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Achtes Kapitel

Es war kaum sechs Uhr am nächsten Morgen, aber Helmstedt saß schon eine Weile vor seinem Arbeitstische, aus welchem sich an Stelle der früher vorhandenen Musikalien mehrere Stöße Bücher zeigten, und schien ganz in das Studium eines dickleibigen Bandes vor ihm versunken zu sein. Dann und wann machte er auf einem zur Hand liegenden Papierbogen kurze Bemerkungen und fuhr dann um so eifriger in seiner Lektüre fort.

In den ersten zwei Tagen nach seiner Entlassung aus der Akademie hatte er kaum gewußt, was er mit seiner Zeit beginnen sollte; er hatte während der heißen Stunden des Tages, die ihn ins Haus bannten, stundenlang auf seinem Sofa gelegen und mit offenen Augen geträumt von dem vergangenen Jahre, das in seinen mannigfachen Ereignissen ihm oft wie ein halbes Leben dünkte, geträumt von einer Zukunft voll Seligkeit und Befriedigung, die er doch selbst für unmöglich hielt. Er hatte sich wohl bald selbst gesagt, daß diese Lebensweise nicht lange fortdauern dürfe, wenn er nicht erschlaffen und sich untüchtig für eine spätere geregelte Tätigkeit machen solle – aber das: was beginnen, ohne seinen jetzigen Aufenthaltsort zu verlassen, war die Frage, welche er nicht zu beantworten vermochte. So hatte er sich am dritten Tage, unzufrieden mit sich selbst, wieder auf das Sofa geworfen. Seine Zukunft kam ihm fast ebenso planlos vor als zu der Zeit, wo er in Neuyork gelandet und in ungezwungenem Müßiggange sein Geld hatte verzehren müssen – da tauchte mit den Bildern aus seinem damaligen Leben plötzlich der Rat in seiner Erinnerung auf, welchen ihm Pauline nach ihrem ersten Zusammentreffen mit ihm gegeben, ein Rat, den er in jener Zeit bei seiner Unkenntnis der englischen Sprache und der ganzen amerikanischen Verhältnisse so kindlich naiv gefunden, daß er sich des Lachens nicht hatte erwehren können, »Sie sind doch von Haus aus Jurist und haben ein glänzendes Examen bestanden«, hatte sie ihm gesagt, »Warum werfen Sie sich hier nicht wieder auf Ihr altes Fach, gehen zu einem Advokaten und lernen, was Ihnen in dem hiesigen Lande noch not tut, halten nachher Reden, werden bekannt, bekommen dadurch tüchtige Praxis oder lassen sich in ein paar Jahren zu einem Amte wählen? Wenn ich ein Mann wäre, ich würde in Amerika gar nichts anderes als Advokat!« – Jetzt war es ihm, als werde es mit einem Male hell in seiner Seele. Was damals für ihn unmöglich gewesen, das durfte er jetzt wenigstens als erreichbar betrachten – und in jedem Falle hatte er ein neues Ziel für sein Streben gefunden. Erregt setzte er sich aufrecht. Er dachte wohl einen Augenblick an alle die Schwierigkeiten, welche dem Deutschen in einer solchen Karriere entgegentreten müssen, sobald er sich über den großen Troß des Standes zu erheben gedenkt; er dachte an alle die großen Lücken, welche er auszufüllen haben würde, an alle die Arbeit, welche vor ihm lag – aber Arbeit war es gerade, was er brauchte. Zuerst wollte er sich vollkommen zum Meister der englischen Sprache machen; er fühlte, daß er nur dies bedurfte, um überzeugend auf irgendein Publikum wirken zu können, und mit einem stillen Behagen erinnerte er sich der Komplimente, welche ihm seine eigene Verteidigungsrede während des Bakerschen Mordprozesses von gewiegten Advokaten eingetragen hatte. Daneben sollte es zu einem gründlichen Studium der neueren Geschichte der Vereinigten Staaten, besonders wo diese aus Rechtsfragen Einfluß haben konnte, gehen – das war vorläufig Arbeit für die nächsten sechs Monate, und dann erst wollte er seinen weiteren Studiengang nach den Verhältnissen, wie sie sich bis dahin für ihn gestaltet haben würden, bestimmen. Es kam eine Beruhigung, wie er sie noch niemals in Amerika gefühlt, über ihn, als er mit diesen Entschlüssen im klaren war; er hatte längst gefühlt, daß sein bisheriger Beruf als Musiklehrer eben nur Notbehelf für ihn gewesen war und stets nur geblieben wäre, so sehr auch bis jetzt sein ganzes Interesse sich darauf gerichtet hatte, und zum Handelsstande, wozu ihn der alte Pedlar gedrängt hatte, paßte seine ganze Natur nicht. Konnte er sich der Advokatur zuwenden, so kam er wieder auf den Boden, welchem er sein ganzes Arbeiten und Streben in Deutschland gewidmet, und wenn sich jemals eine Gelegenheit dazu für ihn bieten konnte, so war sie jetzt da, wo er für eine Zeitlang die Mittel zum Leben und volle Zeit für die nötigen Studien hatte.

Noch an demselben Nachmittage hatte er sich von einigen Bekannten, welche ihm der Mittagstisch im Hotel nähergebracht, so viel Bücher zusammengeborgt, als er für die erste Zeit zu seinem Zwecke für notwendig erachtete, und am nächsten Morgen begann er nach einem selbstgeschaffenen Systeme seine Arbeiten, denen er wahrend der folgenden Tage ohne Hast, aber mit voller Beharrlichkeit oblag. Und so saß er auch jetzt am frühen Morgen bereits an seinem Schreibtische.

Eine halbe Stunde mochte er ohne Unterbrechung gearbeitet haben, als sich die Tür öffnete und Cäsar mit einer großen Tasse voll rauchenden Kaffees erschien; es war dies eine Neuerung, die Helmstedt eingeführt hatte, um nicht in den Morgenstunden des Frühstücks wegen das Haus verlassen zu müssen, und Cäsar hatte schnell genug gelernt, seinen Herrn in deutscher Weise zu bedienen.

Helmstedt schob sein Buch beiseite und lehnte sich, in seinen Stuhl zurück.

»Well, Cäsar, etwas Neues?«

»Nichts Großes, Master«, entgegnete der Schwarze, die Tasse niedersetzend, »Mrs. Morton ist noch immer traurig und niedergeschlagen; sie habe, meinte Mary, gestern nicht so viel gegessen, daß ein Vogel daran genug haben könne. Doktor Ford hat ihr beim Mittagstische erzählt, daß Mr. Elliot wohl seine Farm verlieren werde, und das hat sie so aufgeregt, daß ihr der Doktor ein niederschlagendes Pulver hat geben müssen. Der Doktor hat gesagt, ihre Reizbarkeit komme vom Klima, das sie noch nicht gewohnt sei, und auch von ihrem einsamen Leben; sie solle sich mehr Zerstreuung machen; und Mrs. Morton hat gesagt, sie werde nächster Tage einmal nach Little Valley fahren, sich die Farm betrachten und zusehen, was dort getan werden müsse; das werde ihr Arbeit und Zerstreuung geben.«

»Wie steht es jetzt in Little Valley?« fragte Helmstedt gedankenvoll.

