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Die tanzenden Füße

La mer est ton miroir, tu contemples ton âme
Dans le déroulement infini de sa lame
Et ton esprit n'est pas un gouffre moins amer.

Baudelaire

 

1.

Ein Mensch, eine Tat und ihre Folgen

Dies schreibe ich, Li: Vier, auch fünf Jahre mögen es her sein, daß mein gnädiger Herr eines Nachts in einer Pariser Vorstadtgegend das Vergnügen hatte, den Überfall einiger Apachen auf einen jungen Menschen zu verhindern, der sich später als Student der Kunstgeschichte unter einem adligen Namen zu erkennen gab. In dem brennenden Verlangen seines gallischen Blutes, sich meinem gnädigen Herrn in irgendeiner Weise erkenntlich zu zeigen, bewog er ihn, etliche Tage in seiner Gesellschaft zu verbringen, indem mein Herr Baron sich denn, wie er äußerte, für seine Rettertat dadurch bezahlt machte, daß der französische Herr ihm die Besichtigung einiger besonders schöner Privatsammlungen von Gemälden und Gobelins zugänglich machte. Dann, bevor die Herren sich trennten, mußte mein gnädiger Herr die Adresse des Franzosen empfangen und ihm die seinige geben mit dem Versprechen, sich an niemand anders wenden zu wollen, im Falle er eines Nothelfers von mehr als freundschaftlicher Opferwilligkeit bedürftig sein sollte – ein Scherz, eine Formel für meinen Herrn Baron, für den andern heiliger Ernst: ein Irrtum am Ende für beide.

Ich will gleich hier noch einiges über die Person des Herrn Franzosen hinzufügen. Seinen vollen Namen – da er vermutlich noch am Leben ist – zu verschweigen, gebietet die Schicklichkeit; sein Vorname – Blaise – mag genügen. Er stammte aus der Bretagne; seine Mutter jedoch war Schottin; sein Vater als Offizier im Kriege gegen Deutschland gefallen; er selber sehr arm. Sein Äußeres hatte kaum etwas von dem, was wir uns gemeinhin als französisch vorstellen, denn er war mehr als groß, schwer, knochig, bäuerlich gestaltet, blaßblond, blaßblau von Augen, das lange Gesicht blütenweiß; ein hängender, tiefroter Schnurrbart erhöhte die Wehmut im Schnitt seiner Augen, jenen Ausdruck von Unglücklichkeit, den wir ähnlich bei dieser und jener Hundeart, etwa Dachshunden, zu sehen glauben, und wie bei diesen schien es auch nur die Form der Augen zu sein, was diesen Eindruck von Mißgeschick oder Melancholie hervorrief, ohne daß in seinem Wesen oder Schicksal ein solcher Schatten dahintergestanden hätte, denn sein Gehaben war still, friedfertig, schüchtern, nicht ohne Würde, im Kern jedoch von einer weibischen Art Weichheit, die meinem gnädigen Herrn gleich mißfiel, der nur männliche Männer leiden und schätzen mochte.

Ein Jahr, wenn ich mich recht besinne – für Zahlen und Daten seines eigenen Lebens konnte mein gnädiger Herr niemals Teilnahme und daher auch ich kein Gedächtnis aufbringen –, mochte vergangen sein, ohne daß mein Herr seiner gedacht hätte oder an ihn erinnert worden wäre. Wir lebten damals in unserer Vaterstadt A. Ich selber mußte mich darein finden, solange wir dort waren, nicht um die Person meines gnädigen Herrn zu sein; ich diente dann der Dame, von der ich bereits gesprochen habe. Da zeigte mein Herr Baron mir eines Tages einen Brief des Herrn Blaise, der ihn zu sich einlud, und hatte die Freundlichkeit, mir zu erzählen, daß der Herr Blaise durch seine Mutter Erbe einer bedeutenden, im Norden der schottischen Halbinsel gelegenen Besitzung geworden war. In dem Brief pries er weiterhin noch die feierliche Romantik der Küstenlandschaft, die Besitzung selbst – ein Kastell aus uralten Clanzeiten – und ihren besonderen Vorzug in seinen Augen, das Vorhandensein einer großen Anzahl von kostbaren Bildnissen aus verschiedenen Gezeiten der Vergangenheit.

Es ist mir nicht erinnerlich, ob wir diesen Brief beantworteten oder nicht; jedenfalls entschloß mein gnädiger Herr sich damals nicht zu einer Reise, und jedenfalls empfing er einige Wochen später einen andern Brief mit einer neuen, dringlicheren Einladung unter dem Hinweis, daß die Jahreszeit, Oktober, der Landschaft besonders angemessen wäre. An diesem Brief nun schien meinem gnädigen Herrn etwas nicht in Ordnung zu sein; ich erinnere mich, daß er die besondere Dringlichkeit der Einladung verspottete und sagte, sein Besuch scheine dem Herrn Blaise wünschenswerter zu sein für ihn selber als für meinen gnädigen Herrn, und zwar dies mit einem Lächeln, das an seine Pariser »Rettertat« erinnerte ...

Aber wir reisten bald darauf. Der Anweisung des Herrn Blaise nach sollten wir Aberdeen zu erreichen suchen, von wo eine Kleinbahn uns nordwärts zu der Stelle bringen würde, wo sein Wagen uns erwarten sollte.

Meinem gnädigen Herrn gefiel es, ein Schiff von Bremerhaven zu nehmen, zu meinem Leidwesen insofern, als ich während der ersten drei Tage einer jeden Seereise auf schreckliche Weise unter der Seekrankheit zu leiden habe und infolgedessen wie eine Leiche von meinem gnädigen Herrn in Aberdeen an Land getragen und in den Zug gelegt wurde. Infolge eines Schlafmittels, das mein gnädiger Herr mir dann verabreichte, habe ich – wie sich später herausstellte – acht Stunden ununterbrochen und fest geschlafen, so daß ich beim Erwachen keine Ahnung hatte, wo ich mich befand.

Das erste, was ich, noch in Halbschlaf und Traum, wahrnahm, war ein ungeheures Brausen. Ich glaubte, noch auf dem Meere zu fahren, und wunderte mich, als ich die Augen aufschlug, daß alles fest war. Das Brausen aber dauerte fort und war wirklich Meeresdonner, allein von einer so fürchterlichen und ohrenbetäubenden Gewalt, daß ich weder vorher noch nachher ein ähnliches Getöse gehört zu haben glaube. Das erste, was ich dann sah, war der Rücken meines gnädigen Herrn, der beim Schein eines sonderbaren Leuchters mit drei gelben Kerzen an einem offenen Schreibbüro von altertümlicher Form saß und zu schreiben schien. Ich selbst lag auf dem Teppich des Zimmers am Fußende eines breiten Bettes von der zweischläfrigen englischen Art mit Säulen und hölzernem Baldachin, von dem auf allen Seiten dunkle Vorhänge herabhingen, so daß es an einen Leichenwagen erinnerte, wie ihn die Juden gebrauchen.

Mein Herr aber schrieb im Tagebuch, und hier ist, was er schrieb.

 

Landschaft, Kastell und sein Inneres

Aus dem Tagebuch

Ich muß sagen, daß, um meine Zuneigung zu erwecken, eine Landschaft nicht leicht trostlos genug sein kann. Der langsam abrollende Kleinbahnzug von Aberdeen entführte mich in die großartigste Einöde. Vollkommen war das Abgestorbensein jeglicher Farbe. Vom schottischen Herbsthimmel verfinstert, lagerte die schwarze und braune Moorlandschaft zu beiden Seiten des einsamen Schienenstranges; keine Blume mehr, keine Gestalt, kein Baum – möchte ich sagen, denn die wenigen, die es gab, glichen Gespenstern höchstens von Bäumen, schwarze Strünke von Weiden, eine vor Verwahrlosung namenlos gewordene Ulme, die ein einziges braunes Blatt vorzeigte zur Identifikation, darunter ein schwarzes Dach, ein einziges Mal der bleiche Nebelseelenstreif einer Birke – sonst nichts. Und keine Gestalt, es seien denn die zerfließenden, unschlüssig wartenden des trauervollen Sumpfnebels, die vor dem Nahen des Zuges mit leisem Unwillen auseinander und vorüber glitten. Hier und da einmal unterbrach der bleiche, schweigsam leidende Aufblick eines sterbenslang gezogenen Moorkanals die mörderische Verfinsterung der Erde, wo schwärzlichgrünes Wollgras wechselte mit Steppen von nicht minder düsteren Binsen, braunschwarzen Heidewellen und Dickichten des abgestorbenen Ginsters. Bleich, entsetzt und ruhelos jagte der Himmel darüber hin unter einem grauen und schwarzen Aufruhr um sich hauenden Gewölks. Bittere Kälte.

Endlich: eine winzige Ansammlung schwärzlicher Gebäude, zusammengescheucht und in die Öde geduckt. Der Versuch einer Birkenallee verzweifelte nach wenigen hundert Schritten im Trostlosen, aber dorther nahte in scharfer Gangart eines schönen, übergroßen und isabellfarbenen Pferdes ein leichter Jagdwagen und traf mit dem Halten des Zuges zusammen.

Blaise – scheußlich zu schreibender Name! denke immer: die weibliche Form von Blase – erschien nicht unbedeutend verändert und schon merkwürdig verengländert. Wie schon früher peinlich in Kleidung, trotz seiner Armut, trug er einen grauen Gehrock, weiße Gamaschen und weichen, grauen Hut – einen Anzug also, der zwar englisch aussah, den aber kein Engländer bei dieser Gelegenheit getragen haben würde. Die Veränderung seiner Züge bestand vor allem in einem leichten Backenbart, der, am dichtesten von den Ohren die Kinnränder hinunterwuchernd, den Eindruck des Schottischen so hervorrief. Hinter aller Herzlichkeit seiner Begrüßung dämmerte etwas – Zerstreutheit, Zerfahrenheit, wohl gar schlechtes Gewissen. Ich dachte an seine Briefe. Seine Gesprächigkeit, bedeutend gegen früher, schien kaum ganz echt.

Ich erfuhr nun gleich mancherlei über seinen neuen Besitz und die Umstände der Erbschaft Hier wie auch an späteren Stellen habe ich mir die Angabe des Namens fortzulassen erlaubt. Li.. Das Kastell – Bergwerke, im Binnenland nordwestlich gelegen, gehörten zum Familienbesitz – war seit Jahrhunderten Eigentum der Familie von Blaises Mutter. Der Mannesstamm war nun mit dem Tode des letzten Schloßherrn, Blaises Oheim, erloschen. Er hinterließ eine einzige Tochter – Nature nannte sie Blaise; ich denke, ich nenne sie Natura –, unter Übergehung derer oder ihres zukünftigen Gatten er das Erbe auf Blaise übertrug mit der Forderung, seinen Namen anzunehmen. Was hatte Natura dazu gesagt? Nichts. Das Testament focht sie nicht an. Blaise, ritterlich, bot ihr an, sie zu heiraten. Sie lehnte es nach drei Tagen Bedenkzeit ab, bemerkenswerterweise erst jetzt unter der Begründung, es sei der Wille ihres Vaters und ihr Versprechen an ihn gewesen, daß sie niemals heirate.

Ich muß übrigens sagen, daß ich, als sie mir erzählt wurden, kaum auf diese Dinge hinhörte, wie es meine Gewohnheit ist, mich nicht um die Angelegenheiten anderer zu bekümmern, solange ich nicht hineinverwickelt werde. Nur sehr leere Menschen bringen es fertig, dergleichen als Füllsel ihrer eigenen windigen Beutel zu benutzen. – Blaise ging bald zu dem über, was ihn am Ganzen allein beglückte, seine Gemälde. Es seien zwar nur Familienbildnisse, sagte er, jedoch hergestellt von Malern aller Länder – England, Holland, Italien, Spanien – und erster Größe, Meister oder Schule. Gerade habe er angefangen, die ersten Stücke vom Staub der Jahrhunderte zu befreien und die Namen der Dargestellten wie der Maler festzustellen, und er wartete mir schon mit Namen auf wie: Holbein, Rubens, Mabuse, Tizian, Vasari, Raeburn, Goya, Vermeer, Reynolds und Gabriel Rossetti. Er war der Meinung, daß – aus Ursachen, die ich selber bald erfahren würde – die gesamte Vorfahrenschaft es vorgezogen habe, ihren Stammsitz nur in effigie zu bewohnen und sich selber auf Reisen in angenehmeren Weltgegenden aufzuhalten. – Warum redete er so viel, dieser Blaise? Dadurch wurde er nicht männlicher, und wie schweigengebietend verhielt sich die Gegend!

Unsre Fahrt bewegte sich unterweil (ich auf dem Bock neben Blaise, der kutschierte) in unregelmäßigen Windungen mit der Straße nordostwärts, der Küste zu, die sich übrigens durch nichts verriet. Dünenwelle um Dünenwelle schwarzer, brauner Heide, schwarzen Ginsters folgten einander so unablässig, wie am Himmel weit umher das schwärzliche Gewölk durch Graues und Weißes hinjagte. Im schneidend kalten Wind uns entgegen trieben eisige Tropfen, wehte späterhin ein feiner, Mark und Bein durchdringender Regen, der die ganze Großartigkeit der Verödung und – ich möchte sagen – uralten Verfluchtheit dieses Landstriches verschleiernd, zu einer fast berauschenden Musik anschwellen ließ. Dennoch, da endlich auch Blaise verstummte, schläferte mich von der Reise Ermüdeten das eintönige Traben der vier starken Hufe und das nicht minder einförmige Verkettetsein des Gehügels. Im Halbschlaf noch sah ich Rücken und Mähne des großen, blaßgelben Rosses unter mir sich bewegen; plötzlich dann schreckte ich auf unter einem seltsamen Schauder von Leere, der durch die halbgeschlossenen Lider in mich eingedrungen war.

Daß unser Weg zuletzt ein wenig gestiegen war, hatte ich noch empfunden. Nun spürte ich, daß miteins ein kräftigerer, bitter schmeckender Luftstrom anstatt des abschmeckigen der Binnenluft in meine Lungen geraten war. Meine noch immer nicht verstehenden Augen glitten über die Ohren des Pferdes hinaus in vollständige Leere, die jenseit eines vielleicht fünfzig Schritte vor uns liegenden Randes in unendliche Tiefe hinabsank. Ich erkannte geradeaus den Himmel darin, ungestümen Tumult der heraufstiebenden Wolken; darunter war eine hellgraue Farbe, verhangen, verwischt, und – Tiefe, unglaubliche Tiefen, die sich meilenweit ausdehnten. Jetzt nahm ich eine Bewegung in der ganzen Unermeßlichkeit des Abgrundes wahr, und – im selben Augenblick, wo ich das befremdende Murren und Rauschen in der Tiefe begriff – erkannte ich mit wildem Schauder das erst Unsichtbare: den ungeheuren Rücken der See.

Ja, Ozean, ja, diese gewaltige, schiebende Bewegung, diese unbeschreiblichen Breiten im Vorwärtsgehn, im Hin und Her, im Greifen und Versetzen wie von tausend riesigen Füßen in einer einzigen furchtbaren Wanderung herwärts, in der kalten, fürchterlichen Leidenschaft des Voran- und Heranwollens, in dieser kolossalen Unerbittlichkeit und Unabwendbarkeit des Näherkommens und Ausschreitens, in dieser unaufhaltsamen Wucht des Sichherwälzens – Ozean, und dann endet all das in einem unendlichen und gigantischen Brüllen und Zerschäumen der Legion von zerprasselnden Nüstern, oh, du Wind- und Wasserabbild allen Lebens:

Es ist dein Spiegel, das Meer, du kannst dich beschauen
In seiner Wellen unendlichem, rollendem Grauen;
In deinem Geist ist ein Abgrund nicht minder weit ...

Der Wagen bog fünfzig Schritt vom braunen Rande des Abgrundes mit seinem alten Holzgeländer um das Knie des Heideweges und hielt. Die Peitsche meines Gefährten wies in die Tiefe, und vorgebeugt sah ich nun in unberechenbarer Ferne dort unten winzig klein einen Strand, belagert von schwarzen Felsen und Steinrippen, eingehüllt in Schleier gelben Schaums; dahinter die angeschleppten Bänder der gelben Wogenkämme im Grau der Wasser, ein wahrhaft herzbeklemmender Anblick. Durch die gewaltige Leere, die über der irgendwie durchsichtig scheinenden Fläche stand, traf uns der starke, grimmige Hauch des Untiers und jenes Unheimliche seines fremdartigen, übermenschlichen Daseins, das Lauernde unzählbarer, im Hinsehn augenblicks verschwundener gläserner Augen, und dann das furchtbar Abgewandte, an nichts Denkende, Unbekümmerte des vor sich Hinrollens seiner fanatischen Unnatur. Es will Land haben, Land werden und kann nicht; tobt, tost, brüllt, bellt und kann nichts. Nichts als rollen, scharren und brüllen.

