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Zweites Kapitel

Die Dämmerung hatte sich bereits über eins der nördlichen Countystädtchen (Landstädtchen) Alabamas gesenkt, da schritt in einen, nur von dem Feuerschein aus dem Kamin erleuchteten Zimmer ein junger Mann gedankenvoll auf und ab. Dann und wann hielt er horchend an, wenn sich in der Ferne das Rollen eines Wagens vernehmen ließ, um aber bald wieder, wie getäuscht, seinen Gang von neuem aufzunehmen. Nach einer Weile trat er zum Fenster, schlug die dicken damastenen Vorhänge zurück und legte die Stirn gegen das Glas. Mehrere Minuten mochte er so verbracht haben, als wieder das Geräusch eines Wagens hörbar wurde und ihn aus seinem Sinnen aufstörte. Ein Kabriolett, eleganter und moderner gebaut, als es in diesen Hinterwaldstälern trotz des Reichtums der Pflanzer gebräuchlich war, fuhr soeben an der Haustür vor; ein junger Mann, dessen Rock- und Hosenschnitt man es auf den ersten Blick ansah, daß seine Heimat im Osten war, sprang heraus und bot einer neben ihm sitzenden Dame die Hand, an welcher sich diese leicht zur Erde schwang. Ein ehrerbietiger Gruß seitens des Mannes, ein paar mit einem heiteren Lächeln begleitete Worte der Dame, und er saß wieder im Wagen, während sie in das Haus trat.

Der Mann im Zimmer war vom Fenster zurückgetreten und hatte sich, die Hand vor die Augen gedrückt, in den Schaukelstuhl neben dem Kaminfeuer geworfen – die junge Frau, welche eben den Wagen verlassen, trat ein, legte, mit einem schnellen Blick über das Zimmer, ihren Hut auf einen Seitentisch und eilte dem im Schaukelstuhl Sitzenden zu.

»Guten Abend, August!« sagte sie und zog ihm die Hand vom Gesichte. Ein ernster, stiller Blick traf den ihrigen. »Bist du ein Brummbär? fuhr sie fort, und es lag ein seltener Reiz von Süße und neckischer Laune in ihrer Stimme.

Der junge Mann setzte sich aufrecht. »Wo bist du denn gewesen, Ellen?«

»Himmel! warum denn so ein Gesicht bei der Frage, August?« rief sie und nahm seine beiden Hände in die ihren. »Mr. Nelson hat gestern sein neues Buggy (einspänniger Wagen) bekommen und lud mich ein, es auf der ersten Spazierfahrt zu versuchen – du warst doch den ganzen Tag in der Akademie, als daß ich dir erst hätte etwas davon sagen können!«

»Du weißt, Kind, daß ich dich bat, weder diesem Mr. Nelson noch seinem Freunde Murphy eine Ermutigung zu geben, unser Haus zu besuchen; ich traue ihnen beiden nicht, wenn ich auch noch keine bestimmten Gründe für das Gefühl angeben kann – und nun fährst du einen halben Nachmittag mit dem einen spazieren. Ich bin schon länger als zwei Stunden zu Haus und hatte mir vorgenommen, so vieles mit dir durchzusprechen.«

»Und ist denn dazu nicht jetzt noch Zeit? Nicht wahr, du bist vernünftig, August?« fuhr sie fort und kniete an seiner Seite auf den Teppich nieder, ihre Arme auf seine Knie legend. Der Schein des Feuers beleuchtete ihr seines und doch so frisches Gesicht; sie war bildschön in diesem Momente, und ihr dunkles Auge sah mit einem Blicke zu ihm auf, als wisse sie, daß sie ihres Eindrucks sicher sei. »Was hätte ich denn tun sollen? Ich saß hier, und langweilte mich – vielleicht hätte ich Mortons besuchen können, um die Zeit hinzubringen; aber es ist ziemlich weit bis dahin, und Pauline ist, seit wir verheiratet, sind, so still und kaum mehr die alte; es ist ein trauriges Los, das sie hat, seit ihr alter Mann so kränklich ist – da meldete Sara den Mr. Nelson – sollte ich ihn denn ohne Grund, fortschicken? Er hatte mich schon am Fenster gesehen, er wußte, daß du vor Abend nicht nach Hause kommen würdest; welche Ursache hätte ich denn angeben sollen, um sein Anerbieten abzuweisen? Und ich habe mich wirklich amüsiert bei der Fahrt, August –, nicht wahr, du zeigst mir jetzt ein anderes Gesicht?«

»War es denn nicht Grund, genug, daß du wußtest, du würdest mich betrüben – oder hättest du wirklich keine Ausflucht finden können, um das Anerbieten des Mannes abzulehnen? Höre mich, Kind,« fuhr er fort, als sich eine Wolke auf der Stirn der jungen Frau bildete und sie Miene machte, sich zu erheben – »du weißt, unter welchen Verhältnissen du mein geworden bist, weißt, daß wir durch unsere Verheiratung wider deiner Eltern Willen dem ganzen Stolze deiner reichen Verwandten und Bekannten ins Gesicht geschlagen haben, und daß dies auf die sämtlichen Familien des County zurückgewirkt hat – weißt, daß sogar unser Beschützer, Mr. Morton, dem wir allein unser jetziges Glück zu verdanken haben, darunter zu leiden hat, und daß es ihm jetzt doppelt angerechnet wird, eine junge Deutsche, unsere Pauline, geheiratet und in die hiesige Gesellschaft eingeführt zu haben, von der niemand unter allen den reichen Leuten weiß, wer sie ist, noch aus welchen Verhältnissen sie stammt. Ich hatte mir vorgenommen, sobald ich diese Verhältnisse erkannte, dem Pflanzerstolze dieser Menschen hier genug zu tun und deinen Vater mit der Zeit zu versöhnen; ich wollte ihnen zeigen, daß sie mich und meine Fähigkeiten brauchen, aber ich nicht sie; wollte mich nirgends in ihre Gesellschaft eindrängen, aber mir ihre Achtung durch mein Leben und meine Leistungen erzwingen; ich glaubte, Ellen, du würdest mir darin beistehen; der Mut, den du entwickeltest, als es unsere Vereinigung galt, würde sich auch bewähren, wenn es heißen würde, durch uns selbst und nicht durch deines Vaters Einfluß oder Geld eine Stellung zu erringen; wir versuchten es nirgends, seit ich meine jetzige Stellung in der Akademie erhielt, uns an die hiesigen Privatfamilien enger anzuschließen, wir ersparten uns jede Demütigung, ich fühlte schon, daß ich gerade dadurch anfing, eine Art Boden unter mir zu gewinnen – und nun fährst du einen ganzen Nachmittag mit einem Manne spazieren, den du kaum zweimal gesehen hast, obgleich du wußtest, wie wenig ich gerade dies wünschte – nur weil du dich langweiltest!«

»Aber was ist denn Böses darin, was schadet es denn deinen Plänen? Ich konnte die Einladung nicht gut ausschlagen, August!« sagte sie, sich langsam erhebend und den Kopf an das Kaminsims lehnend; »ich mache mir nichts aus dem Manne, aber er gehört zu den besten Familien des anderen Countys – ich weiß von Pauline und von dir, daß es für Frauen nicht Sitte in eurem Lande ist, allein mit einem anderen Manne einen Ausflug zu machen – es ist hier, wo wir leben, anders, das weißt du doch, August; und außerdem – er hat meinen Vater gesprochen, vielleicht gelingt mir eine Aussöhnung mit ihm, zeitiger als wir beide denken.«

