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VII. Stefano

In aller Blüthenpracht des Lenz,
Die mich umfängt am Strand Sorrents,
Mit Heimweh fast gedenk' ich dein,
O Capri, schönster Edelstein
Im Inselschmuck des Oceans!
Und oft, ans Gitter des Altans
Gelehnt, mit sehnsuchtsvollem Sinn
Nach deiner Küste blick' ich hin,
Die, fernher winkend, duftumhaucht
Dem weißen Wellenschaum enttaucht.
Auf deinen hohen, felsumstarrten
Steilhalden, deinen Klippenwarten
Wann wieder werd' ich rasten dürfen,
Des Meeres freien Hauch zu schlürfen?
Noch gönnt der Wogen wilde Brandung
An deinen Ufern nicht die Landung,
Wo jedes Riff Gefahren droht;
Allein dem hurt'gen Segelboot,
Auf dem mich durch der Flut Geroll
Der Marinaro steuern soll,
Voran schon flattert mir der Geist
Und schwebt, der Menschenwelt entflohen,
Empor zu deinen wolkenhohen
Felsspitzen, die der Aar umkreist,
Und späht hinab zur Uferbucht,
Wo der Granate Purpurfrucht
An sonnverbrannter Bergwand hangt.
Von Neuem klimm' ich durch die Schlucht,
Die reich mit Goldorangen prangt,
Empor den vielverschlungnen Pfad
Zu Anacapri's Felsengrat,
Und meinem Führer Stefano
Beflügelt sich der Schritt, denn froh
Gewahrt er schon, wie laubumkränzt
Sein Häuschen uns entgegenglänzt.
Ins Gärtchen, aloëumzäunt,
Eintreten wir, und sonngebräunt
Stürzt Nicolo, der wilde Junge,
Entgegen uns in hurt'gem Sprunge;
Andrea pflückt mir von den Zweigen
Der Sykomore saft'ge Feigen
Und ruft die Mutter her vom Herd;
Holdlächelnd durch der Hütte Thor
Tritt mit dem Kindchen, das sie nährt,
Die schöne junge Frau hervor
Und heißt willkommen ihren Gast.
Auf eine Bank zur Abendrast
Mich setz' ich mit dem frohen Paar;
Der würd'ge Anwalt auch, der Greis,
Gesellt sich treulich unserm Kreis,
Und bald von Sturm und Seegefahr,
Von Thunfischfang auf hohem Meer,
Geht das Gespräch, von Räubern bald,
Wie drüben im Abruzzenwald
Sie kämpfen mit des Königs Heer.
Allmählig bleicht die Tageshelle;
Nur oben noch im Spätlicht blitzen
Auf ihren luft'gen Felsenspitzen
Die halbzerfallenen Kastelle,
Und, spät bis in die Nacht noch wach,
Vertraulich auf des Hauses Dach
Beim Mahle sitzen wir beisammen,
Indeß vom Aschenberg die Flammen
Herüber durch das Dunkel glühn.

Wie fröhlich meine Streiferein
Mit Stefano! Gleich ihm so kühn
Soll Keiner auf der Insel sein;
Den Ruderer und Bergerklimmer
Von Falkenblick und Eisenarm
Nur nennt man ihn. Beim Morgenschimmer,
Eh noch der Sonne Strahl zu warm
Am Hange des Solaro brannte,
Ruderte mich der Vielgewandte
In alle Höhlungen und Grotten
Und wußte jedes Riffs zu spotten.
Dann wieder landend, am Gestade
Hinschritten wir die Schwindelpfade,
Wo unten mit dem weißen Gischt
Der Meerschwall um die Klippen zischt.
Wir ruhten in der Pinien Schatten
Hoch oben auf den Felsenplatten
Und lauschten auf das Gehn und Kommen
Der Wogen am gezackten Strand;
Kein Berghaupt, das wir nicht erklommen;
War noch so hoch ein Klippenstrand,
Ungangbar selbst den wilden Ziegen,
Doch hatt' ihn Stefano erstiegen
Und zeigte mir empor den Weg.