Das Meer ist seiner nie froh. Seiner froh ist das Land und singt. Wer Ohren hat, höre. Das Meer hat kein Ohr, es ist taub.

Einmal: Wenn das Land stumm ist, so will ich reden, sagte das Meer und erhob seine riesige Stimme, aber es wurde ein brüllendes Schweigen.

Das Meer – immer will es etwas und kann nicht. Das Meer, glaub ich, ist mir sehr ähnlich in etwas.

 

3

Landschaft, Kastell und sein Inneres

Aus dem Tagebuch, Fortsetzung

Wir fuhren weiter, bald nicht mehr als zehn Schritte vom Geländer und Abgrund entfernt, und nicht lange darauf gab es einen neuen, nicht minder phantastischen oder gespenstischen Anblick.

In einer plötzlich vor uns aufklaffenden Kratertiefe, zu halber Höhe hineingeklebt in den bis zum Grund aufgeborstenen Spalt, klotzig wie eine lapithische Kröte, hockte das braune Kastell auf braunschwarzem Fels, auf Riffen und Klippen über dem gelben Schaumgetümmel der Brandung, deren unbeschreiblich rasendes Röhren nun betäubend herauftoste. Drei, vier titanische Rundtürme, – Plattformen und Zinnen – verbunden durch mehr als sechzig Fuß breite Mauern mit flachen Dächern – darunter vermutlich Hallen und Wohnräume – um einen engen Hof, alles fast fensterlos scheinend von hier aus, ein winziges, kaum handtellergroßes Flaggentuch von unkenntlichen Farben über einer der Plattformen, Zugbrücke, Tor spielzeugklein: das war das Kastell, hervorgezaubert – so schien es – durch meinen eignen Blick aus der zerklüfteten Landschaft der Küste.

Unterweil umfuhren wir auf mählich sinkendem Pfade mit dem eilig dunkelnden Abend am Abgrund hin das riesenhafte, in die Felsenmauer der Küste geschlagene Loch, in das von unten, mitten aus dem Teufelsgesicht der Brandung die braunen Felsenstümpfe ragten, die das Kastell trugen. Bei hochgezogener Brücke klaffte ein Schlund von zwanzig Fuß Breite und hundertzwanzig Fuß Tiefe – zumindest, nach meiner Schätzung – zwischen Schloß und dem Festen, und aus diesem Schlund brüllte uns Näherkommenden ein dermaßen satanisches Halleluja und Geschmetter der verkochenden Wasser entgegen, daß ich bald merkte, wie zwar nicht mein Herz, aber mein ganzes körperliches Dasein sich zu empören begann und in kaltes Zittern geriet. Meinen Glückwunsch zu einem so unerhört schönen Besitz mußte ich dreimal wiederholen, ehe Blaise ihn verstand. Der Ärmste lächelte trübe. Wieder einmal eine Kostbarkeit der Erde in die falsche Hand ausgeteilt, dachte ich mir.

Die Nacht fiel rasch ein, und nun, fast mitten im rasenden Brodeln und Getos, umzischt vom unteren Sprühregen des Gischts und dem obern des schweren Gewölks, rollten wir über die Bohlen der Kettenbrücke, ins Dunkel eines spitzüberwölbten Torgangs und in einen mehreckigen Hof haushoher, düsterbrauner Mauern und Turmausbuchtungen, unregelmäßig bedeckt mit Fensterscharten, blinden, grauen Augen, durch deren höher gelegene ich den gespenstischen Himmel jagen sah.

Vortrefflich war es nun drinnen, nachdem wir durch ein kleines Portal über drei Stufen eingetreten waren, ich mit meinem kleinen Li auf dem Arm, der fest schlief. Hier herrschte völlige Finsternis. Diener in brauner Livree kamen und gingen mit silbernen Leuchtern, deren fliehender Schein undeutlich die Formen einer Halle mit abzweigenden Gängen sichtbar werden ließ, die unendlich schienen und in deren Schwärze die Lichter sich verloren. Die Ausmessungen des Gebäudes mußten gewaltig sein, und meine Unkenntnis erhöhte naturgemäß diesen Anschein des Riesenhaften und Mystischen. Wir gingen, und ich sah Leuchter und ihre Träger mehrmals in unermeßlich scheinender Ferne im schwarzen Unsichtbaren auftauchen und schwinden; andere schwebten plötzlich in der Höhe, und dort wurden dann Treppenstufen, ein gebogenes Wandstück, ein schwarzes Fensterloch sichtbar. Wir selber erstiegen eine breite Treppe, und ich fand mich am Ende einer Halle von unerhörten Maßen in Höhe und vor allem in der Länge, einem Hallengang, einem Doppelschiff von zwei Kirchen hintereinander, an dessen Nachtboden wie in einem zimmerhohen Pelz von schwarzem Gewölk die Kerzenflammen hinglitten. Doch gewahrte ich auf ein schweigsames Anrühren und Armheben meines Gastfreundes in großer Höhe über mir zur Linken riesige Bogenfenster, durch die noch bleiche Streifen von Abendhelle und windige Kälte niederfielen. Diese Fenster, sagte er, befänden sich an der Innenseite einer dort oben gelegenen Galerie, die mit gleichen Fensteröffnungen auf das Meer hinaus liege. Unter ihr – er wies mir die Türen – befänden sich die Zimmer, die er und seine Mutter bewohnten. Die Wand aber zur Rechten, das sah ich jetzt, war zu großen Teilen und bis zu unkenntlicher Höhe hinauf mit Bildern bedeckt, einem dunklen Gewirr von erloschenen Farben, blassen Gesichtern und Umrahmungen aus Streifen Nacht – ein wunderlicher Anblick in Anbetracht dessen, daß Bilder gemeinhin zum Gesehenwerden da sind, während diese hier wie zerflederte Nachtfalter im Pelz der Finsternisse hingen.

Selten im Leben – und niemals im Anblick himmelhohen Gebirgs – bin ich mir so klein vorgekommen wie auf diesem Wege durch das Nachtdickicht bis zu der Tür, schräg am Ende des Hallenganges, die sich für mich öffnete. Mich empfing blendend kalte Abendhelle zugleich mit dem wüsten Aufbrüllen des im Innern gedämpften Meereslärms. Das mächtig weite Turmzimmer öffnete sich mit drei sicherlich dreißig Fuß hohen Erkern bleichweißer Bleiverglasung gegen die Leere der See, allein die untern Teile der Fenster bestanden aus klaren Scheiben, und in ihnen wälzte sich die ganze düstergraue, schaumüberdeckte Unendlichkeit der jählings nahe gerückten See heran, als wollte sie geradewegs ins Zimmer stürmen.

Blaise ging mit dem Bemerken, sein Schlafzimmer liege neben dem meinen, sei allerdings nur von der Halle aus zu betreten. – Ich legte den standhaft schlafenden Li auf den Teppich, schnallte meinen Koffer auf und begann mich zu waschen und umzukleiden.

In der Tat, wenn du – sagte ich zu mir – jemals Ursache gehabt hast, die Unrührbarkeit deines Herzens zu bewähren und – zu beklagen, so dürfte hier wiederum eine Gelegenheit dazu gekommen sein. Die Breite und Höhe der Erkerfenster machte den sechseckigen Raum – die Entfernung der gegenüberliegenden Ecken maß ich mit fünfzehn Schritten – zu einem luftigen Käfig, mitten hineingehängt in den Teufelstumult des Gewässers und heulend vor Schmerz in allen Nähten. Ich öffnete das mittlere Fenster, bog mich hinaus und gerade hinein in das kolossalische Anwanken der steingrauen Wassergebirge, die sich in leidenschaftlicher Wut übertürmten, überflogen und zu mir hereinzuschlagen drohten – dann freilich tief unter mir als talwärts jagende Gletscher und Ströme donnernd hinabsausten. Dreißig Fuß unter mir endete das Mauerwerk des Turms, in dem ich mich befand, und begann der moorbraune, schwammartig und zerfressen aussehende Fels, der hinunterschoß in den gelben Krater von emporbrodelndem Gischt. Der ganze Turm war zersetzt, war durchtränkt mit einem feinen Zittern, das in Wahrheit jahrhundertealtes Verzweiflungsgeheul war und sich jetzt meinen Nerven, meinem ganzen Gliederbau mitteilte, so daß ich sauste. Tiefer mich beugend, umspritzt, umdonnert, ließ ich mich aus ins trunkene Hinabstarren, in die gneisgraue Gebirgswelt von Flut, die mit dem Gewank und Getaumel fabelhafter Erdbeben dahergerast kam und in wetterndem Geroll nach allen Seiten hin sich gegenseitig zermalmte, zerwalkte und zerschmetterte, bis ich mich hinschwinden fühlte in die Opiumwonne des Schwindels, hinuntergezogen mit ganzem Wipfel des lüstern nachgebenden Nervenbaums; bis meine Augen sich schlossen und ich niederhängend, in Wiederkehr von Minute zu Minute, die volle balsamische Lust des Stürzens, des Abgrunds, des Verlorenseins eintrank mit ganzem Leib, hinter den dünnen Liderhäuten gewaltiger das giganteske Radschlagen losgelassener Gebirgsketten, das –

Leider veranlaßte eine Berührung am Ellbogen mich, die Augen zu öffnen; ich erkannte im Dunkeln das bleiche Gesicht und die entsetzten Augen von Blaise, der mir etwas Ähnliches wie einen bekannten Heineschen Vers zuschrie – worauf er mich veranlaßte, ihm zur Abendmahlzeit zu folgen.

 

4

Landschaft, Kastell und sein Inneres

Aus dem Tagebuch, Fortsetzung Hier erwachte ich, meldete mich bei Herrn Baron und wurde ans Pult gesetzt, um zu schreiben, während er diktierte. Li.

Wir betraten die Hallennacht wieder, wo zwei Diener mit Leuchtern uns erwarteten. Diese Leuchter verdienen eine Beschreibung, zumal ich nur die eine Form – aber bereits zu Hunderten, wie mir scheint – im Hause gesehen habe. Sie bestehen aus altem, vom Alter schon blindem und geschwärztem Silber in Form einer etwas überlebensgroßen Wolfspranke, über deren Gelenk waagerecht ein einfacher, gut spannenlanger Silberbalken von etwa zweizölliger Dicke angebracht ist; die blaßgelben, stark riechenden Wachskerzen – stets nur drei – an den Enden und in der Mitte dieses Balkens.

Beim Eintreten in den Speisesaal standen mir sechs Riesen von Fenstern gegenüber, in denen die letzte Dämmerung des Tages bleich aufgerichtet, kalt und geisterhaft stand. In der Mitte war ein roter Dunsthügel von Licht mit leuchtendem Kern von Kerzenflammen, die in der Mitte eines kreisrunden Tisches von gewaltiger Größe standen; das schwere Silbergeschirr, Kristall und Karaffen, das Weiß der Teller und des Tischtuches blitzte oder schimmerte rötlich in dem warmen Lichternebel. Zur Linken und Rechten am Tisch standen zwei Damen, eine ältere in Violett, eine jüngere in Blaßgelb, beide schwer mit Pelzen behängt. Das Gesicht der Älteren wandte sich, als ich auf sie zuging, zuerst in der mir gewohnten, kaum verhohlenen Überraschtheit zu mir empor, worauf ein Ausdruck von Hilflosigkeit und Flehen aufflatterte, dem ich nicht ansehen konnte, ob er nur augenblicklich war oder ständig. Schöne, schwarze Augen saßen wie edle Steine in der alt gewordenen, einst aber sehr zierlich gearbeiteten Fassung der Züge; nur die stumpfe Schwere des Kinns störte ein wenig, aber – fast wie die Putten Raffaels sich aufgestützt über den schweren Rahmen des Bildes oder den Sims einer Wolke neigen – so neigte sich deutlich das unvergangene Lächeln eines Engels im Obergesicht aus der milden Verschleierung des Alters.

Zu der Jüngeren hinübergehend, fand ich mich vor denselben Augen, aber so starr angeblickt, daß mich hätte frieren können, wenn ichs nicht schon tat (diese Engländer haben eine Lust am Frieren!), und auch die Züge waren von sonderbarer Ähnlichkeit – das gleiche Kinn –, jedoch ...

Was ich im ersten Augenblick unvollkommen wahrnahm, hatte ich Muße genug zu betrachten während der schweigsamen Mahlzeit. Wir vier saßen so weit voneinander entfernt, als sollte auch die letzte Möglichkeit der Verständigung abgeschnitten werden, und wahrhaftig, das Untier draußen fuhr fort, mit solcher Vehemenz und der Gewalt von zehntausend Kirchenorgeln über uns hinwegzubrausen, daß ein Megaphon und der Stimmenaufwand eines Lotsen zur Unterhaltung nötig gewesen wären. Wir saßen wie Gescheiterte in der Höhle aller Stürme – wunderlich genug, daß wir uns nicht zusammendrängten, sondern die Manieren und Gebräuche der vornehmen Welt handhabten, zierlich mit Bestecken von Tellern aßen, aus schönen Gläsern tranken, lautlos dabei wie die wiedergekehrten Geister. Die sechs Fenster hatten sich bald in ebenso viele nachtschwarze Pfeiler oder riesenhafte Mohren verwandelt; im Glase des mittleren sah ich unsre rote Dunsthöhle samt Tisch und Gästen fern gespiegelt, dazu die hohen und steifen, wachsamen Lehnen unsrer Stühle hinter uns und die braunen Schatten lautlos heran- und fortgleitender Diener. Eigentümlich erschien mir, daß von den Leuchtern drei zu einem Dreieck zusammengestellt waren, die krallenbewehrten Füße nach außen gedreht: wir saßen so um den leuchtenden Kern eines brennenden Gottesauges mit Teufelswimpern. Ringsum gehäufte Pelze der Nacht. – Blaise mir gegenüber brachte die Augen nicht vom Teller hoch außer einmal, wo er mir zutrank. Auch seine Mutter wagte selten einmal einen hilflosen Blick ins Unbestimmte. Natura zu meiner Rechten blickte allein unwandelbar geradeaus, kaum essend, meistens die Fingerknöchel der linken Hand in der Nähe des Ohres angestützt. Ihr Gesicht war außerordentlich bleich, blutleer, ohne doch weiß zu sein; vielmehr glich sein blasses Gelb auf unangenehme Weise der blaßgelben Farbe ihres Kleides. Die obere Hälfte ihres Gesichts war auch bei ihr reizvoll, Stirn, Nase, die Schläfen im blaßgelben Haar; auch das Paar der Augen trotz mehrfach gebrochener Brauenbögen – blaßblond wie ihr Haar – und des unregelmäßigen Schnittes der Lider, der etwas zu eng gemacht schien, was die glatte Schwärze der Augensteine noch verhärtete. Dann aber das schwere und stumpfe Kinn, dem die Einbuchtung unter dem Munde fehlte, und der Mund selber war undeutlich, blaß scharlachfarben; die Lippen lagen zu einem einzigen verwischten Streifen zusammengepreßt aufeinander. Sie trug keinen Ausdruck zur Schau, aber das Ganze war, vor allem dieser Mund war – böse. Fußkissen des Satans, dachte ich – hoffend, ihn einmal zu sehn.

Dennoch, da ich so weit entfernt im rechten Winkel zu ihr saß, konnte ich bemerken, daß der Blick dieser Augen, deren kaltes und glattes Schwarz aus dem der Bogenfenster, der Nacht, der Teufelswelt draußen herausgeschnitten schien, doch nicht bewegungslos geradeaus eingestellt war, daß er sich vielmehr nicht selten zu Blaise hinüberbewegte, um lange Sekunden auf sein gesenktes Gesicht einzustechen, wobei der Mund nicht eben lieblicher wurde. Nun, ich selber hätte Blaise auch nicht geheiratet. Übrigens ging mich das nichts an, und zudem spürte ich nun, daß die Betäubung meiner Sinne durch das unablässige Gelärm der See sich langsam zu einer kalten Art von Schläfrigkeit verdichtete, die meinen Kopf vornüber sinken und meine Lider zittern und brennen machte. Dann flatterten meine Hände plötzlich; dann mußte ich einen Gähnkrampf unterdrücken. Aber wenn ich Schlafverlangen zu spüren meinte, so war das in Wirklichkeit nur Verlangen nach dem endlichen Aufhören des abscheulichen oder grandiosen Getöses und Gerüttels an meinen Nerven.

