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Ringsher aus den Städten der Hellenen,
Von des blauen Mittelmeeres Inseln
Wogt das Volk zum weitberühmten Isthmus,
Wo der Aphrodite heil'ger Tempel
Schimmerndweiß aus Lorbeergrün hervorblickt.
Alle Dämmerpfade durch den Laubhain
Sind erfüllt von frohen Menschenschaaren.
Cymbelschall und weicher Klang der Flöten
Und der Hörner und Tympanen Gellen
Flutet durch die Lüfte; Weihrauch mengt sich
Mit dem Duft von tausend Blumenkelchen,
Und in blühnder Rosenlauben Schatten
Feiern mit Cytherens Priesterinnen
Jünglinge den heitern Dienst der Göttin.
Aber einsam, fern der frohen Menge,
Steht, an einem Säulensturze lehnend,
Lais, die gepries'ne, vielbesungne.
Auf die Meerflut, drauf der Abendsonne
Purpurstrahlen wogen, läßt den Blick sie
Trauernd von des Hügels Hange gleiten.
Nicht für sie des Festes Lust wie ehmals,
Da sie mit den Andern leichten Sinnes
In den Schwarm der Fröhlichen sich mengte!
Früh hinweg von Eltern und Geschwistern,
Von Siciliens mütterlicher Erde
Nach Korinth entführt, im ganzen Hellas
Hat sie des Verlangens Glut entzündet
Und des priesterlichen Amts der Göttin
Allumworben, allgeliebt gewaltet,
Doch ihr Herz blieb leer. Wohl in der Jugend
Erster Blüthe ist vom Freudenrausche
Ihr der Geist, der Sinn umstrickt gewesen;
Aber nach und nach in mancher Stunde
Hat sie schmerzvoll sich gesagt, wie einsam
Ihr das Leben schwinde, wie auf Erden
Keine Seele liebend an ihr hange,
Sie an keiner. Ob auch Freudenklänge
Um sie hallten, ob mit süßem Kosen
Jünglingslippen sich an ihre neigten,
Ihres Herzens laute Stimme konnte
Nichts betäuben; – und dahingeschwunden
Ist nun Jahr auf Jahr, und da des Festes
Jubel ihr zum Ohre schallt und vor ihr
In der untergehnden Sonne Strahlen
Schon die Pinien längre Schatten werfen,
An das nahe Welken ihrer Jugend
Und die öden, vor ihr liegenden Jahre
Denkt sie, wie die weltverlaßne Waise
Kein beglückend Band ans Leben knüpfe.
Sinnend also von des Hügels Rande
Wandelt Lais bis zur kühlen Grotte,
Wo der Quell Pirene seines Wassers
Heil'gen Schwall ins Marmorbecken sprudelt.
Bald gefüllt ist dort ihr Krug; hinab dann
Geht ihr Weg zum nahen Meergestade,
Daß sie drunten in der Felsennische
Vor der Aphrodite Bild die Blumen,
Ihre Lieblinge, tränke. Plätschernd gleiten
An das Ufer halbentschlafne Wellen,
Abendgoldbesäumt, und Nebel klimmen
Von Cypresse zu Cypresse langsam
An den Schluchten aufwärts; der Cikaden
Schmettern in den Wipfeln schweigt. Da, siehe!
Wie die Priesterin entlang dem Strande
Schreitet, vor ihr an des Pfades Biegung
Ruht ein Jüngling auf der Felsenklippe,
Halbentschlummert; seiner Hand entglitten
Ist der Stab; die staub'gen Fußsandalen
Geben Zeugniß, daß er lang gewandert;
In des Spätroths letztem, glühendstem Scheine
Strahlt, von schwarzer Locken Nacht umflutet,
Sein zurückgelehntes Haupt.