Der junge Mann erhob sich rasch vom Schaukelstuhle und legte die Hand leicht aus die Schulter seiner Gefährtin, »Ellen,« sagte er, und ein tiefes Gefühl zitterte in seiner Stimme, »weißt du, als du zu mir kamst und sprachst: ›Hier bin ich!‹ als ich dich in meine Arme nahm und dir sagte, daß ich noch kein Dach für uns beide hätte, als du mutig versprachst, fest an mir zu halten, und ich still die Verantwortung auf mich nahm, dich als ein teures Kleinod zu erhalten und zu bewahren – damals wußte ich, daß die Prüfungsstunden für uns beide noch kommen würden – nicht die durch Not, dagegen war ja gesorgt; aber ich sah voraus, was sich bei der verschiedenen Stellung von uns beiden noch zwischen uns drängen werde. Sieh, Ellen, es ist leichter, durch Ereignisse gedrängt und in der frischen Aufregung des Gefühls den gewagtesten Schritt zu tun und alle Folgen auf sich zu nehmen, als im ruhigen Gang der Verhältnisse sich freiwillig und konsequent einer Unannehmlichkeit zu unterziehen –«

»Aber, lieber Himmel, was hat denn das alles mit meiner unschuldigen Spazierfahrt zu tun?« rief sie, den Kopf erhebend, mit einem Beben in der Stimme, als sei ihr das Weinen nahe.

»Ich wollte, du fühltest es, Ellen, dann wäre ich deiner sicherer!« erwiderte er: »Dieser Mr. Nelson hat deine Bekanntschaft gesucht, nicht als meine Frau, nicht als Mrs. Helmstedt; er hat zu dir gesprochen, hat dir Aufmerksamkeiten, erwiesen, einzig als der Tochter deines Vaters, Seit ich seinen Freund Murphy mit dessen laxen Rechtsansichten beiseite ließ, habe ich für diesen Mr. Nelson nicht mehr existiert. Er, hat. zu dir gesprochen, ohne es nur der Mühe wert zu finden, mich zu begrüßen, er hat sein Recht dazu ganz unverblümt aus seiner Bekanntschaft mit deinem Vater hergeleitet. – Dich mochte seine ganze Art und Weise kaum berührt haben, und wenn es mich auch schmerzte, daß dem so war, so hütete ich mich doch, ein Wort darüber fallen zu lassen; ich meinte immer, dein eigenes feineres Gefühl müsse dir allein den rechten Weg zeigen – mir aber war's dabei, als würde die erste Sonde angesetzt, um zu untersuchen, wie stark das Band sei, das uns zusammenhält. Ich konnte dich nur bitten, den beiden Menschen keine Ermutigungen zu geben – fühlst du denn nun, Ellen, was es für mich heißt, wenn du mit dem einen trotz meiner Bitte einen ganzen Nachmittag allein herumfährst und zu deiner Rechtfertigung sagst, er habe von deinem Vater mit dir gesprochen; wenn du Langeweile und dein Amüsement vorschützest, wo es sich bei uns, wenn wir uns selbst eine Stellung erringen wollen, noch um ernste Kämpfe handelt, in denen mein Arm erlahmen müßte, wenn du nicht fest und dicht zu deinem Manne hieltest, damit sich nichts, und wäre es dein eigener Vater, zwischen uns drängen kann?«

»Aber ich liebe doch meinen Vater, und er liebt mich – du weißt das!« sagte die junge Frau, den Kopf hebend und den Oberkörper zurückbeugend, daß Helmstedts Hand von ihrer Schulter glitt; »ich habe nie einen anderen Gedanken gehabt, als daß ich ihn bald wieder aussöhnen würde. Soll ich denn jedes Wort zurückstoßen, das mir vielleicht von ihm hinterbracht wird? Soll ich denn gegen Leute, die freundlich mit mir sind, ohne Grund und Ursache barsch sein? Du bist gereizt, und das macht dich ungerecht, auch ungerecht gegen mich!«

Helmstedt wurde blaß. »Wir verstehen uns nicht, Ellen, und das ist traurig,« sagte er nach einer kurzen Weile – »vielleicht begreifst du erst den Sinn meiner Worte, wenn du aufs neue zu wählen haben wirst zwischen mir und deinem Vater, wenn dir unser kurzes Liebesglück als bloße jugendliche Torheit vorgestellt, wenn dir vielleicht ein Ersatz für mich geboten werden wird, der kein Opfer von dir verlangt.« »August, und dies alles um die eine Spazierfahrt?«

»Wir verstehen uns eben nicht, Ellen!« sagte er mit einem halben Seufzer und schritt mit gesenktem Kopfe langsam nach der Tür. Sie sah ihm nach, in ihrem Gesichte zuckte es, als wolle sie ihn zurückrufen – aber sie schwieg, und als die Tür hinter ihm zufiel, sank sie in den Schaukelstuhl, drückte ihr Taschentuch vor die Augen und brach in ein kurzes Schluchzen aus. Bald aber, als bemächtigte sich ihrer ein anderer Gedanke, blickte sie wieder in das Feuer, erhob sich dann rasch und trat, die Vorhänge halb zurückschlagend, ans Fenster. Die Straße lag nur noch in der letzten Abendbeleuchtung vor ihr – eben wollte sie sich wieder wegwenden, da schritt ein elegant gekleideter junger Mann die Straße herab, sah nach ihrem Fenster und grüßte tief – es war ihr Begleiter vom Nachmittag. Sie errötete, ließ die Vorhänge fallen und trat, vor sich hinsinnend, zurück nach dem Feuer.

Helmstedt war in das neben dem Parlor befindliche Speisezimmer getreten. Dort war es kalt und unwirtlich; kein Feuer brannte im Kamin, noch ließen sich irgendwie Vorbereitungen für den Abendtisch sehen! Helmstedt sah nach, seiner Uhr – es war eine halbe Stunde über sechs. Er schloß die Tür wieder und ging nach dem umzäunten Platze hinter dem Hause; dort stand ein Schwarzer und tränkte zwei Pferde.

»Hast du Sara nicht gesehen?« fragte Helmstedt.

»Dort kommt sie hergesaust, Sir!« erwiderte dieser lachend und zeigte nach dem Gittertor, wo eben eine zierliche weibliche Gestalt hereinschlüpfte, die ihrem modernen Putz und den graziösen Bewegungen nach, ohne das schwarze Gesicht, für eine der fashionablen Ladies der Stadt hätte gehalten werden können.

»Haben wir kein Abendbrot heute?« fragte Helmstedt, als sie herankam.

