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IV. Heinrich Dandolo

Durch die beschäumten Wogen streicht
Venedigs stolze Flotte leicht
Und bahnt, so wie ein Kranichzug
Gen Osten strebt in hurt'gem Flug,
Der Segel Schwingen ausgespannt,
Die Straße sich zum Morgenland.
Noch nie ein gleich Geschwader sah
Zuvor die blaue Adria:
Umwogt von buntem Flaggenspiel,
Fünfhundert Schiffe Kiel an Kiel,
Sie alle hoch gemastet,
Mit Kriegsgeräth belastet,
Bewehrt mit Zinnen und mit Thürmen
Und Wurfgeschütz zum Mauerstürmen.
Wie blinkt auf jeglichem Verdeck
Kampflust aus tausend Augen keck,
Wie wimmelt drauf das Kriegerheer
Mit Schwert und Panzer, Schild und Speer!
Venedigs junge Nobili,
Die Contarini, Foscari,
Im Kreise ihrer Bogenspanner
Erheben Jeder hoch sein Banner,
Indessen ihre Lanzenspitzen
Im Licht der Morgensonne blitzen;
Daneben Grafen und Barone
Aus Artois und vom Strand der Rhone,
Aus Flandern und aus Hennegau
Mit Fahnen roth und weiß und blau.
In allen glänzten Wappen hoch,
Doch herrlich über ihnen flog
Des heil'gen Marcus Flügelleu,
Der, wie der Hund dem Herren treu,
Seit ihres Reiches Anbeginn
Geschützt die Meereskönigin.

Der Rosse Wiehern und Gestampf,
Der Waffen Klirren überscholl
Das Wagendonnern und Geroll.
Als ging' es heute schon zum Kampf,
Erhoben sich der Krieger Rufe,
Und zu dem Fall der ehrnen Hufe
Erdröhnte der Drommeten Gellen –
Naht diese Flotte deinen Wällen,
Dann, trotz der Mauern festem Kranz,
Erzittre, mächtiges Byzanz!

Die Segel schwellt ein frisches Wehn
Her von Friauls beeisten Höhn,
Und in der Ferne schwach und schwächer
Hinschwinden schon die Kuppeldächer
Und Thürme der Lagunenstadt;
Nur hier und da noch dämmert matt,
Aufragend aus dem Wogenspiele,
Ein Zinnenthor, ein Campanile,
Dann senkt auch er sich in die Flut.
Die Abendsonne geht zur Rüste,
Und westlich an Italiens Küste
Schwimmt Luft und Meer in goldner Glut.
Da, sieh! auf der Galeere dort
Mit purpursammt-behängtem Bord,
Ist es ein Fest, das man bereitet?
Auf Teppichen, die man gebreitet,
Reiht sich ein edler Ritterkreis,
Und unter seidnem Baldachin,
Das Kleid besetzt mit Hermelin,
Auf höherm Sessel ruht ein Greis;
Hin ob der Brust wallt silberweiß
Bis an den Gürtel ihm der Bart,
Die Augen deckt ihm eine Binde;
Er ist's, der hochberühmte Blinde,
Das Haupt der ganzen Kriegerfahrt,
Der Doge Heinrich Dandolo.

Stumm blicken noch auf ihn die Andern,
Da hebt er mit der Rechten froh
Den Goldpokal und redet so:
»Stoßt an, Herr Balduin von Flandern,
Herr Markgraf Bonifacius!
Auf gute Fahrt zum Bosporus!
Bald, wenn der Fahrwind günstig haucht,
Sehn werdet ihr, wie riesengroß
Aus der Propontis Wogenschooß
Die Kaiserstadt des Ostens taucht,
Die herrliche, mit Hippodromen
Und bleigedeckten Tempeldomen,
Mit Prachtpalästen, Erzkolossen,
Auf drei Gestade hingegossen.
Die Säulen und die Marmorbäder,
Aufleuchtend aus dem Grün der Ceder,
Dazwischen Villen, Mausoleen
Und Obelisken, Siegesbogen –
O wahrlich! wer es nicht gesehn,
Ward um das Herrlichste betrogen! –
Mir deckt das Auge ew'ge Nacht,
Nicht schaun mehr werd' ich jene Pracht,
Doch strahlend, wie ich einst sie sah,
Als hell mir noch die Sonne schien,
Steht sie vor meinem Geiste da,
Die hohe Stadt des Constantin.
Was ich als Jüngling dort erlebt,
O, denk' ich dran, noch immer bebt,
Ob auch das Alter dreifach Erz
Darum gelegt, mein altes Herz
In Weh und Wonne, Lieb' und Haß!
Und vor des Auges dunkler Höhle
Stehn mir Gestalten schreckenblaß;
So tief ist keine Nacht auf Erden,
Wo sie mir nicht erscheinen werden.

»Daß ich von jener Zeit erzähle,
Habt ihr begehrt; wohlan, es sei!
Noch einmal gleite vor der Seele
So Lust wie Leid von einst vorbei!

