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Der Morgen graut; allmählig zündet
Die nahende Sonne den ersten Glanz
An Strebebogen und Mauerkranz
Von St. Sebald; die Glocke kündet
Die vierte Stunde, und früh schon wach,
Tritt, um sich der Morgenkühle zu freun,
Rosa, des Thürmers Töchterlein,
Hinaus auf des Thurmes schwebendes Dach,
Begießt die Blumen, die in Töpfchen
Vor der Jungfrau sonder Makel
Blühen im zierlichen Tabernakel,
Und biegt dann über die Brüstung ihr Köpfchen;
Noch aber gewahrt sie unten nichts
Als den Nebel, der über die Stadt hin wallt,
Und weit im Strahl des steigenden Lichts
Den Schatten des Thurms von St. Sebald.
Beim Vater in den Thurmgemächern
Wohnt hoch über den andern Dächern
Die Kleine, geschieden von Allem auf Erden;
Denn, seitdem sie die Mutter verloren
Und ihr am Todtenbett geschworen,
In Sancta Clara Nonne zu werden,
Hielt der Alte sie streng in Hut.
Gleich wie des Adlers junge Brut
Auf himmelragendem Bergesgipfel
Erwächst im schwankenden Tannenwipfel,
Und im hangenden Nest, gewiegt vom Sturm,
Mit dem Blitze spielt und dem Wirbelwind,
Wuchs des Thürmers liebliches Kind
Einsam empor auf dem steilen Thurm.
Sie kannte nichts von allen bunten
Gebilden des Lebens, als nur tief unten
Des Marktes wogendes Menschengedränge.
Vom Lärmen, das ihr zu Füßen summte,
Drang murmelnd nur, indem er verstummte,
Zu ihr empor ein gebrochener Laut;
Doch des Luftreichs wechselnde Klänge
Und Bilder waren dem Mädchen vertraut;
Sie pflog mit dem Donner Zwiegespräch,
Grüßte die Wolken auf luftigem Weg
Und rief, wie sie flohen und wie sie kamen,
Die Schwalben als ihre Gespielen beim Namen.
Während der Alte noch schlummernd liegt,
Steht Rosa, an das Geländer geschmiegt,
Und sieht, wie unten, duftumhaucht,
Giebel an Giebel dem Dunkel enttaucht.
Entfliehend vor dem werdenden Tag,
Lichtet der Nebel sich nach und nach;
Er zieht durch des Domhofs Säulen hindurch
Und kräuselt sich in leichten Wellen
Hier um die Erker der Kapellen,
Dort um die Zinnen der alten Burg,
Indeß der Brunnen schlanke Spitzen
Im ersten Sonnenstrahle blitzen
Und durch der Ahornwipfel Grün
Die goldnen Friedhofkreuze glühn.
Da, horch! – noch nie vernahm sie's zuvor –
Schallt dem Mädchen ein Hämmern ans Ohr,
Und sie gewahrt, daß über den Streben
Und Pfeilern des Dachs sich Leitern erheben.
»Was soll das?« So denkt und nach unten blickt sie
Und späht und späht – doch plötzlich erschrickt sie,
Denn auf den Sprossen der einen Leiter
Gewahrt sie einen Jüngling, der heiter
Den Meißel führt und den Hammer schwingt.
Nicht scheint er der Tiefe, die unten droht,
Zu achten, daß er so lustig singt;
Unter den Locken des flatternden Haars
Glühn von der Arbeit die Wangen ihm roth.
Der junge Steinmetz Walther war's;
Ihn hat man erlesen vor Allen der Gilde,
Um mit zierlichem Heiligenbilde
Jeden der höchsten Pfeiler zu schmücken,
Daß es, kaum sichtbar den Menschenblicken,
Hoch, wie auf einsamem Felsen die Blume,
Droben prange zu Gottes Ruhme.
Früh schon, ehe der Tag erglommen,
Hat der Jüngling die Leiter erklommen,
Ueber dem Abgrund hängt er kühn
Und läßt aus dem Stein die hüpfenden Funken
Unter dem Schlage des Hammers sprühn.
In Schauen indeß ist Rosa versunken;
Bei jeder Regung bebt sie und hält
Den Athem ein: »Gott, wenn er nun fällt!« –
Auf einmal, da sie so hinschaut, trifft
Des Jünglings Blick sie, der aufwärts sieht
Und erstaunt aus der Rechten den Eisenstift
Verliert, als er das Mädchen, so zart
Und lieblich, am Söller des Thurms gewahrt.
Erröthend senkt sie das Augenlid,
Doch wieder dann muß sie nach unten schauen,
Und halb in Freude, halb in Grauen
Starrt sie hinab zu dem Verwegnen,
Dessen Augen, die himmelblauen,
Mit den ihren sich sanft begegnen.
Da hört sie ein Rufen: »Rosa! Kind!«
Und fliegt zurück vom Gitter geschwind.
Den Frühtrunk muß sie jeden Tag
Dem Vater bringen, bevor zum Geläute
Ihn ruft der fünfte Stundenschlag.
Noch nie vergaß sie es, außer heute.
Ins Thurmgemach tritt Rosa bang,
Und zürnend ruft ihr der Thürmer entgegen:
»Ei, Kind! wo bliebst du diesmal so lang?
Du weißt doch, verschieben nicht kann ich den Gang;
Nun schnell, auf den Herd die Scheite zu legen!
Bald kehr' ich zurück vom Läuten der Glocken.«
Er drückt das Barett auf die greisen Locken
Und schreitet zur Thür hinaus. Erschrocken
Rafft das Mädchen sich dann zusammen,
Tritt an den Herd und schürt die Flammen,
Doch noch immer schweift ihr der Sinn
Zu dem Kletterer von vorhin.
Die Glocken beginnen im Chore zu schallen;
Sie nimmt, wie sie pflegt, den Rosenkranz,
Aber in andre Gedanken ganz
Ist sie verloren; langsam fallen
Ihr aus der Hand die Betkorallen,
Und ihre Lippen, die zitternden, lallen:
»Vater unser, Herr der Güte,
Wenn immer ich gläubig war und fromm,
So hab Erbarmen! den Jüngling behüte,
Der hoch in den Lüften so tolldreist klomm!«
Dann fährt sie auf: »Ich muß doch schnell
Nachsehen, was der verwegne Gesell
Nur treibt, und ob er nicht Schaden nahm!«
Just wollte sie auf den Söller springen,
Als ihr Vater vom Läuten wiederkam.
Sie fliegt zurück, ihm den Becher zu bringen,
Er aber spricht und schlürft den Trank:
»Kind, setze dich vor mich auf die Bank
Und lerne die Hora, die Matutinen;
Was soll die Zerstreuung in deinen Mienen?«
Rosa thut nach seinem Befehle.
Daß sie für heute hinweg sich stehle,
Hofft sie umsonst; doch ihre Seele
Ist nicht mit dem Blick ins Buch versenkt;
Wenn sie auch einmal des Lernens gedenkt,
Reißen die nächsten Gedanken sie immer
Nach außen hin zu dem kühnen Klimmer.
Am andern Morgen, da Alles noch schlief,
Schlich Rosa auf den Söller hinaus.
Noch ruhten Dunkel und Schweigen tief
Auf Erden; die Spitze des riesigen Bau's
Und die Lerchen allein, die wie sie so hoch
Ins Blau des sich lichtenden Himmels stiegen,
Verkündeten schon des Tages Siegen.
Achtsam späht Rosa nach unten; bald zeigt
Sich ihr der Jüngling, der aufwärts steigt.
