Ferdinand von Saar
Wiener Elegien
Ferdinand von Saar

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IX.

              Dich auch seh' ich jetzt wieder, du liebes, du freundliches Döbling,
    Das ich vor Jahren begrüßt als ein erwünschtes Asyl.
Damals warst du ein Dorf mit stillen, sonnigen Gassen,
    Wo sich der Wiener Quirit wohlige Häuser gebaut:
Schmucklos, aber bequem, mit fest gegründeten Mauern,
    Lauschigen Gärten, die traut sich ineinander verzweigt.
Heute gehörst du zur Stadt und hast dich danach auch verändert;
    Kaum zu erkennen mehr bist du dem nahenden Blick.
Wo ist die Reihe der Linden, die einst vom Linienwalle,
    Kühlend und duftend zugleich, mich dir entgegengeführt?
Wo, zur Rechten, das Feld, das ausgedehnte, umplankte,
    Drin Cyanen und Mohn wallende Ähren geschmückt?
Ach, verschwunden der Reiz des ländlichen Anblicks! Es ragen
    Nüchtern, einförmig und hoch neue Gebäude empor.
Baugrund wurde der Acker, und das Geleise des Tramway
    Fällte die säuselnde Pracht schattiger Wipfel schon längst.
Aber getröste dich, Herz! Noch weiß ich Gassen zu finden,
    Die sich auch heute gewiß, was dich erfreute, bewahrt.
Sieh: da stehen ja schon und grüßen bekanntere Häuser –
    Manches darunter, das jetzt holdes Erinnern mir weckt.
Freilich haben dazwischen gedrängt sich putzige Villen,
    Türmchen- und erkerbespickt, wie's die »Moderne« verlangt.
Hier auch die jüngste der Straßen, geführt durch verwüstete Gärten –
    Und, o Himmel, dort spreizt, riesig, sich gar ein Palast!
Aber er stört mich nicht mehr; denn schon gewahr' ich der Kirche
    Taubenumflattertes Dach – sehe ein reinliches Haus:
Schimmernd getüncht, mit zwei Stockwerken, die Reihen der Fenster
    Jalousienverhüllt gegen den sengenden Strahl.
Ja, ich kenn' es genau. Dort oben in einsamer Stube,
    Dürftigem Hausrat gesellt, träumte und sann der Poet;
Sann und blickte dabei auf ein Meer von grünenden Wipfeln
    Und auf die Türme der Stadt, die in der Ferne verschwamm.
Selige Qualen des Schaffens und selige Qualen der Liebe,
    Bitterste Tage der Not – ach, wie erlebt' ich sie hier!
Manches hab' ich erreicht, danach ich damals gerungen,
    Und ich breche mein Brot nicht mehr in Tränen wie einst
Aber verblüht ist der Lenz, verglüht das Feuer des Sommers –
    Und das fahlere Laub raschelt im herbstlichen Hauch.

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