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Zehntes Kapitel

Im Hinterzimmer der Law-Office von Griswald und Duncan saßen kurz vor Mittag des nächsten Tages der Senior der Firma, die Hände über dem wohlgenährten Bauch gefaltet, und Murphy, die Stirn leicht in die Hand gestützt, einander gegenüber. »Mir scheint etwas in der Sache nicht ganz richtig zu sein, ohne daß ich doch irgendwo einen bestimmten Halt für einen Verdacht fassen könnte«, sagte der letztere. »Elliot hat seine Entschließung wieder auf zwei Tage weiter hinausgeschoben, und wenn das in den Augen eines anderen vielleicht nichts ist, so will mir doch die ganze Weise, in der es geschehen ist, nicht gefallen. Gestern war die erste Frist, welche er sich selbst gestellt hatte, abgelaufen, und Nelson, der gute Junge, der wirklich Angst um Elliots Eigentum und das Erbteil seiner künftigen Frau hat, mahnte ihn an eine Entscheidung, da er mir Antwort versprochen habe. Alles aber, was er als Erwiderung erhielt, lautete: ›Es hat wohl keine so große Eile, Sir; ich hoffe, Ihr Freund Murphy wird noch zwei Tage warten, damit ich mich arrangieren kann!‹ Ich habe den Mann kennen gelernt, Sir, und weiß, daß, wenn er nicht eine bestimmte Hoffnung auf irgendeine Hintertür hätte, er heute ohne weiteres den Vergleich abgeschlossen haben würde.«

» Well, Sir, ich glaube, die Sache macht Sie zu nervös,« erwiderte Griswald ruhig und ließ die Daumen seiner beiden Hände umeinanderlaufen; »es ist Ihre erste große Spekulation, und natürlich ist da kaum etwas anderes zu erwarten. Der einzige fragliche Punkt in der ganzen Angelegenheit war der Mann, welchen Sie zur Erlangung des Besitztitels benutzten. Ich habe ihn aber auf das schärfste beobachten lassen; er wohnt im Rocky-Creek-Wirtshause, wenigstens hat er dort meist sein Nachtquartier, und keine Art von Nachfragen hat etwas ergeben, was den Verdacht rege machen könnte, als habe er noch etwas im Hinterhalte. Der Mann will Geld haben, und darum gibt er, um es herauszuschrauben, Dinge zu verstehen, die niemals existiert haben. Ich kenne diese Art Kameraden. Zugleich kann ich Ihnen die bestimmte Versicherung geben, daß er weder Elliot hier gesprochen hat noch in dessen Hause gewesen ist, und so sehe ich bei ruhiger Betrachtung und nach all den Arrangements, welche unsererseits getroffen worden sind, nicht das geringste Verdächtige in Elliots Zögerung. Eine Mortgage von 30 000 Dollars ist keine Bagatelle, lieber Herr, und mich wundert allein, daß er nur zwei und nicht nochmals acht Tage Zeit sich ausbedungen hat. Lassen Sie diese zwei Tage ruhig verstreichen, und dann werde ich ihm mit der Anzeige auf den Leib rücken, daß Sie mich, als seinen Advokaten, von der nach Verlauf der nächsten zwölf Stunden stattfindenden Einreichung Ihrer Klage benachrichtigt hätten. Sie sollen sehen, wie das ziehen wird!«

»Wenn ich nur den Menschen mit seiner Forderung vom Halse hätte!« sagte Murphy, in seinen Haaren wühlend, und erhob sich. »Ich habe ihn für heute wiederbestellt, um ihm, sollte es auch mit 1000 Dollars sein, die er am Ende verdient hat, den Mund zu stopfen. Er ist imstande, mich zu blamieren, wenn er von einer neuen Zögerung hört.«

»Alles zu übereilt, Sir; warum nicht vierzehn Tage für mögliche Zwischenfälle rechnen? Er hätte auch bis dahin gewartet. Wie aber die Sachen jetzt stehen, so kümmern Sie sich nicht um das, was Sie Blamage nennen! Sehen Sie irgendeine verdächtige Maßregel seinerseits, so lassen Sie ihn als Negerdieb festnehmen und bezeichnen alle Sie kompromittierenden Angaben des Menschen als Lügen. Wir werden dann kurzen Prozeß mit ihm machen.«

»Ich muß versuchen, wie sich ein Arrangement ohne zu viel Aufsehen machen läßt,« versetzte Murphy, nach der Tür gehend; »ich sehe Sie nachmittags wieder, Sir!« Vor der Tür des Hotels läutete einer der schwarzen Aufwärter die Mittagsglocke, als der junge Advokat aus der Office trat, und dieser nahm seinen Weg dem Rufe nach. Er hatte sich kaum, mit seinen Gedanken beschäftigt, an der Mittagstafel niedergelassen, als ihm von der anderen Seite des Tisches ein Teller entgegengereicht wurde. »Etwas Huhn, Mr. Murphy?« hörte er eine bekannte Stimme; »ich hoffe, Sie freuen sich, Ihren alten Freund Wells hier zu sehen.«

Murphy warf nur einen Blick nach dem Sprechenden und ergriff das Dargereichte mit einem kurzen: »Danke Ihnen, Sir!« Ohne ferner aufzusehen, verzehrte er sein Mahl, erhob sich dann und winkte seinem Gegenüber mit dem Kopfe. Beide gingen schweigend nach Murphys Zimmer hinauf.