»Es ist noch beim alten, Sir!« antwortete der Schwarze. »Doktor Ford hat aber gesagt, er werde in den nächsten Tagen einen anderen Aufseher schaffen.«

Helmstedt nickte langsam und griff nach seinem Kaffee. »Es ist gut, Cäsar.«

Der Schwarze verließ das Zimmer, und Helmstedt wollte sich wieder seiner Beschäftigung zuwenden, aber er konnte seine Gedanken nicht festhalten. Schon tags vorher hatte ihm Cäsar einen ähnlichen Bericht wie den heutigen gebracht, dem er nur wenig Wichtigkeit beigelegt hatte – heute indessen fiel ihm die wiederholte Meldung mit ihren Details auf. War es nur ein vorübergehendes körperliches Leiden, oder lag die Ursache von Paulinens krankhafter Stimmung tiefer – konnte nicht, bei ihrem jungen, warmen Herzen ein Gefühl für irgendeine dritte Persönlichkeit in ihr leben, dem sie in ihrer abgeschlossenen Stellung nicht genugtun konnte, und das zugleich die Ursache ihrer Schroffheit gegen ihn selbst und seine freundlichen Anerbietungen war? Helmstedt fühlte, wie ihm der Gedanke das Blut zum Herzen trieb; er erhob sich, und durchschritt einige Male langsam das Zimmer; bald hatte er wohl seine innere Haltung wiedergewonnen, aber mit dem Interesse an seinem Studium war es für den Augenblick vorbei. Eine erfrischende Luft wehte ihm aus dem offenen Fenster entgegen, und er beschloß, einen Gang durch die Stadt zu machen, um sich andere Gedanken zu holen und dann mit neuer Lust an seine Arbeit zurückzukehren. Er kleidete sich an und wanderte dann langsam die Hauptstraße des Städtchens hinab, wo bereits Weiße und Schwarze in lebhaftem Marktverkehr sich durcheinandertrieben.

»Es ist ein Brief für Sie da, Mr. Helmstedt – schon seit zwei Tagen!« hörte er eine Stimme neben sich und sah aufschauend in das Gesicht des Postmeisters, welcher indessen das Postamt nur als eine Unterabteilung seines Stores führte, vor dessen Tür er eben jetzt auf und ab spazierte.

»Für mich, Sir?« fragte der junge Mann zweifelnd.

»Wenigstens steht Ihr Name darauf! Treten Sie ein, Sir, zehn Cents Porto!«

Helmstedt empfing ein dickgefülltes Kuvert, auf welchem seine Adresse mit voller Genauigkeit verzeichnet stand, zahlte das Porto und verließ den Store. Er besah die sonderbar aussehende Zuschrift und schüttelte den Kopf: von wem konnte er wohl einen Brief zu erwarten haben, wer bekümmerte sich in dem großen Amerika um ihn? Das Postzeichen war so undeutlich aufgedruckt, daß es nicht zu erkennen war, und es machte ihm Vergnügen, sich in zehnerlei verschiedenen Vermutungen zu ergehen, ehe er den Umschlag öffnete. Eine Anzahl Bogen, mit einer Schrift bedeckt, von welcher jeder Buchstabe reichlich einen halben Zoll maß, fiel in seine Hände; trotz der Größe der Worte war es aber, wie es Helmstedt bei dem ersten Blick auf die Orthographie derselben scheinen wollte, eine nicht unbedeutende Arbeit, ihren Sinn zu ergründen. Er wandte die Bogen, um nach der Unterschrift zu sehen, hatte aber Mühe, das rechte Ende des Schreibens zu finden, bis seine Augen endlich auf den mit riesigen Buchstaben geschriebenen Namen: »Karl Meiners, genannt Dutch Charley«, fielen. Ein heiteres Lächeln ging über Helmstedts Gesicht, er wandte sich quer über den Weg nach dem Globe-Hotel und setzte sich dort im Wartezimmer nieder, um in Ruhe den Inhalt des erhaltenen Schreibens zu entziffern. Eine kurze Zeit lang schien ihn das Studium der verschiedenen Worte zu belustigen; bald aber wurde sein Blick gespannter, hastiger, und mit zusammengezogenen Augenbrauen arbeitete er sich durch die Hindernisse, welche sich dem Verständnis des Sinnes entgegenstellten, bis er endlich, zu Ende gelangt, die Hand aufs Papier legte und, wie vollkommen überwältigt von dem Gelesenen, vor sich ins Zimmer starrte. Was er herausbuchstabiert hatte, lautete:

 

»Lieber Mr. Helmstedt!

Ich habe Ihnen schon vor mehreren Tagen schreiben wollen, ich habe aber meinen Trouble mit dem Ben gehabt, welcher der Mary noch immer nachstellt und ausgefunden hat, wo sie sich im Lande aufhält. Sie haben es mit angesehen, wie ich ihn das erstemal habe ablaufen lassen; weil ich aber nicht immer bei ihr sein kann, so habe ich sie nach einem sicheren Orte bringen müssen. Sie ist wohl eigentlich nur meine Landsmännin, aber ich habe auch ehrliche Absichten auf sie, und sie ist damit zufrieden. Jetzt aber das andere. Sie haben mir damals in Neuyork gesagt, daß Ihr Mündel um sein Erbe komme, weil sie ihn haben tot aus dem North-River gezogen. Den sie aber aus dem Wasser gezogen haben, das war nur eine tote Leiche, die ich selber habe helfen vom Kirchhofe holen, und ich hätte Ihnen schon damals gesagt, wie die Sache steht, wenn ich bestimmt gewußt hätte, ob Ihre Geschichte auch wirklich die war, von der ich wußte. Jetzt weiß ich aber alles: Bill und Ben haben mit dem Gelde, das sie bekommen haben, ein lustiges Leben geführt und haben mir im Rausche erzählt, um was ich sie gefragt habe. Also ist die Sache so: der ›Graf‹, wie sie ihn nennen, und weiter weiß ich von ihm nichts, hat den jungen Verwandten vom Pfandleiher Meier, der wohl Ihr Mündel sein muß, aus der Law-Office, wo er gearbeitet hat, weggelockt und gesagt, ein alter Onkel von ihm liege todkrank in Philadelphia und wollte ihn noch einmal sehen; er müsse auf der Stelle mit ihm gehen, bei Meiers wüßten sie schon um alles; hat ihn unterwegs in einem Kleiderladen vom Hemde bis zum Rocke neue Kleider anziehen lassen, damit er auf der Reise anständig aussehe, und hat ihn durch den Bill richtig nach Philadelphia in ein Versteck bringen lassen. Während der Zeit haben sie hier in Neuyork eine Judenleiche vom Kirchhofe gestohlen, haben ihr die alten Sachen von dem jungen Menschen angezogen und sie in den North-River geworfen. Nachher hat es geheißen, der aufgefundene Tote sei Ihr Mündel. Warum das alles so getan worden ist, und warum der ›Graf‹ soviel Geld dafür gespendet hat, kann ich nicht sagen. Der ›Graf‹ hat nachher Ihren Mündel ins Land irgendwohin gebracht, wo sie ihn verwahrt haben, hat sich selber eine Weile in Neuyork herumgetrieben und mit einer Weibsperson zusammengewohnt. Ich habe selbige Weibsperson von früher her gekannt, und so habe ich von ihr erfahren, daß der ›Graf‹ eine Spekulation in Alabama hat, die ihm viel Geld bringen soll. Bei der Spekulation muß aber wohl Ihr Mündel etwas zu tun haben, denn ich habe mir aus den gefallenen Reden zusammengereimt, daß er ihn mit hinunter nach dem Süden nehmen will. Vor etwa einer Woche ist nun der ›Graf‹ nach Alabama abgereist und hat auch der Weibsperson hinterlassen, wohin sie ihm schreiben soll, wenn etwas vorkommen sollte; ich habe aber den Zettel noch nicht erwischen können. Das habe ich Ihnen also geschrieben, weil ich nicht mag dazu geholfen haben, daß ein junger Mensch um sein Erbe komme, und weil ich gedacht habe, daß Ihnen mit diesem Schreiben ein Gefallen geschähe. Jetzt muß ich aber noch etwas sagen. Ich möchte aus dem liederlichen Leben hier heraus, möchte was Ordentliches treiben und nachher die Mary heiraten. Wenn es also unten bei Ihnen Beschäftigung gäbe, die sich lohnte, so könnten Sie mir es wohl schreiben: ich wohne noch immer beim alten Ormsby in Jamesstreet. Es heißt freilich, daß im Süden die Nigger alle Arbeit täten, aber ich glaube, ich könnte es mit dreien aufnehmen, und wenn Sie etwas für mich wüßten, so könnte ich auch, bis Sie mir wieder schreiben, den Zettel zu Gesicht bekommen, damit Sie erfahren, wo Sie Ihren Mündel wiederfinden können. Das Geld zur Reise habe ich.«

