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Erstes Kapitel

Ein prachtvoller Morgen lag über dem Mississippi. Unten wälzte der Strom seine gelben Fluten, denen man es ansah, daß sie aus dem westlichen Lande kürzlich erst allen Winterschmutz aufgenommen hatten; aber am linken Ufer, das vom Wasser allmählich aufwärts steigt, bis der dichte Wald den weiteren Blick versperrt, lagen einzelne kleine Farmen mit ihren roh gezimmerten Häusern und Einzäunungen, zwischen denen sich eine Fahrstraße hinauf nach dem Walde hinzog. Dort oben war eben ein Mann aus den Gebüschen getreten, sah prüfend über die Gegend und scharf den Fluß hinauf.

»Pech, und nichts als Pech, beim Teufel!« brummte er nach einer Weile in deutscher Sprache und fuhr mit der Hand über die verdrießlich zusammengezogene Stirn; »das kann noch Stunden dauern, bis mir eins von den Booten den Gefallen tut, sich sehen zu lassen, und noch nichts im Leibe als ein altes Stück Welschkornbrot, das kein deutscher Holzhacker verdauen könnte.«

Er setzte sich langsam auf einen umgestürzten Baum, der neben dem Wege lag, stützte den Kopf in die Hand und sah, wie in Gedanken verloren, den Fluß hinauf. Nach einer Weile zog er aus dem modischen Überrocke, der ihm in Verbindung mit dem feinen Hute ein ganz respektables Ansehen verlieh, eine große, plumpe Schnapsflasche hervor und tat zwei lange Züge daraus. »Scheußlich – Whiskey – und was für ein Stoff!« brummte er und wischte sich den Mund. »Das also,« fuhr er fort, die Flasche vor sich hinhaltend, »das ist alles, was bei der letzten, größten Spekulation, die ich je gemacht, herausgekommen ist. Schöne Gegend – es scheint, mein Stern ist im Untergehen wie der des Wallenstein.«

Wieder versank er in Gedanken, bis er endlich mit der Hand über das Gesicht fuhr, als wolle er die trübe Miene daraus hinwegstreichen. »Herr Seifert,« fuhr er in seinem Selbstgespräche fort und richtete den Kopf langsam auf, »ich glaube, Sie verfallen in einen Zustand, den man gewöhnlich moralischen Katzenjammer nennt, der aber, wie Sie wissen, das allerschlechteste Mittel ist, sich wieder auf die Beine zu helfen! Lassen Sie uns die Verhältnisse ruhig überlegen.« Er setzte die Whiskeyflasche von neuem an den Mund, tat einen langen Zug, schüttelte sich, während er den Kork daraufsteckte, und ließ sie dann langsam in der Seitentasche seines Rockes verschwinden. »Wir sind nach diesem Lande gekommen, um unseren etwas zu bedeutend gewordenen Schulden und den Folgen eines kleinen Wechselgeschäfts aus dem Wege zu gehen; gut! In Deutschland würden wir jetzt wahrscheinlich Wolle spinnen müssen, während wir hier auf freien Füßen sind und ein freies Feld vor uns haben, also sind wir in bedeutendem Vorteil. Als wir in Neuyork ankamen, haben wir bald erkannt, daß wir zu einem regulären Geschäfte nicht taugen, daß es hier für den Klugen viel profitablere Wege gibt, um in diesem freien Lande Lebensunterhalt und Geld zu machen. Wir haben zwar unser mitgebrachtes Vermögen in wenig Monaten durchgebracht, sind, was andere Leute vielleicht einen Erzlumpen nennen, geworden – lassen Sie uns, Herr Seifert, die Sache nur immer von der schwärzesten Seite ansehen – haben aber dabei die Landessprache, die Menschen und die Verhältnisse perfekt kennen gelernt und jetzt einen Fond in uns gewonnen, der uns nie im Stiche lassen und den uns niemand stehlen kann. Wir sind im Augenblicke zwar ohne Geld und ohne alle Hilfsmittel, stecken hier unten im Süden wie ein verlorener Posten – sind wir aber nicht schon in viel schlimmeren Lagen gewesen und haben uns mit einem Schlage herausgerissen? Warum also trübselig sein? Wir sind ein einziges Mal dumm gewesen, eigentlich das einzige Verbrechen, das es in Amerika gibt – das ist richtig, und die Strafe dafür fühlen wir jetzt; lassen Sie uns aber sehen, Herr Seifert, ob das wirklich unsere eigene Schuld war. Wir trafen einen Landsmann in Neuyork, einen guten Jungen, aber voll deutscher Vorurteile, aus dem nur durch die Not etwas werden konnte. Wir erkannten das, und um ihn schneller zum Amerikaner zu machen, benutzten wir die Gelegenheit, um ihm Geld und Uhr zu entführen. Für ihn mußte das, trotz seiner ersten Verlegenheit, zur Wohltat werden, und uns half es, um die nötigen Mittel zu einer Spekulation hier im Süden zu erhalten. Soweit ist Vernunft und Logik in der Sache, die Folge hat es bewiesen. Wir haben den jungen Mann hier unten wieder getroffen, verwandelt und gestutzt, wie es eben nur die Not zuwege bringen kann – und wir machten mit dem Gelde als Anlage unser ganz angenehmes Geschäft am Spieltisch, so gut es sich nur im Hinterwalde unter den wohlhäbigen, harmlosen Leuten tun läßt. Warum waren Sie nicht damit zufrieden, Herr Seifert? Hatten Sie nicht in dem Spielgeschäfte noch dazu einen tüchtigen Partner, der hier den reichen Pflanzer vorstellte, immer Kunden zuführte, und dem Sie mit aller Pfiffigkeit noch nicht beikommen? Warum, ärgerten Sie sich, daß er den großen Herrn spielte und in allen Familien aus und ein ging, was Sie als offener Spieler und Bankhalter nicht konnten? Das war eigentlich schon dumm; wurde doch der Gewinn gleich geteilt, war doch selbst unsere letzte Spekulation in schwarzem Menschenfleische, das leicht genug zu entführen und leicht genug zu verkaufen war, auf gleiche Profitteile, berechnet. Wer hat die ganze Spekulation aber verdorben, sagen Sie doch, Herr Seifert – wie konnte die ganze schlau eingefädelte Entführung der schwarzen Burschen entdeckt werden und die Verfolger uns so schnell auf die Fersen bringen, wenn nicht eine ungeheure Dummheit begangen worden wäre? Nur ehrlich, Herr Seifert, wenn wir allein sind – das waren Sie! Ließen Sie sich nicht ganz verblüffen, als Sie mit dem guten Jungen aus Neuyork hier wieder zusammentrafen? Ließen Sie sich nicht breitschlagen, ihm zu verraten, wer Ihr Partner eigentlich war, ohne nur danach zu fragen, warum der das wissen wollte? Beichteten Sie nicht so schön wie ein unschuldiges Mädchen, nur damit er über die Neuyorker Geschichte, die ihm Geld und Uhr gekostet, schweigen sollte? Nun, was war die Folge? Der gute Junge, dieser Herr von Helmstedt – ich werde den Namen wohl nicht gleich wieder vergessen – war auf derselben Farm angestellt, wo Ihr Partner den Hausfreund spielte und das schwarze Fleisch entführen wollte – wundern Sie sich nun noch, daß diesem von der Zeit an auf die Finger gesehen ward; daß wir beinahe auf der Tat ertappt wurden und ich nur mit knapper Not die schwarzen Häute in Sicherheit bringen konnte? Ja, und wenn's nur dabei geblieben wäre– nehmen Sie sich eine Lehre daraus, Herr Seifert, was eine einzige Dummheit zuwege bringen kann! Sie haben keine Idee von Ihrem Partner wieder zu sehen bekommen, und wenn er den hitzigen Pflanzern, besonders diesem Mr. Elliot, der um seine Schwarzen zu kurz kommen sollte, in die Hände gefallen ist, so haben Sie wahrscheinlich sein Leben auf dem Gewissen. Das wäre indessen noch nicht das ärgste – haben denn aber die schwarzen Affen Zutrauen fassen wollen, als er ausblieb? Haben sie nicht die Sonne beobachtet und gemerkt, daß ich sie nicht nach dem Osten in die Freiheit, sondern weiter nach dem Südwesten führe, wo sie sich das, was mit ihnen geschehen sollte, von selbst abfingern konnten? Sind sie mir denn nicht während einer schönen Nacht samt und sonders durchgegangen und hatten noch dazu im Nachtquartier so verdächtige Äußerungen fallen lassen, daß ich froh war, die Fragen des Wirts mit einem derben Stück Gelde, fast alles, was ich bei mir trug, abschneiden und davonkommen zu können? Habe ich mich nicht, um jeder Gefahr aus dem Wege zu gehen, auf Holz- und Seitenwegen durchgeschlagen, auf versteckten Farmen übernachten und mit Welschkornbrot und Schweinefleisch füttern lassen müssen und sitze nun endlich hier am Mississippi, ohne etwas in der Tasche zu haben als die Whiskeyflasche von einem der schwarzen Schwerenöter? Well, Herr Seifert, das sind die Folgen einer einzigen Dummheit, Sie werden sich das merken. – Im übrigen aber werfen Sie jetzt alle trüben Gedanken aus der Seele – wir werden wieder nach Neuyork kommen, wo unser eigentlicher Boden ist, und jetzt, wo die erste Notwendigkeit ist, trotz unserer leeren Tasche eine anständige Passage auf einem Dampfboote zu bekommen, gilt's, ein zuversichtliches Gesicht zu zeigen!«