»Ich muß Ihnen sagen, Seifert,« begann der Advokat, als er die Tür geschlossen, »daß, wenn wir ein Geschäft machen wollen, Sie mich nicht in dieser Weise drängen dürfen. Ich komme soeben von einer Beratung mit einigen anderen Advokaten, und es ist die Gewährung einer neuen Frist für die Zahlung eines Abstandsgeldes als das beste erkannt worden. Dergleichen Dinge lassen sich nicht über das Knie brechen.«

»Sehr schön, lieber Herr,«, entgegnete Seifert mit einem höflichen Lächeln; »ich dränge Sie durchaus nicht, wenn Sie mich nur sicherstellen wollen, daß ich – Sie entschuldigen, wenn ich geradeaus rede – daß ich um meinen Anteil am Geschäft nicht betrogen werde. Bei unserer ersten Unterredung meinten Sie, es werde gar nichts für mich abfallen, bei unserer zweiten ließen Sie die Hoffnung auf tausend Dollars oder etwas Ähnliches blicken und bestimmten den heutigen Tag als den letzten zu einer Ausgleichung. Heute ist ein neuer Aufschub eingetreten, und wenn ich jetzt fünftausend Dollars forderte, würden Sie mir sie wahrscheinlich unter der Bedingung zusagen, zu warten – bis Sie Ihr Geld in der Tasche haben und der Seifert mit langer Nase abziehen kann. Ich habe alles das vorausgesehen, lieber Herr, und mich deshalb genügend gedeckt. Ich stelle Ihnen jetzt zwei Propositionen. Entweder führen Sie mich noch heute nachmittag bei Mr. Elliot ein und stellen mich diesem als Bevollmächtigten Ihrer Klientin vor, an welchem er in Ihrem Beisein das stipulierte Abstandsgeld zu entrichten hat – oder Sie zahlen mir heute noch fünftausend Dollars in Gold oder in verkäuflichen Papieren.«

»Und wenn ich keins von beiden tue?« fragte Murphy, die Arme verschränkend.

»Dann werde ich meinen eigenen Weg gehen und mir selbst ein Abstandsgeld verschaffen, so hoch, als mir gut dünkt.«

»Tun Sie das!« erwiderte Murphy mit Hohn.

»Tun Sie das!« ahmte ihm Seifert nach; »mit welcher Leichtigkeit Sie das aussprechen! Sie glauben also wirklich, den Teufel ungestraft betrügen zu können, und ich hatte Sie doch vor dem Versuche gewarnt! Ich sehe wohl, ich muß meine Karten auflegen. – Wir haben den Erben beseitigt, das ist richtig, Sir,« fuhr er fort, ebenfalls die Arme ineinander schlagend; »wie wäre es denn aber, wenn ich mir besagten Erben zu meiner Privatdisposition lebendig in irgendeinem Eckchen der Welt aufbewahrt hätte, wenn ich jetzt zu Mr. Elliot ginge und ihn fragte: ›Was geben Sie mir, wenn ich Sie mit einem Male aus Ihrer jetzigen Gefahr erlöse?‹ Wie wäre das wohl, Mr. Murphy?«

Der Advokat hatte sich einen Augenblick verfärbt. »Ich halte Sie für vollkommen fähig, die Komödie von einem auferstandenen Erben in Szene zu setzen«, sagte er dann kalt.

»Sie müssen aber nicht glauben, Sir, Leute damit zu schrecken, welche den Hergang der Dinge und Sie selbst kennen.«

»Ist das Ihr letztes Wort, Sir, auch wenn ich Ihnen sage, daß es sich nicht um eine Komödie, sondern um eine wirklich vorhandene Person handelt?«

»Ich lasse mich Drohungen gegenüber auf nichts ein, Mr. Seifert. Kommen Sie nach acht Tagen in einer vernünftigeren Weise zu mir, so hoffe ich, tausend Dollars für Sie bereit zu haben.«

Seifert sah ihm eine Sekunde lang scharf ins Auge. »Sie glauben mir nicht – very well! Nehmen Sie dann auch die Folgen auf sich!«

Er setzte bedächtig seinen Hut auf den Kopf und schritt aus dem Zimmer; er sah nicht zurück, als ihm Murphy die Treppe hinabfolgte, und wanderte, als er das Hotel verlassen, gemächlich die Straße hinauf.

Der Advokat war eiligen Schritts in den Bar-Room getreten, wo Griswald, wie jeden Tag in der Stunde nach Mittag, konversierend stand, und zog diesen nach dem anstoßenden Wartezimmer. Eine kurze Weile waren beide im eifrigen Gespräche. »Wir machen den Menschen sofort unschädlich, das ist das einfachste, mag nun hinter seinem Geschwätz etwas stecken oder nicht!« rief endlich Griswald; »warten Sie, bis ich vom Richter zurück bin, es nimmt nur zwei Minuten! Unser Mann, welcher den Schwerenöter bis jetzt beobachtet hat, geht mit einem Verhaftsbefehl nach Elliots Farm, falls er diesen Weg eingeschlagen haben sollte, und Sie gehen mit der gleichen Vollmacht nach Rocky-Creek. Sie beide kennen allein den Menschen, also werden Sie für heute zu Deputies des Sheriffs ernannt, und Beistand finden Sie, wo es sich um einen Negerdieb handelt, nötigenfalls überall.«

Der alte Advokat verschwand, und Murphy durchmaß unruhig das Zimmer.

