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Zehntes Kapitel

Es war noch immer Nacht, als er in Berlin ankam. Der Zug mußte wie der Blitz die Strecke zwischen Hamburg und Berlin zurückgelegt haben.

Der Detektiv rannte mit zusammengekrampften Händen ins Freie. Jetzt wollte er sehen, wie sich der Millionär bei der Kunde von der Auffindung seiner unglücklichen Tochter benehmen würde. Diesmal mußte es doch der rechte Fredersdorf sein, dem er gegenübertrat.

Ihn kümmerte nicht die außergewöhnliche Stunde. Er brachte ja doch auch eine außergewöhnliche Kunde!

Er warf sich in ein Auto und ließ sich nach der palastartigen Grunewaldvilla des Eisenmagnaten fahren. Dort angelangt, drückte er wiederholt auf den elektrischen Klingelkontakt.

Das Gitter öffnete sich automatisch und lautlos und fiel ebenso lautlos hinter ihm wieder zu.

Der Detektiv hatte jetzt keinen anderen Gedanken mehr, als den, Fredersdorf zu sprechen. Und falls der Mann noch im Bette lag, wollte er ihn trotzdem aufrütteln.

Die große schöne Villa des Eisenmagnaten lag in vollkommener Ruhe. Kein Licht war zu sehen. Aber da das Gittertor geöffnet worden war, mußte doch ein Diener wachen. Der Detektiv kümmerte sich um all dies nicht. Er eilte über den noch dunklen Parkweg der Villa zu.

Als er vor dem hohen, kunstvoll geschnitzten Eingangsportal stand, fand er, daß auch diese Tür nicht geschlossen war.

Er war mehrmals zu Besprechungen mit Fredersdorf hier gewesen und kannte also die Innenräume.

Die Halle war erhellt. Man sah nur nach außen hin das Licht nicht. Sie machte in ihrer prunkvollen Ausstattung einen imposanten Eindruck.

In dem Augenblick, da sich der Detektiv umsah, ob ihn nicht jemand melden könnte, tauchte aus dem Schatten einer Mauer ein alter Diener auf.

Der Mann war tadellos gekleidet, hatte also die Nacht durchwacht. Sein Gesicht zeigte eine fahle Blässe, die Augen lagen unter tiefen Schatten.

»Was wünschen Sie, mein Herr?« fragte er mit seltsam ausdrucksloser Stimme.

Der Detektiv besann sich. Richtig! Was wollte er denn eigentlich? Dann wußte er es wieder.

»Ich muß unbedingt Herrn Fredersdorf sprechen. Sofort sprechen,« sagte er kurz, als erwarte er gar keinen Widerstand. »Ganz einerlei, ob Ihr Herr noch etwa im Bette liegt.«

Der Diener nickte nur. »Die Herren sind noch wach,« erwiderte er. »Ich glaube, Sie werden erwartet.«

Der Detektiv starrte den Mann an, als begreife er das nicht. »Erwartet?« murmelte er. »Das ist doch wohl nicht gut möglich! Und – wer sind denn die Herren?«

»Ich bitte, mir zu folgen,« antwortete statt aller Erklärung der alte Diener mit dem fahlen Gesicht.

Er schritt voran. Man hörte keinen Laut von seinen Füßen. Der Detektiv folgte wie unter einem unwiderstehlichen Zwange.

Der Diener öffnete eine Tür. Man sah in einen sehr schönen Raum, eine Art Vorzimmer. Eine elektrische Lampe brannte an der Decke und spendete ein weißes, kalkartiges Licht.

Der Diener hob den schweren Damastvorhang, der den Eingang zu einem anstoßenden weiteren Zimmer verdeckte.

»Im Terrassenzimmer – bitte,« sagte er und trat zur Seite.

Der Detektiv fühlte nur noch die bis zum Platzen gesteigerte Spannung seines Inneren.

Er betrat dieses zweite Zimmer. Der Diener war einfach hinter ihm zurückgeblieben.

Auch dieses Zimmer, das Terrassenzimmer, war erhellt. Aber um die elektrischen Lampen lagen blaßgrüne Schirme aus Seidengaze.

Ein breites, niedrig gelegenes Fenster stand weit offen, und dahinter blickte man in den nächtlichen Park und sah, wie sich einige Bäume hin und her wiegten, als drücke sie der Wind. Aber kein Geräusch war zu hören.

Dort, dicht bei dem Fenster, saßen drei Männer um einen runden Tisch, der mit grünem Tuch bespannt war. Sie waren vollständig angekleidet, genau so wie die Gäste der Villa, die der Polizeipräsident gekauft hatte und in der der Detektiv seine seltsamen Erlebnisse gehabt hatte.

Die drei spielten eifrig Karten. Sie waren in ihr Spiel so vertieft, daß sie den Eintritt des Detektivs gar nicht bemerkten. So konnte dieser ihre Gesichter einen Augenblick lang studieren.

Ein vierter Mann lehnte an einem Pfeiler, hatte die Arme verschränkt und rauchte eine jener häßlichen dicken Zigarren, die Fredersdorf bevorzugte.

Der Detektiv fühlte, wie sein Herzschlag aussetzte.