Des ganzen Inselvölkchens Kunde
Entlockt' ich ihm im Zwiegespräch;
Ihm flossen vom beredten Munde
Der Märchen mancherlei von schlauen
Sirenen, Nixen, Meeresfrauen
Und von des heil'gen Elmo Feuer;
Nur seiner eignen Abenteuer,
Davon durch Andre mir die Sage
Erschollen war, gedacht' er nie.
So oft ich bat: »Erzähle sie!«
Auf Bitte blieb er stumm und Frage.
Da einst – ihm war der Gast vom Norden
Zum Freund, zum Bruder fast geworden –
Erschien die Stunde des Vertrauens.
Es war beim Schlosse des Tiber,
Wo abgrundtief hinab zum Meer
Der Felsen stürzt; geheimen Grauens
Weichst du zurück, denn Schwindel reißt
Jedweden abwärts, der zu dreist
Dem Rande naht; dort zwischen Blöcken
Von Marmor, die den Boden decken,
Ausruhten wir bei den Ruinen.
Lau blies der Wind, Gesumm von Bienen
Erscholl, wo einst von Mädchenschaaren
Bei Cymbelklang und Fackelglanz
Zur Lust des alternden Cäsaren
Geschlungen sich der üpp'ge Tanz.
Da nahm mein Führer so das Wort:

»Ihr fragtet oft; dies ist der Ort,
Wo ich's erlebt. Noch jung von Jahren
War ich, doch mit des Meers Gefahren,
Mit Jagd auf unsern Inselklippen
Vertraut seit früher Kindheit schon.
Ich hatte Eltern nicht, noch Sippen,
Und nur durch schwerer Arbeit Lohn
Stillt' ich jedweden Tags Bedarf.
So war mein junges Leben trübe
Und mühsalvoll, nur daß die Liebe
Ihr Licht in dieses Dunkel warf.
Ein Mädchen, fünfzehnjährig kaum,
Erfüllte Sinne mir und Seele
Mit süßem Rausch; wenn Rafaële
Vorüberschritt, war mir's wie Traum;
Zum Himmel glaubt' ich mich entrückt
Und schaut' ihr lange nach entzückt. –
Auch sie, wie ich, war ohne Eltern;
Als Kind schon hatt' ich sie gekannt
Und oft im Scherz sie Braut genannt.
Noch denk ich, wie im Herbst beim Keltern
Sie mir zu Seite stand im Faß
Und lachend mit dem Fuß das Naß,
Das süße, aus den Trauben stampfte;
Wie wir noch nach dem Abendroth
Uns lustig schaukelten im Boot,
Bis vom Vesuv, der drüben dampfte,
Durchs Dunkel feur'ge Streifen glommen
Und wir ins Dorf bei ihrem Strahl
Heimwanderten. Stets dazumal
Rief sie mir freundlich ihr Willkommen,
Wenn sie mich sah; der Stunden viel
Verschwanden uns in munterm Spiel,
Und wenn ich ihr zur Seite ging,
Wohl steckt' ich scherzend einen Ring,
Aus Binsen in der Hast geflochten,
Ihr an den Finger.

»Drauf getrennt
Ward ich von ihr, denn nach Sorrent
Rief mich ein Dienst. Fünf Jahre mochten
Verschwunden sein, da ließ mein Herz
Mir nicht mehr Rast, und heimathwärts
Trug zu dem Mädchen mich der Nachen.
Ich dachte, froh entgegen lachen
Mir werde sie beim Wiedersehn,
Die nun zur Jungfrau aufgeblüht;
Doch ganz, bald mußt' ich mir's gestehn,
Verwandelt schien sie im Gemüth:
Selbst nicht mit einem Blick belohnte
Sie meinen Gruß. Oft Stundenlang
Harrt' ich am Hause, wo sie wohnte,
Indeß ich bei Guitarren-Klang
Ti voglio bene assaje sang;
Allein vergebens, nie ein Zeichen
Von ihrer Huld konnt' ich erreichen.
Wenn plaudernd sie zur Abendstunde
Mit andern Mädchen in der Runde
Am Brunnen stand, mich ihr zu nahn
Vergebens macht' ich den Versuch;
Sobald mich ihre Augen sahn,
Von dannen sprang sie mit dem Krug.
Mit Freundinnen auch manches Mal
Wohl traf ich drunten sie im Thal,
Wie sie beim Schall der Tamburine
Sich hin und her im Kreise schwang;
Ich grüßte schüchtern sie und bang,
Allein so finster war die Miene,
Mit der sie plötzlich nach mir schaute,
Daß ich mich keines Worts getraute.
Zu Ende war's mit Tanz und Lust,
Und traurig ward ich mir bewußt:
Sie wollte nichts von Liebe wissen,
Und minder noch von Stefano's.