»Mistreß war den Nachmittag ausgefahren und brauchte mich nicht, Sir,« erwiderte sie, den Hut eilig aufbindend und vom Kopfe nehmend, »und ich vergesse so oft, daß ich jetzt auch die Köchin machen muß, daß ich mich bei meinem Ausgange verspätete.«

»Warte einen Augenblick, Sara,« sagte Helmstedt. »Bei aller Freiheit, die ich dir gern lasse, mag ich doch nicht darunter leiden. Mit der allzu faulen Zeit als Kammermädchen, weißt du, ist es aus; entweder tust du deine Pflicht, und wir bleiben gute Freunde, oder du zwingst mich, dich irgendwo hinzugeben, wo sie nicht so viel Nachsicht mit dir haben möchten. Ich habe schon einige Male in ruhiger Ermahnung zu dir gesprochen – jetzt werde ich nicht viel mehr reden. Sage Mrs. Helmstedt, daß ich in einer Stunde zum Abendessen wieder zurück sein werde!« Er schritt durch das Gittertor der Umzäunung in das offene Feld hinaus.

»Hat's einmal was abgesetzt?« kicherte der Schwarze, den Kopf halb nach dem Mädchen kehrend.

»Pschah!« sagte diese und zog die Oberlippe in die Höhe, »er hat eigentlich gar kein Recht, mir was zu sagen, ich gehöre der Mistreß und nicht ihm!«

Sie verschwand in der Küche, und bald wurde ein Geräusch laut, als würden Tiegel und Pfannen kopfüber, kopfunter durcheinander geworfen.

Die junge Frau im Parlor hatte sich nach einer Weile, wie sich zusammenraffend, in die Höhe gerichtet und trat in das anstoßende Speisezimmer. Sie sah hier um sich und schritt dann nach der Küche, wo bereits ein prasselndes Feuer im Kochofen brannte. »Es ist wohl schon spät, Sara,« sagte sie zu der eifrig wirtschaftenden Schwarzen, »mache Feuer im Eßzimmer und brenne Licht an; Mr. Helmstedt wird gewiß schon auf das Abendbrot gewartet haben.«

Die Schwarze erwiderte nichts, setzte aber den Teekessel, welchen sie in der Hand hielt, auf den Tisch, als wolle sie ein Loch hineinschlagen, und schoß zur Tür hinaus. Bald hörte man sie unter dem gespaltenen Holze im Hofe rasseln, wieder zur Hintertür hereinkommen und das Holz auf die Steine vor dem Kamin im Speisezimmer werfen. Die Hausherrin war langsam zurückgegangen. »Wieder etwas in deinen Kopf gefahren, Sara?« sagte sie, mit einem zerstreuten Lächeln den Kopf nach der Schwarzen wendend.

»Nichts Besonderes, Ma'am!« erwiderte diese, ohne aufzusehen; »man weiß nur nicht, was man zuerst tun soll, wenn man der einzige Dienstbote im Hause ist. Kaum eine Stunde bin ich weg gewesen, und Mr. Helmstedt hat mich deshalb schon ausgescholten – er will mich fortgeben und ich kann doch nichts dafür, wenn ich einmal vergesse, daß wir nicht mehr in Oaklea leben und nicht mehr die guten Zeiten haben, wie sie dort waren.« Sie blies in die Kaminglut, daß Funken und Asche umherstoben.

»Ist Mr. Helmstedt wieder ausgegangen?« fragte die junge Frau nach einer kurzen Pause.

»Er will in einer Stunde zum Abendessen wieder zurück sein,« erwiderte das Mädchen und sah auf. »Aber nicht wahr, Miß Ellen,« fuhr sie fort, »es geht nicht, daß er mich von Ihnen wegschickt, wenn Sie auch jetzt Mrs. Helmstedt heißen? Wir sind ja doch zusammen aufgewachsen, und ich gehöre doch nur Ihnen zu –«

»Er wird es auch nicht im Ernst beabsichtigt haben,« erwiderte sie, dem Blicke der Schwarzen ausweichend; »aber vergiß nicht, Sara, daß die Zeit der Sorglosigkeit vorüber ist, und tue deine Pflicht.«

Sie ging langsam nach dem Parlor, ließ sich wieder in den Schaukelstuhl nieder und stützte den Kopf in die Hand.

Waren es die hingeworfenen Worte der Schwarzen gewesen, welche die Bilder, die jetzt au ihrer Seele vorbeizuziehen begannen, hervorgerufen hatten, oder waren sie noch die Rückwirkung des Gesprächs mit ihrem jungen Begleiter vom Nachmittag, der von ihrem Vater geredet? Wer will alle die oft unbewußten Eindrücke erforschen, welche Gedanken hervorrufen und den Gang anderer bestimmen? Vor Ellens Geiste stand das schöne, grüne »Oaklea«, in dem sie geboren und ausgewachsen, in welchem ihre jungen Jahre, gehätschelt von einem zärtlichen Vater und nur leicht überwacht von einer nachsichtigen Mutter, wie ein wolkenloser Frühlingstag verstrichen waren. Sie empfand, wie mit dem Gefühle eines drückenden Traumes, noch einmal die Zeit, in welcher es sich in ihrer reinen Sphäre zum ersten Mals wie die Ahnung eines kommenden Gewitters sammelte, in welcher der unangenehme Mensch Baker, den ihre Eltern zu ihrem künftigen Lebensgefährten bestimmt hatten, in ihren Kreis trat; die Zeit, in der sie ihren Vater nicht begreifen und den ihrer wartenden Zwang nicht fassen konnte; in der ihre schwärmerische, kindliche Anhänglichkeit mit dem Widerwillen gegen den aufgedrungenen Bräutigam in Kampf trat; sie sah Helmstedts edles Gesicht und treues Auge neben sich in der Familie auftauchen, bei deren erstem Anblick es ihr gewesen war, als müsse ihr in dem Neuangekommenen ein helfender Freund in ihrer Not erstehen – alles ging an ihr vorüber wie ein Traum, in welchem man schon vorher weiß, was kommen wird, und in dem man sich über nichts wundert. Sie sah sich durch den Drang der Verhältnisse an Helmstedts Brust geworfen, und es trat klar vor sie, daß doch eigentlich nur die Aufregung jener Tage ihren Gefühlen für ihn eine Färbung gegeben hatte, die sie für Liebe genommen, und die sie für die erste Zeit auch wohl ebenso beseligt hatte; daß doch nur die ungewohnte Hartnäckigkeit ihrer Eltern in Verfolgung des beschlossenen Heiratsprojektes, zusammen mit Helmstedts Edelmut, der sich lieber der höchsten Gefahr ausgesetzt, als daß er einen Schatten auf ihre Ehre hätte fallen lassen, sie zu den äußersten Schritten, zu einem Aufgeben ihrer Heimat und zu einer raschen Verbindung mit Helmstedt hatte treiben können. Sie träumte fort, und es fiel wie ein heller Sonnenstrahl in ihre Gedanken – das waren die Worte, welche ihr heute von ihrem Vater gesandt worden waren; ihr Herz schwoll, und die Liebe zu dem Manne, der sie ihr ganzes Leben lang wie eine teure Blume gehegt und gepflegt, brach in ihr mächtiger als jemals hervor, daß sich unbewußt ihre Augen mit Tränen füllten. Und auch die Gestalt des jungen Überbringers der väterlichen Botschaft, welcher jetzt in ihrer Eltern Haus aus und ein ging, stieg vor ihrer Seele auf; es war ihr, als sei sie durch die Berührung mit ihm aus einem Kreise, wohin sie nicht gehörte, wo ihr Fühlen und Denken nicht verstanden wurde, heraus- und wieder auf den Boden ihrer angebornen Heimat getreten. Ein wohltuendes Gefühl, wie die Lösung einer verdeckten, uneingestandenen Dissonanz, überkam sie. – –

