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Achtes Kapitel

Wie der Marquis von Ruvigny der schönen Prinzessin in die Suppe spuckt, die ein anderer dann ausessen muß

»Aber«, rief die Prinzessin, »das ist ja unmöglich, was Ihr mir da in Aussicht stellt, das kann ja nicht geschehen. Niemals kann das geschehen.«

»Laßt nur erst den Herzog Heinrich tot sein und Ihr werdet etwas erleben.«

»Die Herzogin denkt ja nicht daran,« sprach die Prinzessin zuversichtlich; »sie hat allen Grund, den Skandal zu fürchten.«

»Sie würde gewiß niemals daran gedacht haben, wenn Eure Hoheit ihr nicht Grund gegeben hätte zum Haß. In Ihrem Haß aber wird sie jedes Mittel willkommen heißen, das ihr geeignet scheint, Euch zu demütigen und zu schädigen. Was aber den Skandal anbelangt, den braucht sie nicht mehr zu fürchten, sobald ihr Gemahl die Augen geschlossen hat. Und bei dem jetzigen Unternehmen Eures Vaters, in dem wilden fremden Gebirgsland, in die Mitte gestellt zwischen die fanatischen Grisonen und die aufs äußerste gereizten Spanier – wer weiß, worauf der Richelieu sich im geheimen Hoffnung macht.«

»Gut, gut«, versetzte die Prinzessin ungeduldig. »Sie wird es vielleicht tun in ihrem unnatürlichen Haß. Aber niemals wird sie damit durchdringen. Niemals werden die Gerichte sich auf ihre Seite stellen.«

»Das Gesetz ist gegen Euch.«

Der Marquis von Ruvigny blickte, seinen inneren Triumph verbergend, ernst und nachdenklich vor sich nieder.

»Ich begreife, daß Ihr Mühe habt, mir zu glauben«, nahm er dann zögernd von neuem das Wort. »Man glaubt nicht gern an das, was einem unangenehm ist. Oder vielmehr, man wehrt sich dagegen, wenn man auch schon daran glaubt. Aber ich will Euch einen Rat geben. Ihr kennt persönlich den Staatsrat von Thou. Das Parlament besitzt keinen erfahreneren Juristen, keinen erprobteren Ehrenmann als ihn. Er hat von seinem Vater, dem großen Geschichtsschreiber der Liga, alle Wissenschaft und alle Tugend geerbt. Laßt Euch zu ihm fahren, tragt ihm die Sache vor, und ich will ein Hundsfott sein, wenn er nicht meiner Meinung ist.«

Dieser Vorschlag leuchtete der Prinzessin ein, sie ließ sich noch am gleichen Nachmittag nach dem Augustinerkai fahren zum Hause des hochangesehenen Herrn von Thou.

Den Staatsrat und Großmeister der königlichen Bibliothek setzte schon das Erscheinen der Prinzessin in seinem Arbeitskabinett aufs höchste in Erstaunen. Er schob einen hohen Stoß von Akten auf seinem mächtigen Schreibtisch weit zurück und beeilte sich dienstbeflissen, seiner schönen und vornehmen Besucherin mit dem krönchenartigen Perlenschmuck über dem üppigen Haargelock einen Stuhl vorzusetzen. Und sprachlos hörte er die Geschichte von Tankred, wie Margarete von Rohan sie ihm erzählte.

Die Art dieses Mannes war es nicht, in laute Äußerungen dessen auszubrechen, was in ihm vorging. Er schwieg lange in tiefem Nachdenken. Noch hatte der Staatsrat keine Ahnung, daß bereits das Beil des Henkers über seinem Haupte schwebte wegen seiner Verbindung mit dem Marquis von Cinq-Mars und Gaston von Orleans zum Sturze des despotischen Kardinals, den selbst der König haßte, um so mehr, je mehr er sich vor ihm fürchtete. Der streng-rechtliche Herr von Thou war ein kurzsichtiger Politiker. Er sah in Richelieu nur den Vergewaltiger seines Vaterlandes. Und so erwies er sich in diesem Fall vollständig als Partei, geneigt, dem Kardinal jede Schlechtigkeit zuzutrauen, wo seine Herrschsucht ins Spiel trat.

