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Drittes Kapitel

In Pearl-Street in Neuyork, da, wo in späteren Jahren der neue Durchbruch gemacht wurde, stand das Haus des Pfandleihers Abraham Meier. Es war ein niederes, unscheinbares Gebäude, dem man äußerlich die Räumlichkeiten, welche es enthielt, nicht ansah. Unter den drei vergoldeten Kugeln, dem Pfandleiherzeichen, gelangte man durch den Eingang in einen engen, nur spärlich erleuchteten Hausflur, aus welchem eine Tür nach der geräumigen »Office« führte. Ein starkes Gitter, hinter welchem der Pfandleiher seinen Platz hatte, und das ihn vor jeder Unbequemlichkeit durch seine Kunden schützte, schied diesen Raum der Länge nach in zwei Hälften. Es hatte zwei durch Schiebgitter geschützte Fenster, welche sich durch einen einfachen Mechanismus im Nu schließen konnten. Hinter dem ersten thronte neben einem hohen Pulte Abraham Meier selbst, und hier war der Ort für den Versatz von allem, was in das Bereich der edlen Metalle und Juwelen schlug, während Mrs. Meier hinter dem zweiten Fenster sich mit der Prüfung von jeder Art Bekleidungsstücken aus Seide, Samt, Tuch oder Leinwand, wie sie in das Lokal wanderten, beschäftigte. Abraham Meier war noch wenig über die Vierzig hinaus, trug sein Haar, selbst im Geschäft, wohlfrisiert und seinen Bart glatt geschoren; er sprach stets Englisch, wenn er nicht durch »grüne« Kunden zum Deutschsprechen gezwungen war, aber auch in diesem letzteren Falle suchte er den anerzogenen jüdischen Akzent möglichst zu verbergen. Abraham Meier galt im allgemeinen für einen vorsichtigen Geschäftsmann seiner Art, denn noch war kein Fall von einiger Bedeutung vorgekommen, in welchem die Polizei bei ihren Nachforschungen nach gestohlenen Gütern ihm etwas hätte zur Last legen können. Er galt aber auch bei der unverheirateten jungen Männerwelt für einen der wenigen Pfandleiher, mit welchen ein Mensch von Erziehung zu tun haben konnte, ohne das Demütigende seiner augenblicklichen Lage zu sehr zu empfinden. Seine Taxierung von Pfandgegenständen geschah ohne geringschätzende Miene und beleidigendes Achselzucken. Mit höflicher Geschäftsmiene gab er die Summe an, zahlte oder wies bedauernd eine höhere Forderung zurück, und so gehörte seine Bekanntschaft unter dieser Klasse von Geldbedürftigen zu den ausgebreitetsten, wenn auch seine Taxierungen, von denen er nie wich, eben nicht zu den höchsten gehörten.

Es war nachmittags zwei Uhr an einem Apriltage. Abraham saß vor seinem Pulte, blätterte in einem seiner Geschäftsbücher und markierte einzelne Posten mit Bleistift. Die Office war leer. Mit dem Ausgange des Winters ist die größte Ernte des Pfandleihers vorüber; was der Arme zu entbehren gehabt, hat er für Feuerung und Lebensmittel geopfert; die Masse von jungen Leuten aber, deren Einkommen mit ihren Ansprüchen auf Vergnügungen, an denen die große Stadt im Winter so reich ist, nicht im Einklange stehen, haben »springen« lassen, was einigermaßen entbehrlich war oder auch zum Versetzen auf die eine oder andere, oft nicht zu rechtliche Weise beschafft wurde, und so versiegt mit den ersten Frühlingstagen eine Quelle des Pfandleihers, welche seinen Hauptgewinn bildet, da selten an eine Wiedereinlösung der versetzten Gegenstände gedacht wird.

»Vierundfünfzig Nummern!« brummte Abraham, als er die letzte beschriebene Seite seines Geschäftsbuches erreicht hatte. Er stand auf und schloß die beiden Fenster des Gitters; dann öffnete er einen großen eisernen Geldschrank unweit seines Pultes und begann eine Menge kleiner, in weißes Papier gewickelter und numerierter Päckchen daraus hervorzuholen. Bei jedem derselben verglich er die Nummer mit den Angaben seines Geschäftsbuches, öffnete auch wohl hier und da eins derselben und besah mit prüfendem Blick die Uhren, Ringe, Ketten und anderen Schmuckgegenstände, welche sich zeigten, sie aber jedesmal wieder sorgfältig in ihren Umschlag wickelnd, und packte zuletzt den ganzen Haufen in einen flachen Korb, der sichtlich zu diesem Zwecke sich auf dem Geldschrank befand. Nachdem er diesen wieder sorgfältig verschlossen, trug er seine Kostbarkeiten nach einem Nebenzimmer, wo eine ganze Niederlage von Paketen aller Größen sich in großen, an der Wand hinziehenden Regalen befand. Vor einem langen Tische stand eine schmächtige Frauengestalt, mit dem Sortieren eines Haufens von Frauenkleidungsstücken beschäftigt.

»Wenn du fertig bist, kleine Rebekka,« sagte er Englisch, »so kommt alles in den vorderen Keller. Morgen will endlich der Meier Friedmann hier sein, und ich werde den Plunder los samt den anderen Waren im hinteren Keller, die schon länger im Hause sind, als gut ist.«

Die Frau sah langsam von ihrer Arbeit auf und zeigte ein ernstes Gesicht, dessen Schnitt und dunkler Teint die orientalische Abkunft nicht verleugnen ließ. Sie war augenscheinlich bedeutend jünger als der Pfandleiher und hätte, wäre nicht ein sonderbarer Zug von Erschlaffung über ihr ganzes Gesicht verbreitet gewesen, bei vielen für eine Schönheit gelten können.

»Ist es nicht ein gefährliches Geschäft, was du treibst seit dem letzten Jahre?« sagte sie.

»Gefährlich? Wie heißt gefährlich!« erwiderte er eifrig, ins Deutsche fallend, und setzte den Korb mit Goldwaren auf den Tisch. »Ist der Termin für die Einlösung von den Nummern dahier nicht abgelaufen schon seit der letzten Woche? Und spricht auch das Gesetz, daß ich soll halten die Sachen noch so und so lange Zeit nach dem Verfalle, so weiß ich doch, daß keiner wird kommen und mich daran mahnen, so kenne ich doch die Menschheit, so werde ich doch nicht sein töricht und lassen das Geld liegen tot in den Sachen ein volles Jahr.«

»Das ist deine Sache, Abraham,« unterbrach ihn die Frau; »aber ich meinte wegen der Waren in dem hintern Keller.«

»Was willst du, Rebeckche, was willst du?« sagte er, seine Stimme dämpfend. »Weiß ich, woher die Waren kommen, oder was für ein Recht die Leute daran haben, welche sie gebracht? Soll ich sie lassen gehen nach einem anderen Platze und einem anderen lassen den Profit daran? Was bringt's ein, wenn man hat ein gar zu genaues Gewissen? Du hast die Gedanken vom alten Isaak Hirsch, der herumdrehte jedes Geschäft dreimal, ehe er hat zugesagt. Was hat er gemacht dabei? Läuft er nicht noch herum unten im Süden bei den Niggern als Pedlar und hat für den Manuel, den er angenommen an Kindes Statt, und den wir jetzt müssen verpflegen, noch nicht einmal geschickt das Kostgeld für die letzten drei Monate? Und bist du nicht selber geblieben ein so armes Josim (Jossaum = Waisenkind), daß du hast zugegriffen, als der Abraham Meier zu dir kam, wenn er auch war zwanzig Jahre älter?«

»Ich hab' dich genommen, weil du warst ein anständiger Mensch, und ich meinte, du seist ehrlich,« erwiderte sie, den Kopf hoch aufrichtend; »ich habe dir geholfen nun manches Jahr in deinem Geschäfte und zu deinem Verdienste, und wenn ich einmal spreche, wo ich denke, es sei not, so habe ich nicht verdient, daß du mir vorwirfst, ich sei gewesen arm, als du mich genommen.«

»Rebeckche, was willst du?« sagte er eifrig; »habe ich doch nichts sprechen wollen, was dich könnte beleidigen; bin ich nicht anständig noch immer? Gehöre ich doch zur Gesellschaft der Benei Beriß (der Kinder der Beschneidung); treibe ich doch mein Geschäft, daß sie schon oft haben gesprochen vom nobeln Abraham Meier; habe ich dir doch gesagt, daß du sollst wegbleiben ganz und gar vom Fenster in der Office und sollst sitzen in deinem Parlor als eine Lady, und daß ich will nehmen den Manuel ins Geschäft an deinen Platz, wenn der Isaak Hirsch noch länger zurückhält mit dem Kostgelde für ihn. – Und wegen der Waren im Hinterkeller,« fuhr er halblaut fort, »weiß jemand, wo der Weg hineingeht, und sucht jemand dergleichen beim Abraham Meier, der sein Geschäft so nobel betreibt? Warum soll ich nun nicht nehmen einen großen, sichern Gewinn –« Er hielt plötzlich inne und horchte auf. »Hast du gehört?« fragte er nach einer Weile.