Er richtete sich langsam aus der gebückten Stellung, die er eingenommen, auf, zog von neuem die Whiskeyflasche ans Licht und ließ den Rest davon in den Hals laufen. Dann warf er sie mit kräftigem Schwunge in den Wald hinein.

»Und so sei jede Verbindung mit diesem Süden von mir gestreift,« sagte er aufstehend; »wenn wir nur schon das ganze Land mit seinen Niggern und seiner Baumwolle hinter uns hätten!«

Langsam und fortwährend den Fluß beobachtend, schritt er die Straße nach dem Landungsplatze hinunter; er hatte diese aber kaum zur Hälfte zurückgelegt, als hinter einer der Inseln, welche ihm die freie Aussicht auf den oberen Teil des Flusses benahmen, ein paar langgezogene Rauchstreifen sichtbar wurden.

»Jetzt,« murmelte er vor sich hin, den braunen Schnurrbart streichend und schärfer zugehend, »jetzt bewiesen, daß der Seifert noch der Seifert ist!«

In den nächsten zehn Minuten hatte er den Landungsplatz erreicht, wo aufgestapelte Baumwollenballen und einzelne grobgeschnittene Farmergesichter neben halbnackten Schwarzen die Ankunft des Dampfers zu erwarten schienen.

Seifert trat mit nachlässiger Haltung hinzu und beobachtete das herankommende Fahrzeug, bis sich dessen Formen deutlich erkennen ließen.

»Was ist das für ein Boot?« wandte er sich an den Nächststehenden.

»Die 'Fashion', Sir!« war die Antwort.

»Sie wissen vielleicht den Namen des Kapitäns?«

»Mr. White, Sir!«

»Richtig, das ist das Boot, welches ich erwarte; danke Ihnen, Sir!«

Das mächtige Fahrzeug trieb langsam herbei, das Seil flog nach dem Ufer, wurde dort aufgefangen und befestigt, die Landungsbrücke fiel, und die Schwarzen begannen die Baumwollenballen hinüberzurollen. Seifert betrat raschen Schrittes das Boot, eilte die Treppe nach dem Salon hinauf und hatte bald die Office (das Bureau) aufgefunden.

»Haben Sie nicht einen Brief für Henry Wells?« fragte er den dort arbeitenden Clerk (Sekretär).

»Nicht daß ich wüßte, Sir!«

»Dies ist doch die 'Fashion'?«

»Die 'Fashion', Sir!«

»Dann muß Kapitän White den Brief selbst haben. Können Sie mir sagen, wo ich ihn treffe?«

»Er ist im Augenblick nach dem State-Room (Salon) gegangen; dort finden Sie ihn jedenfalls.«

Seifert wandte sich, eine Miene voll besorglicher Erwartung über sein ganzes Gesicht verbreitend, nach der angegebenen Richtung und betrat das allgemeine Versammlungszimmer, in welchem einzelne Gruppen der Reisenden sprechend beieinander standen, während andere schlafend oder lesend auf den Stühlen oder Diwans umherlagen. Der Eintretende blickte einen Augenblick beobachtend umher und hielt dann einen der schwarzen Aufwärter, der in seinen Weg kam, an.

»Welches ist Kapt'n White?«

»Dort bei den vier Herren – der die Mütze trägt.«

Seifert durchschritt das Zimmer wie ein Mensch, der an solchen Orten nicht fremd ist, und trat zu der bezeichneten Gruppe.

»Kapt'n White, nur ein Wort! Ist Ihnen nicht ein Brief an Henry Wells übergeben worden?«

»Ein Brief?« erwiderte dieser, sich umdrehend. »Sie werden in der Office deshalb nachfragen müssen, Sir!«

»Ich war bereits da, und dort ist nichts; ich hoffte mit Bestimmtheit, er müsse in Ihren Händen sein.«

»Bedaure, Sir, aber ich weiß von nichts.«

Seiferts Stirn zog sich in tiefe Falten.

»Well, Kapt'n, dann bin ich in einer ganz teufelmäßigen Patsche, wenn mir Ihre Freundlichkeit für den Augenblick nicht heraushilft. Wir sind seit vier Tagen in der Verfolgung eines nichtswürdigen Kerls begriffen, der dem Squire Elliot von Alabama vier Schwarze gestohlen hat; ich hatte mit zwei von unseren Begleitern eine neue Spur eingeschlagen und war von ihnen abgekommen; ich hatte den Weg verloren und bin erst auf allerhand Holzwegen hier wieder aus dem Walde ans Tageslicht gestiegen. Ich sollte nach unserer Verabredung durch die ›Fashion‹ nach Vicksburg Nachricht erhalten – mein Name ist nämlich Wells – und bin so glücklich, gerade wo mir der letzte Cent ausgegangen ist, Ihr Boot zu treffen – haben Sie wirklich keine Nachricht für mich, so möchte ich Sie freundlichst bitten, mich nach Vicksburg zu spedieren, wo in Zeit von drei Minuten Ihnen das Fahrgeld erstattet werden soll.«

Der Kapitän ließ einen Augenblick den prüfenden Blick über ihn laufen.

