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Zweites Kapitel

Erzählt mehr von Herzog Heinrich und seiner schönen Gemahlin

Der Herzog selber war mit seiner Frau sehr zufrieden. Das kleine lebhafte Persönchen – sie muß nach dem, wie man sie im Alter gesehen hat, sehr hübsch gewesen sein – liebte ihren Mann auf ihre Weise. Sie kam oft zu ihm ins Lager oder in seine Standquartiere zu La Rochelle und Montauban, zu Castre und Aigues-Mortes, zu Montpelliers und Pisme, und wie sonst die festen Plätze der Hugenotten in der Languedoc heißen mochten, und führte wiederholt für ihn und nicht ohne Glück die Verhandlungen mit Richelieu und der Königin Anna von Österreich, mit der sie in einer Art freundschaftlichem Verhältnis stand. Man sprach einmal von ihr bei der Marquise von Rambouillet. »Oh, rief Tallemand des Réaux, in einem Land, wo der Ehebruch erlaubt wäre, würde sie nicht nur für eine tüchtige, sondern auch für eine höchst ehrbare Frau gelten.« »Als ob bei uns, antwortete boshaft der Marschall von Bassompières, der Ehebruch etwa nicht erlaubt sei.«

Selbst in ihren Liebeshändeln verlor sie die Politik ihres Gemahls nicht ganz aus dem Auge und brachte wirklich den Candale dahin, sich von seiner Frau zu scheiden und zu Charenton feierlich den katholischen Glauben abzuschwören, was ihr vom Hof in höherem Grad übel genommen wurde als alles andere.

Von ihrem lebhaften und brüsken Temperament erzählte man eine Menge drolliger Geschichten. Als sie einmal von einem Ball im Louvre in ihrer Sänfte nach Hause kehrte, wurde sie hinter den Markthallen nahe bei dem schönen Brunnen der Unschuldigen Kinder von Räubern überfallen, die es auf ihr kostbares Perlenhalsband abgesehen hatten. Die Dienerschaft war im Nu überwältigt, die Herzogin aber wehrte sich heldenhaft, indem sie das Kleinod an ihrem Hals krampfhaft mit ihren Händen umschlossen hielt. Da griff einer der Männer nach einem andern Kleinod, das sich sonst die Damen am wenigsten gern von fremden Händen berühren lassen. Die Herzoginhoheit aber lachte. Das werdet ihr mir schon lassen müssen, sagte sie verächtlich; meine Perlen haben es nötiger verteidigt, zu werden. Und sie hat wirklich ihre Perlen gerettet.

Sie war eine Frau von praktischem Verstand. Dennoch konnte sie, und all ihrer intriganten Rührigkeit zum Trotz, nicht hindern, daß das politische Schiff ihres Eheherrn immer mehr mit vollen Segeln dem Untergang zusteuerte.

Der gute Herzog hatte kein Glück mehr. Die Wahrheit zu sagen, war er eine Art personifizierter Anachronismus geworden. Er fand sich nicht in die Veränderung der Zeit. Während seine Verbündeten längst die Religion nur noch als Vorwand benützten zur Verwirklichung eigennütziger und sonderbündlerischer Absichten, um die es ihnen allein noch zu tun war, meinte er immer noch in aller Aufrichtigkeit, einzig für seinen Glauben zu kämpfen. Er mißkannte gründlich seine Genossen, die bereits anfingen, sich über ihn lustig zu machen. Seit dem Edikt von Nantes erfreuten sie sich mehr als hinlänglicher Duldung in Religionssachen, und so mußten die Verständigen unter ihnen immer deutlicher fühlen, daß es ihnen schlecht anstand, für eine Sache zu kämpfen, die ihnen in Wahrheit niemand streitig machte. Daß der Rohan und sein Bruder, der Fürst von Soubise, damals von Spanien, dem Todfeinde Frankreichs, Subsidien bezogen und zuletzt Englands Hilfe gegen den König anriefen, setzte ihren Patriotismus in ein verdächtiges Licht und mißfiel den meisten in der eigenen Partei. Die mächtigsten ihrer Häupter folgten jetzt sogar dem Beispiel der Bourbonen und traten öffentlich in die Kirche zurück.

Besonders verstand es Herzog Heinrich nicht, gewisse unzeitgemäße Äußerlichkeiten rechtzeitig abzulegen. Er trug über seinem schwarzen Küraß den berüchtigten hugenottischen Kragen noch immer um keinen Finger weniger breit als zur Zeit des dritten Heinrich, und sein dreigespitzter Bart war in Frankreich auch längst außer Mode.