»Was soll ich haben gehört?« erwiderte sie. »Es war jemand an der Hintertür.«

»An der Hintertür – wer hat etwas zu tun an der Hintertür?« sagte er und horchte noch immer mit gespanntem Gesichte.

»Was tust du so ängstlich? Wer soll's anders sein als einer, der nicht will gehen zum Pfandleiher am hellen Tage durch die Vordertür? Du hattest niemals Angst, Abraham, als du noch ließest deine Hand von verdächtigen Waren.«

In diesem Augenblicke klappte die Tür der Office, und Meiers Gesicht verfärbte sich. »Geh' hinaus, Rebeckche, tu' mir's zuliebe und sieh, wer da ist,« sagte er hastig und leise. »Morgen kommt der Meier Friedmann, und dann soll kein Stück Ware mehr sehen den Hinterkeller.«

Die Frau ging ruhigen Schrittes nach der Office, und Meier, hörte, wie sie eins der Fenster des Gitters öffnete.

»Ist der Abraham nicht hier, Ma'am?« klang es in englischer Sprache. »Ich komme soeben aus dem Süden und möchte ihm gern ›Guten Tag‹ sagen.« Meier atmete mit sichtbarer Erleichterung auf, fuhr mit der Hand ordnend durch seine Haare und trat hinaus.

Vor dem Gitter stand ein Mann in elegantem Anzuge, mit dunkelm Schnurrbart und freier Haltung, Meiers Auge hatte im Nu die ganze Erscheinung überflogen und blieb dann an dem lächelnden Gesichte des Eingetretenen hängen. Es war schon Wochen her, daß niemand mehr durch die Hintertür zu ihm gekommen war; die Weise, sie zu öffnen, war nur einzelnen seiner vertrauten Kunden bekannt, und von, dem Gesichte vor ihm kannte Abraham keinen Zug.

»Was steht Ihnen zu Diensten?« fragte er, an das Fenster tretend, während sich seine Frau in das hintere Zimmer zurückzog.

»Hm, kennt Ihr mich nicht mehr, alter Bursche?«, erwiderte der Angeredete und reichte ihm die Hand durchs Fenster, »Haben doch schon manches miteinander zu tun gehabt, wenn auch nur abends. Mein Name ist Wells, Henry Wells, Sir.«

Meier sah dem Manne noch einen Augenblick befremdet, aber scharf prüfend ins Gesicht. Dann nahmen seine Züge den Ausdruck der kältesten Höflichkeit an; er bog sich vom Fenster zurück, ohne die dargebotene Hand zu berühren. »Möglich, Sir, daß wir schon ein Geschäft zusammen gemacht haben, ich kann mich Ihrer aber durchaus nicht entsinnen; es gehen vielerlei Art Leute jährlich in meiner Office aus und ein. Was steht zu Ihren Diensten?«

»Well, Sir, Sie müssen mich als alten Bekannten entschuldigen, daß ich, wie früher, den Weg durch die Hintertür genommen habe,« erwiderte der andere, ihm mit ungestörtem Lächeln ins Gesicht sehend; »es war mir gerade bequem. Kann ich nicht ein Viertelstündchen mit Ihnen plaudern, ungestörter als gerade hier in der Office?«

»Ich mache nirgends anders Geschäfte als in meiner Office,« erwiderte Abraham so kalt wie vorher, aber sein Auge begann unruhiger zu werden. »Sagen Sie, was Ihnen zu Diensten steht, ich bin heute sehr beschäftigt!«

Um den Mund des anderen zuckte es wie halber Spott, »Ich bin kein Polizeispion und auch kein ärgerer Spitzbube, als mit denen Sie bereits zu tun gehabt, Mr. Meier,« sagte er mit halbgedämpfter Stimme; »Sie haben also nichts zu fürchten. In Ihrem Hinterhause ist ein kleines, hübsches Stübchen, in welchem Sie schon oft ganz artige Geschäfte abschlossen – warum wollen Sie also durchaus mit mir nur in Ihrer Office verhandeln? Sie sehen doch nun, daß wir alte Bekannte sind, wenn ich auch gestern erst wieder in Neuyork angekommen bin.«

Meiers Gesicht wurde blaß, und sein Auge fixierte von neuem unsicher den vor ihm Stehenden. »Ich weiß nicht, von was Sie reden,« sagte er dann und suchte hörbar seiner Stimme Festigkeit zu geben, »und dazu kenne ich Sie durchaus nicht –«

»Tut vorläufig gar nichts, alter Freund,« lachte der Fremde; »sagen Sie mir nur, ob Sie eine Viertelstunde mit mir plaudern wollen oder nicht. Wollen Sie mich nicht in Ihr Geheimzimmer führen, so tut's auch Ihr Parlor – unsere Unterhaltung soll ganz unverfänglicher Natur sein, das verspreche ich Ihnen, Hoffentlich wird der noble Abraham einen alten Bekannten, der nicht einmal etwas von ihm verlangt, nicht in seiner Office abspeisen, wie etwa einen Menschen, der zum armseligen Pack gehört,«.

In Meiers Gesicht wechselten Röte und Blässe; er sah bald unentschlossen vor sich nieder, bald in die halb spöttisch lächelnden Züge seines Gegenüber. »Wenn Sie darauf bestehen –«, sagte er endlich und schloß langsam, wie noch im halben Kampf mit sich selbst, das Fenster; als er aber die Gittertür öffnen wollte, schien ihn ein neues Bedenken zu ergreifen, »Wenn Sie vorweg die Treppe hinaufspazieren wollen –,« sagte er; »ich komme Ihnen auf dem Fuße nach.« Der andere lachte leicht auf. »Ich habe keine Absichten auf Sie noch auf Ihr Eigentum, Abraham,« sagte er und öffnete die Tür nach dem Hausflur. »Kommen Sie ruhig hinter Ihrem Gitter hervor.« Aber erst als der Fremde die Office verlassen, schloß Meier die Gittertür auf, die er, kaum daß er herausgetreten, rasch wieder ins Schloß warf.

Der Parlor im oberen Stock, wohin Abraham seinen aufgedrungenen Gast führte, präsentierte sich so nobel als der Pfandleiher selbst. Ein Carpet (Teppich) von schreienden Farben bedeckte den Boden, und den mit Pferdehaarzeug überzogenen Möbeln wie dem prahlenden Goldrahmenspiegel sah man es an, daß sie den Trödlerladen kennen gelernt hatten. Zwei große Ölgemälde hingen an der Wand, an denen die Rahmen indessen jedenfalls den wertvollsten Teil bildeten, und zwei ordinäre Blumenvasen nebst einer gelblakierten Parlorlampe schmückten den Kaminsims.