Seifert war ins Freie gelangt und blieb unter einer breitästigen Eiche wie überlegend stehen. Links zog sich die große Straße an Faunen und Plantagen vorüber fernhin durch das Tal. Rechts führte ein schmaler Fahrweg in den Wald hinein, dem Gebirge zu. Seifert nahm den Hut ab, wischte sich die Stirn und sah die helle, brennend heiße Straße hinab; mit einem kurzen Kopfschütteln wandte er sich dann dem Wege rechts zu und hatte bald ein schattiges Laubdach zwischen sich und der Mittagssonne. Ohne auf seine Umgebung zu achten, wanderte er vorwärts; dann und wann zuckte es wie ein bitteres, höhnisches Lächeln über sein Gesicht, und erst nach einer Stunde, als vor ihm aus einem Nebenwege ein Reiter in seine Straße einbog, sah er auf und beobachtete mit aufmerksamen Blicken die in der nächsten Biegung des Wegs wieder entschwindende Erscheinung. Er begann hastiger zu schreiten, und nach Verlauf der nächsten halben Stunde tauchte ein einsames Haus vor ihm auf. An dem Pfahle vor der Tür stand ein gesatteltes Pferd angebunden. Seifert hielt seinen Schritt an und schien mit sich Rat zu pflegen; bald aber ging er mit einem Kopfschütteln, als wolle er ein aufsteigendes Bedenken beseitigen, wieder vorwärts. Kurz vor dem Hause mündete ein schmaler, steiniger Fahrweg in der Straße aus; hier bog Seifert ein, und ein Zug von Spott legte sich über sein Gesicht, als das Haus hinter dem dichten Gebüsche verschwunden war.

Fünf Minuten mochte er ruhig weitergeschritten sein, als er plötzlich den Schlag einer Hand auf seiner Schulter fühlte: »Seifert, ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes!« klang es in seine Ohren; aber mit einer kräftigen Wendung war er frei und stand seinem Gegner Aug' in Auge. »Ah – Mr. Murphy – auf diese Weise also!« preßte es sich aus dem Munde des Angegriffenen. »Wollen Sie mir wohl noch einmal sagen, was Sie wünschen?«

»Ich nehme Sie fest auf Grund dieses Verhaftsbefehls,« erwiderte der Advokat, ein Papier aus der Tasche ziehend und sein Gesicht zu einer finsteren Gleichgültigkeit zwingend, »und rate Ihnen wohlmeinend, weder Widerstand zu leisten noch einen Versuch zur Flucht zu machen.«

»Und was ist mein Verbrechen?« fragte Seifert, die Hand nachlässig in die Brusttasche steckend.

»Ich habe Ihnen nichts darauf zu antworten; ich handle nur auf Befehl des Richters in meiner Eigenschaft als Deputy-Sheriff.«

»Jedenfalls als ziemlich neugebackener!« erwiderte Seifert bleich, aber ohne sein höhnisches Lächeln zu verlieren. »Das ist also die Art, wie man hierzulande unbequeme Personen beseitigt. Trotz alledem, Herr Deputy-Sheriff, rate ich Ihnen, umzukehren und den Seifert ruhig seines Wegs gehen zu lassen. Sie wissen aus Erfahrung, daß er für jeden Zug gegen ihn sich immer doppelt gedeckt hat!« Er warf einen raschen Blick über die nächsten Gebüsche und machte eine Wendung, um sich zu entfernen; aber die Mündungen eines Revolvers, welche ihm plötzlich aus Murphys Hand entgegenstarrten, hießen ihn stillstehen. »Keinen Schritt, Sir, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!« rief der Advokat.

Das Hohnlächeln in Seiferts Gesicht ging in Verzerrung über; seine Hand fuhr mit Blitzesschnelle aus der Brusttasche, ein Schuß knallte – und Murphy stürzte mit einem Aufschrei rücklings zu Boden. Der Rauch verzog sich, und Seifert stand, mit vorgebogenem Oberkörper die stieren Augen auf den Gefallenen gerichtet; als aber auch nicht ein Glied mehr an diesem zuckte, schien ein plötzliches Entsetzen über ihn zu kommen; er warf den hervorgezogenen Revolver weit von sich ins Gebüsch und lief, wie von allen Furien der Hölle gejagt, auf dem einsamen Wege dem Gebirge zu.

* * *

Am Mittag desselben Tages hatten drei Reiter die Straße, welche von der Stadt nach den Bergen führt, eingeschlagen. Kein Wort fiel, während sie nebeneinander dahintrabten, jeder schien mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, und erst als nach einer Stunde das einsame Haus am Wege auftauchte, hob einer von ihnen aufmerksam den Kopf. »Ist das dort Rocky-Creek-Haus, Sheriff?« fragte er. Der Angeredete nickte mit einem kurzen: » Yes, Sir

»Was meinen Sie,« fuhr der erstere fort, »wenn mein Freund Charley dort erst einmal nach unserem Manne ausschaute?«

»Es kann nichts schaden,« erwiderte der Sheriff achselzuckend, »obgleich es kaum etwas nützen wird; ich fürchte, wir kommen überhaupt zu spät. Wäre mir gestern im Laufe des Tages eine Mitteilung geworden, so hätte ich während der Nacht meine Maßregeln treffen und den Burschen früh noch im Neste fangen können. Jetzt ist kaum zu vermuten, daß er nicht schon längst seinen Geschäften nachgegangen ist.«

