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Neuntes Kapitel

Kurz vor Mittag desselben Tages rollte eine leichte, halbverdeckte Kutsche den Bergen zu. Drinnen saß eine junge, blasse Frau in Trauerkleidern und an ihrer Seite eine Mulattin, welche Zügel und Peitsche regierte. Der Weg war wenig befahren, war von Baumwurzeln durchzogen und mit großen Steinen übersäet, so daß es der vollen Aufmerksamkeit der Fahrenden bedurfte, um wenigstens den bedeutenderen Hindernissen auszuweichen. Die junge Fran schien indessen wenig der einzelnen, unvermeidlichen Stöße zu achten und ließ, als die erste Anhöhe erreicht war, mit aufglänzendem Auge den Blick über die Gegend vor ihr schweifen. Nach allen Richtungen hin breiteten sich sanft abgedachte Hügel, mit jungem Pfirsichgebüsch und dunkeln Gruppen riesiger Walnußbäume bedeckt, aus; einzelne Schluchten, die sich ausnahmen wie ein romantisches Stück Landschaft auf einem Miniaturbilde, unterbrachen die Hügelreihe und ließen hier und da einen schäumenden Gebirgsbach hindurch. Hinter diesen Anhöhen indessen erhoben dichtbewaldete Berge von allen Formationen und Schattierungen ihre Häupter, wieder in weiterer Ferne überragt von dem dunkelblauen Zuge des eigentlichen Gebirges, dessen höchste Spitzen noch weiter hinaus mit dem helleren Blau des Himmels zu verschmelzen schienen. Links hinüber, zwischen den verschiedenen Höhenzügen, brachen sich die Sonnenstrahlen glitzernd in einem Gebirgssee.

Ein leises Rot begann nach und nach die feinen Züge der jungen Frau zu beleben, und als bei Erreichung einer der folgenden Anhöhen sich plötzlich ein weites Waldtal vor ihnen öffnete, dessen frischgrüne Rasendecke nur mit einzelnen Gruppen dichtbelaubter Bäume besetzt war, durch welche sich der Weg in mannigfachen Windungen schlängelte, daß man eher hätte glauben mögen, in einen geschmackvoll angelegten Park als in ein wildes Tal der Alleghanys hinabzusteigen, da hob ein tiefer, langer Atemzug ihre Brust. »Ich wußte nicht, Mary, daß es so viel Schönheiten hier gibt!« sagte sie.

»Ja, es ist schön in den Bergen!« erwiderte die Mulattin, aber ihrem Blicke nach, der forschend in die Ferne gerichtet war, schienen ihre Gedanken kaum bei der Antwort zu sein. Sie trieb das Pferd, das, jetzt ebenen Weg unter den Hufen fand zu rascherem Laufe, und bald war die jenseitige Höhe erreicht, wo die wieder beginnenden Schwierigkeiten des Weges neue Vorsicht geboten.

»Ich glaube, Ma'am, wir haben in kurzem ein Gewitter über uns,« sagte die Mulattin, den Himmel vor sich betrachtend, dessen früheres reines Blau durch einen dicken, gelblichen Dunst verdeckt schien. »Ich wünsche nur, daß wir Little Valley beizeiten erreichen!«

»Wie weit haben wir noch?« fragte die junge Frau mit ihren Augen dem Blicke der Farbigen folgend.

»Nur noch, zwei Meilen, Ma'am, aber der Weg ist so, daß wir nirgends rasch fahren können, ohne den Wagen zu zerbrechen.«

»Glaubst du, daß irgendeine Gefahr ist, wenn uns das Wetter überrascht?«

»Ich weiß, von keiner besonderen Gefahr, Ma'am, der Blitz kann auch ins festeste Haus schlagen, aber die Gewitter in den Bergen sind schrecklich!«

»Dann laß es kommen – höchstens werden wir naß!«

Die Mulattin schien indes wenig auf den erhaltenen Trost zu geben, sie nahm jede einigermaßen ebene Stelle des Weges wahr, um das Pferd anzutreiben und teilte, sichtlich besorgt, ihre Aufmerksamkeit zwischen der Beobachtung des Wetters und dem Fuhrwerk.

Der Himmel schien sich mit jeder Minute dichter zu umziehen, der Sonnenschein war längst verschwunden, und ein eigentümlicher Druck der Luft machte sich bemerkbar. Die Berge, kaum noch so freundlich in der klaren Mittagsbeleuchtung, schienen jetzt wie finstere, drohende Riesen herabzublicken, und die Wipfel der Bäume begannen bereits in langsamen Schwingungen sich vor dem heraufziehenden Wetter zu beugen.

Der Wagen hatte eben die Spitze einer neuen Anhöhe erreicht. »Dort ist Little Valley, Ma'am!« sagte die Mulattin mit einem Seufzer der Erleichterung und zeigte nach der Tiefe, wo ein langgestrecktes Tal mit Baumwollenfeldern und einer Gruppe von Hütten sich vor dem Blick auftat; »in einer Viertelstunde können wir dort sein!« Das Pferd trabte auf dem abwärts gewundenen Wege scharf vorwärts, daß die junge Frau mit beiden Händen das Wagengestell faßte und sich in der Schwebe zu halten versuchte, um den unvermeidlichen Stößen zu entgehen.

»Gibt es dort kein anderes Obdach als die Negerhütten?« fragte sie nach einer Weile, als eine ebenere Stelle des Weges ein Gespräch möglich machte.

