Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel

Als Helmstedt am Nachmittage den Sheriff verlassen und das Rocky-Creek-Haus erreicht hatte, war seine erste Frage nach dem jungen Menschen gewesen, welcher am Morgen mit Mr. Wells hier angekommen sei; aber da war niemand, der etwas wissen wollte, kaum daß ihm überhaupt eine Antwort gegeben wurde. Als aber Mr. Helmstedt ungeduldig den Wirt, der ihn eben mit einem halben Wort abspeisen wollte, kräftig beim Arme festhielt und ihm erklärte, daß hinter den nächsten Büschen ein Mord begangen worden, daß der Mann, welcher sich Wells nenne, sich bereits als den Mörder bekannt habe und in der Gewalt des Sheriffs sei, daß dieser letztere ihn hierher sende, um Leute zur Bewachung der Leiche zu fordern und den jungen Begleiter des sogenannten Wells unter seine Obhut zu nehmen, als die anwesenden Gäste wie die Hausbewohner sich bei Helmstedts lauter Erzählung um die Sprechenden gruppierten, da hatte der Wirt andere Saiten aufgezogen. Er hatte zwar überhaupt von einem Manne, der Wells heiße, nichts wissen wollen, aber wenn es derselbe Fremde sei, der am Morgen angekommen, so überlasse er es Helmstedt selbst, in dessen Zimmer nachzusehen. Damit hatte er ihm einen Schlüssel eingehändigt und zwei von seinen Leuten nach dem von dem jungen Manne bezeichneten Platze gesandt, denen alles, was sonst noch im Hause Beine hatte, nachgeströmt war. Helmstedt hatte das ihm vom Wirte bezeichnete Zimmer geöffnet und dort wirklich einen halberwachsenen Knaben auf dem Bette liegend und in einem Buche lesend getroffen, der indessen hei seinem Anblick überrascht aufgesprungen war. »Kennen Sie mich noch, Manuel?« hatte der Eintretende, langsam auf ihn zugehend, gefragt, aber ein zweifelndes Kopfschütteln war nur die Antwort gewesen. Da hatte sich Helmstedt neben ihn auf das Bett gesetzt und ihn an die Zeit erinnert, wo er ihn als kleinen Pedlar mit seinem zertrümmerten Krame am Broadway in Neuyork getroffen, hatte dem Knaben dann mitgeteilt, was dessen Oheim, der alte Isaak Hirsch, für ihn selbst getan, und wie er ihn bei seinem Tode zum Vormund Manuels eingesetzt, hatte diesem dann eine Übersicht der Betrügereien gegeben, deren Opfer er geworden war, und ihm erzählt, wie jetzt die rächende Hand über seinen Entführer gekommen sei. Der Knabe hatte mit großem, verständigem Auge der Erzählung zugehört, er hatte Helmstedt lange betrachtet und endlich gesagt, er erinnere sich seiner und auch dessen, was sein Oheim Isaak immer von Helmstedts Rechtschaffenheit gesprochen; er habe schon längst Verdacht gegen Seifert gehegt, der ihn von einem Orte zum anderen mitgenommen, immer unter dem Vorgeben, ihn dem alten Isaak, der ihn bei sich haben wolle, nachzuführen, ihn oft wochenlang an einem Ort unter Aufsicht anderer Leute gelassen, ihn aber immer gut behandelt habe und allen seinen Wünschen nachgekommen sei, so daß er sich endlich gar keinen rechten Grund für eine Unredlichkeit gegen sich habe vorstellen können. Manuel hatte dann angelegentlich gefragt, wo und wie der alte Pedlar gestorben, und Helmstedt hatte von allem, was er wußte, Bericht gegeben, wie auch dem Knaben versprochen, ihn die letzten Zeilen seines Oheims lesen zu lassen, sobald sie nach der Stadt kämen. Manuel hatte sichtlich bald volles Zutrauen zu ihm gewonnen und war mit ihm nach dem Wartezimmer des Wirtshauses gegangen; und als in den Gespräches und Ausrufen der von dem Schauplatz des Mordes zurückgekehrten Menschen sich jedes Wort bestätigte, was Helmstedt über die letzten Erlebnisse erzählt, als endlich der Coroner anlangte und Seiferts Reisetasche in Beschlag nahm, da rückte er, als komme eine plötzliche Furcht über ihn, dichter an Helmstedt heran und hatte sich, als Charley mit den Pferden angekommen war, bereitwillig hinter den Sattel seines Beschützers heben lassen.

* * *

Die Sonne war eben untergegangen, als Helmstedt von seiner Wohnung aus, wo er seinen Mündel unter der Obhut Charleys gelassen, den Weg nach Mortons Hause einschlug. Er sehnte sich mit ganzem Herzen, dort zu sein. Als er am Morgen Little Valley verlassen, hatte ihm der alte Doktor nur gesagt: »Sie liegt in gesundem, festem Schlafe, gehen Sie in Gottes Namen, ich stehe für alles. Sobald sie erwacht, vielleicht am Mittag, werde ich sie nach Hause schaffen lassen.« Eine Art von Furcht beschlich ihn jetzt, wenn er an sein Wiederbegegnen mit Pauline dachte. Waren die nächtlichen Szenen noch in ihrem Gedächtnis, oder waren die süßen Worte, die immerfort in seinen Ohren klangen, schon im Paroxysmus des Fiebers gesprochen? Er scheute sich, seinen Träumereien Raum zu geben, und ritt scharf vorwärts; aber das letzte Tageslicht war schon eine Weile erstorben, als er mit stiller Befriedigung die erleuchteten Fenster von Mortons Hause erblickte: sie war wenigstens zurückgekehrt.

Auf dem Vorplatze des Hauses sah er in dem Lichtscheine den zerbrochenen Vorderwagen einer Kutsche liegen – eine Erinnerung an die unglückliche Fahrt. Das scheu gewordene Tier hatte die Stücke jedenfalls nach Hause geschleift. Helmstedt band sein Pferd an und schritt nach dem Parlor, den er langsam öffnete. Doktor Ford lag dort bequem im Schaukelstuhle ausgestreckt und las in einer Broschüre.

»Sind Sie endlich da?« rief er, sich aufsetzend, als er den Eintretenden erkannte. »Entweder hat unser Kind unrecht, oder Sie haben eine lange Jagd gehabt, Sir!«

»Wie befindet sich Mrs. Morton?« fragte Helmstedt, dem Arzte die Hand reichend.

»Danach mögen Sie selbst sehen, Sir!« lachte der Gefragte; »mit solchen Naturen hat unsereins nicht lange zu schaffen. Sie sitzt in ihrem Zimmer und hat mir vordemonstriert, daß sie nicht mehr krank sei, und daß sie auf Sie warten müsse, da Sie jedenfalls hier sein würden, sobald Sie nur abkommen könnten. Das Warten ist etwas lang geworden, Sir, und jetzt mögen Sie sich verantworten.«

Helmstedt drückte in einer seltsamen Gefühlsspannung die Augen in seine Hand und wandte sich nach dem Hinterzimmer. Es war dasselbe, in welchem er die letzte Unterredung mit Morton gehabt. Er klopfte an, und die Mulattin, noch immer mit verbundenem Kopf, öffnete ihm.

