Ferdinand von Saar
Wiener Elegien
Ferdinand von Saar

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XI.

            Nun umwallen die Stadt schon dicht sich senkende Nebel,
    Und aus dem düsteren Grau rieselt der Regen herab.
Kotig die Straßen und triefend die Dächer; verdrossen und fröstelnd,
    Unter dem schützenden Schirm, hasten die Menschen dahin.
Aber die Blumen, die draußen verwelkt auf unwirtlichen Fluren,
    Hier jetzt blühen sie auf, zahllos zu Kränzen gereiht.
Wehmut duftet und haucht ringsum aus Zierden für Gräber;
    Spenden der Liebe empfängt, was schon vermodert zu Staub.
Ich auch pilgre hinaus auf den einsam gelegenen Friedhof,
    Der seit langem bereits Särgen sich nicht mehr erschließt.
Teuerstes ruht mir dort! Doch nicht bei vertrautesten Gräbern
    Bloß, in Trauer versenkt, weil' ich, gefeuchtet das Aug':
Nein, an Zypressen vorbei, durchwandl' ich die Reihen der Hügel,
    Welche gedenkende Pflicht immer noch blühend erhält;
Lese die Kunde des Tods auf ragenden Steinen und Kreuzen –
    Weiter und weiter zurück leitet verwitternde Schrift;
Leitet zurück ins verfloßne Jahrhundert – zu brüchigen Mälern
    Solcher, die man hier einst stolz längs der Mauer begrub.
Würdigste Männer und Fraun. Und doch, wer nennt sie noch heute?
    Wer gedenkt noch der Zeit, da sie gelebt und gewirkt?
Bis auf die Namen vergessen fast alle die ältren Geschlechter,
    Und es liegt kein Kranz mehr auf der schweigenden Gruft.
Aber dem Enkel geziemt's, daß er die weihende Träne
    Mit andächtigem Sinn diesen Entschlafenen zollt.

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