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Elftes Kapitel

Als der Detektiv erwachte, zwinkerte er mehrmals mit den Augen. Er sah unter sich nur das Muster eines Teppichs und entsann sich langsam, daß dieser Teppich vor seinem Bette lag.

Sein Kopf hing weit vornüber über die Bettkante. Sein rechter Arm war starr ausgestreckt. Graue Morgendämmerung kroch vom Fenster her durch den Raum.

Eine Weile atmete der Erwachende schwer, hob dann aber doch mühsam den Kopf und sah sich um.

Er befand sich in seinem Schlafzimmer und es wurde Morgen. Die graue Lichtwelle schlüpfte unter dem Vorhang hervor, der das Fenster bedeckte.

Der Detektiv kniff die Lippen zusammen und versuchte zu denken. Er faßte sich an die Stirne und fand, daß ihm eiskalter Schweiß darauf stand.

Aber eines wußte er nun doch: er war nicht tot, war nicht im Parkteich ertrunken!

Mit einem Ruck setzte er sich aufrecht. Er befühlte seine Handgelenke, um die sich in der Nacht schmerzende Stricke geschnürt hatten, die ihm blutig ins Fleisch schnitten.

Aber er konnte keinerlei Strangulationsmerkmale entdecken. »Sonderbar,« murmelte er, noch ganz verwirrt.

Er ließ sich noch einmal zurückfallen und ein unbeschreibliches Gefühl der Erleichterung überkam ihn. Er lebte!

Aber was war denn vorgefallen? Langsam schoben sich all die Bilder seiner letzten Erlebnisse vor seinen Geist. Er sah nach und nach alles ganz glasklar vor sich.

Nun tastete er nach der Stelle, wo er seinen Revolver sonst barg. Die Waffe war da.

Er sah die Patronenkammer nach und stellte fest, daß auch nicht ein Schuß fehlte. Der Mechanismus funktionierte tadellos. Man brauchte nur abzudrücken.

Aber die elektrische Klingelleitung …!

Er streckte die Hand aus und drückte auf den Knopf. Es gab einen deutlichen Schrillton draußen im Korridor.

War denn die Leitung nicht durchschnitten?

Nun war der Detektiv aber doch gespannt, wer sich auf diesen Ruf melden würde.

Es war sein Diener, der wie immer eintrat.

»Sie haben gerufen, Herr?« fragte er freundlich.

Der Detektiv sah dem Manne scharf ins Gesicht. Das war ganz wie sonst, nicht so fahl und grinsend wie in der Nacht, als er von hier fortgeschleppt worden war.

»Finden Sie etwas Auffälliges an mir?« fragte mit belegter Stimme der Detektiv.

»Nein, Herr. Aber Sie sehen blaß aus. Haben Sie schlecht geschlafen?« lautete die Antwort.

»Vielleicht …« murmelte der Detektiv finster. »Wie spät ist es?

»Gleich sieben, Herr …«

»Hm … ich habe ein paar Fragen,« versetzte der Detektiv und faßte von neuem den Diener fest ins Auge.

Der Mann blieb ganz ruhig, höflich, freundlich.

»Ich bitte, Herr …?«

»Was haben wir heute für einen Tag?« fragte der Detektiv.

»Donnerstag, Herr …«

»Wir müssen Sonnabend haben – oder –«

Der Diener lächelte. »Sie sind im Irrtum, Herr. Es ist Donnerstag,« sagte er ruhig.

»Also gut … Donnerstag,« murmelte der Detektiv. Er wurde nach und nach munter. »Haben Sie in dieser Nacht die Wohnung hier verlassen?«

»Wie können Sie denken, Herr …!« wehrte der Diener ab.

»Es ist auch niemand gekommen, der mit Ihnen sprach?«

»Keine Seele, Herr! Ich würde mir so etwas doch gar nicht erlauben!«

»Hm … Sind Sie ebenso gewiß, daß ich selber nicht etwa mit einem Fremden fortgegangen bin?«

»Das hätte ich doch bemerkt haben müssen, Herr!«

»Und daß ich sehr spät, vielleicht erst gegen Morgen, hierher gebracht worden bin – vielleicht in einem Auto –?«

»Aber gewiß nicht, Herr! Sie gingen doch gestern zu Bett wie immer.«

»So … ich ging zu Bett,« sagte, vor sich hinstarrend, der Detektiv. »Es ist das recht sonderbar …!«

Darauf wußte der Diener nichts zu erwidern. Das Verhalten seines Herrn ängstigte ihn aber doch.

