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VIII. Der Regenbogenprinz

Märchen.

Lang hat der Gräfin Tochter Hildegard
In dumpfer Stube beim Gesumm der Fliegen
An ihrer Mutter Krankenbett geharrt.
Die Schlummernde nun läßt sie füglich liegen
Und steigt, da milder schon die Hitze ward,
Mit leichtem Schritt hinab die Wendelstiegen,
Daß sie im Freien Ohr und Herz und Blicke
An Vogelsang und Blättergrün erquicke.

Von ihrem Tritte, da den Grabenweiher
Sie überschreitet, zittert kaum der Steg;
Und schon, so dünkt sie, geht ihr Athem freier.
Stets breiter, lichter wird um sie der Weg,
Im frischen Windeshauche wallt ihr Schleier;
Sie grüßt den Bach, der ihr, wie zum Gespräch,
Entgegenrauscht, und, weitgedehnt, azuren,
Den Himmel über den Getreidefluren.

»Ach! allzu kurz wird diese Freude währen!«
So dachte sie, indem sie vorwärts ging,
Und beugte sich und pflückte rothe Beeren
Und haschte nach dem bunten Schmetterling
Und brach am Pfad, auf den mit vollen Aehren
Die segenschwere Ernte niederhing,
Cyanen, jene Blumen, schön vor allen
Wie Tropfen Blau's, die aus dem Himmel fallen.

Ein Kornfeld liegt vor ihr, das in die Ferne,
So weit das Auge reicht, sich endlos zieht;
Und wie sie bald den Sommerfalter gerne
Erhaschen möchte, welcher gaukelnd flieht,
Bald hier und wieder dort die blauen Sterne
Inmitten goldner Halme leuchten sieht,
Hat unversehns – zum eignen Schrecken wird
Sie es gewahr – sich Hildegard verirrt.

Schwül dünkte sie die Luft wie vor Gewittern,
Sie sah nicht fern den Sonnenuntergang
Und lauschte, ob sie Stimmen nicht von Schnittern
Vernehmen könne oder Sichelklang;
Doch hörte nichts als nur das leise Zittern,
Das durch die Halme ging – und wie sie bang
Hierhin und dorthin eilt, den Weg zu finden,
Verstrickt sie mehr sich in den Irrgewinden.
Ihr Auge schweift erschrocken bald nach vorn,
Bald rechts und linkshin. »Gott! wenn das Gespenst
Mir nun begegnet, dem der Blick vor Zorn
Roth wie die Ernte-Mittagsonne glänzt!
Man sagt, daß Jedem, den es trifft im Korn,
Es mit Gewalt die Stirn mit Mohn bekränzt,
Und hat ihm das gethan die Roggenmuhme,
So welkt er hin wie die gemähte Blume.«

Das Mädchen denkt es; und von Aehrenspitze
Zu Aehrenspitze, will ihr scheinen, geht
Ein Leuchten hin, ein Zucken kleiner Blitze,
Die hüpfend auf und ab der Südwind weht.
Sie kommt zuletzt, erschöpft von Angst und Hitze,
An einen Platz, wo schon das Gras gemäht,
Und sinkt, als raffte sie dahin ein Schwindel,
Ohnmächtig nieder auf ein Aehrenbündel.

Inzwischen hat der Himmel sich umzogen,
Und strahlend spannt mit seinen sieben Farben
Sich durch die Wolken hin ein Regenbogen;
Ich aber lass' einstweilen auf den Garben
Das Mädchen ruhn, und wenn du mir gewogen,
Wenn meine Reime deine Gunst erwarben,
So folgst du, Leser, von dem Erntefeld
Mir in des Luftreichs wunderbare Welt.

Dort oben, magst du's glauben oder nicht,
Hat ein Geschlecht durchlauchtiger Dynasten
Jahrtausendlang geübt die Herrscherpflicht,
Eh Noah noch geflüchtet in den Kasten;
So mindestens behauptet der Bericht,
Den die Chronisten jenes Hofs verfaßten –
Wofern es mit der Bibel im Conflikt ist,
So lös' ihn, wer als Exeget geschickt ist!

Und eben jetzt verwaltet für den Sohn,
Den noch nicht mündigen von siebzehn Lenzen,
Die Fürstin Claribelle Staat und Thron.
Man rühmt bis über ihres Reiches Gränzen,
Es herrsch' an ihrem Hof der feinste Ton;
Auch wimmelt es alldort von Excellenzen,
Staatsräthen, Cavalieren, Chambellanen
Und Fräulein, stolz auf ihre hundert Ahnen.