»Von meiner Seele Kümmernissen
Schweig' ich – sie sind der Liebe Loos;
Und glaubt, wer je solch Weh empfunden,
Er denkt der heißen Herzenswunden
Wie eines Glücks, das hingeschwunden.
Wohl lange mich in bitterm Gram
Verzehrt' ich, aber niemals kam
Mir der Gedanke, zu entsagen;
Ich fühlte, Alles müßt' ich wagen,
Um dieses Mädchen zu erringen.
Wer vor Gefahr nicht bebt und Sterben –
So sagt' ich mir – den Sieg erzwingen
Muß er am Ende durch sein Werben.

»Arm, bettelarm, zu meinem Leide
Nicht Perlen konnt' ich oder Gold
Ihr bieten, wie ich gern gewollt;
Allein von Muscheln ein Geschmeide
Für sie zu sammeln, Tag für Tag
Emsig am Strand war ich beflissen;
Wenn, von den Klippen losgerissen,
Ans Ufer hin der Wogenschlag
Des Meeres bunte Kinder trug,
Die schönsten wählt' ich für sie aus.
Auch Blüthen wand ich ihr zum Strauß,
Doch keine war mir schön genug,
Die unten wuchs; um sie zu pflücken,
Klomm ich zum steilsten Felsenrücken,
Wo herrlicher mit Farb' und Duft,
Als in der Thäler dumpfer Luft,
Der Himmel ihre Kelche füllt.

»Einst so auf meiner Streiferei
Kam Abends ich zur Uferbai.
Halb war in Dämmrung schon gehüllt
Das Meer, und mit den letzten Blitzen
Schoß drüber hin die Abendglut;
Auf einer Klippe nah der Flut
Da sah ich Rafaële sitzen –
Ich fühlte, wie ein süßer Schreck
Durch alle meine Glieder glitt,
Und wagte weiter keinen Schritt;
Nur hinter einem Felsversteck
Nach ihr hinspäht' ich, athmend kaum.
Die Füßchen von dem Kräuselschaum
Plätschernder Wellen leicht bespritzt
Und auf die Hand das Haupt gestützt,
Saß sie, wie mit den Wellen sprechend,
Die, sich am Klippenufer brechend,
Vor ihr bald kamen und bald gingen.
Dann wie im Traume leise, leise
Ein Liedchen hub sie an zu singen;
Fremd war, geheimnißvoll die Weise,
Beinah mir eine Zauberin
Schien sie, die durch Magie den Sinn
Mir festgebannt in ihre Kreise.
Zuletzt, Mut fassend, trat ich vor
Und bot mit Worten, bang gestammelt,
Den Schatz ihr dar, den ich gesammelt;
Doch mir verschlossen blieb ihr Ohr;
Aufspringend rief sie: ›Was, du Thor,
Verfolgst du mich? Laß ab, laß ab!
Ich weiß, welch treulos falsch Geschlecht
Die Männer sind, drum wär's mir recht,
Verschlänge alle sie das Grab!
Mein Leben lang, ich will's beschwören,
Werd' ihrer keinen ich erhören.‹
Sie sprach's, und eh ich mich besann,
Dem Dorfe zu, den Fels hinan
War sie geflohn. Wie blitzgetroffen
Blieb ich zurück, mein ganzes Hoffen
Vernichtet mit dem Einen Schlag.

»Hernieder sank, mit Stürmen schwer
Beladen, über Land und Meer
Die Herbstnacht; doch, noch als der Tag
Hellleuchtend durch die Wolken brach,
Mich fand er, wie ich hingestreckt
Verzweifelnd an der Klippe lag.
Aus meinem Brüten dann erschreckt
Fuhr ich empor, mich faßte Grauen
Vor Tageslärm und Tageslicht,
Und um der Menschen Angesicht
Und ekles Treiben nicht zu schauen,
Floh ich und barg in finstrer Höhle
Den tiefen Jammer meiner Seele.
Dort, wenn um mich von den bemoosten
Felshängen Wetterbäche tosten,
Wenn durchs Geäst der sturmbewegten
Stecheichen das Gewitter zog,
Gleich altvertrauten Stimmen sog
Den Klang ich ein, und Stürme regten
Antwortend sich in meiner Brust.