Ihr zittert das Herz bei jedem Schritt,
Wie er von Sprosse zu Sprosse tritt –
Plötzlich an einem fliegenden Seil
Schwingt er, geschwinde wie ein Pfeil,
Zur nächsten Leiter sich hinüber.
Lautauf schreit Rosa, durch jede Fiber
Zuckt ihr der Schrecken; doch sieh! schon leicht
Hat Walther die andere Leiter erreicht.
Er faßt sie, stemmt den Fuß auf die Stufe,
Blickt empor zu dem Schreckensrufe
Und gewahrt des Mädchens Köpfchen, das holde,
Umflossen vom schimmernden Morgengolde,
Zierliche Ringe in den Läppchen,
In den Haaren das rothe Käppchen.
Lang schaut er hinauf, als wollten die Augen
Das liebliche Bild tief in sich saugen –
So blickt der Jäger am Bergesrand
Empor zu der hangenden Alpenrose,
Die über ihm von der Felsenwand
Hinunter sich beugt ins Bodenlose.
Auch Rosa vermag, wie festgebannt,
Das Auge nicht wegzuwenden; wohl sucht
Ihr Blick nach rechts und nach links die Flucht,
Doch immer und immer gleitet er wieder
Zurück auf des Jünglings zierliche Glieder,
Auf das schöne Gesicht und das Auge, so klar,
Das, Lächeln-umschwebt, mit der Gefahr,
Als wäre sie seine Gefährtin, spielt.
Hat sie, die Bewohnerin einsamer Höhn,
Doch nie einen jungen Gesellen gesehn;
Was ist der Erste auch gleich so schön? –
Plötzlich macht Jener von unten ein Zeichen,
Er preßt die Rechte auf seine Brust
Und hebt sie, als wollt' er nach oben sie reichen –
Das Mädchen gewahrt es, und unbewußt
Streckt auch sie die Hand ihm entgegen;
Aber weit noch zwischen den Beiden,
Um sie für immer und immer zu scheiden,
Ist der klaffende Abgrund gelegen,
Und von der eignen Bewegung erschreckt,
Fährt Rosa zurück; sie raunt für sich hin:
»Gott! wenn es der Vater nun entdeckt,
Warum ich so lang hier geblieben bin!«
Noch einmal beugt sie hinab das Haupt
Und sieht den Jüngling die Lippen bewegen.
Die Rede, die sie zu hören glaubt,
Treibt ihr Herz zu stärkeren Schlägen;
Doch nicht das Ohr, die Seele nur hört
Die Eide der Liebe, die Jener schwört,
Denn im Winde verweht, in der Tiefe verklingt
Die Stimme, bevor sie nach oben dringt.
Von nun an wankte des Thürmers Kind
Im Strome der wachsenden Leidenschaft,
Wie die Staude des Bachs, der schwellend rinnt,
Bald niedersinkt, bald empor sich rafft.
All ihr Empfinden und Denken und Meinen
Schwand in den Gedanken an den Einen.
Wohl suchte sie, allein vermochte
Sein Bild nicht aus dem Herzen zu reißen.
»Wer kann er sein? wie mag er heißen?
Wann werd' ich ihn wiedersehn?« So pochte
Es drinnen stets: »Ach, wenn er's nur wüßte,
Daß sie zur Nonne bestimmt mich haben!
Sonst, wenn er plötzlich erfahren müßte,
Ich sei im finsteren Kloster begraben,
Erschrecken würd' es den armen Knaben!
O Gott! und ich, in den öden Mauern
Soll ich das Leben einsam vertrauern!
Nie darf an seine Brust ich sinken,
Nie den Hauch seines Mundes trinken,
Und seine Stirne, weiß wie der Schnee,
Wenn er, vom Wintersturme gesiebt,
Ueber die Dächer niederstiebt,
Soll ich nie an die meine pressen!
Das Herz wird mir brechen in einsamem Weh,
Bevor ich ihm nur zur Seite gesessen
Und von ihm vernommen, daß er mich liebt!«
Drauf wieder denkt sie: »Ich muß ihn vergessen –
Vergessen? aber wie kann ich es je?«
Sie sank vor der Jungfrau hin in Gebeten,
Gemahnte sich an den Eid und schwur,
Nie mehr hinaus aufs Dach zu treten;
Doch, wenn sie's geschworen, empor dann fuhr
Sie wieder und dachte: »Noch einmal nur
Will ich ihn sehen, den Trauten, Süßen,
Ihn noch einmal zum Abschied grüßen!«
Sie trieb, verloren in solches Sinnen,
Ihr früheres Treiben, doch wußt' es kaum,
Und ließ das Außen wie einen Traum
Achtlos an sich vorüberrinnen.
Den Vater, der seit Kurzem krankte,
Pflegte sie, legte bereit ihm das Kissen,
Ohne, was ihm fehlte, zu wissen,
Ohne zu hören, wenn er zankte.
Für ihre Amme, die Barbara,
Die, wie gewohnt, mit ihr plaudern wollte,
Hatte sie nichts als Nein und Ja,
Bis endlich die Alte mit ihr schmollte:
»Du bist nicht mehr dieselbe, Liebchen!
Die rosigen Wangen, auf denen bisher
Immer das Lächeln gewohnt im Grübchen,
Haben die alte Farbe nicht mehr;
Nicht mehr fleißig bist du beim Rocken;
Gestern – leugne, wenn du es kannst! –
Hab' ich gesehen, wie du spannst,
Aber das Rad begann zu stocken;
Brütend saßest du da, von der Spindel
Glitt herab kein einziger Faden.
Mir, mein Kind, die schon seit der Windel
Ich treu dich gehütet vor jeglichem Schaden,
Sage, wie hast du mir verhehlt,
Was dich im Herzen heimlich quält?«
Rosa schüttelte traurig stumm
Das Haupt bei der Alten Wie und Warum,
Und Barbara murmelte, als sie ging:
»Ei, sperre dich nur, du thöricht Ding,
Doch werd' ich dein Geheimniß entdecken.«
Heimlich kam sie am nächsten Tag,
Sich in dem Stübchen zu verstecken,
Das am Gemache des Thürmers lag;
Hinter Gardinen aus einem Verschlag
Spähte sie vor mit schlauem Kniff
Und sah, wie Rosa mit schwankem Tritt
Dem Söller zu ans Pförtlein schritt,
Wie sie die Klinke hastig ergriff
Und durch die Thür ins Freie trat.
»Nun traue Jemand der listigen Jugend!
Was sie nur draußen zu schaffen hat?«
Denkt die Alte, durch's Fenster lugend.
»Schau! etwas hat sie am Boden gefunden!
Sie bückt sich – beschaut es mit Neubegier,
Ein Hammer ist es und, dran gebunden,
– Trau' ich den Augen? – ein Blatt Papier;
Sie trennt es los – ei! sieh doch nur!
Bald komm ich dem Weiteren auf die Spur!«
Sacht, von dem Mädchen ungesehen,
Schlich Barbara wieder fort auf den Zehen.
Das Blättchen, das sie draußen fand,
Hält Rosa zagend lang in der Hand,
Als scheute sie sich vor dem süßen Gift;
Dann liest sie's, und jede Zeile der Schrift,
Die hoch ihr das Blut in die Wangen treibt,
Sagt ihr, daß Einer allein so schreibt.
Sie liest, wie Walther ihr bekennt,
Daß er in Liebe für sie brennt,
Und wie er mit Bitten in sie dringt,
Daß durch ein Briefchen, leichtbeschwingt,
Sie Stund' und Ort ihm nennen möge,
Wo er mit ihr der Rede pflöge.
