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II. Glycera

Seit der Väter Zeit wohl hat den Söhnen
Von Athen der Dionysien Feier
Als der Feste herrlichstes gegolten,
Doch des Alexander mächt'gem Günstling
Harpalus zu Ehren, der in Tarsus
Königlicher Macht sich rühmt, noch schöner
Wird sie heut als je zuvor begangen.
An Altären, die auf allen Straßen
Prangen, bringen kranzgeschmückte Mädchen
Ihre Spenden dar aus Opferkörben,
Chorgesänge tönen, und am Ufer
Des Ilissus in den Rebengärten
Lockt der Cymbel Schall zum frohen Tanze.
Auf gefüllten Schläuchen auf und nieder
Bei des Volkes jubelndem Gelächter
Hüpfen Jünglinge, vermummt als Satyrn,
Und nicht fassen in den weiten Hallen
Kann des Bacchus riesiges Theater
All die Schaaren, die sich zu der Dichter
Wettkampf drängen.

Diesmal auch, wer könnte
Um die Stirn den Siegeskranz sich flechten,
Als der Musen Liebling, als Menander?
Voll Verlangen, der Komödie Meister
Zu gewahren, schweifen durch die Sitzreihn
Aller Blicke. Ist es Jener – hört man
Fragen – mit dem feingeschnittnen Munde,
Den Gelächter fort und fort umgaukelt?
Jener mit den blitzend-schwarzen Augen,
Draus der Scherz zu sprühen scheint?

Vergebens.
Keiner sieht ihn. Um des jüngsten Lustspiels
Schicksal unbekümmert, fern den Festen
Läßt der Dichter einsam vom Piräeus
Sich nach Salamis hinüberrudern.
Er, der hundertmal durch seine Geiz'gen,
Seine list'gen Sklaven und Verliebten
Selbst den Finstersten die Stirn entrunzelt,
Dessen Witz auf Aller Lippen gaukelt,
Düster vor sich nieder in die Wogen,
Die mit weißem Gischt das Boot umkreisen,
Starrt er nun. »Ja, treulos mich verlassen
Hat die Schnöde! – Glycera! ist's möglich,
Du, an deren Lippen mir ein neuer
Frühling aufgeblüht, von der ich dachte,
Noch das spätste Alter mir zur Jugend
Wandeln solltest du, mich so verrathen
Hast du nun? Mich, der ich meiner Dichtung
Ganzes Füllhorn über dich geschüttet,
Der ich nach des Bacchus Epheukranze
Nur gestrebt, um dich mit ihm zu schmücken,
Mich für Harpalus, den Weiberhelden
Mit den salbenduftgetränkten Locken,
Konntest du verschmähen? – Ja, ich selber
Sah sie an des Macedoniers Seite
Durch die Stadt im goldnen Wagen fahren,
Liebesblicke mit dem Gecken tauschen,
Sah sie Hand in Hand mit ihm, als wär' er
Ihr Gemahl, zur Morgenopferfeier
Ins Olympion treten. – Wohl! zerrissen
Sei das Band, das mich an sie gekettet!
Fluch der Argen, die in ihre Netze
Mich gelockt!« – Er denkt's, und wie von schwarzer
Klippe sich ein Schwarm von Meeresvögeln
Aufschwingt, bis von unzählbaren Flügeln
Allumher die Luft erdunkelt, also
Finster, immer finstrer in der Seele
Hebt sich ihm Gedanke auf Gedanke.