»Kaum dreißig zählt' ich, und mein Haar,
In Locken um das Haupt gerollt,
Trug leuchtend noch des Löwen Gold.
Nachdem ich früh in Kriegsgefahr
Zu Land und See den Candioten,
Den Dalmatinern Trotz geboten
Und doppelt mit dem Siegeskranz
Die Stirne mir geschmückt, verlieh
Mir Amt auf Amt die Signorie.
Sie sendete mich nach Byzanz,
Des Freistaats Macht, die weithin schon
Den Schatten ihrer Flügel warf,
Zu schützen vor der Feinde Drohn;
Und, wenn ich's also sagen darf,
Ein wackrer Schirmer war ich ihr.
Sah auch der Kaiser noch so scheel
Auf unsre Macht im Archipel,
Zu Recht bekennen mußt' er mir,
Daß über zwanzig Griechenstädte
Des heil'gen Marcus Banner wehte.
Für mein Venedig blieb nicht leicht,
Was ich begehrte, unerreicht;
Konnt' ich's durch Trotzen nicht erzwingen,
Als Höfling wußt' ich's zu erringen!
Denn, Freund der hohen Byzantiner
Und ihrer Frau'n ergebner Diener,
Zu Hofe ging ich viel als Gast,
Auch war des Kaisers erster Sohn,
Prinz Isaak, mir im Palast
Ein Anwalt bei des Vaters Thron.

»Von Neuem wird das Herz mir jung,
Wenn rückwärts die Erinnerung
Mich zu den sel'gen Tagen trägt,
Als mich am goldnen Horn die stillen,
Von Lorbeergrün versteckten Villen
In holder Damen Kreis gehegt.
Und, o! daß ich noch einmal Nächte,
Wie die am Bosporus, verbrächte,
Um in den Gärten längs des Meers
Zu wandeln am Georgenfeste.
Mich dünken will's, ein Traum nur wär's,
Gedenk' ich, wie der Schwarm der Gäste
Durch alle Laubengänge schwoll
Und hoch vom Schlosse der Blachernen,
Dem Schimmer gleich von tausend Sternen,
Der Schein der Flackerkerzen quoll.
Durch Bogenfenster, goldne Gitter
Sah man in marmorblanken Hallen
An schöner Frauen Arm die Ritter
Hinauf, hinab die Treppen wallen.
Und unten in der Purpurnacht
Wie wogte nicht in bunter Tracht
Der Schwarm der Gäste auf dem Rasen!
Am Strand dort unter prächt'gem Zelt
Mit Freunden saß ich froh gesellt,
Vor uns auf Tafeln goldne Vasen,
Krystallne Becher aufgestellt;
Und in den Vasen – o, die Pracht!
Die riesenhafte Nuß der Tropen
Bei der Banane, die Aethiopen
Vom Nilgestade hergebracht!
Wie schimmerte beim Fackelstrahle,
Der von den Silberleuchtern hell
Herniederflammte, im Pokale
Des Weines herzerfreunder Quell!

»Nach Festesschlusse war es Brauch,
In Gondeln bei dem kühlern Hauch
Zu schiffen durch die Meereswogen;
Und Loose wurden dann gezogen,
Die jedem Ritter eine Dame
Zutheilten für die Wasserfahrt.
Bei einer Loosung solcher Art
Einst zog ein Blatt ich, drauf der Name
›Eugenia Dora‹ stand; ich ging,
Geführt von einem Kämmerling,
Des Namens Trägerin zu grüßen.
Ich stand vor ihr; o, blieb mir Kraft,
Zu stehen? sank ich hingerafft,
Anbetend nicht zu ihren Füßen?
Nicht weiß ich's mehr; doch wenn zurück
Zu jenem sel'gen Augenblick
Mich wieder leitet der Gedanke,
Ist mir's, als ob der Boden schwanke
Wie damals, als ich vor ihr stand.
Mich Graukopf würdet ihr verhöhnen,
Wollt' ich so wie ein junger Fant
Lobpreisen euch den Reiz der Schönen;
Nur Eines drum, ein wild Entzücken
Rann über mich aus ihren Blicken;
Mir schwindelte berauscht der Sinn,
Indeß ich durch den Menschenschwarm
Zum Meer sie führt' an meinem Arm.
Von einer alten Schaffnerin,
Sophia, ließ sie sich begleiten;
Und als ich nun an ihrer Seiten
Im leichten Kahn von dannen glitt,
Als süße Rede seelenvoll,
Drin Schüchternheit mit Neigung stritt,
Von ihren Rosenlippen quoll,
Da schoß mir wechselnd Blaß und Roth
Durchs Antlitz hin, wie nie zuvor,
Es brauste dumpf mir vor dem Ohr,
Mir war, als führen in dem Boot
Wir Zwei entgegen sel'gem Tod.

