Ferdinand von Saar
Wiener Elegien
Ferdinand von Saar

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VIII.

            Oft auch, wenn mit rötlichem Schimmer der Abend hereinbricht
    Und aufatmet die Stadt, wandl' ich betrachtend umher;
Wandle nach rechts hin, oder nach links hin durch jene Bezirke,
    Die sich im Laufe der Zeit, wachsend zum Ganzen vereint.
Sieh, da sind sie ja noch, die Vorstadtstraßen, die alten,
    Die jetzt mit schwellender Fracht klingelnd die Trambahn befährt.
Freilich prunken auch sie schon mit neuem und neuestem Wesen,
    Aber ich spüre den Hauch früherer Tage darin.
Frohsinn herrscht hier noch, es wartet der Segen der Arbeit,
    Die den Genuß nicht verwehrt, weil man sie reichlich belohnt.
Satte Gesichter ringsum, beleibte Männer und Frauen,
    Rosige Mädchen und hold blühendes Kindergeschlecht.
Doch je weiter ich schreite, je mehr verwirrt sich der Anblick;
    Menschen in steigender Zahl, aber auch wüster das Bild.
Wimmelnd bevölkert sind Gassen und Häuser, aus zahllosen Fenstern
    Blicken die Sorgen und Mühn ärmlichen Lebens hervor.
Hier, in billigster Miete, wohnt eng der kleine Beamte,
    Haust bescheidene Kunst, emsig bei Tag und bei Nacht;
Hier erwirbt auch die Frau, es erwirbt die älteste Tochter,
    Ob sie die Feder bereits, oder die Nadel noch führt.
Kleine Fabriken gewahrt man, das kleine und kleinste Gewerbe,
    Das verdrossen und stumpf lebt von der Hand in den Mund.
Aber der Krämer gedeiht, es gedeiht der schmunzelnde Gastwirt,
    Dem das Gartenlokal immer des Abends gefüllt. –
Doch schon weist sich die Not im härtesten Kampf um ein Dasein,
    Das, des Atmens nicht wert, dennoch Befriedigung heischt.
Sieh nur die Häuser! Neubauten mit rissigen, bröckelnden Simsen;
    In noch feuchtem Gelaß richtet das Elend sich ein.
Nieder schlägt sich der Rauch aus ragenden Schloten der Arbeit,
    Welche Maschinen zunächst, aber auch Hände verlangt.
Düster färbt sie den Himmel, die Mauern, die Menschen und treibt sie
    Zu ingrimmigem Haß, weil sie verzehrt, nicht ernährt.
Blick' in die Buden und Schenken! Bestäubte, verdorbene Waren,
    Die der Hunger verschlingt, wenn er zu zahlen vermag;
Koste die Jauche des Biers in trüben und schartigen Gläsern,
    Prüfe den schillernden Wein, der nie die Kelter gesehn!
Kann es verwundern, wenn endlich das Gift betäubenden Fusels
    Alkoholisch den Geist und die Gemüter entflammt?
Schaudernd empfind' ich es jetzt: in stolzen Palästen nicht – hier nur
    Webt sich dein Schicksal, o Wien – webt sich das Schicksal der Welt!

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