»Gleich vorn an der Umzäunung ist die Wohnung des Aufsehers, dort das einzeln stehende große Blockhaus,« erwiderte die Farbige, die Richtung mit dem Finger andeutend, »und dort hinten bei den Hütten, das Haus mit dem großen Schornstein, ist die Küche.«

Sie ließ das Pferd von neuem die Peitsche fühlen, im nämlichen Augenblick aber richtete sie sich hoch auf und zog die Zügel an – das Tal lind die Berge ringsumher erglänzten einen Moment in weißem Feuer, im nächsten aber, erfolgte ein prasselnder, betäubender Donnerschlag, dem unmittelbar wie das Pelotonfeuer einer ganzen Artilleriearmee neue krachende Schläge von allen Seiten antworteten, und als wären plötzlich die Banden der schweren Wollen zersprungen, strömte der Regen hernieder, gleich einer Sintflut. Hochauf hatte sich das Pferd gebäumt und einen Satz, zur Seite getan, daß der Wagen gegen einen Baum flog und die Mulattin in die Mitte der Straße geschleudert wurde – auf und davon jagte das Tier, die zerbrochene Deichsel und einen Teil des Vorderwagens hinter sich herschleifend.

Die junge Frau war schnell aus dem ersten Schrecken wieder zur Besinnung gelangt. Der Wagen, seiner Vorderräder beraubt, lag nach vorn über, und das Verdeck bildete ein genügendes Dach gegen den Regen; aber ohne an den eigenen Schutz zu denken, sprang sie heraus, um nach ihrer Dienerin zu sehen. Das farbige Mädchen lag mit blutendem Kopfe, anscheinend ohne Besinnung, auf der Straße; als ihre Herrin sie aber aufrecht zu setzen versuchte, begann sie zu stöhnen und Anstrengungen zu machen, sich selbst zu erheben. Die junge Frau half ihr empor, faßte sie unter die Arme und geleitete sie unter ermutigenden Worten nach dem Wagen. Kaum aber war die Verwundete unter das Verdeck gelangt, als sie in neuer Bewußtlosigkeit auf die Kissen des Sitzes fiel. Ihre Herrin schloß das Schutzleder des Wagens, schürzte ihre Kleider auf und wanderte raschen Schrittes durch den strömenden Regen nach dem Tale hinab.

Es war ein Haus im rauhesten Hinterwaldstile, weit ab von den Negerhütten, welches ihr von Mary als die Wohnung des Aufsehers bezeichnet worden war. Eine einzige kleine Fensteröffnung mit zerbrochenen Scheiben zeigte sich daran, und der Weg nach dem Eingange führte durch Morast und tiefe Pfützen, welche der Regen gebildet hatte. Die Tür stand offen, und ohne langes Besinnen trat die junge Frau ein. Sie nahm zuerst ihren triefenden Sommerhut vom Kopfe und blickte in dem düsteren Räume umher, der sich ihren Blicken bot.

Das Haus mochte einmal wohnlich gewesen sein, die Wände wiesen noch Spuren von angeworfenem Kalke; jetzt aber sahen überall die nackten Baumstämme, aus denen das Gebäude erbaut worden, hervor, der Fußboden war ausgetreten und voll klaffender Spalten, und eine zerbrochene Stiege führte nach einem von außen angebauten oberen Raume, an welchem nur noch eine halb abgerissene Türbekleidung zeigte, daß er einmal verschließbar gewesen war. Auf einem schmutzigen Tisch lagen neben einem großen, blinkenden Messer die Überreste eines groben Mittagsmahles, ein schwarzes Mädchen kniete am Kamine, bemüht, einen Haufen nasser Reiser zum Brennen zu bringen, und von einem Bette im Hintergrunde erhob sich langsam eine männliche Gestalt mit wirrem Haar, nur mit einem schmutzigen Paar Beinkleider und einem dunkeln Hemd, welches die behaarte Brust sehen ließ, bekleidet.

Ein einziger Rundblick hatte der Eingetretenen alle diese Einzelheiten gezeigt, und es überkam sie ein unheimliches Gefühl, als sie den frech-neugierigen Blick der Schwarzen und das wüste Auge des Mannes auf sich gerichtet sah. »Sie sind Mr. Bartlett, wenn ich mich nicht irre?« fragte sie.

»Das bin ich,« erwiderte dieser, sich langsam auf die Beine stellend und die unerwartete Erscheinung von Kopf bis zu Fuß musternd.

»Ich hoffe, Sie werden Mrs. Morton noch kennen, Sir! Das Gewitter hat unser Pferd scheu gemacht, und mein Mädchen hat einen schweren Fall getan. Sie liegt jetzt in dem zerbrochenen Wagen nicht weit von hier auf der Straße, und ich wünsche, daß Sie sogleich ein Fuhrwerk hinausschicken, um sie hierher transportieren zu lassen.«

Der Aufseher betrachtete sie noch immer mit einem Ausdrucke von dreister Unverschämtheit. Dann wandte er den Kopf langsam nach der Seite. »Geh, Jane, du hast gehört, Bob soll den kleinen Wagen anspannen. – Noch eins!« rief er, als das Mädchen eben das Haus verließ, und folgte ihr vor die Tür.

Pauline konnte nichts von seinen weiteren Worten vernehmen, und nur ein plötzliches rohes Gelächter, in welches die Schwarze ausbrach, drang zu ihren Ohren. Einen Augenblick kam eine ungewisse Furcht über sie, und sie fragte sich, ob es nicht trotz des noch immer strömenden Regens besser sei, das Haus zu verlassen; schon im nächsten aber schalt sie sich selbst eine Törin und trat schaudernd vor Nässe an das eben entzündete prasselnde Kaminfeuer.

Bald erschien der Aufseher wieder und schloß die aus schwerem Eichenholze gefertigte Tür.

»Lassen Sie offen!« gebot Pauline, sich nach ihm wendend.

»Der Regen schlägt herein, Ma'am!« war die Antwort, mit welcher er sich langsam auf sein Bett setzte, die Arme ineinander schlug und seinen Gast von neuem anzustarren begann.

Der jungen Frau begann es unheimlicher als zuvor zu werden; sie fühlte, daß sie diesem Zustande ein Ende machen müsse. »Haben Sie nicht einen anderen Raum, wo etwas Feuer gemacht werden könnte, um meine Kleider zu trocknen?« fragte sie und suchte die möglichste Festigkeit in ihre Stimme zu legen.