Kurz, wir saßen da allesamt beim langsamen Garwerden in des Teufels Küche.

In diesem Zustand fiel mir noch plötzlich die Farbe des Weins auf, indem ich, sein funkelndes blutiges Rot in den Karaffen und Gläsern fleckig vor Augen, dachte: Sieh da, endlich wieder einmal eine Farbe! So wenig war mir, nach all dem Grau des Himmels, dem Schwarz der Heide, Braun der Felsen, des Schlosses, der Täfelungen und sogar der Livreen, selbst das blasse Gelb des Pferdes und dies hier der bleichen Natura und das dunkle Violett der Mutter noch als Farbe erschienen. Der Wein aber hatte die Farbe des Blutes, und – hoffentlich haben wir, dachte ich, doch allesamt dergleichen in unsern frostigen Adern, worauf ich nicht versäumte, fleißig aufzufüllen und nachzuwärmen.

Als aber dann Blaises Mutter die Tafel aufhob, hielt ich es für besser, mich für diesen Abend zu beurlauben, verabschiedete mich auch von Blaise und riß, kaum wieder in meinem Zimmer angelangt, ein Fenster auf, um aus Leibeskräften in den mir entgegenkrachenden Donner hineinzubrüllen; jedoch – was mir da aus einem Abgrund oder Grabe schwächlich und verloren als meine eigne Stimme heraufbellte, das war kein Trost. Schauerlich genug überdies war der Anblick der nächtlichen See, die so schwarz war wie Pech. Ein Wimpernzucken lang erschien das bleiche Rund eines Vollmondes ganz verirrt und erschrocken im Chaos des Himmels und fuhr zurück vorm Anblick der rasenden Gespenstertänze des weißen Wogenschaums, der die höllische Ebene überdeckte.

Nun entdeckte ich das Feuer im Kamin, das unruhig zuckte und nicht mochte, und warf mich in einen Sessel davor. Auf dem breiten Sims waren – wie auf dem Speisetisch – drei Leuchter zum brennenden Auge zusammengestellt – es schien so Sitte im Haus zu sein. Der Raum enthielt noch ein großes, schrankartiges Mahagonischreibbüro, mehrere Sessel an den Wänden und eines der zweischläfrigen englischen Betten mit Baldachin und Vorhängen. Nebenan hatte ich ein küchenartiges Gewölbe gefunden, in dem eine Badewanne mit eisernem Ofen und hinter einem Wandschirm ein Bett für Li standen.

Was war dann noch? – Blaise erschien noch einmal, um sich von meinem Wohlbefinden zu überzeugen als guter Wirt. Auf meine Frage, in bezug auf die See, ob das hier immer so sei, ergriff er plötzlich meine Hände, preßte sie und fragte mich eindringlich, ob ich auch bereue, gekommen zu sein. Dann, da ich kräftig verneinte – es war ja toll, aber bezaubernd –, äußerte er mit verlegenem Lächeln irgend etwas auf meine Pariser Unerschrockenheit Bezügliches und hoffte inständig, ich würde hier keine Gelegenheit finden, um sie brauchen zu müssen. Dies, Li, scheint uns verdächtig. Gleichsam zurücknehmend, bemerkte er zu guter Letzt, er habe mich eigentlich deswegen so dringlich eingeladen, weil das Ganze hier doch wohl sehenswert sei und andrerseits er und seine Mutter ziemlich entschlossen seien, in Bälde wieder davonzugehn. Ja, eigentlich hielten ihn nur die Bilder. Er freute sich und forderte mich zur Mitfreude auf für morgen.

Was weiter? Gedankenlos das Schreibbüro öffnend, fiel mir ein, ins Tagebuch zu schreiben, und ich tat dies, bis meine Finger dermaßen ins Zittern gerieten, daß ich aufhören mußte. Nun bin ich hoffentlich müde genug, um schlafen zu können.

 

5

Nacht, Grauen und die erste Erscheinung

Zu meiner nicht geringen Verwunderung entdeckte ich, Li, der dies schreibt, bei der Durchsicht des Tagebuches, daß über die Ereignisse der nun folgenden Nacht nichts darin verzeichnet stand. Freilich, wenn ich nun das nachträgliche Wissen, das mir späterhin und auch jetzt alles in andrer Beleuchtung erscheinen läßt, abziehe, so ist es wieder begreiflich, daß meinem gnädigen Herrn diese Vorgänge in ihrer – Unbestimmtheit für die erste Zeit nachher des Aufzeichnens nicht wert schienen, und für Vergangenes habe ich ihn niemals auch nur die geringste Teilnahme aufbringen sehen, so daß aus diesem Grunde spätere Aufzeichnungen unterblieben. Ich muß nun versuchen, aus meiner Erinnerung ein möglichst getreues Bild der Nacht zu entwerfen.

Mein gnädiger Herr wünschte sich zur Ruhe zu legen; ich war ihm beim Auskleiden behilflich, schob auf seinen Wunsch noch die Bettvorhänge an den Seiten und am Fußende zu den Säulen zusammen, löschte dann die Lichter bis auf einen Leuchter, bei dessen Schein ich im Nebenraum meinerseits mich zur Ruhe legte. Die Türe zwischen beiden Räumen ließ ich gewohnheitsgemäß halb offenstehn.

Trotzdem, und soviel Sicherheit wie stets von der unfernen Gegenwart meines gnädigen Herrn ausging, ergriff mich alsbald ein großes und schweres Gefühl der Verlassenheit. War es eine Ahnung des Drohenden? War es das grausige Gebrüll des Meeres, die Erschütterung des Anpralles der ungeheuren Brandung gegen die Felsen? War es der Umstand, daß dies Getöse mir das Gefühl erweckte, nichts hören zu können, taub zu sein gegen alles? Was es auch war, ich lag ruhelos, immer mehr wurde Furchtsamkeit meiner Herr, die alten Gedanken kamen wieder, und sosehr ich mich ausschalt, mir die eigenen Worte meines gnädigen Herrn vorhielt, daß, wenn es denn Geister gebe, die sich sehen ließen, sie sich auch angreifen und mit sich handeln lassen müßten, half dies doch wenig, denn der Anblick eines Geistes ist allein entsetzlich genug, und, wie ich schon sagte: wer konnte sie kommen hören? ja, wer mich rufen hören, wenn ich rief? Und noch eins war schaudervoll.

In der Höhe der Wand über meinem Bett befand sich statt eines richtigen Fensters nur ein großer Ausschnitt in der Form eines Kreuzes; ich habe ähnliche später auch in andern Teilen des Schlosses bemerkt. Da nun völlige Finsternis herrschte, ich auch dieses Kreuzes, solange ich Licht brennen hatte, nicht weiter achtete, so kann man sich mein Entsetzen denken, als ich plötzlich Licht im Raum und auf der Wand gegenüber die mächtige, bleiche Gestalt eines plumpen Kreuzes erscheinen sah, die im Nu wieder erlosch. Ganz wie die eines Geistes war die Erscheinung gewesen. Und schon wollte ich aus dem Bett springen, als mir zum Glück doch einfiel, daß draußen hinter dem Kreuz ja kein Gemach, sondern die Nacht, und daß wahrscheinlich der Mond dort aufgegangen war. So wartete ich denn mit Ängsten und doch mit Hoffnung auf die Wiederkehr der Erscheinung; und sie kam: ich sah, es war Mond, und dankbar erinnerte ich mich des schönen chinesischen Liedes unseres großen Dichters Li-tai-pe: von dem, der, in fremder Herberge bei Nacht erwachend, einen bleichen Streif vor seinem Bett liegen sieht, erst denkt, es ist der Rauhreif, was so glänzt, dann aber –

Ich hob das Haupt: im Fenster großer Mond!
Mir sank das Haupt: ich sah mein Heimatland.

Schon fühlte ich mich getröstet und meinte schlafen zu können, als mich mit einem Schlage ein wildes Zittern und Herzklopfen überfiel, dessen Ursache mir noch bis auf den heutigen Tag unerklärlich geblieben ist. Ich weiß nur, daß ich lag, beide Hände zu meinen Seiten in das Bettuch verkrampft, in Schauern erbebend, und sah wieder und wieder den weißen Kreuzschein auf der Wand auffliegen und erlöschen, manchmal nur wie ein Wehen, manchmal länger und sehr hell. Einmal ertrug ich es nicht mehr, stand auf und schlich bis zur Tür. Mit meinen ohnehin scharfen, an die Dunkelheit längst gewöhnten Augen sah ich meinen gnädigen Herrn deutlich im Bett liegen, das nur mit dem Kopfende die Wand berührte. Auch er schlief nicht; ich sah die Ellenbogen zu beiden Seiten seines Kopfes emporstehn: er hatte die Hände darunter gefaltet, und in solcher Haltung schläft kein Mensch. (Davon abgesehen, daß mein Herr die Gewohnheit hat, sitzend zu schlafen.) Lange stand ich so, froh des Anblicks, aber kaum hatte ich mich gelegt, so war alles wieder da, das Zittern, das Herzklopfen und die Angst, die furchtbare Angst. Und jetzt –

O mein Gott, es stöhnte jemand in der Nacht! Lang hingezogen, unsäglich qualvoll stöhnte eine menschliche Kehle, tief und todesbrünstig, stöhnte und starb langsam, langsam hin in einem schaurigen Röcheln.

Ach, ich verging ja vor Angst und Grauen! Von wem anders konnte das Stöhnen kommen als von meinem Herrn? Und doch half mir, so entsetzlich es war, dieser Gedanke zur Besinnung, und schon war ich aufgesprungen und in der Tür.

Nein, Gott sei gelobt, mein gnädiger Herr saß aufrecht im Bett und sah mich an. Was er sagte, konnte ich nicht verstehn, ich lief hin zu ihm, und nun hörte ich seine Stimme, die, wie immer, ein wenig spöttisch fragte, was mir denn sei? – Ja, ob er denn nichts gehört habe? – »Doch«, sagte er, »freilich, jemand stöhnte.« Was aber das ihn angehe, fragte er. Aber eine Weile darauf sagte er doch:

»Immerhin: man muß überlegen, Li. Erstens: Stöhnen ist niemals schön. Stöhnen ist noch viel weniger schön bei Nacht, und am wenigsten, wenn man nicht weiß, woher es kam. Besinne dich, Li, und sage mir genau: Woher kam das Stöhnen?«

Ich versetzte, daß ich zwar zuerst geglaubt hätte, es sei von ihm selber hergekommen, daß es mir aber nun vielmehr scheinen wolle, als wäre es in der Tiefe gewesen. »Oh, Herr«, sagte ich, »es ist jemand umgebracht worden!« –

»Li«, erwiderte er jetzt, »dein Geist ist nicht größer als du selber. Sage mir: Wenn es ein umgebrachter Mensch gewesen ist, der da in einem Raum unter unsern Füßen geröchelt hat: wie war es möglich, daß wir es hörten, bei dem Getöse? Laß uns warten, Li, vielleicht bekommen wir noch etwas zu sehn nach dem Hören.«

Alle guten Geister, mir zitterten die Knie. Und ach, es dauerte nicht lange – ich stand jetzt neben dem Kopfende von meines Herrn Bett, wie er selber ins Zimmer gewandt, und rechts von uns war die Tür –, da – da kam es!

Nämlich am Boden. Etwas Weißes. Am dunklen Boden, von der Tür her, huschte etwas Weißes. Wars wieder Mond? Ein Vogel? Nein, es waren zwei weiße Füße. Menschliche Füße waren es; durch die geschlossene Tür kamen sie herein, zwei kleine, weiße, menschliche, weibliche Füße.

Und nun standen sie, so wie Menschenfüße stehn, die im Gehen anhalten. Und nun bewegten sie sich vorwärts, sie gingen, großer Gott, sie kamen auf uns zu, die Zehen, sie bewegten sich, die Gelenke – und darüber – darüber hörte es auf; war nichts!

Im selben Augenblick blitzte eine Flamme auf, das Zimmer erschien taghell – da saß mein gnädiger Herr in seiner furchtbaren Unerschrockenheit, drei, vier hell brennende Streichhölzer in der Hand, und leuchtete nach der Erscheinung. Aber die war fort. Langsam, eins nach dem andern, erloschen die Feuer, und sieh! da! da waren die grauenvollen Füße wieder, abgewandt, sie gingen zur Tür, schwanden, wie sie gekommen, durch die geschlossene Tür.

Lange Zeit verging. Ich hörte meinen gnädigen Herrn seufzen, und dann – ich vergaß es nicht! – fühlte ich mich an der Hand von ihm ergriffen, und er zog die meine zu seiner Brust, legte sie darauf und sagte: »Horch!«

Und da – ach, wie schaurig war auch dies! – spürte ich die Schläge seines gewaltigen Herzens, die langsam gingen, unerträglich langsam und stark, jedoch gleichmäßig, ein Schlag genau in gleichem Maß nach dem andern, und mein gnädiger Herr, er seufzte wieder, ließ meine Hand fahren und sagte:

»Wie immer.« –

»Geh schlafen, Li«, sagte er dann, legte sich zurück und auf die andere Seite.

Ich aber, was konnte ich gegen meine Furchtsamkeit? Wenn die Natur meines gnädigen Herrn wollte, daß er sich nicht fürchtete, so wollte die meine das Gegenteil, und er würde auch nichts dagegen haben tun können, wenn er ich gewesen wäre. Also holte ich mir eine Decke und ein Kissen und legte mich nieder zu Füßen meines guten, unerschrockenen Herrn, vor seinem Bett, wo ich alsdann – wie wunderbar – entschlummerte und erst erwachte, als es heller Tag war, worauf ich, da mein gnädiger Herr fest schlief, in mein eigenes Zimmer ging und fand, daß sieben Uhr vorüber war. Auch erschien ein Bediensteter des Hauses, der im Badeofen Feuer machte und dem ich behilflich war, das Morgenbad für meinen gnädigen Herrn zu bereiten.

 

Frühstück, Gemälde und anderes

Ich, Li, fahre fort:

Sowohl über den Verlauf dieses Tages wie über manches andre, das späterhin eine Rolle in diesem Bericht spielen wird, findet sich im Tagebuch keine Aufzeichnung. Da aber für das Verständnis eines Fremden diese Dinge, wie mir scheint, unerläßlich zu wissen sind, so bitte ich um Erlaubnis, weiter fortfahren zu dürfen.

»Li«, sagte mein gnädiger Herr, als er am Morgen nach dieser Nacht beim Frühstück saß, während ich neben ihm kniete, um das Feuer im Kamin anzufachen, »Li, hörst du die See?«

In der Tat, die See war still. Nun, freilich nicht, was man still nennt in einem Hafen, wenn der Landwind weht, nicht still wie ein Baum oder ein Mensch, aber sie brauste nur, und wir hörten die Wiederkehr im starken und schwachen, nahen und entfernten Aufrauschen der Brandung.

»Li«, sagte mein gnädiger Herr nach einer Weile wieder, »wir hatten ein Nachtgesicht. Ein Nachtgesicht wie das unsre für einen Traum zu halten, das scheint nur natürlich angesichts der vielerlei nahrhaften und gesunden Dinge, die da als englisches Frühstück vor uns versammelt sind. Trotzdem wollen wir in Erfahrung bringen, ob Herr Blaise vielleicht ähnlich geträumt hat wie wir.«

Als nun Herr Blaise bald darauf ins Zimmer trat, so erwiderte auf dessen Frage nach seinem Nachtschlaf mein gnädiger Herr: »Ausgezeichnet – bis auf die Füße.«

Nun aber siehe da, der Herr Blaise verstand diese Worte ganz und gar nicht und fragte mitleidig, ob mein Herr Baron an Frost in den Füßen litte und ob trotz seiner Mahnung die Wärmflasche vergessen worden sei. (Ich hatte aber dieselbe am Abend zuvor sorgfältig aus dem Fußende von meines Herrn Bette entfernen müssen, wie immer, wenn wir uns in England aufhielten, »denn«, pflegte mein Herr Baron zu sagen, »nur ein so körperloses Wesen wie der Engländer bringt es fertig, sich beim Besteigen seines Bettes das widerwärtige Gefühl erregen zu lassen, es habe eben jemand darin gelegen – ein Gefühl, das nicht einmal der Gedanke an die Geliebte ins Süße oder nur Angenehme verkehren könnte!«)

Ein Weile später, mitten in das Geplauder der Herren hinein, fragte mein Herr Baron dann in beiläufigem Ton, ob möglicherweise jemand umgebracht sei während der Nacht. Diesmal sah ich Herrn Blaise deutlich zusammenzucken, und: »Wieso?« erwiderte er, ob Herr von Montfort etwas gehört habe? – »Ja«, war die Antwort, »es stöhnte.«

»Oh«, sagte nun der Herr Blaise bekümmert, meinem gnädigen Herrn, der eben seine erste Zigarre anzündete, die Hand auf die Schulter legend, »hat es Sie sehr erschreckt?« – Worauf er fortfuhr, einiges von Vollmondnächten zu stammeln, in denen tatsächlich im ganzen Hause dieses Stöhnen hörbar werde, oder nicht im ganzen Hause, in einem bestimmten Teil. Weiter wußte er freilich selber nichts; nicht, welcher Art es sei, noch woher es komme. Mein Herr Baron beruhigte ihn denn, und sie kamen in gegenseitiger Höflichkeit überein, es für ein akustisches Phänomen zu halten, worauf sie das Zimmer verließen.

