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X. Fiordispina

1.

Ist neu des Kampfes Meute losgelassen,
Die oft durch diese düstern Erkergassen
Dahingeschnaubt, wenn Welf und Ghibellin
Vom Fuß der Alpen bis zum Apennin
Mit Bürgerblut Italiens Auen netzten
Und keiner der von blinder Wut Gehetzten,
Warum das Schwert er zückte, sagen konnte?
Wie oft: »Uberto hie! Hie Buondelmonte!
Sperrt ab die Straßen! Keinen laßt entrinnen!«
Erscholl der Ruf von der Paläste Zinnen,
Und Weiber, Kinder bargen sich erschrocken
In ihre Kammern; aller Thürme Glocken
Rasten im Sturmgeläute, Schwerter blitzten,
Und durch die Straßen hin, die blutbespritzten,
Satt schwelgte sich in Mord der Feinde Haß,
Der Söhne Einer Mutter.

Nein, nicht das
Ist heut dein Loos, altherrliches Florenz!
Wo sonst vom Lenz zum Herbst, vom Herbst zum Lenz
Der Kampf getost, wogt fröhlich nun der Strom
Des Volks vom Ponte Vecchio bis zum Dom.
Kaum noch befahl der Podestà, die Brücken,
Paläste, Kirchen, Häuser reich zu schmücken:
Und schnell, als sei der Frühling durch das Thor
Hereingezogen, der im Blüthenflor
Die Gartenhügel außen grünen läßt,
In Prachtgewande für das Siegesfest
Gekleidet hatte sich die Arnostadt.
Von bunten Wimpeln schimmert farbensatt
Ringshin die Luft; auf Zinnen und auf Warten
Und Dächern wehen flatternde Standarten,
Die Fenster sind mit Purpurtuch behängt,
Und längs der Straßen, wo das Volk sich drängt,
Wie wallt der edle Bannerschmuck der Gilden,
Wie leuchten mit bekränzten Wappenschilden
Die Adelsburgen, draus von den Altanen
Antlitz an Antlitz zwischen wehnden Fahnen
Herniederschaut!

Und nun Drommetenklang!
Nach Süden kehrt, die Häuserreihn entlang,
Sich jeder Blick; schon sieht man Fahnenspitzen,
Helme und Harnische im Frühlicht blitzen,
Und seitwärts auseinander weicht die Menge,
Wie von der Brücke her durch das Gedränge
Der Zug der Sieger naht. Auf feur'gen Rossen
Voran die beiden jungen Schwertgenossen,
Ippolito von der Uberti Stamme
Und Cosmo Buondelmonte – nie aufflamme
Von Neuem nun der Zwiespalt der Geschlechter!
Als Freunde werden diese Zwei die Wächter
Des Friedens sein und an des Arnothals
Abhang kann ungestört wie ehemals
Der Schnitter mähn, der Winzer Trauben lesen.
Ja! seit zum Kampfe wider die Sanesen
Sich die Partein vereint, die gegenseits
Sich lang befehdet in der Wuth des Streits,
Ist jenes blut'gen Haders Schluß verbürgt,
Der deine Söhne lang, Florenz, gewürgt.

Hin geht der Zug an Häusern und Arkaden,
Indeß es von Terrassen, von Estraden
»Heil! Heil!« erschallt und durch die Blumenspenden,
Herabgestreut von schöner Frauen Händen,
Der Boden schimmert, wie im schönen Mai
Die Wiesen Vallombrosa's. Unsern Zwei,
Als sie mit Purpurschärpe, Schwert und Schild
Im Stahlgewand vorüberziehn, nur gilt
Der Blick von Allen. Unter Siegesbogen
Bahn brechen sie sich durch die Menschenwogen
Bis hin zum Dome. Dort vor dem Portal,
Wo hoch empor den kühlen Wasserstrahl
Springbrunnen aus dem Marmorbecken senden,
Sind die Anziani hingereiht. Nicht enden
Will das Gejauchze, als zu Dankgebeten
Die Sieger in die Kirchenhalle treten.
O, drinnen das Gewühl, wer mag es schildern?
An Nischen hängen und an Heil'genbildern
Noch Menschen festgeklammert; Kirchendiener
Streun Weihrauch, und manch Bild der Byzantiner
In Goldglanz schaut herab zum knienden Volke,
Indessen schimmernd auf der Weihrauchwolke
Der Schein sich wiegt, den her vom Hochaltar
Die Kerzen werfen. Knaben, Paar an Paar,
Holdselig gleich des Cimabue Engeln,
Im weißen Meßkleid und mit Blumenstengeln
Stehn an den beiden Seiten der Empore,
Und übers Haupt der Beter hin im Chore
Rauscht Orgelklang.

Als die Musik verhallt
Und nun durchs Thor hinaus der Festzug wallt,
Begrüßt der Greis Uberto seinen Sohn
Ippolito: »O, wenn man einen Thron
Mir böte, ihn für dieser Stunde Glück
Würd' ich verschmähen! Blickt mein Geist zurück
Auf alle frühern meiner siebzig Jahre,
Ihr find' ich keine gleich; den Schnee der Haare
Mit Jugend-Braun neu könnte sie mir färben,
Und williger mich leg' ich nun zum Sterben,
Nachdem ich sie erlebt. Hab Dank, hab Dank!« –
Und freudig an die Brust des Vaters sank
Der Sohn; dann weiter sprach der Alte so:
»Und nun erfahre, mein Ippolito,
Was dieses großen Tages Freude krönt!
Damit von Ahn zu Enkel jetzt versöhnt
Der Haß der Stämme sei, das wüste Hadern,
Das lang mit Blut aus seiner Bürger Adern
Die Straßen von Florenz getränkt, geeint
Jüngst hab' ich mich mit meinem alten Feind,
Dem Buondelmonte, daß mit seinem Kinde
Ginevra sich mein einz'ger Sohn verbinde.
Segnen den Tag, wenn du die Hand ihr reichst,
Wird unsre theure Stadt. Wie? du erbleichst?
Nun ja; denn große Freuden, sagt man, lassen
In sel'gem Schrecken das Gesicht erblassen,
Und nicht geahnt hast du, welch Glück dir blühte.
An Adel mißt sich, Schönheit, Herzensgüte
Ginevren Keine. Zum Verlobungsfeste
Auf morgen sind geladen schon die Gäste.«

2.