In der Straße war es längst tiefe Nacht geworden, und das Feuer im Kamin war bis auf ein Häufchen glühender Kohlen niedergebrannt, als die junge Frau mit der Hand über die Augen fuhr und aufsah. Sie schien sich erst besinnen zu müssen, wo sie sei – dann aber erhob sie sich mit einem leisen, wie unwillkürlichen Seufzer, blickte eine Weile sinnend in die Kohlen und nahm dann einen der Leuchter vom Kaminsims. Bald hatte sie sich an der Kohlenglut Licht geschaffen. Die Uhr auf dem Kaminsims wies schon eine halbe Stunde über acht. Sie ließ die Vorhänge an den Fenstern übereinander fallen und ging nach der Küche, wo Cäsar, der Schwarze, mit dem Ausbessern eines Pferdezaums beschäftigt war, während Sara, den Kopf auf den Tisch gelegt, in regelmäßigen Zügen schnarchte.

»Hat noch niemand etwas von Mr. Helmstedt gesehen?« fragte Ellen.

»Ich bin eben erst herein, Ma'am!« erwiderte der Schwarze und rüttelte das schlafende Mädchen. »Ist Mr. Helmstedt dagewesen?«

Sara warf auffahrend ihren ersten Blick nach dem Ofen, in welchem längst alle Glut erloschen war, und sprang dann von ihrem Sitze auf. »Die Biskuits sind schon zweimal kalt geworden, und der Schinken dorrte so aus, daß ich ihn von der heißen Platte habe nehmen müssen,« sagte sie brummig; »ich kann nichts dafür, wenn Mr. Helmstedt wieder zankt.«

»War er noch nicht wieder hier?« fragte die junge Frau.

»Ich habe nichts von ihm gesehen.«

»Geh in dein Bett, Sara – ich werde nichts essen, und Mr. Helmstedt hat sicher irgendwo anders zu Abend gespeist. Cäsar wird warten, bis er zurückkommt.«

»Sicherlich, Ma'am!« war des Schwarzen Antwort; »ich habe ohnedies noch eine Weile zu arbeiten.«

Ellen ging langsam zurück nach dem Parlor, der nur trübe von dem einen Lichte erhellt war. Sie brannte ein zweites an, setzte sich in den Schaukelstuhl und wartete. Aber der Zeiger der Uhr wies schon auf zehn, und Helmstedt war noch nicht zurückgekehrt. Unruhig hatte die junge Frau zu verschiedenen Malen sich erhoben, die Vorhänge zurückgeschlagen und in die dunkle, stille Nacht hinausgesehen; jetzt verließ sie von neuem ihren Sitz, zog die feinen Augenbrauen zusammen und schien mit einem Entschlusse zu kämpfen. Langsam löschte sie eins der Lichter aus und begab sich mit dem anderen nach ihrem Schlafzimmer im oberen Stock. Es war das erstemal, seit sie verheiratet war, daß sie diesen Weg allein antrat. Als sie durch die »Halle« schritt, erklang aus der Küche einer der eigentümlichen Negergesänge, mit welchen sich Cäsar die Zeit vertrieb:

»Der alte Tommy wußte wohl
Mit Mädchen umzugehn;
Und kam sein Schatz um sechse nicht.
So harrt er bis um zehn.
Bei Frauenzimmern heißt's: subtil.
Wenn man ihr Herz gewinnen will.
O Tommy, Tommy, Tommy, Tommy
War ein kluger Mann.«

Ellen horchte einen Augenblick auf das Lied, das sie so oft von dem Schwarzen in dem Hause ihres Vaters hatte singen hören, zog dann die Lippen in einer sonderbaren Mischung von Spott und Bitterkeit zusammen und verschwand in ihrem Schlafgemach.

Als Helmstedt sein Haus verlassen, war er eine Strecke zwischen den Feldern hinter dem Städtchen fortgeschlendert. Er wollte mit sich selbst klar werden, ehe er nach Hause zurückkehrte – und es lag mancherlei auf seiner Seele, was des ordnenden Gedankens und des kräftigen Entschlusses bedurfte, mancherlei, von dem die eben durchlebte Szene mit seiner jungen Frau nur einen Teil bildete. Als Isaak, der alte Pedlar, der so vielfach in sein Leben eingegriffen, und dem er so manches zu danken hatte, in dem Hause seines Freundes Morton gestorben war, hatte es Helmstedt gern zugesagt, der Vollstrecker seines letzten Willens zu sein, wie es der Verblichene gewünscht, aber jetzt fanden sich Schwierigkeiten in der Ausführung dieses Versprechens, die sich im ersten Augenblick nicht voraussehen ließen. Ein unmündiger Schwestersohn des Verstorbenen, in Neuyork wohnhaft, war sein Erbe, und wollte Helmstedt sein Interesse nicht in fremde, vielleicht unzuverlässige Hände geben, so mußte er selbst nach dem Osten reisen, um die ganze Angelegenheit zu einem sicheren Abschluß zu bringen. Dazu gehörte aber Geld – Geld für die Reise und den Aufenthalt in Neuyork sowie für den Unterhalt seines Hausstandes, während er abwesend war und seinem Broterwerb als Musiklehrer in der »Akademie« des Städtchens nicht nachgehen konnte. Bei seiner Verheiratung hatte Ellen wohl ein Kapital von etwa eintausendeinhundert Dollars gehabt, das von ihren Vater als »Sparbüchse« nach und nach für sie angesammelt und von diesem an Helmstedt überliefert worden war; davon war aber der größte Teil für ihre Einrichtung darauf gegangen und der Rest in Ellens Händen für ihre Garderobe und anderweitige kleine Bedürfnisse geblieben, und Helmstedt hätte wohl lieber selbst still die größten Entbehrungen ertragen, ehe er von dieser Summe einen Cent zurückverlangt hätte. Aber er besaß zwei Reitpferde von ausgezeichneter Rasse, welche ihm gleichfalls bei seiner Verheiratung von Ellens Vater übermacht worden, und von denen ihm wenigstens eins schon längst ein unnützer Fresser geschienen hatte, besonders jetzt, wo ihm nichts zuwuchs und er jeden Bushel (Scheffel) Futter kaufen mußte. Ellen war freilich seit frühester Jugend an den Luxus eines eignen Reitpferdes gewöhnt – und sie ritt gern – während die Verhältnisse des Landlebens ein Pferd für ihn selbst notwendig machten. Er hatte gerade bei ihr heute sondieren wollen, wie groß das Opfer sei, das sie ihm durch die Abschaffung des ihrigen bringen würde. Der Ertrag desselben hätte ihm das augenblicklich benötigte Geld herbeigeschafft, das, da die Wiedererstattung desselben aus der Hinterlassenschaft nicht lange auf sich warten lassen konnte, ihm zugleich ein Reservekapital für Krankheiten oder unvorhergesehene Fälle geworden wäre. Denn was er mit angestrengter Arbeit jetzt verdiente, ging Null für Null in seinem Hausstande auf. Er hatte heute nicht mit Ellen über diese Dinge reden können – und ob er dies jemals zu tun imstande wäre, wußte er jetzt nicht; es drückte ihn jedoch, mehr als die ganze Angelegenheit, die Ursache, die eine gegenseitige Aussprache verhindert hatte. Im Hintergrunde seiner Seele stand, seit er sein Haus verlassen, ein Gespenst, das er mit Macht zurückdrängen wollte und doch nicht loswerden konnte. Dies war die empordämmernde Überzeugung, daß nicht die Liebe zu ihm das alles durchdringende, jeden andern Einfluß ausschließende Element in Ellens Seele war, das Element, welches ihre Gedanken und Handlungen leitete, wie er es sich in den Stunden stiller Träumereien vorgestellt – daß ihre Gefühlsweise wie die Auffassung ihrer jetzigen Verhältnisse eine durchaus andere war als die seinige – daß er sich nicht mit ihr verstand. Er sah einen Menschen in seinen Kreis treten, gegen welchen ihn ein Gefühl, von dem er sich selbst keine Rechenschaft geben konnte, auf seiner Hut zu sein hieß – er sah diesen augenscheinlich das Vertrauen seiner Frau gewinnen und sein Anstreben dagegen machtlos – er fühlte eine fremde Macht, den Einfluß von Ellens Eltern, sich zwischen ihn und seine Frau, auf deren Festigkeit er den Plan seines ganzen künftigen Lebens gebaut, drängen, eine Macht, deren Einfluß sich schon so weit geltend machte, daß darüber selbst die gewöhnlichste Rücksicht gegen ihn, die der einfachste Arbeiter in seinem Hause verlangt: eine pünktliche Mahlzeit, wenn er von der Arbeit zurückkehrt, vergessen wurde. – Er stand still und drückte die Hand vor die Augen – was sollte er tun?