»Fern hinter mir die Welt versunken,
Das Herz von Gram und Thränen trunken,
So lebt' ich einsam – kaum bewußt
Ist mir, ob Wochen, Monde lang.
Nicht andre Kost, um mich zu nähren,
War mein, als an der Klippen Hang
Die schimmernden Arbutusbeeren.
Aus meinem dumpfen Starren dann
Rafft' ich mich mählig auf und sann
Und sann, wie ich das Weib erränge,
An dem mein Sinn und Leben hing.
Durch meine Seele düster ging
Der Argwohn hin, ein Andrer dränge
Sich zwischen mich und sie; in Wuth
Schoß jäh zum Herzen mir das Blut,
Und nach dem Dolch im Gurte faßte
Zuckend die Hand, daß der Verhaßte
Hinsänke von dem spitzen Stahl –
Doch nein, erlöst von dem Verdachte
Ward ich, indem ich rückwärts dachte;
Im Dorf wie durch Gebirg und Thal
War Rafaëlen wie ihr Schatte
Ich nachgeschlichen, aber hatte
Niemals gewahrt, wie auch nur Einen,
So Vielen sie den Sinn berückt,
Der kleinste Gruß von ihr beglückt.
Drauf, weiter sinnend: ›Kannst du meinen‹ –
Sagt' ich zu mir – ›so ohne Habe,
Ein armer, elternloser Knabe,
Vermöchtest du sie zu erringen?
Auf deinem Haupt die rothe Mütze,
Was hast du Andres im Besitze,
Es ihr als Hochzeitsgut zu bringen?
Doch, wenn erst Schätze du gewannst,
Wenn du mit reicher Morgengabe
Um ihre Liebe werben kannst,
Dann zage nicht, vor sie zu treten!
Erhören wird sie den Verschmähten.‹

»Licht wiederum, als hätt' ein Strahl
Von oben meine Nacht erhellt,
Ward es in mir mit einem Mal
Bei dem Gedanken, und die Welt
Lag neu vor mir im Sonnenglanz;
Die Wildniß, wo ich lang gehaust,
Verließ ich, umgewandelt ganz,
Und ruderte mit kräft'ger Faust
Durch Sturm wie Stille hin mein Boot.
Eifrig, wie ich noch nie gewesen,
Wenn irgend mir Gewinn sich bot,
Fuhr ich die Deutschen, die Inglesen
Hinüber nach Sorrent, ja fern
Bis nach Amalfi und Salern;
Dann bei der Rückkehr von der Fahrt
Sorgsam ward jedes Tages Sold
Von mir im Kästchen aufbewahrt,
Und o! wenn ich in blitzend Gold
Der Woche Lohn verwandeln konnte,
Wie froh ich in dem Glanz mich sonnte!
Bald, dacht' ich, ist die Stunde nah
Für meine Werbung; noch ein Mond,
Und für mein Mühen all belohnt
Mich des geliebten Mädchens Ja.

»So mit dem Wachsen meiner Schätze
Wuchs mir der Eifer; Tag für Tag,
Zufrieden nicht mit dem Ertrag
Des Boots, spannt' ich für Wachteln Netze
Und machte auf Delphine, Thune,
Schwertfische Jagd mit der Harpune;
Und Holz der Bergesfichten auch
Und Früchte vom Arbutusstrauch
Zu sammeln, die mir Lohn verhießen,
Kein Klimmen ließ ich mich verdrießen.

