Ferdinand von Saar
Wiener Elegien
Ferdinand von Saar

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VI.

          Aber so klein du auch warst, so eng umschlossen, mein altes
    Trauliches Wien: es ging Großes aus dir doch hervor!
Alles, was heute verklärt aufragt in Erz und in Marmor,
    Redend als Denkmal zum Volk, lebte und wirkte in dir.
Bargen die schützenden Wälle, die alten, schlichten Paläste
    Denn nicht Österreichs Ruhm? Österreichs Liebe und Stolz?
Fuhr Maria Theresia nicht mit Lust durch die Straßen,
    Die ihr erleuchteter Sohn oft als ein Bürger besucht?
Waren nicht heimisch in ihnen die Sieger von Zentha und Aspern,
    Denen als dritter zuletzt der von Novara gefolgt?
Wie? Und schufen in ärmlichsten Häusern nicht Haydn und Mozart?
    Nicht Beethoven und schritt mächtigen Hauptes einher?
Klangen im engeren Weichbild zuerst nicht die Lieder von Schubert,
    Dessen behäbiger Sinn nie sich ins Weite verlangt?
Und Grillparzer? Empfing er die Weihe der tragischen Muse
    Nicht im Bann der Bastei, die er stets einsam betrat?
Blickte mit schalkischen Aug' nicht Bauernfeld auf die Phäaken,
    Während in Raimunds Gemüt still der »Verschwender« entstand,
Lenaus melodische Schwermut die Herzen ergriff und entzückte –
    Und Grüns Lerchengesang schmetterte über der Stadt?!
Scheltet mir nimmer Altwien, ihr Neuern, und lasset euch sagen.
    War es ein Capua auch, war es doch keines des Geists.

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