An der Insel Felsenküste landend,
Aufwärts klimmt er, bis in einer Bergschlucht,
Halb versteckt von düstern Terebinthen,
Ihn ein Landhaus aufnimmt. Dort wie oft nicht,
Fern der lauten Stadt, nur mit den Musen
Zwiesprach pflegend, war er ehmals glücklich!
Seine Thais, seinen Abergläub'gen,
Seine Fischer, die der laute Jubel
Griechenlands gekrönt, dort in der Stille
Hat er sie ersonnen, dort vor Kurzem
Noch mit Glycera des Lenzes wonn'gen
Mond verlebt, und wenn ein Vers von Anmut
Ihm gelungen, sich durch ihrer Hände
Druck, durch einen Kuß von ihrem Munde
Mehr belohnt gefühlt, als hätt' im heil'gen
Hain Olympia's Hellas selbst ein Denkmal
Ihm errichtet. Aber nun: »den Göttern« –
Murrt er dumpf – »nicht ihren Eid beim Styx mehr
Glaub' ich, seit ich sie als falsch erfunden.
O, so klar, wie durch krystallne Wässer
Unten tief der Silberboden leuchtet,
Wähnt' ich durch den Spiegel ihrer Augen
Bis auf ihres Herzens Grund zu schauen! –
Und sie falsch! So ist das ganze Dasein
Nichts als Trug, durch den der Tod voll Arglist
Sich zum Leben aufschminkt, so ist Liebe
Nur ein Köder, um uns in der Sünde
Netz zu fangen!«

Und mit einem Sklaven,
Dem des kleinen Haushalts Sorge obliegt,
Birgt sich in die Einsamkeit Menander.
Nur der altergrauen Bäume Wipfel,
Die zu Häupten ihm im Windhauch flüstern,
Sind sein Umgang; wie die Wetterwolke,
Wenn sie ihres Regens Wucht zu tragen
Kaum vermag, ist schwer sein Herz; der Seele
Bitterkeit in Liedern auszuströmen,
Selbst bleibt ihm versagt.

Auf Wochen
Schwinden Wochen so. Da aus Ionien
Auf beschwingtem Schiffchen bringt ein Bote
Einen Brief von Glycera; doch zürnend
Weigert sich der Dichter, ihn zu nehmen.
»Nach Milet gar ist sie ihrem Buhlen
Nun gefolgt, die Arge, und zum Hohn mir
Selber kündet sie's! Zurück den Brief ihr
Bring und dies dazu!« Auf eine Tafel
Hastig schreibt er dann: »Aus seinem Herzen,
Falsche, reißt für immerdar Menander
Dein Gedächtniß, und den Göttern wird er
Danken, wenn in seinen nächt'gen Traum selbst
Nie dein Bild sich mehr verirrt!«

Den Boten
Mit der Antwort sendet der Empörte
So hinweg, ihm aber löst die Muse
Endlich neu mit ihrem Kuß die Lippen,
Daß dem Strom gleich, wenn die Frühlingssonne
Ihn befreit hat von des Eises Banden,
Hin sein Grimm im wilden Rhythmus flutet.
Einen Weiberfeind zu dichten hebt er
An, drin Alles, was er selbst erlebt hat,
Unter dünnem Schleier, leicht erkennbar,
Vor des Volkes Ohr und Blick zu führen
Er gedenkt. »Ja, ohne Maß betrogen,
Ohne Maß auch Rache will ich üben.
Rast nicht, bis mein Misogyn vollendet,
Gönn' ich mir; schon beim Lenäenfeste
Soll Athen mein Strafgericht erleben.
Wenn sich kaum des nächsten Mondes Sichel
Dämmernd zeigt, hinüber zum Piräeus
Trage mich das Boot, daß im Theater
Selbst ich Zeuge sei, wie meine Pfeile
Dieses Weib durchbohren. Ist sie fernhin
Bis an Indiens Gränzen mit dem Buhlen
Auch entflohen, sie ereilen werden
Meiner Verse flammende Geschosse;
›Falsch wie Glycera‹ das soll ein Sprichwort
Noch den spätesten Geschlechtern werden!«

Und der frühste Morgen, wenn die Sonne,
Her von Asien wandelnd, auf der Insel
Felsenspitzen ihren ersten Lichtstreif
Wirft, schon trifft den Meister bei der Arbeit,
Wie sein Stift auf die Papyrusblätter
Seines Herzens ganzen Ingrimm schüttet.
Allen Schmerz getäuschter Liebe strömt er
Glühend heiß, wie er aus seiner Seele
Flutet, in sein Werk; nur wenig Tage,
Und das Lustspiel – nein, nicht also heißen
Darf es, denn getränkt mit Thränenströmen
Hat der Dichter jeden seiner Verse –
Nach Athen hinüber bringt der Sklave.