»Einst im Verfolgen eines Aars
Empor zu des Tiberius Schloß
War ich gelangt. Anlegt' ich, schoß
Und, sieh! – an dieser Stelle war's,
Wo jetzt wir stehn – mir überm Haupt
Sah ich den Aar im Fluge wanken:
Er war getroffen; kraftberaubt
Zu fliegen sucht' er noch, dann sanken
Die Flügel ihm; matt, immer matter
Zum Meer hinab ihn sah ich fallen;
Hier an der Bergwand mit Geflatter
Sucht' er im Sturz sich festzukrallen,
Doch sank und sank; mit letztem Schwung
Der Flügel einen Felsvorsprung
Erreicht' er dann, der Halt ihm bot,
Und klammerte, schon nah dem Tod,
An ihm sich fest. Verloren fast
Schien mir an diesem Platz die Beute;
Doch, wenn ich nicht ein Wagniß scheute,
Mein werden konnte sie; in Hast
Schlang ich um eines Baumes Ast,
Dann um den Leib mir einen Strick,
Hängt' um die Schulter das Gewehr
Und ließ – ein tolles Wagestück –
Mich in den Abgrund an dem Seil
Jählings hinunter. Tretet her
Und schaut, wie sich die Felswand steil,
Senkrecht hinunterstürzt ins Meer!
Nicht dringt empor der Möven Schrei,
Die unten kreisen, und der Weih,
Der in der halben Tiefe schwebt,
Erscheint klein wie ein Schmetterling.
Wo jetzt ein Nest von Schwalben klebt,
Am zack'gen Felsvorsprunge hing
Der Adler sterbend; ich verschloß,
Damit mich nicht der Schwindel packe,
Die Augen, während zu der Zacke
Ich an dem Seil hinunterschoß.
Dort faßt' ich Fuß; doch wüthend schlug
Der Riesenvogel mit den Schwingen,
Als ich ihm nahte; Kraft genug
Nicht blieb ihm mehr zum weitern Flug;
Und doch, den Gegner zu bezwingen,
Auf Tod und Leben einen Kampf
Noch wagt' er in des Sterbens Krampf.
Umstäubt von seiner Federn Flaum,
Der Flinte Kolben hoch geschwungen,
Schon hatt' ich lang mit ihm gerungen;
Doch Siegeshoffnung blieb mir kaum,
Das Sinken fühlt' ich meiner Kraft
Und Dunkel meinen Blick umfloren –
Zuletzt, das Unthier zu durchbohren,
Riß ich, noch einmal aufgerafft,
Aus meinem Gurt den Dolch und stieß ihn
Dem Adler in die Brust; ein breiter
Blutstrom quoll vor, die Kraft verließ ihn,
Und wieder an der luft'gen Leiter
Mit meiner Beute mich empor
Zu schwingen dacht' ich – wie erstarrt
Auf einmal blieb ich, denn ich ward
Gewahr: der Strick, den ich zuvor
Um meinen Leib geschlungen, hatte
Sich losgelöst, und wie ich stier
Aufblickte, sah ich über mir
Ihn hoch, hoch ob der schmalen Platte,
Auf der ich stand, in Lüften hangen;
Selbst eines Riesen Arme hätten
Umsonst, zu ihm hinaufzulangen,
Sich angestrengt. Wie nun mich retten?
Nichts schien zu bleiben, als mein Heil
Durch einen Sprung nach jenem Seil
Zu suchen – doch bei dem Gedanken
Fühlt' ich vom Haupt zum Fuß ein Schwanken;
Denn furchtbar mir zu Füßen lag
Der Abgrund, kaum vernehmbar scholl
Empor des Meeres Wogenschlag,
Das unten um die Klippen schwoll;
Und wenn ich nicht den Strick erfaßte,
Hinab dort stürzt' ich.

»Nirgend fand
An einem Strauche, einem Aste
Ich Halt; drum an die Bergeswand
Mich drückt' ich, daß mich nicht vom Rand
Häuptlings der Schwindel niederrisse;
Allein der Tod, der allgewisse,
Harrt' er nicht mein hier oben auch,
Und statt daß mir der Lebenshauch
Langsam versiegt' auf ödem Riff,
War besser nicht der jähe Sturz,
Bei dem die Qual des Sterbens kurz?
Wohl dacht' ich es, und doch ergriff
Ich in des Lebens blindem Trieb
Den Strohhalm Hoffnung, der mir blieb.
Ich wähnte, an den Felsenwänden
Die Stimme könnt' ich aufwärts senden,
Daß sie zu Menschenohren dränge.
Thor, der ich unten klaftertief
Am Abgrund hing! Ich rief und rief
Und lauscht' hinauf, ob irgend Klänge
Mir Antwort gäben. Nein; kein Ton
Gab kund, daß Leben irgendwo
Auf Erden sei. Verschwunden so
Schien mir die letzte Hoffnung schon;
Allein ein neuer Schimmer ging
Mir auf: ich dacht' ans Jagdgewehr,
Das noch an meiner Schulter hing,
Nahm es und schoß; weit, allumher
Antworteten im Wiederhall
Die Uferklippen auf den Schall;
Aus Riß und Spalt der Felsenkegel
Aufflatterten die Meeresvögel,
Daß tausendfach ihr Flügelschlag
Mein Haupt umkreiste – nach und nach
Der Fitt'ge Klang hört' ich verrauschen;
Erst noch von ferne das Geschrille
Der Möven, dann rings Todtenstille,
Und neu nach oben konnt' ich lauschen.