»Keinen als diesen – wir leben hier nicht so fein, Ma'am!« erwiderte der Aufseher, ohne sich zu rühren, aber Pauline glaubte, einen unverhohlenen Spott in seinem Tone zu hören.

»Dann verlassen Sie wenigstens auf einige Minuten das Haus, Sir!« rief sie, und die aufsteigende Entrüstung ließ sie ihre Furcht vergessen.

»Ich gehe nicht gern im Regen spazieren, Ma'am,« erwiderte er trocken; »hören Sie nur, wie es gießt.«

»So zwingen Sie mich, selbst zu gehen!« Mit drei Schritten war sie am Ausgange, aber die Tür wich ihrer Bemühung nicht, und dem angestrengten Rütteln antwortete nur ein kurzgestoßenes Lachen des Mannes hinter ihr.

»Öffnen Sie augenblicklich, Sir – ich will hinaus!« rief sie, und es schien, als sei erst mit der bestimmten Vermutung von einer ihr drohenden Gefahr ihr Mut erwacht.

»Jetzt nicht,« erwiderte der Aufseher kalt; »ich habe zuerst etwas mit Ihnen zu reden.«

»In dieser Weise kein Wort!« erwiderte sie energisch; »öffnen Sie die Tür, und dann reden Sie!«

»Sie werden es doch wohl anhören müssen, Ma'am!« sagte er, sich mit einem bösen Lächeln zurücklegend und den Kopf auf seinen Arm stützend.

Pauline warf einen Blick um sich. Das einzige Fenster war zu hoch, als daß sie es hätte erreichen können, und sie fühlte eine Sekunde lang, als komme ein Schwindel über sie. Aber das Bewußtsein, keinen anderen Beistand als ihre eigene Besonnenheit zu haben, überwand die augenblickliche Schwäche, und nach kurzer Überlegung nahm sie den einzigen Stuhl, der sich im Zimmer befand, und setzte sich zur Seite des Tisches nieder, so daß dieser sich zwischen ihr und dem Aufseher befand. »Sie zwingen mich also, in Ihrer Gesellschaft auszudauern; very well, ich werde warten, bis meine Leute ankommen, und dann werden wir weiter sehen.«

»Ohne Sorge! Es wird uns niemand vor später Nacht stören!« sagte Bartlett mit einem heiseren Lachen, »und bis dahin, denke ich, sind wir miteinander fertig.« Er setzte sich wieder langsam aufrecht. »Die Nigger haben mich bei Ihnen verklagt, Ma'am, und Sie haben mich, einen weißen Mann, zum Narren des schwarzen Viehzeugs gemacht,« fuhr er mit finsterem Auge fort. »Sie sind jetzt hierher gekommen, um mir die Stelle aufzukündigen, in der ich nun drei Jahre bin. Ich weiß, daß Sie schon einen neuen Aufseher an der Hand haben, und ich konnte von einem Weiberregimente nichts anderes erwarten. Weiber sind nur halbe Geschöpfe, und wo sie zur Herrschaft kommen, soll ein rechter Kerl den Platz räumen. Ich wäre von selber gegangen, diese Nacht schon, und deshalb habe ich mit Ihnen als Mistreß nichts mehr zu tun. Sie sind aber die Frau, welche einen weißen Mann zum Spott der Nigger gemacht hat, und deshalb wird der Mann noch heute seine Genugtuung haben, mögen Sie sich dagegen wehren oder nicht!«

Ein wilder Blick traf die junge Frau, daß ihr Herz still zu stehen drohte – sie hatte mit einem Blick ihre ganze Lage erkannt.

»Beruhigen Sie sich aber jetzt, Ma'am,« begann der Mensch von neuem und sah mit einem häßlichen Lächeln in Paulinens entsetzte Augen; »wir haben noch Zeit, bis ich mich zur Abreise fertig mache; trocknen Sie sich ungeniert Ihre Kleider!«

Er erhob sich und warf, während ihre Blicke jede seiner Bewegungen bewachten, einige Stücke Holz auf die Glut. Dann legte er sich zurück auf das Bett, ohne indessen den unheimlich leuchtenden Blick von ihr zu lassen.

Paulinens Augen flogen durch den Raum. Der einzig offene Ausgang war die Stiege hinauf nach dem angebauten Zimmer, unweit des Platzes, welchen sie eingenommen, der aber ebensowenig Rettung bieten konnte als ihr jetziger Aufenthalt, und in ihrem Herzen begann es sich zu regen wie halbe Verzweiflung. Sie wußte, daß sie in Mortons Hause nicht vor spät abends zurückerwartet werden konnte, daß Doktor Ford meist nicht vor zehn Uhr nach Hause kam; sie konnte aus der Sicherheit des Aufsehers schließen, daß die verwundete Mary unter irgendeinem Vorwande beiseite geschafft worden war, und daß kein fremder Mensch, den nicht ein besonderes Geschäft in diese abgelegene Gegend führte, sich hierher verirren würde. Die Negerhütten waren so weit entfernt, daß, selbst wenn sie das Fenster hätte erklimmen können, kein Hilferuf dahin gelangt wäre. Da fiel ihr irr umherschweifender Blick auf das große, spitze Messer unter den Speiseüberresten auf dem Tische, und eine plötzliche Beruhigung überkam sie – jetzt war die Partie wenigstens gleich, und sie konnte kämpfen. Ohne einen weiteren Blick nach ihrem Feinde zu wenden, dessen Auge sie jede ihrer Bewegungen hatte belauern sehen, beschloß sie, ruhig zu warten. Die Hitze vom Kamin zog wohltuend durch ihre Glieder, und ihr Blut begann wieder rascher seinen Kreislauf zu nehmen.