»Sie haben kein Gepäck bei sich, Sir?« fragte er dann. »Ich sage Ihnen ja, Kapt'n, daß ich in den Wald geraten bin, ich weiß nicht wie!« war Seiferts eifrige Antwort; »hätte ich Gepäck, so würde ich nicht in die Verlegenheit gekommen sein, Sie um das jetzige kurze Vertrauen zu bitten.«

»Sie kennen also Mr. Elliot von Alabama, von dem Sie eben sprachen?« begann einer von den Beistehenden; »ich entsinne mich allerdings des Sklavendiebstahls dort.«

Seifert wandte sich nach ihm und verfärbte sich, aber nur für einen Augenblick und ohne eine Miene zu verziehen. Er war einem schwarzen, scharf auf ihm ruhenden Auge begegnet, das ihn unruhig machte, wenn er sich auch noch keinen bestimmten Grund dafür angeben konnte. »Mr. Elliot habe ich nur ein- oder zweimal gesehen,« erwiderte er, ein höfliches Lächeln versuchend; »ich selbst bin in Neuyork zu Hause und nur auf einem Ausfluge im Süden. Ich hatte die ganze Expedition eigentlich nur der Merkwürdigkeit halber mitgemacht, da einige Bekannte sich daran beteiligten.«

»Richtig, Sie waren von Neuyork nach Alabama gekommen; ich glaube mich Ihrer noch ziemlich deutlich zu entsinnen, Sir!« erwiderte der andere, ohne den festen prüfenden Blick von ihm zu lassen.

Seifert ward wieder einen Schatten blässer, aber sein Blick nahm eine eiskalte Ruhe an. »Es ist wohl möglich, Sir, wenn Sie sich nicht in mir irren,« erwiderte er; »mein Name ist Henry Wells.«

»Ihren Namen habe ich nicht gehört,« war die Antwort, und ein sonderbares Lächeln spielte um den Mund des Sprechenden; »ich wollte nur bemerken, daß, wenn unser Kapt'n hier Anstand nehmen sollte, Ihnen das Fahrgeld zu kreditieren, ich Ihnen gern mit meiner Börse zu Diensten stehe.

Seiferts Gedanken schienen durch das Anerbieten für einen Augenblick aus allen ihren Fugen geworfen zu sein, wenigstens zeigte sein Gesicht einen ähnlichen Ausdruck; aber der Kapitän riß ihn aus der augenblicklichen Verwirrung.

»Schon recht, Sir. Warum soll ich einem ehrlichen Gentleman nicht so weit aus der Verlegenheit helfen?« sagte er mit derber Gutmütigkeit. »Sie finden mich nach fünf Minuten in der Office, wo ich die Sache ordnen werde. Machen Sie sich's bequem.«

»Dank Ihnen, Kapt'n,« erwiderte Seifert wieder mit völliger äußerer Ruhe; »vielleicht finde ich einmal Gelegenheit zu einem Gegendienste!« Er drehte sich weg, um die Gruppe zu verlassen. Kaum hatte er aber einige Schritte getan, als er den leichten Druck einer Hand auf seiner Schulter fühlte. Er wandte sich um und sah wieder in das scharfe Auge, dem er soeben begegnet.

»Well, Sir – Mr. Wells ist Ihr Name?« begann der Nachkommende, und wieder spielte ein Lächeln wie leichter Spott um seinen Mund; »wenn Sie eben erst aus dem Walde zum Vorschein gekommen sind, so könnte uns ein guter Brandy nichts schaden; begleiten Sie mich nach dem Bar-Room.«

Seiferts Auge verschleierte sich, daß niemand eine augenblickliche Empfindung darin gelesen hätte. »Ich danke Ihnen, Sir, und werde in zwei Sekunden bei Ihnen sein!« erwiderte er. Mit einer kurzen Verbeugung wandte er sich hinweg und ging raschen Schrittes aus dem Salon, die Treppe hinab und nach dem Ausgange des Bootes, wo eben die letzten Stücke der neuen Ladung vom Lande herübergeschafft wurden. Er trat beiseite und sah nach dem Ufer. »Aufpassen, Seifert!« brummte er; »etwas ist hier nicht richtig. Wer ist der Mensch, was will er, und was weiß er? Ist es besser, lieber das nächste Boot abzuwarten, als hier in eine Falle zu geraten?« Er sah eine Minute mit zusammengezogenen Augenbrauen in die Weite. »Nichts können sie mir anhaben, gar nichts, kein Zeuge ist da, der mich meinesteils des Negerdiebstahls beschuldigen könnte; mein guter Freund Baker, mein nobler Partner, hat das ganze eigentliche Geschäft allein besorgt – im Notfall aber bin ich Mr. Wells von Neuyork; wer will mich etwa verdammen, weil ich zufällig dem Spieler Seifert, der in Alabama sein Wesen getrieben, ähnlich sehe?«

Er warf noch einen letzten überlegenden Blick ans Ufer; dann schritt er, wie mit seinem Entschlusse fertig, mit kurzem Kopfnicken wieder in das Boot. Als er in dem unteren Raum den Weg nach dem Bar-Room suchte, empfing ihn schon außerhalb der Tür desselben der Mann mit dem Lächeln, welches ihm so wenig gefallen wollte; fast schien es, als habe ihn dieser beobachtet.

Als die beiden in den Bar-Room eintraten, klang hinter ihnen das Geräusch der ausgezogenen Landungsbrücke; die Dampfpfeife ertönte, und das Boot drehte sich vom Ufer nach der Mitte des Stromes. Seifert wandte sich nach dem Fenster und warf einen letzten Blick nach dem Lande. »Der Rubikon ist überschritten; jetzt heißt's Cäsar sein und sich nicht blamieren!« murmelte er zwischen den Zähnen.

»Well, Mister – was trinken Sie?« rief sein neuer Bekannter hinter ihm; »entschuldigen Sie, ich vergesse immer Ihren Namen.«

Seifert drehte sich um und trat an den Schenktisch. »Mein Name ist Wells, Henry Wells aus Neuyork, Sir, wie ich die Ehre hatte, Ihnen schon zweimal zu sagen,« erwiderte er, die Augenbrauen in die Höhe ziehend; »bis jetzt war ich jedoch noch nicht so glücklich, den Ihrigen zu kennen.«

Wiederum zuckte das frühere Lächeln um den Mund des anderen. »William Murphy heiße ich, Sir,« sagte er dann, »Advokat und in Limestone County, Alabama, wohnhaft.«

»Ich nehme etwas Brandy und Zucker, Mr. Murphy, und freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen«, erwiderte Seifert und bog, ohne eine Miene zu verändern, den Kopf leicht.