»Weithin aufs Meer gebreitet hatten
Die Felsen schon den nächt'gen Schatten,
Und bange durch das große Schweigen
Sah ich das Dunkel höher steigen.
Rings lagerte sich Finsterniß
Auf Land und Flut, kaum noch der Riß
Der Felsen tauchte durch die Nacht
Matt dämmernd auf. Plötzlich mit Macht,
Gleich wie nach einem Schlummertrank,
Dahin durch alle meine Glieder
Schlich ohnmachtgleicher Schlaf; ich sank
Hingleitend an der Felswand nieder
Und lag, geschwunden alle Sinne,
Auf dem Gestein. Dann wieder jäh
Fuhr ich empor; ein zuckend Weh
Schoß mir durchs Haupt, denn ich ward inne,
Dem finstern Schlund, den ich nicht sah,
Doch schaudernd ahnte, war ich nah;
Geklammert an die Felsenmauer,
Mich mahnt' ich, während Todesschauer
Durch meine Glieder eisig rannen,
Der Sehnen ganze Kraft zu spannen.
O diese Nacht! von ew'ger Dauer
Schien sie, und jegliche Sekunde,
Wie langsam sie vorüberschlich,
Drohte, mich zu dem grausen Schlunde
Hinabzureißen. Endlich wich
Die Finsterniß, bleich stieg der Tag
Am Himmel, aber schreckerfüllt
Die Tiefe, welche drunten lag,
Wünscht' ich nochmals in Nacht gehüllt –
Und doch, es trieb mich mit Gewalt,
Hinabzuschaun; da fühlt' ich kalt
Zwei Arme meinen Hals umschlingen;
Los wollt' ich mich von ihnen ringen,
Und wie das Haupt ich rückwärts bog,
Sah ich ein leichenblasses Weib,
Ein Grabgespenst, das meinen Leib
Umklammert hielt; es zog und zog
Mich abgrundwärts und blickte stier
Mit hohlen Augen in das meine;
Schon bröckeln fühlt' ich unter mir,
Indeß ich abwärts sank, die Steine
Und glaubte, daß kein Halt mehr sei;
Da that ich einen lauten Schrei,
In Luft war die Gestalt verstoben,
Und wieder zu der Zacke oben
Auf kroch ich, fast besinnungslos.

»Bald geißelte des Durstes Qual
Mich aus der Mattheit auf; so kahl
Der Felsen rings, kein Gras noch Moos,
Und drüber mit dem Flammenstrahl
Der Sonnenbrand, der scheitelrechte;
Umsonst lang sucht' ich, was die Glut
Der dürren Lippen löschen möchte;
Allein des todten Adlers Blut,
Versprach es Labsal nicht? Mit Wuth
Mich warf ich auf das Thier und zechte
Wollüstig von dem rothen Naß,
Bis alle Adern leer gesogen.

»Inzwischen mit Gewölk umzogen
Erdunkelte der Himmel; blaß
Und fahl nur hüpfte über die Wogen
Noch ein verirrter Strahl des Lichts.
Wie in der Stunde des Weltgerichts
Sahn Himmel und Meer entsetzenstumm
Die Windsbraut nahn; dann hub ein Gesumm,
Ein Schwirren und Klingen und Brausen an.
In Dunkel, tiefer als Nacht, zerrann
Der letzte Strahl; aus der Finsterniß Schooß
Riß zuckend ein schwefliger Blitz sich los;
Dann, horch! ein mächtiger Donnerschlag!
Herein von Osten und Westen brach
Der Wettersturm; im Wolkengetümmel
Mit Hagel und Blitz hinjagt' er am Himmel
Und peitschte vom Meer, das drunten gohr,
Die Wasserberge zu mir empor,
Und, zitternd von dem Wogenschwall,
Erkrachten die Felsen, die Klippen all;
Dicht unter mir sah ich den spritzenden Schaum
Und bei der zackigen Blitze Glanz
Hinauf und hinab auf der Wellen Saum
Die Flocken hüpfen wie Irrwischtanz;
Ich fühlte die leckenden Wogenzungen;
Ein Fußbreit noch, und hinabgeschlungen
Ward ich in die flutenden Schlünde des Meers.
Auf einmal scholl ein Donner, als wär's
Vom letzten Tage der Erdstoßkrach,
Und es barst am Himmel des Sturmes Dach
Und sank in die Tiefe; von dannen zogen
Die Wetterwolken über die Flut,
Und klingend und rauschend glitten die Wogen
Zurück in ihr Bett, und purpurne Glut
Verströmte die Sonne im Untergang.