Eintrat in der Uberti Haus der Alte.
Das Wort, das er gesprochen, aber hallte
Dem Sohn verwirrend noch durch Ohr und Sinn
Und trieb ihn ruhlos durch die Straßen hin.
Wie in den Phantasien des Fieberkranken
Irrwanderten im Geist ihm die Gedanken,
Betäubt von jener Kunde Donnerschlag.
Ihm auf der Stirne, auf der Seele lag
Bleischwerer Druck, und in das Leere bohrte
Sein Auge sich, das irre, nachtumflorte.
Bisweilen sprach er vor sich hin: »Nein, nimmer!«
Und wie am Abgrund sich ein Bergerklimmer
Bang an der überhangenden Zacke hält,
Damit er nicht, am Felsgestein zerschellt,
In bodenlose Tiefe stürze, so
Zu klammern suchte sich Ippolito
An den Gedanken: »Nimmer! Für den Haß
Der Buondelmonti und Uberti, was
Denkt man als Sühnungsopfer mich zu weihn?
Erloschen ist der Zwiespalt der Partein,
Und glimmt verborgen noch ein Funke, dämpfen
Wird ihn die Zeit, daß nie in blut'gen Kämpfen
Der Bürger mehr sich diese Stadt zerfleischt.
Bei Gott! ich weigre, was der Vater heischt,
Und sag' ihm keck ins Angesicht: ›Du sinnst,
Das Glück des Sohnes für ein Hirngespinnst
Dahinzugeben; aber hör' mich schwören:
Nie einer Andern wird dies Herz gehören,
Noch diese Hand, als meiner Fiordispine.‹«

Indeß er weiter irrt, steigt aus dem Grüne
Am Wege, der nach San Miniato leitet,
Vor ihm ein Gartenschloß empor. Er schreitet
Hin zu dem Thore, pocht, pocht wiederum,
Ruft: »Oeffnet mir!« doch lang bleibt Alles stumm.
Dann von der Treppe obenher ein leiser
Fußtritt, die Stufen kommt's herab, und heiser
Fragt eine Stimme: »Wer da?« – Nun Gebell
Masetto's auch, und: »Oeffnet, öffnet schnell!«
Begehrt Ippolito; der Riegel klirrt;
Das Hündchen, das gewahr des Gastes wird,
Springt freundlich auf ihn zu, und Ottima,
Die Alte, schlägt die Hände: »Ei, sieh da!
Ihr, junger Herr? Wer hätte das gedacht?
Gott habe Dank, daß glücklich aus der Schlacht
Ihr heimgekehrt! Doch hier im Haus ist Trauer,
Und meine Herrin sah seit Wochendauer
Kein Menschenantlitz. Ihren guten Ohm
Bestatteten wir in der Gruft beim Dom,
Und Fiordispina steht allein, verwaist.
Doch kommt! Wenn alle Andern auch, Euch weist
Sie nicht zurück.« –

Der Jüngling stürmt voll Hast
Aufwärts bis in den innersten Palast,
Und – seinen Schritt von fern hat sie erkannt –
Entgegen tritt im schwarzen Florgewand
Ihm Fiordispina: »Tausendmal willkommen,
Mein Freund! Wie lang um Euch von Angst beklommen
War mir das Herz! Vor mir stand Euer Bild
Bei Tag und Nacht, wie auf dem Schlachtgefild
Der Tod zu allen Seiten um Euch starrte.
Bald Eure Glieder von der Hellebarte
Sah ich durchbohrt, bald, wie durchs Mordgetümmel
Ihr braustet auf dem blutbespritzten Schimmel
Und jäh, vom Schwert gefällt, zu Boden sankt.
Marien und allen Heil'gen sei's gedankt,
Schreckbilder nur, die ich mir selbst geschaffen,
Gewesen sind's! Doch immer noch in Waffen?
Legt ab!« Und bei der Stimme süßem Klang
Dem Jüngling wird's wie Einem, welcher lang
Nur Winterschnee gesehn und im April,
Durch frühlingsgrüne Wiese schreitend, still
Auf einmal steht, weil aus dem nahen Wald
Das Lied der Nachtigall ans Ohr ihm schallt.
Aufathmet froh, befreit von schwerer Fessel,
Die Brust Ippolito's, und auf den Sessel
Sich läßt er bei der Theuern niedergleiten;
Ihr in das Auge schauend, in den weiten
Tiefklaren Himmel glaubt er aufzublicken,
Und sie, indeß in schweigendem Entzücken
Er ihr zur Seite sitzt, löst mit der Hand
Von Brustharnisch und Panzer ihm das Band

Und legt die Rüstung, drin geschnürt er war,
Zu Boden hin, so daß sein Lockenhaar
Geringelt um die weißen Schultern flutet.
Dann neu nimmt sie das Wort: »Daß hochgemuthet
Und kühn Ihr seid, ich hab' es stets gewußt;
Schon, als wir Kinder waren, schuf's mir Lust,
Euch bei dem Spiele ›Ghibellin und Welf‹
Den Andern stets vorauf zu sehn. Kaum elf
Der Jahre zähltet Ihr, ich noch nicht sieben,
Daß schon von uns ›wie sich die Beiden lieben‹
Das Sprichwort ging. Als Held nun, sieggekrönt,
Deß Name von den Lippen Aller tönt,
Steht Ihr vor mir, und bei dem Ruhmesglanz,
Der Euch umleuchtet, wurde dennoch ganz
Die Jugendfreundin nicht von Euch vergessen.
Habt Dank! und glaubt, nichts acht' ich alles Dessen,
Was Gott an Glück mir auf der Erde gab,
So hoch wie Eure Liebe; bis ans Grab
Wird die Erinnrung dran mir alle Tage
Beseligen; doch, mit der Todtenklage
Um meinen theuern Ohm noch auf dem Munde,
Geziemt mir, ernst in dieser ernsten Stunde
Zu Euch zu reden. Ruhig, Freund! Ihr wißt,
Um der Geschlechter Haß und blut'gen Zwist
Für immer zu besiegeln, ward am Tag
Der Himmelfahrt im Dome der Vertrag
Von beiden Häuptern der Partein geschlossen,
Daß Buondelmonte's und Uberto's Sprossen,
Du und Ginevra, sich die Hände reichen.« –