Matt auf einen Diwan, der Tür gegenüber, zurückgelehnt saß Pauline und richtete sich bei seinem Eintritt mit einem hellen Lächeln der Befriedigung aus.

»Hole noch ein Licht, Mary!« sagte sie, und die Mulattin verschwand mit einer Miene voll Verständnis.

Helmstedt ging auf die junge Frau zu, sah in ihre klaren Augen und fühlte seine Brust wie eingeschnürt.

»Ich freue mich, Mrs. Morton, Sie so schnell hergestellt zu sehen!« sagte er endlich.

Sie blickte lächelnd zu ihm auf.

»Wollen Sie sich einmal zu mir hersetzen, August?« begann sie dann Deutsch und streckte ihm die Hand entgegen; »wir müssen ein paar notwendige Worte miteinander reden.«

Helmstedt faßte die kleine, weiche Hand und küßte sie – mit mehr Innigkeit, als es wohl die Konvenienz erlaubt hätte – und zog dann einen der niederen, weichen Sessel ohne Rücklehne heran, auf welchem er sich dicht neben dem Diwan niederließ. So war sein Gesicht, als sie sich wieder in ihre frühere Stellung zurücklehnte, in gleicher Höhe mit dem ihrigen.

»Wollen Sie mir wohl sagen, August, welcher Zufall Sie gestern nach Little Valley geführt hat?« sagte sie, und ihr Blick ruhte in stiller Spannung in dem seinigen.

Helmstedt sah sie einen Augenblick wortlos an.

»Zufall!« sagte er dann langsam und bemühte sich vergebens, das Beben in seiner Stimme zu unterdrücken; » muß es denn Zufall gewesen sein? Wollen Sie mir denn durchaus nicht das Verdienst gönnen, etwas aus Herzensantrieb für Sie getan zu haben?«

»Aber, August –«

»Nein, Pauline!« rief er aufspringend, »ich kann jetzt nicht in dieser förmlichen, bedachten Weise mit Ihnen reden. Sie haben mich von sich gewiesen, als ich mich Ihnen als Schützer anbot, aber ich bin doch immer im Geiste bei Ihnen gewesen und habe auf jeden Ihrer Schritte gemerkt; Sie haben mir Ihr kältestes Gesicht gezeigt, und doch war der Gedanke an Sie mein liebster und oft der einzige, der mich aufrichtete. Sie haben es mich bitter empfinden lassen, daß ich ein pedantischer Narr, daß ich blind gewesen bin, als Sie mir wie die Verheißung eines ganzen Lebens voll Glück entgegentraten; Sie haben sich ehrlich und empfindlich gerächt – und doch, Pauline,« fuhr er fort und faßte ihre beiden Hände, »doch bin ich wieder hier und gehe auch nicht mehr von Ihnen und will Ihnen jetzt das Wort abzwingen, daß Sie mich noch lieb haben wie ehedem –«

Ein wunderbares Leuchten strahlte in Paulinens Augen, als sie sich jetzt, seine Hände fest in den ihrigen drückend, langsam erhob.

»Ich habe mich rächen wollen, August?« fragte sie weich. »Konnte ich denn anders handeln, als ich es getan? Hatten Sie sich denn nicht so kalt von mir gewandt, so konsequent selbst die leiseste Freundlichkeit abgewiesen, daß ich der eigenen Selbstachtung halber alles vergraben mußte, was in mir lebte? Hatte ich denn nicht so tief gelitten, daß, als es einmal überwunden war, ich davor zurückbebte, noch einmal die alten Gefühle auferstehen zu lassen und vielleicht noch einmal in neuer Täuschung den alten Kampf durchzufechten? – Sage mir's doch jetzt, August,« rief sie plötzlich mit verdunkeltem Auge, »sage mir doch, daß du mich liebst, damit ich daran glauben lerne; sage mir's doch zehnmal, tausendmal!« und in ein schluchzendes Weinen ausbrechend, fiel sie an seine Brust.

Fest hielt sie Helmstedt umschlossen.

»Ich liebe dich, Pauline,« sagte er, zu ihrem Ohre geneigt, und der volle Drang seines Herzens zitterte in den leisen Worten; »ich liebe dich, mit meiner ganzen Seele und will es dir sagen, immer und immer, solange ich noch atmen kann!« Und als sie in Tränen lächelnd zu ihm emporsah, küßte er ihren Mund, küßte die Tränen von ihren Wimpern und sah ihr dann lange und tief in das feuchte Auge.

»Dies ist der Blick, nach dem ich mich so manchen Tag gesehnt, und von dem ich Nächte hindurch geträumt!« sagte er leise.

»Und doch kamst du heute so spät, August, obgleich du wissen konntest, wie es in mir aussah?« unterbrach sie ihn, sich in seinen Armen aufrichtend.

»Merke auf, du mißtrauisches Kind,« sagte er mit einem Lächeln des Glücks; »dafür habe ich mir aber auch die Macht erobert, alle drückenden Bande von mir zu werfen und dir anzugehören, sobald du mich nur annehmen kannst und magst.«

Er führte sie nach dem Diwan, nahm ihre beiden Hände in die seinen, und begann ihr einen Überblick seiner Verhältnisse zu Elliot zu geben; bald aber hielt er wieder inne, und seine Blicke hingen schweigenden Glückes voll an den ihrigen, bis sie, ihm mit der Hand die Augen zuhaltend, ihn an den weiteren Bericht mahnte.

So mochten sie eine Stunde Hand in Hand beieinander gesessen haben, ohne nur das rasche Schwinden der Zeit zu bemerken, als ein Pochen an die Tür sie aufstörte. Pauline eilte, zu öffnen, und Doktor Ford streckte seinen Kopf herein.