»Und wieder Nacht! Ich fühlte bang,
Die letzte würd' es für mich sein;
In Schlummer durften Alle nun,
Und ob sie noch so elend, ruhn,
Nur mir blieb es, nur mir allein
Versagt. O, einen Augenblick
Die müden Lider schließen dürfen,
Nur kurz des Schlafes Balsam schlürfen,
Auf Erden dünkte mich kein Glück
Mit dem vergleichbar! Tief erschlafft,
Kaum, mich zu halten, hatt' ich Kraft;
Doch, wollte mein Augenlid sich schließen,
Aufstachelte das Entsetzen mich schnell –
Da gähnte die Tiefe zu meinen Füßen,
Und blassen Schein goß dämmerhell
Die junge Mondessichel hernieder.
Sieh! über den Wässern welch Regen und Wallen
Von Nebeln, die sich wirbelnd ballen!
Auftaucht's aus dem Dunst wie Riesenglieder,
Und unten in Klüften und Rissen und Spalten
Laut wird es; empor zu den Felsenhöhn
Klimmen gespenstische weiße Gestalten,
Die hüpfend sich im Kreise drehn;
Von Gnomen, die lachend die Seiten sich halten,
Vernehm' ich die Stimmen, sie höhnen und spotten
Und grinsen mich an und singen im Chor,
Und aus den Inselhöhlen und Grotten,
Ein toller Fasching, braust es hervor.
Geflügelte Schlangen, dicht in einander
Die Glieder verstrickt, und Salamander
Und Drachen und Molche, ein grauser Zug,
Sausen heran im wirren Flug.
Kobolde umhüpfen des Felsens Fuß
Und rütteln an ihm, bis er zittert und schwankt,
Und nicken nach mir mit höhnischem Gruß:
›Herunter! herunter!‹ – noch fest umrankt
Halt' ich die Zinne – aber sie wankt
Und sinkt in die Tiefe –

»Fieber jagte
Das Blut mir durch die Adern wild;
Endlich, als seine Glut gestillt,
Sah ich, wie es im Osten tagte –
Ein düstres, blut'ges Morgenroth!
Ich starrte hoffnungslos ins Leere;
Und blieb mir denn in meiner Noth
Ein andrer Retter, als der Tod?
Ja, rasch den Sprung hinab zum Meere
Gewagt! was beb' ich noch zurück?
Von des Verschmachtens bittrer Qual
Und allem Leid mit Einem Mal
Befreit mich das! – Ich hob den Blick,
Bevor ich stürzte, himmelan;
Da scholl von oben an mein Ohr
Der Klang von einem Hirtenrohr,
Und heißer Freudenschauer rann
Durch Mark und Bein mir bei dem Ton –
Ja, das sind Menschen! Nahe schon
Ist meine Rettung! Hören muß
Man meines Jagdgewehres Schuß.
Ich schieße und, den Odem bang
Anhaltend, lausch' ich aufwärts lang
Nach einem Tritt – nein, wiederum
Ist Alles todtenstill und stumm.
Doch neu geweckt in meiner Brust
War Lebensmuth und Lebenslust,
Und der Gedanke an Rafaële
Stieg leuchtend auf in meiner Seele –
Mir war, als ob ihre Stimme mich riefe;
Den Rücken wendend der schrecklichen Tiefe,
Fest, starr, wie nach dem Ziele der Schütze,
Blickt' ich empor zu dem schwebenden Seile,
Das über mir hing an der Bergwandsteile –
Das war mein Weg zu der Felsenspitze; –
All meine Gedanken und Sinne hoben
Sich aufwärts – nun zu mächtigem Schwung
Die Kräfte gespannt! – ich that den Sprung,
Erhaschte das Seil und klomm nach oben.

»Betäubt und schwindelnd vor Entzücken
Mich fand ich an des Felshangs Rand
Und sank zu Boden – vor meinen Blicken
Ward's dunkel, mein Bewußtsein schwand.

