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Dreizehntes Kapitel

Der Freund des Herrn Karl

Und an diesem anderen Tage geschah es dann, daß der Krämer – er hatte unterdessen mit dem Friedensrichter seines Bezirkes, dem Mynheer Newskiker an der St. Pankraskirche, Rücksprache genommen – etwas weniger schüchtern dem Mann aus Paris folgendes erklärte:

Er habe sich's überlegt und sei zu dem Entschluß gekommen, seinen Lehrling Karl so lange zu behalten und zu bewahren, bis ihm von Herrn von La Sauvetat eine andere Weisung zugehe. So habe er's dem Herrn Kapitän versprochen und dabei wolle er bleiben. Denn dieser Herr von La Sauvetat sei ein heftiger und gewalttätiger Mensch, der es ihm, dem Meister Potenicq, übel entgelten möchte, wenn er, der Herr Kapitän, eines Tages nach dem Lehrling Karl fragen sollte und dieser dann nicht mehr vorhanden wäre.

Und also habe er, der Meister Potenicq, heut in aller Frühe einen Brief an den Herrn Kapitän von La Sauvetat nach Aachen geschrieben mit der Anfrage, wie der Herr Kapitän es gehalten haben wolle mit dem jungen Mann, seinem, des Meisters Potenicq, gegenwärtigen Lehrling.

Hier wurde der Krämer, der sich heute etwas wortreich ausdrückte, in seiner Rede heftig unterbrochen. Wie außer sich schrie der angebliche Herr von Rondeau, Sieur von Montville, das Männecken an:

Er sei ja ein Narr; an den Kapitän zu schreiben sei das Dümmste, was er tun konnte. Man habe es gut mit ihm gemeint. Habe in Freundschaftlichkeit mit ihm reden wolle. Er habe das merken können an der großmütigen Belohnung, die man ihm angeboten. Oder ob sechstausend holländische Gulden etwa ein Nasenwasser seien!

»Ja, Freundchen,« schloß der angebliche Edelmann seine Zornesergüsse, »man hatte es gut mit dir vor; aber mit deinem törichten Betragen wirst du mich nötigen, die Sache vor den Richter zu bringen, und das kann dir übel bekommen. Denn, nicht wahr, der Lehrling, der Karl, ist entführt worden, und bei dir hält er sich auf, du verbirgst ihn, du bist der Hehler. Weißt du, was auf Hehlerschaft für eine Strafe steht?«

Aber das Männecken Potenicq mit seinen eingefallenen Wangen und geröteten Augenrändern erschrak nicht im geringsten über diese Drohung, wie es der Redner doch erwartet haben mochte.

»Gut,« sagte der Krämer ruhig, »das wird das beste sein, gehen wir gleich zusammen, wenn es Eurer Gnaden beliebt, zu Mynheer Newskieker bei St. Pankras, er ist der Friedensrichter dieses Bezirkes; wenn er mir befiehlt, kraft seines Amtes, Euch meinen Lehrling zu überlassen, sollt Ihr ihn haben, noch heut, und sollt mir nicht einen Groschen dafür bezahlen.«

Diese Unterredung geschah, wie gestern, in der hinteren Stube nach dem Hof. Nur, daß die runde Frau mit den roten blanken Backen – sie schien diese nicht weniger fleißig zu scheuern wie ihr Zinn – sich diesmal nicht in der Stube blicken ließ.

Auf einmal aber wurde etwas barsch die Türe aufgerissen und unter derselben erschien ein junger Mann im weißen Kragen über dem schwarzseidenen Wams und einem Degen mit stählernem Griff an der Seite. Sichtbar verblüfft von dem Anblick des fremden Edelmannes, wollte er sich, auf einen Wink des Krämers hin, mit einer Verbeugung schnell wieder zurückziehen.

»Wer ist der junge Herr?« fragte der Franzose, dem es angenehm sein mochte, das Gespräch von vorher abzulenken.

»Ein Student der Medizin namens Jakobus Renetzius, bei mir in Kost und Wohnung«, erklärte der Krämer. »Übrigens ein Freund des Karl, dem er unentgeltlich einigen Unterricht gibt.«

»Ein entschlossener junger Mann, wie mir scheint, der Herr Student«, meinte der Franzose. »Und verzeiht, Meister, meine Heftigkeit von vorhin. Ich bin unterdessen vollkommen ruhig geworden und sehe ein, daß Ihr gehandelt habt als ein Mann von Ehre und Gewissen. Warten wir denn die Antwort des Herrn von La Sauvetat ruhig ab. Wie lange mag das dauern?«

»Vielleicht vierzehn Tage, aber vielleicht auch vier Wochen, je nachdem.«

»Verdammt lange Zeit. Nun, fassen wir uns eben in Geduld. Grüßt Monsieur Charles von mir, ich habe die Ehre, mich zu beurlauben.«

Mit innerlichem Kopfschütteln sah Meister Potenicq dem Franzosen nach. Also vom Richter wenigstens wollte der nichts wissen. War das nicht gar verdächtig?

