern Erde herumreiste. Letzthin mußte die Gräfin einer kleinen Kur wegen nach Wiesbaden. Der Baron wollte die Dame auch nach Wiesbaden begleiten. Aber das litt die junge Gräfin nicht.

»Münch«, sagte sie feierlich, »Du weißt doch, daß Europa momentan immer noch so furchtbar stumpfsinnig ist und von Deinen ästhetischen Erörterungen noch immer nicht Notiz nehmen will. Und da willst Du diesen Europäern die Ehre antun und ihnen einen Besuch abstatten? Das geht nicht. Bleib in China und schreib mir öfters. Ich fahr nach Wiesbaden allein und komme gleich zurück, wenn die Kur beendet ist.«

Und so geschahs.

Und in Wiesbaden durfte ich einen Brief des Barons lesen – er ist ganz kurz.

Der alte Münch schreibt:

 

Liebe, ewig heitere Clarissa!

Wie bedaure ich, daß Du nicht hier bist. Ich habe hier bei Herrn Li-Ka-Wa eine Gartenkultur kennen gelernt. O – Dir würden die Augen übergehen. Ich sitze hier in Nabong mitten im himmlischen Reiche. Das Meer ist nach allen Seiten hin sehr weit von mir entfernt. Doch das schadet nichts. Denn das gestrige Gartenfest entschädigt für alles. Leider habe ich bei meinem sehr starken Enthusiasmus ein wenig zuviel von dem alten Tartarenwein getrunken, dessen Macht Du ja auch schon kennst. Darum nur ein paar Notizen über die chinesische Gartenkultur:

Zunächst baut man hier in der Mitte des Kaiserreiches die meisten Gärten in die breitesten und in die engsten Schluchten hinein. Und die Berge vermeidet der Gartenarchitekt auch nicht. Man fürchtet eben nicht den Schatten.

Sodann: Hier sind die Leute nicht so, daß sie meinen könnten, ein Garten wäre nur für die Blumen und Bäume da. Hier gibts auch ganz große bunte Steinbeete. Staune nicht! Es ist so. Und die Anordnung dieser bunten, sehr vielkantigen und immer wieder anders geformten Steine ist oft so entzückend, daß man die Blumen gar nicht vermißt. Diese sind natürlich auch da, beherrschen aber nicht das ganze Feld.

Und nun kommt noch ein Weiteres: Porzellan wird auch in Mengen im Garten verwandt.

Das Herrlichste aber ist: Die Fülle von Glassachen im Garten. Ganze Alleen mit farbigen Glaskugeln. Parkpartien gibts, die des Abends, wenn alle farbigen Glaskörper elektrisch erleuchtet sind, wie Herden von Weihnachtsbäumen wirken.

Glaswände als Hintergründe für Pflanzenwerk sind überall sehr vielseitig aufgerichtet. Und in offenen Glasgrotten, die wie europäische Konzerthallen in Sommerlokalen wirken, sind Orchideen...

Und: Du kannst es weitererzählen – es gibt auch schon Glasblumen in diesen Gärten des Herrn Li-Ka-Wa. Hier ist man eben weiter als in Europa. Natur und Kunst bilden in der chinesischen Gartenkultur keine Gegensätze mehr. Demnächst noch mehr! Na Prost!

Ich bin Dein ewig alter

Münch von Münchhausen.

 

Diesen Brief habe ich wörtlich abgeschrieben und unterbreite ihn hiermit den Europäern mit Erlaubnis der Gräfin Clarissa vom Rabenstein.


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