Ferdinand von Saar
Wiener Elegien
Ferdinand von Saar

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XII.

        Sieh, schon wirbeln die Flocken um ragende Dächer; es sausen
    Eisige Winde mit Macht durch die rings offene Stadt.
Ja, der Winter ist da! Mit ihm erschienen die Freuden,
    Welche der Städter schon längst sommerverdrossen ersehnt.
Alle Theater gefüllt, Applaus erschüttert den Tonsaal –
    Und so bewegt sich auch Wien wieder im alten Geleis.
Amt und Geschäft durchkreuzen die Straßen, auf glitschrigem Pflaster
    Humpelt der Omnibus, rast der Fiaker dahin:
Equipagen dazwischen, von stolzen Trabern gezogen,
    Halten vor jedem Palast, wo man Besuche empfängt;
Stattliche Leute zu Fuß vereint der gewohnte Spaziergang,
    Wohlig in Pelze gehüllt, schreiten sie über den Ring.
Aber vergnüglicher noch hineilen die Schönen zum Eisplatz,
    Wo der geschmeidige Wuchs sich am geschmeidigsten zeigt.
Knapp umschließt ihn die wärmende Jacke; auf braunen und blonden
    Häuptern sitzen kokett Mützen mit Zobel verbrämt.
Hui', wie fliegt sich's dahin auf leicht einritzendem Schlittschuh,
    Den mit bebender Hand knieend der Jüngling geschnallt!
Sieh nur den zierlichen Reigen! Es trennen und fliehn sich die Paare,
    Aber in reizendem Bug kehren sie wieder zurück.
Liebliches Meiden und Finden – gemeinsam wonniges Kreisen,
    Bis die Dämmerung webt um das lebendige Bild.
Aber da zuckt auch empor das elektrische Licht und umschimmert
    Magisch den spiegelnden Plan und die Gestalten darauf.
Ach, wer entfernte sich jetzt? Erstarren die Finger im Müffchen,
    Spürt auch das Näschen den Frost – lodert in Flammen das Herz.

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