Dieser winkte ab.

»Stellen Sie mir das Frühstück nebenan zurecht. Ich werde mich allein ankleiden,« befahl er.

Der Diener zog sich zurück.

Eine lange Weile lag der Detektiv regungslos auf den Kissen und sah zur Decke empor.

Funktionierte sein Verstandskasten noch? War er jetzt verrückt oder früher? Was war das?

Endlich nahm er all seine Energie zusammen und stand auf. Langsam kleidete er sich an, kühlte den Kopf in kaltem Wasser und hatte dabei doch noch immer den finster brütenden Gesichtsausdruck.

Er streifte den Vorhang am Fenster zurück und ließ das Morgenlicht hereinfluten. Dabei schüttelte er immer wieder den Kopf.

Endlich ging er in sein Arbeitszimmer hinüber. Das Frühstück stand auf dem Tischchen bereit.

Er sah sich aufmerksam um. Aber er konnte durchaus nichts Absonderliches in dem Raume entdecken.

Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er klingelte dem Diener. »Habe ich gestern etwa meinen Frackanzug benützt?« fragte er.

Er merkte nämlich, daß er seine üblichen Straßenkleider trug und vorläufig noch den Hausrock darüber.

»Den Frack, Herr? Aber der hängt im Schrank – natürlich,« lächelte der Diener, der diese Fragen heute sehr komisch fand.

»Im Schrank – natürlich,« nickte der Detektiv und entließ den Diener wieder.

Er versuchte zu frühstücken, aber es schmeckte ihm nicht. Er war wie zerschlagen an allen Gliedern. Und immer wieder schüttelte er den Kopf. Ob er einen Arzt anrief? Nein! Er fürchtete sich vor den indiskreten Fragen des Mannes.

Nach und nach wurde er ruhiger. Er sah auf die Uhr. Es war bereits halb neun. Ein grauer Tag lag draußen.

Er setzte sich an den Arbeitstisch und stützte den Kopf in die Hand.

Ein einziger Name durchzuckte ihn: Senta Fredersdorf. Aber er wunderte sich, daß er jetzt so seltsam kühl dabei blieb. Vielleicht war die grausame Tageshelle daran schuld.

Langsam kam ihm ein Entschluß. Er rief telephonisch die Zentrale der Kriminalpolizei an.

Ein Kommissar meldete sich.

»Hier der Detektiv –« ja, wie nannte er sich denn eigentlich? Dann fiel ihm erst sein Name ein und er rief diesen in die Schalldose. »Also, lieber Kollege, eine wichtige Frage: Wissen Sie etwas vom Kollegen Ellerböck?«

»Zufällig ja. Ellerböck ist in Hamburg. Er hat uns heute früh von dort eine amtliche Nachricht persönlich durchs Telephon übermittelt.«

»Sie sind dessen ganz sicher?«

»Aber gewiß … kann ich Ihnen sonst noch dienen?«

»Hm – glauben Sie, daß der Polizeipräsident jetzt zu erreichen ist?«

»Ich werde es versuchen und rufe Sie dann wieder an.«

Der Detektiv hing ab und wanderte inzwischen in dem Zimmer auf und nieder.

Da kam der Ruf. Der Polizeipräsident meldete sich persönlich.

»Haben Sie etwas über Senta Fredersdorf herausgebracht?« fragte der hohe Beamte. »Der Vater ist ganz trostlos.«

»Ich glaube eine Spur gefunden zu haben,« antwortete der Detektiv.