Zehn verschiedene Gedanken über die Beweggründe und den Urheber des gespielten Betruges waren, einer den anderen verdrängend, durch Helmstedts Kopf geschossen – vor einem Gedanken aber wichen alle übrigen zurück. Helmstedt hatte aus leicht begreiflichen Gründen sich tiefer für den drohenden Angriff auf Elliots Eigentum interessiert als viele andere. Er hatte zu seiner Verwunderung erfahren, daß Murphys Vollmacht, welche dieser gern vorwies, um jede Gehässigkeit von sich selbst abzulenken, von Rebekka, Ehefrau des Abraham Meier in Neuyork, als Erbin des verstorbenen Isaak Hirsch, ausgestellt war, und daß der verhängnisvolle Besitztitel von einer Neuyorker Advokatenfirma als Eigentum des Isaak Hirsch in die Erbschaftsmasse abgeliefert worden sein sollte. Wenn es ihm nun möglich wurde, den Aufenthaltsort des beiseite gebrachten Knaben zu entdecken, so war für den Augenblick der ganze gegen Elliot beabsichtigte Prozeß beseitigt, da mit Auffindung des ersten, alleinigen Erben jeder Anspruch einer dritten Partei an den hinterlassenen Besitztitel in sich selbst zerfiel, und alle ferneren Maßregeln lagen einzig in seiner, des Vormundes, Hand. Hieß es doch in des Pedlars letztem Willen:

»Ich bitte Mr. Helmstedt, sich meiner Papiere anzunehmen, welche sich in der Tasche dieses Buches befinden. Es sind die sämtlichen Depositenscheine meiner Ersparnisse, welche nach meinem Tode meinem Schwestersohne gehören und von genanntem Mr. Helmstedt, falls ihm dies nicht zu viel erbeten dünkt, zum Vorteil meines Erben nach seinem, des Mr. Helmstedts, alleinigem Dafürhalten angelegt oder verwendet werden sollen.«

Helmstedt kannte die Stelle auswendig; zum erstenmal aber fiel es ihm auf, wie der alte Isaak, der alle seine Angelegenheiten in so musterhafter Ordnung gehalten und mit so freiem Bewußtsein seinen letzten Willen abgefaßt hatte, nicht an ein so wichtiges Dokument wie der vielbesprochene Besitztitel hatte denken können. Helmstedt wußte genau, daß sich in den hinterlassenen Papieren auch nicht die Spur einer Notiz dafür befunden hatte, und je mehr er darüber nachdachte und die kaum glaublichen Angaben des vor ihm liegenden Briefes dazu hielt, je verdächtiger wollte ihm die ganze Angelegenheit erscheinen, wenn er auch noch nicht wußte, nach welcher Seite hin er einen Verdacht richten sollte; er beschloß, jedenfalls Schritte zu tun, um sich Klarheit über das Woher der so plötzlich aufgetauchten Urkunde zu verschaffen. Das war indessen nicht die Hauptsache: schnelle, bestimmte Maßregeln mußten zur Herbeischaffung seines Mündels getroffen werden, denn in jedem Augenblick konnte Elliot, um sich Ruhe zu verschaffen, zu Schritten verleitet werden, die vielleicht niemals wieder gutzumachen waren. Helmstedt schwankte eine Weile, ob er nicht durch eine weitere Mitteilung des Briefes vorläufig allen möglichen Unterhandlungen mit dem Pflanzer Einhalt tun sollte; schnell genug aber erkannte er, daß, wenn irgendeine an dem jetzigen Prozeß beteiligte Partei ihre Hand in dem Bubenstück gegen seinen Mündel gehabt, wie es nach Charleys Schreiben fast schien, das tiefste Schweigen über dessen Mitteilung walten müsse, sollte nicht der Knabe von seinem jetzigen Aufenthaltsort aufs neue, und wahrscheinlich für immer, verschwinden. Eine kurze Weile dachte er scharf nach, dann barg er den Brief in die Brusttasche seines Rockes und schritt wieder über die Straße nach dem Store des Postmeisters. »Wie weit ist wohl die nächste Telegraphenoffice, Sir?« fragte er diesen.

»Telegraphenoffice?« war die lachende Antwort; »so vorgeschritten sind wir hier im Hinterwalde noch nicht, Sir! Die nächste ist meines Wissens in Nashville, Tennessee, etwa 150 Meilen oder so etwas weit.«

Helmstedt legte die Hand an seine Stirn. »Also gar keine Möglichkeit, eine dringende Nachricht schnell nach Neuyork zu befördern?«

»Warum nicht? Senden Sie Ihre Depesche nach Nashville an die Telegraphenoffice: heute mittag geht eine Post dahin ab. Legen Sie eine Fünfdollarnote bei und beauftragen Sie die Beamten, Ihnen die Rückantwort, falls Sie diese erwarten, augenblicklich hierherzusenden. Sie sollen von mir sogleich erfahren, sobald etwas angekommen ist.«

Helmstedts Gesicht hellte sich auf; er dankte dem Postmeister und schlug ohne weitere Zögerung den Weg nach seinem Hause ein. Dort machte er sich noch einmal an die sorgfältige Durchsicht der erhaltenen Zuschrift und faßte dann die folgende Depesche, mit der von Dutch Charley angegebenen Adresse versehen, an ihn ab:

»Kommen Sie augenblicklich, sobald Sie genau wissen, wo der Knabe ist; ich trage die Reisekosten. Senden Sie sogleich Antwort per Telegraph an die Nashville-Telegraphenoffice, daß Sie diese Zeilen empfangen haben; ich erhalte Ihre Antwort von dort.«

Das Begleitschreiben an die Telegraphenoffice war schnell angefertigt, die Banknote beigelegt, und nach einer Viertelstunde ruhte der Brief, von Helmstedt selbst überbracht, in der Hand des Postmeisters.

»Jetzt wollen wir weiter sehen!« brummte der junge Mann und wandte seine Schritte nach dem Bar-Room des Hotels, wo für die Morgenstunde der gewöhnliche Versammlungsplatz der männlichen Elite des Städtchens war. Gruppen von jüngeren und älteren Herren standen bereits schwatzend darin umher, und Helmstedt hörte bald auch Murphys helle Stimme im hinteren Teile des Lokals klingen. Der Eingetretene ließ sich ein Glas Sherry mit Eis geben, lehnte sich gegen den Schenktisch und beobachtete still, was um ihn her vorging, bis die Gruppe von Advokaten, in welcher Murphy gestanden, sich löste und dieser langsam dem Ausgang zuschritt.