Der Brandy kam, und der beiderseitige »Drink« ward genommen. Seifert fühlte jedoch stets den beobachtenden Blick auf sich ruhen, der ihm nicht gestattete, selbst eine Examination seines Gesellschafters anzustellen.

»Wollen wir nicht eine Zigarre anbrennen und uns ins Nebenzimmer setzen? Man sitzt dort ungestört«, begann der Advokat nach einer Weile, als Seifert, wortlos, gerade aussah, als wolle er die Natur der verschiedenen Flaschen und Gläser vor ihm studieren.

»Eine Zigarre? Wirklich, das könnte nichts schaden; ich glaube, ich habe bei dem verteufelten Abenteuer seit zwei Tagen nicht geraucht«, versetzte dieser und griff in die Zigarrentasche, die ihm entgegengehalten wurde.

»Wir finden Feuerzeug hier«, rief der Advokat und schritt nach dem anderen Zimmer voran. Seifert folgte, und die zuklappende Tür trennte sie von dem Bar-Room.

»Well, Sir, es ist hier ganz angenehm,« begann der erstere, Seifert ein brennendes Zündhölzchen reichend und sich dann bequem in einen der umherstehenden Lehnstühle werfend. »Setzen Sie sich und lassen Sie uns plaudern.«

Seifert brachte erst mit aller Sorgfalt seine Zigarre in Brand und ließ sich dann langsam nieder. »Ich bin zu Ihrer Disposition und ganz Ohr!« sagte er, allem Anschein nach mit vollem Behagen den Rauch von sich blasend.

»Well, es ist eben nichts Besonderes, was ich sagen wollte,« erwiderte der andere nachlässig, »aber etwas Schwatzen vertreibt die Zeit. Eine sonderbare Sache, dieser Sklavendiebstahl mit allen damit verbundenen Umständen. Sie werden jedenfalls den Haupttäter, diesen Mr. Baker, gekannt haben, welcher am anderen Morgen, nachdem die Schwarzen verschwunden waren, ermordet gefunden wurde.

Seifert fuhr auf und starrte den Redenden einen Augenblick an. »Ermordet? Also Baker wirklich ermordet?« sagte er, als habe ein plötzlicher Schreck seine Stimme gelähmt; »und von wem? Vom Eigentümer der Schwarzen, Mr. Elliot?«

»Sie scheinen also den Täter ganz genau gekannt zu haben, Sir – vielleicht auch seinen Spielgenossen, der mit den geraubten Schwarzen entfloh und leider von niemandem weiter als eine Strecke den Fluß hinauf verfolgt wurde; – wie hieß er doch? Es war ein Deutscher, wenn ich nicht irre – wissen Sie vielleicht?« fragte der Advokat, ohne sich im geringsten in seiner Bequemlichkeit stören zu lassen, aber das schwarze Auge scharf auf den vor ihm Sitzenden gerichtet.

Seifert strich sich mit der Hand langsam über das Gesicht. »Es ist entsetzlich, Sir,« sagte er dann mit halbgeschlossenen Augen, »ich habe Mr. Baker allerdings gekannt, und zwar in Neuyork, wo er sich häufig aufhielt. Es ist entsetzlich, so plötzlich eine solche Nachricht zu erhalten.«

»Aber, lieber Herr – wie heißen Sie gleich? Habe wirklich schon wieder Ihren Namen vergessen – es scheint doch, als wären Sie ziemlich genau von seiner Beteiligung an der Dieberei unterrichtet gewesen«, erwiderte Murphy, und das frühere sarkastische Lächeln lagerte sich wieder um seinen Mund. »Sagten Sie nicht selbst, als Sie das Boot betraten, Sie seien bei der Verfolgung der Sklavenräuber beteiligt gewesen und dabei vom rechten Wege abgekommen? Dabei ist nur ein kurioser Umstand,« und das Lächeln wurde noch schärfer als vorhin – »daß es nämlich, wie ich aus dem Prozesse über Bakers Ermordung weiß, niemandem eingefallen ist, den Räuber weiter zu verfolgen. Haben Sie sich das Vergnügen vielleicht auf eigene Faust gemacht?«

Seifert hob langsam die Augenlider und sah seinen Gegner mit einem Auge an, in dem es schwer gewesen wäre, irgendeinen Ausdruck zu entdecken. Er war ziemlich blaß, aber keine Miene zuckte. »Ich verstehe Sie nicht recht, Sir,« sagte er kalt, »und begreife überhaupt nicht, was alle diese sonderbaren Bemerkungen sollen. Einer Ihrer südlichen Landsleute würde sich eine nachdrücklichere Erklärung erbeten haben, doch wir Nordländer nehmen derartige Dinge kühler auf. Was wollen Sie denn eigentlich von mir? Mir scheint, Sie steuern auf den künftigen Staatsanwalt los und wollen einmal versuchen, was sich aus dem einfachen Faktum, daß ich fremd und ohne Mittel auf das Boot gekommen bin, machen läßt. Sie haben recht, es vertreibt die Zeit; fahren Sie also fort.«

Er brachte die Zigarre wieder zum Munde und begann, als berühre nichts seine Seele, ruhig weiterzurauchen.

Der Advokat schlug das Bein über die eine Lehne des Stuhles und stützte auf die andere Arm und Kopf. »Ihre Taktik wäre gar nicht so übel,« sagte er, »wenn Sie nicht einiges dabei vergäßen, so z. B., daß es Menschen in der Welt gibt, welche genügenden Grund haben, etwas tiefer in die Art und Weise Ihrer Sklavenverfolgung einzudringen, die auch vielleicht das Vergnügen haben, Sie genauer zu kennen. So erinnere ich mich eines Abends, der mich gegen fünfzig Dollars am Spieltisch kostete, und wenn ich Sie genauer betrachte, Mr. Seifert –« Er hielt inne, das Auge fest auf seinen Gefährten gerichtet.

»Nun,« erwiderte dieser, sein Gesicht in eine Dampfwolke hüllend, »mir scheint, Sie fallen aus der Rolle und wollen nicht nur als Staatsanwalt durch Überraschungen wirken, sondern auch noch den Zeugen in einer und derselben Person vorstellen?«

»Well, Mr. Seifert!« –

»Pardon, Sir! Mein Name ist Henry Wells,« rief Seifert, »und die Geschichte fängt an, mir etwas langweilig zu werden. Erlauben Sie einen Augenblick!« Er erhob sich rasch, öffnete die Tür zum Bar-Room und sah hinaus – ebenso eine zweite, die in das Mitteldeck führte, und schritt dann auf den Advokaten los, der, ohne seine Stellung zu verändern, Seiferts Benehmen beobachtet hatte, jetzt aber bei seiner Annäherung sich geradeauf setzte.

»Einfach, Sir, was wollen Sie von mir?« sagte der Herantretende mit zusammengezogenen Augenbrauen und biß, die Antwort erwartend, die Zähne auf die Unterlippe.