So weit war er in seinem Gedankengange gelangt, als er seinen Namen nennen hörte. Er sah auf und bemerkte jetzt erst, daß er, willenlos dem Wege folgend, auf die Landstraße geraten war. Vor ihm hielt ein Schwarzer zu Pferde.

»Wenn Mr. Helmstedt abkommen könnte,« sprach dieser, »so möchte er doch nach Mr. Mortons Hause kommen. Mr. Morton ist heute nachmittag recht krank geworden und möchte Mr. Helmstedt sehen.«

Der Angeredete hatte sich rasch aus seinen eigenen Gedanken gerissen. »Krank? Ist er sehr krank?« fragte er.

»Ich weiß nicht, Master, aber Mistreß Morton befahl mir, rasch zu reiten.«

Helmstedt stand einen Augenblick unschlüssig. »Ich bin schon zu weit von meinem Hause entfernt, um wieder zurückzugehen,« sagte er dann, »komm herunter, Bill, und überlasse mir das Pferd, du kannst langsam nachkommen.«

Der Schwarze stieg gehorsam ab, und im nächsten Augenblick war schon der junge Mann im Sattel.

»Soll ich vielleicht Ihr eigenes Pferd nachbringen?« fragte Bill. Helmstedt aber sprengte bereits davon und hörte nichts mehr. Der Schwarze sah ihm nach und kratzte seinen Wollkopf. »Da habe ich nun noch ein gutes Ende Weges bis zu meinem Abendbrot!« sagte er mehr launig als ärgerlich und schlug, langsam davonschlendernd, den Rückweg ein.

Mortons Landsitz war über fünf Meilen von dem Städtchen entfernt, und Helmstedt ließ den steifen Ackergaul unbarmherzig die Hacken fühlen, um rasch vorwärts zu kommen; aber die völlige Dunkelheit war bereits hereingebrochen, ehe er nur die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte. Als er endlich die erleuchteten Fenster des Hauses und die dunklen Gruppen der Bäume daneben erblickte, überkam ihn eine ganz eigentümliche Empfindung. Morton war es gewesen, der durch eine sonderbare Verkettung von Umständen der Beschützer seiner Liebe zu Ellen geworden, dessen Hilfe ihm die Bereinigung mit ihr allein möglich gemacht hatte, und der ihm in der ganzen Gegend auch allein ein Freund geblieben war. Auf demselben Wege, welchen er jetzt ritt, war er vor einigen Monaten, des Glückes voll, mit seiner jungen Frau von der Trauung zurückgekehrt; wie jetzt hatten ihm die Lichter desselben Hauses entgegengeschimmert, die er damals als Leitsterne zu einem sicheren Hafen betrachtet. Zum erstenmal, seit er in der Stadt wohnte, kam er diesen Weg wieder – die Wolken, die sich seit jener Zeit um sein junges Glück gezogen, traten in ihrer ganzen Trübe vor seine Seele; und doch war es ihm, je deutlicher das stille Landhaus aus der Dunkelheit hervortrat, als müsse er hier wieder den rechten Rat finden, der ihn, wie damals, aus seiner Bedrängnis erlöste. Er suchte sich die Szene zu vergegenwärtigen, welche ihn wohl jetzt dort erwarte, und ein weibliches Bild erhob sich vor seinem innern Blick, an welches er in den letzten Monaten am allerwenigsten gedacht: Mrs. Morton, seine junge Landsmännin, welche der alte Pflanzer geheiratet, nur um eine treue Pflegerin zu haben, und die diesem ihre ganze blühende Jugend zum Opfer gebracht hatte. Helmstedt wußte, daß sie ihn selbst einmal geliebt, als sie noch ihren Mädchennamen, Pauline Peters, führte, ein Bewußtsein, das ihm damals fast drückend geworden war; als aber jetzt ihr frisches Gesicht mit den weichen, feinen Zügen vor ihm auftauchte, als mit der Erinnerung an durchlebte Szenen ihr klares, lachendes Auge vor ihn trat, da wollte es ihm fast sonderbar scheinen, wie er früher nur einen so gleichgültigen Blick dafür hatte haben können – und je mehr er sich diesem innern Anschauen hingab, desto mehr begann ein stilles, wohltuendes Gefühl ihn zu durchziehen, dem er sich überließ, ohne zu grübeln oder sich darüber Rechenschaft geben zu wollen, bis er die Pflanzung erreichte.

Er schien bereits erwartet worden zu sein. Ein Schwarzer öffnete das Gittertor der Umzäunung, als er heranritt, und nahm ihm das Pferd ab. Helmstedt ging den wohlbekannten Weg nach der Hauspforte, wo ihn das schwarze Kammermädchen der Hausfrau empfing und vor ihm den erleuchteten Parlor öffnete. Dort saß, die Füße bequem gegen das Feuer gestreckt, ein ältlicher Mann, der ihm einen leichten Gruß zunickte und dann mit augenscheinlichem Wohlbehagen den Tabakssaft aus dem Munde in das Kamin spritzte. Helmstedt erkannte einen der Ärzte aus der Nachbarschaft.