»Wollen Sie mir wohl zwei Worte erlauben, Sir?« sagte Helmstedt, ihm einen Schritt entgegentretend.

Der Advokat sah auf »Mit Vergnügens Sir!« erwiderte er, augenscheinlich etwas verwundert.

»Sie werden einsehen,« begann Helmstedt mit gemäßigterer Stimme, »daß der von Ihnen vertretene Anspruch gegen Mr. Elliot, der mein Schwiegervater ist, mich mehr als jeden anderen Dritten berühren muß.«

»Ich sehe das vollkommen ein,« erwiderte Murphy, höflich den Kopf neigend.

»Darf ich Sie also wohl um Angabe der Advokatenfirma in Neuyork bitten, bei welcher das alte Dokument, welches den jetzigen Anspruch begründet, deponiert war?«

»Gewiß, Sir, wenn Sie auch dort nicht viel Trost holen werden; es ist die Law-Office der Herren Smith und Johnson in Duanestreet.«

»Ich danke Ihnen, Sir, das ist alles.«

Murphy verbeugte sich mit einem verbindlichen Lächeln und verließ das Lokal. Helmstedt trank langsam seinen Wein aus und ging dann in gemessenem Schritte seinem Hause zu. Als er indessen sein Zimmer erreicht hatte, warf er, wie voll von einem Gedanken, seinen Hut beiseite, suchte Papier hervor und begann zu schreiben. Es war ein Brief an die Herren Smith und Johnson, in welchem er als Vormund des verunglückten Erben einfach anfragte, ob bei Deponierung des in ihren Händen gewesenen, auf Isaak Hirsch überschriebenen Besitztitels kein Empfangsschein ihrerseits gegeben worden sei, und wenn dies der Fall, ob und durch wen derselbe an sie zurückgegeben worden.

Der Brief war fertig; ohne Zögern ging aber Helmstedt an einen zweiten, adressiert an Mrs. Rebekka Meier. Er zeigte ihr darin an, daß auf Grund eines Dokumentes, welches, wie er nachweisen könne, nicht zu dem Nachlasse des Pedlars Isaak Hirsch gehört habe, von ihr, als Erbin des Verstorbenen, Ansprüche auf ein Grundeigentum erhoben würden, die seine eigenen Privatverhältnisse auf das empfindlichste berührten. Ehe er nun eine Untersuchung über den Ursprung und die Echtheit des Dokumentes einleiten lasse, bitte er sie um Nachricht, auf welche Weise sie zu dem alten Papiere gelangt, oder wie sie von seiner Existenz unterrichtet worden sei, damit er in keinem Falle einem Unschuldigen zu nahe trete.

Die Briefe wurden geschlossen und schlüpften noch eine Stunde vor der abgehenden Post in den Briefschalter.

Helmstedt hatte sich nun wohl vorgenommen, in Gelassenheit die verschiedenen Antworten abzuwarten, aber eine unruhige Spannung, welcher er nicht Herr werden konnte, ließ ihn nur selten eine Stunde bei seiner Arbeit andauern. Vom dritten Tage ab, an welchem er eine Antwort des Dutch Charley zu erhalten gehofft, hatte er regelmäßig bei Ankunft der Post nach Briefen für sich gefragt, aber es waren bereits sechs Tage verstrichen, und das eintönige: » Nothing, Sir!« (nichts, Herr!) des Postmeisters war ihm so oft in die Ohren geklungen, daß er an der Überlieferung seiner Depesche vollständig zu zweifeln begann. Er hatte sich während dieser Tage mehr auf der Straße und im Bar-Room des Hotels herumgetrieben als jemals zuvor; er hatte geglaubt, irgendwo ein Wort auffangen zu können, das ihn über den Weg, welchen Elliot in bezug auf den Angriff gegen ihn einzuschlagen beabsichtige, unterrichte, aber niemand schien etwas von den Entschließungen des Pflanzers zu wissen, und für Helmstedt begann dieser Zustand des Harrens fast unerträglich zu werden. Er beschloß, noch einen einzigen Tag zu warten, und wenn wieder vergebens, durch ein ihm bekanntes Neuyorker Handelshaus nochmalige und sichere Nachricht an Dutch Charley gelangen zu lassen, dann aber auch zugleich, auf jede Gefahr hin, Elliot von dem Stande der Dinge zu unterrichten, um wenigstens den möglichen Schritten für einen Vergleich von dessen Seite vorzubeugen.

Ganz darauf vorbereitet, wieder ein: » Nothing, Sir!« zu hören, begab er sich am siebenten Morgen nach der Postoffice; aber schon bei seinem Eintritte hielt ihm der Postmeister einen Brief von dem nämlichen Kaliber, wie den bereits erhaltenen, entgegen, und mit einem erleichternden »Endlich!« erkannte Helmstedt die majestätischen Schriftzüge von Charleys Hand auf der Adresse. Er zahlte das Porto und eilte nach Hause, um ein neues Studium dieser kühn alle Regeln verachtenden Schreibweise zu beginnen. Der Inhalt, in verständliche Worte übersetzt, lautete:

» Yes, Sir! Ihr telegraphisches Schreiben habe ich erhalten, aber mit der telegraphischen Antwort war es nichts. Ich hatte einen Brief für Sie fein zugeklebt nach der Telegraphenoffice gebracht, aber die Kerle dort meinten, zum Telegraphieren müßten sie ihn aufmachen und durchlesen, was ich nicht leiden mochte, weil manches darin stand, was nicht jeder zu wissen braucht. Also habe ich ihn wieder mit fortgenommen, und das war ganz gut. Die Weibsperson, welche mit dem ›Grafen‹ lebt, hatte von diesem am selbigen Tage einen Brief bekommen, daß er nur noch bis zum 14. Juni an dem bisherigen Orte bleiben werde; das sei der letzte Tag, welchen er als Frist gestellt habe, um sein Geld zu erhalten; nachher müsse er wegen des Jungen andere Maßregeln treffen; sie solle ihm also nicht wieder schreiben, bis sie weitere Nachricht von ihm bekomme. Ich habe selbigen Brief gefunden, als ich nach dem Zettel suchte, welchen wir haben mußten, um den Jungen aufzufinden, und den ich Ihnen gern mitschicken wollte, ehe ich durch die Post an Sie schrieb. Ich bin nämlich ein alter Freund von der Weibsperson und kann in ihre Stube kommen, auch wenn sie nicht zu Hause ist. Also hatte ich heute die rechte Zeit getroffen, habe ein paar Schlösser an ihrer Kommode verdorben und den Zettel gefunden und abgeschrieben. Hierbei will ich noch bemerken, daß sich der ›Graf‹ ›Henry Wells‹ unterschrieben hat, wenn Ihnen der Name zu etwas dienen kann. Jetzt werde ich diesen Brief zumachen und auf die Post geben; nachher setze ich mich auf die Eisenbahn und gehe zur Mary, um ihr zu sagen, wie es mit mir steht, und von da geht es geradenwegs hinunter zu Ihnen. Ich denke also, ich werde einen halben Tag oder, wenn es viel wird, einen Tag später kommen als dieser Brief. Die Postoffice, wohin das Weibsbild dem ›Grafen‹ geschrieben hat, heißt Rocky-Creek in Alabama, und er selber wohnt, wie es in seinem Briefe heißt, bei einem Farmer mit Namen McGraw.«