Als Lais
Sich der Klippe nähert, hastig plötzlich
Fährt der Fremdling auf, mit starrem Blicke
Ihr entgegenschau'nd: »Bei allen Göttern
Dich beschwör' ich, laß aus deinem Kruge
Einen Trunk mich thun!« Er ruft's, und langen,
Durst'gen Zuges schlürft sein Mund das Labsal,
Das ihm Lais bietet. »Alles Heil dir!« –
Spricht er neugekräftigt dann – »Schon dacht' ich
Zu verschmachten auf der weiten Wandrung,
Da mein Auge keines Quells gewahr ward
Und die Sonne glühnde Pfeile sandte.«
»Und wohin des Wegs, o Jüngling, ziehst du?«
»Nach Larissa am Peneusstrande
Führt mein Pfad; ein Bild der Aphrodite,
Das aus Marmor meine Hand gebildet,
Ward als Weihgeschenk von Argos' Bürgern
Mir voraus dorthin gesendet; selbst nun
Folg' ich nach, es in Thessaliens Hauptstadt
Auf Cytherens Altar aufzustellen
Und der hohen Göttin – also wurde
Mir geboten – im Epheben-Chore
Hymnensingend Huldigung zu bringen.«
»Weit noch ist dein Gang, und dunkelnd breitet
Schon die Nacht den Schleier auf die Erde;
Drum hier nah beim Heiligthum der Cypris
Gönne Rast dir in dem Einkehrhause!«
»Schon zu lange ruht' ich,« sprach der Jüngling
Sich erhebend; »gießt aus ihrem Horne
Doch Selene milden Dämmerglanz mir
Auf den Pfad; und in des Abends Kühle
Viel der Schritte denk' ich noch zu machen.
Komm' ich früher an das Ziel, so eher
Wird die Heimkehr zu den lieben Meinen
Mir beschert. Ach, seit drei langen Tagen
Bin ich ferne schon vom alten Argos,
Fern dem frohen Kreise der Geschwister.
Fast vergehen will mein Herz vor Sehnsucht,
Wenn ich denke, wie sie nun am Herde
Um die Flammen sitzen und Adrastus
In der Schwestern Mitte des Rhapsoden
Lied zur Leier singt, doch oft verstummend
Auf des Bruders leeren Sessel hinblickt,
Und wie Alle dann, zum Hausaltare
Tretend, Zeus, den Rückkehrspender, anflehn,
Daß er bald in ihre Arme wieder
Heim mich führe. Dank dir, schöne Jungfrau,
Milo's Sohn Pausanias sagt dir nochmals
Seinen Dank für die gewährte Labung.«
Und zum Wanderstabe wieder greifend,
Schritt der Jüngling längs des Meers von dannen.
Durch die Abenddämmrung schaute Lais
Lang ihm nach und lauschte seinen Tritten,
Bis sie fern und fernerhin verhallten.
Fort und fort noch tönt ihr seine Stimme
In den Ohren; seiner Worte jedes
Wiederholt ihr Herz; sie meint, der Männer
Keiner sei ihm gleich. Erst als im Westen
Schon der Mond gesunken und am dunklen
Nachtgewölbe die Plejaden steigen,
Kehrt sie wankenden Schritts zu ihrer Wohnung.
Angstvoll mit der Lampe kommt Otrere
Ihr, die alte Schaffnerin, entgegen,
Mit beredten Lippen ihre Sorge
Um die langgesuchte Herrin kündend.
Doch, zu schweigen, sie allein zu lassen,
Winkt die Priesterin ihr zu. – Verklungen
Ist der Festlärm; armen Müttern selber,
Die bis spät noch bei der Arbeit saßen,
Um für ihre Kleinen Brod zu schaffen,
Hat das müde Auge sich geschlossen;
Aber wach liegt Lais auf dem Lager,
Vor den Blicken schwebt ihr, vor der Seele
Stets des Jünglings Bild: in banger Sorge
Schlägt das Herz ihr, da sie denkt, wie einsam
Er des Wegs in finstrer Nacht dahinzieht
Und gefahrumdroht. Wird in der Bergschlucht
Ihn der Räuber fliegender Dolch nicht treffen?
Nicht im Wald ein Unthier ihn zerreißen?