Und nie hielt er seinen Einzug in eine eroberte Stadt, ohne daß drei Prediger mit brennenden Kerzen und einer riesigen aufgeschlagenen Bibel vor ihm her schritten. Vielleicht glaubte er auch hierin seinen Patron, den heiligen Gustav Adolf von Schweden, würdig nachzuahmen.

Herzog Heinrich selber war mindestens ein ebensoguter Prediger wie Feldherr. Auf der vielbeschrienen Kirchenversammlung zu Saumur hielt er an den reformierten hohen Adel eine Allocution, die folgendergestalt schloß: »So laßt uns, meine Brüder in Christo, abtun alle weltlichen Gedanken, abtun von uns alle sündige Ehrsucht und feige Rücksicht auf irdisches Gut und persönlichen Vorteil, um einzig und mit allen unsern Kräften zu arbeiten am Ruhme unsers Erlösers und seiner heiligen Kirche. Dann wird die Hand des Herrn mit uns sein in all unserem Beginnen. Und wahrlich, kein frommerer Ehrgeiz könnte uns beseelen, als der ist, die verfolgte Kirche Gottes zu erretten und mächtig zu machen gegen ihre Feinde. Dazu wirke jeglicher nach den Kräften, die ihm Gott verliehen hat. Alle irdischen Güter sind eitel Kot und Staub vor dem Herrn und unser ganzes Leben hienieden hat keinen andern Sinn, als damit das ewige im Jenseits zu verdienen. Darum laßt uns ebenso all unsere Kraft aufwenden zur Verherrlichung Gottes, wie unsere Gegner zum Gewinn des Teufels. Laßt uns sie nachahmen in ihrem unermüdlichen Eifer, aber zur Vermehrung des Reiches Christi, nicht Satans, wie sie tun in ihrer Verruchtheit.«

Leider hatte die schöne Predigt nicht den gewünschten Erfolg bei seinen vornehmen Standesgenossen. Die einen lachten, die andern schüttelten unwillig den Kopf. Sie meinten, die Zeiten der Apostel und Albigenser seien doch wohl vorüber.

Um diese Zeit war es auch, daß Heinrich von Bourbon, Fürst von Condé, ihm einen harten Brief schrieb wegen seines geheimen Einverständnisses mit den Todfeinden Frankreichs, den Spaniern und Engländern. Heinrich von Rohan antwortete darauf als Christ, ohne auch nur mit einem Wort auf des Bourbonen ungeheuerliche Beschuldigung der Felonie einzugehen, einzig besorgt um das Seelenheil des Fürsten.

»Zuletzt bleibt mir nur übrig,« so schloß seine fromme Epistel, »als Gott zu bitten, daß er Euch nicht behandle nach Eueren Werken, vielmehr Euch die Gnade angedeihen lasse, zur wahren Religion zurückzukehren und darin zu verharren. Ja, möchte doch Gott in seiner Barmherzigkeit Euch würdigen, wie er Euren Herrn Vater und Großvater gewürdigt hat, aufs neue der Verteidiger unserer heiligen Kirche zu werden: dann könnte ich freudigen Herzens mich bekennen, auch in Hinsicht auf Eure Person, wie jetzt nur in Anbetracht Eures Ranges, als

Euern Diener
H. v. R.«

Herzog Heinrich, in seiner Nachahmung des großen Schwedenkönigs, vergaß eines: daß wir Franzosen eine andere Rasse Menschen sind als die fischblütigen Nordländer und daß in unserem schönen Frankreich kein Fluch tödlicher wirkt, als der der Lächerlichkeit. Er begriff auch nicht, daß die Franzosen, und die im Süden mehr noch als wir andern, zwar einen Glauben mit einem an Raserei grenzenden Fanatismus zu ergreifen vermögen, der aber, einmal lau geworden, leicht in Frivolität umschlägt und, dem bewegten Geist gallischer Rasse entsprechend, einer Spottlust Raum gibt, die manchmal an Gottlosigkeit grenzen mag.

Man verbreitete damals die erste Übersetzung jenes spanischen Buches von einem gewissen Miguel de Cervantes, und bald mußte Heinrich von Rohan es erleben, daß alle Welt ihn mit dem lächerlichen Helden des närrischen Romans verglich. Seine eigenen Anhänger aus der hohen Aristokratie – nur das gemeine Volk hatte seine ehrliche Gläubigkeit bewahrt – nannten ihn schon nicht mehr anders als den Don Quichotte des Evangeliums. Heinrich von Bourbon soll zuerst das Wort auf ihn gemünzt haben.