Unterdeß zum Feste der Lenäen
Rüstet sich die Stadt; von Argos nahen
Gäste, von Korinth, von Epidaurus,
Ja, Verlangen, sich an der Komödie
Von Thalias Liebling zu ergötzen,
Lockt von Rhodos, lockt von Lyciens Küsten
Fremdlinge herbei, und Vorbereitung
Zu dem Feste treffen schon die Spieler.

Eben, in der Rechten eine Rolle,
Drauf ihr Blick ruht, wandelt im Gemache
Eunoë, die Priesterin der Here,
Auf und nieder. Durch das Thor zu ihr da
Sieht sie Glycera, die Freundin, treten.
»Bist du's wieder? Tausendmal willkommen!
Dank den Göttern, daß sie aus Ionien
Heim zu uns dich führen! doch was hast du,
Theure? Todtenbleich sind deine Wangen,
Und dein Auge trägt die Spur von Thränen.«

Lange schweigend in der Freundin Armen
Ruhte Glycera. Sich mählig fassend
Dann erzählt sie, wie Menander zürnend
Ungelesen ihren Brief gelassen
Und den Boten ihr mit bittern Worten
Heimgesandt. »Und welche Schuld denn trag' ich?
Dieser Harpalus, der meinem Vater,
Als verfolgt von Alexanders Schergen,
Schutz gewährt, bei dem im Schloß zu Tarsus
Ich verlebt der Kindheit frohe Jahre,
Konnt' ich fremd von ihm zurück mich halten,
Als er heischte, daß ich zu den Tempeln
Unsres herrlichen Athen, zur Werkstatt
Des Lysipp, zu Stoa und Theater
Ihn begleitete? Ihm bis Milet noch
Nachzufolgen und den Freund zu lassen,
Ich beschwör's, durch Bitten und Bestürmen
Nur mir rang er's ab. – Und nun des Treubruchs,
Des Verrathes zeiht mich mein Menander.
O, ich kenn' ihn, wie ein böser Dämon
Ihn bemeistert, wie mit selbstgeschaffnen
Irrgebilden sich sein Geist umdunkelt,
Daß in Eins ihm Schein und Wesen schwimmen!
Aber hin zu ihm! Und wenn er grausam
Mir die Thür verschließt, an seiner Schwelle
Will ich knien und flehen, bis er öffnet
Und mich hört und ich bis in die tiefsten
Falten seine Seele von des Argwohns
Gifte rein'ge!«

Liebreich zieht die Freundin
Sie auf einen Sessel ihr zur Seite
Nieder. »Handle vorbedächtlich, Theure!
Nicht vermehren möcht' ich deinen Jammer,
Aber wissen mußt du, was erst eben
Klar mir in der Seele aufsteigt. Bittrer
Ist der Groll und tiefer die Verblendung
Deines Freundes, als du denkst. Im Lustspiel,
Nein, im gift'gen Spottgedicht dein Bildniß,
Wie es sich verzerrt in seiner Seele
Spiegelt, allem Volke vor die Augen
Will er führen. Zwar dich nennt er Myrtis,
Sich Leucippus; doch ein leichter Schleier
Deckt euch Beide nur, und unter jener
Buhlerin, der treulos-falschen, die er
Dem Gelächter, der Verachtung preisgibt,
Wird man, wie entstellt auch, dich erkennen. –
Dir im Angesicht die Frage les' ich,
Wie die Kunde dessen mir gekommen,
Da uns Frauen in Athen die Bühne
Streng verschlossen ist. Erfahre! gestern
Brachte Agathon, der muntre Knabe,
Meiner Schwester Sohn, die arge Rolle
Mir, die er zu spielen ausersehn ist.
Tief entrüstet – denn der Sinn des Ganzen
War alsbald ihm klar geworden – klagt' er,
Zwingen wolle ihn der Scenenleiter,
In der Myrtis meiner besten Freundin
Zerrbild den Athenern vorzuführen. –
So vertrau denn mir, und meinem Rathschlag
Leiste Folge! Wenn du vor Menander
Selber trätest, deiner Worte keinem
Würd' ein Ohr er leihn; doch mir, so hoff' ich,
Soll's gelingen, seinen Wahn zu scheuchen.
Gleich zu dem Erzürnten auf die Insel
Eil' ich, daß ich Alles ihm verkünde
Und ihm vor das Herz in warmen Worten
Deine wandellose Treue führe.
Glaube mir, nicht widerstehen wird er,
Und zurück in deine Arme bring' ich
Den Versöhnten. Lebe wohl! In Kurzem
Wieder siehst du mich.«