Also zu unsrer Fürstin Claribelle,
Da sie beim Fluge über Land und Meer
Mit ihrem luft'gen Reich zu jener Stelle
Hinschwebte, sprach der Kronprinz Rosikler:
»Müd bin ich dieser immer gleichen Helle,
O Mutter, bin es müde, hin und her
Mit Licht und Winden durch die Welt zu stäuben,
Und einen Wunsch kann nichts mir übertäuben.

»Nach unten, wo es neben Lichtern Schatten
Und Körperhaftes neben Träumen gibt,
Mußt heute du mir eine Fahrt verstatten!
Der Schimmer, der von hier hinunterstiebt,
Spielt dort, so sagt man, um smaragdne Matten,
Darauf die Liebe auszuruhen liebt,
Und was zerflatternd hier als Nebel wallt,
Verdichtet sich dort unten zur Gestalt.

»Jedwede Farbe deiner sieben Streifen
Soll dort in tausend bunten Blumen blühn,
Als Frucht in grünen Blätterhimmeln reifen,
Als Stein sogar im Erdenherzen glühn;
Drum laß mich jenes Wunderland durchstreifen,
Groß ist der Lohn, wenn auch das Wagniß kühn,
Denn nichts gilt alle Pracht, die wesenlose,
Hier oben, heißt es, neben Einer Rose.

»Auch von den Menschen hört' ich viel erzählen,
Fast wie ein Märchen will es mir bedäuchten;
Man sagt, daß in den Augen ihre Seelen,
So wie dein Bogen im Gewölke, leuchten
Und sie mit Tropfen, ähnlich den Juwelen,
Die aus der Frühlingswolke sprühn, befeuchten;
Roth soll das Blut durch ihre Adern rinnen;
Dies Alles laß mich schaun mit eignen Sinnen!«

Die Fürstin drauf: »Prinz! da der Fee Morgane,
Der herrlichen, du dich vermählen kannst,
Da sie zum Festempfang für dich die Fahne
Schon, weithin leuchtend, auf ihr Schloß gepflanzt,
So such kein andres Glück im eitlen Wahne!
Aus deinem Reich, das leicht in Lüften tanzt,
Der lichten Heimat, o mein Sohn, begehre
Nicht nach der Welt des Dunkels und der Schwere.«

Allein der Prinz: »Mit jener Erzkokette,
Der Fee Morgane, Mutter, bleib mir fern!
Mehr paßt für sie zum Ehgemahl, ich wette,
Ein Stutzer, einer deiner Kammerherrn;
Genug, genug davon! – Der Etikette
An deinem Hofe fügt' ich nie mich gern,
Und länger nicht, vergib mir meine Freiheit,
Ertrag' ich diese ew'ge Einerleiheit.«

Noch spricht's der Prinz, da nahn sich die Minister
Und bringen Klagen vor der Fürstin Ohr:
Tagtäglich werde ihre Lage trister,
Seit nicht des Censors Amt mehr steh' im Flor;
Aus allen Taschen ziehen sie Register
Von Schriften, die den Staat gefährden, vor,
Allein, statt ihnen Ohr zu leihn, fragt Jene:
»Wie dünken euch des Prinzen Reisepläne?«

Sich räuspernd hebt der Erste an: »Noch nie
Pflog mit Bewohnern jener niedern Zone
Verkehr die Regenbogendynastie,
Und Erdenkönigskinder, zweifelsohne
Unebenbürtig sind den deinen sie.
Ist doch ein Welfe selbst nur Epigone,
Verglichen deinem Haus, das schon regierte,
Bevor die Erde auch nur existirte.«

Der Zweite drauf: »In Blüthe, ewig frisch,
Soll, wie von je, die Narrheit drunten stehen;
O diese Menschen, Hoheit! Welch Gemisch
In ihrem Kopf von thörichten Ideen!
Nichts wissen sie, und doch wie prahlerisch
Sie sich mit ihrer eitlen Weisheit blähen!
Wie sie, den Pfauen gleich mit bunten Rädern,
Sich spreizen auf den Kanzeln und Kathedern!