Der Regen hatte aufgehört, und die frische Helle, welche durch das kleine Fenster strömte, ließ den wiedergekehrten Sonnenschein vermuten. Pauline horchte scharf, ob nicht irgendein Ton außerhalb laut werde, aber das einzige Geräusch, welches zu ihren Ohren drang, war das Knarren des Bettes, wenn Bartlett sich halb aufrichtete, um aus einer großen Whiskeyflasche lange Züge zu tun.

Die Sonnenhelle verschwand, und eine leichte Dämmerung begann sich in dem Zimmer einzustellen. Pauline fühlte sich in ihrer Stellung, die sie kaum durch die Bewegung eines Armes verändert hatte, fast steif werden – da erhob sich der Aufseher langsam. Er warf zwei große Scheite in das fast erloschene Feuer und drehte sich dann mit verschränkten Armen nach der jungen Frau um.

»Well, süßes Herz, wie steht's?« sagte er mit einem abschreckenden Grinsen. »Vor Gott sind wir alle gleich, und jetzt in Little Valley auch; Mann ist Mann und Weib ist Weib! Ergib dich in Ruhe, kleines Lamm, ich kann das Schreien nicht hören; der Bartlett will seine Genugtuung haben, darum mache nicht, daß er mit seinen großen Händen dir die kleine Kehle stopfen muß.« Er ging auf sie los, Pauline aber, welche bis jetzt starr ihre Augen aus ihn gerichtet hatte, war mit einem Sprunge in die Höhe, und der Aufseher prallte vor seinem eigenen Bowiemesser (Dolchmesser), das ihm in ihrer Hand entgegenblitzte, zurück.

»Keinen Schritt gegen mich, oder ich tue, was ich nicht ändern kann!« rief sie. »Öffnen Sie die Tür, und ich will vergessen, was ich erlitten, wenn Sie auf der Stelle die Farm verlassen!«

Bartlett hatte sich nach dem Hintergründe des Zimmers zurückgezogen, wo ein Haufen Feuerholz aufgeschichtet lag, und blickte von hier aus die hochaufgerichtete junge Frau mit dem Auge eines ergrimmten Bulldoggen an. »Will die Hummel stechen?« sagte er verbissen und zog einen starken Knüttel aus dem Holzstoße neben sich; »schade, wenn ich ihr die feinen Hände zerschlagen müßte!«

Pauline sah ihn vorsichtig gegen sie herankommen, und der Mut wollte sie verlassen. In einer Eingebung ihrer Verzweiflung stürzte sie ihm den schweren Tisch entgegen und eilte die Stiege nach dem oberen Raum hinan.

Sie hörte hinter sich den Tisch zu Boden schlagen und einen ergrimmten Fluch Bartletts, welcher dem Geräusch nach mit niedergerissen sein mußte. Sie warf einen hilfesuchenden Blick durch das Gemach, welches sein Licht nur durch die Ritzen zwischen den Baumstämmen der Wände erhielt; aber hier zeigte sich nichts, das ihr nur einige Hoffnung auf Entrinnen hätte geben können. Zwei schmutzige Betten und ein im Bau begriffenes Kamin mit einem Haufen noch unbenutzter Ziegelsteine daneben war alles, was ihre Augen entdecken konnten. Sie wandte sich wieder der Tür zu, jeden Augenblick erwartend, das bestialische Gesicht des Aufsehers erscheinen zu sehen – aber kein Laut von dort ließ sich hören. Vorsichtig und das Messer für alle Fälle bereithaltend, schlich sie endlich heran, wo die äußerlich abgerissene Türbekleidung ihr durch die Ritzen der Zwischenwand einen Blick in den unteren Raum gestattete, ohne selbst gesehen zu werden.

Einen Schritt von der Stiege entfernt stand Bartlett, den Kopf vorwärts gestreckt, wie der Tiger auf der Lauer, aber sichtlich unentschlossen. »Er ist feig!« klang es durch Paulinens Inneres, und die frühere Szene zwischen dem Aufseher und ihrer Köchin, welche ihr Doktor Ford mitgeteilt, trat plötzlich vor ihre Erinnerung. Ein neuer Mut begann in ihr aufzuleben, und mit dem Entschlusse, ihre jetzige Stellung mit aller Energie zu verteidigen, bis irgendeine Hilfe von außen erscheine, kehrte ihre fast erloschene Hoffnung zurück.

In diesem Augenblicke sah sie, wie Bartlett, stets seinen Knüttel vor sich haltend, die Stiege heraufzukriechen begann. Ein Gedanke durchzuckte sie. Im Fluge hatte sie zwei der großen Ziegelsteine neben dem unvollendeten Kamine ergriffen und trat, einen derselben hoch in beiden Händen haltend, in die Tür. »Zurück, oder ich zerschmettere Ihnen den Schädel!«

Der Aufseher warf einen Blick empor und sprang vor der drohenden Bewegung nach dem Zimmer hinab. »Ich fasse dich doch, und sollte ich dich ausräuchern – wir haben noch Zeit!« sagte er mit der vollen Wut der Enttäuschung. Er setzte sich wieder auf sein Bett, den Blick nicht von dem Eingange zu dem oberen Räume lassend, und schien zu überlegen.