In ihre Arme
Schloß noch einmal Eunoë die Freundin
Und enteilte. Bangender Erwartung
Voll, blieb Glycera zurück; der Myrtis
Rolle las sie, und bei jedem Worte,
Jedem Zug der Arglist, die der Dichter
Ihr geliehen, stürzten Thränen Grams ihr
Ueber solch Verkanntsein aus den Augen.

Schlaflos Nachts auf ihrem Lager bleibt sie,
Und als Eos, über den Hymettus
Steigend, nun dem Tag die Purpurthore
Oeffnet, läßt's nicht Rast der Ueberwachten;
Daß die fieberglühnde Stirn im Lufthauch
Der bethauten Frühe sie erfrische,
An den Quell Kallirrhoë hinunter
Schreitet sie. In myrtenlaubumschlungner
Grotte ragt, der Aphrodite heilig,
Ein Altar dort, mit den Opferspenden
Liebender bedeckt. Auf seine Stufen
Hin kniet Glycera, um von der Göttin
Trost sich zu erflehn; und wie sie betend
Zu dem Marmorbild der Hohen aufblickt,
Sieh! so mild, so freundlich auf sie nieder
Lächelt Jene, daß von neuem Leben
Sie das Herz durchströmt fühlt und von Hoffnung,
Die erhabne Schützerin der Liebe
Werd' in ihre mächt'ge Hut sie nehmen.
So des Wegs vorbei am Theseustempel
Unter schattenden Platanen lenkt sie
Ihre Schritte südwärts, um zu spähen,
Ob nicht Eunoë die heißersehnte
Botschaft bringe. Sieh, und plötzlich vor ihr
Steht die Freundin; doch ihr Blick scheint Böses
Zu verkünden; tiefaufathmend spricht sie,
Oft im Reden stockend: »All mein Mühen
War umsonst; gekränkt in tiefster Seele,
Sich betrogen wähnend, meiner Reden
Achtete Menander nicht, nein, schwur mir,
Nie mehr solltest du vors Aug' ihm treten,
Die so schmählich du mit seinem Herzen
Spiel getrieben; einmal nach Athen noch
Zum Lenäenfeste woll' er kommen
Und dem Haß der spätesten Geschlechter
Deinen Treubruch weihn, doch dann für immer
Von der Welt und von den Menschen scheiden;
Wenn des Spiels in seinem Weiberhasser
Agathon sich weigere, so werde
Sich ein Andrer in die Rolle fügen.
Was denn bleibt? Dein Schicksal scheint besiegelt.«

Auf der Freundin Schulter ihre Stirne
Trauernd drückte Glycera und setzte
Stumm sich neben sie auf eine Ruhbank,
Ueber der im Laube Nachtigallen
Sich im Chorlied übten. Ihrem Sinnen
Endlich sich entreißend, nahm das Wort sie:
»Schlimm ist, was du bringst, und dennoch dämmert
Mir ein Hoffnungsstrahl in diesem Dunkel.
Aphrodite, die erfindungsreiche,
Zeigt mir, ob auch fern und wie durch Nebel,
Einen Plan, wie ich mit deiner Hülfe
Und mit Agathons des Wahnes Binde
Von Menanders Augen reißen könne
Und mir seine Liebe neu erobern,
Meines Lebens einz'ges Glück. O Freundin!
Düster, wie der Hades, ist die Welt mir
Ohne sie. Erst mit mir selbst berathen
Muß ich mich in Einsamkeit; doch eilends,
Wenn mir der Gedanke reif geworden,
Meiner Eunoë verkünd' ich Alles.«