Nun hielt ich die Zeit für gekommen, mich nach meinem eigenen Frühstück umzusehn; ich war noch kaum damit fertig, als ein Bediensteter des Hauses mich zu meinem gnädigen Herrn berief, der in der großen Halle sei.

Ich muß hier einflechten, daß mein Herr Baron niemals eine Gelegenheit vorübergehen ließ, für meine geistige und seelische Bildung zu sorgen. Er liebte es, mir Bücher zu lesen zu geben, über ihren Inhalt mit mir zu plaudern, und ich darf sagen, daß er meine Meinungen immer mit Achtung anhörte und mich bestärkte, ganz so zu empfinden, wie eine untrügliche innere Stimme mir vorschrieb. Desgleichen machte er mich auf die Vorzüge einer Landschaft immer aufmerksam; desgleichen nahm er mich auch in die Galerien und andere Sehenswürdigkeiten mit, die er besuchte, wobei er sich dann auch meines vorzüglich ausgebildeten Gedächtnisses bediente, um zu wissen, in welcher Galerie etwa er dies oder jenes Bild von diesem oder jenem Meister gesehn habe. Auch heute ließ er mich aus keinem andern Grunde kommen, als um seine Freude an der Gemäldesammlung des Herrn Blaise mich teilen zu lassen.

Da ich von meinem Zimmer aus über eine Hintertreppe in die Gesindestube gelangt war, so sah ich jetzt zum erstenmal die gewaltige Halle, deren Schilderung ich im Tagebuch nachgelesen hatte. Sie bot einen seltsamen Anblick. Die Finsternis darin war in der oberen Hälfte erhellt von den breiten Streifen des kalten, grauen Tageslichts, das durch die riesenhaften Fensterhöhlen einfiel; die untere Hälfte dagegen war von einem ebensolchen rötlichen Lichterdunst erfüllt, wie mein Herr ihn bei der Schilderung des Speisesaales im Tagebuch beschrieben hatte, und zwar standen eine Unzahl von Leuchtern auf einer Menge von Tischen, die in großen Abständen voneinander durch das ganze Hallenschiff hin aufgestellt waren. Und immer standen, wie auch mein gnädiger Herr bemerkt, drei Leuchter im Dreieck zusammen an jedem Ende jedes Tisches. Ganz hinten in der Ferne gewahrte ich die Gestalten meines Herrn und des Herrn Blaise, klein durch die Entfernung und auch durch die Riesigkeit des Raums. Trotz des trüben roten Nebels aber, mit dem die von so feuchter Luft genährten Kerzen die Halle erfüllten, war es gar nicht hell, sondern der Eindruck der Finsternis herrschte vor und preßte unheimlich auf die Sinne. Immerhin waren an der Innenseite die Hunderte von Bildnissen sichtbar, die wie riesige Teppiche, matt in Farben schillernd, herniederhingen. Ein paar lange Leitern sah ich noch, als ich in die Nähe der Herren gelangt war. Dann erinnere ich mich noch gut, daß mein Herr Baron, sobald er meiner gewahr wurde, mich fragte, wie ich das Ganze fände, worauf ich, entzückt über die Güte seines Wesens, zur Antwort gab, es sei alles so düster und wirkungsvoll wie ein Gemälde von Goya, und ich deutete auf die Schatten einiger Lakaien, die sich in der Ferne hin und her bewegten und für gleichmäßiges Abbrennen der stark tropfenden Lichte zu sorgen hatten.

Der Vormittag verging uns wie eine kleine Stunde im Betrachten, doch wird niemand Vergnügen an einer nüchternen Aufzählung der noch so erlauchten Namen finden, die sich in dieser Galerie zusammenfanden, womit die Maler gemeint seien; und was die Familie des Herrn Blaise betraf, so gab es neben manchem schönen oder geistvollen oder abschreckenden oder grotesken Antlitz darunter so viele rohe, törichte, armselige, derbe, wie sie sich in einem Raum von Jahrhunderten in jeder Familie zusammenfinden mögen. Da aber ein jedes Antlitz – von den malerischen Reizen abgesehen – durch irgendeinen, auf Leben und Schicksal hindeutenden Zug das Auge fesselte, so war jedes eine zwiefache Hieroglyphe oder Scharade auch für den Betrachter, und wenn für meinen Herrn Baron wie auch für mich das Herumraten am Lebensgehalt, angeregt durch seltsame Namen, Wappensprüche oder andere Inschriften, die zu entziffern waren, mehr Vergnügen enthielt, so erglühte der Herr Blaise, der Historiker, im Enträtseln der nicht immer in lesbaren Lettern und Sigeln gegebenen künstlerischen Handschrift. Ich erinnere mich noch gut, daß einmal ein Mor, einmal ein Bronzino, einmal ein Metsu ihm schweres Kopfzerbrechen verursachte, ob die Handschrift wirklich die des Meisters sei oder eines aus seiner Schule.

Auch am Nachmittag ließ mein gnädiger Herr mir die Güte angedeihn, mich zu holen, denn nun sollte das ganze Gebäude in Augenschein genommen werden, und hierzu war ich gewissermaßen notwendig, um unter Umständen meinem gnädigen Herrn als Führer dienen zu können in dem Labyrinth. Ich glaube, daß eine ausgedehnte Beschreibung kaum Kurzweil erregen dürfte, und will deshalb nur so viel sagen:

Das Kastell war ein unregelmäßiges Fünfeck, dessen zwei längste Seiten auf der Seeseite lagen und in einem flachen Winkel zusammenstießen; auf jeder dieser drei Ecken stand ein gewaltiger Rundturm, dessen äußerster also nach Osten und in dessen südlichem das Zimmer meines gnädigen Herrn lag. Abgesehen nun von der riesigen Halle in diesem Langbau und den großen Wohnräumen daneben, war alles übrige das vollkommenste Labyrinth von Gängen, Kammern, Treppen, Sälen, Galerien, Wendelstiegen, plötzlichen Stufen, Sackgassen und Treppenschächten, das sich nur denken läßt, zumal die Wirrnis absichtlich noch dadurch erhöht worden war, daß immer Stücke der ganzen Anlage sich wiederholten oder doch zu wiederholen schienen infolge des Aussehens von Türen, Fenstern, Wandverkleidungen und dergleichen, und es gab einen geheimen Schlüssel, der Hausgästen allerdings verraten wurde, um sich zurechtzufinden. Wie Herr Blaise uns mitteilte, hatte die ganze Anlage den Grund, im Falle einer Eroberung der Burg noch im Innern Gefechte liefern, dem Gegner sich entziehen, ihn überlisten zu können. In der Bilderhalle waren noch die jetzt mit Steinpfropfen ausgefüllten Löcher zu sehn, in denen früher die Tischpfähle gesteckt hatten, als ganze Clane mit Sackpfeifern und Barden dort getafelt hatten.

Und noch gab es ein erstaunliches Schauspiel, als wir die über den Wohnräumen gelegene Galerie betraten. Über hundert Schritte lang und mehr als zwanzig Schritte breit, öffnete sie sich mit zehn fünfzehn Fuß breiten und gewiß dreißig Fuß hohen Fensterhöhlen auf die See. Die Clane hatten hier wohl im Sommer ihre Bankette abgehalten. Jetzt war sie mit einem wahrhaft entsetzlichen Getümmel von Seevögeln aller Arten erfüllt, die in unablässigem Ein- und Ausfliegen mit Flügeln und Schnäbeln einen so ohrenbetäubenden Spektakel machten, daß wir ihn an stilleren Tagen sogar im Innern des Kastells wahrnehmen konnten. Die ganze lange Fläche der Innenwand und ihre Fensternischen waren beklebt mit unzählbaren Nestern der Seeschwalbe, der Boden mit den Brutstätten und dem beizenden Mist vieler Möwenarten bedeckt, unter der Decke hing ein scheußliches Gewimmel von tropfenden Nestern und den flatternden Leibern der Dohlen, Krähen und Schwalben, und all diese tosten, kreischten, krächzten und flatterten in unablässigem Fallen und Steigen, bis bei unserm Erscheinen die ganze Teufelswolke in einem Hui und gewaltigem Brausen auf und davon durch die Fenster stürzte, und nur drei oder vier von den größten, den schönen grauweißen Möwen, strichen in langen Fahrten unter der Wölbung dahin oder übten sich in geschickten Schlangenflügen zu den Fenstern herein und wieder hinaus, untereinander weg, mit blitzschnellen Wendungen sich ausweichend, im Bogen mit heftigen Flügelschlägen flatternd und sich umherwerfend und wieder von hinnen fahrend. Mein Herr beliebte es, mich durch die Äußerung zu erschrecken, dies seien alles Geister von Ertrunkenen. Ach, wenn alle Geister so leibhaft und greifbar erscheinen möchten wie diese, so ließe sich ja wohl mit ihnen umgehn; nur so schmutzig brauchten sie eben nicht zu sein.

 

7

Die tanzenden Füße

Aus dem Tagebuch

(Dies schrieb ich, Li, ja, ich hab es geschrieben, ich sehe meine eigene Schrift, ich weiß, ich höre noch die Stimme meines gnädigen Herrn: »Du hast dich wie ein Satan benommen in dieser Nacht, kleiner Li, zur Strafe sollst du es selber aufschreiben!« Und ich schrieb, aber noch heute weiß ich nicht, woher meine verdorrten Finger die Kraft sogen, um die Feder zu halten. Doch hatte mein Herr befohlen, und ich gehorchte.)

Und wieder ist es finster geworden, und die Nacht ist gekommen, hu, wie brüllte die See, wie rüttelte sie an den Grundfesten der alten Burg! Ich sah, auf meinem Bett mit fest geschlossenen Augen, die ekelhaften Geistervögel sich tummeln über den pechschwarzen Wassern, kleine bleiche Seelen mit glasigen Augen und einer winzigen grünen Lichtflamme statt des Herzens trugen sie auf dem Rücken, ich hörte sie hereinrauschen durchs Fenster, ihre lang sausenden Flügelschläge zischten über mir, oh, oh, welch eine Nacht für ein furchtsames Herz! Ich hatte kein Licht, niemand sagte mir die Stunde, ach, hätte ich mein Ohr legen dürfen auf das große Herz meines gnädigen Herrn und die Sekunden abzählen, mich hätte nicht so gebangt. Und Stunde um Stunde verging, ich konnte sie nicht halten, unabwendlich schritten sie hervor und davon, bis die letzte kam, die grausige Morgenstunde, und jählings, ach, die wilde Fanfare des Todes ihren furchtbar schmerzlichen Seufzer hauchte mitten durch die tobende Nacht.

Ach, warum vergrub ich nicht das Gesicht und ließ es vorübergehn, ungesehen? Ich konnte es nicht, weiß nicht warum, aber da stand ich in der Tür, da saß mein Herr angekleidet – ich erschrak vor seinem bleichen Gesicht – am Kamin, trotzig und fabelhaft, und wartete. Die Minuten, oh, die Minuten nun! Es rauschte in mir, die See rollte ihren meilenlangen Donner heran, aber dennoch – ja, wie war es nur möglich? – hörte ich, o Grauen im Grauen! das Herz meines Herrn langsam und vernehmlich sagen:

»Un – ver – brüch – lich –« Und dann, langsam und gemessen wieder: »Die – Se – kun – de – – – Un – ver –«

Da waren die Füße! An der Tür, am Boden! Sie gingen, sie kamen, sie standen! Nun zögerten sie, wandten sich wieder, schwanden.

Groß und düster stand der Schatten meines Herrn aufrecht und bewegte sich zur Tür. Ich mußte folgen, ich mußte. Todfinster, wie tief unter der Erde, lag die Halle. Und da waren die Füße! Weiß, ach, so grausam und so unschuldig doch, jeder wie eine kleine Taube, entfernten sie sich in das Schwarze hinein, und ich, der nichts mehr sah, ich hing mich mit dem Geruch an meinen Herrn, und so folgten wir.

Da mußte die Treppe sein. Hinunter vor uns glitten die kleinen bleichen Gespenster die Wendelstiegen, schimmernd, Stufe um Stufe, und nun – den Korridor hinab, weiter und weiter. Aber – was war das? Ein bleiches Scheinen, eine Gestalt – ein Mensch? Dort stand er, in der Finsternis, und dort, dicht neben ihm, schwanden die Füße ins Nichts. Ein Zündholz aber flammte auf, glühend im Feuerschein sah ich, wie eine braune Maske mit glühenden Augen, das Gesicht meines gnädigen Herrn; die aber dort lehnte, neben einer Tür an der Wand, war die Mutter des Herrn Blaise im weißen Nachtkleid. Zu ihren Füßen stand einer der seltsamen Leuchter mit der Teufelskralle. Mein Herr zündete ihn an. Ich sah die alte Lady beben; aber ganz gefaßt, die gramvollen Blicke auf die Flamme niedersenkend, sagte sie nur:

»Sie kommen wieder.« –

Da löschte mein Herr wieder das Licht.

Im Augenblick schon danach huschte es so dicht vor meinen Füßen hervor, daß ich vor Entsetzen zu vergehen meinte. So schnell aber kam es diesmal, daß wir den weißen Schein wie einen Lichtstreif in die Finsternis davonwirbeln sahen.

Ich weiß nicht, ob mein gnädiger Herr ihm nach wollte, aber ich hörte die Stimme der Lady wieder aus dem Dunkel, tonlos und gefaßt wie zuvor: »Sie kommen wieder ...«

Wir warteten lange. Ich hörte das dumpfe Branden der See, ich konnte die Atemzüge der armen alten Lady hören, das jagende Klopfen meines Herzens, nur nicht das unrührbare meines erhabenen Herrn.

Und wieder tauchten die Füße fern in der Finsternis auf und kamen näher, langsam diesmal, oh, wie langsam! Und wie sahen sie denn aus? Das waren die mondweißen Füße nicht mehr, sondern der eine war – schwarz vom Enkel ab, in zerfließenden Streifen, durch die das Weiße schimmerte, und schwarz waren am andern die Zehen, ein Streif lief schräg querüber. Schwarz? Nein, es war Rot, ein dunkles, schon geronnenes Rot! es war Blut!

Wie in Eis verwandelt, so stand ich da, und dicht vor mir waren die Füße, die blutigen Füße, und ach, wie sie dastanden, der rechte schwer aufgesetzt, der linke mit angehobener Ferse, da erhob sich deutlich aus ihnen, wesenlos und entsetzlich, wesenlos und doch sichtbar aus ihnen eine bleiche Gestalt mit einem Dolch.

Sie waren verschwunden.

»Sie kommen wieder«, sagte die Lady.

Rote Füße standen da. Scharlachen, leuchtend vom frischen Blut, sie dampften, und dann stoben sie auf und davon, wirbelten dahin und kamen wieder und jagten wieder davon. Nun blieben sie lange aus, und ich sah sie wohl, ich sah sie durch viele Gänge und Kammern in dem unseligen Labyrinth hin und wider rasen und sich verirren in mörderischer Verzweiflung, aber wieder kamen sie, schwer, in ermattetem Lauf, und verschwanden hinter der Tür, neben der wir standen.