Und erschrocken sich empor vom Lager
Raffend, tritt sie an die Fensternische,
In der Nachtluft für die glühnde Stirne
Kühlung suchend. An den Sternen droben
Hängt ihr Blick: »Ihr ewig kreisenden Lichter,
Die durch öde Meerflut ihr den Schiffer
In den Hafen leitet, du Bootes,
Erdumwandler Perseus du, o schützt mir,
Führt ans Ziel mir diesen lieben Wandrer,
Daß er fröhlich heim zum theuren Argos,
Heim zum Kreise der Geschwister kehre!«
Dann am Meerstrand seine niedre Hütte
Malt sie sich, die Werkstatt, wo sein Meißel
Götterbilder aus dem Stein hervorlockt,
Und den trauten Herd, an dem er Abends
Nach des Tages wohlverbrachter Arbeit
Heiter scherzend ruht; o, dort an seiner
Seite liebend und geliebt zu walten,
Was ist aller Ruhm, den sie genossen,
Aller Glanz und alle Lust der Erde
Gegen solches Glück?
Schon vom Portal her
Tönt der Schwalbe morgendliches Zwitschern;
Röthlich schimmert der Cypressen Wipfel,
Und noch hat auf Lais' Augenlider
Sich kein Schlaf gesenkt. Besorgt zur Herrin
Tritt Otrere, und die glühnden Wangen,
Ihres Augs bethränte Wimpern schauend,
Hebt sie also an: »Warum auf einmal,
Die als Kind du schon an meinem Busen
Deinen Schmerz ausweintest, sag, warum nun
Mir verhehlst du deine Kümmernisse?
Wenn, der wahren Mutter früh beraubt schon,
Du die Pflegrin mit dem süßen Namen
Immerdar genannt hast, o so birg ihr,
Was im Herzen dich betrübt, nicht länger!«
Unter Schluchzen an die Brust der Alten
Wirft sich Lais, sie versucht zu reden,
Aber stammelt nur verwirrte Worte,
Und sich aus Otrere's Armen windend:
»Laß mich, Gute!« spricht sie dann, »hinunter
An das Ufer in der Morgenkühle
Laß mich wandern! Von dem wilden Festlärm
Und des Herbstes ungewohnter Schwüle
Ward zu Fieber mir das Blut entzündet;
Doch getrost! der frische Meerhauch wird mir
Und die Einsamkeit Genesung bringen.«
Ans Gestade, wo dem Jüngling gestern
Sie begegnet, richtet sie die Schritte,
Spähend, ob im Sand sie seines Fußes
Spuren noch gewahre. Auf den Felsen,
Drauf er ruhte, brünstig ihre Lippen
Drückt sie; kein Altar der Göttin däucht ihr
Heilig so wie er; und wie sie knieend
Auf den kalten Stein das glühnde Antlitz
Preßt, hört ihr entzücktes Herz von Neuem
Des Geliebten Stimme. Dann erschrocken
Wieder fährt sie auf und blickt nach Norden,
Wo er flüchtig ihrem Blick entschwunden,
Starrt und starrt, bis sich der Seele Traumbild
Sichtbar vor den Augen ihr gestaltet
Und Pausanias' Antlitz mit den milden
Frommen Zügen ihr entgegenlächelt.
Sengend fallen schon der Mittagssonne
Pfeile auf die kahlen Uferklippen,
Als Otrere, nach der Herrin suchend,
Sie am Felsen hingesunken findet
Und mit Schmeicheln halb und halb gewaltsam
In ihr rebumflochtnes Häuschen heimführt.
Auf die Lagerstatt die Tieferschöpfte
Sorglich bettend, ihr zur Seite sitzend,
Bald gewahrt sie, daß sich ihre Augen
Mählig schließen. Lang liegt Lais reglos,
Wie in tiefem Schlummer. Dann, als purpurn
Durch das Rebengitter sich des Abends
Letzte Glut ergießt, emporgerichtet
Zu der Alten spricht sie; »Geh nun, Liebe!