In dem Hause war es von Minute zu Minute dunkler geworden; Pauline konnte in ihrem fensterlosen Zufluchtsorte schon geraume Zeit keinen Gegenstand mehr unterscheiden, und in dem unteren Zimmer begann der Schein des Feuers die Hauptbeleuchtung zu bilden. Bartlett saß noch immer auf seinem Bett, den Blick auf die Stiege geheftet, und schien fruchtlos mit sich Rat zu pflegen. Durch die Glieder der jungen Frau, die keinen Blick von der unverwandten Beobachtung ihres Feindes abzuziehen gewagt hatte, begann es langsam wie eine unbesiegliche Abspannung heraufzukriechen, während ein dumpfes Gefühl in ihrem Kopfe sich immer mehr bemerkbar machte. Schon zum zweiten Male kam es über sie wie die Anwandlung einer Ohnmacht, und diese war nur einer entsetzlichen Furcht, die zugleich in ihr auftauchte, gewichen: sie fühlte, daß sie diesen Zustand keine halbe Stunde länger ertragen könne und dann wehrlos ihrem Feinde zum Opfer fallen müsse. Da begann sich Bartlett zu bewegen und sonderbare Maßregeln zu treffen. Pauline suchte nochmals alle ihre Kräfte wachzurufen und lauschte mit atemloser Aufmerksamkeit. Er nahm zwei mit Baumwolle gestopfte Kissen von seinem Lager und band sie sich mit einem Strick um Leib und Brust; dann ergriff er die Strohmatratze, hielt sie wie ein Dach über seinen Kopf und schritt auf die Stiege los. Pauline stieß einen Schrei aus: sie wußte, daß diesen Vorbereitungen gegenüber alle ihre Waffen nutzlos waren; kaum ihrer selbst noch mächtig, warf sie, als der Angreifer die Stiege betrat, den ersten Stein nieder, der indessen harmlos von der Matratze abprallte und in den unteren Raum flog; der zweite folgte, aber nur ein kurzgestoßenes Lachen Bartletts war die Folge des Wurfs; die junge Frau brach in die Knie zusammen, nur noch instinktmäßig das Messer vor sich haltend – Bartlett aber, bei jedem Tritte innehaltend und scharf vor sich spähend, schritt langsam Stufe für Stufe hinan. – –

Eine Viertelstunde vorher ritten drei Männer im scharfen Trabe durch eine wilde Schlucht des Gebirges, in welcher bei der hereinbrechenden Dunkelheit kaum noch etwas von dem Boden, welchen die Pferde betraten, zu erkennen war. An der Spitze des kleinen Zugs befand sich ein Schwarzer, der mit Sicherheit sein schlankes, flüchtiges Tier durch alle Hindernisse, welche der unebene Pfad bot, leitete, und die beiden Reiter hinter ihm folgten genau den Wendungen, welche er vorzeichnete.

»Bist du sicher, Cäsar, daß wir auf dem rechten Wege sind?« fragte der mittlere Reiter.

»Ohne Sorge, Master,« erwiderte der Schwarze, »ich kenne den Weg in finsterer Nacht. Dort ist das Ende der Schlucht, und dann kommen wir auf die Straße, die von Mortons Haus nach Little Valley führt.«

»Und du bist auch der Geschichte sicher, die du mir erzählt hast?«

»Harriet ist wohl ein schlechtes Mädchen geworden,« erwiderte Cäsar, ohne seine Aufmerksamkeit von dem Wege abzuwenden; »aber lügen kann sie nicht, Sir, ich kenne sie, ich bin auf Mortons Farm mit ihr groß geworden. Der Aufseher hat sie vorige Woche geschlagen und aus seinem Hause geworfen, weil sie ihm eine derbe Wahrheit gesagt hat, aber sie hält noch immer zur Jane, und von der ist ihr heute mittag die Geschichte in die Ohren gezischelt worden. Sie hat gleich wollen nach Mortons Haus laufen, denn von den Niggern hätte sich doch keiner etwas zu tun getraut, und ich traf sie glücklich auf halbem Wege, da ich wußte, daß Mary heute in Little Valley sein würde. So viel ist sicher, Sir, Mary liegt krank und mit zerschlagenem Kopfe bei der Köchin, von Mrs. Morton hat aber noch keine Seele etwas gesehen.«

»Laß die Stute ausstreichen, Cäsar; Gott weiß, was dem allem zugrunde liegt!« erwiderte der andere, und in größerer Eile ging es vorwärts. Bald bog der Schwarze aus der Schlucht in einen schmalen, aufwärtssteigenden Pfad ein; mit sicherem Tritte klommen die Pferde, augenscheinlich an solche Ritte gewöhnt, den Berg hinan, und die Fahrstraße zeigte sich.

»Ausgezeichnete Tiere hierzulande, Mr. Helmstedt,« sagte der letzte Reiter; »ich glaubte kaum, daß meine dreihundert und so viel Pfunde so geschwind herauskommen würden.«

»Geht es mit dem Reiten, Charley?« fragte der Angeredete.

»Müßte nicht zwei Jahre Karrenfuhrmann und Mitglied unserer Dragonerkompagnie gewesen sein,« war die Antwort; »nur vorwärts, Sir!«

Aufs neue ging es in scharfem Trabe die jetzt abwärtsführende Straße entlang, bis Cäsar plötzlich anhielt. »Dort ist das Haus, Sir,« sagte er, sich zurückwendend; »das Feuer scheint durchs Fenster, aber dir Tür ist geschlossen.«

»Wir werden schnell ins klare kommen, nur jetzt keinen Aufenthalt!« rief Helmstedt und sprengte dem Schwarzen voraus. An der Umzäunung angelangt, band er hastig sein Pferd fest und wollte sich eben nach dem Hause wenden, als dort der laute Schrei einer weiblichen Stimme hörbar wurde. Ein elektrischer Schlag schien durch seinen Körper zu zucken, in der nächsten Minute schlugen aber auch schon seine Fäuste gegen die verschlossene Tür und, seine Schulter dagegen gestemmt, versuchte er vergebens, sie zum Weichen zu bringen.

»Dort liegt ein Balken, wir müssen die Tür einstoßen!« schrie er den Nachfolgenden entgegen.

»Never mind, Sir! Wenn sie nicht von Eisen ist, geht es so!« erwiderte Charley, mit dem Fuße nach einem festen Halt suchend; ein Druck mit der Schulter dagegen, und alle Fugen stöhnten; ein zweiter, gewaltigerer, und prasselnd flogen Riegel und Schloß los. Helmstedt stürzte in den geöffneten Eingang, aber ein furchtbarer Hieb, mit einem dicken Knüttel geführt, sauste ihm hier entgegen, noch zeitig genug von Charleys linkem Arm aufgefangen.