Auffährt Ippolito, und ihm erbleichen
Die Wangen: »Und davon nur magst du reden?
Zerrissen sind seit heut des Netzes Fäden,
Mit dem man mich umgarnen will. Nur du,
Du, Fiordispina, bist, ich schwör's dir zu« –
»Euch Freundin bin ich, ja!« – so fällt sie ein –
»Doch, mein Ippolito, der Sterne Schein
Ist trüb ob unserm Haupt, und dem Beschluß
Der weisen Himmelsmächte fügen muß
Der Mensch sich, auch wenn er ihn nimmer faßt.
Die sich von grauen Zeiten her gehaßt,
Die beiden Stämme, zu versöhnen hängt
An Euch, Euch einzig; wenn den Bund Ihr sprengt,
Den sie geschlossen, wenn Ginevra's Hand
Von Euch verschmäht wird, furchtbar schlägt der Brand
Von Neuem dann empor in helle Flamme:
›Rache! Tod Jedem vom Uberti-Stamme!‹
Wird neu der Buondelmonti Kriegsruf schallen
Und Euer Haupt als erstes Opfer fallen.
Habt mit Euch selber, habt mit mir Erbarmen!
Ja, ja, Ippolito, von hundert Armen
Seh' ich den Dolch auf Eure Brust gezückt;
Nirgend Entrinnen! Rings seid Ihr umstrickt,
Wie Löwen von dem Netz; hoch spritzt Eu'r Blut
Aus Todeswunden, und in blinder Wut
Hin über Euch seh' ich die grimme Meute
Des Kampfes brausen; wo im Jubel heute
Das Volk sich drängte, wird der Rache Stahl
Aus hundert Scheiden blitzen, bis der Strahl
Der Sonne in dem Qualm des Bluts erlischt.
Schon Schwerterklang, mit Siegsgeschrei vermischt,
Vernehm' ich und der Kinder Jammerrufe,
Die sich, zertreten durch der Rosse Hufe,
Am Boden winden, und der Flammen Zischen
Von Dach zu Dach und Mordgeheul dazwischen.
Durch Stadt und Land hin wird im Würgerzug
Parteiwut rasen und umsonst der Pflug
Die Felder ackern; Roßgestampf zermalmt
Die Saat noch, eh sie aus den Furchen halmt,
Und wüten wird die Pest, die Hungersnoth
In diesen Mauern. Ja, und hat der Tod
Der Bürger Tausende dahingeschlachtet,
Liegt blutend endlich, hülflos und mißachtet,
Im Staub des Bodens diese theure Stadt;
Doch wird nach neuen Opfern nimmersatt
Die Rache lechzen und Freiheit und Recht
Bis auf das ungeborene Geschlecht
Dem Fremdling, der sein Schwert ihr leiht, verkaufen,
Bis über Leichen und Ruinenhaufen
Die Zwingburg ein Tyrann sich baut.«

»Halt ein!
In Träumen läßt sich Vieles prophezein –«
Fällt ihr Ippolito ins Wort – »doch gilt
Mir Alles nur als eitles Luftgebild.
Und du – nein, nein! unmöglich ist's – du sinnst,
Mich hinzuopfern solchem Hirngespinnst?«

»O Freund« – rief Jene aus – »war's nicht genug
Mit dem, was ich gesagt? Des Himmels Fluch
Würd' ich mir auf das Haupt herabbeschwören,
Wollt' ich dein Ohr mit falschem Rath bethören.
Anklagen mich als deine Mörderin
Müßt' ich zuerst; und raste neu dahin
Durch unsre Stadt der Kampf nun, trüg' ich nicht
Die Schuld des Unheils? Vor dem Angesicht
Des großen Richters wie zu Boden schlagen
Müßt' ich die Augen, wenn, mich zu verklagen,
All Jene, welche sich gewürgt im Haß,
Vor seinem Throne blutend, leichenblaß,
Mit Fingern nach mir wiesen: ›Diese war's,
Die, als wir schon am Fuße des Altars
Den Frieden schlossen, in den Sturm der Schlacht
Zurück uns trieb und neu den Krieg entfacht
Und über dies Florenz, das sie geboren,
Schmach, Elend, Untergang heraufbeschworen.‹
Nein, nein, Ippolito, nicht auf mein Haupt
Lad' ich so grause Schuld, und Ihr, o raubt
Mir nicht den Trost, den einzigen! Uns vermählen,
Wie dürften, könnten wir's? Den Machtbefehlen
Des Himmels widersetzt Euch nicht in Blindheit!
Ginevren reicht die Hand! Schon seit der Kindheit,
Zum Trotz den Vätern, Freundin nannt' ich sie;
Und wie zwei Klänge Einer Melodie
Einander fliehn, um neu sich zu verbinden,
Nach kindischem Zwist uns inniger zu finden
Stets sicher waren wir. Dein ist sie werth,
Ippolito, und ruht des Kampfes Schwert
Nun in der Scheide, seh' ich zu den Stufen
Des Altars bei des Volkes Segensrufen
Dich mit der holden Braut am Arme treten,
Für Euer Heil dann will ich brünstig beten.«

Gesprungen war Ippolito vom Sitze;
Aus seinen Augen sprühten irre Blitze.
»Wozu« – rief er – »noch ferner Zwiegespräch?
Du hast mich nie geliebt. Hinweg! hinweg!«

3.

Der Jüngling stürmte fort. Verwundert maßen
Ihn Aller Blicke, wie er durch die Straßen
Gleich Sinnverwirrten taumelte. Ihn litt's
Nicht länger in Florenz, und schwanken Schritts
Nahm er den Weg zum Gallo-Thor hinaus.
Statt Menschenlaute will er das Gebraus
Der wilden Apenninenströme hören
Und in den Wipfeln blitzgespaltner Föhren
Des Sturmwinds Tosen. Hinter ihm verhallt
Der Lärm der Stadt schon, und der düstre Wald
Von Pracchia nimmt in seiner Cedern, Eiben
Tiefernste Nacht ihn auf. Dem Menschentreiben
Entfernt durchstreift er dort Gebirg und Thäler,
Die Hütten meidend selbst der armen Köhler,
Die einsam hier und da am Felsen kleben.
Vergällt ist ihm die Welt durch was er eben
Aus Fiordispina's Mund gehört. So reißt
Sie selbst – noch kann es fassen nicht sein Geist –
Aus eignem Trieb sie selbst sich von ihm los,
Zu der die Liebe, wie die Sonne groß,
In seinem Herzen strahlt? – In Gram versenkt,
Oft ruht er stundenlang, indem er's denkt,
Am Abgrund, wo der Strom durch ausgehöhltes
Gestein sich wälzt und wie ein schmerzgequältes
Gemüth in dunkle Tiefen sinkt. Von dannen
Drauf wieder tiefer in die Schlucht der Tannen
Stürzt er, die Augen starr, die wirren Locken
Im Winde flatternd; ihn gewahrt erschrocken,
Wie er gespenstergleich vorüberflieht,
Der Wandrer, der des Weges einsam zieht.