Kurz, es stand schlecht um seine Sache und noch schlechter um ihn selber; seine ungeheuren Besitzungen waren längst von Richelieu konfisziert.

Dabei verlor er eine Schlacht nach der andern, eine feste Stadt um die andere fiel in die Hände der Königlichen. Nur La Rochelle hielt sich noch. Dieser Platz, der von außen eher einer meerumrauschten und vielgetürmten barbarisch gotischen Burg glich als einer Stadtfestung, wurde durch den hartnäckigen Glaubenseifer seiner frommen Bürger – der Gewerbsmann brachte seiner Religion noch Opfer – wie durch die nicht weniger hartnäckige Brandung des Ozeans zu gut verteidigt. Dennoch mußte auch diese letzte Festung des Kalvinismus sich endlich nach dreizehnjähriger Belagerung übergeben; denn wenn die Hugenotten den Ozean und hundert feste Türme für sich hatten, so kämpften dafür auf Seite Richelieus zwei noch schrecklichere Gewalten, denen keine menschliche Macht je auf die Dauer widerstanden ist: der Würgeengel Hunger und sein entsetzliches Geschwister, die Seuche.

Und als dann La Rochelle, drei Tage vor Allerheiligen des Jahres 1628, sich seinem furchtbaren Belagerer, dem bourbonischen Prinzen Ludwig, Grafen von Soisson, auf Gnade und Ungnade ausgeliefert hatte, da schien es, daß der Herzog Heinrich von Rohan seine Rolle auf dem irdischen Welttheater für immer ausgespielt habe.

Er wurde zwar, wie auch seine Glaubensgenossen, von Richelieu gnädig behandelt. Denn dieser Priester war in erster Linie Politiker und in zweiter Linie noch einmal Politiker. Er kannte in seinem Herzen nur eine Religion, die Religion der Macht. Ihr allein widmete er einen ehrlichen Kultus. Der Glaube der Untertanen galt ihm gleich, wenn sie nur seine schrankenlose Herrschaft duldeten, welcher selbst König Ludwig sich nicht zu entziehen gewagt hätte.

Herzog Heinrich erhielt alle seine konfiszierten Besitztümer, Städte, Burgen, Dörfer und Ländereien zurückerstattet, nur eben mit dem königlichen Befehl, Frankreich unverzüglich zu verlassen und in Venedig Wohnung zu nehmen, bis es Seine Majestät gefallen sollte, ihn zurückzurufen. In dem neutralen Venedig glaubte man den unruhigen Herzog am unschädlichsten aufgehoben.

Das mürrische und verdrossene Gesicht Heinrichs von Rohan, in dem die großen Augen mit dem umflorten Blick und die herabgezogenen Mundwinkel so schlecht zusammen gingen mit dem steifgewichsten dreispitzigen Kriegerbart, dieses melancholische Antlitz war damals jedermann bekannt.

Auch wo er als Sieger in Burgen und feste Städte eingezogen – immer, wie schon erwähnt, mit den drei Predigern, die brennende Kerzen und die Bibel vor ihm hertrugen – hat er nie ein anderes als dieses Gesicht gezeigt, das an das eines armen Sünders erinnerte, der zum hochnotpeinlichen Gericht geführt wird. Wie aber mag er erst dreingeschaut haben, als er nun, nicht mehr als ein Sieger oder Krieger, sondern als ein Unterlegener, als ein Verbannter und Ausgestoßener, mit seinem Gefolge in die stolze Lagunenstadt einzog, um deren Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen.

Die schwarzen Gondeln in der sonst so hellfarbigen Stadt können, schlank und schmal wie sie gebaut sind, selbst einen Frohen an Särge erinnern, und als diejenige, die den besiegten Rohan trug, auf dem großen Kanal unter den prunkvollen Palästen dahinglitt, da mochten die Insassen anderer Gondeln manchmal erschrocken zusammengefahren sein, weil sie einen Augenblick geglaubt hatten, einem Gespenst ins Angesicht gesehen zu haben. Auch mag sich seine Leichenbittermiene kaum erheitert haben, als die Gondel nach kurzer Fahrt an der Portaltreppe des von ihm gemieteten Palastes anstieß und seine Gemahlin und Tochter ihm vom Balkon herunter freudig zuwinkten.

Denn die immer rührige, immer sorgliche und immer reisefertige Frau Fürstin – da sie doch einmal diesen Titel am liebsten hatte – war ihm mit ihrer Tochter, der Prinzessin Margaret, zusammen vorausgeeilt, um dem düsteren Gemahl in dem farbigen Venedig das Haus zu bestellen und die harten Tage des Exils so leicht und sanft als möglich zu machen.