»Als mir die Sinne wiederkehrten,
Noch wie in wildem Rausche gährten
Mir die Gedanken; lang voll Grauen,
Um in die Tiefe nicht zu schauen,
Hielt ich die Augen noch geschlossen.
Als ich empor sie endlich schlug,
Welch Licht fand ich um mich ergossen!
War ich auf Erden? war's nicht Trug?
Hernieder in die meinen schauten
Zwei Augen, die wie Himmel blauten,
Und süßer Athem weht' und quoll
Um meine Stirne warm und voll.
Sie war's, ja, Rafaële war's;
Sanft durch die Locken ihres Haars,
Das um mein Haupt herniederrollte,
Mich sah sie an. Noch keinen Gruß
Ihr konnt' ich sagen, wie ich wollte,
Ich war zu schwach; allein zum Kuß
Drückt' ich die Locken an den Mund
Und fand sie feucht von ihren Thränen.
Sie hob mich auf vom felsigen Grund
Und ließ an ihrer Brust mich lehnen.
Auf eine Bahre legten leis
Mich Träger dann, und auf Geheiß
Des Mädchens, das zur Seite ging,
Fort trug man mich. Aufs Neu empfing
In Anacapri mich die Kammer,
Wo ich in hoffnungslosem Jammer
Um Rafaële manche Nacht
Auf meiner Lagerstatt durchwacht;
Doch nun, indeß ich fiebernd lag,
Hing leuchtend wie ein Frühlingstag
Ihr Antlitz über mir, und lind
Umfächelte wie Maienwind
Ihr Odem mich: ›Mein Stefano‹ –
Halb noch im Traume hört' ich so
Sie sprechen – ›glaub mir, schon als Kind
Dich hatt' ich und dich einzig lieb,
Und kind'scher Trotz nur, o vergib,
Ließ später mich den Seelentrieb
Bekämpfen; auch von Schlangenzungen
War mir das Gift ins Herz gedrungen,
So daß ich wähnte, Arglist sei
Dein Werben, eitle Liebelei –
Ich Thörichte! Verzeih, verzeih!‹
Sie sprach's; von Schluchzen unterbrochen
War jedes Wort – an meines pochen
Fühlt' ich ihr Herz und heiß das Brennen
Auf meiner Stirn von ihrem Munde –
O, da ich wußte, zu ew'gem Bunde
Die meine dürf' ich nun sie nennen,
Selbst, wenn ich todeskrank gewesen,
Zum Leben mußt' ich wohl genesen.

»Durch Forschung halb, halb Ahnung war
Es Rafaëlen kund geworden,
Wie an der steilsten Klippen Borden
Und auf dem Meer ich mit Gefahr
Gestrebt, mir Reichthum zu erringen,
Um ihn dereinst ihr darzubringen.
Bei Tag und Nacht, zu allen Stunden
Umirrend, hatte sie nach Kunden
Von mir geforscht, in jeder Bucht,
Auf allen Felsen, allen Klippen
Mit Händeringen mich gesucht
Und, wen sie traf, mit zitternden Lippen
Gefragt: ›Gewahrtest irgendwo
Du eine Spur von Stefano?‹

»So, schnell geheilt von jeder Pein,
In Frühlingsglanz und Sonnenschein
Sah ich das Leben neu mir blühn
Und bald das Morgenroth erglühn,
Das mir der Tage schönsten brachte –
O welchen Tag! Wie hochbeglückt
Sank ich der Braut ans Herz! Wie lachte
Vor Lust ihr Antlitz, als geschmückt
Und mit dem Myrtenkranz im Haar
Sie mit mir hintrat zum Altar!
Doch als die Früchte meiner Mühn,
Um die auf Fels und Meer ich kühn
Geworben, ich zur Morgengabe
Ihr bieten wollte, voll Entsetzen
Fuhr sie zurück. ›Mit deinen Schätzen
Was soll es? fort damit! – ich habe
Nicht das, bei Gott! nicht das gewollt.
Hinweg mit diesem grausen Gold!‹

»Zur Stelle, um sie nicht zu kränken,
Bedürft'gen mußt' ich Alles schenken,
Und emsig nun seit jeder Frühe
Sorgten wir mit vereintem Fleiß,
Daß unser junger Hausstand blühe;
Wohl war die Tagesarbeit heiß,
Doch reich der Lohn; als ihre Frucht
Das Haus, wo Ihr uns oft besucht,
Das kleine, konnten wir erwerben.
Dort leben wir beglückt im Stillen,
Und fügt es sich mit Gottes Willen,
So mög' er uns den Wunsch erfüllen,
Daß wir an Einem Tage sterben.«


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