Neugestärkt schon bin ich, und genesen
Wird der nächt'ge Schlaf mich völlig lassen.«
Und allein im dunkelnden Gemache
Sich erhebt sie: »Ja, es muß geschehen;
Rast nicht find' ich hier – nur Ein Gedanke,
Ein Verlangen lebt in meiner Seele,
Wieder ihn zu sehn, den holden Liebling
Meines Herzens! Auf dem Weg ihm folg' ich,
Den er zog ins ferne Land Thessalien;
Ja! und wär' er bis zum Saum der Erde
In der Skythenwüste nie betretne
Einsamkeit entflohn, ihm nachzueilen
Säumt' ich nicht. Du, hehre Aphrodite,
Deren Strahl, wie lang ich dir gedient auch,
Heut zum ersten Mal mit reiner Flamme,
Gleich dem Blitz, die Schlacken all verzehrend,
Mich durchzuckt, sei, hocherhabne Göttin,
Du mir Führerin auf diesem Pfade!«
Leise, daß Otrere nichts vernehme,
Rüstet sich die Priestrin für den Aufbruch,
Ihrer Locken wirre Fülle ordnend.
Und als jeder Laut umher verhallt ist,
Uebers Haupt den weißen Schleier werfend,
Leise durch die Thür den Gang hin schleicht sie,
Bis wo frei die nächt'ge Luft sie anhaucht
Und der Wogen Brandung aus der Tiefe
Ihr zum Ohre schallt. Hinabgesunken
Ist des Adlers Sternbild schon; im Aufgang
Hebt Orion strahlend durch den Nebel
Seine Keule. Von der Felsenhöhe,
Draus der Göttin heitrer Tempel aufragt,
Schreitet Lais auf den Marmorstufen
Ans Gestad hinab und zieht gefaßten
Muthes längs des hochaufrauschenden Meeres
Gegen Norden. Dämmernd aus den Wellen
Steigt die Frühe, an der Berge Gipfeln
Ros'gen Schein entzündend; und in frischer
Morgenkühle wie in Glut des Mittags
Fort und fort dem Leitstern ihrer Sehnsucht
Folgt die Priestrin, selten Rast sich gönnend,
Wo im Schatten säuselnder Platanen
Eine Steinbank sie zum Ausruhn ladet
Und Cikaden, sich der Sonne freuend,
Auf den Wipfeln schwirren. Nahrung bieten
Ihr die Sykomore, der Granatbaum,
Die, belastet mit des Herbstes Früchten,
Längs des Wegs die schweren Zweige senken;
Doch vergebens laden sie die Winzer
In die traubenreichen Rebengärten,
Wo bei Cymbelschall das Fest des Weingotts
Sie versammelt; ruhelos von dannen
Wird sie von des Herzens Drang getrieben.
Wenn ihr Auge spähend nur von ferne
Eines Wandrers auf dem Pfad gewahr wird,
Süß erschrickt sie: ist es nicht Pausanias,
Auf dem Heimkehrwege schon begriffen?
Nein, o nein! wie anders ganz die Züge!
Gleicht, so viel der Männer sind auf Erden,
Ihm doch keiner! –
Tage so nach Tagen
Schwinden auf der Wandrung ihr; schon leuchtend
Ueber glühnde Au'n, die des Peneus
Silberstrom durchschlängelt, glänzt das Schneehaupt
Des Olymp weißschimmernd ihr entgegen,
Und wie wird ihr, als vor ihr die Thürme
Von Larissa hoch und immer höher
Aus dem wogenden Laubgrün sich erheben!
O, nur jetzt, ihr müden Glieder, thut noch
Ihr den Dienst, daß sie die Stadt erreiche,
Drin er weilen muß, der Langgesuchte!
Durch das Thor, die lärmerfüllten Gassen
Eilt die Priesterin mit schwanken Schritten
Bis zur heil'gen Höhe, wo Cytherens
Tempel mit dem Marmorgiebel leuchtet.