»Seitdem die Thoren ihren Thurm von Babel
Emporgethürmt in unser Luftgebiet,
Vor Göttern und vor Götzen, miserabel
So wie sie selber, haben sie gekniet.
So toll ist keine noch so tolle Fabel,
Wie, was bei ihnen Tag für Tag geschieht;
Kurz, denk' ich, wie es drunten zugehn muß,
Im Haupte wird's mir schwindlig und confus.«

»Von ihrem Neide, ihrer Schadenfrohheit« –
Fiel dann der Dritte ein – »auch hört' ich sprechen,
Und wie sie sich aus Habsucht oder Rohheit
In Kriegen gegenseits die Hälse brechen.
Besorgt drum bin ich für des Prinzen Hoheit,
Die Reise möchte schwer an ihm sich rächen;
Zum Mond, zur Sonne steht ihm frei die Straße,
Doch meiden mög' er diese schlimme Race!«

Sie sprechen's; doch der Prinz ruft aus: »Nicht ändern
Läßt mein Entschluß sich; gleich vollführ' ich ihn;
Zu lang schon sah ich Länder neben Ländern
Wie Wolkenstreifen nur vorüberfliehn
Und ihre Ströme nur gleich schmalen Bändern.
Jetzt will ich diese Fabelwelt durchziehn;
Der Menschen Städte, ihre Prachtgebäude
Von Nahem zu beschaun, o welche Freude!«

»So flieg hinab, wenn nicht dein Wunsch zu zähmen« –
Mahnt ihn die Fürstin noch – »allein vor Nacht
(Denn für die Zeit des Dunkels und der Schemen
Ist nicht der zarte Sohn des Lichts gemacht)
Mußt du den Flug empor ins Luftreich nehmen;
Nach Tage, Prinz, – o, nimm es wohl in Acht! –
Versuche nicht, noch unten auszuharren,
Denn ohne Sonne müßtest du erstarren!«

Drauf Rosikler: »Gleich sollst du mich erproben!
Noch eine Stunde drunten währt der Tag.«
Die Aetherschwingen hat er schnell erhoben
Und schwebt hinab mit leichtem Flügelschlag.
Dem Fliehnden schaut die Fürstin bang von oben
Beim Achselzucken der Minister nach;
Ihn aber trägt durch Zufall das Gefieder
Aufs Feld, wo Hildegard wir ließen, nieder.

Da er zum ersten Mal ein Erdengast,
Wie macht ihn Alles, was er sieht, erstaunen!
Von einer Aehre, drauf er Fuß gefaßt,
Starrt er zum Halm hinab, dem gelblich-braunen,
Der sanft nur zittert unter seiner Last,
Und hört erschreckt ein Rauschen und ein Raunen
Im Korngefild, wie wenn beim Frühlingsregnen
Zwei Wolkengeister-Heere sich begegnen.

Indessen Rosikler noch schwankt und bebt,
Hat Hildegard sich wieder aufgerafft.
»Wer,« denkt sie, während sie sich halb erhebt,
»Wer ist das Wesen, fremd und märchenhaft,
Das auf der Spitze jener Aehre schwebt?
Die Bienen selbst sind schwerer, die den Saft
Aus honigvollen Blumenknospen saugen.«
Sie denkt's und reibt sich zweifelnd noch die Augen.

Mattheller Glanz, wie er durchs Laubgrün quillt,
In dessen Schooß ein Glühwurm schlummernd liegt,
Bricht durch das Duftkleid, das ihn leicht umhüllt;
Ein Diadem, um seine Stirn geschmiegt,
Wirft auf das Haupthaar, das darunter schwillt,
Buntfarb'ge Lichter zitternd hin und wiegt,
So wie ein Regenbogen auf den Flocken
Des Wasserfalles, sich auf seinen Locken.

Nicht müd, wie er so hold dasteht, so schmuck,
Wird Hildegard, auf ihn den Blick zu richten;
Von Elfen wohl, von Ariel und Puck,
Von Wurzelmännlein und von Heinzelwichten,
Von Gnomen und von anderm Geisterspuk
Las sie in alten Fabeln und Gedichten,
Auch wohl von Feen und von weißen Damen;
Doch Dieser hier, was sind für ihn die Namen?

Prinz Rosikler erblickt das Mädchen auch,
Und alles Andre gilt ihm fürder nichts;
Er sieht die Brust vom leisen Athemhauch
Gehoben, und gleich einem Strahl des Lichts,
Der zitternd durch den blassen Höhenrauch
Des Morgens glimmt, durch ihres Angesichts
Schneereines Weiß mit Steigen und mit Fallen
Das Roth des Staunens und der Freude wallen.