Der Fremde schritt ungeniert dem Schaukelstuhle zu, aus welchen er sich bequem niederließ. »Holen Sie sich einen Stuhl, Abraham,« sagte er, »und lassen Sie vor allen Dingen Ihre ängstliche Miene fahren; ich beiße Sie wahrhaftig nicht und will auch kein Geld von Ihnen.«

Meier ließ sich, die Augen groß auf den Eindringling geheftet, ihm gegenüber nieder.

»Ich komme soeben aus Alabama,« begann dieser leicht, »und habe da einen Verwandten von Ihnen, einen alten Pedlar, getroffen.«

»Ah – den Isaak Hirsch, vermute ich«, sagte der Pfandleiher, und sein Gesicht begann an ängstlicher Spannung zu verlieren. »Ist der alte Mann wohl, und hat er Ihnen vielleicht irgendeinen Auftrag für mich gegeben?«

»Als ich ihn sah, war er wohl,« erwiderte der Fremde; »sonst hat er mir für Sie nichts Besonderes übertragen. Ist aber nicht etwas wie ein Schwestersohn von ihm vorhanden? Wenigstens sprach er –« »Der Manuel, versteht sich, der Manuel, den ich in Kost habe. Haben Sie etwas für ihn?«

»Nichts von Bedeutung – hilft er mit in Ihrem Geschäfte?

Meier sah seinem Gaste einen Augenblick scharf in die Augen, ehe er antwortete. »Hat Ihnen der Alte vielleicht Auftrag gegeben, nachzusehen, ob ich unrecht handele an dem Jungen«, sagte er dann, »so mögen Sie ihm nur melden, daß, wenn er mich auch drei Monate ohne das Kostgeld für ihn gelassen habe, der Manuel doch noch immer bei Smith und Johnson, Advokaten in Duanestreet, sei, um zu schreiben und die Gesetze kennen zu lernen, wie es der Alte verlangt hat, ehe er das letztemal nach dem Süden ging.«

»So, bei Smith und Johnson arbeitet er, und der Alte ist Ihnen noch das Kostgeld für ihn schuldig«, sagte der Fremde und stützte den Kopf in die Hand. »Sagen Sie einmal, Abraham,« fuhr er fort, und es zuckte wie ein unwillkürliches Lächeln über sein Gesicht, »ist der alte Isaak ein stiller Partner von Ihnen gewesen, daß er so genau Bescheid wußte über die Geschäfte, welche Sie bisweilen abends in Ihrem Geheimzimmer abschließen, daß er mich wegen der Hintertür zurechtweisen und mir noch weitere derartige Dinge erzählen konnte?«

Meier zuckte wie von einem Stiche getroffen von seinem Stuhle auf und warf wie unwillkürlich einen scheuen Blick durch das Zimmer. »Was hat er gesagt, was weiß er, was kann er erzählt haben?« stieß er hervor und sah seinen Gast mit aufgerissenen Augen an. »Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß ich von allen solchen Worten nichts verstehe? Und wegen des Isaak – so ist er doch nicht mehr als zweimal in meinem Hause gewesen im letzten Jahre – was kann er wissen?«

»Woher weiß ich es, Abraham?« erwiderte der andere und erhob sich langsam; »ich bin doch gestern erst nach langer Abwesenheit wieder in Neuyork eingetroffen. »Aber,« fuhr er fort und nahm seinen Hut, »Sie haben viel zu tun, und so will ich Sie nicht länger aufhalten. Adieu und grüßen Sie Mrs. Meier!«

»Nun weiß ich aber doch immer noch nicht, was Sie von mir wollten!« rief Meier aufgeregt und stellte sich vor seinen Gast, als wollte er ihm den Weg vertreten.

»Schreien Sie nicht so, Abraham, das tut in Ihrem Hause nicht gut!« erwiderte dieser, mit der Hand winkend; »ich wollte nichts weiter von Ihnen, als was ich jetzt weiß – adieu!«

»Aber Sie wissen doch nichts, Sie wissen doch bei Gott nichts!« rief der Pfandleiher, mühsam seine Stimme niederhaltend.

»Desto besser für Sie!« sagte der Eindringling mit einem halben Lachen und schritt die Treppe hinab.

Meier hielt noch unentschlossen die Parlortür in der Hand, als er den anderen schon das Haus verlassen hörte. »Was weiß er, was kann er wissen?« murmelte er unruhig vor sich hin. »Morgen kommt der Meier Friedmann, und dann nimmer wieder ein verdächtiges Geschäft, daß ich Ruhe behalte im Hause!«

Der Fremde hatte die Richtung nach dem Broadway eingeschlagen und schritt mit der Miene eines Mannes vorwärts, der ein Geschäft zu seiner Zufriedenheit abgemacht hat. Dann und wann spielte, wie in Erinnerung an die eben durchlebte Szene, ein spöttisches Lächeln um seinen Mund, und erst als er Chathamstreet kreuzte, wo die starke Passage von Fuhrwerk ihn zur Vorsicht mahnte, nahm sein Gesicht den Ausdruck von scharfer Beobachtung an, der ihm, nach den zwei tiefen Falten an der Nasenwurzel und den wie gewohnheitsmäßig halb zugedrückten Augen, natürlich zu sein schien.

An der nächsten Ecke stand eine von den Gestalten, wie man sie in Neuyork besonders in der Nähe von Trinklokalen so häufig trifft, ein Mensch in modernen Kleidern, von denen indessen jeder Teil, vom zerdrückten Hute bis zu den ungeputzten Stiefeln, eben aus den Trödelbuden gekommen zu sein schien. Er hatte die Hände müßig in den Hosentaschen stecken und musterte mit halb schläfrigem Blicke die vorbeipassierenden Menschen und Fuhrwerke. Der Fremde hatte ihn kaum bemerkt, als er seine Schritte auf ihn zulenkte! »Ich muß Euch heute abend sehen, Bill, am gewöhnlichen Orte,« sagte er, ohne länger als nur einen Augenblick bei ihm anzuhalten; »es gibt etwas, seid pünktlich da!«

» All right!« erwiderte der Angeredete, ohne seine Stellung zu verändern, und der Fremde setzte in rascheren Schritten seinen Weg fort, bis er das Astorhaus erreicht hatte und hier nach einem der Zimmer in den oberen Stocks hinaufschritt. Dort lag, eine Zigarre rauchend, ein junger Mann auf dem Sofa, der sich indessen aufrichtete, als er den Eintretenden erkannte.

Der Angekommene legte seinen Hut ab und trat dann, mit einem halb sarkastischen Lächeln in das erwartungsvolle Gesicht des anderen sehend, vor diesen.

»Well, Sir,« begann er mit vorsichtig gemäßigter Stimme, »der Erbe wäre aufgefunden, und ich verbürge mich, sein Verschwinden zu veranstalten, ohne daß nur jemand etwas Unrechtes dabei vermuten soll. Jetzt fragt es sich vor allen Dingen, wieweit Sie mit Ihrer Arbeit sind.«

»Seifert,« sagte der Dasitzende, mit einem Lachen der Befriedigung aufspringend und seine Hände auf die Schultern des anderen legend, »bei Gott, ich erkläre Sie für den abgefeimtesten Spitzbuben, den ich jemals gesehen!«

»Danke schön,« erwiderte dieser kalt, »Sie aber scheinen mir ein Kind zu sein, Mr. Murphy, das so subtile Spekulationen wie die unseren gar nicht unternehmen sollte. Ich heiße Wells, Sir – Henry Wells, mögen wir allein oder in Gesellschaft sein. Den Seifert habe ich in den Mississippi versenkt, als ich dort das Dampfboot bestieg.«

»Gut, gut! Ich verspreche Ihnen, es soll keine Namenverwechslung mehr vorkommen«, erwiderte Murphy. »Jetzt setzen Sie sich hierher. Ich gestehe Ihnen offen, daß ich schon fürchtete, wir würden nicht Zeit genug gewinnen, um unsere Nachforschungen und weiteren Maßregeln ausführen zu können. Hier,« sagte er und zog aus der Brusttasche seines Rockes einen Brief, »lesen Sie und sagen Sie mir dann Ihre Meinung.«

Seifert entfaltete ihn langsam, überflog erst Datum und Unterschrift und begann dann bedächtig zu lesen:

»Big Spring, Alab., April 13. 1850.