Als Rosa gelesen und wieder gelesen,
Durchschleicht ein Zittern ihr ganzes Wesen;
Den sie bestürmenden Gedanken
Ist sie, wie Halme dem Wind, ein Spiel.
Doch so auf einmal alle Schranken
Soll sie durchbrechen? – Nein! zu viel! –
Das Fest der heil'gen Clara war's
Und ihrer Mutter Sterbetag;
Sie mahnte sich des vergangenen Jahrs,
Als dort in der Nische die Sterbende lag,
Der sie das theure Gelübde geschworen.
»Wohin, wohin mich hab' ich verloren?
O, blicke du, die mich geboren,
Von dort, wo die Heiligen, Reinen sind,
Nicht erzürnt auf dein sündiges Kind;
Hilf mir, den Rost der irdischen Lust,
Auszutilgen in meiner Brust,
Daß ich es werth sei, himmelwärts
Zu ziehen im Schmuck der Gottesbräute!«
Vom Thurme schallte das Festgeläute,
Und wie Tropfen von flüssigem Erz
Fielen ihr brennend die Klänge aufs Herz;
Flehend, daß ihr der Heiland nicht zürne,
Barg sie im Staube des Bodens die Stirne,
Sie that mit bebendem Mund aufs Neue
Dem Himmel Gelübde der ewigen Treue
Und daß sie den Jüngling für immer miede;
Den Brief zerriß sie in Scham und Reue,
Und wieder in ihre Seele kam Friede.
Inzwischen, von Rosa's Kummer gerührt,
Hatte Barbara emsig gespürt.
Sie keucht von Neuem empor die Stiegen,
Setzt an Rosa's Seite sich schmeichelnd
Und flüstert, leise die Wangen ihr streichelnd:
»Mein Schätzchen kennt mich als treu und verschwiegen,
Wahrlich! da ist es doch allzu arg,
Daß es mir solch ein Geheimniß barg.
Gefaßter zwar bist du heut, als neulich,
Aber noch immer traurig, Püppchen;
Vertrau' mir Alles, dann helf' ich dir treulich,
Und wir schlagen den Sorgen ein Schnippchen!«
Lächelnd sprach sie's und spähte scharf
Der Kleinen ins Antlitz, auf dessen Ernst
Die Wehmut leichte Schatten warf.
Doch Rosa gab Antwort: »Sag, Barbara, lernst
Du heut mich erst kennen? Wozu die Frage,
Ob ich im Herzen Kummer trage?
Du weißt, daß ich mich dem Heiland vermähle;
Nach Einem nur sehnt sich meine Seele,
Sich ganz dem heil'gen Geliebten zu weihn.«
Doch die Amme fiel lachend ein:
»Genug, genug, mein süßes Lamm!
Einen anderen Bräutigam
Will ich dir schaffen, sein Aug ist blauer,
Als am Mittag im schönen August
Der Himmel nach dem Gewitterschauer;
Lichtbraun quillt herab bis zur Brust
Das Haar ihm unter dem rothen Barette;
Dir gefallen wird er, ich wette –
Schon als Geselle beschämt er die Meister;
Walther, der Steinmetz, Liebchen, heißt er.«
In Rosa's Angesichte lohte
Die Scham empor mit dunklem Rothe;
Sie barg es in der Amme Schooß.
Lang lag sie so besinnungslos,
Die Glieder zuckend vom Seelenkampf.
Dann sprang sie auf, ergriff wie im Krampf
Die Hand der Alten und sprach: »O Gute,
Sage dem Jüngling, wenn du mich liebst,
Dem du den Namen Walther gibst,
Daß ich dem Himmel geweiht mein Leben;
Schwören laß ihn aufs Crucifix,
Nie auch nur verstohlenen Blicks
Den Blick zu Christi Braut zu erheben.«
Sie spricht's und hört aus dem Stübchen daneben
Den Vater rufen: »Rosa! Kind!«
Los reißt sie sich von der Alten geschwind:
»Geh, Mutter, und was ich gesagt, bestelle!«
Sinnend stand Barbara an der Schwelle:
»Das arme Aeffchen dauert mich doch!
Ehmals stopft' ich dem lieben Kindchen,
Wenn es weinte, mit Honig das Mündchen,
Aber jetzt helfen nicht goldene Nüsse,
Jetzt kein Marzipan und kein Zucker.
Lippen hat sie, gemacht für Küsse,
Und kein Jüngling der Stadt ist schmucker
Als Herr Walther – daß ich die Zwei
Zusammenführe, was ist denn dabei?
Wenn sie jetzt hinter Drehescheibe
Und Sprachgitter die Arme sperrten,
Würde Verzweiflung ihr Herz verhärten,
Ja, sie stürbe wohl – ei, bei Leibe!
Sehn muß ich, wie ich das hintertreibe.«
Rastend beim Sengen des Mittagsstrahls
Saß Walther auf der marmornen Bank
Unter dem Bogen des Kirchenportals.
Träumend empor zum Blättergerank
Sah er, wo aus marmornen Lauben
Heiligenköpfchen, flatternde Tauben,
Englein mit gebreiteten Schwingen
Ueber das Haupt ihm niederhingen.
Aber nicht fesselten all die Bilder
Ihm die Gedanken – lieblicher, milder
Als die geflügelten Seraphim
Schwebte das Mädchengesicht vor ihm,
Das, wie durch rosiger Wölkchen Saum
Der Morgenstern im Erlöschen blinkt,
Flüchtig ihm aus luftigem Raum,
Schnell verschwindend, heruntergewinkt.
Seit er den Blick auf die Schöne geheftet,
Ist ihm zur Arbeit die Hand entkräftet.
Stets hofft er, daß sie den Brief erwidert,
Den er ihr sandte, leichtbefiedert,
Aber von früh bis zur sinkenden Sonne
Späht er umsonst. So traurig sitzend,
Ruft er, das Haupt auf die Rechte stützend:
»O Mädchen, schön wie die Madonne,
Die aus duftender Weihrauchwolke
Herabschaut zu dem knieenden Volke!
Hat sich des Himmels Schooß nicht erschlossen
Und dich, wie sie, entrückt in sein Blau,
Oder bist du in Morgenthau
Nicht, wie ein Nebel der Frühe, zerflossen,
O, so zeig dich noch einmal wieder,
Grüße noch einmal zu mir hernieder!
Glaube, mein Lieben ist rein und keusch!«
Wie er es rief, vernahm er Geräusch
An seiner Seite und spürte den Druck
Von einer Hand auf dem Schulterblatt.
»Ei, mein Geselle, so stattlich und schmuck,
Was sitzt Ihr finster und lebenssatt,
Und Euer harrt ein seltnes Glück!«
So hört er es flüstern und sieht erstaunt
Ein Weib, das die Worte ihm zugeraunt.
Er schiebt die knöcherne Hand zurück
Und denkt: »Wie schaut ihr Auge so gläsern,
Wie welk der Hexe die Glieder schlottern!«
Zu dem Weibe dann spricht er mit Stottern:
»Ich habe nichts mit Ohrenbläsern
Zu schaffen und nichts mit Kupplerinnen;
Alte, trolle dich schnell von hinnen!«
Aber lachend fuhr Barbara fort:
»Ihr Grobian, so mich anzubrummen!