Helmstedt hatte bei dem Namen »Wells« den Kopf geschüttelt: er war ihm vollständig unbekannt; sein erster Blick aber, welchen er von dem Schreiben hob, fiel auf den Wandkalender über seinem Arbeitstische und blieb dort nachdenklich hängen. Es war heute der dreizehnte. Wenn ein rascher Erfolg erzielt werden sollte, so mußte die Aufhebung des sogenannten ›Grafen‹ wie des entführten Knaben in des Sheriffs Hände gelegt werden. Charley war aber der einzige, welcher den ersteren persönlich kannte, und somit war seine Gegenwart die notwendigste Bedingung für irgendeinen Schritt. Helmstedt zweifelte keinen Augenblick, daß der Riese, wenn ihn nicht unterwegs ein Unglück betroffen, sich zur rechten Zeit einstellen werde, und beschloß deshalb, bis zum Nachmittag nichts zu tun, als einzelne nötige Erkundigungen einzuziehen und einen Ritt nach Oaklea zu machen. Während der ganzen Zeit, in welcher er auf Nachricht von Neuyork gehofft, hatte es ihm stets wie eine drückende Ahnung auf dem Herzen gelegen, daß Elliots Angreifer ihre Beute davontragen würden, ehe er imstande sei, sein Schweigen zu brechen; jetzt wenigstens wollte er nicht mehr zögern, um dem Pflanzer vorsichtig einen Wink zu geben, und er empfand eine eigentümliche Genugtuung bei dem Gedanken, zur Vergeltung aller der gegen ihn gespielten Intrigen dem stolzen Manne eine Hoffnung in dessen jetziger Bedrängnis entgegenbringen zu können. Er dachte im Augenblicke nicht einmal daran, daß es für Elliot den bittersten Nachgeschmack abgeben mußte, wenn er hörte, daß sich sein Wohl und Wehe in Helmstedts Hand befinden würde.

Er nahm seinen Hut wieder und verließ das Haus. Sein erster Gang war nach der Postoffice. »Können Sie mir wohl sagen, Sir, wo Rocky-Creek-Postoffice ist?« fragte er nachlässig, nachdem er sich mit einem schnellen Blick überzeugt hatte, daß er mit dem Postmeister allein sei.

»Kaum fünf Meilen von hier, gerade in die Berge hinein,« erwiderte dieser, mit der Hand die Richtung andeutend; »Sie können kaum fehlen, wenn Sie der Straße folgen; es ist das einzige Wirtshaus am Wege, und die Gegend ist dort ziemlich unbewohnt.«

»Also ist nicht viel zu holen,« lachte der junge Mann.

»Nicht die Spur, Sir! Es gibt dort nur einzelne kleine Farmer, die in dem steinigen Boden mit harter Arbeit ihr Leben machen.«

Helmstedt dankte und ging. Er sah nach seiner Uhr – es war bereits neun vorüber und hohe Zeit für seinen Ritt, wenn er mittags zurück sein wollte. Ohne weiteren Aufenthalt machte er sich daran, sein Pferd zu satteln, und bald eilte er im scharfen Trabe Oaklea zu.

Es war lange her, daß er zum letzten Male diesen Weg betreten. Damals war er noch Elliots Hausgenosse gewesen, und sein Herz, erregt von der Jugendfrische und Lieblichkeit Ellens, hatte kaum begonnen gehabt, für diese zu schlagen; aber alle die bekannten Umgebungen der Straße mahnten ihn jetzt nur wie an ein längst abgeschlossenes Kapitel seines Lebens. Selbst Ellens Bild, wie er es sich vor die Seele rief, umgeben von all dem Reiz, welcher ihn damals zu jedem Wagnis für sie begeistert hatte, ließ ihn völlig gleichgültig: er hatte erkennen gelernt, daß keine Regung ihrer Seele etwas Verwandtes mit der seinigen hatte, daß er, und würden sie ein Menschenalter miteinander leben, immer unverstanden an ihrer Seite stehen müßte. Je näher er Oaklea kam, desto mehr fühlte er eine Sicherheit in sich, als reite er der Abschließung des alltäglichsten Geschäfts entgegen.

Die Pferdetritte wurden unhörbar, als Helmstedt von der Straße abbog und auf dem geschlängelten Sandwege Elliots Wohnung zuritt. Er band sein Pferd an die ihm so wohlbekannte Stelle nahe dem Hause und ging mit festem Schritt, um nicht ungehört einzutreten, die Porticotreppe nach der Halle hinauf. Hier hatte er kaum die Tür geöffnet, als aus dem Parlor eine weiblich Gestalt ihm entgegeneilte, aber wie im plötzlichen Schrecken stehen blieb, als er ihr sein Gesicht voll zukehrte, und dann todesblaß zwei Schritte zurückwich. Helmstedt stand seiner Frau gegenüber; als er aber in ihre Augen blickte, die ihn mit einer Mischung von peinlicher Überraschung und halber Furcht anstarrten, überkam es ihn fast wie Mitleid mit dem jungen Wesen, in dessen Leben er jetzt als hemmendes Gespenst stand.

»Guten Tag, Ellen,« sagte er, mit ausgestreckter Hand auf sie zugehend; »ich habe dir doch nicht so viel zuleid' getan, daß du mich fürchten mußt?«

Sein Gesicht mochte wohl noch mehr ausdrücken, als seine Worte taten, denn ihr starrer Blick löste sich, und zögernd legte sie ihre Hand in die seinige.

»Ich komme nicht unserer Angelegenheit wegen hierher, Ellen,« fuhr er fort und führte sie einige Schritte weiter in den Parlor hinein, »aber ich freue mich, zwei Worte mit dir reden zu können. Ich will dir keinen Vorwurf über das machen, was geschehen ist, ich habe es verschmerzt; wir wollen auch unsere gegenseitigen Gefühle nicht zergliedern. Ist es denn aber notwendig, daß wir kein freundliches Wort füreinander haben dürfen, wenn wir nicht mehr als Mann und Frau miteinander leben können? Müssen wir uns denn durchaus hassen, weil die Liebe zwischen uns gestorben ist? Haben wir uns denn gegenseitig so viel vorzuwerfen, daß wir uns am besten stumm trennen, um dann einander wie Todfeinde meiden zu müssen? Ich mag nicht, Ellen, daß wir uns im öffentlichen Leben auszuweichen brauchen und der Welt das Recht zu jeder beliebigen Vermutung über die Gründe unserer Trennung geben – und so sage mir, wollen wir, wenn auch geschieden, Freunde bleiben, die sich gegenseitig achten, die, wenn auch gefesselt durch neue Bande, sich offen ins Auge sehen können? Wollen wir das, Ellen?«

»Ja, August,« sagte sie mit gepreßter Stimme, während die Tränen in ihre Augen schossen.

Helmstedt wollte weiter reden, aber ein rascher Männertritt in der Halle ließ ihn aufsehen: Elliot stand in der offenen Parlortür und schien in seiner ersten Betroffenheit über die Gruppe, welche sich ihm bot, die Sprache nicht finden zu können.