»Erstens Ihnen sagen, daß ich Sie samt Ihrer letzten Expedition kenne,« erwiderte der Advokat in voller Ruhe, aber augenscheinlich für irgendeine Bewegung vorbereitet, »und daß ich auch weiß, daß wohl niemand, in Vicksburg Ihr Fahrgeld bezahlen wird, wenn ich es nicht tue, Mr. Seifert.«

»Noch einmal– mein Name ist Wells, Sir! Aber angenommen, ich wäre der Mann, von dem Sie sprechen, so fließt doch der Mississippi, auf dem wir uns jetzt befinden, wohl nicht in Alabama, und den Sheriff von dort werden Sie wahrscheinlich auch nicht bei sich haben, um den Mann, von welchem Sie sprechen, verhaften zu lassen. Warum soll ich also durchaus dieser Mann sein, mit dem ich vielleicht einige Ähnlichkeit haben mag?«

»Verhaften zu lassen – wer hat von dergleichen gesprochen?« erwiderte Murphy mit einer Miene voll Verwunderung, die aber einen leichten Spott deutlich durchscheinen ließ. »Ich spiele nur nicht gern Komödie mit, ohne zu wissen, warum, und liebe es, mich gleich in klare Stellung zu jedem zu bringen. Ich beabsichtigte eigentlich nur, Sie zu fragen,« fuhr er fort und legte sich bequem zurück, »ob Sie nicht vielleicht die Reise nach Neuyork in meiner Gesellschaft zurücklegen und sich dabei meiner Börse bedienen möchten, da die Ihrige augenblicklich nicht bei der Hand ist – verstehen Sie indessen recht, der Vorschlag sollte nur dem Manne gelten, für den ich Sie hielt, und von einem Inkognito gegen mich kann mithin gar keine Rede sein.«

Seifert sah eine Minute schweigend in das Gesicht des Mannes, der mit seinem halb spöttischen Lächeln zu ihm aufsah; aber kein Zug von Überraschung über den unerwarteten Vorschlag wurde bei ihm sichtbar. Dann rieb er sich die Stirne, erhob sich und schritt das Gemach auf und ab. An der Tür des Bar-Rooms angekommen, öffnete er diese und sah hinaus; ebenso examinierte er wieder den Raum vor der anderen Tür und ließ sich dann langsam auf seinen früheren Platz nieder.

»Well, Sir!« begann er dann mit vorsichtig gemäßigter Stimme und setzte langsam seine Zigarre wieder in Brand; »wie ich die Sache ansehe, handelt es sich jedenfalls um die Ausführung eines scharfen Streiches – man macht sonst dergleichen Anerbieten, wie Sie es eben taten, nicht so ohne weiteres. Entweder soll der Mann, den Sie durchaus in mir erkennen wollen, dadurch zum Bekenntnis seiner Identität vermocht und so in eine Falle gebracht werden – und das wäre allerdings unter Umständen ein ganz gelungener Streich – oder es ist irgendein subtiles Unternehmen, das nicht jedermanns Geschmack ist, im Werke, zu welchem der Mann, den Sie in mir suchen, hilfreiche Hand leisten soll.«

»Gar nicht so übel geschlossen,« nickte der Advokat, als Seifert eine Pause machte, um seine Zigarre zum Munde zu führen; »ich freue mich über Ihre schnelle Auffassung der Verhältnisse, Mr. Seifert.«

» Wells, wenn ich bitten darf, Sir; Wells unter allen Umständen, diese mögen sich nun gestalten, wie sie wollen«, fiel ihm Seifert mit einer kalten Verneigung des Kopfes in die Rede. »Was den ersten Fall anbetrifft, so ist es ganz gleich, ob ich hier unter vier Augen sagen würde, ich bin der Seifert, den Sie meinen, oder nicht – es sollte Ihnen ziemlich schwer werden, zu beweisen, daß ich dies eingestanden – halten Sie mich, für wen Sie wollen, nur«, fuhr er mit einem höflichen Lächeln fort, » gebrauchen Sie nicht einen Namen, der an manchen Orten eben nicht geeignet wäre, mir meinen Weg zu ebnen.«

»Also Mr. Wells, wenn es nicht anders sein soll!« erwiderte der Advokat, sich aufrecht setzend. »Es scheint, wir beginnen uns mehr zu verstehen.«

»Es sollte mich freuen,« sagte Seifert, die Asche von seiner Zigarre schnellend; »was den zweiten Fall betrifft, so stehe ich gern bei einem anständigen Geschäfte mit meinen geringen Talenten zur Verfügung, nur müßte mir dabei volles Vertrauen und der Blick über das ganze Unternehmen gegönnt werden. Für andere die Kastanien aus dem Feuer zu holen,« fuhr er mit seinem früheren, verbindlichen Lächeln fort, »und dann die verbrannten Finger als einzigen Lohn zu behalten, ist eine Erfahrung, die man nicht gern mehrere Male macht.« Murphy schien eine Sekunde lang mit seinem durchdringenden Blick die innerste Falte von Seiferts Seele ergründen zu wollen; dann sprang er auf und trat ans Fenster, in das von den Rädern des Bootes gepeitschte Wasser hinausschauend. Seifert lehnte sich in seinen Stuhl zurück und schien bald keine anderen Gedanken zu haben, als die Formen der Rauchwolken, die er langsam von sich blies, zu studieren.

»Gut, Sir,« begann nach einer kurzen Weile der Advokat, langsam vom Fenster zurücktretend, »ich glaube mit der nötigen Offenheit nicht viel bei Ihnen zu riskieren. Es handelt sich um einen Rechtsfall, der gerade in der Gegend von Alabama spielt, wo für Sie der Boden jetzt etwas zu heiß ist, als daß Sie ihn betreten könnten, falls Sie etwa den Verräter von dem zu spielen gedächten, was beabsichtigt wird. Auf der anderen Seite hoffe ich Ihnen für die Unterstützung der Sache einen Gewinn verbürgen zu können, der vielleicht Ihre Erwartungen übersteigt, wenn Sie der Mann sind, den ich brauche, und den ich in Ihnen vermute. Ich will Ihnen ehrlich gestehen, daß, als ich bei Ihrem Eintritt in das Boot von Ihrer Verlegenheit hörte und Sie erkannte, mir es fast scheinen wollte, als habe das Schicksal mir recht absichtlich in den Weg geworfen, was mir gerade fehlte.«

Seifert blies einen wohlgelungenen Ringel in die Luft. »Ich bin vollständig bereit, zu hören, wenn Sie mich Ihres Vertrauens wert halten,« sagte er, »und dann wird es sich ja wohl zeigen, ob das Schicksal recht gehabt hat – jedenfalls, würden Sie äußerst nobel handeln, wenn Sie, um in keiner Art einen moralischen Zwang auszuüben, mein Fahrgeld bis Neuorleans hinunter vor unserer weiteren Besprechung berichtigen wollten. Das Fahrbillett in meiner Tasche würde Ihnen größere Bürgschaft für die Aufrichtigkeit meines Entschlusses geben, als es alle Worte tun könnten.«