Schwer unterdeß, seit sie allein geblieben,
War Fiordispina's Herz. »Den Einzig-Lieben
Hab' ich gekränkt, er muß darob mir grollen;
Ihm milder hätt' ich Alles sagen sollen –
Wer weiß, wohin er in Verzweiflung stürmt?«
Und wie sie's denkt, gleich Wetterwolken thürmt
Sich's finster vor dem Geist ihr. Hin und her
Schweift brütend ihr Gedanke, sorgenschwer;
Schon nächtlich dunkelt's; Stunde hallt auf Stunde
Schläfrig herüber von der Glocken Munde,
Doch auf ihr überwachtes Auge sinkt
Kein Schlummer nieder. Kaum durchs Fenster blinkt
Der Morgenschein, so ruft sie ins Gemach
Der Dienerin hinüber: »Bist du wach?
Auf, Ottima, und wo er immer weile,
Ruf mir Ippolito zurück! doch eile!«

Die Alte geht hinweg, und sie, allein,
Sinkt auf den Sessel hin in Seelenpein.
Noch fort und fort den Worten denkt sie nach,
Den bitteren, die er im Scheiden sprach:
»Du hast mich nie geliebt.« – »Ich ihn nicht lieben?
Elend will ich auf Erden sein und drüben
Ewig verdammt, wenn nicht bei Nacht wie Tag
Für ihn mein Herz geklopft mit jedem Schlag.
War's nicht vielleicht in Fieberphantasien,
Daß Unheil mir so nah, so drohend schien,
Wenn ich mich nicht von dem Geliebten schiede?
Tönt's doch von allen Lippen: Friede! Friede!
Schon durch Florenz hin, und warum sofort
Verhallte das gebenedeite Wort
Im Kriegsgeschrei, wenn ich die Hand ihm reiche?
Ja, darf den Bund ich brechen, weil mir bleiche
Gespenster, die mein eignes Hirn gebar,
Verderben prophezeiten? Die Gefahr,
Wenn eine ist, wird sich beschwören lassen –
Doch nein! Herr Gott, wenn nun das alte Hassen
Aufs Neu in lohen Flammen sich erhebt
Und ihn und diese Stadt in Schutt begräbt;
Weh! weh!« So, wie sie sinnt und wieder sinnt,
Tiefer und tiefer in das Labyrinth
Verstrickt sie sich. Träg hingeschlichen ist,
Indeß ihr Pulsschlag die Sekunden mißt,
Schon Stund' auf Stunde; oft, vom Sitze bang
Auffahrend, lauscht sie nach dem Bogengang
Und stürzt, wenn sie den Tritt Ippolito's
Zu hören glaubt, zur Thür hin athemlos;
Umsonst; bald wieder ist der Ton verstummt,
Mittag vorüber längst, vom Thurme summt
Der Schall der Vesperglocke – endlich da
Heimkehrt vom langen Gange Ottima,
Und eh sie noch die Treppen, hochgestuft,
Emporgeklommen, nach der Herrin ruft
Sie aufwärts: »Ihn die ganze Stadt hindurch
Hab' ich gesucht, in der Uberti-Burg
Und sonst bei seinen Sippen nachgefragt,
Doch: von Ippolito, ward mir gesagt,
Weiß Keiner. Früh schon zum Verlobungsfeste
Versammelt haben heute sich die Gäste
Vom Buondelmonti- und Uberti-Stamm,
Gefehlt hat nur Ginevra's Bräutigam,
Und wutempört sind alle ihre Sippen.
Schon Drohungen mit ingrimmbleichen Lippen
Ausstießen sie, zu rächen solche Schmach,
Und sandten Boten dem Entflohnen nach.
Ob in der Apenninen tiefster Schlucht
Er sich auch birgt, umsonst ist seine Flucht.«

Als hörte sie des Dolches Schneide wetzen,
Die ihn durchbohren soll, rafft voll Entsetzen
Sich Fiordispina auf; ums Antlitz schnell
Den Schleier werfend, eilt sie zum Castell
Der Buondelmonti. In Ginevra's Brust,
Die um ihr Glück wie Leid von je gewußt,
Die Sorgen alle denkt sie auszuschütten,
Die bis zum Irrsinn ihr Gemüth zerrütten.

Sie schreitet – und die Dienerin ihr nach –
Durchs hohe Burgthor und in das Gemach
Der Freundin, aber trifft es leer. Rings späht
Ihr Blick vergebens; seitwärts offen steht
Zu des Palastes großem Saal das Thor,
Und wirrer Stimmenschall schlägt an ihr Ohr.
Sie naht dem Eingang; sieh! und in der Halle
Versammelt sind die Buondelmonti alle,
Die Einen rückgelehnt auf ihre Sitze,
Gesenkt die düstern Augen, draus, wie Blitze
Durch Wetterwolken, Zornesflammen lohn,
Die Andern aufgesprungen und mit Drohn
Die Hände an der Schwerter Griff gelegt.
Wie, wenn von fern der Sturm die Schwingen regt,
Ans Meergestad die ersten Wellen branden,
Dringt nur Gemurmel, dumpf und unverstanden,
Zu Fiordispinen, doch sie bebt vor Grauen,
Den stummen Grimm, der auf den finstern Brauen
Gelagert ist, zu sehn. In wilder Flut
Schoß plötzlich bis zum Herzen ihr das Blut,
Als laut, wie zitternd von gehäuftem Groll,
Vor allen andern Eine Stimme scholl:
»Sterben muß er!« und weiter wie Geroll
Des Donners, der von Einer Wolke fort
Zur andern springt, das grause Drohungswort
Vom Mund zu Munde flog. Da durch die Schaar
Der Grimm'gen drängte mit gelöstem Haar
Ginevra sich. »Vergebt ihm!« – rief sie aus –
»Nicht meinethalb macht der Uberti Haus
Zum Haus des Jammers! Was hat er verbrochen?
Sagt an! Hat er mir seine Hand versprochen?
Nie, nie! Und wenn er dem Gebot der Väter
Nicht gleich sich fügt, dafür als Missethäter
Wollt ihr ihn strafen?« – Um des Vaters Knie,
Des greisen Bannerherrn, sich klammert sie,
Unwillig aber stößt sie fort der Greis:
»Für ihn noch bittest du? Hinweg! ich weiß
Von Mitleid nichts, nur Blut rächt solche Schmach,
Wie er uns angethan.« Indeß er's sprach,
Fuhr Kling' an Klinge blitzend aus der Scheide,
Und: »Wo er immer sei, bei unserm Eide« –
Erscholl's von hundert Lippen – »unser Stahl
Wird ihn ereilen!« Flehend noch einmal
Zum Vater, zu den Brüdern Händ' und Stimme
Erhob das Mädchen, doch in höherm Grimme
Aufflammten Jene, und zu ihren Häupten
Die wilden Racheschreie übertäubten
Der Armen Ruf, daß sie ihr Flehn nicht hörten.