Und es ward schauriger um uns her. Es tropfte nicht, nein, es sickerte nicht, es war nichts zu hören, aber es kam doch, ein helles, rotes Rinnsal quoll zu unsern Füßen hervor, unter der Tür hervor, quoll und breitete sich aus, und da kamen die Füße, sie sprangen über die Blutlachen, sie waren dahin und kamen wieder zurück in vollem Jagen und stemmten sich ein vor dem Blutbach, strauchelten und traten hinein, und jetzt? Jetzt tanzten sie in dem roten Strom, Verzweiflung tanzte, Lust des Wahnsinns tanzte, und sie hoben sich bluttriefend, traten wieder den Boden in grauenhafter Zierlichkeit, wirbelten kreisend um sich selbst, flogen davon, dahin den roten Blutboden der Nacht, kamen wieder in gräßlichen Sprüngen, fliegend einzeln durch die Luft, und – da waren sie fort.

Ich aber, zitternd und fliegend an allen Gliedern, ich schrie gellend auf, ich hörte noch meinen eigenen grauenhaft gellenden Schrei, und dann war alles erloschen und still.

 

Hortus auri divini

Aus dem Tagebuch (Fortsetzung Eigenhändige Niederschrift meines gnädigen Herrn. Li.)

Ein sehr schöner Hortus, in der Tat, so auserlesen schön, daß ich fast hoffen möchte, in diesem Hause irgend etwas ähnlich Erlesenes zustande zu bringen, um ihn als Belohnung heim zu meinen Sammlungen zu tragen. » Hortus auri divini – der Garten des göttlichen Goldes«, der Titel allein ist Goldes wert! Die zarte Pressung des Pergaments ist von unglaublicher Schönheit und ausgezeichnet erhalten, die halbzölligen gotischen Lettern, zu einem monumentalen schwarzen Gitterwerk stilisiert, trotzdem so klar, daß jeder, der sich auf die üblichen Wortkürzungen des Lateinischen versteht, fließend lesen kann. Und nun erst die Malerei! Die Zierleisten von jenem erlesenen Grün des Grundes mit goldenen oder lilafarbenen oder rosa Arabesken von wahrhaft seliger Peinlichkeit, und reinste Kleinodien in kostbar ziselierter Fassung sind die kleinen Gemälde in den Initialen. Ich muß hier in dem mächtigen D-Bogen des » Dulce« – er ist freilich mit farbiger Süßigkeit gefüllt bis zum Rand – die kleine Landschaft wenigstens meinem Gedächtnis einverleiben: den kleinen weißen Ziehbrunnen mit der himmelblauen sitzenden Jungfrau mitten in der saftgrünen Wiese; das rosenweiße Kind im Gras mit der stecknadelkopfkleinen goldbraunen Biene auf dem Finger, dahinter den grauen Esel, Josef darübergelehnt, graubärtig in violettem Kleid, und hinten die drei zärtlich und zierlich sich windenden weißen Birkenstämme im blauen Himmelsgrund, deren saftgrüne Laubwipfel schillern und rauschen im Licht. Man wagt nicht zuzufassen mit den Augen; man könnte sich fürchten vor so viel Glück. Hortus auri divini.

Allein darauf kommt es im Augenblick ja nun nicht an; nicht auf den Hortus, sondern auf eine gewisse Persönlichkeit, die vorzeit mit weißen und rosigen Füßen in ihm umhergewandelt ist, bis die Blutwelle kam und sie hinwegspülte. Sonderbar immerhin, daß im Garten keine Spur zu sehn ist. – Nun der Reihe nach übrigens.

Mein kleiner Li hat brav geschrieben, und um seine Ehre wiederherzustellen, muß ich gestehen, daß ich selber, nachdem ich die arme »Lady« auf ihr Zimmer getragen hatte, ohnmächtig wie Li (die eine rechts im Arm, den andern links), mit dem plötzlichen Erlöschen der Anspannung auf mein Bett gefallen bin wie ein Sterbender, worauf ich schlief wie ein Toter. (Das war gestern.)

Seltsam genug und mir weniger verständlich als je: mein Herz blieb so ungerührt wie jemals, und doch – was auf keine Weise mein Gefühl erreichen konnte – irgendwie drang es zersetzend und vergiftend bei mir ein. Das Grauen also ist, ist tatsächlich wie Gesicht und Gehör, nicht in uns, sondern im Gegenstand, in der Luft umher, dann auch in uns, in mir. Die Folge? Nicht anders muß es sich mit der Geisterwelt verhalten. Sie ist an sich und wird gegenständlich in dem, der ihr Einlaß bietet. Bot ich ihr Einlaß? Nun, das Medium kann ja jemand anders sein, aber wer? Wer im Haus? Wir werden es erfahren.

Gestern nachmittag hatte ich eine Unterredung mit Blaises Mutter. Was ich erfuhr, war folgendes: Sie wußte von den Füßen seit einer der ersten Nächte ihres Hierseins. Sie waren auch zu ihr ins Zimmer gekommen, und nach überstandenem ersten Entsetzen folgte sie dem mütterlichen Instinkt – der in einer solchen Erscheinung nur ein dem eigenen Sohne drohendes Unheil ahnen konnte – und ging den Füßen nach. Dies in dreien Nächten jedes Vollmondes. Blaise wußte und erfuhr nichts. Nur das Stöhnen. Die Bedauernswerte war seit langem am Rande der Verzweiflung. Sehr lieblich: sie konnte mir nicht verhehlen, daß sie nach ihres Sohnes Erzählungen von mir eine zarte kleine Hoffnungspflanze in mein imaginäres Dasein gesenkt hatte, und tatsächlich ist sie es gewesen, die dem wackern Blaise einzureden verstand, er müßte mich einladen.

Als ich nun um nähere Erklärung bat, brachte sie nicht ohne Zaudern und Schaudern den Hortus zum Vorschein. Vorn hineingeschrieben enthält er folgendes (in Latein): Erstlich den Namen seiner Eigentümerin Isabella nebst mehreren Titeln und der Jahreszahl 1473; danach ein lateinisches Gebet, in dem Vergebung für eine Todsünde erfleht, tägliche, stündliche Reue gelobt und um Erlösung aus der ewigen Verdammnis angerufen wird. Schließlich darunter: »Dieses Gebet habe ich, Isabella, die ihren leiblichen Bruder Fergus erstach und danach mit verfluchten Füßen in seinem Blute tanzte, gebetet an jedem Tage und in jeder Stunde meines unseligen Lebens seit jener Nacht neunundfünfzig Jahr, vier Monate, drei Wochen und vier Tage – umsonst.«

» Incassum« – das einsame Wort in der letzten Zeile hat einen trostlosen Ausdruck. Aber warum: Incassum? – Ich fragte Mylady nach dem Zimmer, hinter dessen Tür im Korridor die Füße verschwanden, allein – hier war nichts mehr zu erreichen. Irgendwie muß der Glaube in ihr entstanden sein und sich zum Felsen verhärtet haben, daß sich hinter dieser Tür etwas dergestalt Schaudervolles befinde, daß kein Herz, auch das meinige nicht, den Anblick zu ertragen vermöge. Sie selbst will nicht darin gewesen sein – ich muß es ihr glauben – und hat den Schlüssel bereits an einem der ersten Tage ihres Hierseins an sich gebracht. Blaise, der die verschlossene Tür gefunden und den Schlüssel vermißt hatte, war bisher nicht dazugekommen, sich näher mit der Tür zu beschäftigen. – Endlich flehte sie mich an, Blaise nichts zu verraten, in Tränen aufgelöst und in einem Atem durcheinander mit Bitten, ihr zu helfen, dann wieder, das Haus eilig zu verlassen. – Wir mußten das Gespräch abbrechen.

Isabella, die ihren Bruder Fergus erstach. Niemand scheint zu wissen, warum. Li fragte verstohlen unter der Dienerschaft; allein es heißt, im Hause habe niemals jemand gedient, der es länger als ein bis zwei Jahre darin ausgehalten hätte, nicht wegen der Erscheinungen, sondern wegen der See. – »... und in seinem Blute tanzte mit verfluchten Füßen ...« Das ist Erklärung genug. Ah, und deshalb wohl das schauerliche » Incassum«. Sie tanzt ja noch jetzt in jeder Vollmondnacht. Sie hat es, ob mit dem Leibe, ob mit der Seele, jede Nacht bei Lebzeiten getan, darum gebetet » incassum«, denn sie tanzt noch heut.

Nein, nicht noch heut, sondern: heut wieder. Die Mutter Blaises hatte in ihrer Kindheit, wann sie mitunter hier gewesen sein will, kein Stöhnen gehört, keinen Tanz gesehn, und niemand in ihrer Familie hat davon gewußt und erzählt.

Diese Sache ist schauriger als sie scheint. Es ist jemand hier: der läßt sie wieder tanzen. – Und mags wahr sein, daß sie seit ihrem Tode immer hier getanzt hat, so ist jemand hier: der brach den Tanz aus seiner Nacht und macht uns alle ihn sehn.

Genug. Ich will noch aufschreiben, wie die vergangene Nacht verlief, obgleich nichts Neues vorfiel.

Mylady ließ sich bewegen, die Wache diesmal mir zu überlassen. Mit Li, dem Unerschütterlichen, der zitternd Standhaftigkeit gelobte, fand ich mich gegen zwei Uhr morgens vor der Tür im Korridor ein, hinter der Blut und Füße hervorgekommen waren. Einen brennenden Leuchter am Boden neben mir, wartete ich nicht lange: alles kam wie zuvor – nur grauenvoller noch schien mir die tödliche Inbrunst, mit der das Stöhnen, gewaltig wie das eines Riesen, aufbrach, den mächtigen Flur bis zum Rande füllte und in allen Fernen röchelnd erstarb. Und kaum, daß ich meine Lichter gelöscht und meine Augen an die Finsternis gewöhnt hatte, so kamen, dicht vor den meinen, die geisterhaften Füße zum Vorschein, hielten lange, zaudernd, schlichen endlich davon, gespenstisch in ihrer bleichen Lieblichkeit, und ich folgte ihnen. Es war unheimlich. » Incassum!« seufzte es gequält. Im Dunkel erschien etwas wie ein verzerrter Mund, blaßrot in einem bleichen Schein, und hauchte » incassum!« – Die Wendeltreppe hinauf, in die Halle führten sie mich, bogen links ab, und wo sie nun schwanden, war die Tür zur Bibliothek, und dort und in mehreren andern Räumen wiederholte sich das gleiche: hineingehn, zaudern, wieder umkehren, weiterschleichen, böses Gewissen, böses Gewissen ... wieder in ein Zimmer, das meine, und nun wieder zurück durch die schwarze Leere der Halle, die Treppe hinunter, den Korridor, zur Tür und hindurch. Und nun wie zuvor das Unsägliche, Schauderhafte, das Flüchten und Rasen, die Besudelung mit Blut, der Blutquell, der Blutstrom, endlich der wiehernde Verzweiflungstanz. Lautlos diesmal, wie ein Licht erlosch das furchtsame Chinesenherz Lis, indem er sich wie ein Hund zu meinen Füßen hinlegte. Ich beneidete ihn ziemlich, kann jedoch nicht sagen, daß ich besonders gut geschlafen hätte.

Denn, muß ich gestehn, mit dergleichen hatte ich nicht gerechnet. Ich wünschte, mich zu fürchten, aber nicht kalten Leibes vom Grauen aufgefressen zu werden, ohne es zu merken, wie der Geköpfte im »Orlando« den Degen schwingt. Allein, wie es scheint, die andere Welt hat ihre andern Gebräuche, und ich werde dahinterkommen, was all dies bedeutet.

Den Schlüssel muß ich haben und in das Zimmer. Ferner ist zu –

 

9

Natura

An dieser Stelle wars, wie ich (Li) später erkannte, daß mein gnädiger Herr nach mir rief und ich, aus dem Nebenzimmer hereinlaufend, ihn in dem kalten und grauen Licht, das – es war kurz vor Dunkelwerden – durch das häßliche weiße Glas der Fenster hereinfiel, am Schreibbüro sitzen sah, zur Seite gewandt, in Händen das lateinische Buch, die Ellbogen auf den Knien, und schon damals gefiel mir sein Gesicht nicht, ich meine: seine Farbe, seine – Atmosphäre möchte ich sagen. Es sah so bläßlich und gelb aus, auch faltiger als bisher, und die kleinen Augen lagen tiefer in den Höhlen.

»Komm her, Li!« sagte er, »sieh mal dies an!« und er hielt mir ein schönes buntes Bild hin, das in ein großes D hineingemalt war. Ich bewunderte es. Ob mir nichts auffalle daran, fragte er nun. Ich schüttelte erst den Kopf, aber dann schien es mir, als ob die Farben, die im ersten Augenblick sehr klar und fast feurig geleuchtet hatten, blasser geworden wären und noch blasser würden, und ich sagte es meinem gnädigen Herrn: »Es wird so blaß!«

»So. – Blaß?« bemerkte er nur, spitzte dann die Lippen wie zum Flöten – zu hören war ja nichts bei dem Toben des Meeres –, klappte das Buch zu und legte es fort. Ich ging, aber ich konnte noch sehn, wie er Daumen und Mittelfinger der linken Hand über die Augenlider zum Nasenrücken zusammen- und dann solch eine Grimasse zog, wie man tut, wenn man sich geblendet oder sonst etwas an den Augen nicht in Ordnung fühlt.

Über die nächsten zehn Tage nun gibt das Buch leider gar keine Auskunft. Freilich – vorgefallen ist auch nichts, das sich hätte aufschreiben lassen, und doch – es war eine furchtbare Zeit, eine unheimliche Zeit. Mein Herr wurde verwandelt.

Im Anfang schien ja alles so zu bleiben, wie es war. Während der Vormittage half ich dem Herrn Blaise, der mich recht gern mochte, bei seinen Bildern. Er hatte nämlich angefangen, eine genaue Untersuchung, Reinigung und Prüfung, ferner Bestandsaufnahme und Katalogisierung des gesamten Gemäldeschatzes vorzunehmen. Ich holte dann die Bilder von der Wand, ging ihm beim Waschen über einer Bütte zur Hand mit warmer Lauge und weichen Tüchern und schrieb auch, weil ich eine klare und zierliche Hand schreibe, alles auf, was es zu verzeichnen gab. Mein Herr saß meist dabei, rauchte – oder vielmehr er schalt über die üble Meerluft, die ihm seine Zigarren und Zigaretten gleichmäßig ungenießbar machte – und stritt sich mit Herrn Blaise über Malschulen oder über den Charakter der Dargestellten. Aber es dauerte nicht lange, so weilte er kürzere und kürzere Zeit bei uns, sei es, daß er spät kam, sei es, daß er früh ging, und wenn Herr Blaise mich einmal nach ihm schickte, so waren es immer nur zwei Orte, an denen ich zu suchen hatte. Entweder fand ich ihn, den Pelz, den ich vorsorglich mitgenommen hatte, übergezogen, am offenen Mittelfenster seines Zimmers im Sessel oder in einer der mehr als mannshohen und noch breiteren Zinnenausschnitte auf dem mittelsten Turm, angelehnt oder liegend auf einer Decke. Lange stand ich dann oft hinter ihm, ja neben ihm, ohne daß er mich bemerkte. Seine Augen waren fast geschlossen, aber er sah doch, er sah auf die See. Das Brausen, so entsetzlich es war, waren wir beide doch ein wenig gewohnt geworden, aber nun war es der Anblick – ja, war wirklich er es, der ihn so schlaff, wortkarg und trübe machte? Es war ja eine schauerliche Magie, die vom Wasser ausging. Ich selber ertappte mich ja, daß ich, statt meinen Auftrag auszuführen, wie mein gnädiger Herr mit den Augen haftenblieb an dem heranrollenden graugelben Gewühl. Daß ich hineinstarren mußte und nichts anderes wollte, in diese Meeresöde, die so unermeßlich war und so kalt, in einer fremden, grauenvollen Bewegung hingegossen, die sich regte tausendfach, wie ein Walten unsichtbarer riesenhafter Mächte, bis dann alles verging in ein einziges Ungeheuerliches, in das blindäugige Ausgerolltsein von Wasserwüstenei, die jenseits hinabzustürzen schien unter den angstvoll heraufjagenden Himmel.

Alles war so trostlos geworden! Es fing – ich selber merkte es damals ja nicht gleich – auch mit mir an, und statt zu lesen oder Sachen zu putzen an den Nachmittagen, wo mein gnädiger Herr meiner nicht bedurfte – er nahm dann den Tee bei Mylady –, hockte auch ich im Fenster, und eine nie gekannte angstvolle Schwermut zerpreßte mir die Brust.