Was er von der Prinzessin hörte, war ihm darum Wasser auf seine Mühle. Die Befürchtungen, die die Herzogin dem Ruvigny gegenüber geäußert, schienen ihm nichts weniger als lächerlich. Über den mysteriösen frommen Pater Josef, den strengen Asketen und kaum gekannten, aber um so mehr beschrienen heimlichen Gehilfen Richelieus, dachte der gelehrte und hochgebildete Parteimann kaum aufgeklärter als der gemeine Pöbel.

In diesem Sinne antwortete er endlich der Prinzessin, die in ihrem hochlehnigen Armsessel von schwarzem geschnitzten Holz und bordeauxrotem Samt sich kaum mehr zu halten vermochte vor Erwartung und an ihrer Goldkette über dem steifen Brokatmieder wiederholt so ungeduldig zerrte, daß sie wohl sehr solid sein mußte, wenn sie nicht zerriß.

»Zunächst«, so begann der Staatsrat, »bitte ich Eure Hoheit, zu bedenken, daß wir nicht berechtigt sind, an dem zu zweifeln, was die Herzogin von Rohan ihrem einstigen Freund vertraut hat. Dem Marquis von Ruvigny beliebt es, die Aussagen der Herzogin hinsichtlich der zu befürchtenden Machenschaften des Herrn Kardinals als ein unsinniges Gerede hinzustellen. Ich bin nicht seiner Auffassung und ich finde in seinem Betragen einen schweren Verstoß gegen den Respekt, den er einer hohen Dame vom Rang Eurer Mutter, die ihm ihr Vertrauen geschenkt hat, in allen Lagen schuldig ist...

Der Staatsrat schien sich zu bedenken.

»Und ich selber«, fuhr er nach einer Pause fort, »würde mich des gleichen häßlichen Vergehens schuldig machen, wenn ich in die Ehre der Herzogin von Rohan ohne triftige Gründe den geringsten Zweifel setzen wollte. Ich kann also nur annehmen, daß sich die Sache verhält, wie Eure Frau Mutter sie darstellt. Danach ist ihr Sohn Tankred der eheliche Sohn Eures Vaters und als solcher dessen einstiger Erbe.«

Der Staatsrat hielt inne. Ein unartikulierter Ausruf der Prinzessin, die ihr Gefühl der Empörung nicht zu bemeistern vormochte, ließ ihn verstummen. Herr von Thou warf einen erstaunt fragenden Blick auf die Hoheit, deren Blatterngrübchen um die Mundwinkel wieder jene Rötung zeigten, die das stolze Gesicht fast unschön erscheinen ließ. Ein zuckender Glanz in ihren braunen Mandelaugen erinnerte an das blendende Leuchten im Auge eines Raubtieres, das seine Beute verteidigt.

Man sah es dem Staatsrat an, daß es ihm nicht leicht wurde, in seiner Rede fortzufahren.

»Und wenn ich auch,« brachte er stockend hervor, »was mir aber nicht erlaubt ist, wenn ich auch die Möglichkeit annehmen dürfte, jener Tankred sei nicht vom Blute seines Vaters – man sollte einen solchen häßlichen Verdacht auch nicht einmal bedingungsweise aussprechen – so wäre doch damit für die Hauptfrage gar nichts geändert.«

»Wieso nichts geändert«, rief die Prinzessin, indem sie von ihrem Sitz aufsprang.