»So wird doch wenigstens der junge Mensch zu finden sein, um den es sich hauptsächlich handelt.«

»Wir wollen es hoffen,« war die Antwort; »hat aber unser Bursche gerade heute einen Schlag ausführen und dann die Gegend verlassen wollen, so sollte es mich wundern, wenn er sich durch Hinterlassung des jungen Menschen selbst gezwungen hätte, nochmals an seinen alten Platz zurückzukehren – wenigstens müßte er dann nicht halb so gerieben sein, wie ihn Ihr Neuyorker Freund hier schildert.«

Charley zog ein nachdenkliches Gesicht. »Es mag wirklich so sein, Mr. Helmstedt,« brummte er; »es ist verdammt viel Sinn in dem, was der Sheriff sagt, und nur der Sicherheit halber will ich einmal das Haus dort in Augenschein nehmen.«

»Reiten Sie zu!« sagte der Beamte, »unser Weg führt hier rechts ab, wir werden langsam vorausreiten, damit Sie uns bald wieder nach sein können.«

Die beiden Parteien trennten sich, und der Sheriff bog mit Helmstedt in einen steinigen Waldweg ein, welcher nach Angabe des ersteren zu Mr. Graws Farm, dem Aufenthaltsorte Seiferts, führen sollte. Sie ritten im langsamen Schritte weiter, bis der harte Trab von Charleys großem Pferde wieder hinter ihnen laut wurde. »Nichts von ihm zu erblicken,« sagte dieser herankommend; »die Leute dort sagen, er habe am Morgen da gefrühstückt, sei aber nach dieser Zeit nicht wieder gesehen worden.«

Der Sheriff nickte nur schweigend und trieb sein Tier zu schnellerem Laufe an; die beiden anderen folgten, bald aber ward der Weg so rauh und eng, daß sich ein langsamer Schritt von selbst gebot.

»Ich hoffe, Sir,« sagte Charley, näher an Helmstedts Seite reitend, »daß Sie es mir nicht zu viel anrechnen werden, wenn der ›Graf‹ entwischt. Ich hätte freilich wohl einen halben Tag früher hier sein können, aber ich hatte mit keiner Silbe daran gedacht, daß ich selber bei der Sache notwendig sein könnte.«

Helmstedt schüttelte ruhig lächelnd den Kopf. »Hätten Sie sich einen halben Tag früher eingefunden, so wären wir wahrscheinlich nicht bei der Hand gewesen, um ein Unglück in Little Valley zu verhüten, an das ich kaum denken mag!« sagte er. »Es geht alles in der Welt, Charley, wie es soll, und der Mensch mit seinem Fünkchen Verstand tut meist das wenigste dazu. Wer nach rechtem Gewissen seine Pflicht tut, damit er sich nichts selbst vorzuwerfen hat, der soll sich um das nicht grämen, was vielleicht anders hätte sein können – und so wollen wir auch jetzt tun, was sich mit besten Kräften tun läßt, und schießen wir dennoch fehl, so mag es vielleicht gerade zu etwas dienlich sein, was wir jetzt noch nicht einmal ahnen.«

Charley kratzte sich unter seinem Hute. »'s ist das gewiß recht schön gesagt, Sir, aber der Teufel mag sich immer damit zufriedengeben, und ich hätte wohl auch sehen mögen,« setzte er mit einem launigen Blicke auf Helmstedts Gesicht hinzu, »wie Sie sich hineingefunden hätten, wenn wir der Lady in Little Valley zu spät zu Hilfe gekommen wären.«

Helmstedts Gesicht überflog ein dunkler Schatten, welcher sich aber bald wieder in einem klaren Blicke, den er in die Ferne schickte, auflöste. »Sie mögen recht haben, Charley,« erwiderte er mit einem tiefen Atemzuge, »das Schicksal bewahre jeden vor solchen Proben!« .

Der Sheriff war vorausgeritten und öffnete jetzt das niedere Tor einer Einzäunung, hinter welcher sich auf einem Hügel inmitten von dürftigen Feldern ein rohes Blockhaus zeigte. »Bleiben Sie hier, bis ich zurückkomme oder Ihnen winke«, sagte der Beamte und schritt, nachdem er sein Pferd festgebunden, dem Hause zu; ehe er es aber erreicht, trat ihm schon der Farmer aus der offenen Tür entgegen. Beide standen eine Weile in angelegentlichem Gespräche, der Farmer mehrmals mit dem Kopfe schüttelnd, bis sie endlich, der Beamte vorweg, in das Haus traten. Zehn Minuten mochten vergangen sein, als beide wieder erschienen und der Sheriff mit einem kurzen Nicken gegen den Farmer nach den Wartenden zurückschritt. »Es ist genau, wie ich gesagt: wir kommen sechs Stunden zu spät!« begann er, als er die Umzäunung erreicht hatte, und bestieg sein Pferd. »Heute morgen hat er mit dem jungen Menschen und einer stark gefüllten Reisetasche die Farm verlassen, hat Abschied genommen und reichlich für seinen Unterhalt gezahlt; jedenfalls scheint der Bursche aber in unserer Gegend besser bekannt zu sein, als ich vermutete; er hat sich schon im vergangenen Winter im Riverhause, wo damals stark gespielt wurde, aufgehalten, und dort will ihn Mc Graw beiläufig kennen gelernt haben. – Weg ist er von hier, das steht fest,« fuhr er fort und setzte sein Tier wieder in Bewegung; »ich habe die drei Stuben des Hauses durchgesehen und nirgends einen Gegenstand wahrgenommen, der an einen Mann von feineren Gewohnheiten erinnert hätte – indessen will ich doch die Angelegenheit noch nicht aufgeben. Mit einer schweren Reisetasche läuft man nicht gern die fünf Meilen bis zur Stadt, und wenn es sich bei dem jungen Menschen um Verborgenheit handelt, so wird er diesen auch nicht am hellen Tage dorthin geführt haben. Im Rocky-Creekhause soll jetzt abends gespielt werden – lassen Sie uns bis zur ebenen Straße hinabreiten, und ich werde Ihnen dann weiteres sagen.«