»Ich wollte nur zusehen, ob sich meine Patientin nicht zu sehr im Gespräch aufgeregt,« sagte er, mit einem Lächeln voll gutmütiger Laune eintretend; »das Kind sollte sich Ruhe gönnen und jetzt nicht stundenlange Beratungen halten.«

»Stundenlange, Doktor?« rief Pauline, leicht errötend einen Blick nach der Uhr auf dem Kaminsims weisend; »es ist kaum eine Stunde, und hat Ihnen das Kind nicht gesagt, daß es nicht mehr krank ist?«

»Jetzt glaub ich's gern,« lachte der Doktor, »und ich gehe gleich wieder, vollkommen zufrieden. – Aber«, unterbrach er sich, als das helle Rot in Paulinens Gesicht schoß, »kennt unser Kind nicht die alte Wahrheit: vor dem Arzte und den Eltern soll man sich nicht genieren? Wenn der alte Ford eine ganze Nacht am Krankenbett gesessen und alle stillen Geheimnisse, die das Fieber ausgeplaudert, in seinen Ohren aufgefangen hat, darf er dann nicht sagen, wenn sich die rechte Medizin gefunden: ich bin zufrieden?«

»Gott behüte Sie, Doktor, für Ihre Meinung von mir,« rief Helmstedt welchen ein Seitenblick des alten Arztes getroffen, und trat, diesem die Hand reichend, herzu; »nehmen Sie, was die Gesunden noch nicht gegen Sie ausgesprochen, als bereits geschenktes Vertrauen an. Wenn erst auch äußerlich vollkommen klarer Weg vor uns liegt, dann sprechen wir weiter!«

»Es ist schon recht so,« nickte Ford, »und jetzt nehmt meine Störung nicht übel; der alte Knabe war neugierig und mußte nachsehen, wie die Sachen standen.«

» Supper is ready!« (das Abendessen ist bereit) rief die Mulattin durch die halbgeöffnete Tür.

»Supper! – Jetzt erst?« fragte Helmstedt verwundert.

»Ich hatte auf dich gewartet, August,« erwiderte Pauline Deutsch, mit einem innigen Blicke zu ihm aufsehend, »und jetzt schlägst du mir es doch nicht wieder ab, hier zu bleiben?«

Es war ein seltsamer Abendtisch. Der Doktor schien in seiner rosigsten Laune zu sein und erzählte eine Schnurre nach der anderen, ohne sich darum zu kümmern, daß seine jungen Tischgenossen bisweilen kaum zu hören schienen und nur das Kichern der beiden aufwartenden Negermädchen seine Späße belohnte. Helmstedt ging wohl dann und wann auf seine Bemerkungen ein, oft aber auch saß er wie versunken in sein neues Glück, Paulinens Bewegungen beobachtend, wenn sie mit rosig aufgeblühten Wangen die Pflichten der Wirtin erfüllte; und schlug sie dann das Auge zu ihm auf, und die Blicke beider blieben tief ineinander hängen, als hätten sie ihre ganze übrige Welt vergessen, dann schien der Doktor plötzlich einen wahren Wolfshunger zu bekommen: er setzte die beiden Schwarzen in Bewegung, ihm alles, was nur von Gerichten auf dem Tische war, einzeln herzureichen, schien aber dann doch keine Wahl treffen zu können und sandte die Aufwärterinnen mit einem derben Spaß zurück, um nur, als habe er sich eines Besseren besonnen, sich dieselben Teller aufs neue reichen zu lassen. Sie hatten noch nie beim Supper so viel zu lachen gehabt, die schwärzen Mädchen, und konnten an demselben Abend in der Küche nicht genug von dem lustigen alten Doktor erzählen.

Es war spät in der Nacht, als Helmstedt die Stadt wieder erreichte, aber erst beim grauenden Morgen kam der Schlaf über ihn.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Cäsar, bereits zum drittenmal an demselben Morgen, mit dem Kaffee in seines Herrn Schlafzimmer trat, wo er diesen endlich mit offenen Augen daliegend fand.

»Schon spät, Cäsar?«

»Neun Uhr vorüber, Sir; Sie schliefen so fest, daß ich Sie nicht wecken mochte.«

Helmstedt schnellte in die Höhe.

»Ist es möglich? So lange wollte ich nicht schlafen!« rief er. »Wo ist der Knabe?«

»Er ist mit dem großen Gentleman nach dem Hotel zum Frühstück gegangen, wie Sie es angeordnet hatten, Sir; sie sind aber noch nicht zurück. In der Stadt ist so viel Aufregung, daß sie wahrscheinlich noch hören, was vorgeht.«

»Aufregung! Noch wegen des Mordes?« fragte Helmstedt verwundert.

»Ja, es ist aber noch etwas dazugekommen, Sir! Es hat geheißen, der Mörder sei ein alter Negerdieb, und schon gestern abend hatte sich ein Haufen unruhiges Volk vor dem Gefängnis versammelt, um es zu stürmen und ihn zu hängen. Da hat der Gefangene zu dem Schließer gesagt, er wolle durch das Fenster zu den Leuten reden; was er getan habe, hätte jeder andere an seiner Stelle auch getan; als aber der Schließer wegen der Negerstehlerei zu ihm gesprochen und ihm erzählt hat, daß gerade deswegen Mr. Murphy als Deputy-Sheriff beauftragt gewesen sei, ihn zu verhaften, und daß er also einen Beamten in Ausübung seiner Pflicht getötet habe, da ist er still geworden. Und heute früh, als ihm der Schließer das Frühstück bringen will, findet er ihn tot, an seinem eigenen Halstuch aufgehängt.«

»Erhängt?« rief der junge Mann mit halb entsetztem Blick.

» Yes, Sir! Und vorhin hörte ich, daß der Coroner bereits mit der Totenschau fertig geworden ist.«

Helmstedt sah dem Schwarzen noch immer ins Gesicht.

»Das ist gräßlich!« sagte er endlich wie zu sich selbst, »Laß mich jetzt allein, Cäsar,« fuhr er dann fort, »ich will aufstehen.«

»Hier ist auch noch ein Brief, Sir, den mir der Postmeister gestern abend gab!« sagte der Schwarze, auf das Kaffeebrett deutend, und wandte sich der Tür zu.

Helmstedt erhob sich langsam. Über das still-selige Gefühl, mit welchem er erwacht war, hatte sich ein tiefer Schatten gelegt. Seifert war mit seinen Erlebnissen in Amerika so verwebt gewesen, was ihm dieser zuleid getan, hatte sich so zum besten für ihn selbst gewandt, daß er nicht ohne Erschütterung das grauenvolle Ende des Menschen hatte vernehmen können. Noch eine lange Weile, nachdem er sich angekleidet, saß er, den Kopf in die Hand gestützt, in seinem Schaukelstuhl, und alle seine früheren Begegnungen mit dem Unglücklichen gingen an seinem Geiste vorüber, bis er sich endlich mit Gewalt aus diesen Erinnerungen zu reißen versuchte und nach seinem Kaffee griff. Der neben der Tasse liegende Brief kam ihm gerade willkommen, um andere Gedanken zu erhalten; es war die Antwort von Smith und Johnson, Advokaten in Neuyork, auf seine frühere Zuschrift an diese und gab ihm Klarheit über manches, was ihm bisher noch dunkel gewesen war. Der Brief lautete:

»Geehrter Herr!