Und weiter sieht er, und steht festgebannt,
Wie kleine Himmel unter ihren Brauen,
Klar, Sphäre hinter Sphäre ausgespannt,
Die unergründlich tiefen Augen blauen,
Daraus Gefühle, die er nie gekannt
Noch je geahnt, in feuchten Schauern thauen; –
Lang also standen jene Zwei wie trunken,
Der Eine in des Andern Bild versunken.

Inzwischen goß die Sonne röthre Flammen
Aufs Erntefeld, daß weithin die Gebreite
In Wogen purpurfarb'gen Lichtes schwammen;
Doch dann – so bricht auf Herden, wenn die Scheite
Verglimmen, nach und nach die Glut zusammen –
Erlischt der Glanz; die Eine Himmelsseite
Wird dunkler schon, und durch die Aehrenbüschel
Beginnt der Wind des Abends sein Gezischel.

Erschrocken bebt der Prinz: zum ersten Mal
Durchrieselt schaurig ihn die Dämmerung;
Er denkt an was die Fürstin ihm befahl,
Rafft sich empor mit hurt'gem Flügelschwung
Und fliegt, da eben noch der letzte Strahl
Von Halm zu Halme hüpft, in leichtem Sprung
Nach oben, um im Lichte sich zu sonnen –
Dem Mädchen ist, er sei in Luft zerronnen.

Als so allein sie auf dem Kornfeld blieb
Und bald nach dem Verschwundenen noch spähte,
Bald wie nach Träumen sich die Augen rieb,
Befiel sie Bangigkeit, und Stoßgebete
Stieß die Verlaßne aus; doch endlich trieb
Der Wind von Schnittern, die in Abendspäte
Heimzogen und ein Lied im muntern Chor
Noch sangen, ihr die Stimmen an das Ohr.

Dem Schalle nach, der ferner bald, bald näher
Sich auf den schwanken Aehrenspitzen wiegt,
Geht Hildegard und folgt der Spur der Mäher,
Bis sie das Schloß erblickt, das vor ihr liegt.
Beklommnen Herzens, weil sie nicht schon eher
Zurückgekehrt, den steilen Felspfad fliegt
Sie schnell empor und stiehlt sich auf den Zehen
In ihr Gemach, als wäre nichts geschehen.

Sie wagt nicht mehr, zur Gräfin hinzutreten;
Vom Fenster – denn sie findet keinen Schlaf –
Blickt sie zum Himmel auf, dem sternbesäten,
Und denkt an Jenen, den sie draußen traf;
Ach, Alle, die um ihre Hand gebeten,
Der Herzog von Burgund, vom Rhein der Graf,
Was sind sie neben diesem Einen, Lieben,
Dem sie ihr Herz für immerdar verschrieben?

Zu ihr eintritt die Mutter in der Frühe,
Die tief entschlummert seit dem Nachmittag
Gelegen hat und schon mit leichter Mühe
Nach solcher Stärkung aufzustehn vermag.
Zwar sieht, wie roth der Tochter Antlitz glühe,
Die Gräfin wohl, doch forscht dem Grund nicht nach
Und ahnt, was ihr bis in die tiefsten Schichten
Die Seele umgewandelt hat, mit nichten.

Doch als nun Hildegarde von dem Gange,
Der Tag für Tag ihr in den Abendstunden
Verstattet war, mit immer bleichrer Wange
Heimkam, weil sie den Fremdling nicht gefunden,
Den lieblichen, da ward der Alten bange,
Sie suchte das Geheimniß zu erkunden,
Das Jene barg; allein die Tochter schwieg
Und sank aufs Lager fiebernd, welk und siech.

Zuletzt, bestürmt von vielen Fragen, spricht
Das Mädchen so zur Gräfin, die indessen
Vollends genesen: »Mutter, schilt mich nicht!
Durchs Kornfeld hab' ich, des Befehls vergessen,
Den du gegeben, jüngst beim Abendlicht
Noch einen Gang zu machen mich vermessen;
Doch nicht die Roggenmuhme – auf mein Wort! –
Nein, einen schönen Jüngling traf ich dort.

»So zart, so lieblich wie die Blüthendolde,
Wenn Frühlingswind den ersten Duft ihr raubt,
Und fast durchsicht'gen Leibes war der Holde,
Man muß es sehen, daß man daran glaubt;
Hell schimmerte die Flur im Abendgolde,
Doch heller noch auf seinem Lockenhaupt
Das Diadem – ein Wesen hohen Standes
Schien er zu sein, ein Prinz des Feenlandes.