Helmstedt fühlte Ellens Hand in der seinen zittern und ergriff sie fester. »Ich hoffe, Sie werden nichts dagegen haben, Squire, daß ich mich mit meiner Frau einmal ausgesprochen habe?« sagte er, dem Pflanzer mit einem offenen Lächeln ins Gesicht sehend. »Wir haben eben beschlossen, gute Freunde zu bleiben –«

»Und ich hoffe, Sir, daß ich ein Recht habe, in meinem Hause zu dulden oder nicht zu dulden, was mir eben gut dünkt!« unterbrach ihn der Pflanzer heftig. »Wollen Sie etwas in bezug auf meine Tochter sagen, so haben Sie sich an mich zu wenden, der ich jetzt ihr natürlicher Anwalt bin; solange sie in meinem Hause lebt, hört jede direkte Verbindung zwischen ihr und Ihnen auf. Geh nach deinem Zimmer, Ellen!«

Helmstedts Stirn begann sich zu röten; er hielt die Hand der jungen Frau so fest als vorher. »Sie handeln unklug, Sir,« erwiderte er, und sein klares Auge wurzelte fest in dem des Pflanzers. »Wenn ich mein Recht, verstehen Sie wohl, mein Recht erzwingen wollte, so würde meine Frau noch heute abend, zu ihrer Pflicht zurückgeführt, in meinem Hause wohnen. Sie scheinen ganz zu vergessen, Sir, daß nur die Rücksicht gegen Ellen selbst alle meine Schritte bisher geleitet hat. Ich wollte das Vertrauen, mit dem sie sich mir übergab, sie niemals bereuen lassen, sie sollte es auch selbst bei ihrer Trennung von mir noch gerechtfertigt finden – das waren die Gründe meines leidenden Verhaltens, Sir! Sie sind jetzt aufgebracht, mich hier zu sehen – Well, Mr. Elliot, können Sie denn nicht vermuten, daß mich freundliche Absichten hierher führten, da ich ohne mein persönliches Erscheinen mir längst hätte volle Genugtuung verschaffen können?«

Um Elliots Mund spielte ein Ausdruck von Verachtung. »Ich hatte Ihnen allerdings Zeit gegeben, mir Vorschläge zu machen,« sagte er; »ich sehe aber dabei durchaus keinen Grund, warum Sie meiner Tochter noch einmal nahezutreten haben.«

»Sie sind eben im Irrtum, Sir,« erwiderte der junge Mann wieder mit vollkommener Ruhe. »Mich führen ganz andere Dinge hierher als das Verhältnis zu meiner Frau, und wenn ich die Gelegenheit benutzte, mich gegen sie auszusprechen, so bot sie mir der Zufall. Wenn ich mich einmal von Ellen scheide, so geschieht dies in vollkommen freier Übereinkunft zwischen ihr und mir, und ich habe Ihnen, Sir, weder Vorschläge in bezug darauf zu machen noch deren von Ihnen entgegenzunehmen. Glauben Sie mir aber, Mr. Elliot, daß jeder Ihrer Eingriffe in meinen freien Willen nur Ihren Wünschen entgegenarbeitet. Sie werden es nie ins Werk setzen, und wenn Sie mir jeden Fuß breit Boden unter den Füßen abzugraben versuchten, mich zu einem Schritte zu zwingen, den ich meiner unwürdig halte. Ich kann leben und bestehen, Sir, ohne eines einzigen Menschen Gunst hier zu bedürfen. Das mußte ich Ihnen sagen, Mr. Elliot, und nun möchte ich Ellen bitten, uns zu verlassen, da mich Geschäftsangelegenheiten hierher geführt haben, welche sich nur unter Männern besprechen lassen.«

Er ließ die Hand der jungen, bleichen Frau los, und diese eilte mit einem besorgten Blick auf ihren Vater, der nur zu warten schien, was sich aus Helmstedts Wortes entwickeln würde, aus dem Zimmer.

»Lassen Sie mich jetzt zu dem eigentlichen Zwecke meines Besuches kommen, Sir!« sagte Helmstedt.

»Ich glaube nicht, daß wir noch etwas miteinander zu reden haben,« unterbrach ihn der Pflanzer kurz; »wenigstens kann ich mir keinen weiteren Berührungspunkt zwischen mir und Ihnen denken. Es ist heut ein Tag der dringendsten Geschäfte für mich, und ich werde Sie allein lassen müssen.«

»Ich glaube, Sir, daß ein kluger Mann erst hört, ehe er urteilt,« erwiderte Helmstedt ruhig; »ich kam Ihrer Angelegenheiten und nicht der meinigen wegen hierher.«

Der Pflanzer hatte sich bereits halb nach der Tür gedreht und wandte jetzt den Kopf zurück. »Was ist es?« fragte er unfreundlich. »Wenn es mich betrifft, so sagen Sie es mit zwei Worten; ich habe keinen Augenblick mehr zu verlieren.«

»Haben Sie es denn wirklich so eilig, in Ihr eigenes Unglück zu laufen?« entgegnete Helmstedt, und ein Anflug von gutmütigem Spott ging über sein Gesicht; »wollen Sie sich denn vorher nicht wenigstens die Zeit nehmen, einen Mann ruhig anzuhören, der auf die Gefahr hin, von Ihnen zum Hause hinausgewiesen zu werden, hierherkam?«

Elliot drehte sich langsam um und warf einen durchdringenden Blick auf seinen Gast. »Was wollen Sie von mir, Sir?«

»Ich wünsche, Mr. Elliot, daß Sie die Tür schließen,« sagte Helmstedt ernst, »sich einige Minuten zu mir hersetzen und hören, was ich Ihnen zu sagen habe. Sie können, sich versichert halten, daß ich mich nicht bis jetzt allen Äußerungen Ihrer Nichtachtung preisgegeben hätte, wenn ich meiner Genugtuung nicht sicher wäre.«

Der Pflanzer sah einen Augenblick in das leuchtende Auge des jungen Deutschen, der hoch aufgerichtet vor ihm stand, schloß dann langsam die Tür und rückte zwei Stühle einander nahe. »So setzen Sie sich denn und reden Sie,« sagte er, während er sich selbst niederließ und finster vor sich niedersah.

»Zuerst eine Frage,« begann Helmstedt, Platz nehmend, »und um Ihrer selbst willen bitte ich, sie mir offen zu beantworten. haben Sie schon irgendein Arrangement wegen des Anspruchs auf Ihr Eigentum getroffen?«

Elliot sah auf. »Was haben Sie mit diesem Anspruch zu tun, Sir?«

»Es scheint, Sie wissen nicht, daß der jetzt geltend gemachte Besitztitel ein Teil einer Erbschaft ist, für welche ich als Vormund des minorennen Erben unumschränkter Verwalter war, und daß erst während der letzten Zeit, seit, wie es hieß, der ursprüngliche Erbe verunglückte, die Hinterlassenschaft in diejenigen Hände überging, welche jetzt ihren Anspruch gegen Sie geltend machen wollen.«

»Das mag sein, Sir,« erwiderte der Pflanzer, aufmerksam werdend; »der Anspruch ist aber in andere Hände übergegangen. Was wollen Sie nun noch?«

Helmstedt warf einen Blick nach der Tür und den Fenstern. »Was ich will, Sir,« sagte er dann mit gedämpfter Stimme, »ist nichts weiter, als von allem Vorhandenen, den drohenden Besitztitel einbegriffen, wieder Besitz zu ergreifen, sobald es mir gelingt, rechtzeitig den Umtrieben einer Spitzbubenbande entgegenzutreten, welche meinen noch lebenden Mündel um sein Erbe und Sie um Ihr Eigentum bringen will. Weiter etwas zu sagen, wäre eine strafbare Unvorsichtigkeit, da meine ganze Hoffnung augenblicklich nur in der geträumten Sicherheit der Gauner beruht. Trotzdem und ehe ich noch einen vollen Erfolg meiner Maßregeln verbürgen kann, habe ich es für meine Pflicht gehalten, Sie vor jeder Übereinkunft mit den jetzigen Inhabern des Besitztitels zu warnen, und ich will nur hoffen, daß ich damit nicht zu spät gekommen bin.«