»Meinst du's so, Brüderchen?« rief der Goliath, und ein Faustschlag traf Bartletts Gesicht, daß dieser einen Schritt zurücktaumelte – ein zweiter und dritter folgten in wunderbarer Schnelligkeit, und wie ein gefällter Baum fiel der riesige Aufseher neben seiner Matratze und den abgeworfenen Kissen zu Boden.

Helmstedt hatte kaum etwas von dem kurzen Kampfe gesehen, sein Blick war angstvoll suchend durch den Raum geflogen. »Pauline! Pauline!« rief er, als sein Auge nirgends auf ein Zeichen von ihr traf. »August, August!« erklang es jauchzend, und die Stiege herab, das Messer noch immer in der krampfhaft geschlossenen Hand, stürzte die gequälte junge Frau. Helmstedt eilte ihr entgegen, kam aber nur recht, um die bewußtlos Zusammenbrechende in seinen Armen aufzufangen.

Cäsar, welcher von der Tür aus scheu den rasch folgenden Ereignissen zugesehen, kam jetzt herbei, und eine unverhohlene Befriedigung zeigte sich in seinem Gesicht, als Charles nach einem Blick auf das der jungen Frau entfallene Messer, mit einer Art Wut nach dem am Boden liegenden Stricke griff und dem in halber Bewußtlosigkeit grunzenden Aufseher Hände und Füße zusammenschnürte.

»Rasch nach der Küche hinüber und Beistand geholt!« rief Helmstedt dem Schwarzen zu und trug, nach einem halb ratlosen Blick durch den Raum, die Ohnmächtige nach dem einzigen Stuhle, sich selbst daraufsetzend und sie auf seinem Schoße ruhen lassend: kaum aber hatte er sie in eine bequeme Lage gebracht, als sie die Augen groß aufschlug, mit dem Oberkörper emporschnellte und einen Blick des Schreckens um sich warf.

»Sie sind sicher, Pauline, beruhigen Sie sich!« sagte Helmstedt mild.

Sie wandte die Augen wie noch geistesabwesend nach ihm; plötzlich aber schlang sie mit einem unartikulierten Ausrufe beide Arme um seinen Hals. »August, August, bleibe bei mir, verlaß mich nicht wieder, ich habe hart gebüßt!« Das letzte Wort erstarb, und ihre Arme lösten sich in neuer Bewußtlosigkeit – in Helmstedts Innerem aber sprang es auf wie ein Born junger Seligkeit; eine Minute noch hielt er sie an seiner Brust, dann aber legte er behutsam ihren Kopf in seinen Arm, daß er ihr Gesicht sehen konnte, und hielt sie an sich gedrückt wie eine Mutter ihr schlafendes Kind.

Charley hatte einige dünne Scheite in das Feuer geworfen, daß es ein helles Licht durch den Raum warf, und kam jetzt mit einem Arm voll Baumwollenkissen die Stiege herunter.

»Da oben scheinen die Betten der Mädchen zu sein,« sagte er und begann seine Last in der leeren Bettstelle des Aufsehers auszubreiten; »lassen Sie uns die Lady hierher legen, bis frisches Wasser kommt; zum Tode scheint's ja noch nicht gehen zu wollen, aber auf den Kissen des Halunken dort sollten sie nicht liegen – Hallo! Du bleibst, wo du bist, Gevatter, bis andere Leute kommen!« rief er, nach dem Aufseher blickend, als dieser eine vergebliche Anstrengung machte, sich zu erheben, und fuhr dann ruhig in seiner Beschäftigung fort. Es bot ein sonderbares Bild, die große, massive Gestalt die Kissen zurechtlegen und sorgsam jede Falte ausstreichen zu sehen;, als ihm aber endlich alles recht zu sein schien, wandte er sich nach dem jungen Mann: »Soll ich helfen?«

Helmstedt schüttelte den Kopf und trug die Ohnmächtige nach dem Lager. Ein aufsteigendes Rot in ihrem Gesicht schien die Rückkehr des Bewußtseins zu verkünden, ihre Lippen begannen sich leise zu bewegen, als spreche sie im Traume, aber ihre Augen blieben geschlossen. Helmstedts Blick haftete gespannt auf ihren Zügen, jede Veränderung darin beobachtend, bald aber wurde seine Aufmerksamkeit unterbrochen. Die Köchin und Mary mit verbundenem Kopfe voran, drang ein ganzer Haufen Neger, alt und jung, ins Zimmer. Nur die beiden ersten richteten ihre Aufmerksamkeit sofort auf, die bewußtlose junge Frau, die Blicke der übrigen wandten sich zuerst teils scheu, teils schadenfroh dem am Boden liegenden Aufseher zu. Helmstedt sah sich unmutig um.

»Es ist jetzt niemand hier notwendig als Mary und die Köchin,« sagte er, »ihr übrigen geht, wohin ihr abends gehört!«

Ein Haufen halb dummer, halb verwunderter Gesichter wandte sich nach der allen unbekannten Persönlichkeit, aber niemand bewegte sich, und Helmstedt fühlte, daß hier eine andere Autorität als die seinige notwendig werde.

»Hier ist der neue Aufseher!« sagte er, »Charley, machen Sie das Zimmer frei!«

»Platz gemacht, hier!« sagte der Gerufene, vom Fuße des Bettes vortretend, »oder ich nehme den ersten von euch bei den Beinen und prügele damit die anderen hinaus!« und ein panischer Schrecken schien beim Anblicke der riesigen Gestalt wie beim Klange der gewaltigen Stimme unter das schwarze Volk zu fahren. Ein kurzes Drängen nach dem Ausgange erfolgte, und in kaum zwei Minuten war das Zimmer leer. Charley, der, mit derben Worten zur Eile treibend, dem Haufen bis nach der Tür gefolgt war, drehte sich jetzt um, ließ die Augen durch den Raum gleiten und stand eine Weile wie sich besinnend. »Da fehlt mir doch etwas,« sagte er endlich, »da ist doch etwas nicht richtig! – Donnerwetter, das ist es,« brach er dann los, »der Halunke ist mit fort!« und mit einer plötzlichen Wendung war er hinter der Tür verschwunden.