»Seit dieser Nacht besiegelt war's,
Daß ich nicht Rast auf Erden fände,
Bevor der Segen des Altars
Mich mit Eugenien verbände.
Sie wohnte, frühe schon verwaist
Und nur in eines Vormunds Hut,
Einsam auf ihrem Ahnengut,
Dort, wo des Pontus Wogenflut
Wild um die Klippen schäumt und kreist.
Ihr Schloß, das nah den Symplegaden
Hinabsah von den Felsgestaden,
Empfing als Gast mich täglich bald
Zu wonnevollem Aufenthalt;
Denn, was wir uns gelobt im Stillen,
War ganz nach ihres Vormunds Willen,
Und mit dem Namen Braut, dem süßen,
Durft' ich vor ihm Eugenien grüßen. –

»Im Herzen tief fühl' ich nach jenen
Glücksel'gen Stunden noch ein Sehnen,
Als Haupt an Haupt gelehnt wir Zwei
Vom weithin schauenden Altan
Die weißen Segel gleiten sahn,
Um uns der Flattermöven Schrei
Und meerhauchfeuchter Myrten Duft,
Aufsteigend aus der Felsenkluft.
Da lag, so wie am Horizont
Des Meeresspiegels klares Blau,
Das Leben vor uns hellbesonnt,
Und zu dem Bild der lieben Frau
Aufklommen wir, das hoch, hoch oben
Von steilster Klippe niedersah,
Um uns vor der Panagia
Auf ewig Treue zu geloben.

»Schon war das Fest der Hochzeit nah
Und Morgens früh Eugeniens Ohm
Gegangen zum Sophiendom,
Daß er zur Feier Alles rüste;
Wie immer ritt bei sinkendem Tag
Ich von der Stadt zur Meeresküste,
Wo die geliebte Villa lag:
Da plötzlich stürzte bleich, erschrocken
Eugenia mit verwirrten Locken
Entgegen mir. ›O gleich‹ – rief sie –
›Noch heute komm nach St. Sophie
Und, wenn die Kirche uns vereint,
Fort! fort, noch eh der Morgen scheint!‹
Und sie erzählte, starr und kalt
Vor Schrecken noch, als nach der Ville
Sie einsam in der Mittagstille
Gewandelt im Platanenwald,
Hab' ihr des Kaisers jüngrer Sohn
Alexius den Weg vertreten
Und erst mit Schmeichelredeton
Demüthig ihre Gunst erbeten,
Doch dann in übermüth'gem Hohn
Gedroht, leicht sei es ihm, den frechen
Starrsinn durch seine Macht zu brechen.
Erst vor dem Hülfruf meiner Braut
Entflohen war der Bösewicht.

»Noch gab mit halbersticktem Laut
Sie vom Geschehnen mir Bericht,
Da kam in athemloser Hast
Ein Bote aus dem Reichspalast,
Der schleunig, noch zur selben Stunde
Mich vor den Thron des Kaisers lud.
Jäh bei der unwillkommnen Kunde
Zurück zum Herzen schoß mein Blut;
Doch, konnt' ich trotzen dem Gebot?
Ich wand mich aus der Theuern Arm:
›Nur Muth, Eugenia, scheuch den Harm!
Heimkehr' ich noch vor Morgenroth –
Und mag die Hölle uns bekriegen,
Glaub mir, ich werde sie besiegen!‹
Noch einen Kuß auf ihre Lippen!
Und stadtwärts längs der Uferklippen
Hinsprengt' ich mit verhängtem Zügel
Zum Schloß auf dem Blecharen-Hügel.

»Ein Kämmerling sofort befahl,
Mir aufzuthun den goldnen Saal,
Und, meiner harrend, auf dem Thron
Saß dort der Imperator schon:
›Vernehmt, weshalb wir Euch geladen!
Stets stand als edel und erlaucht
Eu'r Freistaat hoch bei uns in Gnaden,
Doch unsre Huld hat er mißbraucht
Und Städte, die seit langen Jahren
Den Byzantinern eigen waren,
Für sich befestigt und verschanzt,
Ja, dort sein Banner aufgepflanzt.
Versucht denn keinen Widerstand!
Ich rath' es Euch zum eignen Besten,
Die Schlüssel liefert jener Vesten,
Wie sich gebührt, in meine Hand!
Und wenn der Vollmacht Ihr entbehrt,
Ein Monat sei Euch Frist gewährt,
Daß vom Senat Ihr sie begehrt.‹
Zur Antwort gab ich, schnell gefaßt:
›Gradaus, Herr Kaiser! offen laßt
Mich zu Euch reden, fest und klar!
So viel an mir, soll nimmerdar
Auch Eine jener Vesten nur,
Ja, ihrer Mauern nur ein Stein
In Eure Macht gegeben sein!
Das schwör' ich hier mit heil'gem Schwur;
Und stimmte Doge sammt Senat
Für solchen schmählichen Verrath,
So faßt' ich im Entschluß mich kurz
Und eilte wie auf Windesflügeln
Meerüber, um zu ihrem Sturz
Das Volk Venedigs aufzuwiegeln.‹
Aufflammte da des Kaisers Wut,
Und in den Augen Zornesglut:
›Ei, kühne Worte redest du‹ –
Mir donnert' er mit Ingrimm zu –
›Laß sehen doch, wie lang du so
Mir trotzen wirst mit Frevelmut!
Und wärst du auch wie Eisen fest,
Ich habe Mittel, Dandolo,
Durch die dein Sinn sich beugen läßt!
Zu glauben kaum ist vom Gesandten
Der kleinen Stadt im fernsten Winkel
Des Mittelmeeres solcher Dünkel;
Auf und ergreift ihn, ihr Trabanten!
In schweren Eisenketten werft
Ihn unten in den Kerkerthurm,
Und täglich sei die Haft geschärft,
Bis er erkennt, daß nur ein Wurm
Er ist, den ich zertreten kann.‹