Elliot starrte ihn eine Weile wortlos an. »Ich verstehe zwar vollkommen, was Sie sagen,« erwiderte er endlich, und seine Stimme klang heiser, wie von einem inneren Drucke; »ich weiß aber nicht, ob Sie nicht leichtsinnig oder vielleicht selbst getäuscht eine Hoffnung geben, wo keine ist. Ich kenne von den Verhältnissen, welche Sie mir andeuten, nichts, und darum merken Sie auf, Sir: es handelt sich um die Existenz einer ganzen Familie. Ich habe mich allerdings in Unterhandlungen eingelassen, die heute zum Abschluß kommen sollten, und so hoffnungslos das vorgeschlagene Übereinkommen auch für mich ist, so vergebens ich auch acht Tage lang mich abgemüht habe, es nur auf den Verlust eines Teiles meiner Ländereien zu beschränken, so schützt es mich doch vor augenblicklichem, gänzlichem Ruin. Stoße ich heute den Vergleichsvorschlag zurück und ein für mich hoffnungsloser Prozeß beginnt, so habe ich die sichere Aussicht, mit meinem Grundeigentum auch noch meine ganze bewegliche Habe durch die Kosten des Prozesses zu verlieren. Wollen Sie mich nun angesichts dieses Standes der Dinge noch einmal vor einem Übereinkommen warnen, Sir?«

Helmstedt sah sinnend vor sich, nieder. »Es sei ferne von mir,« sagte er nach einer Pause, »eine schwere Verantwortung leichtsinnig auf mich zu nehmen; wie aber die Sachen stehen, muß ich Ihnen alles, was ich selbst weiß, mitteilen; Ihr persönliches Interesse, Sir, wird Sie vor jedem unvorsichtigem Gebrauche desselben bewahren, und Sie mögen dann handeln, wie es Ihr eigenes Urteil Ihnen vorschreibt.« Er gab darauf dem Pflanzer eine kurze Skizze von der seinerseits übernommenen Vormundschaft und seinen Erlebnissen in Neuyork; er hob es hervor, daß der aus dem Wasser gezogene Judenknabe nur durch seine Kleider und die bei ihm gefundenen Gegenstände rekognosziert worden war; er nahm Charleys ersten Brief aus der Tasche und gab die nötigen Auszüge daraus. »Es handelt sich nur noch um zwei Tage Zeit, Sir,« schloß er; »ich habe weitere Nachricht, die mich wenigstens zu der Hoffnung berechtigt, meinen Mündel wieder aufzufinden und unter meine Obhut zu bringen. Können Sie also noch einige Tage Zeit gewinnen, so tun Sie es und warten Sie den Lauf der Ereignisse ab!«

Elliot, die Arme ineinander geschlagen, saß stumm, wie mit sich selbst Rat pflegend, da.

»Es ist dies die sonderbarste Geschichte, die mir jemals vorgekommen ist, und sie mag Ihre Warnung vollkommen rechtfertigen,« begann er nach einer Weile. »Sagen Sie mir aber eins, Sir!« fuhr er, sich gerade aufsetzend fort. »Ich mache durchaus nicht darauf Anspruch, bei Ihnen in besonders gutem Andenken zu stehen, und nun frage ich mich vergebens, welche Ursache Sie zu Ihren jetzigen Mitteilungen veranlaßt habe – die Sorge für mein Wohlergehen doch sicherlich am wenigsten. Ich sehe den Angelegenheiten, welche mich berühren, immer gerne auf den Grund, und so wenig ich in die Wahrheit Ihrer Darstellung den geringsten Zweifel setze, so sehr verlangt es doch mein Interesse, daß ich die eigentliche Absicht, welche Sie bei Ihrem jetzigen Schritte gehabt, kennen lerne.«

Helmstedt sah den Pflanzer einen Augenblick groß an, dann stieg ein sonderbares Lächeln in sein Gesicht, und er erhob sich.

»Ich will Ihnen die Frage beantworten, Sir,« sagte er. »Es liegt im deutschen Charakter, lieber ein selbsterlittenes Unrecht zu vergessen, wenn es notwendig wird, als mit offenen Augen ein Unrecht an anderen geschehen zu lassen. Ich kann mir denken, daß ein so einfacher Grund Sie fremdartig berührt; ich habe aber keine andere Erklärung für mein Handeln zu geben. Sie wissen jetzt, was ich Ihnen mitzuteilen für notwendig fand, nun handeln Sie nach eigenem Ermessen!«

»Warten Sie noch einen Augenblick, Sir,« sagte Elliot, als der junge Mann Miene machte, seinen Stuhl beiseite zu tragen. »Gesetzt den Fall, Ihre Maßregeln zur Auffindung Ihres Mündels gelängen, und der Anspruch auf Oaklea käme in Ihre Hand – welche besseren Aussichten erwüchsen mir daraus? Oder – um mit einer direkten Frage der Sachlage näherzukommen – tragen Sie sich vielleicht mit einer Idee, später durch verständige Behandlung der Angelegenheit in genauere Beziehung zu mir zu treten als bisher?«

Helmstedt sah eine Sekunde lang in des Pflanzers forschende Augen.

»Wenn ich Sie recht verstehe,« erwiderte er dann ernst, »so bezieht sich Ihre letzte Frage auf meine Stellung zu Ihnen durch Ellen. Es gab allerdings eine Zeit, Sir, wo ich jede Gelegenheit, mich Ihnen näherzubringen, mit tausend Freuden ergriffen hätte; diese Zeit, Sir, ist aber vollkommen vorüber. Ich habe eingesehen, daß unserer beider Wahl eine verfehlte war, und ich hätte Ellen längst ihre volle Freiheit zurückgegeben, wenn auf die Forderung meiner Ehre nur die geringste Rücksicht genommen worden wäre. Jetzt, nachdem ich lernen mußte, mich über die absichtlich gegen mich ausgestreuten Gerüchte hinwegzusetzen, bin ich sogar von meiner früheren Bedingung für eine Trennung – Ellens Rückkehr in mein Haus – zurückgekommen; ich kann ihre gegenwärtige Lage sogar bedauern, und ich mag ihrem ferneren Glück nicht hindernd im Wege stehen. Sie hat mir heute versprochen, mir diejenige Achtung in Wort und Tat zu bewahren, auf welche ich jedenfalls ihr gegenüber Anspruch machen kann, und so, Sir, bin ich jeden Augenblick bereit, einen Trennungsakt ohne weitere Bedingungen zu unterzeichnen.«

Er machte eine kurze Pause, während der Pflanzer, den Kopf zurückgebogen, den erwartenden Blick fest auf ihn geheftet hielt.

»Was den Besitztitel, sobald er in meine Hände gelangt, betrifft,« fuhr Helmstedt fort, »so will ich mich erst überzeugen, mit welchem Recht der jetzige Angriff gegen Sie gemacht wurde. Ich habe verschiedene Gründe, unter der ganzen Angelegenheit eine Gaunerei zu vermuten, und einer der einleuchtendsten dafür ist wohl der, daß Isaak Hirsch, welcher trotz seines seltenen Charakters doch seinen Vorteil wie der beste Advokat wahrzunehmen wußte, sicherlich nicht einen solchen Anspruch unbenutzt hätte liegen lassen, um ihn zuletzt der Verjährung preiszugeben. Jedenfalls, Sir, haben Sie später einen ehrlichen Mann gegen sich und nicht eine Schar von gewissenlosen Advokaten. Ich bin mit meinem Geschäft zu Ende, und so überlasse ich Ihnen, nach eigenem Gutdünken zu handeln.«

Er trug seinen Stuhl beiseite, und Elliot erhob sich.