In Erwiderung auf Ihre Zeilen können wir Ihnen nur anzeigen, daß allerdings eine Empfangsbescheinigung über den von Ihnen angedeuteten Besitztitel an den Deponenten Isaak Hirsch gegeben wurde, welche auch seitens des Advokaten der jetzigen Erbin, eines Mr. Murphy aus Ihrem Staate, an uns zurückgeliefert und dafür unsererseits das fragliche Dokument verabfolgt worden ist. Sie äußern, daß sich weder dieser Depositenschein noch eine Notiz darüber in dem Nachlasse vorgefunden habe; indessen scheint uns in dieser Tatsache kein besonderes Gewicht zu liegen, da das Dokument, nach verschiedenen abgegebenen Entscheidungen des Obergerichts der Vereinigten Staaten über die Gültigkeit ähnlicher Besitzurkunden, durchaus keinen Wert hat. Die Vereinigten Staaten erkennen Landverkäufe durch die Indianer nicht als bindend für sie selbst an, und wir haben deshalb auch nach unserem Gewissen dem verstorbenen Isaak Hirsch den Rat erteilen müssen, sich keiner Hoffnung wegen eines zu erhebenden Anspruchs auf Grund des fraglichen Besitztitels hinzugeben.

Mit Achtung

Smith und Johnson.«

Eine halbe Stunde später war Helmstedt wieder auf dem Wege nach Oaklea. »Erst reine Bahn machen, und dann glücklich sein!« klang es in ihm. Kurz vor Elliots Farm konnte er seitwärts in der Ferne Mortons Haus blinken sehen; er ließ sein Pferd eine kurze Weile im Schritt gehen und suchte sich eine Vorstellung von Paulinens augenblicklicher Beschäftigung zu machen – sie dachte an ihn, sie erwartete ihn, dessen war er sicher. Er warf einen Kuß hinüber und sprengte weiter.

Seine Ankunft mußte in Elliots Landhause bemerkt worden sein, denn kaum war er in die Nähe desselben gelangt, als auch schon ein Schwarzer ihm entgegenkam und sein Pferd in Empfang nahm. »Mr. Elliot ist in der Bibliothek, Sir!« hieß es.

Helmstedt ging den ihm so bekannten Weg und fand den alten Pflanzer allein, augenscheinlich seiner harrend. »Ich dachte Ihnen den Weg nach der Stadt zu ersparen, den Sie nach meiner gestrigen Mitteilung wahrscheinlich gemacht hätten, Mr. Elliot,« sagte der Eintretende mit einer Art von Herzlichkeit, die aus seinem inneren Glück entsprang, ohne sich an die steife Haltung des Pflanzers, mit welcher dieser ihn empfing, zu kehren, »und meinte, es sei besser, Sie einmal zu verfehlen, als daß Sie mich nicht zu Hause träfen.«

Elliot neigte wie zustimmend den Kopf. »Lassen Sie uns setzen, Sir!« sagte er.

»Ich glaube, Sir,« begann Helmstedt, nachdem er sich niedergelassen, ihm frei ins Gesicht sehend, »Ihre beiden größten Wünsche sind im Augenblicke die, meine Verbindung mit Ihrer Familie rückgängig zu machen und die Sorgen, welche Ihnen der gegen Ihr Eigentum erhobene Anspruch macht, von Ihnen genommen zu sehen. Ihre beiden Hauptverdrießlichkeiten aber sind wohl die, daß ich selbst mit der Erfüllung dieser Wünsche etwas zu tun habe, und daß Sie sich mir zu Dank verpflichtet fühlen müssen, wenn ich in bezug auf den bestehenden Anspruch das möglichste zu Ihrer Erleichterung tue. Ist das nicht so, Sir?«

Elliot hatte sich wieder steif zurückgelehnt und sah mit halb verschleiertem Auge auf den Sprechenden: »Es mag so sein, Sir«, erwiderte er kalt.

»Da es mir hiernach«, fuhr Helmstedt lächelnd fort, »auf keine Weise möglich ist, Ihnen ein unangenehmes Gefühl zu ersparen, so hielt ich es für das beste, unsere Beziehungen auf möglichst schnelle Weise zu lösen. Wenn Sie Ihrem Advokaten heute noch die nötigen Vollmachten zukommen lassen wollen, so bin ich bereit, mich morgen mit ihm in bezug auf die gewünschte Scheidung in Verbindung zu setzen. Ich habe in den nächsten Tagen eine Reise nach Neuyork zu machen, um meinen Mündel in seine Rechte wieder einsetzen zu lassen, und so könnte vorher das Nötige für die Erfüllung Ihres Wunsches getan werden.«

»Es soll geschehen, Sir!« erwiderte der Pflanzer, ohne sich zu bewegen.

»Es gibt aber bei derartigen Trennungen, wo jeder Teil zu viel Stolz hat, um irgend etwas dem anderen Zugehöriges in Besitz zu behalten, Auseinandersetzungen, die peinlich und oft gar verletzend sind«, fuhr Helmstedt fort. »Ich zum Beispiel befinde mich in dem Falle, daß ich bei vor sich gehender Scheidung alles, was mir von Ellen oder Ihnen, Sir, überkommen ist, zurückzugeben mich für verbunden halte, wenn ich nicht von Ihnen auf so vollständig gleicher Stufe behandelt werde, daß ich es vor mir selbst verantworten kann, kein Gewicht auf diesen Punkt zu legen.«

»Well, Sir, ich weiß nicht, warum Sie diese Angelegenheit jetzt berühren,« erwiderte der Pflanzer, unruhig auf seinem Stuhle hin und her rückend; »ich glaube aber, daß man schon gezwungen sein kann, jemand auf gleicher Stufe zu behandeln, wenn man sich so in seinen Händen befindet, wie ich mich wahrscheinlich jetzt in den Ihrigen.«

»Und um Ihnen zu zeigen,« fuhr Helmstedt fort, als habe er Elliots Worte überhört, »wie wenig ich mich irgendeines Vorteils, der vielleicht in meiner Hand liegt, gegen Sie bedienen mag, übergebe ich Ihnen hier einige Zeilen, die ich soeben von Neuyork erhalten, und die Sie zugleich jeder Furcht entheben werden, mir für irgendeine Rücksicht gegen Sie Dank zu schulden. Wenn Sie gelesen haben werden, mögen Sie mir gefälligst sagen, wie wir miteinander stehen.«

Elliot entfaltete mit sichtlicher Spannung den dargereichten Brief, und Helmstedt trat, während jener las, ihm den Rücken zukehrend, ans Fenster.

Es währte eine lange Weile, ehe der Pflanzer mit dem Lesen der wenigen Zeilen oder auch vielleicht mit seinen eigenen Empfindungen fertig wurde. Endlich hörte Helmstedt seinen Namen nennen, und als er sich umwandte, blickte er in Elliots Gesicht, der ihm mit dem Ausdruck derselben freundlichen Biederkeit die Hand entgegenstreckte, wie sie Helmstedt an ihm gekannt, als er noch in seinem Hause lebte.