»Er sprach's, und Söldner, Mann an Mann,
Wohl hundert drangen auf mich ein;
Vergebens ließ in ihren Reihn
Mein Schwert ich tanzen, wutentflammt;
Nicht achtend mein geheiligt Amt,
Mich packten sie, hinab die Treppen,
Fort durch die Straßen mich zu schleppen.
Als Glück noch ward's von mir gesegnet,
Daß, nahe schon dem Zwingerthor,
Mein Freund Antonio mir begegnet;
Ihm raunt' ich hastig in das Ohr:
›Hin zu Eugenien eil und bring,
Daß sie dir glaubt, ihr diesen Ring!
Schnell, denn Gefahr ist im Verziehn,
Zur äußersten der Symplegaden
Soll sie noch diese Nacht entfliehn.
Bei ihrer alten Amme dort
Beut sich an waldigen Gestaden
Für sie ein sichrer Zufluchtsort.‹

»Die arge Söldnertruppe stieß
Mich in ein düstres Thurmverließ,
Das mich, dem Lichte fern, der Luft,
Mit kaltem Dunst und Moderduft
Umschloß wie eine Todtengruft.
Ringsum rann von der schwarzen Mauer
Ein feuchter Qualm wie Grabesschauer;
Und ich, in schweren Eisenringen,
Die Hand und Fuß und Hals umfingen,
Fest an den Stein geschmiedet, siechend,
Nichts sah ich, als den matten Strahl,
Der sich durch eine Spalte stahl,
Entlang die finstern Wände kriechend;
Nichts hört' ich, als bei Nacht und Tag
Des eignen Herzens bangen Schlag,
Den Klang des Eisens, wie es klirrte,
Daß Seele sich und Sinn verwirrte.
Doch, was ich auch ertrug und litt,
Und ob der Ketten ehrne Klammer
Mir auch in alle Glieder schnitt,
Im Herzen lag der größre Jammer:
Durch tiefste Finsterniß erblickte
Ich fort und fort Eugeniens Bild;
Wenn kurz mein Haupt in Schlummer nickte,
Empor vom Traume fuhr ich wild –
Sie, die mir Leben war und Licht,
Ob sie gerettet, wußt' ich nicht
Und bat umsonst um eine Kunde
Die stummen Wände in der Runde.
Von der Geliebten Rosenmunde,
Mehr als die Hostie mir theuer,
Nun raubte Prinz Alexius
Vielleicht, der freche, einen Kuß.
Dacht' ich's, so fühlt' ich's bald wie Feuer
Durch alle meine Adern rinnen,
Ein Schwindeln bald in meinen Sinnen;
Wie Ohnmacht sank es auf mich nieder,
Und, wieder dann emporgerafft,
Die Ketten schüttelt' ich mit Kraft
Und schrie zu Gott verzweiflungsvoll –
Vergebens, nur mein Rufen scholl
Rings von den öden Wänden wieder.

»So waren Wochen, Monde schon
Mir in der Kerkerhaft entflohn;
Da, horch! – o vielwillkommner Klang –
Ein Schreiten draußen auf dem Gang,
Ein Rasseln in dem rost'gen Schloß:
Die Thür ging auf, und blendend floß
Des Lichts kaum noch gekannter Schein
In meine Unterwelt herein.
Mit Dienern im Gefolge, froh,
Trat vor mich hin Antonio;
Er wollte reden, doch erst leise
Ihn fragt' ich nach Eugenia's Flucht.
Drauf er: ›In braver Leute Kreise
Gewährt der Insel wald'ge Bucht
Ihr einen sichern Aufenthalt;
Dich ihr vereinen wirst du bald,
Denn deinetwegen nach Venedig
Bin ich geeilt, dort schenkte gnädig
Der Doge mir Gehör, und leicht
Ward meines Strebens Ziel erreicht;
Sieh da, was ich in Händen habe!
Die Vollmacht ist's zur Uebergabe
Der Vesten an den Gränzbezirken
Und wird die Freiheit dir erwirken.
Komm denn, da schon in Gegenwart
Der Großen dein der Kaiser harrt!‹

»Er sprach es; ich stand wie erstarrt,
Und eine höfisch reiche Tracht,
Von Golde strotzend und von Sammte,
Ward von den Dienern mir gebracht;
Auch sah ich draußen Hofbeamte
Und Kämmerlinge, die zu Seiten
Des Weges zum Palast sich reihten.
Ich aber sagte, schnell gefaßt:
›Du warst mein Freund, Antonio,
Sag an denn, kanntest du mich so?
Doch wohl! ich folge zum Palast.‹
Und, schnell vertauschend mein Gewand,
Das Pergament in meiner Hand,
In vollem Schmucke des Gesandten
Hintrat ich vor des Kaisers Thron.
Er grüßte mich: ›Ich weiß es schon,
Besorgt sind deine Anverwandten
Mehr, als du selbst, für was dir frommt;
Gut, daß die Vollmacht endlich kommt.‹
Doch ich fiel ein: ›Erlauchter Kaiser!
Venedigs Doge ist ein greiser,
Im Geiste schon gebrochner Herr;
Aus Mitleid, das ich nicht begehre,
Denkt er zu opfern unsre Ehre;
Allein, gab auch die Vollmacht er,
Von mir, Venedigs ächtem Sohn,
Sei nicht gesagt zu Schimpf und Hohn,
Ich hätte schweigend zugeschaut,
Wie man, zu retten mir das Leben,
Die Festungen dahingegeben,
Die Venetianer-Hand gebaut.
Nein, Kaiser, meinem Eidschwur glaub:
So lang ich ganz nicht sank in Staub
Und noch mein Herz in Glut entbrennt,
Wenn man Venedigs Namen nennt,
Bei Gott! so lang wird keine Scholle
Von unserm Boden losgetrennt!
Und wenn mir dieses Pergament
Die Vollmacht zum Verrath verlieh –
Zur Hölle die verruchte Rolle!
Sieh da! in Stücke reiß' ich sie!‹