Lieber William!

So gut ich auch glaube, Deinen Auftrag, der so ganz mit meiner Neigung übereinstimmte, ausgeführt zu haben, so scheint doch der Deutsche einen Strich durch Deine Rechnung machen zu wollen, und ich eile, Dir das Nötige zu melden. Als ich zuerst die junge, reizende Frau sah, welcher ich nach Deinem Plane meine Aufmerksamkeit widmen sollte, konnte ich ganz den Unwillen ihrer Eltern sowie der Nachbarschaft begreifen, daß es einem solchen hergelaufenen deutschen Schlingel hatte gelingen können, diese Perle für sich wegzufischen. Ich wurde bei einer zufälligen Gelegenheit ihrem Vater vorgestellt, der ziemliches Gefallen an mir zu finden schien, und bald merkte ich, als ich, wie unwissend mit den bestehenden Verhältnissen, seiner Tochter erwähnte, daß es vielleicht ein noch stärkeres Mittel geben könne, um den Deutschen von seiner Reise nach Neuyork abzuhalten, als die Eifersucht – das war die Liebe, mit welcher der alte Mann an seinem Kinde hing, und die in jeder seiner Äußerungen ebenso unwillkürlich hervorbrach wie sein Mißfallen an ihrer Verbindung mit dem Deutschen. Schon bei meinem nächsten Besuche, welchen ich der jungen Frau machte, während ihr Mann seinem Musikunterricht außer dem Hause nachging, sah ich, daß jedes Wort, das ich von ihrem Vater sprach, tiefere Wirkung hatte, als ich selbst gehofft – sah, daß sie sich in der Stellung, in die sie sich durch ihre schnelle Heirat gebracht, nicht heimisch fand, und bestrebte mich von dieser Zeit an, ein verbindendes Glied zwischen ihr und ihrem elterlichen Hause zu sein. Ich brachte es wirklich dabei fertig, ihren Mann, selbst wenn er bei meinen Besuchen anwesend war, vollständig zu ignorieren und ihn, wie mir sein ganzes Benehmen bewies, mit größerer Sorge um den Frieden seiner Häuslichkeit und den ungestörten Besitz seiner Frau zu erfüllen, als es mit meinen bloßen Aufmerksamkeiten für die letztere, und wären diese noch so auffallend gewesen, möglich geworden wäre. Ich hielt es schon für ganz gewiß, daß Du wenigstens für die nächsten Wochen ruhig dort arbeiten könntest, ohne seine Abreise von hier fürchten zu müssen, als er plötzlich mit einer Entschlossenheit einen Streich ausführte, die ich ihm nicht zugetraut, einen Streich, der mich vollständig aus dem Sattel geworfen hat: Du kennst den alten Mr. Morton, welcher die junge deutsche Frau hat – nach dessen Farm hat gestern unser Mann alles, was in seinem Hause lebt und Beine hat, übergesiedelt. Ich begegnete ihm, als er sein junges Frauchen hinfuhr, auf der Landstraße. Er sah finster geradeaus und tat, als ob er mich nicht bemerkte: sie hatte rotgeweinte Augen und erwiderte meinen Gruß nur halb. Wenige. Minuten danach traf ich einen Wagen mit ihrem Schwarzen als Kutscher und bepackt mit einigen Kisten, auf welchen ihre schwarze Köchin saß. Ein paar Worte, welche ich mit dieser wechselte, belehrten mich über das, was geschah, und von einer Schülerin der Akademie, die ich später traf, erfuhr ich ohne Mühe, daß Mr. Helmstedt für vierzehn Tage Urlaub genommen habe, um eine notwendige Reise nach Neuyork zu machen. An dem von ihm bisher bewohnten Hause waren Läden und Türen fest geschlossen. Ich beruhigte mich dabei nicht, sondern ritt noch denselben Nachmittag, da mir Gefahr im Verzuge schien, nach Mortons Farm und ließ mich bei Mrs. Helmstedt anmelden; der Schwarze brachte mir aber den kurzen Bescheid, daß die Mistreß, solange sie hier sei, keine Besuche anzunehmen wünsche.

So steht die Sache im Augenblick, und ich fürchte, daß nur kurze Zeit nach Ankunft dieses Briefes der Deutsche Deinen Weg kreuzen wird. Handle nun, wie es Dir Deine eigene Klugheit eingibt, und schreibe mir bald; die nächste Postoffice bei Big Spring kennst Du. Wie immer Dein

John Nelson.«

Seifert faltete den Brief langsam zusammen und sah einen Augenblick nachdenkend vor sich nieder. »Dieser Mr. Nelson, sagte er dann, »scheint selbst verliebt in die junge Frau zu sein und mit seinem großen Eifer mehr verdorben als genützt zu haben. Zu gleicher Zeit aber muß ich Ihnen gestehen, daß ich persönlich Ursache habe, eine Begegnung mit diesem Mr. Helmstedt, besonders hier in Neuyork, zu vermeiden. Es heißt also vor allen Dingen rasch handeln, und damit ich eine volle Übersicht des Notwendigen erhalte, lassen Sie uns den allgemeinen Tatbestand rekapitulieren. – Sie haben in dem Nachlasse des alten Pedlars, welcher in dem Hause des Mr. Morton in Alabama starb, die Notiz über einen alten Besitztitel gefunden, von der, wie Sie meinen, niemand etwas weiß. Wie kamen Sie dazu, und warum glauben Sie, daß Sie der Alleinwissende seien?«

»Das ist einfach«, erwiderte Murphy, der stillschweigend die Überlegenheit seines Gesellschafters anzuerkennen schien. »Als der Tod des Pedlars, welcher nachts in seinem Bette an einem Blutsturze starb, entdeckt wurde, blieben seine sämtlichen Effekten unberührt, wie dies gewöhnlich geschieht, bis der Coroner die Totenschau vorgenommen hat. Der Coroner aber, nach welchem der alte Morton sandte, war krank und ernannte mich, der ich ein Bekannter von ihm bin und zufällig in der Nähe war, für diesen Fall zu seinem Deputy (Stellvertreter). So hielt ich denn die Totenschau ab und fand unter den Papieren in seinem Taschenbuch, auf welche eine Art Testament von ihm hinwies, die Quittung über einen bei Smith und Johnson in Neuyork deponierten Besitztitel mit genauer Angabe seines Inhalts. Ich habe ziemlich viel in den Besitztitelangelegenheiten des nördlichen Teiles unseres Staates gearbeitet und erkannte, sobald ich die Nummer der Landsektion und andere Bezeichnungen las, sofort die Wichtigkeit des Papiers für einen Mann, der etwas daraus zu machen weiß, während es in der Hand des Unkundigen vollkommen wertlos war. Ich setzte mich unbemerkt in seinen Besitz und übergab die übrigen Papiere dem Deutschen, Helmstedt, welcher in dem erwähnten Testament als Vollstrecker desselben namhaft gemacht worden war.«

Seifert verzog in diesem Augenblick das Gesicht zu einer so ironischen Miene, daß der Redende innehielt.

»Nun?« fragte er.

»Nichts, gar nichts,« erwiderte Seifert, »als daß ich Ihnen wahrhaftig Ihr voriges Kompliment, den ›abgefeimtesten Spitzbuben‹ betreffend, zurückgeben muß. Werden Sie nicht beleidigt dadurch,« fuhr er lachend fort, als er in Murphys Gesicht ein leichtes Rot treten sah, »die Äußerung war wenigstens nicht schlimmer gemeint als die Ihrige. Fahren Sie fort!«

Murphy warf einen finsteren Blick in seines Gefährten Gesicht und sah dann zur Erde. »Ich bin zu Ende«, sagte er.