»Ich habe Ihnen zu danken,« sagte der letztere und hielt dem jungen Manne die Hand hin, in welche dieser die seinige kalt, und ohne einen Finger zu rühren legte; »ich werde vorläufig Ihrem Rate folgen und hoffe, Sie in zwei oder drei Tagen in Ihrem Hause sehen zu können.«

»Mein Haus wird für Sie offen sein,«, erwiderte Helmstedt, sich leicht verbeugend. »Guten Morgen, Sir!«

Er schritt nach der Tür und verließ das Haus, ohne sich umzusehen, ob Elliot ihm folge. Bald saß er im Sattel und trabte der Hauptstraße wieder zu.

Eine drückende Luft empfing ihn, als er das Freie erreichte; das Aussehen der Landschaft hatte sich in kaum einer Stunde so verändert, daß jeder Gedanke an die eben erlebten Szenen in dem jungen Mann schwand und er sich besorgt umsah. Der Himmel in seinem Rücken war dick mit gelbgrauen Wolken umzogen, die einen unheimlichen Schatten über die Gegend warfen, und während nur leichte Staubwirbel vom Boden aufstiegen, bogen sich die Kronen der riesigen Waldbäume und brausten wie unter einem gewaltigen Drucke. Helmstedt kannte diese Zeichen und trieb sein Pferd zu schärferem Trabe an, um womöglich noch vor Ausbruch des Wetters die Stadt zu erreichen; fast schien es auch, als solle ihm noch Zeit dafür bleiben: die Staubwirbel legten sich, die Bäume schwankten nur noch leise, und bald war eine Stille eingetreten, in welcher kein Halm und kein Blatt sich mehr rührte. Eben als Helmstedt aber an einer freien Stelle des Weges anlangte und noch einmal sich nach dem Wetter umsehen wollte, schien es urplötzlich, als stehe der ganze Himmel in Feuer – der Schein verschwand, aber ein Donnerschlag folgte unmittelbar nach, als berste die Erde voneinander; als brächen, eins dem anderen folgend, die Gebirge ringsumher zusammen, daß Helmstedt aus der plötzlich ihn überkommenen Betäubung nur durch einen Sprung seines erschreckten Pferdes wieder zur Besinnung gerufen wurde. Er hatte Mühe, das geängstigte Tier zu beruhigen, und machte sich bereit, einem neuen Schlage mit der erforderlichen Geistesgegenwart zu begegnen; aber das Gewitter schien sich in der einzigen gewaltigen Kraftäußerung erschöpft zu haben, und nur dann und wann grollte noch ein ferner Donner nach. Als er endlich aus dem bis jetzt verfolgten Waldwege in die große Straße einbog, lag die County-Stadt wieder im Sonnenscheine vor ihm, während hinter ihm in der Ferne schwarzblaue Wolken und herniederströmender Regen die Aussicht verdeckten.

* * *

Mittag war schon einige Stunden vorüber, als er die Stadt erreichte, und er nahm seinen Weg ohne Aufenthalt nach dem Globe-Hotel, um seinen knurrenden Magen zu befriedigen. Kaum war er aber dort abgestiegen und beschäftigt, sein Pferd anzubinden, als aus der Piazza eine mächtige Gestalt auf ihn zuschritt und ohne lange Zeremonie seine Hand faßte. »Hier ist der Dutch Charley, Sir,« klang eine gewaltige Stimme, »und nun sehen Sie zu, was Sie mit ihm anfangen können!«

Helmstedt hatte überrascht ausgesehen und drückte nach Kräften die Hand des Angekommenen. »Freut mich von Herzen, daß Sie da sind,« sagte er; »es tut mir nur leid, daß Sie auf mich haben warten müssen.«

» Never mind!« (macht nichts!) erwiderte der Goliath lustig. »Ich wünschte, Sie hätten auf meinen Brief nicht länger zu warten brauchen.«

Helmstedt warf einen Blick auf die offene Tür des Bar-Rooms. »Wir brauchen nicht Englisch zu reden, daß uns jeder versteht,« begann er dann Deutsch; »sehen Sie sich vor, Charley, daß Sie kein Wort von dem fallen lassen, was Sie mir geschrieben; mit einer einzigen Unvorsichtigkeit können wir den Vogel, den ich fangen will, wieder aus dem Garne scheuchen. Ist der sogenannte Graf, dieser Mr. Wells, ein Yankee?«

»Nicht die Spur davon,« entgegnete der andere, seine Stimme in einer Weise mäßigend, daß sie den Zuhörer an das ferne Grollen des abziehenden Gewitters mahnte; »echtes deutsches Sauerkraut, Sir; Sie können ihn aber in der Sprache schwer von dem wirklichen Amerikaner unterscheiden.«

Helmstedt schüttelte den Kopf. »Ich verstehe kein Wort von der ganzen Intrige,« sagte er, »wir werden ja aber sehen. Nehmen Sie vorläufig einen Schluck, während ich ein paar Bissen esse, und dann sprechen wir weiter.«

Eine Viertelstunde später traten beide in Helmstedts Haus, wo dieser eins der Hinterzimmer öffnete. »Hier mag vorläufig Ihr Quartier sein, bis wir mit unserem Hauptgeschäfte zu Ende sind und ich Sie an einem ordentlichen Platze untergebracht habe,« sagte er. »Jetzt machen Sie es sich vor allen Dingen bequem!«

»Well, Sir, das Bequemmachen kommt mir gerade gelegen,« erwiderte Charley, kopfnickend die Ausstattung des Raumes betrachtend; »ich fühle wirklich, als müßte ich ein paar Stunden schlafen, ehe ich zu was Rechtem tauge. Ich gebe nichts um die zwei Nächte in der Postkutsche, auf einem Wege durch das Gebirge, der eher wie eine steinerne Treppe als eine vernünftige Straße aussah, aber die Hitze hat mir meinen dicken Kopf so dumm gemacht –«

» All right! schlafen Sie,« lachte Helmstedt, »ich werde einstweilen überlegen, was wir zunächst zu tun haben, und wenn ich Sie brauche, werde ich Sie rufen.«

Er schloß die Tür und ging nach seinem Zimmer. Als er dort, Hut und Rock von sich getan, warf er sich aufs Sofa und wollte nochmals alles, was ihm Charley geschrieben, und was er bereits als notwendig in bezug darauf beschlossen, sich als klares Bild vor die Seele stellen, aber der schwüle Tag, zusammen mit seinem Ritte in der Mittagshitze, machten auch auf ihn ihren Einfluß geltend: er wurde vom Schlafe überfallen, ehe er nur dessen Annäherung bemerkt.

Wie lange er gelegen hatte, wußte er beim Erwachen nicht – seine erste Erinnerung war die an unangenehme Träume, deren Eindruck er sich jetzt noch nicht ganz zu entreißen vermochte – ein leichtes Rütteln brachte ihn indessen zur vollen Besinnung. Es war bereits halbe Dämmerung in der Stube, aber über seinein Gesichte erkannte er den Kopf seines Schwarzen, welcher sich mit ängstlicher Miene über ihn gebeugt hatte.

»Was gibt es?« rief. Helmstedt und saß rasch aufwärts.

»Sie müssen entschuldigen, Master,« erwiderte Cäsar, augenscheinlich halb außer Atem, »aber ich dachte, ich müßte Sie wecken – mir scheint etwas nicht richtig – ich, bin gelaufen –«


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