»Ich erkenne Ihre Verfahrungsweise vollkommen an, Sir«, begann Elliot, während ihm Helmstedt langsam die Hand reichte. »Sie müssen einem Manne verzeihen, der alle Hoffnungen und alle stillen Pläne, die sich an seine einzige Tochter knüpften, durchkreuzt fand und so unter dem Einfluß eines stets gereizten Gemüts handelte. Sie haben mit diesen Zeilen nicht nur jede Sorge von mir genommen, sondern mich auch gezwungen, Sie wieder so hoch zu achten, wie ich es nur jemals früher vermocht habe. Wenn es Ihnen irgendeine Befriedigung gewähren kann, so will ich Ihnen sagen, daß Ellen, die stets Ihre Partei gegen mich genommen, mir eine ähnliche Szene wie die jetzige erst noch gestern vorausgesagt hat. Kann ich jetzt etwas für Sie tun,« fuhr er fort, die Hand des jungen Mannes drückend, »möchte es auch selbst mit einem Opfer meinerseits verbunden sein, so sagen Sie es, und es wird mir zu einer wohltuenden Genugtuung gereichen, Ihnen das, was in der letzten Zeit geschehen ist, vergessen zu machen!«

»Ich danke Ihnen von Herzen,« erwiderte Helmstedt mit befriedigtem Lächeln; »ich wollte nichts von Ihnen hören, als daß Sie mir unrecht getan, und damit bin ich so zufrieden, als Sie es im Augenblick nur selbst sein können. Lassen Sie uns jetzt damit scheiden, Sir, und wenn ich mit Ihrem Advokaten morgen die nötigen Schritte zur Ordnung meines Verhältnisses zu Ellen getan haben werde, so lassen Sie uns alles begraben und vergessen, was Unangenehmes zwischen uns vorgefallen sein mag! Bringen Sie Ellen meinen freundlichen Gruß, Sir, und leben Sie wohl!«

Er drückte Elliots Hand leicht und ging, von diesem begleitet, nach der Tür. Der Pflanzer sah durch das Fenster ihn in den Sattel steigen und schüttelte den Kopf wie vor einem ungelösten Rätsel. Helmstedt aber ließ seinem Pferde die Zügel und sprengte Mortons Hause zu.

* * *

Es war acht Tage später, als von Chatham-Street in Neuyork ein junger Mann mit einein halberwachsenen Knaben an der Hand nach Pearl-Street einbog. »Was meinst du wohl, Manuel, was sie sagen werden, wenn sie dich wiedersehen?« fragte der erstere.

»Ich bin bange, Sir, Muhme Rebecke bekommt einen Schrecken, der ihr schaden kann. Wir haben lange miteinander gelebt, auch in Zeiten der Not, und sie hat doch für mich gesorgt und mich liebt gehabt, wie ihr eigenes Kind; das war, ehe der alte Isaak Hirsch etwas für mich tun konnte und der Meier die Rebecke heiratete. Ich möchte nicht, daß sie mich so unerwartet wiedersieht. Machte doch schon Mr. Johnson ein paar Augen, als sähe er ein Gespenst, als Sie mich auf ihn zuführten, und ich glaube, es ist besser, wenn Sie erst in das Haus gehen und mich dann rufen.«

Der junge Mann nickte, und nach einem kurzen Wege hatten sie das Haus des Pfandleihers Meier erreicht. Der Knabe trat in das Nebengäßchen, welches nach der Hintertür des Hauses führte, und sein Begleiter wandte sich nach der Leih-Office. Ein fremdes Gesicht zeigte sich hier hinter dem Gitter. »Ich möchte Mr. Meier persönlich sprechen,« sagte der Eingetretene; »mein Name ist Helmstedt.«

»Bedauere, Sir, Mr. Meier arbeitet nur noch in Stocks (Staatspapieren, Aktien) und anderen Wertpapieren und hat die Office hier an mich vermietet«, war die Antwort. »Mr. Meier wohnt jetzt in Bondstreet, das dritte Hans vom Broadway; Sie würden ihn gerade jetzt dort antreffen können.«

Helmstedt dankte mit einiger Verwunderung und ging. Bald traf er mit seinem Schutzbefohlenen einen Omnibus, welcher sie in der bezeichneten Richtung weiterführte, und nach kurzer Zeit stiegen beide am Bondstreet aus. »Dein Vetter scheint großartig geworden zu sein,« sagte Helmstedt, kopfschüttelnd das elegante Haus, welches ihm angegeben worden war, betrachtend; »setze dich dort hinter das Eisengitter auf die Bank, bis ich dich rufe.« Er ging die steinerne Treppe nach dem Portico hinauf, unter welchem auf silberner Platte der Name »Abraham Meier« an der Tür prangte, und zog die Klingel. Ein Dienstmädchen öffnete und auf seine Frage nach dem Hausherrn wurde er in einen Parlor gewiesen, dessen Geschmack und Ausstattung zeigten, daß er von kundigerer, Hand als der frühere in Pearlstreet eingerichtet worden war. Helmstedt hatte nicht lange zu warten. Mr. Meier erschien mit steif zurückgebogenem Kopfe, ließ einen taxierenden Blick über die elegante Toilette seines Gastes laufen und deutete dann nach dem Sofa.

»Sie kennen mich wohl kaum mehr, Mr. Meier?« fragte Helmstedt; »ich war der Vormund Ihres jungen Vetters Manuel und kam gerade an dem unglücklichen Tage zu Ihnen, an welchem die Leiche in Ihr Haus gebracht worden war.«

»Ah – ich entsinne mich jetzt,« erwiderte Meier und zeigte in einem steifen Lächeln seine Zähne; »es war das ein sehr trauriger Tag. Was führt Sie zu mir, Sir?«

»Ich hatte vor kurzer Zeit mir erlaubt, eine schriftliche Anfrage an Mrs. Meier zu richten, auf welche Weise ein dem alten Isaak Hirsch gehöriger Besitztitel in ihre Hände gelangt sei, da sich dieser nachweislich in der Hinterlassenschaft nicht befunden – habe aber darauf keine Antwort erhalten.«

Meier fixierte einen Moment lang seinen Gast. »Der Brief ist allerdings angekommen,« sagte er, »ich glaube aber nicht, Sir, daß wir verpflichtet sind, auf jede Zuschrift an uns zu antworten.«

»Wie Sie das für gut befinden, Sir,« erwiderte Helmstedt, sich lächelnd verbeugend; »so haben Sie jetzt wenigstens die Güte, mich Mrs. Meier zu melden, mit welcher ich eigentlich nur zu tun habe.«

»Mrs. Meier ist jetzt nicht zu sprechen Sir!« versetzte der gewesene Pfandleiher eifrig; »was Sie mit ihr zu reden haben, können Sie ebensogut mir sagen.«

»Es tut mir leid, daß Sie mir meinen Zweck so schwer machen,« sagte Helmstedt ruhig; »ich wollte ihr aus glimpflichere Weise, als Sie es vielleicht tun könnten, beibringen, daß nicht allein die ganze Angelegenheit auf einem Betruge beruht, sondern daß auch eine schändliche Komödie mit Ihnen allen und Ihrem kleinen Vetter Manuel gespielt worden ist.«

»Wieso, Sir?« unterbrach ihn Meier mit großen Augen, als Helmstedt eine kurze Pause machte.