Auch der Herr Blaise war nicht frischer oder munterer geworden. Ach, und diese Mahlzeiten! Ich durfte hinter dem Stuhl meines gnädigen Herrn stehn, um irgendeinen kleinen Wink zu befolgen, und dann saßen sie alle vier da um das sonderbare brennende Dreieck, lautlos, alle blaß, im Dröhnen des Untiers, das seinen gigantischen Leib am Felsen scheuerte, und am schlimmsten wars, wenn ich sie in der spiegelnden Schwärze der Fenster erblickte: sie saßen wie Gespenster darin, und nur blutigrot glühte in Gläsern und Karaffen der Wein.

Das wußte ich ja schon: Es gab keine Farbe mehr. Eine geheime Kraft sog das Blut aus unsern Adern, das Licht aus unsern Nerven – ich hatte es einmal gewagt, in das Buch » Hortus auri divini« hineinzublicken: alle die kleinen Bilder und die Ranken waren darin erbleicht, braun und gelblich welk, ein entsetzlicher Anblick!

November war es nun, wie kurz schon der Tag! Morgens kaum vor neun Uhr ward es hell, nachmittags um vier schon begann die Nacht, und das war in den Zimmern mit Fenstern! O diese grausame, unerbittliche Nacht im Innern, in den Korridoren, der Halle, die der traurige rote Nebelglanz der Kerzen – mühselig keuchten sie in der feuchten Luft ihr Licht aus – nur drückender, angstvoller, finsterer machte. Immer, seit Jahrhunderten war es dort Nacht gewesen! Und war man hindurchgegangen, so fühlte man das Nasse und Schwarze der Finsternis wie ein Gespinst an sich hängen, das sich in die Haut, ins Fleisch hineinfraß.

Und einmal geschah etwas Grauenhaftes.

Am Nachmittag war mein gnädiger Herr, wie ich schon erwähnte, bei Mylady zum Tee; auch Herr Blaise und die Lady Natura waren dort, und ich wagte es zuweilen, mir irgendein Geschäft im Speisesaal zu machen, dann vorsichtig die Tür zu Myladys Zimmer zu öffnen und hineinzuspähn. Dies Zimmer mochte ich gern, es war das schönste im Hause. Es war ganz klein, hatte eine sehr tiefe und sehr niedrige Fensternische mit Butzenscheiben von mattviolettem Glase, doch brannten am Nachmittag immer mehrere Leuchterdreiecke auf dem Kamin und dem Tisch in der Mitte, und nur hier, schien mir, verbreiteten sie wirklich ein angenehmes, warmes Licht. Mylady – ach, wie blaß und schwach und hilflos sah sie aus! – saß immer in einem tiefen Sessel in der Fensternische; eine oder zwei Stufen führten zu ihr hinauf. Vor dem Kamin oder, besser, daneben zur Rechten und Linken – oh, wie deutlich sehe ich sie noch! – saßen mein gnädiger Herr und die schreckliche Lady Natura, und – ich weiß nicht, ob sie es taten, aber es sah so aus, als ob sie sich ununterbrochen ansähen, sie mit ihren glatten schwarzen Augen starr und unbewegt, mein gnädiger Herr mit seinen, ach, immer trüber glühenden. Zwischen ihnen stand auf einem niedrigen türkischen Schemel ein Damespiel, aber ich konnte oft viele Minuten stehn und hinspähn, bis einer von ihnen einen Zug tat, und sie saßen auch beide so weit entfernt von dem Brett, als stünde es für sich allein da und gar nicht ihretwegen. Ach, und dennoch, welch ein Kampf wurde da ausgefochten, nicht auf dem Brett!

Manchmal allerdings sprachen sie auch miteinander, wenn die See es erlaubte. Dann trat ich wohl bescheiden ein, stocherte ein wenig im Feuer, legte Holz nach, hockte mich mit dem Blasebalg hin, und sein leises Schnaufen war mir tröstlich. Ich habe nun vergessen, was dort gesprochen wurde, aber an jenem Tage, von dem ich berichten will, hörte ich allerlei Namen und Ausdrücke zuerst, die ich nicht verstand – einen davon, Mesmer, habe ich behalten –, dann merkte ich, daß die Rede davon war, eingeschläfert zu werden, und nun stritten sie ein wenig miteinander und lachten, mein gnädiger Herr stand auf, und die Lady Natura legte sich ganz gerade hin in ihrem Sessel. Dann fing er an, mit den Händen an ihrer Stirn, ihren Schläfen, an ihrem ganzen Leib hinunterzustreichen, und es dauerte gewiß keine Minute, so lag sie still und schien tief zu schlafen. Mylady in ihrer Fensternische blickte ängstlich herunter, und nun beugte mein gnädiger Herr sich über Lady Natura und fragte sie, ob sie schliefe. Darauf antwortete sie nach einer Weile mit Ja. Die Augen hatte sie fest geschlossen. Auf einmal stand mein gnädiger Herr ganz gerade, so groß und breit er war, und sah nur von oben auf sie hinab, kalt und befehlend. Da stand sie auf, langsam, ging, immer mit geschlossenen Augen, zur Tür, schlug sie auf, und da war der große, dunkle Speisesaal, in den sie hineinglitt wie eine blasse Flamme in ihrem blaßgelben Kleid.

Und da fing sie an zu tanzen. Langsam und fast ohne Bewegung und feierlich drehte sie sich um sich selber und in weitem Kreise um den ganzen Raum; in jedem der schwarzen Fensterspiegel sah ich den fernen Schein von ihrer Gestalt auftauchen und schwinden, und ganz langsam kam sie herum, schritt wieder durch die Tür, zu ihrem Sessel, glitt hinein und schlug bald darauf – ich glaube, mein gnädiger Herr machte wieder ähnliche Striche an ihr – die Augen auf.

Furchtbar war da ihr Gesicht! Oh, ich wills nicht sehn, nicht wieder sehn, wie furchtbar entstellt ihr Gesicht war, diese Augen und dieser Mund!

Und ach, was kam erst nun!

Ich hörte noch – sie stritten erst wieder –, wie mein gnädiger Herr sich rühmte, daß er noch von niemand habe eingeschläfert werden können, wenn er es nicht gewollt habe, dann legte er sich ebenso hin, wie sie vorher, und nun machte sie die Striche. Wie lange das gedauert haben mag, kann ich nicht sagen. Damals schien mirs eine Ewigkeit zu sein. Immer wieder sah ich es glühen hinter seinen Lidern hervor, immer wieder blinzelte er oder verzog höhnisch den Mund – und ach, oh, was für ein Kampf wurde da wieder gekämpft! – und dann, dann sah ich, wie es doch über ihn kam. Ich hätte schreien, ihn rütteln mögen, ich versuchte, selber gegen sie anzukämpfen mit den Augen – ach, sie sah mich wohl kaum, wie ich da klein und dunkel in der Tür hockte –, ich weiß heute nicht, warum ich mich hingekauert habe. Und auf einmal sah ich sie aufatmen, ihre hagern Hände an den dünnen Armen fielen herab, sie trat zurück – mein Herr schlief.

»Steh auf!« herrschte sie ihn plötzlich mit ganz tiefer und rauher Stimme an. Er erhob sich. »Mitkommen!« befahl sie wieder und ging durch die Tür an mir vorüber hinaus, aber sie hat mich doch gesehn, denn sie befahl mir, einen Leuchter zu nehmen und voranzugehn, und das weiß ich noch gut, wie schrecklich es mir plötzlich war, aus einem der Dreiecke ein Stück herauszureißen, aber was halfs, und ich voran gingen wir in die Halle hinaus, in der Richtung des Turms, zur Wendeltreppe und hinauf bis zur eisernen Platte, mit der die Luke verschlossen war. Die mußte mein gnädiger Herr aufschlagen auf ihren Befehl, sie stieg – mein Leuchter erlosch – uns voran und betrat die Plattform in der Finsternis. Mein Herr folgte, sie ging bis zu einer der Zinnen und befahl wieder etwas, das ich bei dem Donner der Tiefen nicht verstehen konnte, aber mein gnädiger Herr packte mit den Händen den obern Rand der Zinne, zog sich hinauf, trat auf die Platte oben, und dann – helf uns Gott, ich dachte, sie stürzt ihn hinunter! – aber er blieb, am äußersten Rande blieb er stehn, ganz steif, lange Zeit.

Ich weiß nicht, was ich tat, ich war von Sinnen vor Angst, ich glaube, ich bin gesprungen und habe geschrien, aber ihr – oh, ihr war es ja noch immer nicht genug, denn statt ihn wieder herunterzuführen, oh, die Teufelin, die Teufelin, statt dessen weckte sie ihn auf.

Sie muß ihn aufgeweckt haben, denn ich sah, daß er sich bewegte. Ich schloß die Augen – nun mußte das Letzte kommen. Barmherziger Gott, habe ich gebetet, sag? du mußt es ja wissen, ich wußte es nicht, ich öffnete die Augen wieder, und – Kyrie, Kyrie eleison, was mußte ich sehn! Er triumphierte königlich, mein süßer, herrlicher, himmlischer, gewaltiger gnädiger Herr, denn nun trat er zwei Schritte zurück auf der Platte, warf sich vorüber auf die Hände und ging auf den Händen, die Füße hoch in der Luft, um die ganze Zinne herum. Er war es noch! alle guten Geister loben Gott den Herrn, er war noch mein großartiger, unbesieglicher gnädiger Herr!

An diesem Abend oder in dieser Nacht aber schrieb er zum erstenmal wieder im Tagebuch, ohne sich meiner zu bedienen. Hier ist, was er schrieb. Ich muß nur hinzufügen, daß ich es gar nicht lesen konnte, denn mein gnädiger Herr hatte russisch geschrieben, und diese Sprache, muß ich gestehn, kann ich zwar sprechen, da ich nämlich auch das Polnische rede und schreibe, aber weder schreiben noch lesen, wegen der Schrift.

 

Aus dem Tagebuch

Ah, Natura, finstres, zaubrisches Geschöpf, du böser, elfenbeinerner Magnet! Beim Himmel, du hast mich bezaubert, Wesen mit dem abstoßenden Kinn, dem vilainen Mund und der greulichen Magerkeit des Leibes! Einer erwacht aus dem Schlaf und sieht die schwarze Kobra auf seiner Bettdecke liegen, die vielleicht schon seit Stunden dort lag, und seit Stunden schon, sieht er, ist er verloren, seit Stunden schon ein toter Mann. So sehe ich heute ein, wie lange schon ich dir ausgeliefert bin. Ah, war ich umsonst zwanzig Jahre lang, der das Fürchten lernen wollte? war ichs – incassum? – Nein, auf diese Weise zwar nicht! Es war ein lieber Scherz, mich da oben auf die Zinne zu stellen, über den kochenden Teufelsschlund der Nacht, allein mit Schrecken und Herzensstößen ists bei mir vertan. Incassum, Natura! Wo andere nicht mehr stehn können, gehe ich noch lange auf den Händen umher.

Wenn ich wach liege, stundenlang, in den brüllenden Nächten, deine Augen erscheinen sehe im Finstern, kalte, glatte Steine, so glaube ich zu sehn, wie die schwarzen Schnittflächen dieser Juwelen sich beschlagen vom Gifthauch eines Dämons, der – vielleicht in deiner Seele aufrecht, vielleicht dir gegenübersteht, und der es ist, den du anblickst auch tags mit dem erstarrten Blick in das Unsichtbare, und ich denke: Eine Träne aus dem in deinen Lidern geronnenen Gift, eine Träne auf mein unrührbares Herz, so wird sein Gang sich grauenhaft wandeln, und ich werde blind vor Entsetzen, ein Mensch zu sein. Wieder sehe ich die Gespensterfüße im Dunkel, – hast du vielleicht einen Zauber, dein Leibliches abzulegen bis auf diesen Rest, mit dem du den Boden dieser Welt berührst, und kamst zu mir, von dem du gesagt hörtest, in der ersten Nacht, um zu sehn, ob ich auch mit offnen Augen schlief wie die Teufel?

Bist du Isabella? Incassum, wozu fragen, es wird sich zeigen. Welch elender Narr ich doch immer war! Niemand fürchtet sich vor irgend etwas, das außerhalb ist, in uns selber allein wohnt alles Grauen, und furchtlos allein ist der, der ganz und gar sich selber erträgt. Ich erinnere mich aus meiner Kindheit: etwas gab es, in dem Grauen sein konnte: im Dunkel an einem Spiegel vorüberkommen und hineinsehn. Wenn etwas furchtbar ist auf der Welt, so ist es das eigne Gesicht. War das nicht Hoffmann, Gespensterhoffmann, der nicht in den Spiegel sehn konnte bei Nacht? So wirst du mir einmal den Spiegel vorhalten, Natura daemon, daß mir der Doppelgänger erscheint, mein gräßlich entstelltes Ich, nachdem dus herausgezogen aus meinen Augen, und vielleicht werde ich endlich einmal schlottern vor Furcht.

Incassum! das gibt es nicht. Mein Unbewußtes freilich erlag; mein Wille ging auf den Händen. Genug.

 

10

Isabella, Sibylla und Fergus

Aus dem Tagebuch Dies ist Diktat meines gnädigen Herrn, einige Tage nach der letzten Eintragung. Li.

Erlesene Dinge, nicht zu vergessen.

Was die Bilderwand als solche angeht, so ist sie nicht das Werk der Geschlechter, sondern allein das von Blaises Oheim, der alle bis dahin in den Räumen des Hauses verstreut gewesenen Gemälde an der einen Wand vereinte, und zwar hatte er sie, an einer Stelle links in der Höhe beginnend, zeitlich geordnet in Reihen rechtshin. Auch ein allerdings sehr dürftiges Verzeichnis von seiner Hand hatte sich gefunden. Grade komme ich gestern dazu, wie Li mit einem so tief nachgedunkelten und verstaubten Bild die Leiter herunterkommt, daß wenig mehr als der blasse Schein des Gesichts und aus ihm ein böser Blick aus dunklen Augen uns anglomm. Was dann unter der fallenden Staubschicht zum Vorschein kam, war – das Gesicht von Blaises Mutter – dachten wir erst, allein keineswegs. Es waren die Züge Naturas – wenn sie alt sein wird.

Wer aber bemerkte dies? Nicht Blaise. Blaise, der unschuldige Engel, schwor in hellem Entzücken, es sei ein Porträt seiner Mutter, nicht eben freundlich in der Auffassung, gab er zu, aber sie seis. Wunderbar und unglaublich diese Wiederkehr nach vier Jahrhunderten, die er gleich herausrechnete, noch ehe in der linken oberen Ecke des Bildes, mit Zinnober gemalt, das Familienwappen sichtbar wurde, dazu links die Zahlen 15 und rechts 19. Ah, was stand denn darunter? Isabella – dann der Name des Geschlechts – Etatis sue 65 ...

Bei Gott, das war sie! Blaßgelbes, blutleeres Gesicht, die Züge freilich jene mütterlichen, doch wie teuflisch entstellt durch Verwandtschaft, nicht nur mit Natura, eher mit dem Satan selber. Im schwarzen Blick dieser zu eng geschnittenen Augen war alles Lauernde und Geduckte der Verfolgtheit, der bösen Mitwisserschaft, der schandbaren Gemeinschaft. Dies Weib war unter Verbrechen alt geworden. Und hier – Naturas hartes, schweres Kinn! Und hier Naturas Mund, der blasse, verwischte, aber um so viel lasterhafter als der Naturas, als alles, was um den ihren noch ungewiß war, noch ahnte, vorempfand vielleicht oder träumte, hier lange gealtert war, Wissen, langes Geschmeckthaben vieler Gifte. Schön in keinem Zuge, war es doch schön in seiner mächtigen Verderbtheit, und hinter dem Weiblichen, das mählich zur Maske ward, dämmerte es schöner und männlich, dämmerte es göttlich, das Antlitz des bösen Engels, Luzifers, kostbar und verrucht.

Ja, das wußte ich freilich, was es geheißen hatte neunundfünfzig Jahre, vier Monate, drei Wochen und vier Tage – incassum!

Blaise unterweil riet nach dem Maler. Joos von Cleve, – gewiß, es war seine Zeit, er konnte es sein. Er pflegte seine Bilder so mit kalter Lebensessenz zu firnissen, aber in diesem Augenblick hätte selbst ein noch größeres Genie als er weder meine Augen noch meine Seele gefesselt.

Und – ja aber Li! Was hatte dieser Li inzwischen gemacht? Er hatte ein andres Bild – neben dem ersten, sagte er später – von der Leiter geholt, still für sich sauber gemacht und stellte es nun vor uns hin, so daß sein komisches kleines Mongolengesicht mit der sächsischen Seele gerade auf dem obern Rahmen saß, als wäre es sein geköpfter Kopf. Darunter aber lächelte Naturas holdes Antlitz uns an!