»Well, Doktor,« begann er, einen zweiten Stuhl ans Feuer ziehend; »was ist denn so plötzlich über den alten Herrn gekommen? Doch keine Gefahr, hoffe ich?«

»Well, Sir,« erwiderte der Arzt, sich mit seinem Stuhl zurücklehnend und mit der Hand durch seine dichten Haare fahrend; »ehrlich gestanden, bin ich selbst mit mir noch nicht im reinen. Es ist einer von den Fällen, in welchen sich gar keine bestimmte Krankheit des Körpers klassifizieren läßt, in welchen anscheinend die ganze Maschine in Ordnung ist, aber die Triebkraft erlahmt scheint. Bisweilen schleppt sich bei Patienten dieser Art derselbe Zustand noch jahrelang fort, bisweilen welkt der Leidende schnell dahin, ohne daß man im streng medizinischen Sinne eigentlich sagen kann, er sei wirklich krank gewesen – bisweilen wird durch Gemütseinflüsse, denn dort ist der eigentliche Sitz des Übels zu suchen, eine innere Umwälzung hervorgebracht, und der Kranke gesundet ganz von selbst – jedenfalls können in solchen Zuständen Arzneien aus der Apotheke das wenigste tun. Sie haben, wie ich weiß, Mr. Mortons Vertrauen genossen, und so werden Sie auch die traurige Geschichte mit seiner Tochter kennen, die dem Wahnsinn verfiel. Ich habe das unglückliche Mädchen, die sein einziges Kind war, damals selbst nach Montgomery in eine Irrenanstalt gebracht. Sie starb schon kurze Zeit darauf, und hier scheint mir die Wurzel der Krankheit, wenn ich es so nennen soll, zu stecken. Hätte irgend etwas einen wohltätigen Einfluß auf unseren alten Freund ausüben können, so hätte dies die hingebende Pflege seiner jungen Frau tun müssen, die mir in diesen letzten Wochen, in denen ich Morton besuche, ebenso heroisch in ihrer Freudigkeit, womit sie alles opfert, was man sonst für das Lebenselement junger Frauen hält, wie eine von den katholischen Barmherzigen Schwestern erschienen ist.« Er schüttelte, wie im weiteren Ausspinnen des Gedankens, still den Kopf.

»Und ihr Einfluß hat nichts gewirkt?« fragte Helmstedt, die Stirn in die Hand stützend.

»Well, Sir, der alte Herr ist freundlich und geduldig; er scheint sich oft, um nur ihr trostreiches Lächeln erwidern zu können, stärker zu machen, als er ist, aber das ist eben alles nur äußerlich.«

»Und ist er heute kränker als gewöhnlich?«

»Ja und nein – nichts als einer seiner gewöhnlichen Zufälle von Schwäche, welchen er in den letzten Wochen unterworfen gewesen ist, der aber heute bestimmter auftrat und länger anhielt als gewöhnlich, und der mich deshalb mehr als früher beunruhigt.«

Beide sahen eine Weile schweigend ins Feuer, bis das Öffnen der Tür Helmstedt sich umsehen ließ. Eine weibliche Gestalt im weißen, halben Negligé trat ein und ging auf den jungen Mann zu. Helmstedt wußte, daß er Pauline, die jetzige Mrs. Morton, vor sich hatte – aber das war nicht mehr dieselbe, die er früher gekannt. Das frische Rot ihres Gesichts hatte einer feinen, durchsichtigen Blässe Platz gemacht; ihr Auge, das ihm ernst entgegensah, schien größer geworden und voll tieferen Ausdrucks zu sein. Noch lag das weiche, süße Lächeln, das er früher gekannt, um ihren Mund, aber ein Hauch von Melancholie hatte sich ihm beigesellt. Sie war nicht mehr dieselbe wie früher, aber fast schien es Helmstedt, als habe er sie nie schöner gesehen. Er war aufgesprungen und hatte ihre Hand gefaßt, die sie ihm mit leichtem Gruß entgegenhielt – er hatte diese Hand oft in der seinigen gehalten und ihren warmen Druck gefühlt – jetzt aber, als er ihre Finger umschloß, blieben diese kalt und bewegungslos.

»Sie werden es gewiß entschuldigen, Mr. Helmstedt, daß wir Ihnen noch die Unannehmlichkeit eines so späten Rittes hierher gemacht haben,« begann sie, und ihr Auge sah mit einer Gleichgültigkeit und Ruhe in das seine, die ihn in seinem heimlichsten Innern verletzten, ohne daß er sich das wohl selbst Hütte gestehen mögen. »Mr. Mortons Zustand war indessen so bedenklich, und er wünschte so lebhaft, Sie zu sehen, daß ich nicht umhin konnte, Sie bitten zu lassen, seinem Wunsche zu willfahren.«

Helmstedt hielt noch immer ihre Hand und sah in ihre Augen, ohne sogleich zu antworten, bis ein schwaches Rot in ihr Gesicht trat, das indessen noch schneller verschwand, als es aufgestiegen war, und sie leise ihre Finger aus den seinigen zog. »Wenn Sie mir folgen wollen – Mr. Morton hat sich schon etwas erholt,« sagte sie und wandte sich nach der Tür.

»Ich bin vollkommen zu Ihren Diensten, Ma'am,« erwiderte Helmstedt und folgte der leicht Voranschreitenden.

In dem anstoßenden Hinterzimmer saß Morton, zusammengesunken in einem weichen Schaukelstuhle, an dem helllodernden Kaminfeuer, und Helmstedt erschrak über die Veränderung, welche in den letzten Wochen mit dem früher so kräftigen Manne vor sich gegangen war. Über des Kranken Gesicht aber flog ein heller Schein der Zufriedenheit, als er den jungen Mann eintreten sah. »Sind Sie wirklich da?« sagte er und streckte, indem er sich aufrecht zu setzen versuchte, ihm die Hand entgegen; »ich glaube beinahe, Ihre besten Bekannten müssen Sie mit Gewalt holen lassen, wenn sie Sie einmal bei sich sehen wollen.«

Helmstedt faßte seine Hand und wollte eine Entschuldigung beginnen. »Lassen Sie doch,« unterbrach ihn Morton; »ich weiß alles, Sie haben viel zu tun, sind daneben erst ein paar Monate verheiratet – setzen Sie sich zu mir her, Sir, und erzählen Sie mir, wie es Ihnen geht.«

Helmstedt wandte sich nach einem Stuhle und sah sich zugleich nach der jungen Hausherrin um; diese hatte aber bereits das Zimmer wieder verlassen.

»Noch immer die alte Liebesglückseligkeit zu Haus?« fuhr Morton fort, als sein Gast neben ihm saß. »Sie sehen recht wohl aus, und das freut mich.«

»Aber Ihr Aussehen will mir nicht gefallen, Mr. Morton,« sagte Helmstedt, ohne auf die erste Frage einzugehen, und drückte ihm die Hand; »ich hörte mit Schrecken, daß Sie so krank seien; was machen Sie denn für sonderbare Geschichten?«