Und wie die ewigen Götter ein Wohlgefallen haben an der liebenden Besorgtheit ehelicher Gatten für einander, das zeigt sich deutlich bei dieser Gelegenheit, indem der Gott Zufall es gütig fügte, daß zur selben Zeit der Herzog von Candale nach Mantua reiste, um an dem dortigen Hof einen Auftrag auszurichten, den er sich von der Königin verschafft hatte. So schien es nur natürlich, das die Fürstin in seiner Gesellschaft reiste.

Wer sich aber in Rohan geirrt hatte, wenn er ihn zu Venedig kaltgestellt glaubte, das war der Kardinal Richelieu. Denn in dieser Lagunenstadt kam der Herzog auf den Gedanken, eine wie herrliche Sache es wäre, ein Bündnis zu stiften zwischen der Republik des heiligen Markus und dem König von Schweden, womit er dem Kardinal sehr unbequem werden mußte. Er begann also zu handeln und zu korrespondieren, und wenn man gewissen Historiographen glauben darf, waren wirklich seine Bemühungen nicht aussichtslos, hat es nur an einem Haar gefehlt, daß ihm sein kühner Plan gelungen wäre.

Immer hat es bei diesem Mann nur um ein Haar gefehlt.

Jedenfalls ließ also auch in Venedig die Politik dem Herzog keine Zeit, sich um seine Frau zu kümmern. Und als dann eines Tages der braungelockte zierliche Candale von Mantua herüberkam und sich in der Nähe des herzoglichen Palastes einquartierte, freute sich darüber, sagen wir: war damit niemand, die Fürstin Margarete vielleicht ausgenommen, mehr zufrieden als Heinrich von Rohan, der bei aller Unbekümmertheit in diesem Punkt doch einigemal bemerkt haben mochte, daß sich die Fürstin in dem schönen Venedig auf den Tod langweile.

Er selber hatte aber wirklich keine Zeit übrig für seine lebhafte kleine Frau. Denn die Muße, die ihm seine politische Korrespondenz freiließ, verwendete er in emsiger und unermüdlicher Schriftstellerei. Er verfaßte damals sein Buch: »Von den Tugenden eines guten Fürsten.« Rohan wollte damit die heidnischen und unchristlichen Anschauungen des Katholiken Machiavell bekämpfen. Nebenbei arbeitete er an der Beschreibung einer früheren Reise durch Frankreich, England, Schottland, Deutschland und Italien. Und vor allem galt es, seine eigenen ruhmreichen Taten in richtiger Beleuchtung auf die Nachwelt zu bringen. Und so schrieb er. Band um Band, an seinen Memoiren, die bekanntlich den Titel führen: »Von den denkwürdigen Begebenheiten in Frankreich vom Tode Heinrichs IV. bis zum Frieden von Alais im Monat Juni des Jahres 1629.«

Also geschah es denn oftmals, während er vor einem ungeheuren Arbeitstisch, den er sich in seinem eigenen abgesonderten Schlafzimmer aufgestellt hatte, zwischen hohen Haufen bestaubter Papiere kramend und kritzelnd saß. Stunden um Stunden, manchmal allein, manchmal unterstützt von seinem Sekretär Priolo: daß die Fürstin auf dem steinernen Balkon vor dem großen weitläufigen Saal zusammen mit dem braunlockigen zierlichen Candale weilte und sich besprach über Vergangenheit und Zukunft.

Und bei einer solchen Gelegenheit – die Prinzessin Margaret, damals noch ein kindliches Ding mit ihren vierzehn Jahren, saß mit ihrer Gouvernante und dem Sprachmeister drin in einer Ecke des Saales über ihrer italienischen Lektion – bei einer solchen Gelegenheit machte Margarete von Bethune dem Candale eines Tages eine Entdeckung bedenklicher Art. Der parfümierte Candale schnitt dazu erst ein verdutztes Gesicht. Er beruhigte sich aber sehr schnell und suchte auch die Fürstin zu beruhigen mit dem Hinweis auf die bekannte kindliche Gutgläubigkeit des hohen Herrn Gemahls in diesen Dingen.

Leider gelang es ihm nicht, die trübe Besorgtheit der Fürstin zu besiegen. Ja, als diese ihm nun fernere intime Eröffnungen machte über ihr eheliches Zusammenleben oder vielmehr Nichtzusammenleben mit dem Gemahl, da kraute sich auch der schöne Candale ein wenig ratlos in den duftenden Locken.

Zum Glück aber kam der gefällige Gott Zufall der Dame Margaret abermals zu Hilfe.


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