Schweigend wurden die Pferde zu schärferem Schritte angetrieben; der größere Teil des felsigen Weges war bereits zurückgelegt, und die letzte Biegung nach der Hauptstraße hinab zeigte sich, als plötzlich unweit vor ihnen ein Schuß knallte und fast mit ihm zugleich ein Schrei hörbar wurde. Kaum hatte der voranreitende Sheriff sein Pferd aufhorchend angehalten, als ein Mann hinter der nächsten Buschecke hervorgejagt kam, beim Anblicke der Reiter stutzte und nach einem Augenblicke wilden Umsichsehens auf das nächste Gebüsch zusprang. Aber sein Fuß verwickelte sich in die offen liegenden Wurzeln und Schlingpflanzen am Rande des Weges, und in toller Hast, loszukommen, schlug er der vollen Länge nach zu Boden.

Das ganze Ereignis war so plötzlich eingetreten, daß die Zeit dafür eben nur genügt hatte, die Pferde zu zügeln; jetzt aber richtete sich Charley hastig in den Bügeln auf und war mit einem: »Das ist er ja, das ist er!« vom Pferde, ehe noch einer der anderen dazu Miene gemacht hatte. Mit zwei Sprüngen hatte er den Mann, der von dem Falle halb betäubt schien, erreicht und richtete ihn wie ein Kind in die Höhe. »Bei Gott, er ist es, ich sagt es ja, und nur die verdammte Brille, die er trug, machte mich einen Augenblick unsicher!« rief er, den Mann, der ihn wie geistesabwesend anstarrte, an beiden Armen festhaltend.

»Hallo, Graf, wie geht's? Kennen Sie den Dutch Charley nicht mehr?«

Helmstedt hatte, als auch der Sheriff eilig abstieg, nach den Zügeln der beiden Pferde gegriffen; aber seine Augen taten sich weit auf, als der Beamte zur Verhaftung des Menschen schritt und dieser sein verstörtes Gesicht nach ihm wandte. Sichtlich gespannt folgte der junge Mann seinen beiden Gefährten und trat, die Pferde nach sich führend, zu der Gruppe.

»Also Sie, Seifert, sind der Graf oder der Mr. Wells, oder wie Sie sonst heißen mögen?« fragte er. »Kennen Sie mich nicht, Seifert?«

»Was wollen Sie von mir?« fragte der Gefangene, die drei Männer der Reihe nach mit starren Blicken ansehend. »Ich habe in Selbstverteidigung gehandelt und kann nichts dafür, daß der Schuß so unglücklich traf. Er hatte den Revolver auf mich gerichtet, Sie sollen meine Zeugen sein, es ist gut, daß Sie da sind – kommen Sie!«

»Sachte, lieber Mann, wir folgen schon!« erwiderte der Sheriff, als Seifert seinen Arm aus dessen geschlossener Hand reißen wollte, und winkte bedeutsam den beiden anderen, zu folgen.

Sie erreichten bald die nächste Buschecke; wenige Schritte davon zeigte sich die Leiche Murphys, quer über dem Wege liegend.

»Daß dich –!« rief Charley, erschreckt stehen bleibend, während Seifert an der Hand des Sheriffs gerade auf den Körper losschritt.

»Hier liegt sein Revolver, den er mir entgegenstreckte«, sagte der Gefangene und wollte sich nach der Waffe bücken; aber der Beamte zog ihn rauh zurück.

»Das alles wird sich finden; jetzt aber, lieber Mann, ist die Sache ernster als zuvor!« entgegnete er und zog ein Paar Handschellen aus der Tasche; »ich ersuche Sie, ruhig Ihre Arme herzuhalten, damit ich nicht Gewalt anwenden muß!«

»Warum das?« rief Seifert zurückprallend. »Ich habe Sie selbst hierher geführt; ich habe in Selbstverteidigung gehandelt und verlange eine Untersuchung. Ich folge Ihnen ganz freiwillig!«

Helmstedt, welchem beim ersten Anblick der Leiche eine peinliche Erinnerung aus seinem eigenen Leben vor die Seele getreten war, die ihn gespannt den Vorgängen folgen ließ, drückte jetzt die Zügel der Pferde in Charleys Hand und ging rasch auf den Sheriff zu. Eine kurze Weile sprach er in dessen Ohr, und als ein nachdenkliches Nicken desselben seine leise Rede beantwortete, wandte er sich an den Gefangenen.

»Ich hoffe, Sie kennen mich noch, Seifert?«

»Und was weiter, Sir?« erwiderte dieser, den Frager starr anblickend.