Also trennten sich die Zwei. Am Morgen
Drauf beginnt das Fest. Auf allen Gassen
Welch Gewühl! Den Thyrsus schwingend jubeln
Schwärme von Mänaden durch die Stadt hin,
Und um Opferherde, drauf des Weinstocks
Feind, der Bock, in Flammen seine Schuld büßt,
Tanzen muntre Chöre, Dithyramben
Zu des Sorgenscheuchers Preise singend.

Und es kommt der Tag, an dem das Lustspiel
Alle schon beim Frühroth zum Theater
Zieht, die einen Platz erkämpfen wollen.
»Ueber Glycera, die schöne, falsche« –
Flüstert es von Munde hin zu Munde –
»Soll Gericht ergehn in der Komödie,
Und als Myrtis ihr Hetärenhandwerk
Aller Welt vor Augen wird sie führen.
Auch der Dichter selbst hat als Leucippus
Sich, der Weiberfeind, darin geschildert.«

Endlich vollgedrängt sind alle Plätze
Stufe über Stufe bis nach oben;
Vorn auf Teppichsitzen die Archonten
Mit der Bundsgenossen Abgesandten.
Gleich dem Rauschen in den mächt'gen Tannen
Am Pentelikon, wenn ihre Wipfel
Sich im Windhauch schwingen, geht Gemurmel
Der Erwartung durch die Menge; still! dann
Tönt's dazwischen, doch das Lärmen wächst nur,
Bis der Vorhang sinkt und von den Sitzen
Jeder Blick sich nach der Scene richtet,
Wo in Masken sich die Spieler zeigen.
Bald durch ihrer Verse süßen Wohllaut,
Der Verwicklung festgeschlungne Fäden
Fesselt die Komödie Ohr und Seele,
Und in athemloser Spannung folgen
Alle Myrtis' Listen, wie sie, Liebe
Heuchelnd, durch den Zauber ihrer Stimme,
Durch des Flötenspieles Kunst Leucippus
So bethört, daß einen Eid er schwören
Möchte, ihres Herzens erste, einz'ge
Neigung sei für ihn; wie doch auch Andre
Sie zugleich mit ihres Netzes Garnen
Zu umstricken weiß, bis fern aus Osten
Vom Hydaspes her ein Fürst der Inder,
Reich an Macht und Schätzen, nach Athen kommt,
Und sie, aller frühern Schwüre spottend,
Ihm sich als Erkornem in den Arm wirft.

In der Scenen Fortgang oft zum Lobe
Agathons – er spielt der Myrtis Rolle –
Wird der Beifall laut; der Hörer Einer
Oft auch flüstert in das Ohr des Andern:
»Diese Glycera! durch ihre Künste
O wie Viele hat sie nicht betrogen!«
Endlich kommt des Lustspiels letzte Scene,
Wo Leucipp aus tiefempörter Seele
Seines lang zurückgehaltnen Zornes
Fülle auf die Buhlerin entladet
Und, der Weiber ganz Geschlecht verfluchend,
Myrtis von sich stößt, daß sie den Inder,
So wie ihn, nach Herzenslust betrüge.