»Ah – das wäre gut! Die junge Dame ist natürlich verschleppt worden. Aber ich glaube nicht, daß ihr Schlimmeres droht. Man muß sie nur finden, bevor die beabsichtigte Erpressung gelingt.«

»Ich hoffe sie jetzt zu finden,« sagte der Detektiv. »Darf ich mir eine Nebenfrage erlauben?«

»Bitte sehr –?«

»Haben der Herr Präsident schon die neue Villa im Grunewald bezogen?«

»Die Villa? Aber nein! Fällt mir gar nicht mehr ein. Der Mann, dem sie gehört, fordert mir doch zu viel. Ich habe die Verhandlungen abgebrochen.«

»Danke sehr. Dann – waren der Herr Präsident wohl auch nicht in einer der letzten Nächte in dieser Villa draußen?«

»Sie sind wirklich komisch heute!« lachte die Stimme des Präsidenten. »Was sollte ich denn in der Villa wollen?«

»Verzeihung,« entschuldigte sich der Detektiv. »Ich habe da noch eine andere Frage, die vielleicht absonderlich klingt. Aber ich werde das später dem Herrn Präsidenten persönlich erklären.«

»Fragen Sie nur!«

»Jener Job Wilzeck – der Raubmörder – ist er wirklich tot?«

Eine kleine Pause.

»Sind Sie denn nicht mehr recht bei Verstand? Sie haben den Kerl doch selber ausfindig gemacht und er hat den Kopf verloren.«

»Ich – danke, Herr Präsident,« murmelte der Detektiv. »Von dem verdächtigen Baron Leichsenring hat die Behörde wohl noch immer keine Spur gefunden?«

»Doch. Der Baron soll seit gestern wieder in Berlin sein.«

»Ah – das ist ja sehr interessant! Man müßte ihn sofort verhaften!« rief der Detektiv.

»Das geht nicht so einfach. Der Baron soll sich bereits Fredersdorf gegenüber ausgesprochen haben. Der Millionär hatte ihn ja früher bei seiner Werbung um Fräulein Sentas Hand schroff abgewiesen. Aber, wie es scheint, haben sich die beiden Herren nun doch wieder ausgesöhnt. Sonst noch was?«

»Nein – ich danke – danke sehr, Herr Präsident.«

Der Detektiv nahm seine Wanderung durch das Zimmer wieder auf. Die Dinge tanzten einen Hexenreigen um ihn.

Ellerböck in Hamburg, Job Wilzeck tot, ganz sicher tot, der Baron nach Berlin gekommen und Senta noch immer verschwunden.

Das letztere war jetzt die Hauptsache! »Ich muß mit Fredersdorf sprechen,« rief er plötzlich.

In diesem Augenblick klingelte es draußen. Ein Besucher kam.

Der Diener trat ein und übergab seinem Herrn eine schmale Karte. »Der Herr bittet dringend um eine Unterredung,« sagte er.

Der Detektiv starrte verwirrt auf die Karte. »Baron von Leichsenring« stand darauf.

Eine Weile blieb es ganz still in dem Raume. Der Baron stand wohl schon im Korridor.

Dann warf der Detektiv den Kopf zurück.

»Führen Sie den Herrn hier herein. Ich bitte um eine Minute,« sagte er dann entschlossen.

Damit ging er in sein Schlafzimmer und vertauschte den Morgenrock mit einem anderen Kleidungsstück.

Als er wieder das Arbeitszimmer betrat, stand ihm der Baron Leichsenring gegenüber.

Er starrte den Besucher etwas verblüfft an. »Sie sind – Baron Leichsenring?« entfuhr es ihm.

Dieses Gesicht war ihm fremd, es machte sogar einen ganz sympathischen Eindruck. Der Baron Leichsenring in den seltsamen Nächten war ein anderer gewesen! Aber der Detektiv begriff nicht, warum er jenen andern voller Gewißheit für Leichsenring gehalten hatte.

Der Baron hielt den forschenden Blick des Detektivs ruhig aus. »Zweifeln Sie daran?« versetzte er höflich.

Der Detektiv schüttelte hastig den Kopf. »Nein – verzeihen Sie,« erwiderte er. »Es war eine dumme Frage. Ihr Name ist mir natürlich bekannt. Aber wir haben uns nie vorher persönlich kennen gelernt.«

»Ich bedauere das, denn man hat mir gesagt, daß Sie der geeignetste Mann wären, meine Braut, Fräulein Fredersdorf, aufzufinden.«

»Ihre – Braut, Baron? Ich glaube doch aus dem Munde des Herrn Fredersdorf gehört zu haben …?« entglitt es dem Detektiv.