Ich weiß für Euch ein süßes Wort,
Das macht Eu'r Schelten alsbald verstummen;
Rosa, des Thürmers einzig Kind,
Schickt mich zu ihrem Herzensdiebe;
Ihr zittert die Seele im Hauche der Liebe,
Wie das Rosenknöspchen im Wind,
Und wenn auch Ihr das Mägdlein minnt –
Bei den heil'gen Aposteln, den zwölfen,
Schwör' ich's – so will ich zu ihr Euch verhelfen!«
Was der Erde nach langem Frost
Ein Lenzhauch, war dies Wort für Walther;
An der Bringerin solcher Freudenpost
Vergaß er auf einmal Runzeln und Alter
Und rief: »O Weib, wenn ein Engel käme,
Um mir die Seligkeit zu verkünden,
Nicht solche Freude würd' ich empfinden,
Wie über was von dir ich vernehme.
Schnell, führe mich hin zu dem Täubchen, Beste!
Daß ich kose mit ihr im Neste,
Wie mit dem Turtelweibchen der Tauber!«
Drauf Jene: »Zu dem Thurme die Gänge
Bewachen die Kirchenwärter mit Strenge;
Man kommt nicht anders hinauf als durch Zauber.«
»O« – ruft Walther – »ist es nichts weiter?
Seile weiß ich geschickt zu knüpfen,
Hoch in Lüften Leiter auf Leiter
Zu thürmen, um in ihr Stübchen zu schlüpfen!
Heut noch, sobald der Abend düstert –«
»Unmöglich das, mein Junge!« flüstert
Die Alte und legt auf den Mund den Finger –
»Rosa wohnt droben gleich wie im Zwinger,
Tags wie Nachts vom Vater behütet;
Doch, über ein Mittel schon hab' ich gebrütet,
Verlaß dich auf mich!« – »Wenn dem so ist« –
Sprach der Jüngling – »so kürze die Frist
Und bring ihr inzwischen dies von mir!
Walther bittet dich – mußt du sagen –
Sein Bild an deiner Brust zu tragen,
Bis er selbst an ihr ruhen kann.«
Einen silbergefüllten Säckel
Und ein zierliches Kästchen dann
Reicht er der Alten, sie öffnet den Deckel
Und schaut ein Bild, in Gold gerahmt.
»Seht!« – rief das Weib – »wie Ihr leibt und lebt,
Als wärt ihr selbst auf das Holz geklebt,
Hat Euch der Pinsel nachgeahmt!
Das Bildchen versteck' ich in meine Schürze,
Und nun, o Zierde der Steinmetzzunft,
Lebt wohl! Ihr seht mich wieder in Kürze;
So lang empfehl' ich Geduld und Vernunft!«
Indessen Walther die Vertagung
Des Glückes beseufzt, das er nah gewähnt,
Faßt Rosa sich mehr und mehr in Entsagung.
Bisweilen wohl, daß ihr das Auge thränt,
Doch schnell dann reißt sie sich los zu den Pflichten
Des Tages, sei es, den Vater zu pflegen,
Sei's, fromme Uebungen zu verrichten,
Und selten nur sagt mit leisen Schlägen
Ihr Herz, daß es noch nach Andrem sich sehnt.
Einst sitzt sie am Herd und schürt die Flamme,
Da keucht die Treppen empor die Amme,
Setzt sich zu ihr und beginnt ein Geplauder:
»Gesteh! du denkst an das Kloster mit Schauder;
Aber fasse nur Muth, mein Englein,
Diese frischen, rosigen Wänglein,
Diese schwellende Brust, wie paßten
Die für den dumpfen, gräulichen Kasten?
Dir der zarte Nacken gegeißelt, –
Hu! mir graut! – Nun höre, Röse,
Das Mittel, durch das ich dich bald erlöse!
Der Jüngling, der außen am Thurme meißelt,
Gestand mir heut unten auf dem Platz,
Sein Herzblatt seist du, sein einziger Schatz;
Was du an Schönheit unter den Mädeln,
Ist unter den Männern er; drum, Täubchen,
Laß mich sorgen, es einzufädeln,
Daß er dich heimführt als sein Weibchen!«
Bei diesen Worten Barbara's
War Rosa vom Stuhl, auf dem sie saß,
Aufs Knie gesunken; so lag sie lange,
In die Hände gepreßt die glühende Wange;
Drauf sprang sie vom Boden empor und maß,
Hochrothen Gesichts, dann wieder bleich,
Die Amme mit zornentflammten Blicken.
»Botin der Hölle« – rief sie – »entweich!
Suche mich nicht in dein Netz zu verstricken!
Ich weiß es, in jede seiner Maschen
Ist eine tödtliche Sünde geschürzt,
Die mich ins ew'ge Verderben stürzt!
Soll ich, um flüchtiges Glück zu erhaschen,
Mir die Seele mit Frevel beladen?
Nein, so möge mich Gott begnaden,
Wie ich für dich und deine Künste
Taub bin. Weiche von hinnen, Verruchte!«
Aber die schlaue Barbara suchte
Sie zu besänft'gen. Lächelnd grinste
Sie ins Gesicht ihr: »Hirngespinnste
Sind das, mein Kindchen! nichts als Grillen;
Nach Anderer, nicht dem eignen Willen,
Hast du geschworen, du wußtest nicht, was;
Und was man lallend, noch nicht mündig,
Gelobt hat, sag mir, bindet das?
Doch hältst du das Brechen des Schwurs für sündig,
Gut, werde Nonne nach deinem Schwur!
Bis dahin, daß du's geworden, nur
Hab Mitleid mit Walther! Warum ihn so kränken?
Hier bring' ich sein Bild, er will es dir schenken.
Laß, ihn zu trösten in seinem Leide,
Ihm sagen, auch im Nonnenkleide
Würdest du seiner freundlich gedenken!« –
»Fort mit dem Geschenk!« ruft Rosa aufs Neue
Und wendet, als ob sie den Anblick scheue,
Die Augen vom Bilde hinweg. Doch der Ton,
Mit dem sie es spricht, ist milder schon,
Und Barbara murmelt: »Kind, nur Ruhe!
Du wirst dich des Besseren schon besinnen!«
Sie legte das Bildchen in eine Truhe
Des Stübchens zwischen weiches Linnen.
»Nun Gott und seine Heil'gen mit dir,
Mein Schätzchen!« sprach sie und ging durch die Thür.
Wieder seit dieser Zeit im Geheimen
Begann in Rosa's Gemüth ein Keimen;
Walthers Botschaft, Barbara's Reden
Klingen ihr immer noch im Sinne;
Erst wohl sucht sie, daß sie den Fäden,
Die sie umgarnen wollen, entrinne,
Aber das Ringen mehrt nur das Schwanken,
Immer tauchen, wenn kurz erstickt,
In ihr empor dieselben Gedanken.
Nachts, als schlummerlos auf den Pfühl
Sie die fiebernde Wange drückt,
Liegt die Erinnerung an Walther schwül
Ihr über der Seele. Wie knospende Blüthen,
Wenn über ihnen bei Lenzgewittern
Heiße Lüfte der Mainacht brüten,
Fühlt sie ein Schauern, das mit Zittern
All ihr Wesen durchzieht und in Tropfen
Auf sie herniederrinnt; ein Klopfen
Von Pulsen, die an die ihren schlügen,
Und den Druck von Lippen glaubt sie zu spüren,
Welche die ihren sanft berühren,
Und das Wehen von tiefen Athemzügen,
Die kommen und gehn. Ihr ist, als würde
Zweifel und Gram und jede Bürde
Hinweg vom Herzen ihr gewälzt,
Und der wallende Odem über ihr schmelzt
Alle verborgenen Keime und Triebe
Ihres Herzens in Einen zusammen,
Bis am Morgen die Blume der Liebe,
Voll entfaltet, den Sonnenflammen
Ihren duftenden Kelch erschließt.