»Sie wissen wahrscheinlich noch nicht, daß Sie wegen Entführung des Manuel Goldstein und wegen des damit verbundenen Betrugs und Schwindels jetzt verhaftet worden sind, und daß alles, was hier geschehen ist, ursprünglich gar nichts mit dieser Verhaftung zu tun hatte.«

»Manuel Goldstein – was soll es noch mit dem?« erwiderte Seifert, als habe er von allem, was zu ihm gesprochen, nur den einen Namen gehört. »Seit der hier tot ist, bezahlt mir doch niemand mehr einen Gewinn – was soll ich noch mit dem Jungen machen? Armer, kleiner Kerl! – wenn er nur schon wieder in Neuyork wäre, er ist mir so gutwillig überallhin gefolgt, um endlich einmal den alten Pedlar zu finden.«

»Aber wo ist er, Seifert, damit für ihn gesorgt werden kann? Reden Sie die Wahrheit, und wir wollen glauben, daß Sie bei diesem Morde hier nur in Selbstverteidigung gehandelt haben; der Sheriff wird die Handschellen wieder einstecken und Sie anständig nach der Stadt bringen.«

Der Gefangene sah mit halb irren Blicken auf.

»Das ist also der Sheriff,« sagte er, »Well, Sir, war der Advokat Murphy, der hier tot liegt, einer von Ihren Deputies?«

Ein bittender Blick Helmstedts traf den Beamten.

»Nicht, daß ich wüßte!« erwiderte dieser.

Ein halb verzerrtes Lächeln ging über Seiferts Gesicht.

»Es ist schon, wie ich gedacht, und alles recht; der Teufel rächt sich nur, wo er betrogen werden soll. – Ich gehe mit Ihnen nach der Stadt, Gentlemen.«

»Und wie soll es mit dem Manuel werden?« fragte Helmstedt dringend.

»Ja, er wird wohl jetzt ausfinden müssen, daß der alte Pedlar schon längst tot ist,« erwiderte Seifert mit bedauerndem Kopfschütteln; »es ist am besten, Sie gehen selbst nach dem Rocky-Creek-Hause und sagen es ihm. Er mag warten, bis ich aus der Stadt zurückkomme, dann will ich ihn selbst wieder nach Neuyork nehmen.«

Helmstedt tauschte mit dem Beamten einen Blick aus und ließ dann das Auge über die Leiche streifen.

»Wenn Sie sich einige Minuten gedulden wollen,« sagte er halblaut zu dem Sheriff, »so hole ich aus dem Wirtshause jemanden als Wächter herbei, der bis zur Ankunft des Coroners hier bleibt. Dann mögen Sie den Gefangenen auf meinem Pferde zwischen sich und Charley nach der Stadt nehmen und brauchen ihn nicht zu schließen.«

»Ich kann Ihnen nur dankbar sein, wenn Sie die Mühe übernehmen wollen«, erwiderte der Angeredete, und nach einigen Minuten sprengte Helmstedt dem Rocky-Creek-Hause zu.

* * *

Es war Abend geworden und der Platz, auf welchem der Mord vollbracht wurde, wieder so öde wie vorher; nur die geknickten Büsche und das zertretene Gras am Wege zeigten, daß ein besonderer Vorfall mehr Menschen als gewöhnlich auf der Stelle versammelt hatte. Mit der nach der Stadt gebrachten Leiche war aber die Aufregung dort eingezogen; das Hotel, worin der Ermordete lag, umstanden die Menschen in dichten Haufen, und die verschiedensten Gerüchte über die Art und Ursache des Mordes gingen von Mund zu Mund.

Im Bar-Room des Hotels, wo es wie in einem Bienenstocke aus und ein ging, stand Griswald in der Vertiefung neben dem Kamin und stürzte soeben den dritten Brandy-Smash hinunter.

»Ich muß bekennen,« sagte er zu einem an seiner Seite lehnenden ältlichen Mann, »daß ich mich alteriert habe, so kalt ich auch sonst in allen Dingen bin – Teufelsgeschichte das!«

»Und was wird jetzt aus unserer Spekulation?« brummte der andere halblaut; »ist schon etwas geschehen, daß die Sache von den richtigen Händen weiter fortgeführt werden kann?«

»Weitergeführt? Damit ist es vorläufig zu Ende, Sir, und das ist mir eben wie eine Eispille in den Magen gefahren«, erwiderte Griswald, einen Blick um sich werfend, »John, noch einen Smash – Sie nehmen einen Schluck mit, Sir? Zwei Smash, John! Wissen Sie denn nichts von der Geschichte, welche der Sheriff erzählt?« fuhr er fort, als er nirgends einen Lauscher in seiner Nähe bemerkte; »nichts von dem jungen Menschen, welchen der Mörder irgendwo hier verborgen gehabt?«

Der andere sah ihn groß an.