Helmstedt hatte den Ausruf gehört und wandte den Blick nach der Stelle, wo der Aufseher gelegen, die jetzt nur durch den zerschnittenen Strick bezeichnet war; aber seine Gedanken wurden schnell durch Paulinens unruhige Bewegungen, die noch immer mit geschlossenen Augen dalag, in Anspruch genommen. »Das ist mehr als eine gewöhnliche Ohnmacht«, sagte er nach kurzer Beobachtung. »Sie, Mary, öffnen alle Bänder und Haken an dem Anzuge Ihrer Mistreß, damit sie von nichts beengt wird – und du, Cäsar, reitest scharf los und siehst, wo Doktor Ford zu finden ist.« Mit einem Blicke, aus tiefer Innigkeit und Besorgnis gemischt, wandte er sich von der Kranken, diese ihren beiden Dienerinnen überlassend, und folgte dem Schwarzen ins Freie, wo die Sterne bereits in wunderbarer Klarheit ausgezogen waren und ihr mattes Licht über die Landschaft warfen.

»Er ist fort, Sir, er ist fort!« empfing ihn hier Charleys unmutige Stimme. »Der Teufel mag wissen, wie er losgekommen ist, ich hatte ihn so fest geknüpft.«

»Ich habe Janes Gesicht unter den Niggern gesehen,« sagte Cäsar, der eben sein Pferd losband; »sie hat ihn sicher losgeschnitten, Sir, kein anderer hätte es getan.«

»Mag er jetzt laufen, wenn es nicht zu ändern ist, er entläuft dem Galgen doch nicht!« erwiderte Helmstedt und begann langsam vor dem Hause auf und ab zu gehen.

Cäsar jagte davon, und Charley stand eine Weile, mit dem Blicke Helmstedts Schritten folgend, bis dieser wieder in seine Nähe kam. »War es Ihr Ernst, Sir, wegen der Aufseheranstellung?« fragte er dann.

»Es war eigentlich nur ein Notbehelf, was ich sagte, Charley,« erwiderte der Angeredete, stehen bleibend, »aber wenn Sie die Stelle annehmen wollen, so denke ich die Sache arrangieren zu können.«

Der Riese schlug mit der Faust in seine Hand, daß es knallte. »Mir gefallen die schwarzen Kerls, Sir,« lachte er, »und ich denke in der rechten Manier mit ihnen umspringen zu können; das Haus ordentlich zurechtgemacht, die Mary bei mir, und es muß eine Lust sein, hier zu wirtschaften. Wenn Sie nichts dagegen haben, Sir, gehe ich einmal nach den Negerwohnungen hinüber und sehe mir das Treiben an.«

»Gehen Sie, wenn es Ihnen Spaß macht,« erwiderte der Gefragte, seinen Gang wieder aufnehmend, »wir werden doch in den, ersten Stunden noch nicht von hier wegkommen.« Und mit einem zufriedenen Kopfnicken entfernte sich der Riese, ohne Aufenthalt über die Umzäunung und Gräben hinweg, wie eine gespenstige Erscheinung, durch die Nacht schreitend.

Helmstedt blickte in den dunkeln Himmel hinauf, und es war ihm, als sehe er des alten Morton Gesicht mit demselben wohlwollenden Ausdruck ihm zulächeln, wie er ihn zum letzten Male in seiner Krankheit gesehen. Er dachte nicht daran, daß er seiner übernommenen Pflicht als stiller Beschützer Paulinens genügt hatte – ihm stand eine Stelle aus dem, Briefe des Verstorbenen vor Augen, zu welcher er erst jetzt das Verständnis gefunden zu haben glaubte: »Mir ist es, als würde auch noch einmal ein Frühling für sie blühen und ihr ein Schutz werden, unter dem sie sich gern bergen wird.«. Hatte der alte Mann Helmstedts unhaltbare Verhältnisse zu Ellen erkannt und tiefer in Paulinens verschlossenes Herz gesehen, als diese selbst geahnt? – Er nahm langsam seinen Gang wieder auf, und Träume von einem stillen Glücke, kamen über ihn, bis die Mulattin die Tür des Hauses, öffnete und ihn heranrief. »Sie redet im Schlafe, Sir,« sagte sie, »es, ist wohl besser, Sie sehen selbst einmal nach ihr; ich fühle mich selbst, als könnte ich nicht mehr lange aufrechtstehen.«

Helmstedt folgte in Hast. Das Zimmer war jetzt in leidliche Ordnung gebracht, eine Lampe brannte auf dem Kamin und beschien das Lager, auf welchem Pauline verhüllt unter einer leichten Decke ruhte. Ihre Wangen leuchteten in hellem Rot, ihre Lippen bewegten sich in schnellen, abgebrochenen Sätzen, und eine einzige Prüfung des fliegenden Pulses gab Helmstedt volle Einsicht in den Zustand der Kranken. »Wir können im Augenblicke nichts tun,« sagte er nach einer Weile sorgenvoller Betrachtung; »die Köchin mag gehen und nach ihren Geschäften sehen; Sie, Mary, sind selbst krank, nehmen Sie, was an Kissen umherliegt, und machen Sie sich, so gut es gehen will, ein Lager zurecht; ich werde wach bleiben und den Doktor erwarten; sollten Sie nötig sein, so werde ich es Ihnen sagen.« –

Es war schon elf Uhr vorüber, als endlich Cäsar mit dem alten Arzte anlangte.

»Das kommt davon, wenn die Kinder zu selbständig sein wollen«, sagte der letztere kopfsschüttelnd, nachdem er die Kranke eine Weile beobachtet. »Cäsar hat mir die ganze Geschichte erzählt; sie muß gestanden haben wie ein Held gegen das Untier – aber die Lust, alles selbst zu verwalten, wird ihr wohl jetzt vergangen sein.«

»Halten Sie den Zustand für gefährlich, Doktor?« fragte Helmstedt mit ängstlicher Erwartung im Auge.