Sie kann das Licht des Tages mit Mühe
Erwarten. Als der Strahl der Frühe
Empor zu ihrem Fenster schießt,
Springt sie vom Lager, um aus dem Versteck
Das Geschenk des Liebsten zu holen.
Sie nimmt das Bild aus der Lade verstohlen,
Und Walthers Gesicht, so mild, doch keck,
Ganz wie es sich ihr in die Seele geprägt,
Leuchtet sie an von dem goldenen Grund.
Lange beschaut sie's; was verschlägt
Die Erde mit Allem, was sie trägt,
Ihr neben diesem kleinen Rund?
Und wie sie hinblickt – täuscht das Licht,
Das dämmernde, des Morgens sie nicht? –
Will ihr scheinen, als ob der Mund
Des Liebsten sich zum Lächeln bewege;
Die blaue Ader, die durch die Schläfe
Sanftrieselnd schleicht, thut leise Schläge,
Wie lebenerfüllt. Ihr ist, als träfe
Aus der Augen himmlischem Blau
Von Walthers Seele sie ein Strahl;
Sie küßt das Antlitz tausend Mal
Und netzt es mit Freudenthränenthau.
Hinter ihr liegen Sorge und Zagen;
Als wäre sie himmelwärts getragen,
So frei bedünkt sie sich, so leicht;
Und, seltsam, kein Gedanke beschleicht
Sie mehr an das Kloster; versunken, geschwunden
Ist Alles für sie, was Walther nicht ist.
Da so sie steht und die Flucht der Stunden,
Der schnell enteilenden, nicht mißt,
Tritt neben ihr aus des Alten Gemach
Der Kirchenpförtner, dessen Kommen,
In Schauen vertieft, sie nicht wahrgenommen.
Sie blickt, wie er geht, ihm betroffen nach,
Versteckt an die Brust das Bild des Lieben
Und sieht durch die Thür, die offen geblieben,
Den Vater im Lehnstuhl sitzen, schon wach.
Er winkt ihr, und sie fliegt zu ihm hin.
»Kind, leihe mir achtsam Ohr und Sinn!« –
Sprach Jener, als sie vor ihn trat –
»Nicht darf ich zögern, der Pflicht zu genügen,
Die mir mit den letzten Athemzügen
Mein Weib als Vermächtniß gelassen hat;
Drum rüste dich, der Welt zu entsagen!
Im Festzug werden schon nach drei Tagen
Die Schwestern durch kranzgeschmückte Thüren
Als Christi Braut zum Altare dich führen.«
Wie Einem, der beim Freudenmahl
Unversehens ein Gift verschluckt,
So plötzlich aus dem Herzen zuckt
Ein Krampf ihr empor; bleich wird und fahl
Die blühende Wange, und starrend kriecht
Ein Frost, vor dem das Leben siecht,
Ihr durch die Adern in jedes Glied.
Der Thürmer, als er so blaß sie sieht,
Fragt: »Kind, was hast du?« Und sie, sich sammelnd
So gut sie's kann, erwidert stammelnd:
»Ein Fieber – ich will aufs Bett mich legen –
Bald kommt die Amme; die soll mich pflegen.«
Verwirrten Sinns, sich kaum haltend, wankt
Rosa hinaus in ihr Kämmerlein;
Eben auch tritt die Amme herein
Und ruft: »Ihr Heiligen! bist du erkrankt,
Mein Herzblatt? Sage!« Doch Rosa winkt,
Sie solle schweigen; krampfhaft faßt sie
Die Hand der Alten und zieht in Hast sie
Ans Lager, indem sie niedersinkt.
Die Stirne von kaltem Thau beträuft,
Stumm liegt sie dort, ihr Auge schweift
Verwirrt umher; empor sich ringend,
Die Amme mit beiden Armen umschlingend,
Flüstert sie dann ihr gebrochne Laute
Ins Ohr: »O Barbara! Gute, Traute!
Hilf, hilf mir! Rette mich vor dem Verderben!
Verzweifelnd, lästernd Gott den Herren,
Muß ich an Leib und Seele sterben,
Wenn sie mich in das Kloster sperren!
Drei Tage noch, und es schließt die Pforte
Sich hinter mir zu!« – Nach diesem Worte
Liegt sie schluchzend an Barbara's Hals.
Die Alte, die zuerst gestaunt,
Doch Alles nun durchschaut hat, raunt:
»Ei, Röschen, eines schlimmeren Falls
War ich gewärtig, aber für diesen
Hat sich schon längst ein Mittel gewiesen.
Du, mein Kind, in dem Kleide von Haartuch!
Ei, da hüllt' ich dich eher ins Bahrtuch!
Nein, ruhig, mein Schatz, und sag mir getreulich:
Nicht wahr, der junge Bursche von neulich
Hat dir das Herz so umgewandelt?«
Rosa nickt mit dem Haupt ein Ja,
Und, sie ermunternd, ruft Barbara:
»Wohlan! so werde denn frisch gehandelt!
Aber, Röse, geh klug zu Werke,
Daß dein Vater bei Leibe nichts merke!
Erst bleib noch liegen, dann heitern Gesichts
Tritt wieder vor ihn, als fehlte dir nichts!
Alles Andere laß mich machen;
Morgen siehst du mich beim Erwachen!«
Wieder, so wie ein welkes Reis,
Wenn mild mit ihm der Ostwind kost,
Ward Rosa durch der Amme Trost
Emporgerichtet. Nach ihrem Geheiß
Bald kehrte sie zum Vater wieder
Und sprach: »Umsonst ist dein Schreck gewesen,
Väterchen! Sieh, schon bin ich genesen!«
Sie setzte sich ihm zur Seite nieder,
Wich, daß nichts ihm verdächtig erschiene,
Bis Abends nicht von des Alten Stuhle
Und barg – so ward ihr die Liebe zur Schule
Für List und Verstellung – in lächelnde Miene
Die Sorge des Herzens. Doch im Geheimen
Dachte sie stets mit bewegtem Gemüthe,
Welche Pläne wohl Barbara brüte.
Die Nacht durch liegt sie in wachen Träumen,
Erwartung bebt ihr durch jede Fiber
Und quillt ihr vom Mund in gebrochenen Tönen.
»O Walther« – murmelt sie – »Süßer! Lieber!
Komm! ruh mir im Arme!« Doch ängstliches Stöhnen
Folgt auf das Geflüster: »Weh! weh! verloren!
Der Eid, der Eid, den ich geschworen,
Ergreift mich und reißt mich zurück am Haar!«
Ums Dämmern fuhr sie empor und erblickte
Die Amme, die früh schon gekommen war.
»Nun, Kind, ihr werdet noch heut ein Paar!« –
Rief Barbara, die ihr die Rechte drückte –
»Höre den Plan, den ich ersonnen!
Wird er in Allem befolgt – bei St. Jürgen!
Für den Ausgang dann will ich bürgen!
Den Pater Barthold hab ich gewonnen,
Euch durch den Segen der Kirche zu traun;
Doch wie ist dein Vater, der grämliche Herr,
Zur Ruhe zu bringen? Laß uns schaun!
Ich denke, daß wir ein Tränkchen brau'n,
Ihn einzuschläfern – während er
Dann schlummert, gilt es vor allen Dingen,
Walther die Treppe heraufzubringen;
Seid ihr beisammen, so hol' ich den Pater,
Und, Kinder, ihr seid im sicheren Hafen,
Denn was bleibt übrig deinem Vater?