»Weil Euer Bruder ...«

»Ein elender Bastard ist er, nicht mein Bruder.«

»Weil Tankred«, nahm der Staatsrat ruhig sein Wort auf, »matrimonio constante, wie wir Juristen sagen, das heißt bei bestehender Ehe gezeugt und geboren ist. Darum ist seine Geburt legal. Darum ist er legaliter der Sohn des Herzogs Heinrich. Und muß er als solcher, wie auch als dessen rechtmäßiger Erbe anerkannt werden, sobald es seiner Mutter gefällt, zu Lebzeiten oder nach dem Tode des Herzogs, ihren Sohn dem Parlament zu präsentieren.«

»Aber das ist ja ein ungeheuerliches Gesetz«, stieß die Prinzessin in höchster Erregung hervor.

»Jedes Gesetz«, sprach Herr von Thou, »wird unter Umständen als Härte empfunden, als Ungeheuerlichkeit, um Euren Ausdruck zu gebrauchen. Das spricht nicht gegen die ihm innewohnende Gerechtigkeit, und ich wiederhole Eurer Hoheit: kein Richter von Frankreich, dem das Gesetz heilig ist, wird dem Sohn Eurer Mutter seine Legalität absprechen.«

Die Prinzessin hatte genug gehört. Kühl-hochmütig dankte sie dem Staatsrat, der sie respektvoll bis zu ihrem Wagenschlag begleitete und dann nicht ohne bittere Empfindungen in seinen Arbeitssaal zurückkehrte.

Es bleibt doch wahr, dachte er, wir Juristen tun wahrhaftig die tiefsten Einblicke ins Herz der Menschen. Was wohl ihr Beichtvater viel wissen wird von diesem Fräulein mit seiner eine heilige Scheu einflößenden Larve. Nichts wahrscheinlich.

Und mir zeigte sie ohne Umstände ihre Seele in voller Nacktheit.

Aber bin ich auch nicht ungerecht gegen sie? unterbrach sich der gewissenhafte Mann in seinen Gedanken. Sie hält den Bruder für einen Bastard. Sie ist davon überzeugt. Kann man es ihr übelnehmen, daß sie sich gegen den unrechtmäßigen Eindringling zur Wehr setzt?

Doch was für ein seltsamer Roman, diese Tankredgeschichte. Welche Möglichkeiten der Verwicklung. Und welche Lösung wird er finden? Ich bin begierig.

Er hat sie nicht erlebt, der arme Staatsrat. Das gefährliche Staatsverschwörerspiel, in dem er seit einiger Zeit eine Rolle spielte, fand seine Lösung früher, und diese Lösung kostete ihm den Kopf.

Die Prinzessin aber meinte es nicht zu erleben, bis sie zu Hause ankam. Ihre Seele war erfüllt von Empörung. In ihrem Boudoir angelangt, warf sie sich auf ein Ruhebett, weinend vor Zorn, und ohne auf Ruvigny zu achten, der sie hier erwartet hatte.

»Also es kam, wie ich vorausgesagt habe«, sprach er mit Triumph.

»Höhnt mich nicht«, herrschte ihn die Prinzessin an, indem sie mit Heftigkeit aufsprang. »Ratet mir lieber.«

»Dies will ich,« versetzte der Marquis, dessen Stirn unter dem gelbroten Haar noch blasser geworden war als gewöhnlich; »aber Ihr behandelt mich kaum so, wie es ein alter Freund beanspruchen darf.«

»Sprecht, ich bitte Euch«, bat sie in begütigendem Ton.

Hier ist zu sagen, daß sich die Prinzessin wohl von ihrer Mutter, aber deswegen keineswegs von der Welt zurückgezogen hatte. Sie ging nicht nur selber und sehr häufig in die große Gesellschaft, wenn sie wußte, daß sie ihre Mutter nicht traf; sie liebte es noch mehr, bei sich zu empfangen. Und dabei setzte sie sich, vielleicht im stolzen Bewußtsein ihrer Tugend, jedenfalls aber im Stolz auf ihre Geburt, kühn über vieles hinweg, was anderen eine Schranke gewesen wäre. Denn ihres Hochmuts ungeachtet, war sie ein recht lebenslustiges Fräulein.