Vor dem Zürnenden, von seines Grimmes
Wucht erzitternd, sprachlos da steht Myrtis;
Jeder glaubt, auf ihrem Antlitz müßt' er,
Wenn die Maske das Gesicht nicht deckte,
Leichenblässe schauen. Lang nach Worten
Ringt sie, doch verhaltne Thränen scheinen
Ihre Stimme zu ersticken. Endlich
»Mein Leucippus!« spricht sie, und beim ersten
Laute geht ein Murmeln des Erstaunens
Durch der Hörer Reihen: »Nicht die Stimme
Agathons ist das; was mag geschehn sein?
Ward er krank, so daß für ihn ein Andrer
In die Rolle eintrat?« Nach dem Sitze
Neben der Orchestra deutet Einer:
»Seht den Dichter! seht Menander! Was nur
Ist ihm plötzlich? Wie im Krampf zusammen
Fährt er; nun erhebt er sich und drängt sich
Nach der Bühne zu hin durch die Sitzreihn!«
Aber Myrtis, mehr und mehr sich fassend,
Redet weiter: »O, welch unglücksel'ges
Truggewebe, von dem eignen Argwohn
Nur gesponnen, mein Leucippus, hat dir
So den Geist verdunkelt! Diesem Inder –
Oft gehört aus meinem Mund ja hast du's –
Mehr als Einem sonst auf dieser Erde
Schuld' ich Dank, denn meines Vaters Leben,
Der, verfolgt von anderm höherm Fürsten,
Schutz bei ihm gesucht, hat er gerettet
Und mich selbst, das Kind, in seinem Schlosse
Liebevoll gehegt. Auf seinen Knieen,
Da mein Mund noch kaum die ersten Worte
Stammeln konnte, hab' ich oft gesessen,
Während er, mich streichelnd, süße Märchen
Mir erzählte. Als an seinem Hofe
Meinem Vater dann das Heimweh länger
Rast nicht ließ, mit reichen Spenden hat er
Uns entlassen, und so oft seitdem mir
Meiner Kindheit Morgen vor die Seele
Wieder trat, gedacht auch hab' ich seiner
Und der Götter Segen auf sein theures
Haupt herabgefleht. Nach langen Jahren
Kam er nun in unsre Stadt; und durft' ich
Zögern, ihm den späten Dank für frühe
Nievergeßne Wohlthat darzubringen?
Freundlich und des Kindes noch gedenkend,
Mich empfing er, und auf sein Verlangen
Zu den Wundern von Athen begleiten
Mußt' ich ihn. Schon in der nächsten Frühe,
Mein Leucippus, wollt' ich das dir künden,
Aber du – wohin? nicht Einer wußt' es –
Warst verschwunden. Bald zum eignen Schrecken
Ward ich inne, wie mein einst'ger Schutzherr
Mehr begehrte, als ich bieten konnte;
In sein Goldland wollt' er heim mich führen,
Daß mit ihm ich Reich und Thron und Krone
Als Gemahlin theilte; doch ich schwur ihm,
Meinem Eide, wie des Herzens Banden,
Die an dich mich fesselten, nie würd' ich
Untreu werden; nur daß bis Miletus,
Wo die Schwestern mir, die lieben, weilen,
Ich ihm folgte, hat er mir durch Bitten
Abgerungen. Dort erst ward mir Nachricht,
Wo du weiltest, und alsbald auch gab ich
Kunde dir von meiner nahen Heimkehr,
Aber ungelesen mir das Schreiben
Sandtest du zurück. O mein Leucippus!
Wie verkennst du mich! Und doch von Anfang
Hat mein Denken all und all mein Fühlen
Klar, so wie des Juni wolkenloser
Sternenhimmel, vor dir dagelegen;
Nur für dich hab' ich gelebt, und glücklich
Dich zu sehn war meiner Tage Sinnen,
Meiner Nächte Traum; für dich die Krone
Gab ich hin und alle Schätze Indiens,
Nichts von dir je sucht' ich und dem Deinen,
Als nur deine Liebe – und nun alles
Niedern, dran im Traum selbst meine Seele
Nie gedacht hat, mich zu zeihn vermagst du?
Hab' ich das um dich verdient?«