»Kann noch nichts sagen, Sir, wir werden erst im Laufe der Nacht sehen, was sich entwickelt. Ich bleibe jedenfalls hier, und Cäsar mag vorläufig die Köchin rufen, damit ich einige Anordnungen treffen kann.«

Er wandte sich nach dem Lager der Mulattin, welche sich horchend ausgesetzt hatte, löste die Tücher von ihrem Kopfe und untersuchte ihre Wunden. »Nichts Besonderes, wenn's auch noch etwas weh tut,« sagte er, als das Mädchen unter dem Drucke seines Fingers zusammenzuckte; »morgen wird wenig mehr davon zu spüren sein; magst aber Gott danken, daß noch Negerschädel genug an dir ist, sonst hätte der Puff verdrießlichere Folgen haben können.« Er ging nach Paulinens Lager zurück, zog den Stuhl heran und blieb hier, das feine Handgelenk der Kranken zwischen seinen Fingern haltend, beobachtend sitzen.

Helmstedt begann leise das Zimmer auf und ab zu gehen, dann und wann einen Blick auf die Kranke und das Gesicht des Arztes werfend, bis Cäsar mit der Köchin und hinter ihnen Charley eintrat.

Sir,« sagte der letztere, mit gedämpfter Stimme sich an Helmstedt wendend, »es ist das eine sehr traurige Geschichte mit der Lady, aber ich dachte, ich müßte Ihnen sagen, daß morgen der vierzehnte ist. Sie wissen, weswegen – es ist nur, daß ich der Weibsperson in Neuyork nicht umsonst ihre Kommodenschlösser verdorben habe.«

Helmstedt griff an seine Stirn – die ganze Angelegenheit war vor den eben durchlebten Ereignissen aus seinem Gedächtnisse gewichen. Der Doktor hatte sich bei dem Klange von Charleys dumpf rollender Stimme umgesehen und ließ die Augen bewundernd über die riesigen Gliedmaßen desselben laufen. Er erhob sich vorsichtig und trat zu dem Sprechenden. »Das also ist der Mann, der das Untier niedergeboxt hat?« sagte er. »Freut mich, Sie zu sehen, Sir!«

»Einen Augenblick, Doktor, wenn Sie abkommen können«, unterbrach ihn Helmstedt und führte ihn abseits nach dem Kamin. Mit kurzen Worten gab er ihm hier einen Überblick dessen, was ihm Charley in seinen Briefen gemeldet, erzählte ihm zugleich von seinem Besuche bei Elliot am Morgen, und wie dessen augenblickliches Heil allein von seiner Tätigkeit abhänge.

» Well, Sir, ich gratuliere Ihnen und Elliot zu dem Stande der Dinge,« sagte der Arzt, als Helmstedt eine kurze Pause machte, »jedenfalls wird dies Ihre beiderseitigen Differenzen auf dem schnellsten Wege ausgleichen.«

Helmstedt schüttelte den Kopf. »Ich handle hierin nur als ehrlicher Mann, ohne Rücksicht auf mich,« erwiderte er; »ich habe Elliot meine Zustimmung zu einer Scheidung von meiner bisherigen Frau gegeben und werde sie jetzt selbst betreiben; eine viel wichtigere Verpflichtung als für Elliots Interesse hält mich hier an dem Bette von Mrs. Morton fest, eine Verpflichtung, die ich gegen den alten Mr. Morton kurz vor dessen Tode eingegangen bin, und die mich die ganze Angelegenheit, an welche mich soeben mein großer Neuyorker Freund gemahnt, vergessen ließ. Ich teile Ihnen das alles nur mit, Doktor, weil ich im Augenblicke selbst mit mir im Zwiespalt über das bin, was ich zu tun habe.«

Der alte Arzt ließ eine Sekunde lang einen eigentümlich forschenden Blick auf Helmstedt ruhen. »Für jetzt,« sagte er dann mit halbem Lächeln, »können Sie hier nichts helfen, junger Freund. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich diese Nacht wachen werde. Sehen Sie also, wo Sie mit Ihrem großen Kameraden einen Platz zum Schlafen finden, und legen Sie sich aufs Ohr, damit Sie morgen frisch und klaren Geistes sind. Am Morgen werden wir ja sehen, wie die Sachen stehen.« Er wandte sich weg und winkte die Köchin herbei.

»Wenn Sie erlauben, Sir, so meine ich wirklich, der alte Herr hat recht,« begann Charley; »man kann nicht wissen, was es morgen wieder durchzufechten gibt – nach der Geschichte von heute abend halte ich alles für möglich. Oben in den Mädchenbetten sind noch Kissen genug für uns, und so bleiben wir auch bei der Hand, wenn hier etwas vorkommen sollte.«

Helmstedt rieb sich die Stirn. Es widerstrebte seinem ganzen Gefühle, die Nacht nicht an Paulinens Bette wach zu bleiben, und doch mußte er den Vernunftgründen dagegen ihr Recht lassen. Endlich rief er Cäsar herbei. »Sorge für die Pferde und sieh, wo du unterkommst; wir bleiben die Nacht hier«, sagte er. Dann ging er langsam auf den Arzt zu, der wieder am Krankenbette Platz genommen hatte, und legte die Hand auf dessen Schulter: »Well, Doktor, ich werde Ihrem Rate folgen, aber versprechen Sie mix wenigstens, mich zu rufen, sobald irgendeine Änderung zum Schlimmen eintritt.«

Der Doktor nickte nur schweigend, und nach einem langen Blicke auf die Kranke, deren Brust sich in kurzen, hastigen Atemzügen hob, winkte er Charley und klomm diesem voran die Stiege nach dem oberen Raum hinauf.


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