Ihre höchste Lust bildete der Tanz. Sie selber war eine Ausnahmetänzerin, die längst von sich reden machte, und mit der Zeit, wie es so geht, wurde ihr Talent ihre Leidenschaft, ohne daß sie noch ahnte, wie diese Leidenschaft einst ihr endgültiges Schicksal bestimmen sollte.

Und unbekümmert, was die anderen dazu sagen konnten, liebte sie es, fast ausschließlich junge Leute bei sich zu sehen, die gern und gut tanzten, vorausgesetzt, daß sie zugleich den vornehmsten Häusern von Frankreich angehörten.

Es ging also lustig her in dem fast bürgerlich dreinschauenden Hause des alten Fräuleins von Rohan, die trotz ihrem Höcker und ihrem Dichtertum auch keine Kopfhängerin war, und zwar so wenig, daß sie sogar des heimlichen Katholizismus geziehen wurde.

Unter den Tänzern der Prinzessin befand sich auch ein weitläufiger Vetter des Marquis von Ruvigny, ein Herr Heinrich von Taillefer, der, obwohl ohne Titel und Vermögen, dem ältesten Adel des Königreichs angehörte. Es war das ein blutjunger Kapitän der königlichen Marinetruppen, dessen Kompagnie zu Pont l'Eveque in der Normandie in Garnison stand.

Auf diesen verwegenen und wenig skrupelhaften Offizier, der aus finanziellen Nöten nie herauskam, bauten die Prinzessin und der Marquis von Ruvigny ihren Plan. Und sie täuschten sich nicht in ihrem Mann. Der Taillefer, sobald er begriff, daß es sich darum handelte, der angebeteten Prinzessin einen wichtigen Dienst zu leisten, den sie von niemand anderem so leicht erwarten konnte, schätzte sich überglücklich, der schönen Herrin in einer so abenteuerlichen und nicht ungefährlichen Sache seine Ergebenheit beweisen zu können.

Alle Umstände wirkten glücklich zusammen. Die Entfernung zwischen Pont l'Eveque und Schloß Préfontaine konnte man mit scharfem Ritt in dritthalb Stunden zurücklegen; es schien fast, als ob die Vorsehung – nämlich diejenige, die ohne Zweifel bei der Prinzessin in besonderer Pflicht stand – den Garnisonsort der Tailleferschen Kompagnie längst mit Bewußtsein vorbestimmt habe.

Und noch eins traf sich gut. Der Bruder des Herrn von Taillefer, ebenfalls Inhaber einer Kompagnie – er nannte sich Herr von La Sauvetat – stand unter dem Oberbefehl des Herzogs von Estrades in holländischen Diensten und befand sich also in der günstigsten Situation, um dem Taillefer in die Hand zu arbeiten.

Der Plan des Marquis von Ruvigny, im Einverständnis mit der Prinzessin, ging nämlich dahin, den jungen Tankred zunächst nach Holland zu entführen, von wo es später nicht schwer fallen konnte, ihn nach den hinterindischen Kolonien einzuschiffen.

Und also reiste Herr Heinrich von Taillefer, von der Prinzessin mit dem nötigen Geld versehen – der Herzog hatte ihre Apanage um die Einkünfte des Baronats St. Pol de Léon erhöht – nach Pont l'Eveque und besprach sich mit seinem Waibel La Pétrière, dessen Verwegenheit und Zuverlässigkeit er kannte, und machte alles ins einzelne mit ihm aus, wie er vorzugehen habe.

Elf Mann aus der Kompagnie sollte er auf Eidschwur in seine Pflicht nehmen, und in Bauernkleidern und mit geschwärzten Gesichtern sollten sie sich bei anbrechender Nacht vor Préfontaine einfinden, mit List in das Schloß zu dringen suchen und sich des Knaben Tankred tot oder lebendig bemächtigen. Taillefer selbst wollte zwar ebenfalls an dem Zuge teilnehmen, aber sich letzten Endes im Hintergrund halten, um nicht mit seiner Person, im Fall eines Mißgeschicks, die Prinzessin bloßzustellen.


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