Ein Zug von Hohn, der aber schon im nächsten Moment verschwunden war, zuckte um Seiferts Mund. »Ich glaube, Sir,« entgegnete er, »es ist jetzt wenig Zeit, den Empfindlichen zu spielen, falls Sie Ihr Unternehmen überhaupt noch verfolgen wollen.«

Murphy sah auf und schien einen inneren Widerwillen niederzukämpfen. »Was wollen Sie weiter wissen?« fragte er.

»Die Hauptfrage war also,« begann Seifert von neuem und lehnte sich bequem zurück, »ob der besagte Besitztitel auch wirklich mit allen Rechten auf den alten Pedlar übertragen war, und über diesen Punkt wollten Sie sich hier in Neuyork Gewißheit verschaffen.«

»Ich habe mich bei Smith und Johnson einführen lassen, die überhaupt alle gerichtlichen Angelegenheiten für den Alten versehen zu haben scheinen,« berichtete Murphy, vor sich niedersehend, »und es ist mir nach mancherlei Umwegen, um den Hauptzweck meines Besuches zu verdecken, gelungen, Einsicht in das Dokument zu erhalten. Das unbeschränkte Eigentumsrecht des Isaak Hirsch daran steht außer allem Zweifel.«

»Schön,« nickte Seifert, »es entsteht aber noch die eine Frage, ob der Alte nicht etwa weitere Depositen bei derselben Firma hat, wodurch, wenn auch die Erben keine augenblickliche Kenntnis des vorhandenen Besitztitels haben, sie doch so zeitig davon unterrichtet werden müßten, daß Ihr ganzer Plan, ein Abkommen deshalb mit den Leuten zu treffen und sich selbst den Hauptgewinn zu sichern, aus sehr bedeutende Schwierigkeiten stoßen dürfte.«

Murphy verzog das Gesicht zu einer geringschätzenden Miene. »Sie dürfen es Wohl bei einem Advokaten, der es gewohnt ist, alle Seiten eines Falles zu erwägen, voraussetzen,« sagte er, »daß ihm eine solche Hauptfrage nicht entgangen ist. Die sämtlichen übrigen Depositen bestehen aus Geld und sind bei einem hiesigen Handlungshause untergebracht.«

» Very well«, erwiderte Seifert. »Sie müssen mir aber schon erlauben, daß ich bei einem Unternehmen, in welchem mir selbst der gefährlichste Teil zufällt, nie etwas voraussetze. Und da bisher alles in Ordnung und reif zum Handeln ist, so gehe ich zur letzten Frage. Ich werde noch heute abend etwa dreihundert Dollars bedürfen, um meine Operationen beginnen zu können. Werden diese zur Stelle sein?«

»Ich kann sie jedenfalls anschaffen«, versetzte der Advokat. »Indessen,« fuhr er fort, seinem Gefährten scharf ins Auge sehend, »möchte ich wohl vorher etwas Genaueres über Ihren Plan sowie über die Verwendung dieses Geldes wissen. Ich habe noch nicht einmal etwas Weiteres als Ihr Wort, daß der Erbe aufgefunden sei.«

Seifert hielt mit einem gemütlichem Lächeln Murphys Blick aus. »Wünschen Sie nicht etwa eine gerichtlich gesicherte Bürgschaft, lieber Herr, daß ich wirklich den Judenjungen auf die Seite schaffen werde?« sagte er. »Oder vielleicht eine vor dem Notar beschworene Spezifikation meiner Ausgaben, versehen, mit den Quittungen der verschiedenen Herren von der ›Fancy‹ (Verbrechergilde), welche ich auf die eine oder die andere Weise bei dem Unternehmen verwenden muß? Ich will Ihnen eins sagen,« fuhr er fort und setzte sich gerade auf, »die Zeiten, wo man einen wohl verklausulierten Pakt mit dem Teufel machte, sind seit Erfindung der Polizei vorbei; heutzutage werden alle Geschäfte in dieser Branche nur auf Treue und Glauben gemacht. Ich übernehme die kitzlichste Arbeit in der ganzen Spekulation und weiß noch nicht einmal, ob der spätere Erfolg Ihrer Arbeit meine Gefahr lohnt – ich traue nur Ihrem Worte und Ihrer Einsicht. Dasselbe haben Sie bei mir zu tun – ich bin aber gern erbötig, falls Ihnen diese Übereinkunft nicht konveniert, in diesem Augenblicke noch unseren Vertrag aufzuheben. Sie haben dann am Ende weiter nichts verloren als die Kosten meiner Reise nach Neuyork.«

Murphy stand auf und ging, vor sich hinsehend, einigemal im Zimmer auf und ab. Dann öffnete er seinen Koffer und nahm ein mit Banknoten gefülltes Etui heraus. »Es sind genau dreihundert Dollars,« sagte er, indem er es leerte; »zählen Sie nach! Jetzt werden Sie mir aber wenigstens sagen können, ob überhaupt oder wieviel etwa fernere Mittel notwendig sein werden, um Ihren Teil an unserer Arbeit zu einem bestimmten Ende zu bringen.«

»Wie kann ich das wissen, Sir?« erwiderte Seifert, mit höflicher Miene die Achsel zuckend; »wie kann ich alle Hindernisse, die vielleicht überwunden werden müssen, vorausberechnen? Hundert Dollars mehr oder weniger hängen bei Unternehmungen dieser Art oft von der augenblicklichen Laune der Menschen ab, welche die praktische Arbeit in der Sache zu tun haben. Den Jungen zu entführen ist Kinderspiel; aber es zu veranstalten, daß er nicht vermißt wird, daß die übrigen Erben ohne Hindernis in das Vermächtnis eingesetzt werden können, daß Sie keine Schwierigkeiten finden, um Ihr Abkommen wegen des Besitztitels zu treffen – das ist ein Unternehmen, welches mehr als gewöhnliche Mittel verlangt. Hier liegt das Geld, falls Sie noch irgendwelche Bedenken haben sollten –«

»Nehmen Sie und gehen Sie an die Arbeit,« sagte der Advokat, sich die Stirn reibend. »Sie wissen recht gut, daß ich nicht zurück kann, wenn ich nicht den ganzen Plan aufgeben will.«

Seifert erhob sich, ging auf den Advokaten zu und legte die Hand auf seine Schulter. »Der Teufel ist noch immer ehrlicher gewesen als die, welche stets den Herrgott auf der Zunge haben. Das war das Wort, mit dem Sie mir auf dem Dampfboot Ihr Vertrauen schenkten, und daran mögen Sie nur ruhig festhalten«, sagte er. »Aber,« fuhr er fort und sah dem Advokaten mit einem eigentümlichen Blick ins Auge, »den Teufel haben auch wenige noch ungestraft betrogen, und Sie mögen auch dieser Wahrheit in unserem Falle sicher sein.«

»Habe ich schon etwas getan, das Sie zu irgendeinem Verdachte gegen mich berechtigen könnte?« unterbrach ihn Murphy, den Kopf hoch aufrichtend.

»Zu Taten war es wohl die Zeit noch nicht – ebensowenig wie am Keim einer Pflanze gleich die Früchte hängen, obgleich der Erfahrene genau weiß, wie diese einmal aussehen werden«, erwiderte Seifert mit demselben Blicke wie zuvor. »Ich verstehe Sie nicht, Sir.«

»Desto besser für Sie, und ich wünsche, daß ich Ihnen den Sinn meiner Worte nicht künftig einmal zu erklären brauche. Halten Sie Ihr Versprechen wegen meines Gewinnanteils an dem ganzen Unternehmen später so ehrlich, wie ich meine Zusagen jetzt erfüllen werde, so haben wir beide nichts zu sorgen.«

Damit drehte er sich weg und ergriff die Banknoten, die er langsam und bedächtig durchzählte und dann in seine, Geldtasche packte. »Es ist möglich, Sir, daß Sie mich die ganze Nacht nicht wiedersehen,« sagte er dann; »kommt uns aber bis morgen mittag dieser Mr. Helmstedt nicht in den Weg, so denke ich, bis dahin die Hauptsache geordnet zu haben.«

Murphy war ans Fenster getreten. »Und wann kann ich darauf rechnen, Sie wiederzusehen?« fragte er ohne sich umzudrehen.

