Paul Scheerbart
Das große Licht
Paul Scheerbart

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Siebentes Kapitel

Während nun die ganze Gesellschaft gemütlich jenes Getränk trank, das schon den alten Ägyptern so trefflich mundete, fuhr der Baron also in seiner Erzählung fort:

Nachdem wir den Irrgarten verlassen und gut diniert hatten, bat uns Mr. Weller, ihm in seinen neuesten Saal zu folgen.

Und da mußten wir in Liegestühlen auf dem Rücken liegen, denn das, was gesehen werden sollte, ließ sich oben in der Kuppeldecke sehen.

Da sahen wir plötzlich eine kolossale Sonne, die sich drehte, und die drehende Sonne wurde umkreist von Blumen, die kometarische Ausstrahlungen zeigten.

Schwebende Blumen unter einer Sonne! Kometenblumen!

Weller sagte zur Erklärung dieses:

»Ich befand mich im Jahre 1882 auf der Kapsternwarte, als der zweite Komet jenes Jahres der Sonne so nahe kam, daß er plötzlich verschwand, als er vor den Sonnenrand trat. Wir dachten damals, er ginge hinter der Sonne durch die Sonnenatmosphäre durch. Aber das war ja ein Irrtum; er ging vor der Sonne durch die Sonnenatmosphäre durch. Die Helligkeit des Kometen war eben genau so groß wie die der Sonne selbst. Das war ein Ereignis in meinem Leben. Und ich stellte mir das kolossale Leben in diesem Kometen vor. Und – ich weiß nicht, wie es kam – es muß wohl meine ganze Ideenrichtung dabei ausschlaggebend gewesen sein – kurzum: ich glaubte, daß die Kometen Kolossalblumen sein könnten. Und das veranlaßte mich, dieses Blumenstück zu schaffen, das Sie da oben sehen. Da bewegt sich alles. Da ist garnichts tot. Die Sonne ist auch aus Glas. Sie sehen, wie sie sich immerzu in der Farbe verändert. Und die Blumen ringsum bekommen immer wieder andere Schweife – bei jeder kleinen Bewegung verändern sich die Schweife. Zwanzig Jahre habe ich an der Geschichte gearbeitet. Aber mir tut es nicht leid, daß ich der Sache so viel Zeit gewidmet habe. Ich halte dieses Blumenstück für mein Bestes.«

Da rief der Nabob:

»Ich auch! Ich auch!«

»Na, dann haben Sie ja«, sagte ich, »was Sie immer gesucht haben, endlich gefunden.«

Mr. Weller machte noch darauf aufmerksam, daß auch auf der Oberfläche seiner Sonne Blumengebilde sichtbar würden. Seine Sonne war selbstredend auch eine andre Sonne als die uns bekannte.

Flora sagte ärgerlich:

»Lieber Großonkel, ich glaube, Du wirst demnächst auch die Elefanten in Blumen umwandeln. Vor Dir ist nichts sicher.«

»Jedenfalls«, sagte Weller »ist es mir nicht unwahrscheinlich, daß die Protuberanzen der Sonne einen gewissen blumenartigen Charakter besitzen; man spricht ja schon so oft von Protuberanzenwäldern.«

Wenn Sie aber, meine Herrschaften, verlangen, daß ich Ihnen das Aussehen der schwebenden Kometenblumen genauer schildern soll, so verlangen Sie von mir, was ich Ihnen nicht geben kann.

Würde mein Freund William gestattet haben, daß man Photographieen von seinen Sachen herstellte, so wäre ja alles sehr einfach anschaulich in meinem Vortrage geworden. Die Photographieen aber wollte Herr Weller erst dann machen lassen, wenn ihn sämtliche Millionäre des Erdballs besucht hätten – so sagte er mir öfters. Alle sind aber noch nicht dagewesen – das weiß ich ganz genau. Mr. William ist eben auch ein Geschäftsmann. Das nimmt man ihm in Europa übel; da denkt man immer, daß alle Künstler Geld nicht gebrauchen können. Mr. William braucht aber trotzdem sehr viel Geld. Und somit kann ich Ihnen Photographieen von den Glasblumen noch nicht vorlegen.

Ich würde nun nichts dagegen haben, wenn wir jetzt etwas Abendbrot äßen, da wir sonst zu viel Bier zu früh trinken.

 

Die Gesellschaft umringte den Baron und dankte ihm für seinen Vortrag, und die Damen wollten den Schluß wissen; sie interessierten sich alle so lebhaft für Fräulein Flora Mohr – für ihre sonderbare Natürlichkeit und für ihre sonderbare Ehrlichkeit.

Der Baron aber sagte lachend:

»Den Schluß erzähle ich erst nach dem Abendbrot, sonst hören Sie mir nicht mehr zu.«

Und so mußte man sich gedulden.

Man aß erst Abendbrot.


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