Paul Scheerbart
Das große Licht
Paul Scheerbart

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Zweites Kapitel

Nach dem Morgenkaffee fuhr der Baron Münchhausen in seiner Erzählung fort:

Mr. Weller, sagte der Baron, gab nun seiner Großnichte den Auftrag, mir die köstlichen Glasblumenbeete zu zeigen. Nun müssen Sie sich, meine Damen und Herren, diese Beete vorstellen. Denken Sie an venetianische Ziergläser – an die allerfeinsten! Den Goldstaub in den Gläsern müssen Sie aber fortlassen – denn Weller liebte das Gold nicht. Er erklärte alles Gold für ein nutzloses, ästhetisch unsympathisch berührendes Metall. Und ich finde auch, daß man ein Metall, mit dem man Käse kauft, nicht an Kunstwerken verwenden dürfte. Es wirkt überall klecksig und es läßt sich doch nicht leugnen, daß eine einfache Butterblume ein köstlicheres Gelb besitzt – als dieses Tausch- und Trödelobjekt. Sie werden ja meiner Meinung sein.

Indessen – an die Seepferdchen der Venetianer dürfen Sie auch nicht denken – dafür müssen Sie an alle Farben denken, die Sie im Glase gesehen haben. Natürlich – sehr viel Email verwendete Weller auch – besonders in den Blüten.

Und dann eins: vergessen Sie nie, daß Weller niemals die natürlichen Blumen nachahmte – er machte alles immer anders als das Natürliche. Entzückend waren besonders die Glockenblumen mit ganz hohen spiralförmigen Staubgefäßen. In den Glocken sah man alle Topfformen, die es gibt – und das Äußere der Glocken war oft von durchbrochener Arbeit umhüllt – und oft von Rubin-, Filigran- und Eisglas.

Weller setzte seine Beete, von denen viele einen Durchmesser von zwei bis drei Metern besaßen, nicht immer auf den Fußboden – oft setzte er die Beete einfach an die Wände und an die Decken.

Es wurden auch schräge Fußböden für die Beete hergestellt.

Da man im Naturgarten die Beete mit kurzgeschnittenem Rasen zu umgeben pflegt, so hatte Weller auch an einen Ersatz dieses Rasens gedacht.

Zumeist verwertete er weiße oder farbige Watte, die zum Glase einen gut konstrastierenden Rahmen schuf. An den Wänden wurde außer Sammet vielfach Brokat verwandt. Doch auch im Brokat vermied Weller das Gold.

Fahrende Beete gabs ebenfalls – und auch Guirlanden an straffgespannten Drahtseilen – natürlich auch hängende Beete – solche, die an Ketten hingen.

In einigen Sälen gabs auch Terrassen mit Überkragungen – und viele Terrassen waren ganz und gar mit Glasblumen angefüllt.

In einem Saale fand ich an Stelle des kurzgeschnittenen Rasens – feinsten Seesand.

Auch Pilze und Schwämme wirkten als Umrahmung der Beete sehr gut.

Alle diese Herrlichkeiten zeigte mir Fräulein Flora Mohr mit einer Miene, die mir wirklich unvergeßlich bleiben wird.

Es machte ihr offenbar die größte Pein, mir all diesen Farben- und Formenprunk zu zeigen.

Und ich wußte ja schon so ungefähr – warum.

Aber ich dachte, da stecke ein Roman dahinter.

Und so fragte ich höflich:

»Gnädiges Fräulein, Sie sind also eine große Freundin der natürlichen Blumen, nicht wahr?«

»Ja, das bin ich!« erwiderte sie.

Und ich fuhr fort:

»Da haben Sie also eine Abneigung gegen diese künstlichen Glasblumen, nicht wahr?«

Da bekam ichs.

»Wie«, rief sie aus, »Abneigung nennen Sie das Gefühl, das ich diesem Glasquark entgegenbringe? Nein, das ist nicht das richtige Wort für meinen Haß. Herr Baron, ich bin eine gebildete Person; ich hab in Graudenz das Seminar besucht und spreche fast alle modernen Sprachen. Wenn Sie glauben, daß mir diese Spielerei irgendwie imponieren könnte, so irren Sie sich gründlich. Wo ist denn hier das Leben? Sind diese Spielereien nicht einfach tot? Können Sie leugnen, daß sie tot sind? Und – ist es nicht immer wieder dasselbe, was man hier sieht? Immer wieder nur Farben! Und immer wieder nur Formen! Mit solchen Kindereien kann man ja den wilden Negern im warmen Afrika eine Freude bereiten – aber nicht einer gebildeten Person, die das Seminar in Graudenz besucht hat und fast alle modernen Sprachen spricht.«

Ich sehe, meine Damen, Sie machen große Augen – aber so hat Fräulein Flora Mohr wörtlich gesprochen; ich behalte alles, was man mir sagt, wörtlich; mein Gedächtnis ist tatsächlich noch bewunderungswürdiger als mein Alter.