Vielleicht, nachdem er ausgeschlafen,
Wird er schelten, es sei doch schändlich,
Ihn so zu betrügen; aber endlich,
Glaube mir, segnet er euren Bund!«
Angstvoll sog Rosa von Barbara's Mund
Jedes der Worte; zur Erde sank
Ihr dann der Blick, und von Herzensgrund
Aufseufzend, sprach sie: »Der Vater ist krank –
Nein, Amme, sinne auf andere Pläne!
Leicht brächt' ihm Schaden solch ein Trank!«
»Ei, Gänschen, ein Heiltrunk ist's« – gab Jene
Zur Antwort – »ein Lebenselixir;
Man schnarcht danach, und wie durch ein Wunder
Erhebt man sich vom Schlafe gesunder,
Als man gewesen. Eins glaube mir!
Eh wir den Alten zur Ruhe gebracht,
Der dich auf Schritt und Tritt bewacht,
Ist Alles vergebens. Drum nimm dies Döschen.
Ein Pulver ist drin; das mische, Röschen,
Heut Mittag ihm in den Wein mit Bedacht,
Und weiter nicht darfst du den Kopf dir zerbrechen!«
Noch wollte Rosa widersprechen;
Aber, bevor sie nur ein Wort
Hervorgebracht, war Barbara fort.
Der Mittag kam, und herzbeklommen
Saß Rosa am Herde. Himmel! was nun?
Was soll sie lassen, soll sie thun?
Zu schnell, zu plötzlich ist Alles gekommen!
Wie der Schiffer, der sturmverschlagen
Umhergeirrt auf tosender See,
Erschrocken starrt, wenn plötzlich jäh
Vor ihm die ersehnten Küsten ragen
Und das Schiff zu zerschellen drohn,
So zittert sie vor dem nahen Glück,
Sie möchte, aber kann nicht zurück.
»Zwölf schlägt die Glocke; die Zeit ist's schon,
Wo ich den Trank ihm reichen muß,
Gott! was drängt es mich so zum Entschluß!
Käme nun Walther heut Abend und fände
Den Vater noch wach, was wäre das Ende?«
Sie denkt es und hört die Stimme des Alten,
Wie zu trinken er heischt mit Ungeduld;
Die Dose öffnet sie, krampfhaft falten
Sich ihr die Hände. »Herr der Huld« –
Murmelt sie noch – »vergib mir die Schuld!«
Dann streut sie das Pulver in den Wein
Und stürzt ins Stübchen des Vaters damit.
Der Alte, da sie vor ihn tritt,
Blickt kaum empor; die zuckende Pein
In ihren Zügen gewahrt er nicht;
Den Becher, der fast aus der Hand ihr sinkt,
Nimmt er, führt ihn zum Mund und trinkt.
Sie dann, mit Starren ins Angesicht
Ihm schauend, greift mit einem Mal,
Ihn wegzureißen, nach dem Pokal;
Doch schon hat ihn der Alte geleert,
Und Rosa, wie sie es wahrnimmt, fährt
In sich zusammen: durch alle Glieder
Geht ihr ein Zucken; mit gellendem Schrei
Fällt sie neben dem Lehnstuhl nieder.
Der Vater fragt besorgt, was ihr sei,
Doch stumm liegt sie, wie sinnberaubt,
Ein Schluchzen nur ringt sich, halberstickt,
Aus ihrer Brust, dazwischen blickt
Sie weinend empor und schüttelt das Haupt.
Indessen beginnt der Alte die Kraft
Des Trunks zu spüren; träger schleicht
Das Blut ihm, sein Bewußtsein weicht,
Und er sinkt hin in des Schlummers Haft.
Barbara trat in das Stübchen bedächtig,
Wo sie den schlummernden Thürmer traf
Und vor ihm das knieende Mädchen. »Brav!
Mein Kindchen« – sprach sie – »das geht ja prächtig;
Ein Erdstoß weckt den nicht aus dem Schlaf,
Und wir sind sicher. – Nun sollst du hören,
Wie ich Alles besorgt aufs Beste.
Der Pförtner hat auf den Abend Gäste
Und wird uns in unsrem Werke nicht stören;
Erst dacht' ich Walther in Verkleidung
Heraufzuführen zum Hochzeitfeste,
Er aber schalt das Narrentheidung,
Weil er ein besseres Mittel wüßte.
Gib Acht denn, was wir zuletzt bestimmt!
Heute, sobald es dunkelt, klimmt
Dein Liebster hinauf zu dem Brettergerüste,
Um Leitern von dort an das Thurmdach zu legen;
Sobald du dann oben ein Zeichen gibst,
Steigt er empor auf luftigen Wegen,
Und für immer ist er dein, den du liebst.«
In Rosa tauchte bei diesem Worte
Das Bewußtsein von Allem empor;
Offen sah sie des Glückes Pforte,
Aber stand noch zagend davor.
Doch die Amme fährt fort: »Laß, Kind, das Gaffen!
Bis Abend ist noch viel zu beschaffen,
Daß wir zur Hochzeit Alles beschicken!«
Einen Korb dann holt sie herbei,
Und Rosa starrt mit staunenden Blicken,
Als fragte sie, was darinnen sei.
Ihr vom Herzen sanken allmählig,
Wie fallender Nebel, Sorg' und Bangen,
Und Strahl auf Strahl brach wonneselig
Die Hoffnung des nahen Glücks durch den Schleier,
Der ihr trübe den Geist umfangen.
Das Geräth für die Hochzeitfeier
Beginnt die Alte hervorzukramen,
»Kind« – rief sie – »in aller Heiligen Namen,
Was soll dein Brüten und Träumen nutzen?
Hilf mir das Stübchen stattlich putzen!«
Rosa läßt sich nicht länger mahnen;
Und bald, von der Amme geschmückt und von ihr,
Prangt das Stübchen in festlicher Zier.
Ranken und Zweige von duftigem Grün,
In deren Gewinden, sanft verwoben,
Walthers und Rosa's Namen blühn,
Umschlingen die Wände bis nach oben,
In der Nische des Zimmerchens aber
Steht mit zierlichem Kandelaber
Kranzumwunden ein kleiner Altar.
O, was zögerst du, traute Nacht!
Die Liebe selbst hat dem jungen Paar
Alles gerüstet in Glanz und Pracht;
Du nur fehlst mit dem schützenden Schatten.
Weihrauchduft und Kerzenschimmer
Laß wallen durch das prangende Zimmer,
Und leg an Rosa's Busen den Gatten!
Oft späht das Mädchen durchs Fenster verstohlen,
Ob nicht die Tagesstrahlen erblichen;
Um den Pater bei Zeiten zu holen,
Ist die Amme hinweggeschlichen,
Und sie, die allein im Stübchen bleibt,
Sieht, wie die Schatten länger werden
Und der Wind des Abends die Wolkenheerden
Nach dem Thore des Westens treibt.
Sich zu schmücken begann sie, flocht
In die Haare den Myrtenkranz
Und zündete mit dem glimmenden Docht
Auf dem Altare den Kerzenglanz.
Da schlug die Thurmuhr – Rosa zählte:
Acht Schläge that der eherne Hammer –
Die Zeit war's, wo der Herzerwählte
Zu kommen gelobt. Sie schlich an der Kammer
Leise vorbei, wo ihr Vater schlief,
Und hörte, doch wagte nicht hinzuschaun,
Des Schlummernden Athemzug. Ein Graun,
Das vom Haupte zum Fuß sie überlief,
Trieb sie fliegenden Schrittes vorüber.