In Schluchzen
Brach sie aus. Der Spieler des Leucippus
Stand betroffen da, der Rede Faden
Fand er nicht; Verwirrung auf der Hörer
Sitzen mischte sich der seinen; endlich
Neu ergießt er der ergrimmten Seele
Zornflut über Myrtis, sie des Abgrunds
Finstern Mächten weih'nd, den Eumeniden,
Daß die Schlangenlockigen zum Orkus
Sie hinuntergeißeln, wo die Falschheit
Und der Schwüre Bruch in ew'ger Qual sie
Büßen soll – er selbst, den Menschen ferne,
Will in tiefster Einsamkeit bereuen,
Daß an eines Herzens Treue jemals
Er geglaubt. Da, als er sich zum Abgehn
Wendet, hält ihn Myrtis fest: »Und falsch mich
Kannst du nennen? falsch? Der ew'gen Götter
Blitzstrahl ruf' ich auf mein Haupt hernieder,
Wenn, seitdem zum ersten Mal in deinen
Armen ich geruht, ich eine Freude
Je gekannt, als die mit dir ich theilte,
Andern Willen je gehabt, als deinen.
Jeder Platz, wo du geweilt, der Hausrath,
Welchen du berührt, dein Schatten selber
War mir heilig. Alle Erdengüter,
Ja, die Wonnen des Olymp, der Götter
Seligkeit und ewig blühnde Jugend
Hätt' ich für ein Lächeln deines Mundes
Hingegeben; mehr als Mond und Sonne
Galt mir deiner Augen Licht; mein Himmel
Lag in deinem Herzen.« – Und vom Antlitz
Glitt ihr, wie sie sprach, die Maske nieder –
»Glycera!« erscholl es von den Sitzreihn –
Und zum Sceneneingang, wo der Dichter
Stand, die Arme streckte sie: »Menander,
Mein Menander! Wenn nur etwas jemals
Lieb an Glycera dir war, wenn je sie
Eine frohe Stunde dir bereitet,
O, so laß den Argwohn! gib den Glauben,
Den verlorenen, an meine Treue
Mir zurück! Dann, muß es sein, als Sklavin
Dienen werd' ich dir und will mich glücklich
Preisen, darf ich nur, am Boden knieend,
Dir Ermüdetem das Fußbad reichen
Und das Lager sorglich dir bereiten,
Daß du sanft drauf ruhest! Ja, ich seh' es,
Dir vom Herzen schmilzt das Eis, im Auge
Quillt's dir feucht! O, laß die Thränen rinnen!
Lang nach diesem Thau hab' ich geschmachtet,
Der mir deiner Liebe neuen Morgen
Kündet. Komm zurück in meine Arme,
Daß in Eines unser Beiden Leben
Sich wie ehmals schlinge! Wenn dir Schwermut
Auf der Seele lastet, dich erheitern
Will ich, wenn du leidend bist, dich pflegen,
In der Einsamkeit mit holdem Plaudern
Dir die Stunden kürzen! Jeden Morgen
Soll mein Kuß zu schönem Tag dich wecken!
Erst vereinigt opfern wir den Göttern,
Dann der Muse führ' ich in den Arm dich,
Gern mit ihr dich in der Stille lassend,
Daß in goldner Frühe dir der Dichtung
Schöne Früchte reifen. Aber rufst du
Nach vollbrachter Arbeit mich, dir danken
Will ich mit des Herzens wärmstem Beifall
Für der Verse jeden und nicht ruhen,
Bis dein Werk vor aller Griechen Augen
Auf der Bühne prangt. Die Spieler lehr' ich
Deine Trimeter und Anapäste
So, wie sie mein Ohr entzücken, sprechen,
Richte Masken ihnen zu und Kleider
Und erwart' in Furcht halb, halb in Freude,
Daß des Festes großer Tag erscheine.
Wenn das Stück beginnt, mag kaum mein Auge
Aufzuschauen sich getraun, mein Herz klopft
Angstvoll, bis die Hörer Beifall klatschen,
Und erst dann, beim Dionysos! wieder
Athmend, schließ' ich dich in meine Arme
Und bekränze mit dem heil'gen Epheu
Dir das Haupt.«

Sie sprach's. Halb vor mit schwanken
Schritten auf die Scene trat Menander,
Drückte seinen Kuß auf ihre Stirne,
Hing am Hals ihr, und durch ihre Thränen
Leuchteten in Freude Beider Augen.
Tiefe Stille war im ganzen Hause.


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