Der andere sah ihn einen Augenblick mit sonderbarem Gesichtsausdrucke an. »Schüchtern sind Sie nicht, Sir, und scheinen Ihren Vorteil beim Schopfe fassen zu können«, sagte er dann. »Was aber, wenn ich nichts zahle, ehe wir nicht miteinander ins klare gekommen sind, damit ich doch weiß, wofür ich mein Geld gebe?«

» Ihre Sache, Sir«, erwiderte Seifert achselzuckend und erhob sich langsam. »Sie sind zu mir gekommen und haben mir ein Geschäft angeboten, nicht ich zu Ihnen – ich habe Ihnen meine erste Bedingung gesagt; unter welcher ich nach Umständen vielleicht mich mit Ihnen verständigen kann, und Sie sollten meine Gründe dafür würdigen – konveniert Ihnen das kleine Risiko nicht – very Well, so brechen wir ab.«

»Und wie denken Sie in Vicksburg Ihr Fahrgeld zu bezahlen und von dort weiter zu kommen?«

»Gott im Himmel, das ist doch meine Sache, lieber Herr. Sie scheinen mich noch immer für den Vagabunden Seifert, oder wie Sie ihn nannten, halten zu wollen; was wissen Sie denn von meinen Verhältnissen?«

»Schön!« lachte der Advokat auf; »ich sehe, es ist schlecht handeln mit Ihnen, und muß ich mein Vertrauen riskieren, so kann es allerdings auf ein paar Dollars nicht ankommen.« Er zog ein wohlgefülltes Taschenbuch aus seiner Tasche und legte einige Banknoten auf den Tisch. »Hier, legen Sie Ihre Hand darauf und lösen Sie Ihr Ticket (Fahrkarte) selbst, damit ich nicht wieder eine Verwechslung in dem Namen begehe. Die einzige Bedingung ist nur, daß Sie mit mir jetzt ohne Winkelzüge verhandeln, damit wir zum Zweck kommen.«

Im Bar-Room wurden Stimmen laut, die Tür des kleinen Zimmers öffnete sich, und mehrere Reisende traten ein, gefolgt von dem Aufwärter, der einen der Tische abputzte und ein Paket Karten darauf legte.

»Bleiben wir noch hier, oder gehen wir aufs Verdeck, wo sich ganz ungestört weiterreden läßt?« fragte Murphy, dem die Störung augenscheinlich ungelegen kam.

»Ich gehe mit Ihnen,« sagte Seifert halblaut die erhaltenen Banknoten zusammenlegend – »Sie haben mir mit Ihrem Gelde eine Arbeit erspart, sonst hätte ich mir meine Reisekosten von diesen Gentlemen hier bezahlen lassen müssen; – Sie sehen, es fehlt ihnen gerade noch der vierte Mann, und ich wäre also auch ohne Sie wohl schwerlich in Verlegenheit geraten. Ich bemerke dies nur,« sagte er, die Tür öffnend, »damit wir uns bei den kommenden Verhandlungen, beide auf den richtigen Standpunkt stellen.«

Es war ein prachtvoller Tag, welcher die beiden auf dem Vorderdeck empfing, und an beiden Seiten der Brustwehr saßen und lehnten Gruppen von Passagieren, um die frische Luft zu genießen. Murphy faßte zwei Rohrsessel und trug sie nach dem vordersten Ende des Schiffes, wo ein Belauschtwerden unmöglich war und jeder sich Nahende sofort bemerkt werden mußte.

»Denken Sie sich folgenden Fall«, begann der Advokat mit halbgedämpfter Stimme, nachdem sich beide niedergelassen hatten. »Ein alter Mann stirbt auf einer Reise im Hause eines Freundes. Der Tote hat bei Lebzeiten allerhand sonderbare Geschäfte betrieben, und so findet sich unter seinen Papieren, die einen gar nicht unbedeutenden Nachlaß ausweisen, auch eine Notiz über einen alten Besitztitel, lautend auf ein großes Stück Land in Alabama, den der Verstorbene auf irgendeine Weise erworben hat. Ich muß Ihnen dabei sagen, daß die Grundbesitzverhältnisse in manchen Teilen unseres Staates ziemlich im argen liegen, und daß mancher Farmer nicht sicher ist, selbst wenn er sein Grundeigentum vom Vater ererbt hat, daß eines Tages sich nicht ein älterer Besitztitel findet, welcher ausgestellt ward, als das Land noch nichts wert war, dann vergessen wurde und von dem ein späterer Besitzergreifer, der sich auf freiem Boden niederzulassen glaubte, nichts wußte; daß der Inhaber desselben Familien aus ihren wohlkultivierten Farmen treiben und sich ruhig, ohne einen Cent Entschädigung, hineinsetzen kann. Wie es mit dem Besitztitel des verstorbenen Mannes, von dem ich spreche, sich verhält, weiß ich noch nicht ganz genau; ist es aber, wie ich vermute, so steht der größte Teil der Existenz von mehr als einem unserer reichsten Farmer auf dem Spiel – falls nämlich die Sache in die richtigen Hände kommt, die aus ihr etwas zu machen verstehen – und der Entdecker des Anspruchs kann sich von dem Eigentümer des älteren Besitztitels, der auf keinen Fall seinen Vorteil kennt oder auch die Mittel nicht hat, um einen langwierigen Prozeß gegen drei oder vier der reichsten Pflanzer zu beginnen, einen Gewinnanteil bei Durchführung des Anspruchs sichern, der ihn selbst reich machen muß. Ich weiß nun, wo sich dieser Besitztitel befindet, und die Notiz darüber, welche sich in dem Nachlasse befand, ist in meinen Händen, ohne daß ein anderes Auge als das meinige einen Blick darauf geworfen hat. Der ganze Nachlaß dieses verstorbenen Mannes ist seinem minderjährigen Schwestersohne, der in Neuyork lebt, vermacht, und als Vormund über diesen ein junger Mann bestellt, der erst seit kurzer Zeit in Alabama wohnt, der aber das ganz besondere Vertrauen des Erblassers genossen haben muß. Ich dachte im ersten Augenblick daran, ihn von dem Funde in Kenntnis zu setzen und halbpart bei dem einzuleitenden Prozesse mit ihm oder seines Mündels Interesse zu machen, fand aber bald heraus, daß er durchaus kein Mensch für Geschäfte der Art ist, und obendrein hat er noch die Tochter eines der Farmer zur Frau, gegen welche sich ein Hauptteil der ganzen Prozedur richten müßte, Bei ihm würde ich durch ein paar unvorsichtige Worte Gefahr gelaufen sein, die ganze Angelegenheit zu verderben, ehe sie noch begonnen, und so blieb mir, um vielleicht ein Kapital von 200000 Dollars für mich selbst herauszuschlagen, nichts übrig, als selbständig einen anderen Weg zu gehen, der, wenn er sich auch etwas holprig gestalten und ich dabei Hilfe notwendig haben mag, doch um so schneller und sicherer zum Ziele, führen muß.«

Der Sprecher machte eine Pause und sah auf seinen Gefährten, als erwarte er von diesem eine Bemerkung, oder als wolle er den Eindruck seiner Worte auf ihn wahrnehmen. Seifert aber hatte während der ganzen Rede, das Kinn in die Hand gestützt, vor sich auf den Boden gesehen und nur durch ein leises Kopfnicken zuzeiten seine Teilnahme verraten. Als er jetzt aufsah, war es nur die vollste Gleichgültigkeit, was Murphy in seinem Gesichte entdecken konnte.