So tritt sie hinaus auf den Söller des Thurms
Unter den Abendhimmel voll trüber
Gewölke, wie eines nahen Sturms,
Und sieht, indem sie hinab sich neigt,
Daß, leicht an die Fähnlein des Thurms gelehnt,
Leiter an Leiter aufwärts steigt.
»Herr Gott, wie furchtbar die Tiefe gähnt!
Und auf den Sprossen, die drüber schweben,
Will der Verwegne« – sie wagt den Gedanken
Nicht auszudenken und wendet mit Beben
Den Blick hinweg.
Inzwischen sanken
Die Schatten des Abends auf die Stadt;
Durch das Zwielicht schimmerte matt
Von einzelnen Lichtern schon das Gefunkel.
Fernhin ballten Gewitter sich dunkel,
Und von den Glocken der Thürme ringsum
Tönte der Schall des Angelus;
Nur die von St. Sebald blieb stumm.
Und Rosa lauscht nach unten. Nun muß
Er kommen; ihr Ohr, so glaubt sie, vernimmt
Die Tritte von Einem, der aufwärts klimmt;
Angst durchzittert ihr tief die Seele,
Weil wider des höchsten Gottes Befehle
Sie sündigt und den Eidschwur bricht;
Zu spät jedoch, es ist zu spät!
Ihr Auge gewahrt im Dämmerlicht
Walther, wie er, des Zeichens harrend,
Auf dem Brettergerüste steht –
Sie schwingt, ihm bang entgegenstarrend,
Ein Tuch empor mit bebender Hand,
Und sieh! er hat das Zeichen erkannt,
Die Leitern aufwärts klimmt er gewandt,
Es scheint, als ob er in Lüften fliege –
Schon kann Rosa die lieben Züge
Deutlich erkennen; und wie sie den Theuern
Nun nah sieht, bricht gleich Freudenfeuern
Wieder in ihr die Liebe hervor,
Die alle Gefühle sonst verschlingt.
»Nur kurz noch haltet, ihr Staffeln, und bringt,
O bringt mir den Liebsten, den Gatten empor!«
Nun hat er die höchste Staffel erreicht
Und wirft ein Seil nach dem Söller, das leicht
Ums Gelände sich schlingt; dann, unerschreckt,
Sich schwingt er nach oben; schon blitzen kühn
Seine Augen, die von Sehnsucht glühn,
In die der Geliebten – Rosa streckt
Die Arme verlangend nach ihm; zum Kuß
Schmachten sich Beider Lippen entgegen,
Die Herzen klopfen in schnelleren Schlägen
Einander zu; mit letztem Entschluß
Will zu dem Glück, das droben winkt,
Walther sich über die Brüstung schwingen –
Auf einmal starrt er mit wildem Blick
Nach dem Bilde der Jungfrau in der Blende.
»Herr Gott! Die Heilige streckt die Hände
Mir drohend entgegen! Sie stößt mich zurück!«
So rufend, taumelt er rückwärts, sinkt
Gleitend neben dem Söller hinab
Und sucht vergebens sich aufzuringen,
Indessen unten, ein riesiges Grab,
Die Tiefe ihn zu verschlingen droht.
Noch klammert er sich in Todesnoth
Mit der Rechten an einen Gitterstab,
Die Blicke flehend nach oben gerichtet –
Umsonst – er fühlt, bald muß er sinken. –
Von Entsetzen wie zernichtet,
Beugt Rosa sich häuptlings über den Rand
Der grausen Tiefe – und mit der Linken
Ergreift der Verzweifelnde ihre Hand.
Angstschreiend hält sie den Schwebenden fest
Und sucht ihn emporzuziehn, doch fühlt,
Wie nach und nach ihn die weichende Kraft
Gegen den Abgrund sinken läßt –
Von dem Gitter löst sich erschlafft
Des Jünglings Rechte – das hangende Seil
Im Fallen erhaschend, gleitet er steil
Zum Pfeiler hinab – dort noch einmal,
Das Kreuz umschlingend, in ringender Qual
Hält er sich fest – allein nur kurz
Bleibt noch Spannung in seinen Sehnen;
In die Tiefen, die unten gähnen,
Sinkt er hinab in jähem Sturz.
Eben kehrte die Amme zurück;
Sie glaubte, die Liebenden oben zu finden,
Und rief durch die Thüre: »Heil euch und Glück!
Gleich naht der Pater, euch zu verbinden!«
Eintretend spähte sie ringsumher,
Aber gewahrte das Stübchen leer
Und eilte hinaus auf die Galerie.
Hingestürzt, mit entstellten Zügen,
Sieht sie am Boden dort Rosa liegen
Und wirft sich jammernd über sie.
Klar wird ihr Alles, was geschehn;
Die Hände über dem Liebling ringend,
Ihre kalten Glieder umschlingend,
Ruft sie ihr ängstlich, aufzustehn.
Sie trägt ihr Herzenstöchterlein
Dann sorglich in das Stübchen hinein
Und legt es auf die Lagerstätte.
Da ruht, statt auf dem Hochzeitbette,
Nun Rosa blaß und regungslos;
Und Barbara, über ihr Schätzchen gebeugt,
Murmelte: »Kindlein, das ich gesäugt,
Das ich gehegt und geherzt auf dem Schooß,
Zog ich dich dazu mühsam groß?
Ich wollte dein Glück ja, dein Bestes nur!
O Himmel, was hab' ich angestiftet!
Denk ich's, so ist mir das Leben vergiftet.«
Auf einmal aus ihrem Brüten fuhr
Sie auf, da der Pater ins Zimmer trat.
Sie kniet vor ihn hin, ihm Alles zu künden,
Und schluchzt: »Habt Ihr auch Ablaß für Sünden,
Wie Barbara sie begangen hat?«
Dann, fürchtend, daß der Alte vom Schlafe
Erwache, geschreckt von der drohenden Strafe,
Zog sie den Beichtiger mit sich fort,
Und Rosa, starr wie auf der Bahre,
Blieb allein auf dem Lager dort.
Auf ihre weißen, kalten Glieder,
Umringelt vom gelösten Haare,
Streuten die Kerzen des Festes gelben
Flimmernden Schein verlöschend nieder –
So blinkt die Lampe in Grabgewölben
Ueber den Bildern der marmornen Platten –
Durch die Thür schlich der Odem der Nacht,
Der Vorhang regte sich langsam im Winde,
Und auf und nieder glitten die Schatten,
Als hielten sie neben dem blassen Kinde,
Wie Todtenfrauen, die letzte Wacht.
Das Dunkel schwand; mit buntem Schimmer
Brach durch die gemalten Fensterscheiben
Der Morgen in des Thürmers Zimmer.
Zitternd spielte das Sonnenlicht
Ueber des Alten Angesicht,
Und, mählig erwachend, mit Augenreiben
Rang er sich auf von der Wirkung des Trunks.
Er ruft nach Rosa, ruft nochmals laut,
Erhebt sich, geht durch die Thür und schaut
Verwundert das Stübchen voll festlichen Prunks.
Doch als er, auf das Lager gestreckt,
Im weißen Gewande, wie aufgebahrt,
Sein blasses Töchterlein gewahrt,
Das kein Rufen noch Schütteln weckt,
Da steigt er, seit lang zum ersten Mal,
Die Treppen hinab in Herzensqual,
Um Hülfe zu holen. Aus dem Munde
Des Pförtners vernimmt er bald die Kunde,
Wie Walther, der Steinmetz, Abends zuvor
Vom Thurmgerüst, an dem er geklettert,
Herunterstürzend sich zerschmettert,
Und wie man eben durch das Thor
Der Barbara Leiche hereingetragen.