Dort ihn im Epheben-Chor zu finden
Denkt sie, steigt in Hast die Tempelstufen
Aufwärts, tritt ins Heiligthum, doch findet
Rings die Halle leer; der Aphrodite
Bildniß nur, von seiner Hand gemeißelt,
Blickt auf sie hernieder vom Altare.
Wieder durch das Säulenthor des Tempels
Schreitet Lais; ems'gen Auges forschend,
Auf der Agora, entlang den Hallen
Der Verkäufer und der Käufer späht sie,
Ob sie ihn entdecke; doch vergebens.
Oft will der Vorüberwandelnden Einem
Ihre Lippe seinen Namen nennen,
Aber ungesprochen auf der Zunge
Stirbt, von Bangigkeit erstickt, die Frage.
Endlich, als die hohen Häuserzinnen
Röthlich schon im Abendlichte schimmern,
Schnellgefaßten Muts zu einem Greise
Tritt sie hin: »Sprich, würd'ger Alter, kannst du
Von Pausanias, Milo's Sohn aus Argos,
Mir berichten, wo der Jüngling weile?«
Ihr erwidert Jener: »Wer vermöcht' es,
Wenn nicht ich? Lysander, mein Gebieter,
Hat als Gastfreund ihn in seinem Hause
Aufgenommen; seine Tochter Zoe,
Der seit lang die Eltern ihn verlobten,
Wird der Jüngling in der nächsten Frühe
Heim nach Argos führen; heute Nacht noch
Soll die Hochzeitfeier sein; nach Hause
Eil' ich drum; gehab dich wohl, o Jungfrau!
Schon, im Tempel das gewohnte Opfer
Darzubringen, naht sich dort das Brautpaar.«
Horch! – und Flötenton und Harfenklänge!
Weit erschließen sich des nahen Hauses
Thore, und aus kranzumwundnem Vorhof
Tritt ein Zug von Knaben und von Mädchen,
Die in Händen grüne Zweige tragen.
Starr, als ob ein Blitzstrahl, von des Donnrers
Hand geschleudert, vor ihr niederfahre,
Halbentseelt steht Lais; wie durch trübe
Schleier nur die Flötenspielerinnen
Sieht sie, die bekränzten Opferknaben
Ihr vorüberschreiten und – ihr Götter!
Kann es sein? – Pausanias selbst im Festschmuck,
Rosen durch das Lockenhaar geflochten!
Auf die schlanke, tiefverschleierte Jungfrau
Neben ihm, die bald durch Hymens Bande
Ihm Vereinte, fest das Auge heftend,
Keinen Blick dem bleichen Weibe gönnt er,
Das mit brechendem Herzen nach ihm hinstarrt.
Und empor zu Aphroditens Tempel
Geht der Zug; mit wankenden Schritten folgt ihm
Lais, bis er durch das Thor verschwunden
Und der Ton der Flöten fern und ferner
Widerhallt; da mit erloschnen Sinnen
An den Marmorstufen sinkt sie nieder,
Und die Nacht, allmählig niederwallend,
Breitet über sie den dunkeln Schleier.
Früh am andern Tage, als des Morgens
Erstes Grauen dämmernd in die Gassen
Von Larissa fällt, die Augen wieder
Schlägt sie auf, und wie sich aus der Ohnmacht
Nach und nach ihr Geist aufs Neue losringt,
Wen an ihrer Seite sieht sie stehen?
Träumt sie nicht? Das sind Otrerens Züge!
Ja, sie ist's; die hingesunkne Herrin
Richtet sie vom Boden auf und sucht sie
Mit sich fortzuziehn: »Gebietrin, theure!
Flüchte dich! Den Göttern allen dank' ich's,
Daß ich noch bei Zeiten, dich zu warnen,
Hergelangt. Die Priesterinnen sandten
Häscher aus Korinth, um dich zu fangen,
Denn als flücht'ge Dienerin der Göttin
Hast nach alter Satzung Leib und Leben
Du verwirkt. Doch schon vorauf den Häschern
Ging die Kunde deiner Flucht durch Hellas,
Und geführt von eifersücht'gen Weibern,
Die dir deiner Schönheit Weltruhm neiden,
Stürmen wilde Rotten durch die Stadt hin,
Dich zu suchen. Schnell, geliebte Herrin!