»Well, Sir, Ihnen gegenüber kann ich ohne Umschweife reden«, fuhr der letztere fort. »Manuel Goldstein ist unsichtbar gemacht worden, damit, soviel ich in der Sache erkennen kann, eine andere Partei sich in den Besitz des erwähnten Titels hat setzen können. Die Leiche, welche nach Ihrem Hause gebracht wurde, hatte wohl Manuels Kleider an, war aber ebensowenig die seinige wie die Ihrige; sie war nichts als ein vom Kirchhofe gestohlener ähnlicher Toter, und Manuel Goldstein ist heute noch so frisch und gesund als wir beide.«

Meier sah ihn, ohne eine Antwort zu geben, mit weit aufgerissenen Augen an. »Das – das lügen Sie, Sir!« brach er endlich aus; »das soll sicher erst der Betrug werden, von dem Sie redeten!«

In diesem Augenblicke öffnete sich die Parlortür; eine Dame, einfach in schwarze Seide gekleidet, trat mit verstörtem Gesicht ein, und ging, ohne Helmstedt zu beachten, auf Meier los. »Abraham, komm her, Abraham; ich glaube, ich bin wahnsinnig!« sagte sie mit aufgeregter Stimme und führte ihn nach dem Fenster. »Abraham, wer sitzt dort unten?«

Helmstedt, ahnend, was vorging, war an das zweite Fenster getreten und erblickte Manuel, dem es wahrscheinlich auf der ihm angewiesenen Bank in der Sonnenhitze zu heiß geworden war, und der sich jetzt von einer schattigeren Stelle aus das Haus betrachtete.

»Es ist Betrug, Betrug, sage ich!« rief Meier, auf das Fensterbrett schlagend, als er, einen Blick auf die Straße geworfen; »sie wollen uns wieder um die Erbschaft bringen, es ist ein Komplott!«

»Ist das der Manuel, der dort sitzt, oder ist er es nicht, Abraham?« fragte die Frau, wie erschöpft vor innerer Bewegung.

»Fassen Sie sich, Ma'am!« sagte Helmstedt, herzutretend, »und wenn Sie den Manuel wirklich so lieb haben, wie er sagt, so freuen Sie sich, daß Sie nur betrogen und er nicht totgeschlagen worden ist.«

Sie wandte sich nach ihm um, als bemerke sie ihn erst jetzt. »Ist er's denn?« rief sie plötzlich und riß im gleichen Augenblicke das Fenster auf. »Manuel, Manuel!« tönte ihre Stimme über die Straße. Der Knabe stand auf und blickte um sich. Kaum aber hatte sein Auge die Gestalt in dem offenen Fenster getroffen, als er mit zwei Sprüngen an der Eingangstreppe war und hinaufeilte. Fast im gleichen Momente hatte die Frau, aus dem Parlor stürzend, die Haustür geöffnet und brach hier in die Knie, als der Knabe mit dem Ausrufe: »Rebecke, Rebecke!« an ihren Hals flog. Helmstedt war nachgeeilt und führte beide nach dem Parlor zurück, wo ihnen Meier mit erdfahlem Gesichte entgegenstarrte. »Regen Sie sich nicht zu stark auf, Ma'am,« sagte der junge Mann; »nehmen Sie Ihren Vetter mit in ein stilles Zimmer und sprechen Sie sich mit ihm aus, das wird Ihnen am schnellsten die Fassung wiedergeben; ich rede unterdessen mit Mr. Meier:«

»Ich will, Sir, ich will!« entgegnete sie schluchzend und führte den Knaben, ihn umschlingend, mit sich fort.

»Well, Sir, was wollen Sie von mir? Die Erbschaft wollen Sie haben, das ist alles, deshalb sind Sie gekommen und wegen weiter nichts!« begann Meier, als sich die Tür geschlossen hatte. »Aber ich werde erst sehen, was Sie für ein Recht haben, für den Manuel aufzutreten, wenn er es wirklich ist, und ob ich nicht ebensogut ein Recht habe, sein Vermögen zu verwalten als irgendein anderer, der hierher kommt, man weiß nicht, woher, und weiß nichts wer er ist!«

»Das wird sich alles finden, Mr. Meier,« erwiderte Helmstedt lächelnd; »es sollte mich freuen, wenn ein Arrangement gemacht werden könnte, welches Ihnen eine unangenehme Veränderung Ihrer jetzigen Stellung ersparte; jedenfalls muß aber der verstorbene Isaak Hirsch seine Gründe gehabt haben, warum er Ihnen die Vormundschaft nicht übertragen hat. Ich habe das Interesse meines Mündels in die Hände der Herren Smith und Johnson, ausnehmend rechtliche Advokaten, welche Sie kennen müssen, gelegt und ihnen auch den Hauptzeugen, welcher nötigenfalls den ganzen gespielten Betrug offenlegen wird, zur Disposition gestellt, und so ist kein Grund vorhanden, Sir, daß wir uns jetzt persönlich irgendein unangenehmes Wort sagen. Lassen wir den Dingen ihren Lauf!«

» Very well, Sir, so wollen wir die Dinge abwarten; ich habe jetzt durchaus keine Zeit mehr – ich bin Ihr Diener, Sir!«

»Vorläufig, Mr. Meier,« sagte Helmstedt lächelnd, »müssen Sie mir schon erlauben, hier zu bleiben, bis ich den Manuel wieder unter meine Obhut nehmen kann. Ich glaube gern, daß ich Ihnen lästig, bin, aber ich kann es jetzt bei dem besten Willen nicht ändern.«

Meier sah ihn, die Augen bald niederschlagend, bald wieder öffnend, an. »Lästig? Ja, Sie sind mir lästig, Sir,« begann er wieder; »aber ich wünschte, Sie würden es nicht noch mehr. Können Sie nicht ein Arrangement machen, daß ich das Vermögen wenigstens in meinem Geschäfte behalte? Was tut Ihnen das? Was täte es dem Manuel?«

»Ich glaube nicht, Mr. Meier, daß irgendein rechtlicher Vormund das Geld seines Mündels zu Fondsspekulationen benutzen lassen würde«, erwiderte Helmstedt. »Zu was bedürfen Sie es auch? Hatten Sie nicht Ihr ausgezeichnetes Brot, als Sie noch in Pearlstreet wohnten?«

»Pearlstreet, pschaw!« rief der Pfandleiher, die Lippen zu einem verächtlichen Ausdrucke verziehend. »Lassen Sie sich noch ein Wort sagen! Wollen Sie einen Anteil haben an meinen Geschäften und den Manuel in meinem Hause lassen? Sagen Sie, wieviel Prozente Sie verlangen; ich geb's Ihnen schriftlich, und Sie können ein gutes Stück Geld dabei machen, Sir!«

»Es ist besser, wir reden über die Sache nicht mehr«, erwiderte Helmstedt und ließ sich bequem auf einen Stuhl am Fenster nieder.