»Jedenfalls morgen um diese Zeit, wenn nicht früher«, erwiderte Seifert und nahm seinen Hut. »Aber noch eins, Sir, wenn Sie mir die Ehre gönnen wollen, Ihr Gesicht zu sehen!

Murphy wandte sich langsam um.

»Ich bin,« fuhr der erstere fort, »unter allen Umständen, mag passieren, was da wolle, Henry Wells, Geschäftsmann von Neuyork, den Sie schon längere Jahre von seinen Reisen im Süden her kennen. Es können Fälle eintreten, wo an einer einzigen Unvorsichtigkeit in dieser Beziehung der ganze Erfolg meiner Arbeit scheitern kann.«

Murphy nickte, und Seifert verließ das Zimmer.

* * *

In einer der Querstraßen nahe dem Hafen, deren Bewohnerschaft fast nur von dem Gelde der ankommenden Schiffsmannschaft lebt und in den zahlreichen Trinklokalen, Tanzhäusern und Kaufläden aller Gattungen jedes Mittel aufgeboten hat, um auch den letzten Penny aus den Taschen der Matrosen zu locken, stand ein einstöckiges Haus, das sich indessen durch eine Breite von wohl sechzig Fuß, einen reinlichen, gelbbraunen Anstrich und durch eine bunte Gaslaterne über der Tür vor den übrigen, größtenteils schmalen und unsauberen Lokalen auszeichnete. Ein Gang führte von dem Haupteingange nach einem großen, geräumigen Tanzsaale im hinteren Teile des Hauses, während sich im vorderen Teile zu einer Seite des Ganges ein Trinklokal und zu der anderen ein Billardzimmer befand.

Es war zehn Uhr, und aus dem Tanzsaale klangen die Töne einer Polka, oft von dem Stampfen und Aufjauchzen der Tänzer übertönt, während in dem vorderen Trinkzimmer nur ein schläfriger Barkeeper (Aufwärter) hinter dem Schenktische lehnte. Bald aber öffnete sich die Verbindungstür, und zwei Männer, in heftigem Wortwechsel begriffen, traten aus dem Saal herein. Der eine war eine Gestalt von weit über sechs Fuß Höhe, mit einem Nacken und einem Schulternpaare, welche die Natur kaum für etwas anderes als einen Lastträger geschaffen zu haben schien, während das frische, gutmütige Gesicht darüber jede Sorge über eine Begegnung mit dem Goliath sogleich niederschlug. Der andere war mehr von geschmeidigem, nervigem Bau, aber seine Züge trugen denselben Ausdruck von Wüstheit und Verlebtheit, welchen man so oft unter den Besuchern dieser Tanzhäuser trifft.

»Hier – so!« rief der erstere, während er die Tür nach dem Saale schloß; »jetzt laß mit dir reden, Ben, und bringe mich nicht in Hitze – du weißt, was dann passiert! Die Mary steht heute abend unter meinem Schutze, und wer sie anrührt, hat ganze Knochen gehabt! Wir sind in einem freien Lande, und wenn sie dich nicht mehr mag, so mußt du's zufrieden sein.«

»Das Mädchen geht mit mir, und das ist alles«, sagte der andere. Er drehte sich nach der Saaltür um, aber die Hand des Riesen, wohl um die Hälfte größer als gewöhnliche Menschenhände, legte sich wie Eisen auf seine Schulter.

»Mach mich nicht böse, Ben; du kennst den Dutch Charley!« sagte dieser, und auf seiner Stirn begann sich eine gewaltige Ader zu zeigen. »Die Mary will ordentlich werden, will morgen aufs Land und ist nur noch einmal hierher gekommen, um mich hier zu finden. Sie ist meine Landsmännin, sie steht jetzt unter meinem Schutze, und weiter habe ich nichts mit ihr zu tun. Wer sie aber heute anrührt, du oder wer es sein mag, der hat mit mir zu schaffen!«

»Laß mich los!« schrie der andere und hatte sich mit einer plötzlichen Wendung dem Griffe seines Gegners entwunden; »komm heran!« rief er und sprang zurück, beide Fäuste in Boxerstellung, vor sich streckend: In diesem Augenblicke öffnete sich aber die Saaltür, und zwei andere Männer traten hastig ein:

»Dacht' ich doch so was!« rief der eine und sprang zwischen die beiden Gegner. »Bist du toll, Ben, den Charley wild zu machen? Und weißt doch, daß das Geschöpf, wenn es hitzig wird, alles blind zu Brei schlägt, was vor ihm ist, und wäre sein leiblicher Vater darunter! Laßt jetzt den Streit, 's ist noch zu früh, und wenn ihr euch durchaus hauen müßt, so tut's später!«

Dutch Charley, den einen Fuß kräftig vorgelegt stand mit drohend zusammengezogenen Augenbrauen da, und über seine Stirn schlängelte sich die Ader wie ein blauer Strick. Der andere sah ihm mit einem bösen Blicke ins Gesicht und ließ dann die geschlossenen Fäuste sinken. »Ich will jetzt keine Unruhe stiften,« sagte er nach einer Pause, »aber ich werde mir mein Recht verschaffen, wenn es Zeit ist.«

»Tue, was du willst,« erwiderte der Goliath, »nur wahre dich, daß ich nicht dabei bin.«

»Die Zeit wird alles lehren!« Damit drehte sich, sein Gegner um und schritt zur Tür nach der Straße hinaus. Eine Minute stand er vor dem Hause und sah wie überlegend die Straße hinab und hinauf. Kein Mensch ließ sich blicken, wie überhaupt selten jemand, der etwas zu verlieren hat, so spät diese verrufene Gegend betritt. Nur aus den einzelnen Trinklokalen drang wüster Lärm. Ben schritt langsam die Straße nach der Stadt hinauf. Als er nm die nächste Ecke bog, hörte er den Tritt eines sich nähernden Mannes – er stand still und beobachtete, und bald sah er die nächste Gaslaterne eine stattliche Figur und einen feinen Anzug bescheinen.

»Wollen Sie mir wohl gefälligst sagen, welche Zeit es ist?« fragte er, dem Herankommenden entgegengehend.

Dieser warf einen musternden Blick auf den Frager. »Mit Vergnügen,« sagte er dann; »lassen Sie uns nur hier an die Laterne treten.« Kaum aber war Ben der Aufforderung gefolgt, als ihm auch die sechs Mündungen eines Revolvers ins Gesicht starrten, welchen der Fremde statt der Uhr hervorgezogen hatte.

»Teufel!« rief jener, überrascht zurückspringend; »ich sehe, daß Sie um die Zeit Bescheid wissen. Ich danke schön für die Auskunft!«

»Einen Augenblick noch!« rief der Fremde, als sich der betrogene Spitzbube in die nächste Seitenstraße schlagen wollte, und senkte seine Waffe; »ist das nicht der Ben?«

Dieser blieb stehen und warf einen mißtrauischen Blick zurück.

»Der immer Nr.4 Howardstreet sein Absteigequartier hatte?« setzte der Fremde hinzu.

Der andere kam vorsichtig heran. »Beim Donner!« rief er plötzlich; »das ist der Graf! Wo in Teufels Namen kommen Sie denn her, um Ihren Bekannten solche Streiche zu spielen?« Er hielt seine Hand hin, die jener ohne Bedenken ergriff.

