Paul Scheerbart
Das große Licht
Paul Scheerbart

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Drittes Kapitel

Nach dem Frühstück sprach der Baron das Folgende:

Mein Freund William lud mich danach zu einer Kahnfahrt ein, und ich war natürlich gern bereit, bat nur, Fräulein Flora mal zu Hause zu lassen.

»Zu Hause«, sagte William, »bleiben wir ja. Meinst Du, ich hätte keinen Saal, in dem ich Kahn fahren kann? So arm bin ich doch nicht. Die Flora kann selbstredend draußen im Park die Rosen und Lilien bewundern; immerzu braucht sie ja nicht dabei zu sein.«

Wir kamen dann gleich in einen domgroßen Saal, dessen Wände – ja, das ist wirklich schwer zu beschreiben.... An den Wänden waren Taue und Stricke von verschiedener Dicke ausgespannt – alle ganz straff – aber nach allen Richtungen kreuz und quer, sodaß das Ganze etwas von alten Spinngewebenetzen bekam. An Spinngewebe mußte man schon denken, weil alle Taue und Stricke grau waren. Das gab wundervoll durchbrochene Muster – die eigentlichen Wände dahinter konnte man nicht sehen; überall sah man nur Taue und Stricke straffgespannt durcheinander gehen. Und oben die Decke des eirunden Saales zeigte auch nur graue Taue und Stricke. Es ging in Eischalenform nach oben – Ecken gabs nicht. Fenster gabs da auch nicht; die Luft wurde durch Windräder eingeführt. Auf dem Wasser schwammen zwölf Seerosen – ganz buntfarbige Seerosen. Und die begannen plötzlich bunt zu leuchten, sodaß das Tauwerk auch ganz bunt wurde.

Sie werden natürlich fragen, wie vordem Licht gemacht wurde. Doch das ging sehr einfach zu; mehrere Diener trugen an vier Meter hohen Stangen große weiße Kugellampen – die erlöschten, als die Seerosen zu leuchten begannen.

Wir setzten uns in einen Kahn. Die Diener verschwanden. Und es wurde ganz unheimlich still auf dem Wasser. Die Seerosen streuten bunte Farbenbüschel aus – wie bunte Scheinwerfer wirkten die Büschel.

Meine Damen und Herren, Sie werden natürlich denken, daß ich in dieser träumerischen Seestille an die Flora dachte. Doch Sie irren sich; ich hatte die Flora vollkommen vergessen – trotz meines guten Gedächtnisses.

Und was ich jetzt erlebte, drängte die Erinnerung an jene glasfeindliche Dame immer tiefer in den Hintergrund.

William bat mich, in die Tiefe des Sees zu blicken – und da sah ich, wie bunte Blumen langsam emporwuchsen. Und die Blumen wuchsen aus den Wassern heraus und leuchteten. Sie leuchteten auch in der Tiefe des Wassers.

Und Mr. Weller sprach dazu erregt:

»Siehst Du, da hast Du wachsende Blumen – die wachsen so, daß Du siehst, wie sie wachsen. Und da sagt diese Flora immer noch, daß alle meine Glasblumen tot sind – immerzu tot sind. Es ist empörend. Für mich sind meine Blumen nicht tot. Siehst Du, wie sich langsam die köstlichen Kelche öffnen? Siehst Du, wie die Staubgefäße größer werden? Siehst Du, wie die saphirblauen großen Blätter langsam sich aufklappen? Eine feine Mechanik steckt da überall drin. Und sieh nur, wie die Glasblätter alle naß sind – und wie die Tropfen im bunten Licht aufleuchten! Oh – und da sagt diese Flora, daß das alles blutlose Schemen sind – blos weil sie heiraten will. Dies hier soll nach ihrer Meinung ein Schattenreich sein – für den Orkus reif! Ein schöner Orkus! Und sie sagt immer, daß das alles so leer wirkt! Sie meint, da fehlt überall das Fleisch und Blut. Als wenn die Rosen und Veilchen auch Fleisch und Blut haben!«

Danach wurde mein Freund ganz weich und sprach sehr viel davon, wie seine Glasträume entstanden. Wenn ich Ihnen das alles erzählen würde, käme ich heute nicht zu Ende.

Und die Glasblumen wuchsen ganz hoch aus dem stillen Wasser heraus. Und es wuchsen immer mehr. Und wir fuhren ganz vorsichtig zwischen diesen leuchtenden Wunderblumen dahin.

Als aber der liebe William wieder von seiner lieben Flora anfing, sagte ich ihm ziemlich ärgerlich:

»Liebster William, laß die Flora in Ruh und zerstöre mir hier nicht die Stimmung. Gib ihr doch die zehntausend Taler, damit sie endlich ihren Kunstschlosser heiraten und uns in Ruhe lassen kann.«

»Fällt mir garnicht ein«, versetzte dazu der William, »sie macht mit ihren Schimpfereien unbewußt die schönste Reklame. Ich erwarte einen indischen Nabob, und dem muß sie Geschmack und Begeisterung für meine Blumenwelt beibringen, damit er für zwei Millionen Ankäufe macht.«

»Ach so!« rief ich nun lachend, »Du willst also durch die Flora nur zum Widerspruch reizen. Beinahe kommt es mir so vor, als wenn Du die zehntausend Taler garnicht mehr hast.«

»Scherze nicht!« sagte William leise, »so schlimm steht es nicht. Aber Du kannst mir glauben, daß meine Paläste Geld kosten.«

»Das glaube ich!« erwiderte ich.

 

Der Baron wandte sich danach an die Dame des Hauses und sagte schmunzelnd:

»Gnädige Frau, könnten wir nicht auf Ihrem neuen Karussell fahren? Es ist so heiß, und das Fahren in der Luft kühlt so fein ab.«

»Einverstanden!« rief da gleich der Minister Mikamura, ließ Zigarren und Zigaretten herumreichen – und dann bestiegen alle rauchend das neue Karussell.

Dieses war nicht so wie andre; ein fünfzig Meter langer Eisenarm hob eine Plattform empor, auf der die ganze Gesellschaft Platz fand.

Und da fuhr denn die ganze Plattform in zierlichen Kurven durch die Luft, und der Tabaksrauch markierte die Kurven. Solche Fahrt in der Luft in der heißen Sommerluft erfrischte, und man sah dabei ins blaue Wasser des Stillen Ozeans.


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