Meier sah ihn von der Seite an und begann an seinen Nägeln zu kauen.

»Kann ich Ihnen durchaus nicht mit etwas dienen, Sir?« fragte er nach einer Weile.

»Sie würden mich verbinden, Mr. Meier, wenn Sie dem Manuel sagten, daß ich wegzugehen wünsche. Mrs. Meier kann ihn jeden Tag in der Office der Herren Smith und Johnson sehen, wo er seine Studien in der Advokatur wieder aufnehmen soll, oder auch im Hause des Mr. Johnson, der ihn vorläufig in seiner Familie beherbergen wird.«

»Well, Sir, wo logieren Sie?«

»Im Metropolitan-Hotel, Mr. Meier.«

»Ich möchte Sie heute abend noch einmal sehen.«

Um Helmstedts Mund zuckte es, als fange er an, sich zu belustigen.

»Wie sie wollen, Sir, ich werde jedenfalls zu Hause sein.«

»So will ich den Mannel rufen!« sagte Meier eifrig und verließ das Zimmer.

* * *

Ein Jahr war vergangen. Schon längst hatte Helmstedts Scheidung von Elliots Tochter stattgefunden. Diese hatte gleich darauf einen Besuch bei Verwandten im Osten angetreten, und eine lange Zeit glücklichen Stillebens war für Helmstedt gefolgt. Die Morgen hatte er in seinem Arbeitszimmer, seinen begonnenen Studien obliegend, verbracht, und es hatte Paulinens Herzen keine geringe Genugtuung gegeben, als er ihr erzählte, daß ihre eigenen Worte es gewesen waren, welche ihn auf den Gedanken einer neuen Verfolgung der juristischen Laufbahn gebracht, als sie gehört, wie treu er diese Worte in seinem Gedächtnis bewahrt gehabt. Helmstedt hatte in Neuyork ein Übereinkommen mit der Advokatenfirma Smith und Johnson getroffen, um für die Zukunft den praktischen Teil seiner Studien bei diesen zu machen; es war eine selbstverstandene Sache zwischen ihm und seiner Braut, wenn es auch noch niemals bestimmt ausgesprochen war, daß sie miteinander den Süden, in dem sie nie hätten ganz heimisch werden können, und der nur eine Reihe unangenehmer Erinnerungen für sie hatte, verlassen würden, sobald nur irgend Arrangements in bezug auf Mortons hinterlassenes Grundeigentum getroffen werden konnten. Helmstedt brachte seine Nachmittage und Abende sämtlich in Mortons Hause zu, sah die alten Kontobücher durch und rechnete oder machte in Gesellschaft des alten Doktors Ritte durch das ausgedehnte Eigentum, um einen vollkommenen Einblick in den Wert der Besitzungen zu ermöglichen. Es war eine größere Hinterlassenschaft, als er jemals geahnt, und oft nur, wenn er in Paulinens Auge sah, die ganz in ihrer Liebe zu ihm aufgegangen schien, die erst recht zu leben begann, wenn nachmittags der Tritt seines Pferdes vor dem Hause laut wurde, warf er alle Bedenken seines Stolzes beiseite, der ihm in einzelnen Stunden zuflüsterte, daß er sich doch nur durch seine künftige Frau zum reichen Manne machen lasse.

Für Charley hatte Pauline in Little Valley ein neues, bequem eingerichtetes Aufseherhaus bauen lassen, und dieser schien dort mit seiner Mary wie der Vogel im Hanfsamen zu leben. Die Schwarzen hatten einen heiligen Respekt vor seiner Körperkraft bekommen, als er einen riesigen Neger, den bei dem früheren Aufseher keine Peitsche zur Arbeit hatte bringen können, wenn er nicht gewollt, wie ein Stück Holz über die Feldeinzäunung geworfen und ihm erklärt hatte, daß, wer nicht arbeite, auch nicht essen solle, und daß, wenn der Faulenzer verhungere, er es sich selbst zuzuschreiben habe – als schon nach kurzer Zeit der Neger wie ein Bulldog, der seinen Meister gefunden, scheu herangeschlichen war und von selbst zur Arbeit gegriffen hatte. Die meisten der Schwarzen aber hingen auch, wie Doktor Ford jede Woche berichtete, wie Kinder an dem deutschen Goliath, da er mit seinem allezeit fertigen, derben Humor die Arbeiter in guter Laune erhielt; wo er nur hinkam, ein williges Ohr für jeden hatte, der seine Pflicht tat, und oft selbst die Runde durch die Hütten machte, um sich von dem Zustand der Dinge zu überzeugen. Noch war keine Peitsche in Charleys Hand gesehen worden – über die Feldeinzäunung geflogen und vom Abendessen ausgeschlossen waren freilich schon mehrere, und fast hatte es geschienen, als tue das tolle Gelächter, das bei einer solchen Gelegenheit unter den Schwarzen ausbrach, dem Beteiligten weher als alle früheren Peitschenhiebe.

»Ja, was soll es werden?« hatte bei einem gemeinschaftlichen Ritte Doktor Ford zu Helmstedt gesagt, »das Trauerjahr für unser Kind ist bald um, und Sie scheinen mir auf etwas anderes loszustudieren, als hier bei uns Baumwolle zu pflanzen.«

»Ja, was soll es werden? Wissen Sie einen Rat für uns, Doktor? Pauline und ich sind wie die Tannenbäume, wenn sie hierher versetzt werden, die unter dem milden Himmel und in dem reichen Boden wohl leben, aber niemals sich recht entwickeln können.«

»Ich habe das gewußt und mich schon eine Zeitlang damit herumgeschlagen«, hatte der Doktor erwidert. »Für den Verkauf eines so wertvollen Eigentums muß ruhig die Zeit abgewartet werden, und es zu zerreißen, wäre so jammerschade, daß ich glaube, der alte Morton würde sich darüber im Grabe umkehren. Eine sichere Verpachtung wird das vorteilhafteste für Sie sein und Ihnen mehr einbringen als vielleicht die eigene Bewirtschaftung. Ich will, damit Sie eine Sicherheit haben, die ganze Geschichte auf mich nehmen. Ich will Ihnen gestehen, daß ich einen jungen Menschen in der Welt herumlaufen habe, dem ich wahrscheinlich einmal meine paar Kapitalien vermache, und hier ist eine Gelegenheit für ihn, sich schon vorher auf die Beine zu bringen; ich denke gerade noch lange genug zu leben, um ihm, wenn er brav ist, einen sicheren Boden unter die Füße zu schaffen. Sprechen Sie mit dem Kinde, meine Garantie für das Pachtgeld wird ihr genügen, und dann ordnet die Sache für meinen Jungen so gut, als ihr könnt.«

Es war ein schweres Stück Arbeit für Helmstedt gewesen, den Auftrag des Doktors auszuführen – es war das erstemal, daß er der jungen Witwe gegenüber deren Vermögensverhältnisse berühren sollte. Aber schon bei seinem ersten Worte gegen sie, das wohl mehr gezwungen gesprochen worden war, als er es hätte verbergen können, war sie aufgesprungen.