»Schnell war's geschehn; zerrissen stob
Das Blatt umher; ringsum erhob
Ein Murmeln sich von Zorn und Staunen,
Und drohnde Worte hört' ich raunen.
Des Kaisers Augen sprühten Blitze,
In Wuth sprang er empor vom Sitze;
Kein Wort, sein Blick nur, tief ergrimmt,
That kund, welch Schicksal mir bestimmt.
Nochmals von Schergen überwältigt,
Ward ich in Kerkerhaft gestürzt
Und sah mein Leid verhundertfältigt.
Wie lang ich dort in Ketten lag,
Wie mir der Jammer Tag für Tag
Das Leben um ein Jahr gekürzt:
Ihr Freunde, laßt davon mich schweigen!
Auf meiner Stirn die Furchen zeigen
Das Weh, das ich nicht künden mag.
Ich fühlte, Tod war mir verhängt,
Und sah, schon fast der Qual erlegen,
Mit heißer Sehnsucht ihm entgegen,
Dem Retter, der die Ketten sprengt.

»In dumpfem Starren, wie vernichtet,
Noch lag ich – da erschollen Stimmen;
Vom Lager halb emporgerichtet,
Gewahrt' ich ferneher ein Glimmen;
Und nah und immer näher tönt
Der Rede Schall, und Fackelhelle
Bestrahlt des Kerkers düstre Wälle.
Mein Geist, des Denkens fast entwöhnt,
Zu fassen nicht, noch zu verstehn
Wußt' er im Anfang, was geschehn,
Erst mählig ward mir Alles klar,
Daß Kaiser durch des Vaters Tod
Prinz Isaak geworden war,
Und daß der Freiheit sein Gebot
Mich wieder gab. Als so aufs Neu
Das Licht ich sah, das langentbehrte,
Ihm, meinem Retter, der mir treu
Die alte Huld auch jetzt bewährte,
Wohl hätt' ich erst ihm danken müssen;
Doch nicht, wer mich der Haft entrissen,
Ich dachte der Geliebten nur;
Mein Erstes war, daß ich im Boot,
Sobald verglüht das Abendroth,
Geheim auf die Propontis fuhr.

»Wie ging mein Herz in höhern Schlägen,
Als dämmernd durch das Morgengrau
Mit seinen Küsten, schroff und rauh,
Der Inselstrand mir schien entgegen,
Der meines Lebens Kleinod wahrte;
Als, gleitend in die Uferbucht,
Ich über der Platanenschlucht
Das Häuschen auf dem Fels gewahrte,
Wohin Eugenia geflohn!
Ich klomm empor auf den Balkon,
Schlich sachte mich hinein zu ihr
Und sah sie noch entschlummert liegen
Und einen Traum – war er von mir? –
Sich auf dem holden Antlitz wiegen.
Ihr süßer Athem ging und kam,
Doch, ach! durch langen Trennungsgram
Glich sie dem welken Rosenblatt,
So schmachtend lag sie da, so matt;
Es schien, daß ihr schon übers bleiche
Gesicht des Todes Schatten schleiche.
Ich neigte mich auf ihren Mund,
Um einen Kuß darauf zu drücken,
Und sie erwachte – welch Entzücken!
Doch that kein Wort den Jubel kund,
Im Auge nur der helle Strahl,
Der Freudenthränen leuchtend Blinken,
Von Neuem stets und hundert Mal
Einander in die Arme sinken,
Das war die Rede, die wir pflogen,
Bis des Entzückens wilde Wogen
Allmählig leis und leiser wallten;
Da erst begann das Zwiesprachhalten
Und das Berathen, was zu thun.
Wohl auf den neuen Kaiser nun
Durft' ich vertraun; doch Gegner war
Ihm Prinz Alexius stets gewesen
Und mächtig durch der Großen Schaar,
Die für den Thronsitz ihn erlesen;
Von ihm bedrohte uns Gefahr,
Wenn er den Aufenthalt entdeckte,
Wo sich Eugenia versteckte.
Alsbald darum uns zu vermählen,
Beschlossen wir, und dann sofort
Am Pontusufer einen Port
Als Zufluchtstätte zu erwählen,
Daß sicher dort die Gattin weilte,
Indeß bei jedem Mondesschluß
Ich insgeheim vom Bosporus
Auf Liebesflügeln zu ihr eilte.
Dort einfach und uns selbst genug
In Stille und in heiterm Frieden
Zu leben hofften wir, von Trug
Und Glanz und Lärm des Hofs geschieden.
Kaum blieb in unserm neuen Glück
Nur ein Gedanke an die Pein,
Die wir erduldet, noch zurück;
Die Zukunft lag im Sonnenschein
Vor mir, wie wenn in Einer Helle
Verschwimmen Himmel, Luft und Welle.