»Nun?«

»Nun? Dieser junge Mensch ist der eigentliche Eigentümer des Besitztitels. Murphy hat sich durch eine Nachricht von seinem Tode düpieren lassen und das Dokument von Parteien erworben, welche kein Recht darauf haben.«

»Aber ich verstehe nicht recht –«

»Ich auch noch nicht, Sir; was ich Ihnen aber da sagte, steht so fest wie Murphys Tod, und daß es überhaupt eine Torheit bleibt, junge Advokaten, bei denen die Illusionen immer die Gründlichkeit überwiegen, in die Assoziation aufzunehmen. Jetzt können wir mit unserem Gutachten über die Unfehlbarkeit des Besitztitels die schönste Blamage auf den Hals bekommen. Geht morgen das Dokument in andere als uns befreundete Hände über, so müssen die schlimmsten Vermutungen über unsere Gesetzeskenntnis oder unsere Ehrlichkeit laut werden – und das kommt alles davon, wenn junge Leute wie Murphy zu Dingen gelassen werden, die sie noch nicht zu behandeln verstehen. John, noch einen Smash!«

»Aber was denken Sie, das nun geschehen sollte?«

»Weiß noch nicht, Sir! Zuerst wollte ich nach Oaklea gehen, um dort die Luft zu untersuchen – heute nacht, denke ich, werden sich die meisten von unseren Freunden von selbst in meiner Office einfinden, und dann werden wir weiter sehen!«

Er trat an den Schenktisch, um zu bezahlen, und schritt dann in die Straße, wo ein aufgezäumtes Pferd bereits auf ihn wartete. Bald saß er im Sattel und trabte davon.

Zu derselben Stunde schritt Elliot, ein offenes Billett in der Hand, mit großen Schritten in seiner Bibliothek auf und ab. Im Schaukelstuhle wiegte sich die Frau vom Hause, und am Fenster saß Ellen, das Kinn in die Hand gestützt, und sah träumerisch in die dämmernde Landschaft hinaus.

»Diese Gefahr wäre also vorläufig vorüber,« sagte der Pflanzer, stehen bleibend; »aber ich weiß kaum, ob ich mich darüber freuen soll. Im Grunde genommen ist es kaum mehr als eine Galgenfrist, und ich hatte bis jetzt wenigstens Gegner, mit denen man, ohne sich etwas zu vergeben, unterhandeln konnte. Was soll ich aber mit diesem Deutschen tun, der jetzt das Heft gegen mich in die Hand bekommt? Soll ich ihn aufsuchen, wie ich es ihm in einer Stunde der Bedrängnis zugesagt, und seinem Hochmute die Krone aufsetzen? Er mag das erwarten, sonst hätte er mir wohl kaum so eilig die Meldung von der Auffindung seines Mündels geschickt.«

»Ich glaube, Pa, du beurteilst Helmstedt ungerecht,« unterbrach ihn Ellen, vom Fenster aufsehend, »und ich möchte dir das zu deiner eigenen Ruhe sagen. Ich habe in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht, warum er mir in so kurzer Zeit entfremdet werden konnte; ich habe mein ganzes Zusammenleben mit ihm durchgegangen, und es war nicht sein Charakter, nicht das, was er als Mensch wert war, was unsere Übereinstimmung hinderte, es waren unsere verschiedenen Ansichten vom Leben überhaupt, bis oft zu den kleinsten Dingen herab, die, wohl bei jedem anerzogen, sich immer einander entgegentraten. Helmstedt ist großherzig; er hat es bewiesen und denkt gewiß jetzt am wenigsten an die Befriedigung irgendeines unedlen Gefühls.«

Der Pflanzer nickte unmutig. »Das mag die Ansicht junger Ladies sein, Mistreß Tochter; bejahrte Männer aber urteilen anders!« sagte er und nahm seinen Gang wieder auf. »Ich hasse diese Großherzigkeit, diese Uneigennützigkeit, welche sich dann zu Hause hinsetzt und in der Genugtuung schwelgt, die sie Leuten von mehr Gewicht gegenüber errungen – es hat mein innerstes Gefühl beleidigt, als dieser junge Mann, der mein Brot gegessen, und dessen armselige Finanzverhältnisse ich kenne, wenn er sie bisher auch noch vor der Welt zu bemänteln gewußt, sich vor mich als Retter hinstellte und zugleich, um seine Uneigennützigkeit zu beweisen, jeden Anspruch auf eine nähere Beziehung zu mir von sich wies. Hätte er damals noch zu mir gesagt: ›Rücksicht gegen Rücksicht, Sir, ich nehme Ihre Sorgen von Ihnen und trete dafür als anerkanntes Glied in Ihre Familie ein‹ – so weiß ich nicht, zu was ich mich hätte verleiten lassen, denn es wäre Verstand und Gegenseitigkeit in dem Vorschlage gewesen; aber er ging weg, kaum daß er es der Mühe wert fand, meine Hand zu ergreifen, mit der einzigen Genugtuung, den Großherzigen gespielt und mich ihm gegenüber in eine unsichere Stellung gebracht zu haben.«

»Aber, Pa, hast du nicht selbst versucht, ihn mit allen Mitteln zu einer Scheidung zu treiben?« sagte Ellen erregt. »Und nun willst du es ihm zum Vorwurf machen, daß er dir nachgegeben hat und alles, was gegen ihn getan worden ist, mit guten Absichten vergilt?«

»Ich glaube, du hast alle Bescheidenheit gegen deinen Vater verlernt!« ließ die Mutter vom Schaukelstuhle vernehmen.