»Wir haben uns wie zwei verständige Männer ausgesprochen. Herr Fredersdorf hat mir nun endlich doch sein Jawort gegeben,« lächelte der Baron. »Und nun bedrückt mich um so mehr die bange Frage: Wo befindet sich Senta?«

Die beiden Männer saßen sich gegenüber, und der Detektiv hatte alle Mühe, seine grenzenlose Ueberraschung zu unterdrücken.«

»Vielleicht haben Sie nun die Güte, Baron, mir zu sagen, was Sie zu mir führt?« sagte er gepreßt.

»Die Angst um das Schicksal Sentas treibt mich zu Ihnen. Ich bin erst in verflossener Nacht nach Berlin zurückgekehrt.«

»Darf ich fragen, wo Sie sich in der Zwischenzeit aufhielten, Baron,« fiel der Detektiv ein.

»Gerne. Ich komme aus Finnland, aus Helsingfors, über Stettin. Meine Abreise vor vierzehn Tagen geschah etwas überstürzt. Ich gebe zu, daß ich ein bißchen den Kopf verloren hatte. Die abschlägige Antwort des Vaters von Senta – dazu mein eigenes Schuldbewußtsein – ich gestehe gerne, daß ich bis dahin etwas leichtsinnig gelebt und viele Schulden gemacht hatte. Aber als ich dann rein zufällig erfuhr, daß Senta spurlos verschwunden war, daß sich der Vater um ihr Schicksal ängstigte, da kehrte ich sofort zurück. Ich wollte nicht, daß man etwa meine Person mit ihrem Verschwinden in Verbindung brächte. Ich darf Ihnen wohl die Versicherung geben, daß ich damit nicht das geringste zu tun habe.«

»Es hatte allerdings den Anschein, Baron …« wandte der Detektiv ein.

»Ich weiß,« nickte sehr ernst der Baron. »Das alles hoffe ich einwandfrei aufzuklären. Trotzdem bleibt der eine dunkle Punkt: Wo befindet sich meine Braut?«

»Eine Frage: Weiß Herr Fredersdorf, daß Sie mich aufsuchen?«

»Gewiß. Er war es sogar, der die Anregung dazu gab, nachdem wir uns ausgesprochen hatten.«

»Verzeihen Sie, ich sehe noch nicht ganz klar,« gab der Detektiv zurück. »Wie standen Sie eigentlich mit der jungen Dame?«

»Wir liebten uns. Es war eine große, starke Leidenschaft von beiden Seiten,« erwiderte der Baron einfach, ohne den forschenden Blick des Detektivs zu meiden.

»Und daß Sie die junge Dame dann doch verließen –?«

»Ich mache mir jetzt die bittersten Vorwürfe. Aber die schroffe Abweisung Fredersdorfs hatte mich völlig außer Rand und Band gebracht. Ich dachte sogar an Selbstmord, so stark war meine Neigung. Der Eisenmagnat ließ mir ja keinerlei Hoffnung. Senta selbst konnte ich nicht mehr sehen, nicht mehr mit ihr verkehren. In einem Zustand wahnsinniger Erregung reiste ich ab. Ich habe einen Vetter in Helsingfors, in dessen Fabrik ich eintreten wollte. Bis vor wenigen Tagen hörte ich nichts mehr von Fredersdorf oder Senta. Ich wollte für Deutschland tot sein. Aber in meinem Inneren brannte die Sehnsucht nach dem Mädchen, das ich liebe. Und – dann reiste ich zurück, als mich die Kunde von Sentas Verschwinden traf. Ich muß sie finden, koste es, was es wolle. Alle Hindernisse für eine Vereinigung sind ja nun beseitigt.«

»Darf ich fragen, ob Sie irgend einen Verdacht hegen, was mit der jungen Dame geschehen ist?« fragte kühl der Detektiv.

Der Baron sah sinnend vor sich ins Leere. Dann hob er aber doch entschlossen den Kopf. »Ich glaube, daß es sich nur um eine Erpressung handelt. Fredersdorf ist sehr reich,« sagte er.