»Well, Sir!"« begann der Advokat wieder, »was meinen Sie?«

»Well, Sir! Worüber soll ich etwas meinen?« war die Antwort. »Sie haben mir ja genau genommen, noch gar nichts gesagt!«

»Wenigstens doch eine Idee gegeben, welcher Profit bei einem solchen Geschäfte herausspringen kann.«

Seifert strich langsam mit der Hand über das Gesicht. »Ich habe eine derartige Spekulation schon im vorigen Jahre mit angesehen,« sagte er kalt; »ich weiß, daß unter einer Klasse von Advokaten eine Verbindung durch die ganze Union besteht, um mangelhafte Besitztitel aufzuspüren und auf Grund derselben entweder Prozesse gegen die bisherigen Landeigentümer zu beginnen und sie aus ihrem Besitztum zu treiben, oder, wo der beigebrachte fremde Anspruch schwerer durchzuführen ist, sich durch ein respektables Abstandsgeld Schweigen und Ruhe abkaufen zu lassen – eine ganz angenehme Spekulation das, keiner Frage unterworfen; bei alledem aber immer weit aussehend. Entweder man trifft auf einen Mann, der Geld hat und sich seiner Haut wehrt – und dann können Jahre vergehen, ehe etwas herausspringt – oder der Mann hat wenig, und dann ist auch nicht viel zu haben, was der Zeit und Mühe verlohnte.«

Der Advokat wollte ihn unterbrechen.

»Nur noch einen Augenblick, Sir, da Sie meine Meinung wissen wollen«, sagte Seifert. »Ich bin bei einer solchen Gelegenheit im Staate Neuyork einmal mit dem Posten eines Kundschafters beehrt worden, möchte aber«, fuhr er mit seinem früheren höflichen Lächeln fort, »für alle Zukunft mit derartigen Geschäften verschont bleiben, bei denen, wie es im gewöhnlichen Leben mit allen armen Teufeln geschieht, das eigentliche Talent in Anspruch genommen und, nachdem es benutzt ist, mit einem mageren Knochen zum Teufel geschickt wird. Kann ich alle Enden Ihres Unternehmens sehen und fühlen, so daß ich selbst beurteilen kann, was es mir für meine Beteiligung abwerfen könnte, so werde ich meinen Entschluß danach fassen – ich will durchaus ehrlich sein und bemerke Ihnen deshalb, ehe Sie mich in Ihre eigentlichen Pläne einweihen, daß ich eben nur meine Mitwirkung versprechen kann, wenn die volle Mitwissenschaft Sie ebensogut in meine Hände liefert und mir dadurch Bürgschaft für Ihre Redlichkeit gegen mich gibt, als Sie mich selbst dadurch in der Hand haben.«

Der Advokat hob, wie in einer unwillkürlichen stolzen Regung, den Kopf und ließ den Blick über die ganze Gestalt seines Nachbars gleiten. »Glauben Sie nicht, Sir,« sagte er nach einer kurzen Pause, und ein leichter Hohn legte sich um seinen Mund, »daß ich vielleicht ein klein wenig mehr in die Wagschale werfen und möglicherweise etwas mehr zu verlieren hätte als Sie? Und daß es also wohl unbillig von Ihnen wäre, auf solchen Bedingungen zu bestehen? Ich werde Sie, in bezug des profitablen Ausgangs für Sie, in jeder Weise sicherstellen, und es soll Sie nichts an mich binden, als Ihr eigener Vorteil – was wollen Sie mehr?«

»Sie haben wohl recht; aber etwas, gegen das Sie mir wahrscheinlich keine genügende Sicherheit geben können,« erwiderte Seifert mit vollkommen liebenswürdigem Lächeln und leichtem Achselzucken, »ist im möglichen Falle das Zuchthaus, verehrter Herr! Das aber würde mir genau so schlecht schmecken als Ihnen, und dagegen kann ich mich nur allein wahren, und zwar nur, wenn ich alle Fäden genau kenne.«

Aus Murphys Gesicht war einen Augenblick das Blut gewichen. »Ich weiß nicht,« sagte er, »was Sie zu Annahmen berechtigt, für die nirgends ein Grund vorhanden ist?«

»Durchaus nichts als die Sorge der Selbsterhaltung; ich sehe meinen Weg immer gern klar vor mir. Sind Befürchtungen, wie ich sie ausgesprochen, grundlos, desto besser! Um so weniger sehe ich aber auch den Grund ein, warum Sie mir nicht vollkommenes Vertrauen schenken wollen. Entweder Sie verlangen von mir einen Teil von Tätigkeit bei Ihrem Unternehmen – und dann ist ein Verständnis des Ganzen um so dringender notwendig – oder Sie verlangen nur eine untergeordnete Beihilfe, und dann finden Sie genug andere an meiner Stelle, die vielleicht nicht dieselben Ansprüche machen.«

Murphy fuhr sich mit der Hand einige Male durch die Haare. »Und was verlangen Sie denn zu wissen, da ich noch nicht einmal begonnen habe, Ihnen ein Wort des eigentlichen Planes mitzuteilen?«

»Ich möchte,« erwiderte Seifert mit höflicher Neigung, des Kopfes, »daß vor allen Dingen alle Redensarten wie: ›Setzen Sie den Fall!‹ womit Sie Ihre Mitteilung begannen, ganz wegfallen. Geben Sie mir klar und bestimmt den Ort, die Namen und den Sachverhalt – wobei ich mir natürlich vorausbedinge, daß etwaige Abweichungen von der Wahrheit die ich in der Zukunft entdecken sollte, mich jedes gegebenen Wortes entbinden. Entweder Sie vertrauen mir oder vertrauen mir nicht, und in dem letzteren Falle, was aber durchaus nichts Beleidigendes für mich haben würde, ist eben jedes Geschäft zwischen uns unmöglich.«

Der Advokat hob seine Augen zu denen Seiferts, die in diesem Momente seinen Blick voll aushielten und an seinem Gesichte hingen, wie in der Erwartung von Erkenntnis und Verständnis einer verwandten Seele. Murphy schlug die Augen nieder, aber aufs neue aufsehend, begegnete er wieder demselben Blicke.