Mich verblüffte natürlich diese offene Ausdrucksart der jungen Dame, und ich sagte ganz schüchtern:

»Gnädiges Fräulein, sind Sie nicht der Meinung, daß diese Abneigung, die Sie all diesen Glasblumen entgegenbringen, Ihren verehrten Herrn Großonkel sehr kränken könnte?«

»Oh«, rief sie heftig, »Sie glauben wohl, hier steckt ein Roman dahinter! Sie glauben wohl, daß ich meinen Großonkel liebe! Da irren Sie sich: ich liebe meinen Bräutigam, der in Graudenz Kunstschlosser ist – und keinen andern Menschen liebe ich. Das gehört sich doch so. Und – ehrlich sein ist für mich die Hauptsache. Ich muß grade und frei meine Meinung heraussagen, wo ich auch bin. Und wenn meine Meinung andre Leute kränkt, so kann ich nicht dafür. Das Natürliche und das Ehrliche geht mir über alles.«

Nach dieser Rede sagte ich mir im Stillen, sodaß es Niemand hörte:

»Jetzt bin ich also endlich hinter den Roman gekommen. Wie glücklich bin ich nur, daß diese Dame nicht mich liebt. Wohl uns, daß dieser Kunstschlosser in Graudenz existiert! Auch der Weller kann von Glück sagen, daß er von diesem ehrlichen Mädchen nicht geliebt wird. Man weiß immer noch garnicht, wie gut mans eigentlich hat. Jedenfalls hat man vor der Natürlichkeit und vor der Ehrlichkeit immer noch nicht den genügenden Respekt«

Und laut fuhr ich fort:

»Gnädiges Fräulein, ich verstehe nur nicht, warum Sie da immer noch in Melbourne und nicht in Graudenz sind. Verzeihen Sie gütigst, daß ich das sage; mich gehts ja eigentlich nichts an.«

»Oh«, erwiderte nun das Fräulein, während es vor einem smaragdgrünen Tulpenbeet stehen blieb, »Sie brauchen nicht um Verzeihung zu bitten; ich halte mit nichts hinterm Berge, ich nehme niemals ein Blatt vor den Mund. Mein Bräutigam will sich, wenn wir heiraten, etablieren. Und da braucht er etwas Geld. Und deswegen bin ich hier bei meinem Großonkel und hab ihn gebeten, mir zehntausend Taler für Erwin zu geben – Erwin Krug heißt mein Bräutigam.«

»Und«, fragte ich nun, »eine so geringfügige Summe will Ihnen Ihr Großonkel nicht geben?«

»Nein«, versetzte sie, »das ist es ja eben! Ich bin nicht für seine Glasblumen begeistert, und deswegen hält er mich hin. Und er verschwendet Unsummen für diese Albernheiten – jedes Beet hier kostet viele Tausende, und mir will er nicht einmal so viel geben, daß Erwin sich etablieren kann. Als ich ihm die maßlose Verschwendung, die hier herrscht, in scharfen Worten vorwarf, nannte er mich ein naseweises Frauenzimmer. Ich wäre längst fort von hier, wenn Erwin das Geld nicht so nötig gebrauchen würde.«

»Sagen Sie mal, meine Gnädigste«, warf ich da ein, »bitten Sie doch Ihren Großonkel um solch ein Glasblumenbeet – und verkaufen Sie es dann. Sie brauchen ja nur zu sagen, daß Sie sich für dieses Glasblumenbeet mit den Smaragdtulpen interessieren – dann würde sich Ihr Onkel sehr freuen über Ihr Interesse und Ihnen die Kleinigkeit schenken. Zehntausend Taler bekommen Sie schon dafür.«

Da sah mich die Dame sehr groß an und sagte mit unnachahmlichem Stolze:

»Ich sagte schon, daß ich eine ehrliche Natur bin. Ich lüge nie! Verstehen Sie mich jetzt?«

»Ich«, versetzte ich stotternd, »verstehe – Sie – jetzt! Ich lüge ja ebenfalls nie.«

Danach hörte unsre interessante Unterhaltung auf; Diener kamen und baten uns wieder, in ein großes Speisezimmer zu kommen.

Wenn ich jetzt ehrlich sein darf wie Fräulein Flora Mohr, so möchte ich auch wünschen, daß jetzt gleichfalls Diener kämen und etwas zu essen mitbrächten.

 

Die ganze Gesellschaft mußte nach diesen Worten sehr laut lachen; die Frau Minister Mikamura winkte – und die Diener brachten ein kleines Frühstück herbei, wofür der Baron Münchhausen mit den verbindlichsten Worten seinen Dank sagte.


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