»Das wäre das Nächstliegende,« nickte der Detektiv. »Aber bis jetzt ist kein Erpresser an den Millionär herangetreten.«

»Das will nicht viel besagen. Der oder die Burschen, die Senta verborgen halten, wissen wohl ganz gut, daß gerade jetzt die Polizei scharf aufpaßt. Sie wollen einfach eine gewisse Zeit verstreichen lassen und halten ihr Opfer gewiß ganz sicher in Händen.«

»Das könnte sein. Aber wer, Baron, könnte sich das Zutrauen von Fräulein Fredersdorf derart erschlichen haben, daß sie ihm folgte?«

Der Baron sah den Frager mit einem raschen Blicke an. »Ich will Ihnen meinen inzwischen aufgestiegenen Verdacht gerne mitteilen,« erwiderte er. »Ich hatte einen Diener hier, einen sehr schlauen, gewitzigten Burschen. Lange Zeit konnte ich nicht über ihn klagen. Der Mann war diensteifrig und gewandt und wußte sich auch bis zu einer gewissen Grenze mein Vertrauen zu erringen. Er kannte meine Verbindung mit Senta Fredersdorf, weil er der jungen Dame einige Male ein Billett von mir überbrachte. Diesen Diener habe ich nun am Tage meiner raschen Abreise entlassen. Ich war auch sonst nicht mehr recht mit ihm zufrieden. Er schien in schlechte Gesellschaft geraten zu sein und wollte selber als großer Herr auftreten und den eleganten Kavalier spielen. Bis nach meiner Rückkehr habe ich mich nicht weiter um ihn bekümmert und weiß auch nicht, was er treibt, und wo er sich aufhält. Aber wenn ich alles bedenke –« Der Baron stockte vielsagend.

»Wie nennt sich der Bursche, Baron?« fragte der Detektiv.

»Paul Federsen. Aber er kann sich möglicherweise einen falschen Namen beigelegt haben. Das ist ja nicht schwer in Berlin.«

»Und Sie wissen nichts weiteres über ihn, über seinen Verkehr, seine Vergangenheit?«

»So gut wie nichts. Seine Zeugnisse waren glänzend. Aber sie könnten ja auch gefälscht sein. Aus gewissen Anzeichen nur merkte ich zuletzt, daß der Mann nicht mehr zuverlässig war, und ich bereute deshalb auch, ihn zum Mitwisser meiner Liebe für Senta Fredersdorf gemacht zu haben.«

Der Detektiv zeigte plötzlich neu erwachendes Interesse. »Haben Sie das Gefühl, daß sich der Mann noch in Berlin aufhält?« warf er hin.

»Ja, ich glaube fest daran. Und nur er konnte Senta fortgelockt haben Er kann auch meine Briefe an sie erbrochen haben. Außerdem verstand er sehr gut Handschriften nachzuahmen. Ich habe früher manchmal darüber gelacht.«

»Und Sie können mir keinen Wink geben, wo ich den Menschen zu suchen habe, Baron?«

»Nicht den geringsten, leider,« seufzte der Baron.

Wie eine plötzliche Erleuchtung überkam es den Detektiv. Ein seltsames Lächeln umspielte seine Lippen.

»Ich danke Ihnen, Baron, daß Sie zu mir gekommen sind,« sagte er. »Und nun glaube ich Ihnen die Versicherung geben zu können, daß wir Ihre Braut binnen vierundzwanzig Stunden gefunden haben.«

Der Baron sprang auf. »Was gedenken Sie zu tun?« rief er erregt.

»Verzeihen Sie – das möchte ich vorerst noch als mein Geheimnis bewahren, Baron,« lächelte der Detektiv. »Alles zu seiner Zeit. Wir Leute von der Geheimpolizei haben mitunter unsere eigenen Ansichten.«

Der Baron streckte dem Detektiv die Hand hin, die dieser ohne Zögern erfaßte. »Wenn es Ihnen gelänge, Senta zu finden, mein heißester Dank – und nicht weniger derjenige eines angsterfüllten Vaters sind Ihnen gewiß!« sagte er schlicht.

»Ich werde die junge Dame finden. Jetzt bin ich davon überzeugt!« rief der Detektiv mit einem Aufblitzen der Augen.

Um seinen Mund lag nun ein Zug, den der Baron nicht zu enträtseln vermochte, aber es war doch seltsam – er schenkte diesem so sicher sprechenden Manne vollstes Vertrauen.

»Wann darf ich Sie wieder anrufen?« fragte der Baron erregt.