Ernst da trat in den Kreis der Wutempörten
Ginevra's Bruder Cosmo: »Ruhen laßt
Noch eure Schwerter! Nicht mit wilder Hast
Stürzt euch zu dieser That, der schicksalsvollen!
Denn, fällt Ippolito, von Neuem rollen
Die Würfel zu jahrhundertlanger Fehde!
Vertraut mir! Laßt mich erst in ernster Rede
An seine Pflicht den Ehrvergeßnen mahnen!
Mit ihm, als wir vereint die theuren Fahnen
Zum Sieg geführt, schloß ich den Freundschaftsbund,
Und wie dem Mahnungswort aus meinem Mund
Nicht sollt' er folgen? In Ginevra's Hand
Wird er die seine legen, daß ein Band
Des Friedens von Geschlechte zu Geschlecht
Die beiden Häuser eine; doch erfrecht
Er sich zum Widerstand – hört meinen Schwur –
Wohin er fliehn mag, seiner Tritte Spur
Auswittern werd' ich, auf daß meine Klinge
Todbringend in das falsche Herz ihm dringe
Und durch sein Blut von unserm Wappenschild
Der Flecken abgewaschen sei.« – Doch wild
Von Rufen unterbrochen ward der Sprecher:
»Wozu noch Frist gegeben dem Verbrecher?
Ist Schmach für uns nicht jeder Athemzug,
Den er noch thut? Jedweden treffe Fluch,
Der vor dem Todesstoße durch sein Schwert
Ihm auch nur zum Gebete Frist gewährt!«
Und wieder von gezückten Klingen blinkt
Die weite Halle. Aber Ruhe winkt
Der greise Bannerherr, der an dem Sims
Des Saales düster und verhaltnen Grimms
Gelehnt; dem Fels gleich, den der Blitz gespalten,
Ist ihm die hohe Stirn gefurcht von Falten,
Und seinem Wort schweigt Jeder ehrfurchtsvoll,
Da er anhebt: »Der Frist genießen soll
Ippolito, die ihm mein Sohn verheißt;
Doch, folgt er nicht der Mahnung, so zerreißt
Er selbst das Band, das ihn ans Leben bindet,
Und bis er sterbend sich am Boden windet,
Wird Allen, die sich Buondelmonte nennen,
Das Mal der Schande auf der Stirne brennen.
Schwört mir den Eid denn auf das Crucifix:
Wenn er die Ehre, die er hinterrücks
Uns schwärzen wollte, sonnenhell und klar
Nicht strahlen läßt und an den Traualtar
Ginevra führt, alsdann – den Eidschwur nehme
Ich hier euch ab – vollstreckt an ihm die Vehme!
Verflucht der Boden, der ihn trägt, verdammt
Die Luft, die er einsaugt! Beim Rächeramt
Gönnt nicht den Augen Schlaf, den Lippen Trank,
Bis er, durchbohrt von euern Schwertern, sank!
Doch nicht genug durch seinen Tod geahndet
Noch wird der Frevel; wie auf Mörder fahndet
Auf Alle, die Uberti heißen! Macht
Auf sie, wie auf ein Rudel Wölfe, Jagd!
Durch Dampf hervor aus ihren Höhlen treibt
Die arge Brut, daß, was drin lebt und leibt
Von euern Speeren falle und die Raben
Sich an den Leichen der Verruchten laben!
Die Wälle ihrer Burgen wälzt zur Erde,
Auf daß ein Hochgericht erhoben werde,
Wo sie gestanden haben. Schwört ihr das?«
Also der Greis mit Lippen, ingrimmblaß,
Und wie er winkte, zum Altare traten
Die Stammgenossen allgesammt und thaten,
Die Hand aufs Crucifix gelegt, den Schwur.

Ohnmächtig fast und sich mit Mühe nur
An Ottima, um nicht zu sinken, haltend,
Gelauscht hat Fiordispina; herzzerspaltend
Drang jedes Wort ihr bis ins tiefste Mark.
»O Herrin!« – raunt ihr Jene zu – »sei stark!
Halt aufrecht dich!« – und mit verstörtem Sinn
Heim wankt sie an dem Arm der Dienerin.

4.

Umstürmt von der Empfindungen Gewühl,
In ihrer Kammer auf den Lagerpfühl
Sinkt die Unsel'ge hin; betäubt, verwirrt
Durch das, was eben sie vernommen, irrt
Am Abgrund der Verzweiflung ihr Gedanke.
Wie ein Nachtwandler, wenn der Fuß, der schwanke,
An schwindelsteilem Rand hoch auf dem Dach
Dahin ihn trägt, und dann auf einmal wach
Er in den jähen Schlund hinunterblickt,
Der ihm zu Füßen gähnt, so plötzlich schrickt
Sie auf und mißt die grausenvolle Tiefe
Des Wehs, an deren Rand sie steht – o, schliefe
Sie schon den Schlaf, aus dem man nie erwacht!
Umhüllte Wahnsinn ihren Geist mit Nacht,
Daß er ihr eignes Dasein ihr verbärge!
Wohin sie blickt, nur Leichen sieht sie, Särge,
Nur Schwerter, auf des Theuren Brust gezückt.
Die Stirne auf des Lagers Pfühl gedrückt,
Aufseufzt sie dumpf, ihr Antlitz fiebert heiß;
Empor dann wieder fährt sie lauten Schrei's:
»Hinweg, hinweg! Ich trage Schuld am ganzen
Unheil! In meinen Busen senkt die Lanzen,
Die Schwerter! Hört! was wollt ihr ihm? – Nein, wehe!
Sie morden mir Ippolito, ich sehe
Die scharfen Speere, wie in seine Glieder
Sich ihre Spitzen bohren; er sinkt nieder,
Aus offnen Wunden strömt sein Blut« –

So bleibt
Sie lang bewußtlos fast; der Irrsinn treibt
Ihr durchs Gemüth hin Bilder über Bilder,
Eines das andre tilgend, wie in wilder
Gewitternacht der Sturm die Wolken jagt;
Und wenn ein Lichtblick ihrem Geiste tagt,
Das Auge wendet sie hinweg voll Grauen,
Die fürchterliche Wahrheit nicht zu schauen.
Aus der Verzweiflung Brüten sich zuletzt
Aufraffend und dem Schicksalsloos entsetzt,
Doch fest ins Antlitz schauend: »Deine Treue« –
Spricht sie zu Ottima – »zeig mir aufs Neue!
Du und die Diener alle dieses Hauses,
Sucht mir Ippolito! Es gilt, ein grauses
Geschick von ihm zu wenden; führt ihn her!
Sein Leben hängt daran und meins!«

Nicht mehr,
Sie hastig nach der Thüre drängend, spricht sie,
Und als die Dienerin gegangen, bricht sie
In Schluchzen aus; vom tiefsten Herzen quillt
Und strömt's ihr heiß empor und überschwillt
Die starre Rinde, die wie eine Klammer
Sich drum gezogen; ihrer Seele Jammer
Löst sich und schmilzt dahin in Zährenfluten;
Ihr ist, sie müßte an dem Schmerz verbluten.