»Und wie kommen Sie denn zu den Geschäften, bei denen ich Sie treffen muß, Ben?« sagte der Angeredete. »So weit heruntergekommen seit den paar Monaten, in denen ich von Neuyork weg war?«

»Nur nicht den Mund so voll genommen, Verehrter,« war die Antwort; »ich erinnere mich der Zeit noch sehr wohl, wo andere Leute, gleichfalls so herunter waren, daß sie gern ein Straßengeschäft, wie ich soeben, gemacht hätten, wenn's nicht vielleicht am besten, an der Courage, gefehlt hätte!«

»Ich danke für, diese Art Courage, Ben!«

» All right, Sir! Wie darf man denn aber den Herrn jetzt nennen, ohne anzustoßen?«

»Ich heiße Henry Wells, wenn Ihr nichts dagegen habt!«

»Also amerikanisiert – guter Gedanke das! Und darf man fragen, was den Mr. Wells in diese so wenig fashionable Gegend führt?«

»Fragen darf jeder – Ihr sollt aber auch eine Antwort haben, Ben; ich habe ein Geschäft mit Bill West abzumachen.«

»Beim Donner, das sind Sie also!« rief der andere und schlug mit der Faust in die linke Hand; »und ich hätte die ganze Geschichte beinahe über meinem Ärger vergessen. – Wir gehen miteinander, Squire,« fuhr er fort und faßte Seiferts Arm; »Bill hatte mich bestellt, um Ihrer Konferenz mit ihm beizuwohnen – wissen Sie, wir arbeiten seit einiger Zeit bei größeren Geschäften im Partnership (als Kompagnons.«

»Auch ein guter Gedanke das!« lachte Seifert und schritt an Bens Arme die Straße hinab dem Tanzhause zu. »Sagt einmal,« begann er nach einer Weile wieder, »existiert der ›Totengräber‹ wohl noch? Ich war neun Monate von Neuyork weg und muß meine Personalkenntnis erst neu ergänzen.«

»Alles noch frisch auf den Beinen; ich habe ihn vor kaum zehn Minuten mitten unter einem Haufen von Mädchen verlassen – er hat an den Medizinstudenten, denen er Leichen für ihre Studien liefert, seine regelmäßigen Kunden und läßt gern etwas darauf gehen.« »Das klappt, wie es nur gewünscht werden kann,« brummte Seifert; »steckt ihm ein Wort, daß ich ihn brauche, Ben!«

Sie hatten das Tanzhaus erreicht und schritten in das Trinkzimmer. Ben verschwand im Tanzsaal und kam bald mit zwei anderen Männern zurück, die, ohne ein Wort zu sagen, dem Neuangekommenen die Hand schüttelten. Einer von ihnen nahm aus einem an der Wand hängenden Blechkästchen einige Streichzündhölzer und verließ dann durch eine nach dem Hofe führende Seitentür das Zimmer. Die vier Männer schienen sämtlich genau mit der Lokalität bekannt zu sein, denn ohne Anstoß und Zögern gelangten sie durch die Dunkelheit nach einer Falltür am Ende des Hauses, welche der Vorderste öffnete und, als der letzte Mann darunter verschwunden war, wieder schloß. Dann entzündete er eins der Streichhölzer an seinem Ärmel, nahm aus einer Vertiefung in der Mauer ein Stück Licht und zündete es an. Ein Raum, mit gespaltenem Holze und alten Gerätschaften gefüllt, zeigte sich, der indessen schnell durchschritten ward. Eine Tür an dessen Ende, anscheinend ohne Schloß, wurde von dem Voranschreitenden durch einen Druck geöffnet, und ein geräumiges Zimmer, mit Tischen, Stühlen, lederüberzogenen Sofas und Gasvorrichtung ausgestattet, tat sich auf. Bald brannte ein helles Gaslicht, und der Führer schloß vorsichtig die Tür.

»Wird hier noch viel gespielt?« fragte Seifert, sich an einem der Tische niederlassend.

»Je nachdem sich etwas fängt,« erwiderte Ben und rückte Stühle in die Nähe des Tisches; »die Geschäfte in dieser Beziehung sind in der letzten Zeit nur mager gewesen.«

»Well Gentlemen, wir wollen zur Sache gehen«, sagte Seifert, als die übrigen Platz genommen hatten: »Ein kleines und ein großes Geschäft sind abzumachen, und bei keinem ist besondere Gefahr. Ihr, Bill, sollt erstens zum Pfandleiher Meier gehen und die Ellenwaren, welche Ihr vor drei oder vier Tagen dort versetzt habt, wieder einlösen.«

»Wieder einlösen? Was soll dabei herausspringen?« fragte der Genannte, verwundert aussehend.

»Was dabei herausspringt, ist meine Sache, über die wir nachher sprechen. Ich frage nur, ob Ihr es tun und mich und Ben als Zeugen mitnehmen wollt.«

»Er wird die Waren nicht mehr im Hause haben, und selbst wenn er sie noch hätte, wird er weder von uns noch von den Gütern etwas wissen wollen – für derartige Versatzstücke wird kein Pfandzettel gegeben.«

»Ich weiß das alles und erwarte auch nichts anderes. Weigert er sich, so gehen wir wieder weg, und jeder von euch beiden, hat mit dem Wege zehn Dollars verdient.«

»Sie machen schnurrige Geschäfte, Mr. Wells – indessen geht das uns am Ende nichts an. Ist das Geld zur Hand?«

»Morgen früh um zehn Uhr gehen wir, und jeder soll die Zahlung in seiner Tasche haben, ehe er einen Schritt tut.«

»Abgemacht, Sir!«, und Seifert empfing von beiden einen bekräftigenden Handschlag.

»Nun erst ein Wort mit unserem Jack, damit er sich nicht langweilt«, fuhr Seifert fort. »Jack, ich brauche die Leiche eines Judenjungen von ungefähr vierzehn Jahren, und zwar morgen oder übermorgen nacht; es ist nicht notwendig, daß sie ganz frisch ist.«

Jack, der »Totengräber«, der bis jetzt, das Kinn auf beide Hände gestützt, dem Gespräche zugehört hatte, war augenscheinlich der jüngste von den vieren, eine schlanke Figur mit einem Gesichte, das man gutmütig hätte nennen können, wenn ihm die kleinen, unruhigen Augen nicht etwas Unheimliches gegeben hätten. Jack war jedenfalls ein »Ladies-Man« (Damenfreund), denn seine Wäsche war sauber, das rotseidene Halstuch war mit einer koketten Schleife zugebunden, eine vergoldete Uhrkette fiel über seine Weste, und der Sitz seiner Kleidung verriet die größte Sorgfalt für seine äußere Erscheinung. Als ihm Seifert seine Forderung gestellt, begann er sich in den Haaren zu kratzen. »Das ist ein seltener Artikel, Sir,« sagte er nach einer Weile, »und noch schwieriger ist es, ihn an einem bestimmten Tage herbeizuschaffen. Von den Juden kommen nur immer wenige auf den Armenkirchhof, und ich müßte mich wirklich erst einmal umsehen –«

»Was verlangt Ihr für die Arbeit, Jack?«

Der Totengräber schüttelte den Kopf. »Ich rede nicht so des Preises wegen,« sagte er; »ich weiß wirklich im Augenblick noch nicht, welche Schwierigkeiten sich mir entgegenstellen werden, und ob ich Sie überhaupt befriedigen kann. Bisher habe ich in meinen Orders nur die Bezeichnung männlich oder weiblich, jung oder alt gekannt, auf die Religion hat noch niemand etwas gegeben.«

»Wenn Ihr noch derselbe Maulwurf seid wie früher,« unterbrach ihn Seifert, »so weiß ich, daß Ihr irgendeinen bestimmten Auftrag ausführen könnt, sobald sich's nur lohnt; Neuyork ist groß und bietet ein Assortiment jeder Art. Noch einmal, und antwortet ohne viele Umschweife: was verlangt Ihr?«

Jack fuhr sich mit der Hand von neuem in die Haare. »Und wenn ich auch sagen wollte fünfzig Dollars,« erwiderte er zögernd, »so weiß ich wegen der Zeit immer noch nicht –«

»Ihr sollt hundert haben und den vierten Teil gleich jetzt als Draufgeld, wenn Ihr Eure alberne Sprödigkeit jetzt beiseite laßt; ich habe keine Zeit, lange Komplimente zu machen, und gehöre auch nicht zu den Grünen.« Er zog eine kleine Rolle Banknoten, die er schon im voraus abgezählt zu haben schien, aus der Westentasche und legte sie, die Hand daraufhaltend, vor sich auf den Tisch. »Nun?«

»Und es muß durchaus ein Jude sein?« »Eine schwarzköpfige Judenleiche, von etwa vierzehn Jahren, abzuliefern bis spätestens übermorgen nacht!«

»Und wohin?«

»Bill und Ben werden sie in Empfang nehmen – davon sprechen wir aber nachher. Wie steht's, Jack?«

»Ich werde Hilfe brauchen – es ist das« keine gewöhnliche Arbeit –« sagte dieser, seine beiden Kameraden fragend ansehend.