»Warten Sie, bitte, bis ich dies selber tue,« erwiderte der Detektiv. »Ich habe wahrscheinlich noch ein hartes Stück Arbeit vor mir. Möglich auch, daß sich alles ganz einfach entwickelt. Wer kann es wissen! Man muß bei solchen Gelegenheiten auch Glück haben. Darauf baue ich nun. Kehren Sie jetzt zu Herrn Fredersdorf zurück?«

»Ja,« sagte der Baron.

»Dann bringen Sie ihm meine Versicherung, ihm binnen vierundzwanzig Stunden, vielleicht noch diese Nacht, seine Tochter in die Arme zurückführen zu können.«

»Wenn Sie dies erreichten …! Aber da Sie so sicher sprechen, müssen Sie doch bereits einen bestimmten Anhaltspunkt haben?«

»Erlauben Sie mir darüber noch zu schweigen,« lächelte der Detektiv geheimnisvoll. »So einfach wäre dies auch gar nicht zu erklären. Es gibt Instinkte, gewisse Nervenkräfte –«

»Darauf geben Sie etwas?« entglitt es dem Baron enttäuscht.

»Manchmal doch,« nickte der Detektiv. »Aber Sie verzeihen, ich möchte noch einige dringende Vorkehrungen treffen …«

Der Baron reichte ihm etwas kühl die Hand. Er wollte in der Villa von Fredersdorf warten, bis dorthin ein Anruf des Detektivs kommen würde, und wäre es die ganze Nacht.

Die Hand des Detektivs fuhr zufällig über die Stelle seines Rockes, unter der sich die Tasche befand. Er verspürte ein kaum merkliches Knistern.

Teufel! Daß er das auch vergessen hatte! Der Brief! Er holte den Briefumschlag hervor und zeigte ihn dem Baron, der bereits an der Türe stand.

»Eine letzte Frage, Baron. Haben Sie diesen Brief an mich gerichtet?«

Der Baron las die Adresse. »Das ist die Handschrift von Herrn Fredersdorf,« versetzte er. »Das heißt –« Er stockte einen Augenblick. »Ich weiß nichts von diesem Briefe,« fügte er darauf hinzu.

»Ich dachte es mir. Glauben Sie auch nicht, daß Herr Fredersdorf diese Adresse schrieb?«

»Ich kann das natürlich nicht bestimmt sagen. Es scheint seine Hand zu sein – und doch finde ich da eine kleine Abweichung –«

»Worin besteht diese?«

»Es gibt da an zwei Stellen ein kleines, sonderbares Häkchen, das ich bei – einem anderen Schreiber mitunter beobachtete.«

»Können Sie mir diesen Schreiber nennen, Baron?«

»Wenn Sie Wert darauf legen – es ist mein ehemaliger Diener Paul Federsen. Ein Künstler im Nachahmen von Handschriften. Aber so ganz vermag auch der Geschickteste nicht seine Eigenart zu verbergen.«

»Ganz recht. Diese kleinen Häkchen haben den sauberen Herrn Federsen verraten!«

»Was bedeutet dies alles?« wollte der Baron wissen.

Der Detektiv winkte lächelnd ab. »Sie sollen später, wenn sich meine Gedankenverbindung als richtig erweist, alles erfahren, Herr Baron. Für jetzt, bitte, entschuldigen Sie mich,« sagte er.

Es blieb dem Baron nichts weiter übrig, als zu gehen. Er tat es mit einem Kopfschütteln. Aus diesem Detektiv mochte der Henker klug werden!

Der Detektiv sah ihm eine Weile nach und hob dann die Schultern. Er hielt noch den Briefumschlag mit dem unbeschriebenen Blatt in der Hand.

»Da wäre mir also von dem ganzen Hexenspuk der Nacht nichts weiter greifbar in Händen geblieben, als dieser Briefumschlag, der dem Burschen Gelegenheit geben mußte, meinen Schreibtisch zu durchstöbern, um zu erfahren, was ich in der Entführungssache bereits festgestellt hatte. Einerlei, wer ihm verraten hat, daß man mir die Erledigung des Falles übertragen hat.«

Wieder sah er nachdenklich vor sich hin. Er schloß nach einer Weile beide Augen und sank in den Stuhl am Schreibtische zurück. Nichts regte sich im Zimmer, es war nun vollkommen still.