Indeß sie also auf des Sessels Lehne
Die Stirne drückt und Thräne über Thräne
Ihr aus den Augen rollt, tritt ins Gemach
Zu ihr Ginevra leise. Nach und nach
Vermag sich Fiordispina erst zu sammeln,
Als sie emporblickt. An die Brust mit Stammeln
Wirft sich die Freundin ihr: »O Theure, Beste!
Ausströmen muß ich dieses schmerzgepreßte
Gemüth in deins; allein das Weh, den Gram,
Der unversehns mein Leben überkam –
Wag' ich so tiefes Elend auszusprechen,
Und wird mein Herz nicht beim Erzählen brechen?
Mein Hoffen ist, mein liebstes, bis zum Grab
Vernichtet worden; ach, der Vater gab
Dem Glück des Kindes selbst den Todesstoß.
Dem, der mein Alles ist, der wandellos
Ein hoher Stern an meinem Himmel stand,
Mich zwingt er zu entsagen, um die Hand
Uberto's Sohn zu reichen. Auf den Knien
Mit todtenbleichen Lippen bat ich ihn:
›O Vater! deines einz'gen Kindes schone!
Nichts gilt das Leben mir, wenn mir Guidone
Entrissen wird.‹ Doch rauh und hart: ›Es muß
So sein,‹ gab er zur Antwort, ›den Beschluß
Vermöchte Gott selbst nicht zu ändern. Schweigen
Geziemt für dich und mir Gehorsam zeigen.‹
Kein Flehen half; die Brüder unter Zähren
Auch rief ich an, mir Fürsprach zu gewähren,
Allein mit Mienen, die wie Dolche drohten:
›Guidone‹ – sprachen sie – ›zählt zu den Todten,
Wenn er Die nur noch anzublicken wagt,
Die dem Ippolito wir zugesagt.‹
Wo find' ich Trost? wo Rettung? Freundin, ach,
Zur Todtengruft wird mir das Brautgemach,
Der Hochzeitschleier mir zum Leichentuch
Verwandelt werden. Hier des Vaters Fluch,
Der Brüder Drohn – dort Trennung von dem Einen,
Dem Einz'gen, den ich liebe« – und mit Weinen
Umschlingt sie Fiordispina: »Rath mir du!«
Doch keine Tröstung spricht ihr diese zu;
Die eignen Thränen mischt sie mit den ihren,
Und in den Abgrund ihres Wehs verlieren
Sich die Gedanken ihr. »O Liebe, Gute!« –
Spricht sie zuletzt – »mit meinem Herzensblute
Dich würd' ich retten, hätt' ich Macht dazu;
Allein dein Loos ist meines; ich und du,
Ginevra, müssen dem Verhängniß fallen,
Das mit gewalt'gem Tritte, schreckbar Allen,
Durch dies Jahrhundert schreitet. Im Gesang
Der Troubadours nur lebt sie noch, die lang
Geschwundne Zeit, als frei nach eigner Wahl
Sich Herz zum Herzen fand und den Pokal
Der Minne, draus sie süßen Zauber schlürften,
Isold und Tristan leerten – o, wie dürften
Wir Gleiches hoffen, die von Haß umstarrt
Wir sind, von Mord und Rache? Rauh und hart
Herrscht über uns ein eisernes Gesetz;
Und mühn wir uns, zu fliehen aus dem Netz,
In welchem uns gefangen das Geschick,
So fester schlingt es uns in sein Gestrick.
Geschaffen sind die Herzen, um zu brechen;
Nicht andern Trost dir hab' ich zuzusprechen.«

Sie schwieg, und lang in ihrem Seelenleiden
Stumm bei einander saßen noch die Beiden.

5.

Allein, nachdem Ginevra fortgegangen,
Harrt Fiordispina, athemlos vor Bangen,
Auf den Geliebten. Nach und nach erblassen
Die Tagesstrahlen, still wird's auf den Gassen,
Und immer kommt er nicht. Die Stunden schwinden,
Vom Thurm her hallen in den Abendwinden
Zehn Glockenklänge, die zum Schlummer mahnen;
Doch, mögen Alle ruhn, ein stilles Ahnen
Verkündet ihr des Vielgeliebten Nähe.
Ihr ist, ein frischer Hauch vom Himmel wehe
Die Sorgen fort, die ihre Brust beklommen;
Und wie es tiefer dunkelt, blüht dem Kommen
Ippolito's des Mädchens Herz entgegen,
Gleich wie die Rose nach Gewitterregen
Den Sommerlüften, die ihr kosend nahn.
So gartenwärts tritt sie auf den Altan
Und sieht die großen Nachtgestirne steigen;
Da, horch! was regt sich unten in den Zweigen?
Die Gartenthür geht auf, ein Fußtritt hallt,
Und durchs Gesträuch, das auseinander wallt,
Tritt Einer vor; das bleiche Mondenlicht
Läßt kaum erkennen, ob er's ist, ob nicht;
Ja, ja, er muß es sein: den Lorbeergang,
Den nächtlich dunkelnden, eilt sie entlang,
Und sieh! ein Mondstrahl, der durch Wolken blinkt,
Fällt vor ihr auf Ippolito; sie sinkt
An seine Brust, umfängt ihn mit dem weichen
Schneeweißen Arm und führt den Sterbensbleichen
Mit sich zur Laube hin, wo Blüthenranken
Wollüst'gen Duftes über ihnen schwanken.
Kein Laut, als nur ein Ach der Liebe, ringt
Sich ihr vom Mund, indeß sie ihn umschlingt;
Ippolito, der erst noch zweifelnd steht,
Fühlt sich von ihrem Athemhauch umweht,
Und ihres Herzens Klopfen, wie es warm
An seines schlägt; da mählig, wie ein Schwarm
Nächtlicher Geister, weicht von ihm das Heer
Finstrer Gedanken; mehr und immer mehr
Beginnt in seiner Brust das Eis zu thauen,
Und in das Auge wieder voll Vertrauen
Blickt er dem Mädchen, wie sie spricht: »O Lieber!
O Einzig-Theurer! noch bebt jede Fiber
In mir und wird mein Auge thränennaß,
Wenn ich des bittern Wortes denke, das
Du scheidend zu mir sprachst. Ich dich nicht lieben?
Mög' ich unselig werden hier und drüben,
Wenn nicht von früh bis spät, bei Nacht und Tag
Für dich nur, dich allein, mit jedem Schlag
Mein Herz geklopft hat, wenn nicht du von je
Mein Alles warst! Des Lebens Wohl und Weh
Kommt mir von dir, nur du kannst mich beglücken,
Betrüben du allein! Vor meinen Blicken
Ist Nacht, wo du nicht bist! Nicht meinen Willen,
Nur deinen Wunsch, du Einziger, zu stillen,
Hab' ich, seit ich zuerst dich sah, gestrebt
Und dich, so wahr ein Gott dort oben lebt,
Dich selbst allein gesucht, nicht Gut noch Habe,
Nicht Lust noch Glanz; mit dir im dunkeln Grabe
Zu ruhen, in Atome zu vergehen,
Bis sich mein Staub dem deinen mischt, verschmähen
Würd' ich den Thron, den mir ein Andrer böte,
Für solches Glück!« – Sie schweigt, und das Geflöte
Der Nachtigall im Wipfel der Cypresse
Erfüllt die Pause. Schon verschwand die Blässe
Des Grams im Angesicht Ippolito's;
An ihre Seite auf die Bank von Moos
Zieht Fiordispina's Hand den Jüngling nieder
Und schmiegt sich sanft an seine starken Glieder
Und nimmt und gibt der Liebe süße Glut.
Er fühlt, indeß er ihr am Busen ruht,
Hinauf, hinab mit Steigen und mit Fallen
Die warmen Ströme ihres Lebens wallen.
In Ringeln fällt ihr schwarzes Lockenhaar
Auf ihn herab, indessen Auge klar
In Auge blickend bis zum tiefsten Grund
Der Seele niederschaut. Mund glüht an Mund
In vollem heißem Kusse, und zusammen
Lodern zu Einem großen Brand die Flammen,
Die aus dem tiefsten Wesen Beider brechen;
Die Lippen schweigen, nur die Blicke sprechen,
Nur Seele jubelt stumm der Seele zu,
Bis in der großen Stille Ich und Du
Bereinigt untergehn im sel'gen Tod
Und Einer Flamme gleich, die aufwärts loht,
Empor sich schwingen über Welt und Zeit.