Natura, wie, so hold? Bewahr uns Gott, ein Porträt aus den Jugendjahren von Mylady war es, bleich und lieblich wie die Narzisse mit dem roten Herzen, hilflose Engelsanmut, die nur zu lächeln versteht, eine gute Blume, die noch kein Nachttau gefeuchtet. Nicht einmal sehr geschickt war der Maler gewesen, aber ein seltsamer Tropfen aus dem viel späteren Pinsel Vermeers war in den seinen gefallen, wovon Lippen und Augen und die Perlen in den Ohrgehängen jenen Tauglanz, jene Regenfeuchte bekommen hatten von Vermeers Mädchenbilde im Haag. Sie trug eine Art Turban, dessen Umrisse und Farbe kaum noch zu erkennen waren, ebenso wie die des ausgeschnittenen Kleides. Zwar glaubte ich einen Pulsschlag lang violetten Hauch über das Ganze fliegen zu sehn, aber – ich weiß ja, es liegt an mir; aus meinen Augen ist die Farbe seit langem fort.

Ein andres Wappen in der linken Ecke, die Jahreszahl 147. – die letzte Zahl war unleserlich, eine Fünf oder auch Sieben – und der Name Sibylla.

 

Als ich – Li – so weit geschrieben hatte, wartete ich vergeblich auf den Anfang eines neuen Satzes oder das Zeichen zum Aufhören. Lange, lange Minuten saß ich so wartend, eine Viertelstunde mochte vergangen sein – ich erinnere mich noch, daß ich alle drei Kerzen des neben mir stehenden Leuchters putzte –, dann wagte ich es endlich, mich nach meinem gnädigen Herrn umzudrehn, der beim Diktieren, damit ich ihn verstünde, dicht hinter mir gesessen hatte. Er war aber nicht mehr dort; erst sah ich ihn nirgend, es war ja ganz dämmrig in dem großen Raum, da nur der Leuchter im Schreibbüro brannte, und jetzt fiel mir auf, daß drüben die Vorhänge des Bettes an beiden Seiten zugezogen waren; nur der am Fußende war offen, und darin, wie in einer Lade, auf der dunklen Bettdecke lag mein gnädiger Herr. Ich glaubte, er schlafe – es war tief in der Nacht –, schlich leise näher und betrachtete mit inniger Traurigkeit sein Gesicht, das, tief im Schatten liegend, einer Maske aus gelblichem Pergament schrecklich glich. Ja, fast wie bei einem Leichnam war die Nase und auch das Kinn scharf emporgebogen. Aber er schlief nicht, auf einmal sah ich das dunkle Glühn seiner Augen. Gleich darauf hatte er sich aufgerichtet, er sah starr an mir vorbei, stand vom Bett auf, ging zum Schreibbüro, setzte sich und begann zu schreiben. Hier ist, was er schrieb.

 

Ich muß mich sammeln, schreiben, oder ich werde verrückt. Oder sollte ichs schon sein, will ich sehn, wie es sich äußert.

Sibylla. Also Sibylla. Frau des Fergus. Fergus, der erstochen ward von Isabella. Mutter Blaises ihr ähnlich; auch der Isabella; auch der Natura ähnlich. Blaise stellte fest aus Chronik. Eindruck der beiden Bilder auf die Frauen. Mutter heftig erschrocken vom Bild der Isabella, erholt sich an der Sibylla, in der sie sich zu erkennen glaubt. Stammt wie Fergus, Unsinn, stammt wie Blaise von Sibylla ab. Natürlich Blaise, da er ihr Sohn ist! Bild von Blaise, Bild von Fergus nicht vorhanden. Natura keinen Blick auf Bild der Sibylla, angezogen von Isabella, sehe noch, wie der leblose Ausdruck ihrer Züge sich erhellt und wieder verdunkelt, wie eine gierige Scheu auftaucht, wie sie sich erkennt in Etwas, das sie – einmal sein könnte ...

Weiter?

Kann mich nicht besinnen; muß nachdenken.

Gefunden. Nun das Verrückte.

Nachmittag. Kommt Li, sagt, war bei Mylady, hat Brief. Öffne Umschlag, darin Brief und ein Schlüssel. Lese Brief. Kann nicht mit mir allein sein, ist ihr Li eingefallen, schickt mir den Schlüssel zur Tür im unteren Korridor. Soll jetzt alles wissen. Weil Bild gesehn, in Todesangst. Soll helfen. Soll Brief verbrennen.

Bin dumm und verbrenne Brief. Sehe Schlüssel an, verstehe nichts. Kann Brief nicht noch mal lesen, da verbrannt. Tür im unteren Korridor. Verstehe gar nichts. Frage Li. Li stottert. Verstehe immerzu: Füße. Was für Füße? Li stumm wie Hund.

Gehe also in unteren Korridor; Li mit. Versuche Schlüssel an Türen, schließt keine. Endlich letzte Tür. Aufschließend fällt mir ein: soll erst nachts hingehn; stand im Brief. Nun zu spät, schon offen.

Purpurne Finsternis. Ah, nun sehe ich alles wieder!

Luft der Jahrhunderte. Hoch oben in der Nacht, ein wenig rechts von mir, schwebt eine blutrote Fensterrose von zwei Fuß Durchmesser, aus der ein purpurner Lichtkeil die schwarze Luft durchschneidet und das Bild der Blutrose auf die gegenüberliegende Wand malt, sehr schaurig, geisterhaft.

Dann ward es langsam dämmriger, klarer um mich her. Ich roch, rieche noch die Ausdünstung nackter, nasser Mauern und sah sie langsam, düster getäfelt, hinter der roten Dämmrung erscheinen. Nackte Steinfliesen am Boden. Und nun sah ich unterhalb und einen Fuß rechts von der Scheinrose auf der Wand ein Bild, aus dessen dunkelrot verfinstertem Grunde der rot vom Licht überlaufene nackte Oberkörper eines Mannes leuchtet, und dämmrig darüber auch den Schein eines bärtigen Gesichts. Größe des Bildes ungefähr sechs Fuß hoch und halb so breit. Scheint ein Kruzifixus, vom Kreuz abgenommen.

Auf einmal stand Blaise im Raum. Wollte mich gesucht haben. Ich faßte mich schnell – wie faßte ich mich doch? Ach, sagte, es wäre eine Überraschung seiner Mutter für ihn, die plötzlich den Schlüssel wiedergefunden und dies Bild entdeckt hätte. Ich hätte es herabholen und reinigen sollen, falls ich es für wertvoll gehalten.

Nun Blaise in Aufruhr, nachdem erst entsetzt über das furchtbare Blutlicht. Zu verhängen unmöglich, da die Rose dicht unter der Zimmerdecke, aber er läßt Tische hereintragen, Stühle darauf und viele Leuchter. Incassum, Rot nicht wegzubringen. Endlich Einfall Lis: läßt großen Tisch über zwei hohen Stehleitern befestigen wie ein Baldachin; roter Schein ziemlich abgeblendet.

Nun Bild gewaschen. Schien erst Ribera, da das nackte Fleisch von allen Rändern verschattet und kaltgrau, war jedoch ältere Hand und sehr roh, keine Schule zu erkennen. Sichtbar allein war der halbe Leib des Gekreuzigten, der halb aufgerichtet so lag, daß der untere Rahmen die Schenkel über den Knieen wegschnitt. Das Haupt war auf die rechte Schulter, also nach links gesunken, der linke Arm, nach hinten gefallen, unsichtbar, der Ellbogen des rechten schien die Erde zu berühren, der Unterarm stand schräg zur Brust empor und schien mit schlaffer, halboffener Hand auf die Wunde zu deuten, einen zolllangen Schnitt, aus dem ein Streifen Blut, über Brust und Hand fallend, im Dunkel des Vordergrundes verschwand. Vom Haupt war nur das Gesicht erkennbar, alles andre tief im Dunkel. Ganz erschreckender Leidensausdruck. Nicht das Gesicht eines Leichnams, sondern eines noch Sterbenden. Die Augen qualvoll halb zugefallen, der Mund, geöffnet, in furchtbarem, mehr seelisch als leiblich scheinendem Schmerz verzogen. Die qualzerfurchte Stirn, Schläfen, Kinn, Wangen – alles gebadet in Schmerz, hauchend, lebend von Schmerz. Wir glauben Schatten vom Kreuz im Dunkel des Hintergrundes zu erkennen. Sehen plötzlich, das Gesicht – Blaise.

Sage es Blaise. Gibt Möglichkeit zu, findet aber Ähnlichkeit nicht groß. Mir dagegen immer heftiger. Kaum zu ertragen. Gehe fort, um Mutter zu sagen, daß Blaise weiß. Weiß nicht, warum sie bewege, nicht Bild anzusehn. Auch schon beruhigt, daß nichts Grauenhaftes im Zimmer. Warum? Verstehe nichts.

Jetzt nachdenken, nachdenken! Habe schon immerfort nachgedacht. Viele Fragen.

Warum Heiland ohne Stigmata an Händen? Warum noch sterbend, wenn schon von Kreuz genommen? Noch blutend. Warum Ähnlichkeit mit Blaise? Warum nur Akt, wenn Kreuzesabnahme? Malte damals keiner, immer Figuren herum. Oder war dies ein Teil, herausgeschnitten aus einem größern?

Kreuz nach Abwaschen nicht mehr vorhanden. Oder doch? Aber die Wunde! Speerwunde beim Heiland immer rechts in Weichteilen über der Hüfte, hier aber links, überm Herzen, und nicht geschlitzt von unten, von Speer, sondern senkrechter Stich von zollbreiter Klinge.

Auch Metallschimmer in unterer Bildecke zu sehen geglaubt wie von goldenem Griff eines Dolches.

Incassum.

Nachdenken, warum schrieb Incassum. Ah, Buch mit bunten Initialen, Hortus, habe Buch, nachsehn.

Bilder nicht bunt, schwarzbraun, ganz welk. Vorn darin: Isabella (erinnere mich) lateinisches Gebet, incassum.

Verstehe: Bild von Fergus. Blaise riet, daß gemalt ward in zweiter Hälfte des 1500. Jener Fergus vielleicht ermordet in dem Zimmer. Isabella ließ Bild malen, um darunter zu beten. (Betschemel darunter, sonst Zimmer leer.)

Was seitdem? Abendessen ohne Mutter, läßt sagen, sie sei krank. Natura sieht mich starr an, lächelt auf einmal, scheußlich, nur mit Mund. Blaise still und gedrückt. Kein Gespräch möglich vor Donner. Durcheinander See, der seltsam alles –

 

11

Gift

Ich schreibe wieder, Li:

Mit welchem Grauen ich später diese Aufzeichnungen meines gnädigen Herrn las, kann man sich denken. Späterhin diktierte er mir nie mehr etwas, und nur einmal schrieb er selbst, riß aber die Blätter wieder aus dem Buch, zerriß sie und hatte wohl die Absicht, sie in den Kamin zu werfen, aber das schien er wieder zu vergessen, denn er ließ sie nun im Vorbeigehn am Feuer dicht davor niederfallen, wo ich sie später fand. Es gelang mir, sie zusammenzusetzen. Seltsamer-, mir ganz unverständlicherweise waren sie in englischer Sprache geschrieben. Ich habe sie nun ins Deutsche übertragen, und hier sind sie.

 

Aus dem Tagebuch

Augenblick benutzen, schreiben, feststellen, daß krank bin, todkrank, vermute vergiftet.

Kein Gift. Nur Natura. Natura deus, meine: daemon. Auf alles gefaßt. Kann nicht fürchten. Wie äußert sich Krankheit?

Gliedmaßen gelähmt. Nicht gelähmt; jede Bewegung mühseliger von Tag zu Tag. Mag nicht mehr gehen, nicht aufstehn, ankleiden, baden, Messer und Gabel. Weshalb? Willen verloren an Natura.

Saugt mich aus. Saugt mir Willen aus Gehirn, Blut aus Adern, Farbe aus Augen. Ersetzt alles durch Gift aus ihrer Seele. Hier niemals viel Farbe. Aber doch früher blaues Muster in Teppich, silberne, grüne Ranke im Sessel, nun alles erloschen wie Hortus auri divini. Nur noch Naturas bleiches Gelb und – ganz schwach – mütterliches Violett. Mutter jedoch meist unsichtbar. Auch Braun, Grau – alles schwarz geworden. Sehe nur noch Schwarz und Weiß.

Kann auch nicht mehr denken. Alles vergessen. Frage mich: wo geboren? Vater, Land, Bekannte. Vergessen. Alles Leben fortgesogen. Leben gesogen aus Dingen, alles wesenlos, fern, ohne Umriß, Schatten, dünne Schatten. Ferne Kerzen. See. Pechschwarze See, kalkweiß bedeckt mit tanzenden Gespenstern. Brüllt zum Wahnsinnigwerden. Alle taub, stumm. Blaise schwermütig. Hasse Blaise. Immer widerlich gewesen, zarte Haut, dünner Bart, weibisches Wesen. Muß sterben.

Denke immerzu: muß sterben. Mir nicht eingefallen, nicht ausgedacht, war immer so. Natura enterbt, haßt Blaise, will mich. Mag sie nicht sehr, kann aber nicht. Blaise kann ins Meer stürzen. Besser Dolch, ehrlicher. Wann? Wenn es so weit sein wird. Von wem? Einem von zweien. Bin groß und stark, Natura schwach, will lieber, daß ich ...

Reizt mich auch, dieser Blaise. Kommt immer, fragt nach Schlüssel. Habe keinen Schlüssel, Teufel vielleicht hat. Wäre Bild in Zimmer. Teufel soll Bild holen, Blaise und alles.

See aber schön, sehr schön. Stehe oft oben auf Turmzinne. Wonne des Schwindels, erhaben, göttlich. Unendliche Grausamkeit des Meerschlundes. Hunderte von Fuß über grauenvoll zerklüfteter Ebene. Brüllendes Geroll von Bergen. Gletscher. Satanische Giganten, die über Meilen herantaumeln. Heere irrsinniger Amokläufer, die blindlings Häupter und Leiber an Fels schmettern. Stehe entseelt, fühle verdunstende Winzigkeit von Ich. Eissturm schneidet durch Augen, Atem und Glieder, kohlschwarzes Gewölk von oben erstickend, Schleier des Hagelschlags verhängen orgelnde Tiefen. Im Chaos flattert Flammenrest meiner Seele, gespeist von giftigem Öl aus Naturas Seele.

Dann seltsame Stunden, wo alles leer, wenn Natura anwesend. Keine Kraft in Gegenwart andrer, muß mich freilassen. Wenn Mutter zugegen, namenlose Angst in ihren Augen. Verfällt sichtbar. Ich aber frei. Sinke zusammen zu noch vorhandenem Rest. Sehe Natura, frage: Was für Wahnsinn? Warum gefesselt an dies wilde Gespenst, abscheulich, mager wie Galgen, gelb wie Papier. Doch aber dann leise Freude auf Kommendes. Zeit geht hin, sah Mond, Mond nimmt zu, ich nehme ab, werde Gehäuse, lange, krumme, daliegende Muschel, worin Tartarus heult. Höllisches Jauchzen von Ozean nimmt nicht Tag, nicht Minute mehr ab. Denke: vielleicht alles nur Zersetzung der Gehörsnerven, die auf andre übergreift. Kann denken, wenn Natura da ist, auch jetzt, weil Augenblick benutzen, wo noch nachwirkt.

Gestern großen Dolch im Zimmer gefunden auf Bett. Habe selber Dolch. Zwei Dolche, – vielleicht auch Mutter? Scheußlich! Liebe nicht Böses, liebe vielleicht Grauen, weil nicht möglich. Vielleicht auch, wenn sehr böse, Grauen vor Gutem. Hasse nur Mittleres. Was ist böse? Was traurig macht und schaudern. Furcht.

Ich will meine Furcht!

 

12

Vollmond, erste Nacht und die Tanzenden

Ich aber, Li, muß gestehen, daß ich diese Zeilen nicht damals, sondern viel später gelesen habe. Hätte ich sie gelesen – ich weiß nicht, ob ich den Mut gehabt hätte, ihn aufzuwecken, als – aber ich bitte um Verzeihung, ich vergaß mich eben beim Lesen des furchtbaren Blattes, ich will nun alles der Reihe nach schreiben.