»O Trauter,« schluchzt sie weiter, »einzig Lieber!
Was flohst du denn und ließest mich zurück?
Nimm mich mit dir zu deinem Reich hinüber!
Aug Erden ist mir ohne dich kein Glück.«
Die Gräfin glaubt, sie rede nur im Fieber,
Und ruft den Arzt, der schon sein Meisterstück
An ihr gemacht, die Tochter herzustellen;
Doch nichts will den getrübten Geist erhellen.

Aufs Schloß dann rief, der Tochter Gram zu bannen,
Das Landvolk sie zum lust'gen Mummenschanz;
Der Jäger kam mit grünem Reis der Tannen,
Der Schnitter mit dem blauen Erntekranz,
Und Winzer schwangen, mostgefüllte Kannen
In Händen, mit den Dirnen sich im Tanz;
Wie Gnomen huschten zwischen all den Scherzen
Bergknappen mit den lohen Grubenkerzen.

Umsonst; der Winter naht mit Schnee und Eis,
Und nun verheißt, da alle Mittel scheitern,
Die Gräfin Dem der Tochter Hand als Preis,
Der es vermag, den Sinn ihr zu erheitern.
Mit Fahnen wird die Burg geschmückt, als sei's
Für ein Turnier, und bald hat von den Reitern
Und Reis'gen, die ihr Glück versuchen wollen,
Die Brücke nicht mehr Rast in ihren Rollen.

Es naht sich von dem sonn'gen Küstenstreifen,
Wo Lieder in der schönen Sprache d'Oc
Inmitten goldner Pomeranzen reifen,
Der Troubadour mit schwarzem Haargelock;
Ihm tragen Cither, Pickelflöt' und Pfeifen
Jongleure nach. Wie aus dem Bienenstock
Durch sonnenhelle Au'n die Bienen schwärmen,
Summt durch die Säle hin das lust'ge Lärmen.

Vom Rhein, vom Neckar kommen Ritter viel
Und Pagen hinterdrein mit goldnen Ringen,
In denen Falken sich beim Glockenspiel,
Das jene schlagen, auf- und niederschwingen.
Der Gaukler wirft die Kugel nach dem Ziel
Und läßt zum Schellenklang die Affen springen;
Allein kein Schwank, kein Schall der Tamburine
Lockt nur ein Lächeln in des Mädchens Miene.

So lassen wir sie denn in ihrer Trauer
Und schaun nach Dem, der ihren Gram erregt,
Wie ihn der Lichtstrahl, auf dem Regenschauer
Den Bogen wölbend, durch den Himmel trägt.
Zum Bild der Trübsal hat seit Mondendauer
Ihn ungestillte Sehnsucht umgeprägt,
Nachdem er oft mit stets getäuschtem Hoffen
Den Platz gesucht, wo er die Maid getroffen.

Wo jene Grafschaft, die das Mädchen barg,
Gelegen sei, er wußt' es nicht von ferne,
Denn daß in der Statistik Deutschlands karg
Des Prinzen Wissen war, gesteh' ich gerne;
Nur tadl' ihn, Leser, deshalb nicht zu arg!
Die Hand aufs Herz! verhängten mir die Sterne,
Nach Laubach oder Reifferscheid zu reisen,
Vermöcht'st du, mir den Weg dahin zu weisen?

Die Fürstin fragt umsonst: »Was hast du, Kind?«
Doch nur der stumme Gram in seinen Zügen
Gibt Antwort ihr, und was sie auch ersinnt,
Den Prinzen zu zerstreuen, zu vergnügen,
Sein Ohr bleibt Allem taub, sein Auge blind.
Sie eilt von Ort zu Ort in schnellern Flügen
Und mahnt, um seinen Kummer so zum Schweigen
Zu bringen, ihn nun selbst, hinabzusteigen.

Hinunterdeutend von den luft'gen Zinnen,
Spricht sie: »Da liegt der goldne Orient,
Wo noch das Licht so wie beim Weltbeginnen
In ungetrübter Flammenglorie brennt
Und Feen jene duft'gen Netze spinnen,
Die man auf Erden Morgenträume nennt;
Flieg, Sohn, hinab, um eine ihrer Maschen,
Die dir zum Spiele diene, zu erhaschen!