»Es geht jetzt schon wieder,« entgegnete der Kranke und strich mit der Hand über das magere Gesicht; »trotzdem freut es mich, daß Sie da sind.« Er hob mit sichtlicher Anstrengung den Kopf, um im Zimmer umherzugehen, und ließ ihn, als er keinen Dritten in ihrer Umgebung bemerkte, wieder matt zurückfallen. »Rücken Sie näher, Sir,« sagte er dann. »Ich will Ihnen offen gestehen, daß ich mich keinen Tag sicher fühle, meine Erdenrechnung abschließen zu müssen.« Er winkte mit der Hand, als Helmstedt Miene machte, ihn zu unterbrechen, und fuhr fort: »Was Sie mir sagen wollen, weiß ich; lassen wir aber jetzt alle Redensarten beiseite; die Erkenntnis meines Zustandes, welche mir die letzten Tage nur zu sehr bestätigt haben, stammt nicht von heute, und ich bin vollständig auf das Kommende gefaßt. Eins nur bekümmert mich, und dies war die Ursache, daß ich Sie heute, wo ich nicht wußte, wie es mit mir ausgehen würde, zu mir bitten ließ.« Er hielt eine Weile, wie vom Sprechen erschöpft, inne. »Sie wissen vielleicht,« fuhr er dann fort, »daß Mrs. Morton in unserer Nachbarschaft wenig Verbindungen angeknüpft hat, daß meine tätige Teilnahme an Ihrer Verheiratung mit Elliots Tochter uns die umwohnenden Familien außerdem entfremdete, und daß sich jetzt manche Vorurteile gegen Mrs. Morton richten, da sie ihre Abkunft nicht von einer unserer reichen Familien herleiten kann und obendrein eine Ausländerin ist. Mrs. Morton, die mir in meiner sinkenden Gesundheit mehr war als die treueste Tochter, hat sich glücklicherweise nicht viel um diese Stimmung in der Nachbarschaft gekümmert, und so hatte ich noch viel weniger Ursache dazu; aber die Zeit kann bald kommen, wo sie allein steht, und wenn ich auch für sie gesorgt habe, so gut ich es gekonnt, so wird sie sich doch nicht sogleich von hier losreißen können und eines Schützers und Beraters notwendiger bedürfen als jedes anderen; ich aber weiß niemand, den ich um die Übernahme einer solchen Verpflichtung gegen sie lieber bitten möchte als gerade Sie, Sir. Daß Ihnen dabei durch etwaige Vernachlässigung Ihres jetzigen Berufs wie durch Zeitversäumnis kein pekuniärer Schaden erwachsen soll, dafür habe ich gesorgt; es bleibt nur die Frage, ob Sie mich durch das Versprechen, sich nötigenfalls durch Rat und Tat meiner Frau anzunehmen, beruhigen wollen.«

Helmstedt machte sich in diesem Augenblicke keine Gedanken über das Verhältnis, in das er treten sollte; er dachte nur an den Zustand des Mannes, der vor ihm saß, »Wenn es Sie beruhigen kann, Mr. Morton,« sagte er, »so gebe ich Ihnen gern das Wort eines ehrlichen Mannes, mit allen meinen Kräften Ihren Wunsch zu erfüllen. Sorgen Sie doch aber vorher und zu allererst für sich selber; geben Sie sich nicht so willenlos Ihrer Krankheit hin, und Sie werden sie gewiß besiegen. Gehen Sie weg von hier, wo vielleicht traurige Erinnerungen ein Aufraffen Ihrer selbst erschweren, machen Sie einen Ausflug nach dem Osten.«

Morton lächelte, wie man über einen gut gemeinten, aber nutzlosen Vorschlag lächelt. »Ich werde es tun, lieber Freund, sobald ich nur wieder Kräfte genug gesammelt habe,« sagte er; »ich habe dasselbe schon Mrs. Morton versprechen müssen. Sollte ich aber zufälligerweise nicht dazu kommen, so habe ich Ihre Zusage.« Er drückte eine Weile, wie um auszuruhen, die Hand vor die Augen. »Sonderbar,« sagte er dann, »Sie sollten sich eigentlich vor der Übernahme von Vormundschaften in acht nehmen, Sir, Sie bekommen sonst den ganzen Hals voll – das ist jetzt in wenig Monaten schon die zweite; erst der Schwestersohn des Pedlars – aber gut, daß ich daran denke, wie steht es denn eigentlich damit, haben Sie schon etwas in der Sache getan?«

»Ich bin so weit,« erwiderte Helmstedt, »daß ich beabsichtige, nach Neuyork zu gehen, sobald ich es ermöglichen kann, um die ganze Angelegenheit ein für allemal zu ordnen.«

Morton sah langsam auf. »Fehlt's an etwas?« fragte er. »Ich habe manchmal in den letzten Tagen daran denken müssen, wie der alte Bursche Isaak hier im Hause starb, und zugleich an sein Vertrauen zu Ihnen, und sollte ich etwas helfen können, damit Sie seinen letzten Willen recht ausführen, so sagen Sie es.«

Helmstedt rieb sich die Stirn. Alles, was ihn bedrängte, trat in diesem Augenblick wie zu einem Bilde vereinigt vor ihn. »Es ist nicht mein Interesse, um das es sich handelt,« sagte er nach einer kurzen Weile aufsehend, »und darum kann ich Ihnen meine Verlegenheit ohne Rückhalt gestehen. Gehe ich für Wochen, vielleicht noch länger nach Neuyork, so muß ich meine Frau ohne Rat und Schutz zurücklassen, und ich weiß nicht, welche Einflüsse sich während dieser Zeit bei ihr geltend machen mögen. Ich sehe vielleicht Gespenster,« setzte er hinzu, als er Mortons verwundertem Blicke begegnete, »aber Ellen ist jung und liebt dazu ihren Vater fast mehr, als in ihren jetzigen Verhältnissen selbst die Bibel erlaubt.«

»Das Weib soll Vater und Mutter verlassen und dem Manne anhangen,« sprach Morton leise und nickte, mit dem Kopfe; »haben Sie, einen besonderen Grund, Unrechtes zu argwöhnen oder besorgt zu sein?«

»Ich mag, wie gesagt, vielleicht Gespenster, sehen,« erwiderte Helmstedt, den Kopf in die Hand stützend, »aber es ist manches, was mich bedrückt, ohne daß ich durch die ruhigste Überlegung davon loskommen kann. Doch lassen wir das vorläufig. Zum zweiten muß ich erst zusehen, wie ich das nötige Geld für meine Reise und was dazu gehört, anschaffe – ich habe heute schon überlegt, ob ich eins von meinen Pferden verkaufen könne.«

Der Kranke setzte sich mit einer Kraft aufrecht, die ihm Helmstedt nicht zugetraut. »Nun sehen Sie einmal, was für ein Mensch Sie sind,« sagte er mit allen Zeichen, des Ärgers. »Sie wissen, wo Sie Freunde wohnen haben, und doch plagen Sie sich lieber wochenlang mit sich selbst herum, versäumen die wichtigsten Interessen dabei, nur um niemandem ein Wort zu gönnen. Was das mit Ihrer Frau betrifft, weiß ich nicht; was, es auch sein mag, so bleibt es besser unter Ihnen beiden – handelt es sich aber nur darum, das Frauchen während Ihrer Abwesenheit unter sicheren Schutz zu stellen, so wissen Sie selbst, wieviel Platz in meinem Hause ist, und daß meine Frau immer eine Freundin der Ihrigen war, bei der sie sich nicht heimisch fühlen wird. Was nun die nötigen Geldmittel für Ihre Reise nach Neuyork anbetrifft, so hätten Sie schon Ihres Versprechens gegen den alten Pedlar und seines Erben wegen längst bei mir anklopfen sollen. Ich werde dafür sorgen, daß Sie morgen das Nötige, in der Hand haben, und Sie zahlen es mir zurück, sobald die Erbschaft flüssig ist.«

Helmstedt wollte etwas erwidern, als sich die Tür halb öffnete und das Gesicht des Arztes hereinsah. »Alle Wetter!« rief dieser: »das spricht ja so frisch, als gäbe es gar keinen Kranken im Haus! Ich habe mit Verwunderung die Stimme durch die Wand dringen hören. Und wahrhaftig,« fuhr er eintretend fort, »die Backen sind in dem Gesprächseifer aufgeblüht wie ein paar Mairosen. Störe ich die Herren nicht?«

»Wir sind eben mit dem Notwendigsten fertig, und Sie sind willkommen, Doktor,« erwiderte Morton, sich langsam in den Schaukelstuhl zurücklegend.