Und der kleine Krämer, bis jetzt ganz harmlos, beschloß bei sich, von nun an doppelt auf seiner Hut zu sein.

Damit mußte der Franzose rechnen, das verhehlte sich dieser nicht, nachdem er sich so plump hatte fortreißen lassen; aber da er sich in jedem Betracht für stärker hielt als das Ladenmännlein in der Kollegiengasse, zweifelte er nicht daran, dieses Männecken trotz all seiner Hut und Vorsicht gehörig in die Patsche zu setzen.

Er schien sich indessen in der guten Stadt Leyden nicht zu langweilen. Man sah ihn täglich, früh und abends, auf der breiten Straße spazieren, wie einer, der mit großem Eifer und sichtbarem Genuß das Wesen eines fremden Volkes studiert. Besonders den Studenten und ihrem Treiben galt sein Augenmerk.

Es konnte fast scheinen, als ob er unter ihnen etwas suche.

Und dann trat er einmal, nach vier Tagen etwa war's, mit höflichem Gruß an einen dieser Jünglinge heran.

»Wenn ich nicht irre,« sprach er, »so habe ich die Ehre, den Herrn von Renetzius zu begrüßen.«

Der andere sah verwundert auf.

»Ihr erkennt mich nicht?« fragte der Franzose. »Wir sind uns bei Meister Potenicq begegnet.«

Und dem Jakob Renetz oder Jakobus Renetzius, wie er sich nannte, kam jetzt die Erinnerung.

Was er vorhabe, gerade, fragte der Fremde.

»Nicht eben viel,« meinte jovial der Student; »irgendwo mit Kameraden eine Kanne Bier trinken.«

»Eine Flasche Wein dürfte es nicht sein?« fragte der andere schmeichelnd.

»Das verbietet mir mein Herr«, antwortete der Student lachend.

»Euer Herr, wer ist der?«

»Mein Beutel, natürlich.«

»Ihr habt Witz, lieber Freund,« sprach der Mann aus Paris; »aber würdet Ihr mir nicht die Ehre schenken, mein Gast zu sein, Herr von Renetzius; es wäre mir eine große Genugtuung, den Abend in so heiterer Gesellschaft zu verbringen.«

Des war der Student zufrieden. Er wußte auch ein passendes Lokal. In der Stube »Zur Seejungfrau« hinter St. Peters Münster schenkte man vom Besten, was nur am Rhein und Mosel wachsen mag.

Der Franzose schien nachdenklich.

»Ich hatte einen Augenblick vergessen,« sagte er, »daß zu Hause bei der guten Dame Lejuste das Essen auf mich wartet. Ihr kennt sie vielleicht? Marie Lejuste in der Boerhavengasse; sie hat auch einen Kosttisch für Studenten. Ich speise jedoch allein auf meinen Zimmern. Würdet Ihr mir die große Ehre antun, dürft ich Euch einladen? Ihr sollt finden, daß die dunkeln Weine von den goldenen Hügeln unseres Burgund es mit den grasig-grünen Eurer Moselberge wohl aufnehmen können. Ich habe einen kleinen Vorrat davon mitgebracht.«

Der Student wollte gern, und schon eine halbe Stunde später saßen beide in einem einfachen aber behaglichen Zimmer im Hause der Witwe Lejuste vor einem wohlbesetzten Tisch, über dem der Geruch angenehmer Speisen und der Duft eines reichlich alten Burgunders um die Wette miteinander kämpften.

Während des Essens sprach man von allerlei. Der Franzose hatte tausend Dinge zu fragen. Als aber dann das bedienende Mädchen einen halbmondförmigen und rotgeränderten Ausschnitt holländischen Käses nebst allerlei Backwerk aufgetragen und sich zurückgezogen hatte, zog auf einmal der Franzose aus seiner Seitentasche – wie in Gedanken – einen länglichen Streifen Papiers, bedeckt mit kleiner und großer Schrift und mit unendlich verschlungenen Initialschnörkeln verziert.

»Kennt Ihr das?« fragte er, das Blatt dem Studenten hinschiebend, indem er zugleich eine Flasche entkorkte und in zwei kleine Gläschen einen Likör einschenkte, der aussah wie geschmolzenes Gold.