So haben sie in langer Seligkeit
Geschwelgt, da schaut ihm Fiordispina groß
Ins Auge, ringt aus seinem Arm sich los
Und spricht zu ihm: »Nun, Freund, hast du erkannt,
Wie ich dich liebe? Wohl, so gib ein Pfand
Auch du der Liebe mir, bevor wir scheiden!
Mit heil'gem Schwure mußt du mir beeiden,
Daß deine Hand Ginevren am Altar
Du reichen willst und mich für immerdar
Vergessen! Danken laß uns dem Geschick,
Daß es der Liebe überschwänglich Glück
Gegönnt uns hat in dieser Einen Nacht!
Und wenn zu ew'ger Trennung nun die Macht,
Die finstere, uns auseinander treibt,
Die ob der Menschen Häuptern herrscht, was bleibt
Uns übrig, als uns willig ihr zu fügen?
Die Stunde Seligkeit muß uns genügen,
Sonst rufen wir des Himmels Wetterstrahl
Auf unser Haupt herab, und Weh und Qual
Auf diese theure Stadt, die nimmer enden;
Selbst Gott vermag dies Schicksal nicht zu wenden.
So leiste denn den Schwur, den ich verlangt!
Der Lebenden und Künftigen Schicksal hangt
An diesem Eid.«

Der Jüngling fährt verstört
Empor, als er die ernsten Worte hört;
Doch in der Seele Taumel faßt er sie
Nur halb und ruft: »O Einzig-Theure! wie
Dem, was du forderst, böt' ich Widerstand?
Ich schwöre« – »Schwöre mit erhobner Hand« –
Fällt Jene ein – »beim höchsten Gott dort oben,
Beim Heil der Seele!« – und die Hand erhoben,
Schwur ihr des Eides Worte, die sie sprach,
Ippolito mit zitternder Stimme nach.
Dann fuhr er auf: »Laß diese Trübsal schwinden!
Des Schwures wirst du mich noch selbst entbinden.
Warum auch, daß wir uns entsagen müßten?
Aus dieser Stadt des Haders zu den Küsten
Der Adria entfliehen wir und weiter
Zur fröhlichen Venezia, wo heiter
Der Himmel über unsrer Liebe blaut.« –

In ernster Wehmut ihm ins Auge schaut
Hauptschüttelnd Fiordispina: »Nimmer, nimmer!
Selbst wenn dem Dolche du entgingst, in Trümmer
Verwandelte der Buondelmonti Rache
Um unserthalb die Stadt; das hundertfache
Elend von Bandenwut und Bürgerkampf,
Die lauten Flüche, in des Sterbens Krampf
Uns zugeheult von der Erschlagnen Munde,
Die stummen, uns aus blut'ger Todeswunde
Anstarrend – denk, mein Freund, an alles das,
Denk an der Mitwelt, an der Nachwelt Haß,
Der unser Haupt belasten würde – nein,
Wenn alle Heil'gen auch im Glorienschein
Hin vor den Thron des höchsten Gottes träten
Und ihn um Lösung deines Schwures bäten,
Nicht würd' er dich entbinden von dem Eide.«

Tief athmete Ippolito, und Beide,
Den Blick zu Boden schlagend, blieben stumm.
Dann hub der Jüngling wieder an: »Warum
Uns diese sel'ge Stunde so durch Weh
Verbittern? Nichts, Geliebte, bringt uns je
Zurück die heut verlorene Minute!«
Und neu, auf daß sie an der Brust ihm ruhte,
Zog er die Theure, ihr ins Auge schauend,
In seine Arme. Mählig wieder thauend
Vom Herzen strömte das erstarrte Blut
Durch beider Adern in lebend'ger Flut,
Und während Sommernachtluft wollustweich
Um ihre Stirnen strich durch das Gezweig
Und heißer Duft den Blüthen der Limonen
Entquoll und um des Lorbeers Wipfelkronen
Leuchtkäfer schwebten, hoch und höher schlug
Die Leidenschaft mit jedem Athemzug
In ihnen auf, von ihren Wimpern tropfte
Die Thräne des Entzückens, Ader klopfte
An Ader warm; sich fester zu umschlingen,
Rang Arm mit Arm, und an einander hingen
Die Lippen in der Liebe Vollgenuß,
Als wollten sie die Ewigkeit im Kuß
Ausschöpfen. – Durch des Oelbaums Wipfel brach
Das Frühlicht schon, und von des Hauses Dach
Erscholl der Schwalbe morgendlicher Sang.
Da aus den Armen des Geliebten rang
Sich Fiordispina los – zum Hausportal
Ihn führt sie schwanken Schrittes; noch einmal
Ihr sinkt er an die Brust im Trennungsweh;
Allein: »Gedenke deines Schwures! geh!«
Spricht sie und drängt ihn durch das Thor hinaus.