»Laß sie, sie ist von meinem Schlage,« sagte Elliot mit einem Anfluge von Laune; »wenigstens kann ich mich dabei doch einmal aussprechen und brauche nicht alles still mit mir herumzutragen. Und was glaubt denn nun meine kluge Tochter, das ich unter den gegenwärtigen Verhältnissen tun sollte?«

»Nichts, Pa, aber sich auch den Kopf nicht schwer machen um Dinge, die wahrscheinlich gar nicht existieren!« erwiderte die junge Frau. »Ich glaube bestimmt, Helmstedt wird selbst kommen, sobald er nur weiß, wie die Angelegenheiten stehen, und dir die nötigen Mitteilungen machen, und ich bin überzeugt, daß du ihn nur als Gentleman, der er wirklich ist, zu behandeln brauchst, um jeder Rücksicht sicher zu sein.«

»Und womöglich bis dahin auch die Scheidungsangelegenheit aufzuschieben«, versetzte Elliot, stehen bleibend, »und zuzusehen, ob der junge Herr sich nicht vielleicht eines Besseren besonnen hat und sich zu einer Aussöhnung bewegen läßt; nicht so?«

»Vater!« rief Ellen vorwurfsvoll, und die Tränen traten in ihre Augen; »womit habe ich das verdient? Ich verteidige nichts als seinen Charakter. Hätte ich nicht erkannt, wie wenig wir füreinander passen, so wäre ich dir sicher nicht nach Oaklea gefolgt, und seit du in meinem Namen eine Rückkehr in sein Haus verweigert hast, weißt du, daß ich nur auf eine Scheidung in deinem Sinne gerechnet habe. Aber wenn Helmstedt nichts weiter verdient, so verdient er Achtung, Vater, und die werde ich ihm bewahren, solange ich lebe!«

»Mr. Griswald ist im Parlor!« rief in diesem Augenblick eine Schwarze, den Kopf zur Tür hereinsteckend.

Elliot sah auf, als komme ihm die Unterbrechung eben erwünscht. »Führe ihn hierher, Flora, und bringe Licht!« sagte er und setzte dann schweigend seinen Schritt fort.

Nach wenigen Minuten öffnete sich die Tür wieder: »Teufelsgeschichte das!« rief der Advokat, eintretend. »– o, bitte um Entschuldigung, Ladies; ich hatte keine Ahnung von Ihrer Gegenwart. Familienberatung? Ich hoffe, ich störe nicht?«

»Nicht im geringsten, Sir, setzen Sie sich!« erwiderte Elliot, während die Schwarze zwei Lichter auf den Tisch stellte; »wir besprechen eben nur den außerordentlichen Fall von heute. Ich bin aufrichtig betrübt über Murphys Tod; er war jedenfalls ein Gegner, mit dem sich sprechen ließ.«

»So – da komme ich also mit meiner Nachricht zu spät,« hustete Griswald, sich niederlassend; »ich habe noch einige Meilen weiter hinaus Geschäfte und dachte, Ihnen im Vorbeireiten die Sache mitzuteilen. Aber – darf ich in der Ladies Gegenwart von Geschäften reden?«

»Immer zu, Sir,« erwiderte der Pflanzer; »leider haben sie in der letzten Zeit mehr daran teilnehmen müssen, als mir lieb war.«

»Well – ich wollte nur fragen, um etwa nötige Schritte in Ihrem Interesse tun zu können – hatten Sie mit Murphy bereits ein Übereinkommen getroffen, das, falls der Anspruch jetzt durch einen anderen Bevollmächtigten vertreten werden sollte, gegen diesen geltend gemacht werden könnte?«

»Ich muß Ihnen gestehen, Sir,« sagte Elliot, sich langsam niedersetzend, »daß mir erst in der letzten Zeit manches Unklare in diesem Anspruche aufgestoßen ist, weshalb ich mir auch von Mr. Murphy noch eine weitere Frist ausbitten ließ. Wie die Sache jetzt steht, habe ich mich entschlossen, sie an mich kommen zu lassen.«

»So – merkwürdig, Sir!« erwiderte Griswald, sich den Schenkel reibend; »ich wünschte, Sie hätten mir Ihre Gedanken mitgeteilt, die vielleicht schon bei der Untersuchung des Dokuments von Wichtigkeit hätten sein können.«

»Sie meinen doch nicht, daß drei der erfahrensten Advokaten von den Gedanken eines einfachen Farmers etwas hätten profitieren mögen?« lachte Elliot; »meine Bedenken sind ganz privater Natur, und ich muß selbst erst erleben, wie weit sie Stich halten. Wissen Sie vielleicht schon, wer die Angelegenheit jetzt in die Hand bekommt?«

»Habe noch nicht die Idee davon, Sir; es muß sich aber jedenfalls binnen kurzem herausstellen, und deshalb meinte ich, es sei gut, Sie schon heute darauf aufmerksam zu machen.«

»Ich danke Ihnen, Mr. Griswald; wir wollen aber, wie gesagt, erst einmal abwarten, was neuerdings in der Sache getan werden wird, und dann sehen Sie mich jedenfalls in Ihrer Office.«

»Wie Sie meinen, Squire – es ist Ihre eigene Sache,« hustete Griswald, »und so will ich mich nicht weiter aufhalten.«

Er erhob sich, verbeugte sich gegen die Damen und verließ mit einem: »Gute Nacht, Sir!« das Zimmer.

»Hat hier der Teufel schon ein Ei in die Wirtschaft gelegt?« brummte er, als er sein Pferd bestiegen hatte und langsam davonritt; »was will er mit seinem Bedenken? Bedenken – lächerlich! Der Anspruch gegen ihn bleibt immer bestehen, ob in dieser oder jener Hand – und daß der jetzige Eigentümer, oder wer diesen vertritt, recht beraten werde, dafür wird der Griswald sorgen.«

Er zog die Zügel an und ritt im scharfen Trabe der Stadt wieder zu.


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