Dieser plumpe Mensch mit der Zigarre – Allmächtiger – sahen denn seine Augen recht? – das war doch jener Job Wilzeck, der Raubmörder, der den alten Briefträger umgebracht hatte und dafür hingerichtet worden war! Gab es auch für ihn einen Doppelgänger?

Aber die andern – das war überhaupt nicht zu begreifen!

Der eine, der lachend einen Trumpf ausspielte – war Fredersdorf, der Vater Sentas. Der zweite kein anderer als Ellerböck aus Hamburg. Der dritte der Baron von Leichsenring. Eine Täuschung war ganz unmöglich.

Den Detektiv ergriff eine unbeschreibliche Wut. Diese Männer, die alle als Hauptdarsteller in dem nächtlichen Drama tätig gewesen waren, saßen hier mitten in der Nacht beisammen und spielten Karten, und währenddessen war die unglückliche Senta in einem elenden Loche in der Hamburger Gasse gestorben!

Nur der Polizeipräsident fehlte heute.

Mit einem Sprunge stand der Detektiv vor dem Tisch. »Aufhören!« schrie er völlig heiser. »Das Spiel ist zu Ende! Senta ist tot!«

Die Spieler sahen auf, nicht einmal allzu überrascht. »Da ist der Mensch ja schon wieder, der überkluge Detektiv,« sagte Fredersdorf und wechselte mit seinen beiden Partnern einen raschen Blick.

»Machen Sie, daß Sie fortkommen,« sagte beinahe sanft der Baron. »Sie könnten sonst bereuen, uns gestört zu haben!«

»Ich habe nichts zu bereuen,« schrie der Detektiv, vor Empörung beinahe fassungslos. »Ich habe die arme Senta entdeckt, die ich liebe und deren Tod ich rächen werde!«

»Er ist verrückt,« sagte lachend der Mann, der das Gesicht von Job Wilzeck hatte. »Wir sollten ihm ein Ernüchterungsbad geben.«

Was der Kerl damit meinte, begriff der Detektiv noch nicht.

»Herr Fredersdorf – wissen Sie denn, wo ich Ihre Tochter gefunden habe?« rief der Detektiv keuchend.

Der alte Herr winkte ab. »Ich bin gar nicht neugierig,« meinte er. »Verschwinden Sie sofort. Sie haben gehört, was unser guter Freund Wilzeck vorhat.«

Also doch Job Wilzeck! Und in Verbindung mit Fredersdorf, mit dem Baron, mit Ellerböck!

Er faßte sich an die Stirne, die ganz eiskalt war und sich wie glatter Marmor anfühlte. Alles drehte sich vor seinen Augen. Er sah nur grinsende, höhnische Gesichter.

»Schufte! Verbrecher! Mordgesellen –!« brüllte er plötzlich auf. »Ich werde die Wahrheit morgen aller Welt verkünden. Die Tote muß gerächt werden! Die Polizei soll dieses Nest ausnehmen – und zwar jetzt gleich!«

Er wollte zum Ausgang stürzen, denn es erschien ihm unmöglich, sich hier auch nur noch eine Minute länger aufhalten zu können.

Er hatte aber nicht bemerkt, daß Job Wilzeck lautlos hinter ihn getreten war. Und plötzlich fühlte er seine Arme wie von einem eisernen Schraubstock zusammengepreßt.

Er setzte sich rasend zur Wehr. Aber der andere war heute stärker. Es war nur ein kurzer Kampf. Dann lag der Detektiv am Boden und seine Arme wurden nach rückwärts zusammengeschnürt.

Während dieses ganzen Auftrittes standen die drei Kartenspieler ruhig am Tische und sahen untätig zu. Sie sprachen kein Wort, sie lächelten nur spöttisch.

Der Detektiv knirschte vor Wut, sich unterlegen zu wissen, mit den Zähnen. Aber er fühlte, er war so gut wie hilflos.

»Ich bitte, Herr Kommissar Ellerböck,« hörte er nun doch Wilzeck sagen. »Greifen Sie doch mit an. Das kalte Bad –!«

Noch einmal bäumte sich der Detektiv empor. Es ging um sein Leben, das fühlte er. Aber es war vergeblich.

Während ihn Job Wilzeck unter den Schultern packte, umschlang Ellerböck, der rasch herangetreten war, lachend die Füße des Detektivs.

Fredersdorf rückte den Spieltisch vom offenen Fenster fort. Dann lachte er zusammen mit dem Baron höchst vergnügt.

»Aufgepaßt! Wir wollen ihn eine Luftreise machen lassen,« meinte Job Wilzeck.

Sie gaben dem Körper des Detektivs, der gänzlich willenlos geworden war, sanfte Schwingungen in der Luft.

»Eia popeia!« sagte Job Wilzeck dabei.

Zwei-, dreimal schwangen sie ihn so hin und her, immer weiter ausgreifend.

Und dann sauste der Körper des Detektivs haltlos, freigelassen durch die Luft, durch das offene Fenster, in die Dunkelheit und fiel mit rasender Schnelligkeit.

»Mord!« wollte der Detektiv noch schreien. »Sie werfen mich in den Parkteich!«

Aber seine Stimme hatte keine Kraft mehr.

Er fühlte einen harten, klatschenden Schlag. Eiskaltes Wasser drang auf ihn ein, wirbelte ihn hinunter. Er stieß mit den Füßen um sich, und es half doch nichts.

Dann wußte er nichts mehr …


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