Steinigung von ihren Händen droht dir,
Finden sie dich hier; nur in des Tempels
Heiligthum bist du der Zuflucht sicher.«
Aufwärts zu der Halle zieht Otrere
Die noch halb bewußtlos schwankende Lais.
»Nun hier drinnen weile du! Sie wagen
Nicht, der Göttin Schutzrecht anzutasten;
Mich indeß laß gehen und die Stunde,
Die durch Flucht dich retten kann, erspähen!
Insgeheim zur Nachtzeit kehr' ich wieder.«
Und allein im weiten Tempelraume,
Wo des Frühlichts erste Strahlen mühsam
Mit dem Dunkel kämpften, fand sich Lais.
Mählig in der tiefumnachteten Seele
Wieder dessen, was geschehen, wird sie
Sich bewußt, und vom Erinnrungsschmerze
Fast bewältigt, sinkt an einer Säule
Fuß aufs Neue die Erschöpfte nieder.
Horch! von außen Lärmen der Verfolger,
Die in Haufen vor dem Thore wogen,
Und Geschrei und Toben: »Nicht entgehen
Soll uns die Verächterin der Götter!
Laßt den Tempeleingang uns vermauern!«
Lais hört's mit Grausen, und verzagend
Liegt sie lang; des nahen Todes Schauer
Schon durch ihre Glieder fühlt sie rinnen.
Plötzlich auf der Aphrodite Büste,
Die, gemeißelt von Pausanias' Händen,
Auf dem Altar dasteht, fällt ihr Auge.
Sieh! von goldnem Sonnenglanz umleuchtet,
Schaut die Hehre lächelnd auf sie nieder;
Und ihr Haupt erhebt vom Boden Lais,
Und zur Milde löst in ihren Zügen
Sich der starre Schmerz. Mit stummer Andacht
Lange blickt sie aufwärts, und der Göttin
Hoch olympisch Antlitz strahlt ihr sanften
Frieden in das Herz. Emporgerichtet,
Zum Altare wankt sie hin und wirft sich
Vor dem Bild Cytherens auf die Kniee,
Ein Gebet mit stammelnder Zunge lallend:
»Laß, o Göttliche, erhabne Mutter
Alles Seins und Lebens, auf Pausanias
Und auf seiner Gattin laß die Fülle
Deines Segens ruhn, daß er sie glücklich
An den Herd im alten Argos führe!
Und in meinem Auge sieh des Dankes
Thräne zittern, daß du mich, die niedre
Sterbliche, der Seligkeit gewürdigt,
Ob auch kurz nur, deines Geistes reinen
Welterlösenden Odem zu empfinden! –
Ja, ich fühl's in diesem brechenden Herzen,
Fühl's, wie du beglücken kannst, o Liebe,
Wie aus Endlichkeit und Staubesnacht du
Und aus Sterbensqual die Seele rettest.
Dank und nochmals Dank dir, du der Genien
Mächtigste, die aus der Nacht des Chaos
Du zuerst die Elemente schiedest,
Daß nach deinem Willen sie in schöner
Harmonie sich suchten oder flohen!
Nimm, Befreierin von Tod und Sünde,
Nimm zu dir hinauf mein fliehend Leben!«
Her vom Thore hallen Hammerschläge
Unterdeß. Begonnen hat die Rotte
Schon, den Tempeleingang zu vermauern.
Doch um Mitternacht, als die Verfolger
Von dem Werke ruhen, schleicht Otrere,
Nach der Herrin suchend, in den Tempel.
Bei des Mondes Lichte, der von Säule
Hin zu Säule gleitet, was gewahrt sie?
Vor dem Altar liegt, zurückgesunken,
Lais leblos und gebrochnen Blickes,
Noch empor zum Bild der Aphrodite
Mit dem todesbleichen Antlitz schauend.