Der Arzt legte die Hand an den Puls des Kranken. »Very well,« sagte er, »so tun wir auch am besten, wir sprechen jetzt nichts mehr und halten uns so ruhig als möglich.«

»Aber ich fühle mich doch gerade jetzt recht wohl, Doktor, und möchte so gern noch mit meinem jungen Freunde plaudern.«

»Damit Sie die Nacht über nicht schlafen können und morgen wieder am Sterben sind, nicht wahr? Lassen Sie mich jetzt Mrs. Morton zu Ihnen schicken, und glauben Sie, daß Sie noch etwas zu reden haben, so tun Sie das morgen oder übermorgen.«

»So geht's, wenn man unter die Hände von solchen Leuten gerät,« sagte Morton und reichte Helmstedt lächelnd die Hand. »Ich werde Ihnen jedenfalls besorgen, was wir eben besprochen, und wegen des Übrigen wissen Sie, wo mein Haus ist. Wollen Sie wirklich gewissenhaft sein, so lassen Sie keinen Tag unnötig verstreichen – um so eher werden Sie Zeit gewinnen, an das, was Sie mir zugesagt haben, zu denken.«

Helmstedt hatte das Krankenzimmer verlassen und saß im Parlor neben dem Feuer, um auf das Anspannen der Kutsche zu warten, die ihn wieder nach Hause bringen sollte. Bald meldete der Schwarze, daß alles zur Abfahrt bereit sei; aber vergebens sah sich Helmstedt nach der Hausfrau um, um sich bei dieser zu verabschieden. Erst als er ihr seinen Gruß durch den Schwarzen gesandt hatte und das Haus verlassen wollte, trat sie ihm in der Halle entgegen. »Grüßen Sie Ellen!« sagte sie leise und reichte ihm ihre Hand, die wieder so kalt und leblos in der seinigen lag, daß Helmstedt sie kaum zu drücken wagte. Er mußte auf seiner Rückfahrt lange Zeit an ihr zurückhaltendes, stilles Wesen denken – auch hierin war sie, wenn er an frühere Zeiten dachte, wo sich jede wechselnde Empfindung offen in ihren Zügen gespiegelt, wo ihm ihr Auge wie ein tiefer, klarer Brunnen erschienen war, eine ganz andere geworden. War das nur die Folge ihres einsamen Lebens und ihrer Aufopferung für Morton? Helmstedt mußte unwillkürlich eine Parallele zwischen ihrer Hingebung, die doch nur durch kalte Pflichttreue geboten sein konnte, und Ellens Handeln ziehen, und ein Gefühl von Täuschung, ein Gefühl wie die Ahnung eines verfehlten Wurfs für sein ganzes Leben überkam ihn, daß er endlich mit Macht sich den drückenden, Gedanken zu entziehen suchte. Er dachte an das Gespräch mit Morton, welches jede Sorge um die Erfüllung seiner Verpflichtung gegen des Pedlars Erben von ihm nahm; aber erst die Vorstellung, Ellen in Mortons Hause untergebracht zu sehen, fern von den Intrigen ihres Vaters und seines jungen Abgesandten, ließ wieder eine stille Beruhigung in seine Seele einziehen. Der Gedanke tauchte in ihm auf, ob er nicht die junge Frau ein für allemal den Einflüssen, welche die Ruhe seines ganzen Lebens bedrohten, entführen könne; er kam jetzt nach Neuyork, und vielleicht war es ihm möglich, dort irgendein profitables Unterkommen zu erhalten; aber wenn er seine jetzige Lage mit einer Stellung verglich, wie er sie dort selbst im glücklichsten Falle erhalten konnte, so mußte er selbst jede Änderung eine Torheit nennen – und wie hätte er auch von Ellen verlangen können, ihren gepriesenen Süden zu verlassen und vielleicht nichts als Entbehrungen dagegen einzutauschen?

Die Wendung des Weges, welcher nahe der Stadt in die Landstraße einbog, störte ihn aus seinem Sinnen aus, und jetzt erst fiel ihm ein, was wohl Ellen von seinem Außenbleiben gedacht haben mochte. Er sah scharf nach der Gegend hin, wo er sein Haus stehen wußte, aber kein Lichtschimmer zeigte dort, daß ihn jemand erwarte. »Wie spät ist es wohl?« fragte er den schwarzen Kutscher; »es ist zu dunkel, um etwas auf der Uhr zu erkennen.«

»Es mag elf Uhr vorbei sein, Sir!« war die Antwort.

Der Wagen rollte nach kurzer Zeit vor das Haus, und Helmstedt, der umsonst nach einem Zeichen des Lebens darin sich umsah, wollte eben verstimmt aussteigen, als Cäsar aus der Dunkelheit hervoreilte und dienstfertig das Schutzleder am Wagen zurückschlug. »Ist meine Frau schon zu Bett?« fragte der Angekommene.

»Mistreß hat bis nach zehn Uhr gewartet«, erwiderte der Schwarze, »und befahl mir dann, wachzubleiben.«

Helmstedt nickte befriedigter, fertigte den Kutscher mit einem Trinkgelde ab und schritt ins Haus. Er fand das Schlafzimmer offen, wo das niedergebrannte Kaminfeuer nur eine kaum noch bemerkbare Helle verbreitete. Leise trat er ein und zündete ein Licht an. In den schneeigen Kissen des Bettes lag Ellen, das Gesicht ihm zugewandt, und der halbgeöffnete, lächelnde Mund schien von einem süßen Traume zu erzählen. Einzelne Teile ihres dunklen Haares waren aus die weiße, zartgebaute Schulter, die sich aus dem Nachtüberwurf gestohlen, herabgefallen, und die kleinen, eleganten Hände ruhten leicht übereinandergelegt auf der Decke. Helmstedt stand eine Weile in ihre Betrachtung versunken – er hätte viel darum gegeben, wenn er die Bilder gekannt hätte, welche jetzt vor ihrer Seele vorübergingen. Er bog sich vorsichtig nieder und drückte leise einen Kuß auf ihre Lippen – sie lächelte; dann aber ward sie unruhig, schlug die Augen auf und sah ihn, groß an. »Du bist es?« sagte sie endlich, die Augen reibend; »hättest du mir doch meinen Traum gelassen!«

»Und was war es denn so Schönes, was du träumtest?«

»O laß mich,« erwiderte sie und drehte das Gesicht nach der Wand; »ich war wieder Kind und bei meinem Vater.«

Helmstedt richtete sich mit einem unterdrückten Seufzer auf, kleidete sich aus und löschte dann das Licht.


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