»Auch lausche dort am Rande der Cisternen,
Ob nicht dein Ohr verschollne Lieder höre!
Geheimnisse aus fernsten Zeitenfernen
Bewahren drunten noch die Nixenchöre;
Vielleicht wirst du den Zauberspruch dort lernen,
Wie man die goldne Zeit zurückbeschwöre,
Da noch der rauhe Zwiespalt nicht den Frieden
Der Menschen- und der Geisterwelt geschieden.«

Die Fürstin so; doch trüb bei ihren Reden,
In Sehnsucht nur versunken, saß ihr Sohn,
Indessen unter ihm wie Sommerfäden
Die Bergeszüge und die Ströme flohn.
»Dort,« spricht die Mutter, »liegt der Garten Eden!
Hörst du den murmelnden, den leisen Ton,
Mit dem die Paradiesesquellen rauschen?«
Er aber will nicht sehen und nicht lauschen.

Vorüber dann an Magog und an Gog,
An Chiva's Wüste, wo das Leben dorrt,
Am Arimaspen-Land, wo Greife noch
Des frühsten Märchenalters Zauberhort
Behüten; an dem ehrnen Bergesjoch,
Durch das nach West und Ost und Süd und Nord
Die Völkerströme sich ergossen haben,
Führt Claribelle den betrübten Knaben.

Sie zeigt ihm – aber nichts schafft ihm Behagen –
Jenseits des fabelhaften Garamant
Die Atlas-Säulen, die den Himmel tragen,
Und jenes nie entdeckte Wunderland,
Wo eisbekrönt die Mondgebirge ragen,
Von denen, wenn im scheitelrechten Brand
Der Tropensonne ihre Gletscher schmelzen,
Des Nilstroms Wogen sich herniederwälzen.

Als aber Alles das ihm nicht den todten,
In sich versunknen Geist erwachen läßt,
Entsendet Claribelle ihre Boten
Und ruft die luft'gen Geister sich zum Fest;
Sie läßt von Osten her die morgenrothen,
Läßt sich die duft'gen Wolken, die der West
Mit Golde stickt, und von den beiden Polen
Die sterndurchflimmerten Gewölke holen.

Und siehe, hier gewirbelt vom Orkane,
Wie welke Blätter auf dem Katarakt,
Dort sanft vom Wind geschaukelt, gleich dem Kahne,
Der auf dem Strom sich wiegt beim Liedertakt,
Ziehn sie heran; ein Genius schwingt die Fahne
In jedem Wolkenschiffe, buntbeflaggt,
Und huldigend mit ehrfurchtsvollem Grüßen
Senkt sie ein jeder zu des Prinzen Füßen.

Und viele sonst noch nahen, luft'ge Schemen,
Mit Weihespenden ihm und Opferschalen:
Es naht die Mitternacht mit Diademen
Von Eiskrystall, durchflammt von Nordlichtstrahlen;
Der Morgen bringt ihm Myrrhen dar aus Jemen,
Der Abend Früchte aus Hesperiens Thalen,
Und ihm der Mittag randgefüllte Vasen
Voll Schattenduft der grünendsten Oasen.

Doch ob der Regenbogen auch in schwanker
Bewegung beben mag bei dem Gewühl,
Stumm an der Fürstin Seite liegt ihr kranker
Betrübter Sohn auf seinem Nebelpfühl.
Wohl gleich der Bucht, wo Schiff an Schiff die Anker
Geworfen, glänzt die Luft vom Wimpelspiel,
Es jauchzt der Donner wohl in lust'gen Schlägen,
Allein zum Lächeln kann ihn nichts bewegen.

Die Fürstin denkt zuletzt: »In solcher Weise
Währt nun sein Kummer schon der Monde drei;
Kein Mittel bleibt, als eine Erdenreise,
Vielleicht macht die ihn von dem Kummer frei.«
Die Blicke wirft sie prüfend rings im Kreise,
Wer für ihn tauglich zum Begleiter sei;
Da fällt auf Troll von ungefähr ihr Auge,
Sie glaubt, daß der zu solchem Posten tauge.

Weltmann, dem keiner gleichkommt an Vollendung,
Hofmarschall, wie er sein soll, Excellenz
Ist dieser Troll; ihm haben mit Verschwendung
Die Fürsten all des luft'gen Elements
Die Brust besternt bei mancher wicht'gen Sendung.
Er hört der Herrin Wort mit Reverenz
Und spricht, sich tief verneigend: »Meine Wenigkeit
Erstirbt wie stets in tiefster Unterthänigkeit.