»Nur Tage noch, bald nur noch Stunden,
Und, durch der Ehe Band verbunden,
Zu unserm traulichen Asyl
Forttragen sollte uns der Kiel.
Still saßen wir in Abendspäte,
Des Priesters harrend, im Gemach:
November war's, der Nordwind wehte,
Die Balken schüttelnd, um das Dach,
Und drunten an der Klippe scholl
Der Brandung donnerndes Geroll.
Eugenia lag im Arm mir hold,
Und Schlösser bauten wir von Gold
Uns für den neuen Lebenstag, –
Da an der Thüre, horch! ein Schlag
Und wieder einer; Stimmenschall
Und Waffenlärm und Roßhuffall!
Aufsprang ich, und die Gänge all
Ums Haus sah ich von Kriegsvolk dicht
Umstellt bei rothem Fackellicht.
Die Thüre wich; mit Ungestüm
Herein drang Prinz Alexius;
Wild loderten die Augen ihm:
›Ist's hier, daß ich dich suchen muß‹ –
Rief er Eugenien zu – ›Ei sieh!
Nicht ziemt das niedre Dach für Die,
Die würdig wär', im Herrscherglanz
Den Thron zu zieren von Byzanz!
Du bist so bleich? Du bebst vor Schreck,
Daß ich gewittert dein Versteck?
Ja, zittre! doch nicht für dein Leben,
Für den Verräther magst du beben,
Um den du, Thörin, mich verschmäht!
Wie trotzig dort der Freche steht!
Allein umzingelt ist er hier,
Und eher läßt das Pantherthier
Aus seinen Klau'n das Reh entfliehn –
Du magst mir's glauben – als ich ihn!‹

»Er winkte, und die dichten Reihn
Der Söldner drangen auf mich ein;
An meiner Brust noch, mich umklammernd,
Hing die Geliebte, angstvoll jammernd,
Doch mit Gewalt aus meinem Arm
Riß sie der wilde Söldnerschwarm,
Und überwältigt sank ich nieder;
Die Schurken banden alle Glieder
Mit Stricken mir, und mit dem Knie
Auf meine Brust sich stemmend, schrie,
Mir fest ins Antlitz schau'nd, der Prinz:
›Die blauen Augen also sind's,
Die vielgepriesenen, durch die
Er, Liebchen, dich so sehr entzückt?
Nun, sorgen werd' ich, daß er nie
Mit ihnen mehr ein Weib berückt!‹
Er rief's, indem er höhnend lachte,
Und auf den Wink des Wüthrichs brachte
Ein Henkersknecht zwei Eisenspitzen,
An einer Fackel rothgeglüht –
Kein Helfer rings, um mich zu schützen,
Ich konnte regen nicht ein Glied.
Eugenia, die der Schergenhand
Von Neuem sich mit Macht entwand,
Warf über mich wie sinnberaubt
Sich häuptlings hin: bald mit dem Haupt
Und bald mit beiden Händen deckte
Sie mir die Augen; wieder streckte
Dann flehend, daß er sich erbarme,
Empor zum Prinzen sie die Arme,
Doch er, sich freuend ihrer Qual,
Gebot, sie von mir fortzureißen;
Ohnmächtig mit geschwundnem Sinn –
Noch sah ich's – sank sie bei mir hin,
Indeß der Henkerknecht den heißen,
Rothglühnden, scharfgespitzten Stahl
Mir tief in beide Augen bohrte
Und ew'ges Dunkel sie umflorte.
Mir war, als würd' ich in den Schooß
Der großen Nacht hinabgerissen
Und stürzte jählings, bodenlos
Zu immer tiefern Finsternissen,
Als säh' ich mit den beiden leeren
Aughöhlen aus den Höhn und Tiefen
Schwarze und schwärzre Wellen triefen
Und immer tiefre Nacht gebären.

»Starr dann, bewußtlos lag ich lang,
Bis wieder Lärm und Stimmenklang
Mich weckte – da durchzuckt' es jäh
Von Neuem mich wie Todesweh;
Erst nun vor meine Seele trat
Die ganze grause Schreckenstat,
Durch die ich blind für immerdar,
Des Jammers Raub geworden war.
Den argen Prinzen hört ich lachen:
›Die Venetianer sind von je
Berühmt als tapfer auf der See;
Wohl, eine Schifffahrt soll er machen,
Wie Keiner solche noch vollführt!
Packt ihn, schleppt ihn hinab zum Strand!‹
Und noch mit Stricken festgeschnürt,
Ward, regungslos an Fuß und Hand,
Ich unter ruchlos wildem Spotte
Dahingetragen von der Rotte,
Bis lauter mir der Wogen Branden
Ins Ohr und immer lauter tönte
Und Prinz Alexius wieder höhnte:
›Das ist ein Meer! Wer da zu landen
Versteht, heißt wahrhaft ein Pilot!
Wohlan, mein Seeheld, in das Boot,
Als Argonaut Euch zu erproben!‹
Und abermals ward ich erhoben
Und hoch hinabgestürzt; am Gischte,
Der weithin spritzend um mich zischte,
Am Schwanken und Gekrach der Bretter
Fühlt ich, daß ich im Kahne lag
Und bald hinab und bald nach oben
Geschleudert ward vom Wellentoben,
Indeß das Meer im Sturmeswetter
Sich brandend an den Felsen brach.
Noch scholl vom Ufer her Gelächter:
›Der Spaß, in Wahrheit, ist kein schlechter,
Schon hier geht ihm das Boot in Scheiter.‹
Und Prinz Alexius befahl:
›Gebt einen Stoß ihm, daß es weiter
Hinausfliegt in die offne See!
So, gute Fahrt, Herr Admiral!‹
Ich fühlte, wie der Nachen jäh
Mit mir hinweg vom Ufer schoß,
Wie über mir die Flut sich schloß,
Und wie ich wieder wolkenhoch
Dann auf den Wellenschäumen flog.

