Ferdinand von Saar
Wiener Elegien
Ferdinand von Saar

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XV.

            Wieder leuchten die Kuppeln, beschienen von wärmerem Strahle,
    Und in mildestem Blau breitet der Himmel sich aus.
Sonnige Lüfte umkosen das Antlitz der wandelnden Menschen,
    Frühlingshütchen zur Schau tragen die Schönen bereits.
Duftende Veilchen verkauft man und zarte, goldige Primeln,
    Mit verlangendem Griff strecken die Hände sich aus.
Woche vor Ostern, du stillste des Jahres, wie bist du belebt doch!
    Kirchen- und Gräberbesuch füllen die Straßen der Stadt.
Schaulust drängt sich in Scharen zum Auferstehungsgepränge:
    Fahnen, Posaunen, Gesang, funkelnder Priesterornat. –
Ich doch wandle hinaus ins Freie und suche die Pfade,
    Die zum Kahlengebirg führen allmählich hinan.
Weiter und weiter erschließt sich im Kreise die liebliche Landschaft;
    Dort schon schimmert der Strom, schimmern die knospenden Aun.
Tiefes Schweigen ringsum; nur von noch scholligen Feldern
    Schwingt sich mit Jubelgesang einsam die Lerche empor.
Blühende Bäume umfrieden vereinzelte stille Gehöfte,
    Und in bräutlichem Schmuck stehen die Büsche am Rain.
Endlich ist sie erreicht die Fernen eröffnende Stelle,
    Wo ich als Knabe bereits schwelgenden Auges geweilt.
Dort eine Bank auch – vielleicht noch dieselbe! Nun ruh' ich im Anblick.
    Hehr aufschauert in mir wonniges Heimatgefühl.
Ja, da bin ich im Herzen der alten, der herrlichen Ostmark,
    Deren Banner einst stolz flatterte über dem Reich –
Über dem Reich, von dem sie getrennt nun, beinahe ein Fremdling:
    Östreichs Söhne, man zählt kaum zu den Deutschen sie mehr.
Aber nicht deshalb neig' ich die Stirn jetzt in bangender Trauer,
    Weil du, mein Vaterland, ganz auf dich selber gestellt.
Proben kannst du die eigenste Kraft, die Kraft des Gerechten –
    Und es sinkt und es steigt ewig die Woge der Zeit.
Aber, o Schmerz! Du bist auch getrennt von den eigenen Gliedern,
    In Verblendung, mit Haß wüten sie gegen das Haupt.
Doch du bist noch, o Wien! Noch ragt zum Himmel dein Turm auf,
    Uralt mächtiges Lied rauscht ihm die Donau hinan.
Und so wirst du bestehn, was auch die Zukunft dir bringe –
    Dir und der heimischen Flur, die dich umgrünt und umblüht.
Sieh, es dämmert der Abend, doch morgen flammt wieder das Frührot –
    Und bei fernem Geläut' segnet dich jetzt dein Poet.

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