»Doch unmaßgeblich zu erwägen bitt' ich,
Ob Ihr uns besser nicht die Reise spart;
Zum Hof des Nordlichtkönigs mag der Fittig
Uns lieber tragen; das verlohnt die Fahrt,
Denn höflich sind die Damen dort und sittig,
Die Cavaliere fein von Lebensart;
Ja, hätte selber ein Entdeckungszug
Nach Wolkenkukuksheim nicht Reiz genug?

»Weh aber Dem, der drunten auf der plumpen,
Der garst'gen Erde, ein Verbannter, irrt!
Vielleicht, daß aus dem ungeschlachten Klumpen,
Drauf Wasser, Land sich durcheinander wirrt,
Durch Roden, Bergabtragen, Moorauspumpen
Nach tausend Jahren was Gescheidtes wird,
Doch jetzt – kein Stern, ob wandernd oder fix,
Lohnt minder sich, als sie, nur eines Blicks.«

Die Fürstin spricht: »Hofmarschall! sorgt mir nur,
Daß er die Menschen flieht, die so berüchtigt!
Doch, was die Kunst erschaffen, die Natur,
Erheitern wird es ihn, wenn er's besichtigt;
Im Osten leuchtet hell der Luftazur,
Und jeden Nebel hat der Wind verflüchtigt;
Dort steigt hinab! doch Eins schärf' ich euch ein,
Vor Nacht stets müßt ihr wieder oben sein!«

Hinunter also fliegt der Prinz; bedächtlich
Und zögernd folgt der Mentor wider Willen;
Die Aussicht nur, zu Hof und Haus allnächtlich
Zurückzukehren, tröstet ihn im Stillen.
Daß Alles auf der Erde ganz verächtlich,
Ist einmal eine seiner alten Grillen,
Allein aus Amtspflicht trotz des unverhohlnen
Mißmuthes folgt er seinem Pflegbefohlnen.

Von Berg zu Thal, Gefilde zu Gefilde
Ziehn, flügelschnell getragen, Beide hin;
Doch für des Südens Schmelz, des Nordens wilde
Felsschlünde achtlos bleibt des Prinzen Sinn,
Er späht nur nach dem theuren Menschenbilde,
Nach seines Herzens holder Eignerin –
In seinem Busen lebt sie unvernichtbar,
Warum dem Blick nur ist sie nirgend sichtbar?

Seit früh, sobald die Sterne nur erblaßt,
Irrt er umher, die Theure zu entdecken,
Und wenn er ferneher nur einen Mast
Auftauchen sieht auf ödem Meeresbecken,
Hinab sich läßt er auf den Bord in Hast
Und denkt: »Vielleicht hier mag sie sich verstecken.«
Da auf dem Land er nirgendwo sie trifft,
Kann es nicht sein, daß sie das Meer durchschifft?

»Durchlaucht!« – seufzt Troll – »warum all diese Schooner,
All diese Kutter nur durchforscht Ihr so?
Nach oben kommt! Der feine Luftbewohner
Wird doch hier unten nie des Daseins froh.
Dies Meeresblau, was wäre monotoner?
Wie plump sind diese Felsen nicht, wie roh!
Für alle wäre nöthig erst ein Hobel;
Nichts find' ich hier, was elegant und nobel.«

Doch Rosikler floh sonder Rast von hinnen,
Die Länder all durchforschend und die Städte:
Hoch auf die Thürme schwang er sich, die Zinnen
Und wenn die Glocken riefen zum Gebete
Und mit dem Rosenkranz die Städterinnen
Zum Dome wallten, stand er da und spähte,
Bis durch das Thor die letzte eingegangen;
Dann mehr vor Gram noch bleichten seine Wangen.

Bald an des blauen Mittelmeers Gestaden,
Wo hoch zum Klippenstrand die Woge schäumt
Und unter Zweigen, goldfrucht-überladen,
Amalfi's Hirt die Mittagszeit verträumt,
Bald in dem Wunderthal von Berchtesgaden,
Wo Almengrün den Königsee umsäumt
Und Heerdenläuten tönt in allen Winden,
Glaubt er die theure Hildegard zu finden.

Im schönen Spanien, wenn Klang von Cithern
Und Mandolinentöne und Gesang
Aus immergrüner Myrtenlauben Gittern
Ans Ohr ihm hallten, leicht hernieder schwang
Er sich und forschte durch der Blätter Zittern
Nach der geliebten Maid erwartungsbang;
Doch Augen, ihren gleich an Himmelsbläue,
Er fand sie nirgend und entfloh aufs Neue.