»Dahin, dahin auf meinem schwanken
Fahrzeug mit halbzerschellten Planken!
Um mich des Sturms Gebraus und Heulen
Und das Gekrach der Wogensäulen,
Wie berstend sie zusammensanken!
Hinab in steile Flutabgründe,
Wo rings die mächt'gen Wasserschlünde,
Die Höhlungen und grausen Spalten
Den Klang des Donners widerhallten!
Und ich allein, hülflos und blind,
Auf öder Flut vom Wirbelwind
Umhergeschleudert im schwanken Kahn!
Die Wellen all, wie, vom Orkan
Gepeitscht, sie kamen oder gingen,
Anfleht' ich, mich hinabzuschlingen;
Den Himmel mit erhobnen Armen
Bat ich, daß mich und meine Qual
Zerschmettere sein Flammenstrahl –
Umsonst, sie trugen kein Erbarmen.

»In dumpfem Starren dann verging
Mir die Besinnung, mich umfing
Ein tiefer Schlaf – wie viele Stunden
In Ohnmacht so mir hingeschwunden,
Ich weiß es nicht. Als todesmatt
Aus der Betäubung ich erwachte,
War still das Meer um mich und glatt,
Und nur ein leiser Windhauch machte
Den Nachen auf dem Wellenplan
Hingleiten seine feuchte Bahn.
Ich fühlte warm den Sonnenschein
Sich legen auf mein Angesicht,
Doch, o! es drang von seinem Licht
Kein Strahl in meine Nacht herein;
Und wie Erinnerung allmählig
Mir wiederkehrte, wie ich dachte,
Daß nun Eugenia ganz unselig
Dem Frevler preisgegeben wäre
Und ich auf unermeßnem Meere
Des Todes Raub, des grauenvollen –
Verzweifelnd schlug ich da die Stirn,
Und Fieber jagte mir im tollen
Gewirr Schreckbilder durch das Hirn:
Mit meinen Augen, die nicht sahn,
Glaubt' ich zu schaun, wie um den Kahn
Ein Heer von nebligen Gestalten
Sich drängte; kauernd an dem Rand
Hört' ich sie leise Zwiesprach halten,
Sie streckten nach mir aus die Hand,
Und ›Er ist unser!‹ jauchzten sie
Und sprangen auf und hüpften im Tanz
Um mich, ein grauser Mummenschanz –
Entsetzen faßte mich, ich schrie
Laut auf und wollte aus dem Nachen,
Um mir des Sterbens Pein zu kürzen,
Ins nasse Grab hinab mich stürzen;
Allein die Grausen trieben mit Lachen
Ringsher zurück ins Boot mich wieder,
Und auf die Planken sank ich nieder.

»Dann war's, als trüge übers Meer
Ein lauer Wind Orangendüfte,
Südfruchtarome zu mir her,
Als ob ich zwischen Inseln schiffte,
Wo an den grünenden Gestaden
Ein Murmeln scholl von Rieselbächen
Und Zweig und Wipfel, schwer beladen,
Mich lockten, ihre Frucht zu brechen;
Ausstreckt' ich nach ihnen die Hand in Hast,
Doch hatte nichts als Luft erfaßt
Und fuhr empor, von Schreck durchbebt;
Da fühlt' ich des Hungers entsetzliches Nagen
Und sank von Neuem hin mit Zagen,
Fest an den Gaumen die Zunge geklebt.
Durch alle meine Adern kochte
Das Fieber, meine Schläfe pochte
In Todesangst; besinnungslos
Bald lag ich da, bald wieder irrten
Mir die Gedanken, die verwirrten,
Durchs Weite hin: im Meeresschooß
Zu ruhen glaubt' ich schon tief unten,
Von Muscheln rings umblitzt und bunten
Korallen, auf dem Bett von Moos.
Goldklumpen, Schätze sammt versunknen
Schiffstrümmern sah ich allumher
Und bleiche Schädel von Ertrunknen,
Die mich mit Augen, hohl und leer,
Anstarrten auf dem feuchten Grund.
Das stumme Volk der Tiefe, der Hai,
Der Schwertfisch, schwammen gierig herbei;
Und die Riesenschlange im Meeresschlund,
Wo sie zum Knäul geballt gelegen,
Sah ich sich langsam, langsam regen
Und auf sich richten, mit tausend Ringen
Und Windungen mich zu umschlingen. –