Ich darf vielleicht noch daran erinnern, daß die Erscheinung der Füße sich während des Vollwerdens des Mondes in drei Nächten hintereinander zeigte. Wieder war die erste Nacht gekommen. Was mich angeht, so muß ich sagen, daß ich in einen Zustand geraten war, so dumpf, so dunkel, daß ich selber kaum etwas mehr von mir wußte und alle Kraft, die noch in mir war, brauchte, um die Sachen meines gnädigen Herrn in Ordnung zu halten, auch ihn selber zu nötigen, daß er sich baden, ankleiden und rasieren ließ. Fast die ganze übrige Zeit lag ich erschöpft und todesmatt auf meinem Bett, und nur das weiß ich noch, daß ich gewartet habe, ohne selber zu wissen auf was. Nur, daß es ein Ende nehmen sollte!

Es mag sein – ich besinne mich auf alles, was vor dem letzten sich zutrug, sehr schlecht –, daß ich selber das Stöhnen und die Füße vergessen hatte. Jählings dann in der Nacht fuhr ich aus dem Halbschlaf, als ich es hörte, das Stöhnen hörte, überlaut. Aber dann hörte ich noch etwas, das vielleicht noch grauenhafter war: die See war still. Kein Laut war von ihr zu vernehmen. Totenstill war die Nacht, aber stumm, bläulichweiß in dem Schwarzen schwebte an der Wand der große Schatten des Kreuzes.

Ich aber war aufgesprungen und zum Bett meines gnädigen Herrn gelaufen. Der lag im Schlummer, schwer atmend, er röchelte fast, und – ich weiß nicht: tat ich es aus Angst vor den Füßen oder aus Angst, er stürbe? Aber ich rief ihn an, rüttelte ihn an der Schulter, und endlich wachte er auf, gerade als ich die Füße hereinkommen sah.

Mein gnädiger Herr starrte so sonderbar hin, ganz als sähe er sie zum erstenmal. Dann aber schien er sich zu erinnern, erhob sich, ich gab ihm seinen Pelzmantel, den ich zurechtgelegt hatte, er zog ihn an, und nun gingen wir den Füßen nach.

Oh, wie still es war, wie grauenvoll still! Ich glaubte die bleichen Füße huschen zu hören am schwarzen Boden der Halle. Diese hatte in jener Nacht ein bleiches Dach bekommen von den gewaltigen Lichtbalken des Mondscheins, der durch die Fenster einfiel. Nun die Wendelstiege hinab hinter den huschenden Füßen, den langen Korridor. Sie schwanden, aber die Tür öffnete sich unter der Hand meines gnädigen Herrn. Er trat ein, – nein, oh nein, ich wagte es nicht, ich wollte draußen bleiben, allein er schloß die Tür gar nicht wieder, sondern ließ sie weit offenstehn, und da mußte ich in meinem Grauen und meiner unbeschreiblichen Angst das blutrote Licht sehn, das den Raum erfüllte, so entsetzlich, daß ich es nicht ertrug, allein zu sein, und meinem gnädigen Herrn nachging und mich niederhockte an der Wand des Raumes. Mein gnädiger Herr selber saß auf dem Betschemel. Über ihm, grell blutrot beschienen, leuchtete das schauerliche Bild, und der blutrote Balken des Lichtscheins hing in der nachtschwarzen Luft.

Und da – da! da standen die Füße! Was machten sie denn? Der eine hob sich und tastete, ganz als läge dort etwas, und schon sah ich seine Spitze dunkelrot werden, es quoll aus dem Boden, Blut, es quoll, und der eine und der andre Fuß trat auf die quellende Stelle, als wollte er sie zudrücken, und – jählings auf einmal waren sie davon.

Aber sie kamen ja wieder. Was half es mir, daß mir die Augen zufielen, daß ich wankte vor Ohnmacht und Übelkeit, ich mußte doch immer wieder aufsehn, das Blut sehn, das aus den Fliesen quoll und überfloß und den Boden bedeckte, und die Füße, wie sie hineinwateten – ach Himmel, ich selber saß ja mitten im Blut, alles schwamm davon, ich roch das Blut, schmeckte es, ich war naß davon, oder glaubte doch, es zu sein, und gegenüber war das Gesicht meines gnädigen Herrn, unbewegt, das mich ansah, als wollte es mir helfen, und draußen, ich sahs durch die weit offne Tür, draußen tanzten jetzt die Füße ihren irrsinnigen Tanz, rot vom Blut, oh, oh, ihre Sprünge, ihre Flüge! sie warfen sich wie geköpfte, vom eignen Blut rote Tauben in die Luft und fielen und rafften sich zu neuen Zuckungen auf, und auf einmal war ich ohnmächtig geworden und sah nichts mehr.

 

 

13

Zweite Nacht, dritte Nacht und der Morgen

Weiter nun, weiter und zum Ende!

Am Nachmittag des folgenden Tages hörte ich meinen gnädigen Herrn vom Mittagsmahl hastiger hereinkommen als gewöhnlich und nach mir rufen. Kaum, daß ich aus dem meinen in sein Zimmer gelaufen war, fing er mich auf, hob mich und legte mich auf sein Bett. Und dann begann er, an mir diese Striche zu machen, von denen ich schon erzählte, das heißt, er schläferte mich ein. Ich erinnere mich noch, wie ich so dalag und ihn über mir sah, seltsam zufrieden gewesen zu sein, denn er sah sehr ruhig und kühn aus, und ich dachte, jetzt könnte er mich töten, und es würde gar nicht schrecklich, sondern sehr schön sein. Nun, das tat er freilich nicht.

Was mit mir vorging, kann ich nicht gut beschreiben. Ich glaube wohl, daß ich entschlief, daß mein gnädiger Herr mich verschiedenes fragte, das ich auch im Schlafe vernahm, und daß ich geantwortet habe. Jetzt weiß ich nur, daß er mir etwas aufgetragen hat, was ich später ausführte, ja, ich glaube auch, daß er mir befohlen hat, in dieser Nacht zu schlafen.

Geschlafen habe ich jedenfalls. Einmal aber bin ich aufgestanden und in das Zimmer meines gnädigen Herrn gegangen und habe gesehn, daß er auf dem Rücken lag und schlief. Und dies wars, was er mir aufgetragen hatte.

Und nun die letzte Nacht.

 

Aus dem Tagebuch Geschrieben von mir, Li, im Auftrag meines gnädigen Herrn.

Ich muß wohl geschlafen haben. Da weckte mich das Stöhnen. Ich sprang auf und lief zu meinem Herrn. Er lag vollständig angekleidet auf seinem Bett und röchelte furchtbar. Er stammelte auch, er schien in einem furchtbaren Kampf zu sein, denn er warf den Kopf hin und her und zuckte mit den Händen. Ich versuchte ihn zu wecken, rüttelte ihn, schrie, umsonst, er murmelte nur ein fremdes Wort, das Wort » Incassum!« mehrere Male. Schon waren die Füße im Zimmer – o Gott, was gab mir nur die Kraft, was befahl mir nur, nicht abzulassen, bis ich ihn wach hatte? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, daß es mir endlich gelang, daß er emporfuhr, wild um sich blickte und die Füße entdeckte.

Und im Augenblick war er mit einem dumpfen, knirschenden Laut aufgesprungen, und – Herr des Himmels, er warf sich über die Füße her, packte sie beide und hielt sie fest.

Der Wahnsinn, oh, der Wahnsinn! Da habe ich ihm gegenübergekauert und zugesehn, wie er rang mit den Füßen, wie sie sich wanden und sich entreißen wollten. Ich fühlte sie selber in den Händen, fühlte, wie sie glatt waren und kalt, eisglatt und -kalt, aber entsetzlich gelenkig und beweglich, und er preßte sie an den Boden nieder mit aller Kraft, lag auf den Knien, ich sehe ihn noch, sein großes schwarzes mächtiges Haupt schwankte, ich sah, wenn er es zurückwarf, daß er die Augen geschlossen hatte, daß er die Zähne aufeinanderbiß, und dies dauerte, dauerte ...

Da, auf einmal, sah ich auf dem Stuhl hinter meinem gnädigen Herrn einen Dolch liegen. Wie es mich da durchzuckte! Schon flog ich auf ihn zu, schon kniete ich vor meinem Herrn, hielt ihm den Dolch hin und schrie, weiß nicht, was ich schrie, aber er schlug die Augen auf, sah den Dolch, und – da hatte er den einen Fuß fahren gelassen, den Dolch ergriffen, den andern Fuß an den Boden gepreßt und den Dolch hineingestoßen mit aller Kraft, angenagelt den Fuß an den Boden. Und nun der andre, er packte ihn, zog sein eignes festes Messer aus der Tasche, warf es mir hin, ich schlug die Klinge auf, stellte sie fest, reichte es ihm, und angenagelt war auch der zweite Fuß wie der erste ans Holz.

Das letzte, was ich sah, war mein gnädiger Herr, der hoch über mir stand wie ein Riese und sich schüttelte. Dann sagte er »Hu!«, drehte sich langsam um sich selbst und fiel über sein Bett hin.

 

Als ich wieder zu mir kam, war es so hell um mich her, daß ich erstaunte. Ich lag am Boden, in der Diele vor mir staken ein Dolch und ein Messer, mein gnädiger Herr lag auf dem Bett und schien zu schlafen. Oh, wie still, wie wunderbar still war die See! Ich ging leise ans Fenster, sah hinaus, und fast schrie ich auf vor Entzücken, denn grün, himmlisch blau und grün war die friedliche See, glatt wie ein Spiegel, blitzend weiße Scharen der Möwen tummelten sich über den Ebenen, die sachte wankend sich regten, golden überflutet, und mitten in tanzenden Engelsgewändern von schneeweißem Gewölk brodelte das gelbe Sonnenfeuer. Ah, die Farben, die Farben! Ich atmete auf.

Bald darauf erwachte auch mein gnädiger Herr, rieb sich die Augen und war verwundert und entzückt wie ich von dem zauberischen Anblick des Lichts. Dann gähnte er kräftig und sagte:

» Exorcizatus est Satanas – der Teufel ist ausgetrieben, Li, mir ist hundsföttisch übel.«

»Herr Baron«, wagte ich bescheiden zu äußern, »haben sich wieder einmal wie ein großer Held benommen.« – Davon, erwiderte er, verstünde ich nichts. »Horch!« sagte er plötzlich, »hörst du nicht?« – Ja, da hörte ich, daß jemand röchelte. Es schien mir ganz nahe zu sein, und ich dachte gleich an Herrn Blaise, der nebenan schlief, und sagte es meinem gnädigen Herrn, der alsbald aufstand und vor die Tür ging, wohin ich ihm folgte. Wir konnten sehn, daß die zehn Schritte weit entfernte Tür zum Zimmer des Herrn Blaise offenstand, das Tageslicht und der Schatten eines Menschen fielen in die Dunkelheit der Halle, im Nähergehn erkannten wir den Kammerdiener von Herrn Blaise, der todbleich war, zitterte und nicht wagte, vorwärts noch zurück zu gehn. Wir traten ein und hatten einen schrecklichen Anblick. Herr Blaise lag auf seinem Bett, halb aufgerichtet, den Kopf auf der rechten Schulter, röchelnd und schnaubend, und auf seiner Brust war ein blutroter Ritz unter dem zurückgeschlagenen Hemd, also alles haargenau wie auf dem Bilde von Mylord Fergus! Mein gnädiger Herr nun, gefaßt wie immer, trat hinzu, richtete ihn auf, bewegte ihn, und siehe da, er schlug alsbald die Augen auf, noch ganz entsetzt, und fragte, wo er sei. Dann erkannte er seine Umgebung und uns, zog frierend sein Hemd zusammen, und als nun mein gnädiger Herr ihn fragte, was ihm wäre, so sagte er, er habe so Schauerliches geträumt! Er wollte nicht sagen, was, schickte mich dann fort, aber als mein gnädiger Herr eine Weile später in sein Zimmer zurückkehrte, sprach er zu mir:

»Li, höre zu und merke dir genau, was ich dir sage, denn wir werden wahrscheinlich heute noch abreisen, und dann mußt du alles ins Tagebuch schreiben, da ich wahrscheinlich keine Lust mehr dazu haben werde. Höre zu und sprich: weißt du, wer Lady Natura war?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Lady Natura war Natura daemon oder der Satan und hieß vor vierhundert Jahren Isabella; kannst du das begreifen?«

Ich glaubte, so viel zu begreifen, daß ich nickte.

»Und«, fragte mein gnädiger Herr weiter, »weißt du, wer der oder die Engel waren?« – Ich wußte es nicht.

»Der eine Engel«, hatte mein Herr Baron die Güte zu sagen, »warst du, Li, und der andre Engel war Mylady. Und nun, weißt du, was wir getan haben in dieser Nacht?« Ich wußte es nicht zu sagen.

»Wir haben«, sagte er, »den Teufel bei beiden süßen Krallen gepackt, erstlich, und ihn festgehalten, als er den armen Herrn Blaise umbringen wollte, dem er in einem abscheulichen Traum und in der Gestalt seiner Muhme Natura oder seiner Urgroßmutter Isabella erschien, die einen Dolch schwang und auf unbegreifliche Weise verhindert ward, sich über ihn zu werfen. Außerdem – ja«, sagte er, vom Stuhl aufstehend, auf den er sich niedergelassen hatte, »die Messer, da stecken sie ja. Ziehe sie aus, und dann kannst du mitkommen, wenn du magst.«

Ich tat, wie er befahl, und ging hinter ihm her, die große Halle hinunter, durch den Turm und in die andre Halle im zweiten Langbau, wo wir mehrere von der Dienerschaft und die Kammerzofe der Lady vor einer Tür fanden. Sie waren sehr ängstlich, sagten, die Lady schlafe hinter der Tür, und sie habe, sagte die Kammerfrau, gegen Morgen ein schreckliches Schreien gehört, sei auch hingelaufen, habe die Tür aber verschlossen gefunden. Das Schreien habe bald aufgehört, und nun sei die Tür noch immer verschlossen, obwohl doch längst die Zeit gekommen sei, wo die Lady aufzustehen pflegte ...

Ja, wenn nicht all das Unsagbare vorher sich begeben hätte, so weiß ich nicht, ob ich den Anblick ertragen haben würde, der sich uns bot, nachdem mein gnädiger Herr die Tür aufgesprengt hatte. Auf ihrem breiten Bett, auf einer blutroten Decke lag der nackte Körper der Lady, und sie war tot. Mein gnädiger Herr, der allein zu ihr zu treten wagte, beugte sich über sie und winkte mir dann. Das Fußende des Bettes war in das Zimmer hineingerichtet, so daß ich ihre Füße nicht hatte sehen können hinter der Brüstung. Nun aber sah ich und schauderte: Durchbohrt waren die beiden Füße, blutig durchbohrt von Wunden, wie die Füße des guten Heilands; ganz als wären sie mit Nägeln oder Messern an die Fußbrüstung des Bettes genagelt gewesen.

Keine Wunde an ihrer Brust. Aber sie war tot, kein Zweifel. Nicht mehr so böse sah sie aus. Auch nicht eben gut; aber friedlich. Gott habe sie selig, sie hat wohl das Böse gewollt, aber doch nicht vollbracht, und sie ruhe in Frieden!

Hier könnte ich schließen. Als ich aber damals, wenige Tage nach unserer Rückkehr ins liebe deutsche Vaterland, dem Wunsche meines gnädigen Herrn gemäß die obenstehende Beschreibung der beiden letzten Nächte ins Tagebuch eingetragen und ihm vorgelegt hatte, nahm er die Feder, sagte, es wäre noch etwas vergessen, das freilich ich selber nicht gesehen hätte und also auch nicht wissen könnte, das aber, sagte er scherzend, besonders von Wichtigkeit sei und nicht vergessen werden dürfte, wenn seine Abenteuer und Schicksale einmal im Druck erschienen, worauf er mir die Feder gab und das Folgende diktierte:

»Dem frommen Leser dieser Schrecken eine kleine Tröstlichkeit zum Beschluß. Vor meiner Abreise führte Blaises Mutter mich in das Zimmer mit dem Bilde des ermordeten Fergus. Sie hatte ein schönes Arrangement von hundert Kerzen darin auferbaut, damit ja deutlich und für alle untrüglich sichtbar werde, was sie entdeckt hatte: Auch der tote Fergus war ganz zur Ruhe eingegangen. Friedlich, schlafend, halboffenen Mundes, dämmerte sein christliches Gesicht, und das Sterben schmerzte nicht mehr.«


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