Troll sprach: »Da habt Ihr's! Unter diesen Wimpern
Ist nichts zu sehen, als ein häßlich Braun!
Und das Guitarrenspiel, welch kläglich Stümpern!
Man muß ein Mensch sein, um es zu verdaun.
Hört man dies Singen, dieses Saitenklimpern,
Fürwahr, man sollte glauben, daß nicht Fraun,
Nein, daß in Spaniens vielgepriesnen Gärten
Sich Katzen producirten in Concerten.«

Von Ost nach West, von Süden bis nach Norden
So haben jene Zwei durchschweift die Welt.
Einst Abends da, nicht fern des Rheines Borden,
Die noch der letzte Sonnenschein erhellt,
Sieht Rosikler (neu ist es Herbst geworden)
Zu Füßen sich ein reifes Erntefeld –
Das ist der Platz, der langgesuchte Platz;
Ihn finden wird er hier, den Herzensschatz.

»Prinz, Prinz, was sucht Ihr dort? Kommt doch nach oben!
Spät wird's; gefährlich drunten ist die Nacht!«
Rief Troll, der sich behende schon erhoben;
Doch Rosikler, nicht hatt' er dessen Acht.
Ob Dämmrung auch die Erde schon umwoben,
Hernieder ließ er sich mit Unbedacht,
Und bald auch sah er vor sich die Ersehnte,
Wie sie das Haupt an eine Garbe lehnte.

O herrlich Ziel der langen Erdenfahrt!
Reich nun belohnt ist ihm jedwede Mühe.
Auch Hildegarden, da sie ihn gewahrt,
Ist's, als ob neu die Welt um sie erblühe.
Doch, war' er nicht ein Traumbild, er, so zart,
So duftig wie der Nebel in der Frühe,
Wenn auf Gebirgeshöhn, in Thalgefilden
Der Sonne erste Strahlen ihn vergülden?

Die Beiden stehen, Blick in Blick verloren,
Und stammelnd spricht der Prinz: »Geliebte Braut!«
Doch dringt kein Klang zu Hildegardens Ohren,
Unhörbar bleibt für sie der Geisterlaut.
Da, während sich die Lüfte trüb umfloren
Und nächt'ger Schatten schon auf Erden graut,
Bebt plötzlich Rosikler, so wie zu rauher
Herbstzeit die Blüthen in des Nordwinds Schauer.

Zu spät! zu spät! Dahin die Sonnenhelle,
Und leben kann er nur in ihrem Licht;
Allein wie festgebannt an jene Stelle,
Blickt er der Theuern in das Angesicht.
Bis an das Herz strömt ihm die eis'ge Welle,
Er neigt das bleiche Haupt, sein Auge bricht;
Das Mädchen wirft sich über ihn und jammert,
Doch nur ein Schattenbild hält sie umklammert.

»O du,« ruft sie, »kaum faßbar unsern Sinnen –
Was flohst du, da ich eben dich erblickt?
Nun fühl' ich Todesschauer mich durchrinnen,
Doch klag' ich nicht; wer ward wie ich beglückt?
Dies Leben, das mit dir du nimmst von hinnen,
Ein Strahl aus deinem Reich hat es durchzückt,
Und wenn auch kurz nur, hab' ich hochbegnadet
In seinem reinen Lichtglanz mich gebadet.«

* * *

Die Gräfin hatte, weil Gewitter drohte,
Angstvoll der Tochter Rückkehr längst erharrt;
Da ward nach Mitternacht von ihr ein Bote
Entsandt, zu suchen ihre Hildegard.
Er kam aufs Erntefeld und sah die Todte,
Die Stirn am Boden liegend, bleich, erstarrt,
Verschlungen ihre Arme, und ihr Haupt
Mit einem Kranz von welkem Mohn umlaubt.

An ihrer Seite, also geht die Märe,
Stand, über sie die Arme hingestreckt,
Ein graus'ges Weib; weit starrte in das Leere
Ihr Auge, halb in schwarze Brau'n versteckt.
Als ob ihm Belzebub erschienen wäre,
Kehrt heim vom Feld der Bote, tieferschreckt,
Und sagt, indem er sich bekreuzt und segnet,
Die Roggenmuhme sei ihm dort begegnet.


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