»Außen an des Flusses Borden
Ist sie von Fischern« – so hört er sagen
»Aus den Wellen gezogen worden.«
Allmählig dämmert nun in dem Alten
Die Ahnung des Geschehenen auf;
Rückdenkend weiß er den ganzen Verlauf
Aus der Tochter seltsamem Wesen,
Aus dem heimlichen Zwiesprachhalten
Mit der Amme zusammenzulesen.
Er wankt mit lauten Klagerufen
Wieder empor zum Thurm die Stufen.
Starr gleich der Erde beim Winterfrost,
Wenn auf der Flur kein Leben sproßt,
Liegt Rosa dort; bisweilen nur geht
Ein Zucken ihr durchs Gesicht und verräth,
Daß noch Leben ringt mit dem Tod.
Wie wenn in eisiger Frühe der Ost
Mit matten Strichen von dämmerndem Roth
Das fliegende Schneegewölk bestreift,
Umfließt dann flüchtiger Schein ihr die Wange;
Langsam windet, gleich einer Schlange,
In ihr der Schmerz sich herauf – sie greift
Krampfhaft nach dem Herzen; nach und nach
Mühselig wie unter Bergesschwere
Empor sich richtend, blickt sie ins Leere
Und stößt ein langgezogenes Ach,
Ein tiefes, aus – dann sinkt sie wieder,
Zusammenbrechend, wie leblos nieder.
Am Bett des Mädchens mit treuen Sorgen
Wachte der Vater immerdar;
Nacht folgte dem Tag, dem Dunkel der Morgen,
Doch
er wich nimmer.
Wieder war
Es Mitternacht, und angstvoll saß
Er neben der Kranken, fühlt' ihr den trägen
Puls, der mit matten schleichenden Schlägen
Die Sekunden des schwindenden Lebens maß,
Und netzte die Hand, so bleich und welk,
Mit seinen Zähren. Ringsum ist Stille,
Eintönig nur im morschen Gebälk
Des Thurmes zirpt ihr Lied die Grille.
Schwer liegt auf der Stirn des Alten die Schwüle,
Er schleicht auf das Dach in die nächtliche Kühle
Und schaut gen Himmel. Ueber ihm kreisen
In den ewig gemessenen Gleisen,
Unbekümmert um Weh und Wohl
Der Menschen, die Sterne um ihren Pol;
Aber vor ihm, trüb und bleich,
Einem ins Sterbegewand gehüllten
Herzgebrochenen Mädchen gleich,
Sinkt gegen den nebligen, dunstumhüllten
Westen der Mond hinab. Entkräftet,
Den Blick auf den dämmrigen Glanz geheftet,
Fühlt der Greis, wie der Hauch des Windes
Thau des Schlafes über ihn weht.
Noch lallen die Lippen ihm ein Gebet
Für die Genesung des lieben Kindes;
Dann, erschöpft von Wachen und Kummer,
Schwinden die Sinne ihm hin in Schlummer.
Inzwischen beginnt im Stübchen ein Regen,
Ein seltsam Raunen und Bewegen;
Der Thurmuhr lauter werdender Schlag
Dröhnt zitternd hin durch das Gemach;
Von Wand zu Wänden schleicht ein Knistern,
Als wollte die Stille selber flüstern,
Und außen an die Fenster pocht's.
Halboffen ist die Thür geblieben;
Vom Winde hin und her getrieben,
Flackert das Lämpchen verglimmenden Dochts,
Und wie auf frisch gegrabenem Grab
Irrwische über dem Todtenacker,
Hüpfen Lichter bei dem Geflacker,
Mit den Schatten sich haschend, auf und ab;
Unheimlich raunt es ums Bett der Kranken,
Und langsam an der Thüre wallt
Der Teppich zurück – herein mit schwanken
Schritten wankt eine Schattengestalt,
Drückt, zu dem Mädchen niedersinkend,
Ihr einen Kuß auf die Lippen, die kalten,
Erhebt sich dann, im Verschwinden winkend,
Und schwebt hinweg durch die Vorhangfalten. –
Rosa stöhnt im Schlafe beklommen:
»Walther! Walther! Ja, ich will kommen!«
Ihr zuckt das Augenlid, sie sucht
Sich aufzurichten unter der Wucht,
Die ihr den Busen drückt wie ein Alp,
Ringt sich empor vom Lager halb
Und verfolgt mit irrenden, matten
Blicken den verschwindenden Schatten. –
Als ob der Fliehnde mit Geisterbann
Sie nach sich zöge, erhebt sie sich dann
Und eilt mit leichtem, schwebendem Gang
Der Thüre zu die Dielen entlang.
Weit offen das Auge, und doch wie nach innen
Gerichtet, mit in sich versunkenen Sinnen,
Tritt sie aufs Dach; ein Tüchlein nimmt sie,
Schwingt es, über die Brüstung gebeugt,
Und lauscht nach unten – doch Alles schweigt. –
Behend dann auf das Gitter klimmt sie
Und schreitet längs der scharfen Ränder
Schwankenden Fußes auf dem Geländer
Dahin zur nächsten Pfeilerspitze.
Inzwischen verhüllt sich der Mond; von den Schlägen
Rollender Donner, dem fallenden Regen
Erwacht der Thürmer auf seinem Sitze
Und sieht beim Lichte züngelnder Blitze
Die weiße Gestalt auf dem Pfeiler stehn,
Der die Locken im Nachtwind wehn.
Die Tochter erkennt er: »Herr der Gnade!
Schlafwandelnd ist sie auf schwindligem Pfade
Dorthin geklettert! Ein Ton, ein Hauch
Erweckt sie, wär' es der leiseste auch!«
Der Alte denkt es, und ihm graut,
Sein eigner Herzschlag geht ihm zu laut;
Regungslos an die Wand gepreßt,
Hält er den Athem angstvoll inne
Und heftet auf die Tochter fest
Den starrenden Blick. Herab von der Zinne
Auf Steinvorsprüngen, so jäh und scharf,
Daß kaum die Schwalbe ihr hängendes Nest
Daran zu kleben wagen darf,
Wandelt sie nun entlang die Rinne
Bis vorn, wo ihr regenspeiender Mund
Hinabhängt über den schrecklichen Schlund,
Und bei der furchtbar drohnden Gefahr
Sträubt sich dem Thürmer jedes Haar,
Wie sie nach vorwärts links und rechts
Sich beugt – da plötzlich ist ihm, als riefe
Eine Stimme hervor aus der Tiefe,
Ein Wimmern vernimmt er, ein leises Geächz;
Dumpf erst »Rosa! Rosa!« stöhnt es,
Und lauter dann und lauter schallend,
An Pfeilern und Mauern wiederhallend,
Von nah und ferne »Rosa!« tönt es.
Auf einmal kehrt sich das Mädchen, erwacht,
Dorthin, von wo die Rufe erklingen –
Sie breitet die Arme hinaus in die Nacht,
Als wollte sie den Geliebten umschlingen –
Doch wer mit wachenden Augen sähe,
Ohne zu stürzen, nach unten? Ihr wankt
Der Fuß – sie zittert, strauchelt, schwankt –
Halb vom Schwindel schon bezwungen,
Hält sie sich taumelnd noch auf der Höhe,
Doch wieder ertönt von Geisterzungen
Der Ruf, und sie stürzt in die Tiefe, die jähe,
Die zuvor den Geliebten verschlungen.
Wollt ihr noch nach dem Thürmer fragen? –
Er sorgte, daß unter Einer Platte
Man Rosa neben Walther bestatte;
Dann auf den Friedhof, wo sie lagen,
Hat man auch ihn hinausgetragen.