»Nicht weiter, was mit mir geschah
War mir bewußt. Zum Tode matt
Auf pfühlbedeckter Lagerstatt,
Als ich erwachte, lag ich da.
Noch dumpfen Druck auf meiner Stirn
Und Schwindeln fühlt' ich im Gehirn.
Doch, als mir die Besinnung kam,
Was glaubt ihr, daß mein Ohr vernahm?
Ich hörte Venetianerlaut
Und eine Stimme, mir vertraut:
Antonio war's, der mit mir sprach;
Aus seiner Rede nach und nach
Klar wurde mir was sich begeben:
Ich war auf einer Brigg, die eben
Vom Pontus nach Venedig fuhr.
Antonio hatte auf der Fahrt
In meinem Nachen mich gewahrt,
Und wieder, ob auch langsam nur,
Ward ich des Todes mächt'gem Arm,
Der eisig kalt mich schon umschlungen,
Durch seine Pflege abgerungen.
Durch meine Adern fühlt' ich warm
Die Fluth des Lebens wieder fließen –
Doch, ach! des Lichtes heil'ge Quelle,
Die Alle labt mit ihrer Helle,
Wer konnte sie mir neu erschließen?
Und auch den letzten Trost des Blinden,
Sich der Geliebten zu verbinden,
Den einzigen, sollt' ich entbehren;
Die ew'ge Nacht, die mich umgab,
Nur Eine konnte sie verklären,
Und diese Eine lag im Grab:
Gebrochen hatte mein Geschick
Eugenia's Herz; mit stierem Blick,
Seit ich von ihr gerissen ward,
Ins Leere hatte sie gestarrt
Und Flüche auf Alexius
Gemurmelt, bis der Tod ihr mild,
Der rettende, mit kaltem Kuß
Die Erdenleiden all gestillt.

»Ich, nach Venedig heimgekehrt,
Von Doge und Senat geehrt
Und nach und nach zu alter Kraft
Vom Grabesrand emporgerafft,
Im Wirken für das Wohl des hehren
Freistaats, dem keiner sich darf messen,
Im Streben, seine Macht zu mehren,
Sucht' ich für meinen Gram Vergessen.
Ob sonst auch nichts mein Auge sah,
Das hohe Weib Venetia
Stand immer leuchtend vor mir da;
Als Zehner und im großen Rath
Wirkt' ich für sie mit Wort und That;
Und, Freunde, nun der Herzogshut
Auf meinen weißen Haaren ruht,
Kühn darf ich's sagen, höher stieg,
Durch mich geführt von Sieg zu Sieg,
Die Macht der Republik als je:
Kein Schiff durchfurcht die weite See,
Das nicht vor ihr die Flagge striche;
Kein Fürst ist, dessen Kronenglanz
Nicht vor der Freiheit schlichtem Kranz,
Der ihre Stirne schmückt, erbliche;
Und gegen wen ihr Zorn ergrimmt,
Eh sie das Schwert zur Hand noch nimmt,
Zu Füßen liegt er ihr gekrümmt.
So ist für alte Missethat
Die Sühnungsstunde denn genaht;
Der Haß, der mir im Herzen gohr
Und höher schwoll von Jahr zu Jahren,
Sei nun gelöscht, wenn auf dem Thor
Des Kaiserschlosses der Blecharen
Das Banner von San Marco weht.
Spät, aber noch nicht allzu spät,
Ereilt die Strafe den Verrath.
Ihr wißt, den edlen Bruder hat
Derselbe Prinz des Throns beraubt,
Der mir – Verderben auf sein Haupt! –
Des Leidens bittern Trank gemischt;
Noch, wenn sie seinen Namen nennen,
Fühl' ich das heiße Eisen brennen,
Das in die Augen mir gezischt!
Der Wüterich Alexius!
Wie wird sein Muth vergehn, wie muß
Er zitternd sich im Staube winden,
Wenn er den todtgeglaubten Blinden
In Siegeshoheit vor sich schaut,
Der an dem Würger seiner Braut
Für tausend Thaten, gottverflucht,
Die langverschobne Rache sucht.
Stoßt an, ihr Freunde! Gute Fahrt!
So wie, mit Blitz und Sturm befrachtet,
Gewölk, das tief die Welt umnachtet,
Auf des Sirocco Ruf sich schaart
Und in Gewitterguß und Flammen
Herniederstürzt auf Land und Meer,
Auf meine Ladung so ringsher
Zog dies Geschwader sich zusammen,
Und an des Bosporus Gestaden
Soll sich sein Kriegsorkan entladen,
Um deine Frevel voll und ganz
Zu strafen, schändliches Byzanz!«

Der Doge schwieg; von Mund zu Munde
Ging lautes Staunen in der Runde;
Mit Händedruck bei Becherschalle
Den hohen Greis lobpriesen Alle;
Rings von den Kriegern, buntgemengt,
Die lauschend sich herangedrängt,
Stieg wolkenan der Schlachtruf wild,
Und dröhnend klirrte Schild an Schild,
Indessen durch den Schaum der Wogen
Ostwärts dahin die Schiffe zogen.


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