Eine sekundenlange Pause erfolgte, in welcher die Augen beider ineinander hingen. »Well, Sir,« begann dann plötzlich Murphy, wie im schnell gefaßten Entschlusse, »ich will Ihnen trauen; hoffentlich sind Sie mein Mann, und der Teufel ist noch immer ehrlicher gewesen als diejenigen, welche den Herrgott auf der Zunge haben. Sie sollen Namen, Ort und die näheren Umstände von allem erfahren, worüber ich bereits gesprochen, und dann werde ich Ihnen meinen weiteren Plan entwickeln. Täusche ich mich in Ihnen, wollen Sie nicht darauf eingehen, so ist allerdings ein gutes Geschäft zur Hölle gefahren, da es durchaus keinen fremden Mitwisser verträgt; in anderer Beziehung aber spreche ich wie Sie vorher: es sollte Ihnen ziemlich schwer werden, zu beweisen, was ich Ihnen von meinen Gedanken verraten. Nehmen Sie meine Vorschläge an, so wird mich Ihr eigener Vorteil vor jeder Untreue schützen.«

»Richtig, ich sehe, wir fangen an, uns besser zu verstehen«, erwiderte Seifert mit leiser Ironie. »Schießen Sie ruhig und voll los, und das übrige wird sich finden.«

Murphy ließ nochmals wie überlegend den Blick auf Seiferts Gesicht haften und stützte dann Kopf und Ellbogen auf die Schutzwehr des Verdecks. »Der alte Mann, von dessen Tod und Hinterlassenschaft ich Ihnen erzählte,« begann er dann; »ist ein jüdischer Pedlar, der im Hause eines Mr. Morton starb – unweit des Platzes, wo Sie Ihre Negerentführung bewerkstelligten. Er machte Geldgeschäfte für östliche Häuser mit unseren Pflanzern, kaufte Baumwolle auf und verlieh Geld darauf und mag so auf irgendeine Weise zu dem alten Besitztitel, den er, wie es mir sicher scheint, mit allen Ansprüchen auf sich hat übertragen lassen, gekommen sein. Über das Nähere darüber habe ich mir noch Gewißheit zu verschaffen. Der eingesetzte Vormund seines Erben ist ein junger Deutscher, namens Helmstedt, der seit kurzem erst als Buchhalter auf Mr. Elliots Pflanzung beschäftigt war, auf demselben Platze, wo Ihr Kamerad Baker, mit Ihnen den Negerdiebstahl ausführte, aber dabei ermordet wurde, während Sie mit den Schwarzen schon auf und davon waren. Dieser Mord ist eine ganz verwickelte Geschichte, die uns aber jetzt nicht kümmert, und von der ich Ihnen später einmal das Nähere mitteilen werde. Baker hatte sich, wie Sie wissen, in Mr. Elliots Familie eingeführt und würde sicher dort die einzige Tochter des reichen Pflanzers gekapert haben, wenn nicht eben der junge Deutsche, in den sich das Mädchen sterblich verliebt hatte, da gewesen wäre und es endlich so weit gebracht hätte, daß er sich mit ihr gegen den Willen ihres Vaters trauen ließ.«

»Erlauben Sie einmal,« unterbrach ihn Seifert mit großen Augen, »Sie sagen, dieser Herr von Helmstedt habe die Tochter des reichen Elliot geheiratet?«

»Genau so; vom Reichtum des Alten, der seine Hand ganz von der ungehorsamen Tochter gezogen hat, sieht er indessen nicht viel. Er lebt als Musiklehrer in der Stadt und sucht seiner jungen Frau ganz alle die Bequemlichkeiten zu erhalten, in denen sie aufgezogen ist – ein scharfes Auge sieht aber recht wohl, daß das bei seiner Beschäftigung, so gut sie auch bezahlt werden mag, ein hartes Stück Arbeit ist und ihm bald tausend Verlegenheiten bereiten wird. Hätte ich mit ihm als Vormund des Erben, welchem der besprochene alte Besitztitel zufallen muß, Partnerschaft machen können, so daß er mich zur gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs als Advokaten angenommen und wir uns dann in die Hälfte alles dessen, was herausgekommen wäre, geteilt hätten, so wäre ihm ein sorgenfreies Leben sicher gewesen. Er ist aber ein Mensch, der eher zugrunde geht, ehe er etwas gegen das tut, was er seine Ehre nennt – er hat das schon in dem Prozesse wegen Bakers Ermordung bewiesen, wo er beinahe als Mörder gehangen worden wäre, weil er nicht verraten wollte, daß er die ganze Zeit, in welcher der Mord vollbracht ward, in seines Mädchens Kammer gewesen, bis das mutige kleine Ding selbst vor Gericht erschien und seine Unschuld bewies.«

»Das ist er – das ist er!« nickte Seifert, »gerade wie ich ihn schon in Neuyork kannte!«

»So, Sie kannten ihn bereits – dann werden Sie mich um so eher verstehen; und wenn ich Ihnen nun noch sage, daß bei dem einzuleitenden Prozeß unter anderem auch der ganze jetzige Grundbesitz des Mr. Elliot, des Vaters seiner Frau, in Frage gestellt wird, so werden Sie begreifen, daß ich, um die Angelegenheit zu meiner Zufriedenheit in die Hand zu bekommen, sie von einer ganz anderen Seite angreifen muß. – Well, Sir!« fuhr Murphy mit einem tiefen Atemzuge fort, »soviel ich weiß, will dieser Mr. Helmstedt in einigen Wochen nach Neuyork gehen, um für die Zukunft seines Mündels die nötigen Anordnungen zu treffen – dieser Mündel aber muß verschwinden, ehe der Vormund ankommt; und daß der Vormund uns nicht zu zeitig über den Hals gerate, dafür sorgt ein Freund, den ich zurückgelassen habe.«

Der Advokat ließ den Blick gespannt auf Seiferts Gesicht ruhen, als wolle er den Eindruck seiner letzten Worte darin beachten.

»Und was weiter?« fragte Seifert, dessen belebterer Blick allein ein erhöhtes Interesse ankündigte, nach einer Pause.

»Verstehen Sie mich recht! Dem Jungen soll kein Leid geschehen, wenigstens soweit ich es verhindern kann,« fuhr Murphy, seine Stimme noch mehr als bisher dämpfend, fort. »Ich selbst kenne Neuyork zu wenig, um die Wege zu wissen, wie man einen Menschen unsichtbar machen, vielleicht nach einer fremden Himmelsgegend auf Nimmerwiederkommen schicken kann –« Er hielt wieder inne, und Seifert nickte – »Das sollte eben ein Teil Ihres Anteils an der Arbeit werden.«

Seifert rieb sich die Stirn und Augen. »Und dann?« fragte er.

»Well, war die Antwort, »die ganze Familie sind Juden, und es dürfte nur wohl leicht werden, mit dem nächsten majorennen Erben einen Vertrag, wie ich ihn wünsche, abzuschließen, der ihm einen Gewinn in Aussicht stellt, von dem er nichts gewußt, und dessen Erkämpfung ihn nichts kostet.«

Seifert sah eine Weile vor sich nieder. »Gegen den Plan, selbst,« sagte er endlich, »ließe sich kaum etwas einwenden, soweit es meine Beteiligung betrifft; über einige andere Punkte aber sprechen wir später. Die Reise ist lang genug dafür, und ich glaube, wir tun jetzt besser, abzubrechen; wir bekommen zu viel Ohren in die Nähe!« Er erhob sich nachlässig – »nehmen wir einen Schluck, Sir?«


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