»Nimm den Dutch Charley,« erwiderte Bill; »sag ihm, die Sache geschehe für einen Doktor, der Untersuchungen anstellen wolle, und er beruhigt sein Gewissen, trägt dir den Körper, wohin du willst, und schlägt auch noch ein paar Polizisten ohne den geringsten Spektakel nieder, falls sie euch in den Weg kommen sollten.«

Der »Totengräber« nickte nachdenklich. »Ich werde das Geschäft übernehmen, Sir«, sagte er nach einer Pause und reichte die Hand über den Tisch. Seifert faßte sie, empfing einen kräftigen Druck und schob ihm dann die Banknoten entgegen. »Fünfundzwanzig Dollars, richtig gezählt,« sagte er; »die übrigen fünfundsiebzig, sobald die Ware abgeliefert und untersucht ist.«

»Ich werde nicht auf mich warten lassen!« erwiderte Jack, während er ein elegantes Portemonnaie aus der Hosentasche holte und das Papiergeld sorgfältig hineinlegte.

»Und nun, Gentlemen, zu dem eigentlichen Hauptgeschäfte,« begann Seifert von neuem, »denn was Jack tun wird, ist nur ein untergeordneter Teil desselben. Ich werde morgen mittag gegen ein Uhr an der Landung hier unten mit einem jungen Menschen sein, der für wenige Tage, bis ich ihn selbst abholen werde, unsichtbar gemacht werden muß. Ich hoffe, er wird gutwillig irgend jemand, den ich ihm bezeichnen werde, folgen. Weiß einer von euch einen sicheren Ort außerhalb Neuyorks, wo man ihn verbergen könnte? Ich hoffe, daß ein guter Vorwand ihn ruhig halten wird, indessen müßte nötigenfalls auch für seine zwangsweise Zurückhaltung gesorgt sein.«

»Ich habe morgen mittag ein Privatgeschäft und muß deshalb bitten, mich zu entschuldigen,« sagte Ben, die Hände in die Hosen steckend und sich auf seinem Stuhle zurücklehnend, »indessen hat Bill Verbindung in Philadelphia –«

»Wenn ich soweit mit dem jungen Menschen gehen darf,« fiel dieser ein, »so wäre es mir ein leichtes, ihn sicher unterzubringen– es darf natürlich auf einige Dollars dabei nicht ankommen.«

»Natürlich nicht,« nickte Seifert, »und die Entfernung des Orts, wo er untergebracht wird, ist mir gleich, wenn er dort nur wohl verwahrt ist. Über den Geldpunkt werden wir nachher reden. Diesen jungen Menschen,« fuhr er fort, »werde ich vorher mit neuen Kleidern versehen lassen; seinen alten Anzug aber hat einer von euch aufzubewahren und damit, vom Hemde bis zum Rocke, die Judenleiche zu bekleiden, sobald sie ankommt. Keine von den Kleinigkeiten, welche ein junger Mensch in der Regel bei sich trägt, Messer, Notizbuch, Geldtasche und dergleichen, darf dabei verloren gehen, alles muß in den Taschen verbleiben. Sobald dies geschehen ist, wird mit irgendeinem schweren, stumpfen Werkzeuge das Gesicht der Leiche unkenntlich gemacht und diese dann in den North-River geworfen. Der Erfolg der ganzen Arbeit hängt von der genauen Befolgung dieser Anweisungen ab. Die Verwandlung und Beseitigung des toten Körpers muß eine Stunde, nachdem ihn Jack abgeliefert hat, geschehen sein. Damit wäre das Geschäft beendigt, und nun teilt euch in die Arbeit und macht euere Preise.«

Ben sprang von seinem Stuhle auf. »Bei Gott, Graf,« sagte er und schlug auf den Tisch, »Sie sind noch gerade derselbe wie früher, immer nur großartige, noble Geschäfte! Das ist jetzt wieder einmal eine ganze Intrige, die ich bewundere, wenn ich auch nur einen einzelnen Faden davon sehe, und ich täte aus reinem Gefallen daran meine Arbeit umsonst, wenn sie nicht so gar widerwärtiger Natur, wenigstens für mich, wäre. Jack hat andere Nerven als ich oder ist durch die Gewohnheit in seinem Geschäfte abgestumpft.«

»Ich möchte doch wissen, was stärkere Nerven verlangt,« unterbrach ihn der »Totengräber«, sich mit indignierter Miene erhebend, »einem lebendigen Menschen mit der Schlinge die Kehle zuziehen und ihm, während er verzweifelnd nach Luft schnappt, die Taschen ausleeren, und was dergleichen Geschäfte noch mehr sind – oder einen stummen Toten, der nichts fühlt, wegtragen und damit der Wissenschaft helfen.«

»Stopp, Jack, du bist ein Hauptkerl und sollst meinetwegen recht haben,« rief der andere lachend, »ich habe dir durchaus nicht zu nahe treten wollen. Also jetzt wegen der Verteilung der Arbeit! Bill geht morgen mit dem jungen Menschen nach Philadelphia, und ich werde jedenfalls so viel Zeit erübrigen, um die alten Kleider in Empfang nehmen zu können. Das weitere wegen der Toilette der Judenleiche und ihrer Verwandlung werde ich mit Jack besprechen. Jedenfalls können Sie sich darauf verlassen, Graf, daß, wenn das Ding im North-River aufgefischt wird, kein Coroner es anders als nach den Kleidern, die es trägt, und nach den Gegenständen darin beurteilen kann.«

»Gut,« nickte Seifert befriedigt, »ich sehe, ihr faßt meine Idee gut – also hübsch saubere Arbeit, ich verlasse mich auf euch! Und nun aufgemerkt, um die Verhandlungen kurz zu machen. Morgen mittag zahle ich an Bill, wenn er nach Philadelphia geht, fünfzig Dollars, da er Ausgaben haben wird, und Euch, Ben, fünfundzwanzig auf Abschlag. In drei Tagen aber, das ist am nächsten Sonntag, wenn der Knabe bis dahin wohl verwahrt gewesen und auch Bens Arbeit sich als gewissenhaft ausgewiesen hat, jedem noch einmal fünfundzwanzig Dollars – ich denke, so ist in allem ein richtiges Verhältnis, und zu eurer Sicherheit will ich vorher den Aufenthalt des Knaben nicht wissen. Bill mag an Ben die Adresse geben, damit ich einen Anhalt habe, falls einem von euch etwas Polizeiliches passieren sollte. Einverstanden?«

Die Hände der beiden streckten sich ihm entgegen, und er drückte eine nach der anderen. »Sollte außerdem etwas passieren, so wißt ihr, wo Nachricht zu hinterlassen oder zu erhalten ist,« sagte er; »morgen früh um zehn Uhr den Besuch bei Abraham nicht zu vergessen; und nun,« fuhr er fort, sich erhebend und eine Fünfdollarnote aus der zweiten Westentasche ziehend, »ist hier etwas für ein paar Schluck Brandy – es ist alles, was ich heute bei mir trage. Oder,« lachte er nach einer kurzen Pause, als er in die Gesichter vor sich sah, von denen jedes die Note und auch die Bewegungen der beiden anderen zu bewachen schien, »ich werde den Schatzmeister machen, bis wir hinaufkommen und wechseln können.«

»Verdammt klug getan«, brummte Ben aufstehend und drehte sich auf dem Absatze nach der Tür. Bill zündete das Talglicht an und verlöschte das Gas, und vorsichtig trat die Gesellschaft wieder den Weg nach der Oberwelt an.


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