Unterdessen hatte Jakob Renetz die Schnörkelschrift des mehrfach gestempelten Papiers genau betrachtet.

»Das kenn ich freilich,« sagte er; »es ist ein Pariser Wechsel über sechstausend holländische Gulden, auszuzahlen auf Sicht im Kontor der Sinterklaasgilde zu Amsterdam. Den nimmt in ganz Holland jeder Kaufmann für bares Geld.«

»Wollt Ihr ihn haben?«

Der Student fuhr unwirsch zurück.

»Mein Herr,« rief er, »was für Scherze macht Ihr?«

»Ihr mißversteht mich«, versetzte der Franzose begütigend. »Für eine Gegenleistung, meine ich natürlich, für einen wichtigen Dienst.«

»Und ich, ich sage Euch,« versetzte der Student barsch, »daß Ihr es seid, der sich irrt, wenn Ihr etwa glaubt, daß ich ...«

Kurz, Herr La Coste – um den Mann bei seinem wahren Namen zu nennen – erfuhr bei dieser Gelegenheit, wenn er's noch nicht gewußt hatte, wie absolut unberechenbar doch, weil in jedem Individuum verschieden, die Wirkung des Weines ist.

Der geschmeidige Franzose hatte all seine Gewandtheit nötig, um den Studenten, in dem der Burgunder rumorte, zu besänftigen und dahin zu bringen, ruhig anzuhören, um was es sich handle.

Herr La Coste ließ diesmal die herzoglichen Herrlichkeiten aus dem Spiel. Denn er hatte bemerkt, daß so große Worte die Leute nur stutzig und ungläubig machten. Er sprach einfach von einer reichen, sehr reichen Dame zu Paris, der ihr Sohn von verbrecherischen Verwandten als kleines Kind entführt worden, unter solchen Umständen, daß sie ihn für tot glauben mußte, bis vor kurzem, wo jene Verwandten sich entzweiten und der Mutter alles verraten wurde, wie auch der Aufenthalt ihres Sohnes, der usw.

Und kein anderer sei dieser Sohn als jener Karl, der Lehrling des Krämers Walter Potenicq. Aber eben dieser Potenicq mache Schwierigkeiten, aus Angst vor einer Art Landsknecht, einem Kapitän La Sauvetat, der wahrscheinlich den Knaben ehemals entführt hat oder doch dabei behilflich war.

»Und begreift Ihr nun,« schloß er seine Rede, »daß Ihr nur der Gerechtigkeit zu Hilfe kommt und das Glück eines Menschen beschleunigt. Eures Freundes dazu, der lange genug schuldlos elend war, wenn Ihr mir in meinem Vorhaben, den jungen Mann seiner Mutter zurückzuführen, behilflich sein wollt?«

Das schien dem Studenten wirklich einzuleuchten. Aber was konnte er tun?

»Nichts ist einfacher«, erklärte La Coste. »Ihr müßt Eurem Freund alles erzählen, so wird er sich leicht bewegen lassen, mit Euch zu entfliehen. Ihr nehmt zusammen den Weg nach Herzogenbusch, wo ich Euch erwarte. In wenigen Tagen gelangen wir von dort nach Paris. Und ich darf Euch wohl versichern, daß der gedachte Wechsel nur eine Kleinigkeit genannt werden muß im Vergleich zu der Dankbarkeit der Dame, die in ihrem überschwenglichen Glück nicht zögern wird, und sie hat die Mittel und Macht dazu, Euch zu versorgen, Euch zu einem reichen Manne zu machen.«

Dem Studenten schwindelte. Welche Versprechungen! Übrigens schien ihm alles sehr glaubhaft. Sein Freund Karl hatte ihm öfter erzählt, daß er sich recht gut erinnere, wie er als Kind in einem Schlosse gewohnt und in einer Karosse mit vier Pferden gefahren sei. Auch die Erlebnisse in der Nacht seiner Entführung tauchten ihm oft, wenn auch nur dunkel und verschwommen, im Gedächtnis auf.

Von dieser Seite also schien sich alles zu bestätigen, was der Franzose vorbrachte. Und übrigens, – was sollte für ein Unrecht dabeisein? Miserabler als in dem stinkenden Laden des Männecken konnte es dem armen Karl nirgends gehen in der Welt. Es war eine edle Tat, ihn da herauszureißen. Denn, wer weiß, was jener Raufbold von La Sauvetat noch mit dem jungen Menschen vorhatte.

»Topp,« sagte er endlich, »ich schlage ein in den Handel. Ich will wenigstens mein möglichstes tun.«

Freudig erwiderte der Franzose den Handschlag und beide trennten sich als Freunde und Bundesgenossen.


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