6.

Ippolito, in seines Vaters Haus
Zurückgekehrt, fühlt noch in allen Sinnen
Ein Schwindeln; was nun lassen? was beginnen?
Vom Lager, drauf erschöpft er hingeglitten,
Auf einmal fährt er auf beim Schall von Tritten
Und sieht zu seinen Häupten Cosmo stehn,
Ginevra's Bruder. Kalt befremdet sehn
Sich Beide an, die jüngst als Schwertgenossen
Im Siegerkampf den Freundesbund geschlossen,
Und Cosmo als der Buondelmonti Sprecher
Nimmt kurz das Wort: »Willst du, ein Friedensbrecher,
Zum Kampf aufstacheln die versöhnten Stämme,
Daß wieder Blut die Straßen überschwemme?
Besinne dich! Ein Frevel, so verrucht,
Von späten Enkeln würd' er noch verflucht!
Bis morgen noch dir hab' ich Frist erbeten;
Wenn, mit Ginevren zum Altar zu treten,
Du dann noch zögerst, so ist dir, ist Allen
Von der Uberti Stamm das Haupt verfallen;
Wir warten dein beim zehnten Glockenschlag.«

Er geht. Ippolito, verstört, vermag
Sich nicht zu sammeln; hierhin, dorthin schwanken
Im wilden Widerstreit ihm die Gedanken;
Er weiß nicht, was er fliehe, was er wähle.
Zuletzt flammt in der tiefzerrißnen Seele
Noch einmal mächtig auf die Leidenschaft,
Und, aus dem Brüten plötzlich aufgerafft,
Des Weges zur Geliebten stürmt er fort:
»Zu ihr! und von dem Schwur, dem Frevelwort,
Im Sinnentaumel unbedacht gesprochen,
Mich löst sie selbst. Warum gleich muthgebrochen
Beugt' ich das Haupt? Noch vor dem Abendroth
Fliehn wir vereinigt, daß ein rettend Boot
Uns nach Venedig trage.‹

Schon hinaus
Zur Stadt ist er gelangt, er klopft ans Haus,
Das all sein Glück umschließt, wird eingelassen
Und eilt den Dienern, die mit schreckenblassen
Gesichtern auf den Gängen stehn, vorüber.
Auch Ottima schaut bleich ihn an. Voll trüber
Ahnungen schreitet er den Corridor
Entlang, die Treppen zum Gemach empor,
Wo ihm das Süßeste des Lebens ward.
Er tritt hinein; was steht er da und starrt,
Sein Fuß wie festgewurzelt an der Thür?
Ihm stockt der Athemzug, er heftet stier
Die beiden Augen auf die Lagerstatt.
Vor ihm reglos, bleich wie ein Lilienblatt,
Das Haupt zurückgesunken auf den Pfühl,
Liegt Fiordispina da – im leichten Spiel
Der Winde, die durchs Fenster wehen, wallt
Ihr schwarzes Lockenhaar herab, und kalt,
Wie um ein Schneegefild das Dämmerlicht
Des Wintermorgens, spielt um ihr Gesicht
Ein eis'ger Schimmer – nein, das ist nicht Schlaf;
Ein Dolch hat, der den Sitz des Lebens traf,
Für immer ihr gestillt des Herzens Klopfen.
Blut quillt aus ihrer Brust in großen Tropfen;
Den Griff des schneid'gen Dolchs, der sie durchbohrt,
Hält ihre Rechte noch.

Von Nacht umflort
Ist Aug und Sinn Ippolito's; es schwankt
Der Boden unter seinem Fuß; er wankt
Zum Lager hin, auf dem die Todte liegt,
Und lauscht, das Haupt an ihre Stirn geschmiegt,
Ob sich in ihr ein Athemzug noch rege.
Nein, nicht ein leiser Hauch; die matten Schläge
Nur seiner Adern fühlt er; starr wie Eis
Sind ihre – in die Augen ihr, die, Kreis
In Kreis verwebt, ihn wie der Himmelsbogen
In ihre blauen Tiefen oft gezogen,
Späht er hinab nach einem Lebensschimmer,
Doch nur ein mattes, frostiges Geflimmer
Quillt aus den glas'gen Blicken fahlen Lichts,
Ein Schein wie aus dem bodenlosen Nichts,
Und um das Antlitz, jüngst so göttlich schön,
Schon einen Duft des Grabes fühlt er wehn.
Er muß sich stützen, um nicht hinzusinken;
Da erst gewahrt er, wie sie mit der Linken
Ihm eine Schrift entgegenhält. Er nimmt
Das Blatt, doch vor den Augen lang verschwimmt
Ihm jedes Zeichen; endlich liest er so:
»Zu schwach mich fühlt' ich, mein Ippolito,
Lebend dich festzuhalten bei dem Eid;
Nun, da ich todt, löst keine Ewigkeit
Dich von dem Schwure; geh, ihn zu erfüllen!«

Er liest es – Fiordispina's letzten Willen
Erkennt er wohl, doch wie im Schwindel kreist
Die ganze Welt um ihn; noch kann sein Geist
Nicht Alles fassen. Nieder wirft es ihn,
Und an der Theuren Lager auf den Knien
Lang liegt er da in stummer Todtenfeier.
Schon, niederwallend, breitet ihren Schleier
Die Nacht um ihn; aus seiner Brust tief innen
Quillt es und bricht hervor, und Thränen rinnen,
Als wollten sie hinweg von ihm die Wucht
Des Jammers wälzen. Aufzuringen sucht
Aus der Verzweiflung Abgrund sich sein Herz,
Und von der Leiche betend himmelwärts
Hebt er das Auge durch die nächt'ge Stille –
Da, siehe! über der entseelten Hülle
Verklärt steht Fiordispina's Lichtgestalt
Und schaut aus Himmelsglanz, der sie umwallt,
Gebieterisch zu ihm herab, doch mild;
Die Arme nach des todten Mädchens Bild
Ausstreckt er; sie indeß, die Hand erhoben,
Hochernsten Angesichtes schwebt nach oben,
Und in dem Dunkel, bei der Leiche betend,
Bleibt er zurück. Dann als, die Halle röthend,
Der Morgen durch die Bogenfenster flammt,
Still, wie ein Priester an sein hohes Amt,
Zum Schloß der Buondelmonti schreitet er,
Wo schon um sich der stolze Bannerherr
Die Sippen all versammelt hat im Kreis.
Ernst zu Ippolito hintritt der Greis
Und führt die Tochter ihm heran, die bleiche,
Daß er ihr am Altar die Rechte reiche;
Und Alle, ihres alten Haders Ende
Besiegelnd, bieten ihm zum Gruß die Hände.


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