Vor dem Geist des Detektivs stiegen in rascher Reihenfolge noch einmal blitzartig die Bilder und Gesichter auf, die ihn genarrt hatten.

Wieder einmal hatte ihn jene Nervenerregung befallen, der er zum Glück schon mehrfach ganz unerklärliche Ergebnisse verdankte.

Schließlich fand sich aber doch so etwas wie eine Erklärung für alle diese geheimnisvollen Dinge.

Wie ein blitzartig sich abrollendes Filmband arbeitete sein Gehirn. Eindrücke blieben haften, verwirrten sich mit anderen, ergänzten sich mitunter und schlossen sich dann zu bestimmten Bildern.

Es war ein wilder Traum gewesen, den der Detektiv gehabt hatte. Aber der Traum sollte ihm Nutzen bringen. Eine seltsame Gewißheit überkam ihn.

Was er zu sehen, zu erleben geglaubt hatte – nichts weiter waren es, als Rückblicke und Erinnerungen seines aufgeregten Geistes.

Der Besuch am Bett, die Persönlichkeiten, die er dabei zu erkennen geglaubt hatte, lauter Erlebnisse aus verflossener Zeit. Auch der sonderbare italienische Diener in der Villa des Polizeipräsidenten. Er hatte von diesem Manne ganz einfach in Italien einen besonders starken Eindruck empfangen. So war es auch bei Job Wilzeck und bei allen anderen Begebenheiten. Er kannte die Kaschemmen in Berlin bis in die hintersten Ecken, kannte auch das Hafenviertel in Hamburg, die dortige Polizei und die Hotels und hatte ebenso oft Reisen in Eilzügen zur Verfolgung flüchtiger Verbrecher gemacht. Und einmal war ihm tatsächlich das, was er hier im Traume noch einmal erlebte, vorgekommen: die letzten zwei Wagen hatten sich auf freier Strecke gelöst.

Alles andere nichts als durcheinandergewirbelte Augenblicksbilder! Bis auf seinen Besuch in der Kaschemme und seinen Gang über jene alte Galerie nach dem Versteck der entführten jungen Dame.

Halt! Hier machte der Traum einen Sprung!

Der Detektiv hatte noch immer die Augen geschlossen. Aber es zuckte heftig um seine Lippen.

Er kannte in Berlin eine gewisse Gegend. Da gab es tatsächlich ein altes Hinterhaus mit einem blechernen Drachen. Nicht in Hamburg, sondern hier in Berlin.

Auch dieses Haus mit dem Drachen war nur eine Rückerinnerung in dem wirren Traum, den er gehabt hatte.

Aber vielleicht war es doch mehr! Der Detektiv sprang auf. Er hatte einen Entschluß gefaßt.

Gleich darauf fuhr er nach dem Polizeipräsidium, wo er mit dem obersten Chef eine längere, geheime Unterredung hatte.

Als er sich dann verabschiedete, reichte ihm der Polizeichef die Hand. »Eine ganz verrückte Geschichte,« meinte er. »Nun sehen Sie zu, ob sich Ihre Berechnungen erfüllen. Und – träumen Sie nicht wieder!«

»Auch das ist mitunter gut, Herr Präsident,« versetzte lachend der Detektiv.

Bevor er das Haus am Alexanderplatz verließ, sprach er noch schnell bei seinem früheren Kollegen Braune vor.

»Wissen Sie etwas über die Brillanten-Mary, lieber Kollege?« fragte er.

»Die Unverbesserliche sitzt seit acht Tagen in Untersuchungshaft,« lautete die Antwort. »Sie hat einen Amerikaner um ein paar hundert Dollars erleichtert. Wir sind ihr aber diesmal schnell auf die Sprünge gekommen.«

»Seit acht Tagen? In Hamburg war sie während dieser Zeit dann wohl nicht?« meinte der Detektiv.

»Dann müßte sie schon auf einem Besenstiel wie 'ne Hexe nach dem Blocksberg dorthin gegondelt sein! Guter Witz!« lachte Braune.

Der Detektiv stimmte unwillkürlich in dieses Lachen ein. Darauf entfernte er sich rasch, ohne eine weitere Erklärung abzugeben.


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