»Jetzt kommt es, ich habe es lange ängstlich erwartet!« hatte sie gerufen. »Sage mir, August, wenn ich deine Frau werden soll, mußt du mich nicht hinnehmen mit allem Bösen und Guten, was an mir ist? Weißt du nicht, daß, wenn jetzt noch dein Stolz größer sein würde als deine Liebe zu mir, ich sterben müßte? Rede nicht ein einziges Wort zu mir über alles, was doch nun einmal so ist, und was ich nicht mehr ändern kann; verfüge darüber, verschenke, verkaufe, tue, was du willst, aber laß mich nie wieder ein Gesicht sehen wie jetzt, das mich an den unglücklichsten Tag meines ganzen Lebens mahnt!«

Es war ein Ausdruck von unendlicher Liebe, der sich in diesen letzten Worten aussprach. Helmstedt kannte den Tag, den sie meinte – den Tag, an welchem er in Neuyork ihr volles Herz in falschem Stolz von sich gewiesen, den Tag, an welchem sie nach langem Seelenkampfe sich entschlossen hatte, den alten Pflanzer zu heiraten – und Helmstedt hatte keine Einwendung mehr zu machen gehabt, hatte sie in seine Arme genommen und, sie küssend, gesagt: »Ich will dein Verwalter sein, Pauline, und also kein Wort mehr darüber!«

Einen Monat darauf hatte die stille Trauungsfeier zwischen ihnen stattgefunden, die beiden Farmen waren an den Doktor übergeben worden, und das junge Paar trat in Begleitung von Cäsar und Mary die Übersiedlungsreise nach Neuyork an.

»Es ist doch eigentlich sonderbar,« sagte der Schwarze, welcher das Gepäck auf den Wagen lud, um es nach dem Landungsplatze der Dampfboote zu bringen, zu der helfenden Mulattin; »als sich Master Helmstedt verheiratete, tat ich's auch; als ihm seine Frau fortlief, ging meine auch mit davon – jetzt hat er sich neu verheiratet und ich auch – meinst du, daß die Sachen jetzt halten werden?«

»Wenn du gescheit bist, ja!« erwiderte die Mulattin und gab ihm davonspringend einen Schlag auf den Kopf; »sonst aber kümmere ich mich nicht darum, was die Herrschaft tut, und gehe meinen eigenen Weg.«

Cäsar sah ihr mit einem fröhlichen Grinsen nach.

»Ich denke, es wird halten, bei mir wie beim Master!« sagte er dann kopfnickend und fuhr in seiner Arbeit fort.

* * *

Henry Herz hatte seine Konzerte in Neuyork angekündigt, und der Theatersaal, in dem er sich hören ließ, war schon fast eine Stunde vor dem Beginn mit der fashionablen Welt gefüllt. Besonders war die südliche Aristokratie vertreten, welche fast sämtlich von ihrem Sommeraufenthalt in den Bädern des Ostens nach Neuyork gekommen war, um den großen Pianisten zu hören.

In einer Loge des ersten Ranges saß noch allein ein junges, elegantes Paar, das gegenseitig einzelne Bemerkungen über die Personen und Gegenstände, welche sich dem Auge darboten, austauschte, während an der Brüstung ein halberwachsener Knabe lehnte und mit unverhohlener Bewunderung seine großen schwarzen Augen über die Pracht um sich her laufen ließ.

»Ich habe Cäsar gesagt, daß er beizeiten mit dem Wagen hier sein soll, falls du nicht das ganze Konzert anhören magst,« sagte der junge Mann, »und wir fahren dann, wenn es dir recht ist, noch einen Augenblick zum alten Smith. Seit er nur noch dem Namen nach in der Firma existiert und ich als arbeitendes Glied mit eingetreten bin, kann er kaum leben, wenn er nicht täglich von dem, was vorgeht, wenigstens etwas erfährt und darüber schwatzen kann.«

»Ich gehe gern mit, August,« erwiderte die junge Frau; »die Familie ist gewissermaßen für uns die Tür in die gute Gesellschaft Neuyorks gewesen, und ich habe schon eine ganze Anzahl angenehmer Bekanntschaften dort gemacht.«

»Dort unten sitzt auch Meier mit der Muhme Rebecke!« wandte sich jetzt der Knabe von der Brüstung zurück.

Helmstedt nickte freundlich.

»Ich habe lange nichts von ihm gehört,« sagte er; »weißt du, mit was er sich jetzt beschäftigt?«

»Kann's nicht recht sagen, Sir,« erwiderte der Gefragte; »er treibt sich in Wallstreet unter den Geldwechslern herum, und Muhme Rebecke sagte, sie wünsche nur, daß es mit seinem Hochmut kein böses Ende nehme.«

In diesem Augenblick öffnete sich, ein Stück von dem jungen Paare entfernt, eine Logentür, und beide sahen mechanisch hin. Hart an der Brüstung setzte sich eine bildhübsche, junge Frau nieder, an deren Seite ein junger Elegant mit einem gewissen Selbstbewußtsein Platze nahm.

»Mr. und Mrs. Nelson!« sagte Helmstedt überrascht; »ich wußte nicht, daß sie schon verheiratet sind, wie es scheint.«

Pauline war einen Schatten blässer geworden.

»Was meinst du, Pauly,« wandte sich Helmstedt mit einem launigen Lächeln an sie, »wäre es nicht artig, wenn ich sie als gewesene Landsleute begrüßte?«

»August, wenn du gehen würdest –« rief sie, mit einem Ausdruck von halbem Bangen zu ihm aufsehend.

»O du mißtrauisches Kind!« sagte er, mit einem leisen, innigen Lachen an ihre Seite rückend und ihre Hand ergreifend; »denkst du denn wirklich, den bitter Getäuschten gelüstet es danach?«

Sie sah mit einem zärtlichen Lächeln zu ihm auf.

»Sieh, August!«, erwiderte sie, seines Hände fest drückend, »wer erst durch Schmerzen und Kämpfe sich hat ein Gut erringen müssen, der fürchtet immer wieder etwas davon zu verlieren, und sei es auch nur den kleinsten Teil!«

Aus dem Orchester ließ sich das Klopfen des Dirigentenstabes hören, Stille verbreitete sich über die versammelte Menge, und in mächtigen Akkorden nahm die Ouvertüre ihren Anfang.


 << zurück